Stilwechsel und ihre Funktionen in Textsorten der Fach- und Wissenschaftskommunikation

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3 Online-Texte, ihre Makrostruktur und Stilmerkmale

Im folgenden Abschnitt betrachten wir anhand von Beispielen, wie popularisierende Texte, Newsticker und Blogtexte zum Thema ‚smart‘ und ‚Virtuelle Realität‘, aufgebaut sind und durch welche Stilmerkmale sie sich auszeichnen.

Textbeispiel (E) ist ein Blogeintrag auf einem Firmenblog und scheint dem Konzept smart gewidmet. Nach einer einleitenden erklärenden Passage des Begriffes offenbart sich die tatsächliche Intention des Autors: Es ist ein Werbetext für das Unternehmen Panasonic, das durch seine Art des Umgangs mit dem Konzept smart im Kontext von Business-to-Business (B2B)-Geschäftsmodellen das Unternehmen selbst auf sehr positive Weise als modern und zukunftsorientiert darstellt. Der Text besteht aus 14 relativ kurzen Absätzen. Diese sind so angeordnet, dass der Text am Computer gut lesbar und optisch überschaubar ist. Der als Frage gestaltete Titel zieht die Aufmerksamkeit der Leser auf sich, da smart noch immer ein Schlagwort ist, das zukünftige technische Entwicklungen bestimmen wird.

 (E) Was heißt eigentlich „smart“?Heutzutage ist fast alles „smart“. Smart Cities, Smart Homes, Smart TVs … Die Liste ist endlos. Das Wörtchen „smart“ ist allgegenwärtig. Es bezeichnet die zunehmende Anzahl vernetzter Technologien, die uns das Leben leichter machen. Da jedoch heute praktisch alles vernetzt ist, verliert der Begriff an Bedeutung.Laut Definition von Gartner beschreibt „smart“ Maschinen, die lernen, sich automatisch anpassen und ihr Verhalten auf das Umfeld einstellen können. Diese Definition von „smart“ geht weit über die reine Internetverbindung hinaus.Aber sind die Geräte, Maschinen und Konzepte, die wir als „smart“ bezeichnen, wirklich so „smart“?Die Verbraucher genießen heute eine Fülle an smarten Technologien. Wir können unser Zuhause aus der Ferne überwachen und per Mobile App Türen, Beleuchtung und Heizung steuern, während Smart TVs mehr und mehr On-Demand-Inhalte bieten und mühelos weitere Apps und Funktionen integrieren.In beiden Beispielen werden dem Nutzer bessere oder „smartere“ Entscheidungen ermöglicht. Lässt sich dies auf unsere B2B-Welt übertragen? Wir denken schon.Bei Panasonic haben wir „smart“ neu definiert: „Wenn der Kunde unserer Kunden eine Verbindung mit der Technologie herstellt und diese ihm persönliche Entscheidungen ermöglicht, sodass er letztlich selbst über seine Erfahrung bestimmt“.Zum Beispiel könnte in einer Einzelhandelsumgebung ein LinkRay-fähiges Display im Schaufenster als „smart“ bezeichnet werden. Mithilfe der LinkRay-App können Käufer zu einem Outfit auf dem Bildschirm Informationen oder gleich ein Angebot auf ihr Smartphone herunterladen, was sie zu einem direkten Einkauf animiert.Gekoppelt mit Technologien zur Alters- und Geschlechtserkennung lässt sich der Inhalt am Bildschirm auf die jeweilige Person – z.B. After-Shave für den Herrn und Parfüm für die Dame – mit jeweils altersgerechten Marken zuschneiden. Für uns bedeutet das, dass wir den Kunden unserer Kunden selbst dann relevante Informationen bereitstellen können, wenn ein Laden geschlossen ist. So werden Schaufensterbummler außerhalb der Öffnungszeiten zu eCommerce-Kunden.Ich denke, dass viele Technologien, wie wir [sic] als Industrie bisher entwickelt haben, diese Definition von „smart“ nicht bestehen würden. Kosteneinsparung … Ja. Risikominderung … Ja. Aber selbst wenn unsere Kunden erhebliche Vorteile genießen, erreichen wir nicht das Maß an Verbindung mit den Kunden unserer Kunden, das eine Lösung wirklich „smart“ machen würde.Schließlich steht im Mittelpunkt der geschäftlichen Ziele für viele unserer Kunden ein positives Kundenerlebnis. Niemand weiß das besser als die Bahngesellschaften. Ein Beispiel hierfür sind die zahlreichen Passagierinformationssysteme im britischen Schienenverkehr, die zwar hilfreiche Informationen liefern, aber ausschließlich über diese eine Reise. Ein wirklich „smartes“ System müsste den Kunden jedoch zusätzlich noch personalisierte Informationen über weitere Fahrten im Verlauf ihrer Reise und sonstige nützliche Services liefern, und zwar in Echtzeit auf ihr Smartphone oder ein anderes Endgerät ihrer Wahl.Die B2B-Welt lechzt genauso nach „smart“ wie das B2C-Geschäft. Es reicht nicht mehr aus, technologische Probleme zu lösen und Produkte bereitzustellen, die womöglich einen Bedarf decken.Wenn wir „smart“ in dieser Weise neu definieren, sehen wir, dass unabhängige, oft isolierte Technologien diese Anforderungen nicht erfüllen können. „Smart“ ist nur dann wirklich „smart“, wenn die Technologien über den gesamten Kundenweg harmonisiert und integriert sind. Darin liegt der wahre Mehrwert dieser Technologien für die Unternehmen.Wir bei Panasonic arbeiten eng mit unseren Kunden zusammen, um „smart“ neu zu definieren und schließlich die Unternehmenslösungen der nächsten Generation zu entwickeln, die einen echten, spürbaren Mehrwert für die Kunden unserer Kunden bedeuten.Diese Verbesserungen und die Möglichkeit, dass die Kunden unserer Kunden selbst über ihre Erfahrung entscheiden, sollten die Grundlage für „smarte“ Technologien von heute sein. Wir sind überzeugt, dass ein solcher Ansatz die Integration und Innovation in Zukunft anregen wird.(https://business.panasonic.de/loesungen/news/was-hei-t-eigentlich-smart/ [letzter Zugriff: 31.01.2019])

Interessant ist die Struktur des Blogeintrags. Der Autor knüpft bereits zu Beginn an das Vor- bzw. Nichtwissen der Leser an („smart“ erscheint überall, aber was bedeutet das?) und thematisiert das Verständnisproblem zum Begriff im ersten Absatz durch Bezug auf die Alltagserfahrung der Rezipienten. Dann beginnt er mit einer Erklärung/Quasi-Definition des Begriffs (ähnlich wie in einem wissenschaftlichen Text zu Textbeginn). Über eine rhetorische Frage zur Umsetzung von „smart“ in der Praxis und der Nennung von Situationen, in denen Verbraucher smarte Technologien heute bereits nutzen können, geht er – erneut über eine rhetorische Frage – auf die Bedeutung von „smart“ für das Unternehmen Panasonic ein (Lässt sich dies auf unsere B2B-Welt übertragen? Die Antwort: Wir denken schon. leitet zur Werbepassage für Panasonic über: Bei Panasonic haben wir „smart“ neu definiert. Dieser Kontrast soll den Lesern die Innovationsfähigkeit des Unternehmens verdeutlichen und wie sich das Unternehmen dadurch von den Wettbewerbern abhebt. Die im Blogeintrag eingebauten Beispiele, z.B. für Einzelhandelskäufe von Kunden (After-Shave für den Herrn und Parfüm für die Dame), machen den Text anschaulich und sensibilisieren die Leser für die beschriebene Problematik. Gleichzeitig wirkt die Darstellung durch Beispiele überzeugend und die Argumentation stringent. Die Sprache ist einfach und leicht verständlich. Es entsteht der Eindruck, dass Panasonic mit den smarten Technologien umgehen kann. Gekonnt umgeht der Autor durch Technologien zur Alters- und Geschlechtserkennung das Thema Gefahr der Verletzung der Privatsphäre des Kunden und hebt lediglich die Vorzüge dieser Systeme hervor. Verstärkt wird die Wirkung des Textes durch den Wechsel von der „wir- / uns“- und der „Kundenperspektive“ zur Position des Autors (Ich denke) und seiner Kommentierung des Prozesses in einer Art Selbstgespräch (Kosteneinsparung … Ja. Risikominimierung … Ja.). Schließlich rundet der Blogschreiber seine eingangs gestellte Frage (nach dem „smarten B2B“) durch einen argumentierenden Kommentar im finalen Absatz des Textes ab. Der Rückgriff auf wir stellt das Unternehmen als Einheit dar, mit der sich der Autor klar identifiziert. Der Absatz verbindet Alltagsstil (lechzt genauso nach, womöglich) mit fachlichen Kontexten („smart“, Kundenweg, Mehrwert) und wirkt nachhaltig durch wiederholende Passagen (in dieser Weise neu definieren, um „smart“ neu zu definieren).

Die Aneinanderreihung von kommunikativen Mehrfachfunktionen (Informieren, Werben, Kommentieren, Argumentieren und Bewerten) scheint für Blogtexte relativ typisch zu sein, zumindest konnte sie mehrfach im untersuchten Textmaterial, auch in Blogs von Online-Zeitschriften und von Organisationen, nachgewiesen werden. Zudem sind Passagen mit zitatähnlichem Charakter (d. h. es wird durch das Zitat vermeintlich auf eine Person als Referenzquelle Bezug genommen) als Stilmittel für die Meinungsbildung emotionaler und überzeugender. Dieses auch in Pressemitteilungen genutzte Stilmittel wirkt authentisch und spricht den Leser besonders an. Die Textsorte Blog veranschaulicht den Übergang von der Schriftlichkeit zur Mündlichkeit im Medium Internet. Die personalisiert anmutenden Äußerungen lassen den Leser den Gedankengang des Autors leicht nachvollziehen, können aber auch Repliken und Kommentare provozieren. Somit entsteht ein Wechselspiel von Interaktion des Bloggers mit einer teilweise anonymen Leserschaft.

Die im smart-Textbeispiel (E) vorgestellte Textstruktur (Information – Werbung – Kommentierung – Argumentation) lässt sich auch in Blogtexten, in denen es z.B. um The Internet of Things1 oder Virtuelle Realität (VR)2 geht, verfolgen. Um technisch-wissenschaftliche Konzepte alltagstauglich verständlich zu machen, bedarf es offenbar eines Stilwechsels von der abstrakten, sachlichen, unpersönlichen Darstellungsebene zur bildlichen, emotionalen, persönlichen Darstellung. Fachinterne Inhalte werden auf das Alltagswissen der Leser und ihre persönlichen Erfahrungen gespiegelt. Dies gelingt in den neuen Medien, z.B. auch durch Bilder und Hypertextoptionen, die wiederum in ein Informationskontinuum von Intertextualität fließen. Die entstehenden Texte tragen den Charakter der Mündlichkeit, u.a. durch Nutzung alltagssprachlicher Redewendungen. Sie scheinen das Ergebnis eines laut gesprochenen Gedankenmonologs zu sein und wirken dadurch besonders überzeugend. Die sprachlichen Bilder und animierte Episoden komplettieren den Informationstext ebenso wie Metaphern und Beispiele, die das Vorstellungsvermögen des Lesers über die Spiegelung der eigenen Erfahrungen des Autors anregen. Typographische Mittel wie Font, Schriftgröße und Schriftfarbe werden im Internet zudem gezielt als Mittel zur Verstehenssicherung eingesetzt. Dies soll im Folgenden aufgezeigt werden.

 

Das Textbeispiel (F) ist Spektrum der Wissenschaft neo mit dem Titel „Die Welt im Jahr 2050“ entnommen. Dabei handelt es sich um ein Wissenschaftsmagazin für Jugendliche, das in Print- und Onlineversion erscheint. Die Online-Version bietet über eine Abo-Funktion weiterführende Informationen in Form von Videos, Webinaren und auch einen Blog zur Interaktion mit den Lesern.

 (F) Wenn Kühlschränke im Internet surfenSchon heute sind viele von uns pausenlos online. In der Zukunft wird sich das Internet noch stärker in unseren Alltag und in unsere Umgebung einfügen als bisher. Selbst Haushaltsgegenstände werden dann selbstständig ins Netz gehen!Wer es lustig findet, wenn Menschen heute auf der Straße scheinbar Selbstgespräche führen – weil sie über Kopfhörer und ein kaum sichtbares Mikrofon telefonieren –, für den wird es in den nächsten Jahrzehnten noch viel amüsanter: Dann wird es nämlich Leute geben, die in Parks oder am Strand wie wild in der Luft herumfuchteln, als würden sie nach nicht vorhandenen Dingen greifen!Diese Leute sind keine Tagträumer, sondern im Internet der Zukunft unterwegs. Sie nehmen gerade in virtuellen Kaufhäusern Waren in die Hand oder besuchen Museen, als wären sie real vor Ort. Experten schätzen, dass Mobilfunknetze schon in 20 bis 30 Jahren schnell genug sein werden, um nicht mehr nur Webseiten auf die Handys der Zukunft zu übertragen, sondern ganze 3-D-Welten.Fragt sich bloß, wie der Internetsurfer die dreidimensionalen Objekte überhaupt sieht, wenn er nur ein Smartphone dabei hat? Dessen kleines Display wird dazu nicht ausreichen – selbst wenn man es in Zukunft vielleicht auf die vierfache Größe auseinanderfalten kann, Viel realistischer wird das 3-D-Erlebnis mit Hilfe spezieller Brillen, in die zwei kleine Projektoren eingebaut sind. Die werfen ihr Bild jeweils punktgenau in die Augen. Der Betrachter sieht die virtuellen Welten unmittelbar vor sich, als wären sie echt! Wenn noch eine Gestikerkennung eingebaut ist, ähnlich wie sie heute die Microsoft Kinect-Systeme enthalten, dann kann er auch nach Objekten greifen, sie bewegen und drehen. Mit einem Computerhandschuh, der winzige Vibrationen erzeugt, kann er schließlich sogar spüren, wie sich die Dinge anfühlen, die er da in der Hand hält. (Spektrum neo, Die Welt im Jahr 2050: 26).

Unter Bezugnahme auf das Vorwissen der potenziellen Adressaten, in diesem Fall das Alltagswissen der Jugendlichen (jeder kennt einen Kühlschrank, jeder surft im Internet), wird in Beispiel (F) durch die Überschrift Wenn Kühlschränke im Internet surfen die Neugier auf den futuristisch anmutenden Text geweckt. Das Futuristische der Textüberschrift wird durch ein sehr buntes Bild rechts der Überschrift verstärkt, das die Küche der Zukunft zeigt. Wie in einer Raumsonde ist die Küchenzeile kreisförmig arrangiert und auf den Arbeitsflächen sind Monitore angebracht, die mit dem Internet und untereinander kommunizieren können (auch mit dem Kühlschrank). Solche Bilder sind den Jugendlichen aus Science-Fiction-Filmen durchaus bekannt. Der Text knüpft also mit Bildinformation, Typographie und Sprache an die Alltagserfahrung der Jugendlichen an: pausenlos online sein. Dass Haushaltsgegenstände auch selbstständig online gehen können, ist jedoch neu. Dieser Kontrast bildet einen Rezeptionsanreiz im ersten Absatz. Er wird infolge durch Reflexion auf weitere Beispiele aufrechterhalten. Wie in einem alltäglichen journalistischen Text wird das Interesse des Rezipienten geweckt: pausenlos online sein, selbstständig ins Netz gehen, die Beobachtung, dass Leute scheinbar Selbstgespräche führen, versetzt den Leser in die digitale Welt. Bildhafte Ausdrücke, z.B. wie wild in der Luft herumfuchteln, sind stark alltagssprachlich geprägt. Sie leiten über zum Thema virtueller Kaufhäuser. Nach diesen amüsant anmutenden Beispielen wird der Text ernst und fasst die bisherigen Informationen zusammen: Diese Leute sind keine Tagträumer, sondern im Internet der Zukunft unterwegs. Einen ‚wissenschaftlichen‘ Rahmen erhält der Text dann durch Experten schätzen und den Fachbegriff 3-D-Welten sowie die Problematisierung der Darstellung von Waren durch spezielle Brillen, die virtuelle Realität ermöglichen. Die Funktionsweise der Brillen und des Computerhandschuhs werden kurz, aber klar verständlich erklärt. Typographisch interessant ist, dass im gesamten Text das Ausrufezeichen (kursiv) als Stilelement genutzt wird. Einerseits wird dadurch das Erstaunen über das technisch Mögliche verkörpert (quasi als Ausruf!) und zugleich der Stolz dargestellt, was technisch bereits möglich ist! Das vorgestellte Beispiel kann als sehr typisch für die Einleitung eines Textes angesehen werden, der sich an jugendliche Adressaten richtet und Innovation im Computerbereich beschreibt.

Das Textbeispiel (G) ist dem Newsticker des Portals www.heise.de entnommen. Es stellt den Nutzen der Virtuellen Realität vor.

 (G) […]Der Angstschweiß ist echt. Eigentlich steht Moritz Kuhn gerade sicher in einem Keller in Immenstadt im Allgäu. Doch wenn der 20-Jährige nach vorn schaut, blickt er in den Abgrund eines Hochhauses in 160 Meter Höhe – denn er trägt eine VR-Brille. Moritz hat spürbare Angst, nach unten zu fallen – dabei sieht er nur eine Simulation.Rund 30 Prozent der Besucher trauen sich nicht, einen Schritt zur Seite in den Abgrund zu machen, sagt Christian Bendlin. Seit März betreibt der IT-Berater in Immenstadt einen Virtual-Reality-Erlebnisraum. Moritz springt am Ende doch. „Ich war richtig zittrig in den Beinen“, sagt er.[…]Auch in der Neurologie wird zu dem Thema geforscht. Schlaganfall-Patienten kann die Technik helfen. Werden Bewegungen virtuell gezeigt, steuert das Gehirn auch in echt die Muskelpartien an. „Da ist nachgewiesen, dass dadurch die Regionen, die geschädigt sind, wieder aufgebaut werden können“, sagt Mathias Müller. Er ist Geschäftsführer einer Firma, die virtuelle Realitätssysteme entwickelt, und kooperiert mit dem psychologischen Institut der Uni Würzburg. Dort arbeitet Lehrstuhlleiter Paul Pauli an einer Zulassung für den Einsatz von Virtual Reality am Patienten. Denn in den Arztpraxen sei die Technik noch nicht angekommen, sagt Pauli.[…]Oft werde vor der Gefahr gewarnt, dass der Unterschied zwischen virtueller Welt und Alltagswelt verschwimme und sich Spieler in der virtuellen Realität verlieren könnten, meint der Wissenschaftler [Tobias Holischka von der Uni Eichstätt-Ingolstadt; im vorangehenden Absatz eingeführt]. Das hält er aber für überzogen: „Wenn der Magen knurrt oder die Blase drückt, ist sehr schnell klar, in welcher Welt wir zuhause sind.“(www.heise.de/newsticker/meldung/Virtuelle-Realitaet-in-der-Forschung-auf-dem-Vormarsch-3813685.html [letzter Zugriff: 31.01.2019])

Auch hier lässt sich das bereits beschriebene Muster der episodenhaften Einleitung eines popularisierenden Textes verfolgen. Nach einem auffälligen Bild (zeigt einen Nutzer mit rotem Sweater und blauer VR-Brille), das als Leseanreiz dient, beginnt der Text unter der Überschrift Virtuelle Realität in der Forschung auf dem Vormarsch mit einer durch Fettdruck hervorgehobenen Zusammenfassung (zwei Sätze), die gleichzeitig als Texteinleitung dient. An dieser Stelle können die Leser bereits entscheiden, ob sie weiterlesen möchten oder nicht, denn der (hier ausschnitthaft zitierte) Textkörper beginnt erst unter dem Bild. Damit ein weiterer Leseanreiz geschaffen wird, folgt unter dem Bild eine für VR-Brillennutzer leicht nachvollziehbare Episode. In kurzen Sätzen wird das Szenario (Erfahrung der Angst vor einem tiefen Abgrund durch einen VR-Brillenträger) beschrieben. Die Authentizität der Schilderung wird durch die direkte Rede der Akteure unterstrichen.

Nach der Episodenschilderung wird das Textthema vorgestellt: Es geht um den Virtual-Reality-Erlebnisraum in Immenstadt. Dann folgen kurze Textabsätze, die den Durchbruch der VR-Brillen in verschiedenen Anwendungsfeldern skizzieren; teilweise gibt es Hyperlink-Querverweise zur weiteren Lektüre. Überschriften mit Leseanreiz, wie z.B. Nische vor dem Durchbruch?; Werkzeug für die Medizin; Helfen dank VR lenken die Leser zu speziellen Themen. Der Abschnitt Helfen dank VR weist auf den Nutzen von VR in der Neurologie hin. Typisch sind wieder kurze Sätze, direkte und indirekte Rede aus (vermeintlichen) Zitaten der Kommunikationsakteure, die auf Ort, Zeit und Geschehen hindeuten. Jeder Absatz weist in sich eine thematische Abgeschlossenheit auf, zeigt aber auch sprachliche Signale der Einbettung in einen Gesamtkontext (Auch in der Neurologie …: Denn in den Arztpraxen sei … noch nicht angekommen). Diese Art der Berichterstattung ist typisch für allgemeinverständlichen, episodenhaft berichtenden Online-Journalismus: viel Information auf wenig Raum andeuten und über Querverlinkung mit mehr Informationen versehen. Die Onlinetexte regen durch ihre relative Kürze und die Querverweise dazu an, sich weitere Texte zu erschließen bzw. detaillierte Informationen gezielt zu suchen.

Der Text schließt mit der Frage nach der Fähigkeit zur klaren Unterscheidung zwischen realer und virtueller Welt. Die potentiell bestehende Angst wird zunächst durch wiedergegebene Rede im Konjunktiv thematisiert. Das dann aufgeführte Beispiel des knurrenden Magens versucht den Rezipienten die vielleicht durch die Textlektüre aufkeimende Angst vor der Macht der virtuellen Realität zu nehmen und führt sie zurück auf den Boden der Tatsachen.

Betrachten wir abschließend die Reaktion von Rezipienten auf den Blogtext. Es wurden fünf Kommentare veröffentlicht. Drei setzen sich besonders mit dem letzten Abschnitt, also der Verwischung von realer und virtueller Welt durch Kinder auseinander. Während ein Kommentar auf eine wissenschaftliche Studie dazu verweist und zu dem Schluss kommt: Bei Kindern ist das nicht so einfach. Sehr sehr heißes Eisen, wird in einer Antwort darauf erklärt, dass VR-Brillen offiziell nicht für Kinder geeignet sind, ohne dass eine entsprechende Quelle genannt würde.

 (H) Deshalb ist VR sowieso nichts für Kinder – immerhin auch bereits offiziell. Die aktuellen Brillen (also VIVE und Rift) sind ab 12. Das „Phänomän“ ist kein neues und auch weithin bekannt. Kinder bis ca. 10 haben das Problem, Realität und Fiktion korrekt zu trennen. Weshalb Gruselfilme und brutale Actionkracher auch nichts für die Kleinen sind. Man könnte sagen: Alles wie erwartet. Kinder haben in der VR nix verloren. Die brauchen eben ein paar Jahre, um in der realen Welt anzukommen. (www.heise.de/forum/heise-online/News-Kommentare/Virtuelle-Realitaet-in-der-Forschung-auf-dem-Vormarsch/Re-Naja/posting-30941620/show/ [Letzter Zugriff: 31.01.2019])

Somit erfüllt sich das Ziel des Blogtextes, zu informieren und gleichermaßen zu einer kritischen Reflexion anzuregen. Der Kommentartext zeichnet sich durch den Charakter eines sonst mündlich geäußerten Statements aus. Das bestätigt indirekt den Übergang von Schriftsprache zu einer schriftlich fixierten mündlichen Äußerung, die in dieser Form nur digital möglich ist.

Vergleicht man gedruckte Texte zur Popularisierung von Wissenschaft (z.B. in Wissenschaftsmagazinen) mit online publizierten Texten, so wird – wie exemplarisch gezeigt – sehr schnell ein Stilwechsel in Richtung Mündlichkeit, Kürze und Anschaulichkeit deutlich. Der Zeitdruck der Redakteure und Blogger, Informationen im Netz dar- oder vorzustellen, scheint zudem dazu zu führen, dass Texte auch einen gewissen Flüchtigkeitscharakter erhalten. Was heute aktuell ist, kann über einen Kommentar bereits morgen nicht mehr relevant sein und von weiteren Entwicklungen zu VR und AR bereits überholt sein. Diese schnelllebige Berichterstattung wird uns auch in den kommenden Jahren weiter begleiten und ist auch Ausdruck von Veränderungen in der popularisierenden Darstellung von Fachinhalten, die teilweise einen oberflächlichen Charakter tragen und dadurch unter Umständen auch unter den Verdacht von Fake News geraten.

 

Eine weitere Möglichkeit, Wissen anschaulich zu vermitteln, ist der ‚persönliche‘ Bericht/die Erzählung, d.h. Wissen wird über eine wahre/fiktive Erfolgsgeschichte und Zitate eines ‚Wissenspioniers‘, vermittelt. Beispiel (I) ist sehr typisch für dieses oft in englischen Texten verwendete Format, das aber durch die zunehmende Übersetzung von Wissenschaftstexten auch Eingang in die deutsche Vermittlungskultur findet. Nach einer rhetorischen Frage: Was wäre die Welt ohne ‚Star Trek‘? und einer fiktiven Antwort: Möglicherweise eine ohne Mobiltelefone und Trikorder. Und nun kommt vielleicht auch bald noch das Holodeck – dank dem Enthusiasmus eines 20-Jährigen, beginnt die Erzählung:

 (I) Palmer Luckey ist in der realen und der virtuellen Welt groß geworden. Ob „Star Trek“-Holodecks, die „Matrix“, der Cyberspace aus dem „Rasenmähermann“ oder Neal Stephensons genreprägender Cyberpunk-Roman „Snow Crash“: „Ich bin mit diesen ganzen Einflüssen aufgewachsen und habe immer davon geträumt, einmal Videospiele mit VR-Technologie spielen zu können“, sagt er. So etwas muss es doch schon geben, dachte sich der junge Luckey.Auf seiner Suche häufte er die mittlerweile weltgrößte Sammlung sogenannter Head-Mounted-Displays (HMD), also Virtual Reality-Brillen, an. Und erkannte dabei: Die VR befand sich in einem erbärmlichen Zustand. „Selbst die Headsets im Profibereich, zu Preisen von mehreren Zehntausend Dollar, boten nicht mal annähernd die Performance, die ich suchte.“Luckey nimmt die Sache selbst in die Hand, geht an das Institute for Creative Technologies der University of Southern California und fängt gleichzeitig in seiner Garage an zu basteln. […]. (Technology Review 2014/1, S. 34; www.heise.de/tr/artikel/Aufbruch-ins-Holodeck-2155346.html [Letzter Zugriff: 31.01.2019])

Durch dieses Beispiel wird die ‚Alltagsnähe‘ von Wissenschaft vermittelt (jeder kann ein Forscher werden), zum anderen die Authentizität durch die Geschichte eines ‚Experten‘. Die wörtliche Rede (auch wenn diese vielleicht nur journalistisch produziert wurde) vermittelt eine relative Glaubwürdigkeit, die sich dann auf die technische Beschreibung der Entwicklung von 3-D-Spielen und Datenbrillen überträgt. Termini wie Head-Mounted-Display werden bereits als bekannt vorausgesetzt und nicht weiter erläutert.

Der Textverlauf nach der Episodenschilderung gleicht einem Wissenschaftsartikel, der immer wieder auf Palmer Luckey und seine Erfolge Bezug nimmt. Er folgt in der Beschreibung der Darstellung wissenschaftlicher Erkenntnisse: Definition von VR, Nutzen und Anwendungsfelder von VR, Beschreibung von Experimenten und deren Ergebnissen.

Die vorgestellten Textbeispiele stellen relativ typische Makrostrukturen von popularisierenden Texten aus dem Computerbereich vor. Es wird ersichtlich, dass es in einem – im weitesten Sinn – als Wissenschaftsjournalismus zu verstehenden popularisierenden Genre darum geht, technische Neuerungen verständlich und interessant darzustellen. Es kommt zu einem Stilmix aus Alltagssprache, Fachsprache und Journalismus. Besonders in den digital veröffentlichten Texten wird ein sehr starker Übergang von Schriftsprache zu Mündlichkeit (z.B. durch episodenhafte Erzählungen) und zu Alltagssprachgebrauch deutlich. Es ist zu vermuten, dass diese Art der Versprachlichung mit der Vereinfachung von komplexen Sachverhalten durch die Suche nach Analogien, Vergleichen und den Lesern vertrauten Situationen zusammenhängt. Makrostrukturell wird auch versucht, verschiedene Genres zu vereinen (Bericht, Erzählung, Interview), was eine deutliche Abweichung von der Stringenz einer wissenschaftlichen Abhandlung darstellt und für Stilwechsel auf der Textebene spricht.