The S-Files: Die Succubus Akten

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»Sicher, Bro.« Er streckte Lars die Faust entgegen, und der schlug mit den Fingerknöcheln dagegen.

»Alter«, murmelte Alex neben ihnen. »Nehmt euch doch ein Zimmer.«

Nachdem der Assistent noch einen prüfenden Blick auf die Gesichter von Miguel und Lars geworfen hatte, verschwand er wieder hinter der Bühne.

Auf dem Monitor liefen gerade Ausschnitte aus dem Date zu dritt. Als die Szene kam, als Samara Georgs Handgelenk packte und verdrehte, beobachtete ihr reales Gegenstück dies mit steinerner Miene.

Du hast in diesem Moment die Beherrschung verloren, dachte Lars, und alle konnten es sehen.

Georgs Interview folgte. »Ganz kurz konnte ich etwas wie eine Beule unter dem Haar fühlen«, sagte er.

Lars wusste, dass er damit nicht ganz unrecht hatte. Samara verbarg tatsächlich etwas unter ihrer ungewöhnlichen Frisur. Nur war es keine Beule, sondern etwas ganz anderes.

»Das soll sie bei mir versuchen«, murmelte Alex.

Lars schenkte ihm einen kurzen Blick. Innerlich riet er seinem Mit-Finalist, sich besser nicht zu wünschen, dass es dazu kam. Er ahnte, dass Samara Georgs Handgelenk genauso gut hätte brechen können. Und vermutlich wäre sie dabei noch nicht einmal ins Schwitzen gekommen.

Weitere, uninteressante Sequenzen folgten, dann kam das Übernachtungsdate. Die Kandidaten dafür waren nach dem Zufallsprinzip ermittelt worden. Lars hatte sich gewünscht, dass das Los auf ihn fiel, denn das hätte ihm die Möglichkeit gegeben, die Sache vorzeitig zu beenden. Doch Fortuna hatte anders entschieden.

Er beobachtete, wie Niclas und Benny das Haus betraten, das der Sender für diesen Zweck gemietet hatte. Niclas war nach dieser Nacht unbeschadet zurückgekehrt.

Benny nicht.

»Seht euch den an«, meinte Alex. »Der hat sich die ganze Zeit die Haare gefärbt.«

Er spielte auf die grauen Strähnen an Bennys Schläfen an, die sich bei seinem Abschiedsinterview zeigten. Doch Lars wusste, dass Benny sich nie die Haare gefärbt hatte. Ebenso war ihm klar, dass die Müdigkeit, die er in dieser Szene zur Schau stellte, nicht gespielt war. Samara hatte ihm etwas geraubt, das er nie wieder zurück erhalten würde.

Wenn es nach Lars ging, würde so etwas sich nicht mehr wiederholen.

Die Einspielung endete. Samara und die Kandidaten wandten sich wieder den Kameras zu, darauf wartend, dass über einer davon das Licht anging.

Es erschien zuerst an der Kamera, von der Lars wusste, dass sie die ganze Bühne erfasste. Danach wechselte es zu jener, die für das Single Girl reserviert war. Pflichtbewusst zeigte Samara ihr verführerischstes Lächeln.

Lars machte sich keine Illusionen. Hätte er nicht herausbekommen, wer - was - sie war, wäre es bei diesem Lächeln auch um ihn geschehen. Ein Blick hätte gereicht, und er wäre ihr mit Haut und Haaren verfallen. Doch die Erkenntnis und das Wissen bildeten den wirksamsten Schutz.

In seine Gedanken versunken bemerkte er zu spät, dass das Licht über der Kandidatenkamera angegangen war. Seine beiden Mitstreiter grinsten vermutlich schon wie die Honigkuchenpferde, während er noch mit finsterer Miene vor sich hin grübelte. Er zwang sich zu einem Lächeln, dann ging das Licht der Kamera auch schon wieder aus. Gleichzeitig verkündete die Nerv-Stimme den oft gehörten Sermon von Samara, die nun ihre Entscheidung treffen musste.

Die Bewegungen des Single Girls wirkten auf Lars unnötig lasziv, als sie aufstand und vor sie trat. In diesem Moment, so war ihnen von der Regie vor der Show eingetrichtert worden, hatten sie ebenfalls aufzustehen.

Er folgte dieser Anweisung, ebenso die beiden anderen. Gab es vielleicht ein Anzeichen des Begreifens in Samaras Gesicht? Hatte sie erkannt, dass er sie durchschaut hatte?

Sie schenkte jedem von ihnen einen Blick, dann verharrte sie vor Alex. Seine aufeinander mahlenden Kiefer verrieten, dass er begriff, was das bedeutete.

»Alex«, sagte sie. Fast hätte Lars das Bedauern in ihrem Tonfall für echt halten können. »Wir hatten viel Spaß, aber es hat nicht gefunkt.«

Mit steinerner Miene nickte Alex, doch dann breitete Samara mit einem zuckersüßen Lächeln die Arme für eine Umarmung aus. Als sie wieder von ihm abließ, murmelte er ihr etwas zu. »Du machst einen Fehler, Babe«, glaubte Lars zu verstehen.

»Bestimmt nicht«, flüsterte Samara zurück.

Während die Nerv-Stimme das Offensichtliche verkündete, nämlich dass nun noch zwei Kandidaten übrig waren, spendete das Publikum Alex einen aufmunternden Applaus zum Abschied. Samara holte indessen die Rose vom Sofa und kehrte mit schwingenden Hüften zu Lars und Miguel zurück, mal den einen, mal den anderen ansehend.

Lars schob eine Hand in die Hosentasche, umfasste den kleinen Stoffbeutel darin. Die andere hob er wie zufällig zur Brust, um rasch seinen Anhänger herausziehen zu können.

»Für wen wird sie sich entscheiden?«, fragte die Nerv-Stimme.

Sie machte es spannend. Eine gefühlte Ewigkeit stand sie da und betrachtete die beiden letzten Finalisten. Lars vermutete, dass diese Szene für die Fernsehzuseher von dramatischen Akkorden untermalt wurde.

»Diese Rose«, sagte Samara schließlich mit klarer, gut verständlicher Stimme, »ist für ...« Sie verstummte mit einem Lächeln.

Lars zog die Hand mit dem Beutel aus der Tasche. Die andere schob er langsam unter sein Hemd, tastete nach dem Anhänger. Samara merkte, dass er etwas im Schilde führte. Ein Stirnrunzeln erschien auf ihrer glatten Haut.

»Lars?«, sagte sie. Es war unklar, ob sie damit ihre Entscheidung verkündete, oder nur ihre Verwirrung über sein Verhalten zum Ausdruck bringen wollte.

Für die Regie schien die Sache jedoch klar. Fanfarenklänge erschollen aus verborgenen Lautsprechern, und ein Konfettiregen ergoss sich über sie. Das Publikum brach in tosenden Applaus aus.

»Was zum ...«, begann Miguel.

Lars zog den Anhänger hervor. Es handelte sich um einen fünfzackigen Stern. Ein Drudenfuß. Dieses Amulett sollte Schutz vor dem Bösen in seinen verschiedenen Ausformungen bieten. Mit einem Ruck zerriss er die dünne Kette, um es Samara am ausgestreckten Arm entgegenzustrecken.

Sie ließ die Rose fallen und wich zurück. Ihr Gesicht verwandelte sich in eine Grimasse.

Nun führte Lars die Hand mit dem Beutel zum Mund und zog mit den Zähnen an der Schnur, die ihn geschlossen hielt. Mit einer schwungvollen Bewegung schüttete er den Inhalt in Samaras Richtung.

Getrocknete und zerkleinerte Blätter der Verbene, auch als Eisenkraut bekannt, flogen durch die Luft. Samara schaffte es nicht, ihnen auszuweichen. Wo die Krümel die Haut berührten, rötete sie sich und schlug Blasen. Sie kreischte. Hinter ihrem Rücken erschienen zwei schattenhafte Gebilde, wurden zu ledrigen Flügeln. Gleichzeitig verdrehten sich ihre Beine unter dem roten Abendkleid. Die zierlichen Schuhe platzten mit einem reißenden Geräusch auf und Hufe kamen zum Vorschein.

In Schmerzen warf Samara ihren Kopf hin und her. Dabei löste sich ihre Frisur, und das, was sie darunter verborgen hatte, kam zum Vorschein. Keine Beulen, wie Georg vermutet hatte, sondern kleine, geschwungene Hörner.

»Jetzt vernichte ich dich, Sukkubus«, brüllte Lars und stürzte sich auf sie, das Amulett vor sich gestreckt.

III

Single Girl

E

s war aufregend, fand Samara. Ständig von Männern voller Testosteron umgeben zu sein, war einfach nur berauschend. Und die Show stellte eine nette Abwechslung zu der üblichen Weise dar, wie sie an ihre Beute kam. Hier musste sie nicht jagen, nicht lauern. Stattdessen kam die Beute zu ihr und balgte sich darum, sich ihr zu unterwerfen. Doch noch durfte sie nicht zugreifen. Denn die Regeln der Show sorgten dafür, dass sie ihre Ernte erst am Ende einfahren durfte.

Und sie wollte nach den Regeln spielen. Zumindest diesmal.

Jetzt saß sie hier, im großen Finale von The Single Girl. Auf dem Monitor hinter ihrem Sofa liefen noch die Höhepunkte der Show, doch schon in wenigen Minuten würde sie sich entscheiden. Im Moment wusste sie selbst noch nicht, wen sie wählen würde. Sie wusste nur, wer es bestimmt nicht wurde. Dieser Alex war uninteressant. An ihn zu denken, verursachte in ihr Empfindungen, die wohl dem glichen, was die Menschen beim Gedanken an Fast Food fühlten. Es gab nur einen Grund, warum er noch in der Show war: Sie liebte es, Typen wie ihn verlieren zu sehen. Um seine Enttäuschung perfekt zu machen, hatte sie ihn immer wieder mal angeflirtet. Hatte angedeutet, er hätte eine Chance. Was für ein Genuss würde es sein, sein Gesicht zu sehen, wenn sie ihn jetzt, so kurz vor dem Ziel, aus der Show kickte.

Wenn Alex nur Fast Food war, dann konnte sie die beiden anderen Männer wohl als Gourmet-Dinner betrachten. Aber für wen von ihnen sollte sie sich entscheiden? Da würde sie sich wohl spontan auf ihr Bauchgefühl verlassen.

Sie beobachtete die Szenen aus den vergangenen Folgen.

Ach ja, dieses verfluchte Dreier-Date. Georg hatte sie am Kopf berührt. Nicht, dass sie etwas gegen eine Berührung an sich einzuwenden hatte, ganz im Gegenteil. Aber er hätte es wohl nicht verstanden, wenn er gemerkt hätte, dass sie unter ihrer Frisur Hörner verbarg.

Diese verfluchten Hörner.

Wie alle von ihrer Art konnte Samara ihr Aussehen verändern. Die Bocksbeine so zu verdrehen, dass sie zu dem wurden, was menschliche Männer für wohlgeformt hielten? Kein Problem. Die Flügel unsichtbar machen? Nichts leichter als das.

Nur nicht die vermaledeiten Hörner. Die ließen sich nicht verwandeln. Sie zwangen sie dazu, Hüte und Mützen zu tragen. Oder, wie für diese Show, das Haar zu abenteuerlichen Frisuren hochzutürmen. Und alles nur, um sich unbemerkt unter Menschen bewegen zu können.

 

Georg gewähren zu lassen, hätte zu Fragen geführt. Fragen, die sie nicht beantworten wollte. Trotzdem sie hatte in ihrem Schreck überreagiert, das wusste sie nun. Zum Glück hatte Georg sich eine Erklärung zurechtgelegt, die in ein Weltbild passte, in dem es keinen Platz für Wesen wie sie gab.

Aber das war noch nichts gegen die Sache mit dem Übernachtungsdate, dessen Bilder nun über den Monitor flimmerten. Mit Niclas hatte sie an jenem Abend leichtes Spiel gehabt. Er war betrunken weggeschlummert, ehe sich die Gelegenheit zu irgendwelchen Dummheiten geboten hätte.

Nicht aber Benny. Er hatte mehr Wein vertragen als sein Konkurrent. Und sie war schwach geworden, hatte ihr Bestreben vergessen, die Regeln der Show einzuhalten.

Immerhin hatte sie sich zurückgehalten.

Der Ausschnitt seines unbeholfenen Interviews wurde nun gezeigt. »Wir haben ein Glas Wein getrunken, und dann bin ich wohl eingeschlafen.«

Es war mehr als nur ein Glas gewesen. Und eingeschlafen war er nur, weil sie dafür gesorgt hatte. Doch dann waren Gier und Lust zu stark geworden. Das graue Haar an seiner Schläfe sah sie als Mahnmal für ihre Schande. Sie hätte sich besser im Griff haben müssen. Zwar hatte sie ihm nicht viel entnommen, aber immer noch genug, um diese Spur zu hinterlassen. Zumindest hatte sie ihm die Erinnerung an diese Nacht nehmen können.

Dann war es so weit. Die Stimme aus dem Off verkündete, dass sie sich entscheiden musste. Neben ihr auf dem Sofa lag die Rose. Sie hob sie hoch und betrachtete sie aus der Nähe. Eine schöne Blume. Ein Symbol für das Band, das es in Kürze zwischen ihr und dem Sieger der Show geben würde.

Sie legte die Rose wieder hin und trat vor die Kandidaten.

Um für das Publikum die Spannung zu erhöhen, zögerte sie einen Augenblick, als hätte sie nicht schon längst entschieden, dass Alex gehen musste.

Sie wandte sich an ihn. »Alex«, sagte sie, »Wir hatten viel Spaß, aber es hat nicht gefunkt.«

Er war in seiner Männlichkeit gekränkt, das fühlte sie deutlich, denn es strahlte wie in Wellen von ihm aus. Gierig sog sie diese Empfindungen in sich auf. Nein, er war kein Fast Food. Eher ein Aperitif.

Sie bot ihm eine Umarmung an, um besser in seine Enttäuschung eintauchen zu können. Er akzeptierte.

Zwar war es längst nicht so berauschend wie die Gefühle beim Sex, doch sein testosterongeschwängerter Zustand sorgte zumindest für einen kurzen Genuss.

Einen Aperitif eben.

»Du machst einen Fehler, Babe«, raunte er ihr zu.

Natürlich. Seine gekränkte Männlichkeit ließ keine andere Sichtweise zu.

Sie unterdrückte ein Lachen. »Bestimmt nicht«, sagte sie.

Während sie zurück zum Sofa ging, um die Rose zu holen, sagte die Moderationsstimme etwas. Sie hörte nicht darauf, denn nun wurde es ernst. Für wen wollte sie sich tatsächlich entscheiden? Sie sah beide Männer an.

An der Oberfläche wirkte Lars wie der Bravere der beiden. Doch da gab es auch eine Tiefe, die Alex gefehlt hatte. Sie ahnte, dass sie mit ihm kein so leichtes Spiel haben würde, wie bei den anderen. Das reizte sie. Wie lange mochte es wohl dauern, bis sie sich an ihm nähren konnte?

Oder Miguel. Bei ihm war es wohl leichter als bei Lars. Und er strotzte vor Energie. An ihm würde sie sich tagelang sättigen können, und selbst dann wäre immer noch genug übrig.

Lars bewegte sich und steckte eine Hand in die Hosentasche. Machte er nun etwa auf lässig? Gleichzeitig ruhte die andere Hand an der Brust und schien nach etwas zu tasten. Vielleicht nach einem Glücksbringer?

Genüsslich zögerte sie den Moment hinaus. »Diese Rose ist für ...«, sagte sie schließlich und verstummte, um die Spannung noch ein wenig zu steigern. Dann sah sie, dass Lars sich bewegte. Er zog ein Stück Stoff aus der Hosentasche.

Sie runzelte die Stirn. »Lars?« Eigentlich wollte sie ihn fragen, was er da machte, doch die Regie schien es für ihre Entscheidung zu halten. Laute Musik erklang, gefolgt von einem Konfettiregen. Das Publikum applaudierte.

Als Lars etwas unter seinem Hemd hervorzog, erkannte Samara sofort, was es war. Ein Drudenfuß, jenes verhasste Symbol, mit dem die Menschen in alter Zeit sie und andere Ihrer Art in die Flucht geschlagen hatten.

»Was zum ...?«, brachte Miguel hervor, der das Geschehen fassungslos beobachtete.

Samara ließ die Rose fallen und wich zurück. Entsetzt sah sie zu, wie Lars die andere Hand zum Mund führte. Das Stück Stoff, erkannte sie, war ein Beutel, den er nun mit den Zähnen öffnete.

In diesem Moment nahm sie den widerlichen Geruch wahr. Verbene, jene Pflanze, die sie ebenso verabscheute wie den Drudenfuß.

Der Arm mit dem Beutel zuckte nach vorn, und streute den Inhalt über sie. Samara versuchte auszuweichen, war jedoch zu langsam. Wo die Blätter und Krümel sie trafen, bohrte sich brennender Schmerz in ihre Haut. Die Verbene leistete ganze Arbeit.

Samara fühlte ihre Tarnung in sich zusammenbrechen. Die Beine nahmen ihre richtige Form an, und hinter ihr materialisierten sich die Flügel. Dass sich ihre Frisur löste und so auch die Hörner preisgab, nahm sie nur mehr am Rande wahr.

»Jetzt vernichte ich dich, Sukkubus«, hörte sie Lars brüllen. Durch einen Schleier aus Tränen hindurch sah sie, wie er sich auf sie stürzte.

Vernichten würde er sie weder mit dem Amulett noch mit den Kräutern. Beides verbrannte ihre Haut und hinterließ schmerzhafte Spuren, die lange sichtbar blieben. Aber nicht mehr.

Mehr aus Instinkt, als dass sie sah, was sie tat, streckte sie ihren eigenen Arm aus, und bekam ihn am Hals zu fassen. Langsam hob sie ihn hoch, so dass seine Füße mehrere Handbreit über dem Boden zappelten. Der Drudenfuß segelte in hohem Bogen davon.

Das Publikum verharrte wie in Schockstarre, doch sie achtete nicht darauf. »Das war ein Fehler«, spie sie Lars entgegen, dessen Gesicht über ihrem Griff eine bläuliche Farbe annahm.

Dann stand Miguel neben ihr. »Nicht«, sagte er.

Sie erkannte, wie das Barett, das er alle Folgen hindurch getragen hatte, verrutschte. Darunter kamen Hörner zum Vorschein.

Hörner wie ihre eigenen.

Ein Inkubus.

Sie blinzelte die Tränen weg und ließ Lars los. Mit einem dumpfen Laut fiel er zu Boden.

»Sieht so aus, als hätten wir ähnliche Ideen gehabt«, meinte Miguel ruhig.

Allmählich beruhigte sich das Brennen auf ihrer Haut wieder. Vielleicht würden die Spuren ja schneller wieder verschwinden, als sie befürchtet hatte.

»Ähnliche Ideen?«, fragte sie barsch. »Mir ging es um das Spiel. Um die Auswahl«, sagte sie.

»Und ich wollte wissen, ob ich mich in dieser Show gegen menschliche Konkurrenten durchsetzen kann. Ganz ohne - du weißt schon.«

»Und was jetzt?«

Er deutete auf Lars, der am Boden saß und entsetzt zu ihnen empor sah. »Lass ihn gehen.«

»Warum?«

»Ich mag ihn.«

Sie seufzte. Na schön, sollte Miguel seinen Willen haben. »Hier sind wir aufgeflogen«, sagte sie. »Verschwinden wir.«

Er nickte. Hinter seinem Rücken flimmerte es, dann erschienen ledrige Schwingen. »Ich würde immer noch gern was mit dir was trinken gehen«, sagte er freundlich zu Lars. »Das erste Bier geht auf mich.«

Dann breitete er die Flügel aus und stieg in die Luft. Nach einigen Metern verschwand er in einer schwarzen Rauchwolke.

Auch Samara wandte sich an Lars. »Du weißt nicht, was dir entgangen ist.«

Damit stieß auch sie sich vom Boden ab und wechselte, eine Rauchwolke hinterlassend, in die andere Welt.



Succubussmile

Nele Sickel

H

ier«, sagte Mutter und hielt mir einen Lippenstift vor die Nase. »Versteck damit dein Succubussmile, ehe du zur Beichte gehst.«

Ich lehnte mich mit dem Rücken gegen das kühle Metall unserer Zimmertür, unterdrückte dabei ein Stöhnen. Am liebsten hätte ich gebockt wie früher als junges Mädchen. Nur hatten wir diese spezielle Diskussion mittlerweile zu oft geführt, als dass ich noch Spaß daran hätte haben können. Also nahm ich das blöde Ding einfach.

»Leihst du mir wenigstens deine Mirror-App zum Auftragen?«

Mutter verschränkte die Arme. »Wozu? Du willst doch nur noch mal sehen, wie voll und rot sie sind, ehe du sie verdeckst. Oder willst du kontrollieren, ob deine Wimpern immer noch so dicht sind? Ob das goldene Haar noch glänzt, hm?«

»Jetzt hör aber auf. Ich will es richtig machen, sonst nichts.«

»Du kriegst das schon hin. Kannst doch sonst immer alles allein.«

Wie ich sagte: Diskussionen waren völlig sinnlos. Also öffnete ich den Lippenstift, fand darin ein kränkliches Beige und schmierte mir das auf die Lippen. So entstellt lächelte ich Mutter an, bleckte die Zähne.

»Besser?«

»Kaum. Schlag diese verdammten Hexenaugen nieder, wenn du draußen bist, und lass die Haare unter der Kapuze.«

Wenn sie gewusst hätte … Ich seufzte bloß. »Schon klar. Wie immer.«

»Und bleib nicht so lange!«

»Nur so lange, wie der Herr Pfarrer mich dort haben will, Mutter.«

Ich wandte mich um, betätigte das Türterminal und schlüpfte hinaus, ehe ich mir einen weiteren Insult von ihr einfangen konnte.

Kaum war ich auf der Straße, sah ich die hohen Mauern der Cathedral vor mir aufragen. Grau wie die Häuser links und rechts, nur viel höher und mit einem großen, neongelb blinkenden Kreuz anstelle der unaufgeregten Werbetafeln in Pastelltönen, die auf diese Drogerie und jenes Restaurant hinwiesen. Eine Drohne summte leise über meinen Kopf hinweg. Zwei Männer und eine Frau in beigen Arbeitsoveralls warfen mir im Vorbeigehen neugierige Blicke zu. Ich schlug die Kapuze über das allzu blonde Haar und senkte den Blick auf den Asphalt zu meinen Füßen. So ungern ich tat, was Mutter mir auftrug, gerade heute war es keine gute Idee, aufzufallen.

Der Weg kam mir länger vor als sonst. Wieder und wieder spielte ich in Gedanken den Streit durch, den ich gerade vermieden hatte. Hörte mir an, wie verdorben ich doch wäre. Warf Mutter an den Kopf, dass – wäre ich wirklich ein Dämon, wie sie sagte – sie sich lieber fragen sollte, mit wem sie da herumgehurt hatte, um mich zu zeugen. Bekam darauf zu hören, dass ich die Hure sei, nicht sie.

Meine Handflächen wurden feucht. Ich ballte die Fäuste, versenkte sie so tief in den Manteltaschen, dass meine Knöchel über die groben Salzkörner kratzten, die sich da im Stoff verfangen hatten. Vielleicht hatte Mutter recht. Womöglich war ich verdorben, unrein. Aber dafür war ich wenigstens jemand. Mehr als ein betender, psalmenleiernder Schatten. Und ich wollte doch nichts Böses. Ich wollte nur endlich wissen, wie es war.

Noch gut fünfzig Meter von der Cathedral entfernt, trat ich bereits in ihren Schatten. Prompt heizte die Luft sich auf, wurde stickiger trotz des freien Himmels über meiner Kapuze. Der Asphalt füllte sich mit Füßen. Ich hielt den Blick gesenkt, die Hände in den Taschen. Mein Smartphone in der Mantelinnentasche drückte schwer gegen meine Brust. Den Lieferdienstflyer, den ich daneben geschoben hatte, spürte ich nicht. Hätte ich mich getraut, hätte ich danach getastet, hätte ihn herausgeholt und noch einmal die Wünsche nach Verbindung und Zärtlichkeit gelesen, die ich heimlich an den Rand gekritzelt hatte. Doch ich wagte es nicht. So kurz vor der Cathedral hatte die Stadt tausend Augen.

Weihrauch lag schwer in der Luft. Ich war immer wieder überrascht, dass man ihn nicht nebelhaft umherschweben sah, wenn man durch das gigantische Tor in den Vorraum trat. Ich stellte mich in die Schlange vor dem Spendenscanner, zückte mein Smartphone, berührte flüchtig eine raue Ecke des Flyers und versuchte, nichts als Erleichterung dabei zu fühlen, dass er noch da war.

Aus den offenen Löchern links und rechts im Boden klangen Klagelaute. Dort hungerten und dürsteten Sünder, weil sie ihre Spende nicht entrichtet hatten oder weil sie sich in der Kirche entblößt hatten oder – na ja, eben weil sie etwas getan hatten, was man in Gottes Haus nicht tat. Direkt unter mir kauerte eine Frau, die mich schmerzlich an meine Mutter erinnerte. Derselbe strenge Kurzhaarschnitt, die gleichen müden Schultern im mausgrauen Kleid. Sie klagte nicht, schaute nur voll stechender Reue herauf. Das Loch im Boden war so breit, die Zelle so niedrig, ich hätte mich mit dem Oberkörper hinunterhängen und sie heraufziehen können. Doch ich tat es nicht. Weil sie es wohl nicht gewollt hätte. Vor allem aber, weil ich nicht hergekommen war, um die Heldin zu spielen. Ich war hier, um etwas Verbotenes zu wagen – und hoffentlich mit heiler Haut davonzukommen.

 

Die Schlange rückte weiter. Ich kam an die Reihe, ließ mein Smartphone scannen und gab meine Einwilligung zur Spendenbuchung mit einem flüchtigen Daumendruck. Sonst machte ich mir immer Sorgen darum, wie hoch der gewünschte Betrag diesmal sein mochte, doch heute schaute ich gar nicht hin. Ich konzentrierte mich auf meinen Atem, auf meine Haltung. Ruhig jetzt, auch wenn mein Herz raste. Ich hatte das hier lange vorbereitet. Ich hatte den richtigen Mann gefunden, den richtigen Ort auch. Salz und Salbei waren gestreut, alle Zauber gewirkt, bis auf den letzten, den, den ich in meiner Mantelinnentasche trug. Wenn es einen richtigen Moment gab, dann war es dieser.

Ich atmete tief ein und aus. Der Weihrauch ließ mich husten.

So trat ich mit tränenden Augen in die Düsternis der Cathedral. Hohe Säulen erwarteten mich, kalter Beton, unruhiges Murmeln, Psalmen und hohles Echo. Vorn am Altar ragten die Windows auf – keine echten Fenster, sondern riesige, geschwungene Bildschirme, opulent und farbgewaltig zeigten sie Engel mit riesigen Flügeln und wenig Kleidung, manche in der Form vollbusiger Frauen, manche in der breitschultriger Männer. Die Windows strotzten von dem, was sonst in der Stadt keiner wagte: grelle Farben, sogar sündhaftes Rot, entblößte Körper, die rein waren, trotz allem, weil sie Seraphim und Cherubim gehörten und nicht uns sündigen Menschen. Mein Smartphone kannte nur eine Handvoll Pastelltöne und hätte mir kaum einen entblößten Knöchel gezeigt, geschweige denn einen Oberschenkel oder ein Schlüsselbein. Viele der ach so Gläubigen kamen wohl vor allem für den Anblick der Engel derart häufig zum Gebet. Gut. Solange sie die Windows anstarrten, ließen sie die Augen von mir und meinem Succubussmile, wie Mutter es nannte. Der Abdeckstift auf meinen Lippen juckte.

Ich hielt den Kopf gesenkt, klammerte mich an mein Smartphone und wanderte durch die Reihen der eng stehenden Stahlbänke bis zur dritten von hinten. Wir trafen uns immer auf der dritten von hinten. Dort setzte ich mich also. Das Metall war kalt, selbst durch meinen langen Mantel hindurch.

Ich ignorierte das Tuscheln um mich herum, die Mischung aus Furcht, Missgunst und Übereifer, die diesem Ort eine so unangenehme Energie verlieh. Auf meinem Smartphone rief ich eine Passage des Hohelieds Salomons auf und tat, als würde ich darüber meditieren.

Tatsächlich kannte ich die Worte auswendig. Fast alle. Hatte ich sie doch benutzt, um meinem Erwählten zu zeigen, was ich von ihm begehrte.

Früh wollen wir dann zu den Weinbergen gehen

und sehen, ob der Weinstock schon treibt,

ob die Rebenblüte sich öffnet,

ob die Granatbäume blühen.

Dort schenke ich dir meine Liebe.

Ich biss mir auf die juckenden Lippen. Ich fürchtete, hoffte, schwitzte. Vielleicht kam er ja gar nicht. Vielleicht hatte er heute keinen Dienst und ich dürfte noch etwas warten. Nur noch eine Nacht oder zwei, eine kurze Schonfrist …

»Wofür betest du, Tochter?«

Meine Hand am Smartphone verkrampfte sich beim Klang seiner warmen Stimme. Ich war mir nicht sicher, ob vor Freude oder vor Furcht.

Am liebsten hätte ich ihn nicht angesehen. Jeder falsche Blick konnte uns verraten. Doch ein Gespräch ganz ohne Blick wäre noch verdächtiger gewesen, also sah ich auf. Langsam, scheu, so wie Mutter es mich gelehrt hatte.

Ich nannte ihn Father, doch er war so jung wie ich. Unter dem weißen Chorhemd waren seine Schultern schmal, der Bauch ein wenig nach außen gewölbt. Fern von dem Bild der physischen Stärke, das die Engel in den Windows abgaben, durchdrang ihn etwas Besseres: Zärtlichkeit. Ich sah sie in seinem sanften Gesicht, in seinen ruhigen Bewegungen, in der geschickten Handarbeit, mit der er hier in der Cathedral alles an seinem Platz hielt. Er lächelte mich an und ich hätte gern zurückgelächelt. Nur aus Vorsicht ersparte ich etwaigen Zuschauern mein ach so verruchtes Succubussmile.

»Was ist, Tochter?«, fragte mein Erwählter und ließ sich neben mir auf der Bank nieder. »Bedrückt dich etwas?«

Ich senkte den Blick zurück auf mein Smartphone. »Ganz im Gegenteil. Ich habe das Gefühl, dass heute ein besonderer Tag sein könnte. Ein Tag, an dem etwas Gutes passiert.«

»Nun, oftmals haben wir mit solchen Gefühlen recht. Nennen wir es himmlische Eingebung … Ich sehe, du liest in der Bibel. Eine bestimmte Stelle?«

Ich reichte ihm mein Smartphone. »Schaut selbst, Father.«

»Du, den meine Seele liebt«, las er vor, »sag mir: Wo weidest du die Herde? Wo lagerst du am Mittag? – Eine interessante Passage. Voller Fragen, die gewiss jeder von uns schon einmal auf den Lippen hatte. Weißt du eine Antwort darauf, Tochter? Deine persönliche Antwort, meine ich.«

»Es geht noch weiter. Swiped zur nächsten Seite.«

»Wozu soll ich erst umherirren bei den Herden deiner Gefährten?«, rezitierte er unbeirrt weiter, obwohl er nichts davon auf meinem Smartphone lesen konnte. Ich hatte dort eine Map versteckt, die Adresse für unser geheimes Treffen. »Wenn du das nicht weißt, du schönste der Frauen, dann folge den Spuren der Schafe, dann weide deine Zicklein dort, wo die Hirten lagern.«

Er gab mir mein Smartphone zurück und ich widerstand der Versuchung nachzusehen, ob er klug genug gewesen war, die Map direkt zu löschen.

»Salomons Hohelied spricht zu mir, Father. Mehr sogar noch, wenn Ihr es lest.«

»Du sehnst dich nach einer Vereinigung. Mit Gott. Das ist überdeutlich.«

»Ich … ja. Ich fühle mich bereit. Ich meine, so bereit man für so eine Vereinigung sein kann.«

»Gut.« Ich schaute nicht auf, aber ich hörte sein Smile. »Dann bin ich mir sicher, dass der Herr dich erhören und deinen Wunsch gewähren wird. Noch heute. Der Weg wird nicht leicht sein, aber wenn du ihn mit Mut gehst, wirst du dein Ziel gewiss erreichen. Wer weiß, vielleicht schon vor dem Nachmittagsgebet.«

»Das wäre fast zu schön, um wahr zu sein.«

»Sind das die Dinge, die Gott uns zuteilwerden lässt, nicht oft?« Er stand auf. »Ich überlasse dich damit wieder dem Gebet, Tochter. Mögest du finden, was du suchst.«

Sein Ministrantenrock raschelte, als er ging.

Ich schloss die Augen, faltete die Hände um das Smartphone, tat, als würde ich beten. Meine Gedanken aber hingen nicht bei Gott und schon gar nicht in der Cathedral. Sie ruhten auf den Decken, die ich in den letzten Wochen nach und nach an unseren geheimen Treffpunkt getragen hatte. Es war die Abstellkammer einer Schule, die mittlerweile seit fast zwei Jahren für Umbauarbeiten geschlossen war. Die Baustelle lag still, die wertvollen Arbeitsgeräte waren zu anderen Einsatzorten geschafft worden. Deshalb hingen auch keine Wachdrohnen in der Luft darüber.

Wir würden in wunderbarer Stille liegen. Nur mein Erwählter und ich, die Decken und unser Atem. Er würde durch den Eingang für die Jungen eintreten. Ich durch den für die Mädchen. Niemand würde uns zusammen sehen. Niemand würde zu uns hereinkommen. Sollte jemand anderes zur falschen Zeit neugierig werden, würden Salz und Salbei ihn von der Schwelle vertreiben.

Ich vertraute auf meinen Zauber. Auf die Kraft meiner Wünsche und meiner positiven Gedanken.

Am Eingang unseres Verstecks gab es eine Stelle, an der der Asphalt aufgeplatzt war und weiche Erde frei lag. Dort würde ich den Flyer mit meinen Worten von Zärtlichkeit und Vereinigung vergraben, würde ihn mein Sehnen tief in das Innere der Welt tragen lassen. Dann würde ich gehen, mich auf die Decken legen und endlich herausfinden, wie es sich anfühlte, begehrt und berührt zu werden. Ich würde meinen Körper erkunden, genauso wie seinen. Und wer weiß, vielleicht würde ich sogar seinen Namen erfahren. Ich würde …

Das Smartphone glitt mir aus den Händen. Ich schrak auf, versuchte es zu fangen, doch eine Hand an meiner Schulter presste mich zurück.