The S-Files: Die Succubus Akten

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Midnight zuckt mit den Schultern. »Ich hab dir gesagt, dass das eine blöde Idee ist.«

»Ja, aber das sagst du immer.«

»Und wenn schon. Warum kannst du das jetzt nicht schreiben? Ein Interview mit einem Sukkubus, das hat noch keiner gebracht.«

»Ja, aber…« Sally schüttelt verzweifelt den Kopf. »Bringt die mittelalterliche Kirche mit all ihren grässlichen Praktiken wieder an die Macht und schaltet das WLAN aus, damit die Sukkubi ein besseres Leben haben? Das geht nicht. Das geht einfach nicht.«

Midnight seufzt tief. »Es heißt Sukkuben, Sally, nicht Sukkubi.«

Sally hört sie gar nicht. »Das kann ich so nicht schreiben«, murmelt sie nochmal.



Die Rache der Verschmähten

Adrian Schwarzenberger

H

err Chong Yin wohnte in einem kleinen Haus auf dem Hügel, und in dem Haus wohnte auch seine Frau Qingmie. Die war so zart und lieblich, dass sich selbst der Mandelbaum vor ihrer Hütte vor ihr verneigte, wenn sie über die Schwelle des Hauses trat. Wenn Qingmie am Fenster saß, gesellten sich die Vögel zu ihr und sangen ihre Lieder zu ihrem Flötenspiel. Ging sie spazieren, schmiegten sich die Weidenzweige um sie und schmeichelten ihrem schlanken Leib. Und wenn die Schöne sich am Ufer des kleinen Sees ins Gras setzte, vergaßen die Fische das Schwimmen, die Frösche das Quaken und die Gänse das Schnattern, so verzaubert waren alle von ihrem Anblick.

Wen Qingmie aber nicht mit ihrer Lieblichkeit reizen konnte, das war ihr Gatte, der Herr Chong Yin. Er kannte nur einen Freund, und das war der Wein. Schönheit und Liebe fand er in den Häusern der Freude, die er jeden Tag besuchte und aus denen er erst im Morgengrauen unter lautem und falschem Singen heimkehrte. Man mag sich fragen, welch wildes Tier im Körper dieses Menschen steckte, welcher Teufel, welcher Dämon. Doch wird man es je erfahren?

So sorgte sich auch seine Frau Qingmie, und je mehr sie sich sorgte, desto mehr verlor sie von ihrem Liebreiz. Ihr Strahlen erlosch, wie wenn die Sonne untergeht, und ihre Liebe erkaltete wie ein Feuer, das sein Holz verzehrt hatte. Mehr und mehr vernachlässigte Chong Yin seine Gattin und suchte sein Glück in Wein und leichten Weibern, und mehr und mehr grämte sie sich darüber, dass sie ganz krank wurde. Doch stets hielt sie zu ihm, vernachlässigte ihre Pflichten nicht und klagte nie, so treu war sie.

Eines Tages kam ein Fuchsgeist daher, denn wo Kummer und Leid hausen, da gesellen sich gern die bösen Geister dazu. Der Fuchsgeist schaute durchs Fenster und erblickte Qingmie, wie sie sich in sorgenvollen Seufzern erging. Rasch sann er auf eine List, wie er sie in seiner Tücke verderben konnte. Mit seinem Zauber verwandelte er sich in den Bruder des Gatten, einen stattlichen und schönen jungen Mann, und klopfte an die Tür des Hauses. Qingmie öffnete ihm, und als sie ihren Schwager erkannte, geleitete sie ihn herein. Er bat um ein Bett für die Nacht und fragte auch nach seinem Bruder. In ihrer Schicklichkeit wagte Qingmie aber nicht, ihm zu sagen, in welchen verrufenen Gegenden sich ihr Gatte des Nachts herumtrieb und welche Freuden er genoss, statt sie mit seiner Frau zu teilen.

Ihr Schwager, wie sie meinte, der in Wahrheit der Fuchsgeist in Gestalt eines Menschen war, spürte, was sie bedrückte, und er konnte nur zu gut den Hauch des Kummers riechen, der sie umwehte. In seiner Hinterlist stellte er sich jedoch arglos, bat um ein Abendmahl und legte sich schließlich schlafen. Des Nachts aber erwachte er und schlich auf leisen Sohlen ins Zimmer der Herrin Qingmie und sagte: »Kann dich dein Mann nicht glücklich machen, so nimm doch mit mir vorlieb.«

»Mein Mann ist Euer Bruder!« rief Qingmie ganz erschrocken, als sie ihren Schwager so plötzlich vor sich stehen sah, in dunkler Nacht und verheißungsvoll wie ein junger Gott. Doch ihre Ergebenheit war stärker, und sie erwiderte: »Wie könnte ich je wieder in den Spiegel schauen! Wie könnte ich diese Schande überleben! Ich will auf der Stelle tot umfallen, wenn ich meinen Gatten unter seinem eigenen Dach betrüge!« So treu war Qingmie, dass sie selbst das Ansinnen ihres Schwagers ablehnte.

Doch der Fuchsgeist, der die Gestalt eines Menschen angenommen hatte, ließ sich nicht so leicht abweisen. Immer mehr und immer heftiger bedrängte er Qingmie, aber diese blieb standhaft. Da geschah es, dass genau in diesem Augenblick ihr Gatte Chong Yin heimkehrte und sie mit seinem eigenen Bruder in seinem Haus und in seinem Bett erwischte. Mit einem Schlag war der Weinrausch verflogen, und er meinte zu begreifen, was da vor sich ging. Mit Tritten und Fäusten prügelte er seinen vermeintlichen Bruder aus dem Haus und sparte auch mit Vorwürfen und Beschimpfungen gegen seine Frau nicht. Immer und immer wieder beteuerte sie ihm, dass sie ihm treu geblieben war, dass keine seiner Anschuldigungen die Wahrheit trafen, sie aber um so mehr verletzten, als er selber keinen Deut besser war, als er ihr nun ungerechtfertigt vorhielt. Das ging so weit, dass Qingmie nur noch kranker wurde und nach wenigen Tagen aus dem Leben schied.

Aber ihre Seele fand keine Ruhe und irrte rastlos in der Welt der Schatten umher, so sehr war sie in der Welt der Lebenden verhaftet, aus der sie doch die boshaften und schmerzlichen Worte ihres eigenen Gatten vertrieben hatten. Der Fuchsgeist indes erwartete sie schon im Reich der Toten, und Qingmie erkannte ihn nicht, denn er hatte wieder seine ursprüngliche Gestalt angenommen. Listig schlich er um sie herum und flüsterte ihr böse Worte ein: »Sieh nur, wie dein Mann dich all die Jahre behandelt hat. Keine Nacht hat er dir seine Liebe geschenkt, hat sich in den Häusern der Freude herumgetrieben, wo ihm hundert schöne Mädchen aufwarteten, und hat sich besoffen, dass er nicht mehr wusste, wo vorne und hinten war. Du aber warst ihm immer treu, hast deine Pflichten erfüllt und zu ihm gehalten. Und wie dankt er dir das? Indem er dich mit Schimpf und Schande in den Tod treibt. - Höre, lass uns auf eine List sinnen, wie wir ihm das vergelten können. Ich bin ein Fuchsgeist und will dir gerne meine Macht leihen, dich an deinem verderbten Gatten zu rächen.«

Qingmie wehrte ihn ab, so stark war ihre Liebe zu ihrem Mann immer noch. Sie wollte nichts hören von den bösen Einflüsterungen, wollte in ihrem Kummer allein sein und wollte sich in ihrem Gram verzehren. Vor allem fürchtete sie den Fuchsgeist, denn jeder wusste, dass Füchse über Menschen, die sie verzaubern, Unheil und den Tod bringen. Zu groß aber waren die Schmerzen, die ihr Mann ihr zugefügt hatte, zu tief die Wunden, die sein Treiben hinterlassen hatte, und zu drängend die hinterlistigen Worte des Fuchsgeistes, der nur seinen boshaften Schabernack mit den armen Menschen trieb. Je länger er sie umgarnte, je länger sie seinen Worten lauschte, desto mehr erkaltete ihre Liebe, und der Fuchsgeist vereinnahmte sie immer mehr und schwor sie auf eine List ein, wie sie ihren verdorbenen Gatten ins Unglück stürzen konnten.

Der nämlich hatte sich kein bisschen geändert. Im Gegenteil, niemand ahnte etwas von seinem Treiben. Nachbarn und Freunde sahen nur, dass seine arme Frau gestorben war, und trauerten mit ihm. Und wenn ihn doch einmal jemand in den Armen eines leichten Mädchens erkannte oder ihn mit einem Krug Wein antraf, da hatten die Leute gar noch Verständnis und bekundeten ihm sein Mitgefühl, dass er in Wein und Weib Trost suchte, nachdem seine gute und treue Gattin von ihm gegangen war.

So dauerte es auch nicht lange - kaum dass die Trauerzeit vorüber war -, dass ihm schon eine befreundete Familie ihre Tochter anbot, er möge sie heiraten und wieder in den rechtmäßigen Stand der Ehe eintreten. Ein alleinstehender Mann, der über den Tod seiner ersten Frau vergeht, so meinten sie, das durfte doch nicht sein. Schon bald wurde also Hochzeit gehalten, und das Mädchen zog ins Haus des Chong Yin ein und nahm den Platz der Toten ein.

»Sieh nur«, sagte der Fuchsgeist wieder, und seine Worte wurden immer drängender, »selbst jetzt - trauert er um dich, nachdem er dich in den Tod getrieben hat? Nein, er ergeht sich in Wein und Weib, und da ist auch schon die nächste an seiner Seite, die ihm die Kissen wärmt.«

So kam schließlich der Tag, da Qingmie nachgab und mit dem Fuchsgeist auf Rache sann und einen Plan fasste, wie sie ihren verdorbenen Gatten ins Unglück stürzen konnte. Kaum war die neue Frau in Chong Yins Haus eingezogen, traten Qingmie und der Fuchsgeist, der ihr die bösen Worte einflüsterte, hinzu. Ihre Seele war nicht vergangen und fand keine Ruhe, und so schlüpfte der Fuchsgeist in den Körper der Verschmähten und schlich sich in die Träume ihres Mannes. Mit ihrer ganzen Schönheit umgarnte sie ihn, mit ihrem ganzen Liebreiz lockte sie ihn, und mit ihrer ganzen Verführungskunst schmeichelte sie ihm. Verdorben wie ihr Gatte war, ging er auch willig auf sie ein und beschlief sie selbst im Traume. Ja, er erkannte sie nicht einmal, denn es war ihm gleich, mit wem er sich verlustieren konnte, und wenn er nur genug Wein getrunken hatte, dann mochten ohnehin alle Weiber gleich aussehen. Über Stunden gab er sich der Lust hin, verausgabte sich nach Kräften und ließ erst im Morgengrauen völlig erschöpft von ihr ab.

Nacht für Nacht ging das nun so. Stets zur selben Stunde suchte Qingmie ihn heim, getrieben von den bösen Einflüsterungen des Fuchsgeistes, gab sich ihrem Gatten hin und gab ihm, was er begehrte, als forderte sie noch im Tode ein, was er ihr im Leben verwehrt hatte. Und er nahm sich, was er wollte, tat, wie ihm beliebte, und vergaß sich selbst und die Welt, als wäre der Teufel auch in seinen Leib gefahren.

 

Seine junge Gattin war die erste, die bemerkte, wie sich etwas an ihm veränderte und es ihm zusehends schlechter ging. Sein Gesicht fiel ein, seine Augen wurden trüb, seine Beine wurden schwach, und seine Hände waren bald nur noch Haut und Knochen. In ihrer Sorge fragte sie ihn: »Was macht dich so kränklich aussehen?« Aber er schüttelte den Kopf und sagte, das sei bloß eine große Müdigkeit.

In der Nacht aber war er ganz bei Kräften, als ihn die geheimnisvolle Schöne im Traum besuchen kam, und er erkannte sie immer noch nicht. Wie er sich in seiner Lust an ihr erging, erlebte er Rausch und Verzückung, die nicht von dieser Welt waren, und alles um ihn herum mochte vergehen. Er fühlte sich wie entrückt, als würde er schon im nächsten Augenblick in den Himmel enthoben.

Als der Verfall an ihm unübersehbar wurde, schickte seine junge Gattin nach einem Arzt, und der ließ nichts unversucht, Chong Yin am Leben zu erhalten. Schnell musste er aber einsehen, dass nichts und niemand ihn mehr von der Schwelle des Todes zurückzurufen vermochten. Er war schon so abgemagert, dass nur noch die Haut seine Knochen bedeckte und er sich kaum mehr rühren konnte, so schwach war er inzwischen.

Und immer noch suchte ihn Qingmie des Nachts heim, sog seine ganze Lebenskraft in sich auf, als könnte sie dadurch selbst in die Welt des Lichts zurückkehren, und ließ nicht ein Fünkchen in ihrem verderbten Gatten zurück. Doch der bemerkte nichts davon, fiel wie ein hungriges Tier über die unbekannte Schönheit her, die ihn jede Nacht aufs neue mit ihren Reizen lockte, und versank in einem Strudel wilder Sinneslust. Ja, in ihrer Nähe war es leicht, selbst den Tod zu vergessen.

Nachdem auch der Arzt Chong Yin nicht hatte retten können, rief seine junge Gattin den Priester ins Haus. Wie der aber über die Schwelle der Türe trat, blieb er vor Entsetzen ganz erschrocken stehen. Sofort hatte er bemerkt, dass der Mann vom Hauch des Todes umweht war, und er beschwor ihn, von seinem Treiben abzulassen, bevor er ganz ins Verderben stürzen würde: »Sonst ist Euer Weg zum Tod nicht lang.«

Hätte Chong Yin noch die Kraft dazu besessen, hätte er wohl Reißaus genommen vor diesen unheilvollen Worten. So aber konnte er nur die Augen schließen und in seine Träume der ungezügelten Lust und der ungebändigten Leidenschaft flüchten, wo ihn schon die geheimnisvolle Schöne erwartete, um ihm auch noch das letzte bisschen Lebenskraft zu nehmen, das er ihr geben konnte. In seiner Entrückung wandelte ihn nicht einmal mehr die Angst an, und seine junge Gattin, der Arzt und der Priester konnten nur noch zusehen, wie sein Atem erstarb und er endgültig in die Welt der Schatten einzog.



Love Hurts

Lyakon

D

er Mond lugte scheu durch das Schlafzimmerfenster und tauchte den Raum in weiches Silberlicht. Seine samtenen Strahlen umschmeichelten die weiblichen Konturen des Körpers, der zwischen zerwühlten Laken lag.

Lilus Herz trommelte in Rhythmen wilder als die Tänze auf dem Voodoo-Festival in Benin, das er beinahe jedes Jahr besuchte. Ein Beben durchlief seinen Leib. Er biss sich auf die Unterlippe, um den Atem zu kontrollieren.

Love hurts, Love scars‹, schoss ihm durch den Kopf. Weise Worte aus dem Mund der Everly Brothers. Wobei er die Version von Nazareth bevorzugte. Gleichwohl ihm bei letzteren die Namenswahl missfiel. Aber von der Musik her war das Cover von Nazareth um Längen besser als das Original.

Sein Blick wanderte zu Claire.

Lilus Mundwinkel hoben sich leicht, als er sie zwischen den seidenen Laken dort liegen sah. Selbst im Schlaf umspielte jenes schelmische Lächeln ihren Mund, das wirkte, als hecke sie gerade einen Streich aus. Dieser Anblick war es gewesen, der ihn verzaubert hatte. Ihm war, als stünde er unter einem Bann.

Seit er sie vor zwei Wochen zum ersten Mal erblickt hatte, ging sie ihm nicht mehr aus dem Kopf. Wenn er abends erwachte, war es der Gedanke an sie, der ihn begrüßte, und wenn er sich morgens niederlegte, dann war sie es, deren Bild ihm den Schlaf raubte.

Sein Magen krampfte. Vor Tagen hatte er den Appetit verloren. Ihm war, als sei alleine ihr Anblick wie ein Biss in die süße Frucht der Versuchung. Seit er von ihr gekostet hatte, erschien alles andere fad.

Lilus Lächeln wurde breiter, als er die rhythmischen Bewegungen ihrer Augen sah. Sie träumte.

Ob sie von mir träumt? Der Gedanke versetzte ihm einen Stich. Wie soll das möglich sein, wo sie mich überhaupt nicht kennt.

Schon in der ersten Nacht war er gleich eines Mondschattens zu ihr gekommen und lange vor dem ersten Sonnenstrahl verschwunden. Sie hatte seine Anwesenheit überhaupt nicht bemerkt. So hatte er es immer gehalten. Er war im Schutz der Dunkelheit eingedrungen, hatte sein Ding durchgezogen und sich aus dem Staub gemacht, ohne Spuren zu hinterlassen. Für die Opfer war er kaum mehr als ein besonders lebhafter Traum gewesen.

Das war ein so einfaches Leben gewesen. Jetzt ist aber dieser brennende Schmerz tief in meinem Herzen und plötzlich ist alles so kompliziert. Love Hurts, Love Scars.

Lilu presste die Lippen fest aufeinander. Seine Augenwinkel brannten.

Wie gerne wäre er einer jener Mondstrahlen, die so sanft über ihren Körper strichen. Könnte ich doch neben ihr liegen und die Wärme ihres Leibes an meinem spüren.

Lilu biss sich auf die Unterlippe. So kann es nicht weitergehen. Ich muss etwas ändern.

Claires Absätze klackerten wie die Kastagnetten eines tollwütigen Flamencotänzers auf dem Pflaster der Simeonstaße. Ihre Schultern schmerzten vom langen Tag im Büro. Vor ihrem inneren Auge sah sie bereits das warme Entspannungsbad in ihrer Wellnesswanne mit Massagedüsen vor sich. Das ist eine wirklich lohnende Investition gewesen.

»Achtung!« Unmittelbar auf den Warnruf erfolgte der Zusammenstoß. Sie stürzte, doch starke Arme fingen sie auf.

»Alles ok?« Die kernige Stimme vom Typ ›Vin Diesel‹ ließ sie an einen muskelbepackten Fitnessfanatiker denken. Ihr Kopf hob sich und sie erstarrte. Der Mann, der sie im Fallen aufgefangen hatte, erinnerte eher an ›Oberyn Martell‹ aus ihrer Lieblingsserie. Sie hatte Rotz und Wasser geheult, als der Seriencharakter so brutal ermordet worden war. Und jetzt stand er hier vor ihr, als sei er direkt einem ihrer Träume entsprungen.

»Entschuldigung«, hauchte sie ihm entgegen. »Ich war in Gedanken.« Ihr Blick traf auf warme Augen, deren Farbe sie an süße Vollmilchschokolade erinnerte. Auf seinen Lippen lag ein geheimnisvolles Lächeln.

Seit dem ersten Auftreten Oberyns in der Serie hatte sie sich gewünscht, auch einmal derart leidenschaftlich geküsst zu werden, wie ›Ellaria Sand‹ im Bordell von Königsmund.

Der Fremde half ihr auf die Beine. Er neigte leicht sein Haupt. »Eine Frau sollte sich niemals entschuldigen. Ich hätte besser aufpassen sollen. Jetzt ist mein ›Dark Forest Kiss‹ auf Ihrem Mantel. Dabei sollten Küsse doch andere Ziele finden.«

»Was?« Claire zog die Augenbrauen zusammen.

Er deutete auf ihren Mantel. Sie sah den Schalk in seinen Augen aufblitzen.

Ein Blick an ihr herab zeigte eine Mischung aus Kakao, Sahne, Schokoraspeln und einer einzelnen Amarenakirsche, die da gerade ihren Mantel hinabglitt.

»So heißt diese heiße Schokolade im ›Coffee Fellows‹. Es tut mir alles wirklich leid. Ich bestehe darauf, die Reinigung Ihrer Kleidung zu bezahlen. Zudem würde ich Sie gerne mit einem frisch zubereiteten Kuss entschädigen.« Er lächelte und offenbarte dabei kleine Grübchen.

Claire biss sich auf die Unterlippe. Ziemlich frech dieser Typ. Genau die Art von Mann, die sich nachts in ihre Träume schlich. Ein breites Grinsen stahl sich auf ihr Gesicht. »Na, dann nehme ich doch so einen ›Dark Forest Kiss‹. Wäre ja schade, wenn einzig mein Mantel in den Genuss eines schokoladigen Kusses kommen würde.«

Sein Lachen war erfrischend wie Sommerregen.


Gleich Tau auf sterbenden Herbstblumen lag ein feuchter Glanz auf Claires Augen.

Lilu schluckte.

Love hurts, Love scars.‹ Ob Nazareth jemals in einer solchen Lage gewesen sind? Haben sie ebenfalls diesen stechenden Schmerz gespürt? Ihm war, als seien alle sechs Extremitäten an Pferde gebunden, die in unterschiedliche Richtungen strebten.

War es richtig, dass ich mich still und heimlich aus dem Staub gemacht habe?

Er war verschwunden, als dieses Kribbeln im Nacken, als ob hunderte Ameisen dort Polka tanzten, ihm vom nahenden Morgen kündete.

Claire hatte sich wie ein Kätzchen an ihn geschmiegt. Die Wärme ihres Körpers hatte sich mit der seinen vereint. Er hatte bei ihr bleiben wollen und doch war er gegangen.

In diesem Moment hatte er all jenes besessen, von dem er vorher nicht gewusst hatte, dass es ihm fehlte und es achtlos weggeworfen.

Wird dieser Schmerz jemals vergehen?

Als sie im leeren Zimmer aufgewacht war, hatte sie nach ihm gerufen. Zunächst war sie durch die Wohnung gelaufen, dann liefen die Tränen über ihr Gesicht.

Lilu war, als läge ein tonnenschwerer Stein auf seiner Brust und quetsche ihm die Luft aus den Lungen.

Ist dies der Preis der Liebe? Er schluckte. Wenn ich doch nur die Zeit zurückdrehen und wieder neben ihr liegen könnte. Aber was würde ich damit erreichen? Wie soll ich ihr nur meine Gefühle offenbaren.

Es war undenkbar, einfach zu sagen: »Hey, weißt du eigentlich, wie sehr ich dich liebe? Über Tage habe ich mich nachts in dein Zimmer geschlichen, nur um dich im Schlaf zu beobachten.«

Das hörte sich schon in seinen Ohren überaus verstörend an.

Ein Klingeln ertönte. Lilu und Claire zuckten im absoluten Gleichklang zusammen.

Claire eilte durch Lilu, der sich knapp außerhalb ihrer Wahrnehmung aufhielt, hindurch zur Tür. Ein Hauch von Hoffnung, flüchtig wie Morgennebel lag in ihren Augen. Sie riss die Tür auf und erstarrte.

Lilu erspähte den Werwolf, der vor seiner Liebsten stand. Es war keine jener zähnefletschenden Bestien, wie man sie aus alten Sagen kannte, sondern eine Version, deren Anblick wie eine Schokotorte mit Sahne und Karamellsoße wirkte.

»Süßes, sonst gibt’s Saures!«, knurrte das Mädchen und offenbarte ein Plastikgebiss mit Reißzähnen.

Rote Schminke formte ein Blutrinnsal in ihrem Mundwinkel, das wohl möglichst gruselig wirken sollte. Doch ihre allgemeine Kleidungswahl stand diesem Zweck diametral gegenüber. Der Haarreif mit den beiden Fellohren, die schwarz angemalte Nasenspitze und das rosa Petticoatkleid trugen nicht unbedingt dazu bei, der Kleinen mit den langen braunen Zöpfen ein monströses Aussehen zu verleihen.

»Ahhh, ein Werwolf.« Claires Stimme war noch vom vielen Heulen belegt, doch sie gab sich alle Mühe, sich nichts anmerken zu lassen.

Das Mädchen formte ihre Hände zu Klauen. »Harrr!«, knurrte es.

Der Augenblick zauberte ein Lächeln auf Claires Gesicht. Lilus Herz drohte zu zerspringen.

Verdammt, ich liebe diese Frau. Ich würde alles für sie tun. Irgendwie muss es doch mit uns klappen.

Er kannte ihre tiefsten Sehnsüchte und geheimsten Begierden.

Ich wäre der Mann, der hinter ihr steht, wenn sie Rückhalt braucht. Ich wäre jener, der neben ihr geht, wenn sie Gesellschaft benötigt. Ich würde mich ohne Zögern vor sie werfen, wenn sie Schutz bedarf. Das muss doch reichen, um sie für mich zu gewinnen.

Vor ihm hielt Claire dem Werwesen eine Schüssel voller Süßigkeiten hin. »Na, dann nimm dir mal was. Das hast du dir verdient.«

Und ich habe verdient, an deiner Seite zu sein.

Eine Idee brach mit der ungezügelten Kraft eines Vulkans aus seinem Innersten hervor. Lilu lächelte. Wer nicht wagt, der nicht gewinnt.


Ein Schmunzeln blitzte auf Claires Lippen auf, als die Werwölfin über den Gang zum Treppenhaus hüpfte. Die beiden Zöpfe wirbelten bei jedem Sprung wild durch die Luft. Die Kleine war zuckersüß.

 

Die Tür fiel ins Schloss. Claire sah die leere Wohnung vor sich. Tränen füllten erneut ihre Augen.

Dabei hatten wir uns doch so gut verstanden. Ihre Bekanntschaft vom ›Coffee Fellows‹ war schon vom Aussehen der Hammer gewesen. Dazu sein spezieller Humor, durchaus intelligent, wenn auch immer am Rande der Anzüglichkeit, der ihr Herz im Sturm erobert hatte. Noch gestern hätte sie es nie geglaubt, dass sie einmal einen Mann am Abend des ersten Kennenlernens mit zu sich nach Hause nehmen würde. Umso mehr hatte es sie geschmerzt, als sie heute Morgen in einem leeren Bett aufgewacht war.

Warum ist er verschwunden? Was habe ich falsch gemacht? Ich dachte, dass er mich wirklich liebt.

Die Türklingel ließ sie zusammenzucken.

Wahrscheinlich schon wieder Kinder auf der Jagd nach Halloween-Süßigkeiten. Was mich wohl jetzt erwartet? Eine Mumie, ein Vampir, ein Skelett oder gar ein Wandelwesen?

Claire öffnete, erstarrte, schrie auf und schlug instinktiv die Tür zu.

Sie hatte mit unzähligen Alptraumgestalten gerechnet, doch dieser Anblick hatte ihr Herz einen Schlag überspringen lassen.

Ein Klopfen erklang. »Entschuldigung!«, drang es gedämpft zu ihr.

In ihr tobte ein Wirbelsturm widerstreitender Gefühle. Er war am Abend einfach so wundervoll und ich habe mich so wohl bei ihm gefühlt. Aber dann lässt er mich einfach so sitzen und verschwindet im Dunkeln der Nacht. Jetzt steht er da draußen mit einem breiten Grinsen und einem Strauß Rosen, gerade so, als sei nichts gewesen.

Claire riss die Tür auf, verpasste ihrem One-Night-Stand eine schallende Ohrfeige und schlug die Tür wieder zu. »Du Arsch!«, keifte sie. »Verpiss dich.«

»And I would do anything for love. I’d run right into hell and back.« Die Töne klangen wie Fingernägeln, die über eine Schiefertafel kratzen. Trotzdem kamen ihr die Worte bekannt vor.

»Singst du gerade Meat LoafWas soll das?

»Er kann besser ausdrücken, was ich für dich empfinde. Ich würde für dich bis in die Hölle und zurückreisen.«

Claire kniff die Augen zusammen, bis sie kaum mehr als schmale Schlitze waren. »Dann geh doch in die Hölle.«

»Da war ich schon, nachdem ich dich verlassen habe. Ich will lieber bei dir sein.«

»Und warum bist du dann einfach so verschwunden?«, fauchte Claire.

»Ich wollte mich echt nicht fortstehlen. Sorry.«

»Aha, da waren wohl ein paar Ninja, die dich unbemerkt aus meinem Schlafzimmer entführt haben, und du bist ihnen erst jetzt entkommen.«

Sie vernahm ein Seufzen. »Nein.«

»Und wer hat dich verschleppt?«

»Niemand.«

»Und warum bist du dann verschwunden?«

»Weil ich dich liebe.«

»Weil du mich liebst?« Claire riss die Augen auf und ihre Kinnlade fiel runter.

»Seit ich dich das erste Mal gesehen habe, spukst du mir durch den Kopf. Ich kann nicht schlafen, kann nicht essen, denke nur noch daran, wie schön es ist, bei dir zu sein.«

»Aber du bist verschwunden.«

»Weil ich dich nicht verletzen wollte. Du weißt nicht, wer ich wirklich bin. Meine Gefühle für dich ängstigen mich.«


Die Tür öffnete sich einen Spalt breit. Lilu atmete erleichtert auf. Vielleicht war doch noch nicht alles verloren.

Claire spähte zu ihm heraus. »Wovor hast du Angst?«

»Dass du mich zur Hölle schickst, wenn du erfährst, wer ich bin.«

Misstrauen umwölkte ihren Blick. »Das Risiko musst du wohl eingehen. Fangen wir ganz vorne an. Wie heißt du überhaupt?«

»Lilu.« Noch nie hatte er jemandem seinen wahren Namen offenbart. »Könnten wir drinnen weitersprechen? Ich möchte meine Geschichte nicht unbedingt mit dem Treppenhaus teilen.«

Claire seufzte. »Ok, komm rein.« Sie gab ihm den Weg frei.

Lilu schlich wie ein getretener Hund ins Wohnzimmer und kauerte mit runterhängenden Schultern auf der Couch. Den Rosenstrauch legte er neben Claires Tasche auf den Beistelltisch. »Ich habe nie gewusst, wie sehr Liebe schmerzen kann.« Seine Stimme brach. »Was für ein Arsch ich doch gewesen bin. Ich wollte dir echt nicht weh tun. Bisher habe ich mir da nie wirklich Gedanken drum gemacht. Das waren halt immer kurze Momente der Leidenschaft gewesen und dann war es schon wieder vorbei. Da habe ich nie etwas empfunden. Nicht so wie bei dir.« Lilu bemerkte, wie mit jedem Wort Claire bleicher wurde. Seine Kehle fühlte sich mit einem Mal trocken wie Saharastaub an und er verstummte. Das ist wohl der falsche Ansatz.

»Bist du einer dieser PickUp-Artists, für die es einen Sport darstellt, Frauen zu verführen?«

»Verführen? Nein, ich komme in der Nacht, wenn sie schlafen, und liege auf ihnen.«

Claire schluckte. »Du tust was?«

Scheiße, wieder falsch. Das hier lief nicht so wie erwartet. »Nein, du missverstehst mich. Ich mache das nur, weil das meine Aufgabe ist. So war es auch, als ich mich in deine Wohnung geschlichen habe. Aber dann habe ich dich gesehen und plötzlich war da dieses Ziehen hier.« Lilu deutete auf sein Herz, ließ die Hand aber sinken, als er Claire sah.

Drei tiefe Falten hatten sich zwischen ihren Brauen gebildet und ihre Augen waren zu schmalen Schlitzen verengt. »Du warst schon vor unserem ersten Treffen hier bei mir?« Ihre Hand näherte sich dem Beistelltisch.

»Eigentlich insgesamt vierzehn Mal. Aber ich habe nie auf dir gelegen«, sprudelte es aus Lilu. Verdammt. Warum habe ich das gesagt? Selbst in seinen Ohren hörte sich das unheimlich an.

Claire griff in die Tasche, riss etwas Rohrförmiges daraus hervor und sprühte den gesamten Inhalt in Lilus Gesicht. Der Geruch erinnerte ihn an den beißenden Odem des stygischen Sumpfes im fünften Kreis der Hölle – ein Hauch von Heimat.

Besorgt sah Lilu, wie Claire anfing, nach Luft zu schnappen. Jedem Japsen folgte ein Husten. Ihr Antlitz nahm die Farbe einer überreifen Tomate an. Was hat sie bloß? Warum hat sie mich mit Parfüm eingesprüht? Ob sie sich verschluckt hat? »Soll ich dir ein Glas Wasser holen?«

Statt einer Antwort drang aus ihrer Kehle ein Krächzen, gleich einer rostigen Türangel. Sie deutete auf das Fenster.

Lilu stand auf und ließ frische Luft in den Raum. Er blickte zu Claire und stutzte. Warum weint sie? Warum sind ihre Augen derart gerötet? Vielleicht hat sie erkannt, was ich für sie empfinde. Es war Zeit nachzulegen. »Weißt du, ich bringe normalerweise den Frauen erotische Träume und sauge ihnen ihre Lebensenergie aus. Aber bei dir habe ich das Gefühl, dass du mir meine Energie raubst, wenn ich fern von dir bin.« Lilu ging zur Küche. »Ist schon seltsam, wie sich plötzlich die Sicht auf etwas ändert, wenn man selbst davon betroffen ist.«

Mit einem Wasserglas in der Hand kehrte er zurück ins Wohnzimmer. Claire stand am Fenster, lehnte sich hinaus in die kühle Abendbrise und rieb sich die tränenden Augen. »Du saugst Frauen ihre Energie aus? Bist du pervers?«, krächzte sie.

Lilu lächelte. »Nein, Incubus.«


Oh Gott, das ist ein Spinner. Gestern Abend im ›Coffee Fellows‹ ist er so süß gewesen und jetzt stellt sich heraus, dass er nicht mehr alle Tassen im Schrank hat. »Du bist also ein Nachtdämon? Ich dachte, die sehen anders aus.«

Lilu zuckte mit den Schultern. »Du meinst so?« Er breitete zwei schwarze Fledermausschwingen aus. Seine Augen schimmerten plötzlich in allen Farben des Regenbogens.

Das Wasserglas entglitt Claires Händen und zerbarst mit einem hellen Klirren auf dem Boden. Sie schnappte wie ein an Land geworfener Karpfen nach Luft.

»Ich kann meine Gestalt beliebig verändern und sie den Wünschen meines Gegenübers anpassen. So wusste ich auch, dass du diesen Schauspieler attraktiv findest. Doch funktioniert das bei mir als Nachtdämon nur bis zum Sonnenaufgang. Daher bin ich heute Morgen auch verschwunden. Ich wollte nicht, dass du mich so neben dir liegen siehst. Seit der Abend angebrochen ist, kann ich aber wieder all das sein, was du dir wünschst.«

An der Tür klingelte es. Noch immer spürte Claire das Brennen des Reizgases in ihrer Kehle. Ihr Blick irrlichterte zwischen dem Eingang und Lilu hin und her.

Dieser lächelte. »Ich kümmere mich darum. Komm du erstmal wieder zu Atem.« Lilu hielt, ohne zu zögern, auf den Wohnungseingang zu.

Claire wollte schreien. Doch ihre Brust fühlte sich an, als habe man sie in einen Schraubstock gespannt. Da schritt ein geflügelter Dämon mitten durch ihre Wohnung. Gleich hatte er die Tür erreicht.

Mit weit aufgerissenen Augen beobachtete sie, wie Lilu die Eingangstür öffnete. Lautes Kinderkreischen erscholl.