Theorien der Literatur VII

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4. Kunsttheorie und Ikonographie

Dieses Bilddetail kann als Pathosformel der Drachendarstellung gelten. Mehrfach gewundene oder gerollte Schwänze sind bereits auf Tierdarstellungen antiker Sarkophage zu sehen; lückenlos zieren sie dann die Darstellung von Drachen, Basilisken und Meeresungeheuern bis weit in die Frühe Neuzeit. Als prominente Beispiele seien nur der Drache auf Paolo Uccellos Darstellung des Heiligen Georg von 1470 oder jener auf Raffaels Heiliger Margarete erwähnt. In der Bildpraxis, Drachen als Mischwesen aus Merkmalen verschiedener, potentiell für den Menschen gefährlicher Tiere zu gestalten, verweist der Schlangenschwanz nicht nur auf die in der Genesis begründete negative Assoziation der Schlange.1 Insbesondere in der Spätrenaissance, als sich gewundene Bewegungen als stilistisches Prinzip etablierten, geriet die Schlangenform, die Figura serpentinata, in den Fokus der Kunsttheorie. Bereits Leonardo da Vinci hat in seinen Tierstudien über diese Windungen als ein motorisches Prinzip der Tierwelt nachgedacht; auf einem Studienblatt, das mehrere Federskizzen von Drachenkämpfen zeigt, notierte er: „Die schlangenartige Bewegung ist die vorrangigste Bewegung bei Tieren und ist zweifach, denn die erste erfolgt längs, die zweite der Quere nach.“2 Und 1584 empfahl Giovanni Paolo Lomazzo bekanntlich die Schlangenwindung in seinem Trattatto dell’arte della pittura als eine Grundlage des Gestaltideals, wofür er als Zeugen immerhin Michelangelo aufrief; für Lomazzo war die Anwendung der Schlangenlinie nichts weniger als „das ganze Geheimnis der Malerei.“3

War die formale Betonung der Schlangenbewegung im 16. Jahrhundert also von der Kunsttheorie verbürgt, erklären Quellen der selben Zeit auch den besonderen Gehalt des Schlangenschwanzes als Symbol für List und Tücke. So zeigt eine Allegorie des Irrglaubens von Antonius Eisenhoit die personifizierte Häresie als schöngewachsenen Frauenakt, der jedoch mit Hirschhufen und Eselsohren sowie den Köpfen eines Drachens und eines Stiers zum Mischwesen mutiert. Neben Bibel, Rosenkranz und Geldbeutel ist ihr ein Mantichor als Begleittier zur Seite gestellt. Von besonderem Interesse ist jedoch der lange Schlangenschwanz, der der Häresie aus dem Steißbein wächst und, zu zwei Rollen gewunden, im rechten Vordergrund in Form einer Pfeilspitze ausläuft. Eine Beischrift erläutert die Bedeutung der einzelnen Motive. Drachenkopf und Stierkopf stünden demnach für Irrlehre und Wildheit, Bibel und Rosenkranz für den erlogenen Gottesnamen und Scheinheiligkeit, der Geldbeutel für Gier. Der Schlangenschwanz schließlich verdeutliche Hinterhalt: „Cauda serpent insidias.“4

Der gerollte Krokodilschwanz auf dem Straßburger Flugblatt mag nur ein Beispiel für die Verzerrung naturkundlichen Wissens auf der populären Ebene des 16. Jahrhunderts sein; tatsächlich folgte auf ihn eine in Antwerpen angefertigte Kopie, auf der das Krokodil jedoch aus einem Gewässer steigt, sodass der Schwanz nicht zu sehen ist. Damit ist nicht nur die offenbar auch von Zeitgenossen für unwahrscheinlich befundene Darstellung eliminiert, sondern zugleich auf die amphibische Lebensweise von Krokodilen hingewiesen. Der Text auf dem Antwerpener Flugblatt beinhaltet denn auch nicht die Geschichte des Drachentöters, sondern eine niederländische Übersetzung des entsprechenden Abschnitts aus Münsters Cosmographia.5 Doch obwohl dieses Flugblatt belegt, dass im 16. Jahrhundert durchaus an der Darstellung von Krokodilen mit gerollten und gewundenen Schwänzen gezweifelt wurde, hielt diese sich, konsolidiert von Kunsttheorie und Symboldenken, mit erstaunlicher Beharrlichkeit.

5. Gessner, Ligozzi und Camerarius

Ihrer Wirkung vermochte sich offenbar auch Konrad Gessner nicht zu entziehen, der den Eintrag über Krokodile in seinem Thierbuch mit zwei Holzschnitten illustrieren ließ, deren größerer ein Nilkrokodil mit einem wenn nicht gerollten, so doch S-förmig nach oben geschnellten Schwanz zeigt. Die Darstellung widerspricht zunächst Gessners Beschreibung der Tiere, die nach einem Überblick über die Nomenklatur in den europäischen Sprachen hauptsächlich antike Kenntnisse über äußere Merkmale, Verhalten, Verbreitung und Fortpflanzung auflistet, um anschließend auch Besonderheiten wie die Nutzbarkeit von Krokodilen in Küche und Pharmazie zu nennen. Unter den Merkmalen betont Gessner insbesondere die harte Panzerung der Krokodile mit Schuppen, die sie annähernd unverletzbar mache und auch den Schwanz überziehe. In der Kompilation aller verfügbaren Quellen bleiben Gessners Ausführungen selten ohne innere Widersprüche, und so bietet auch sein Kapitel über Krokodile einige Ungereimtheiten, denn auf die Beschreibung des Krokodils als panzerstarrendes Geschöpf folgt eine Szene, in der es ebenso grausam wie agil erscheint:

Aber wann die vom Hunger wütend werden/sollen sie sich so grausam erzeigen/daß sie mit einem Schlag ihres Schwanzes auch die allerstärcksten darnieder schlagen/und sie so dann im Grimm aufffressen.1

Auch wenn dieser Passus nicht behauptet, dass Krokodile ihre Schwänze wie auf den Bildern recken und rollen könnten, gibt er einen vagen Hinweis auf die mögliche Verbreitung entsprechender Vorstellungen; sie mag von den zeitgenössischen Bildern angeregt gewesen sein.

Zu den spektakulärsten Krokodildarstellungen dieser Zeit zählt ein Aquarell aus dem Besitz Erzherzog Ferdinands II.2 Das heute Jacopo Ligozzi zugeschriebene Blatt zeigt ein Krokodil in Seitenansicht vor einer Flusslandschaft. Die Merkmale des Krokodils sind naturnah erfasst, insbesondere die Zähne, die Nackenspalte sowie die mit Schwimmhäuten verbundenen Zehen des hinteren Beinpaars. Allerdings ist der Körper des Tiers caudal nach oben gerichtet; aus der Bewegung ergibt sich ein Schwung, in dem der Schwanz in anatomisch unmöglicher Enge nach vorne gebogen ist. Zwei Details scheinen das Tier in einen erzählerischen Zusammenhang zu setzen: In Hintergrund der Landschaft befindet sich eine antikisierend gestaltete Stadtansicht, den linken Vordergrund schließt hingegen ein Haufen menschlicher Knochen ab, darunter ein Schädel und eine Hand.

Das Bild zählte zu einem Konvolut von 100 Blättern, die Ferdinand II. bei Ligozzi in Auftrag gegeben zu haben scheint.3 Sie zeigen überwiegend adriatische Meeresfauna; die Tiere sind überwiegend in Seitenansicht vor neutralem Hintergrund oder allenfalls auf der Andeutung eines Sandstrandes angeordnet sind. Nur eine kleine Gruppe des Codex weist eine umfangreichere landschaftliche Einfassung auf. Wie die Zeichnungen, die Ligozzi für Aldrovandi geschaffen hat, belegt auch diese Sammlung den erkenntnistheoretischen Wert der Bilder, deren Informationsgehalt allein aus Ligozzis präziser Erfassung entsteht.4

Das Krokodilblatt nimmt einen hybriden Status ein, da nicht die Konzentration auf das Tier, sondern die landschaftliche Kontextualisierung es charakterisiert. Christina Weiler meint in den Knochen im Vordergrund die ikonographische Andeutung einer Seelenwanderung zu erkennen, bei der das Krokodil eine Reinkarnation des verstorbenen Menschen darstelle.5 Eher scheint der Knochenhaufen jedoch auf das Potential des Tiers hinzuweisen, Menschen zu fressen; vergleichbare Fraßattribute finden sich auf zahlreichen Darstellungen von Raubtieren im 16. Jahrhundert.6 Die Ruinenkompartimente im Hintergrund mögen hingegen, wie Weiler schreibt, in einem gängigen ikonographischen Sinn auf das Wiederaufleben der Antike und nicht zuletzt die damit verbundene Neubewertung auch der antiken Naturkunde verweisen;7 die auffälligen Obelisken dürften allerdings auch als Verweise auf Ägypten als Verbreitungsgebiet von Krokodilen zu verstehen sein.8 Selbst im Kontext einer zoologischen Bildersammlung hat jedenfalls die Anatomie der Krokodile den Künstlern Schwierigkeiten bereitet. Auch hier deutet die übermäßige Biegung des Hinterleibs auf die gängige Verzerrung der Darstellung.

Die Naturgeschichten Gessners und Aldrovandis hatten ab dem späten 16. Jahrhundert Kompendien bereitgestellt, die über eine rein naturkundliche Erfassung der Arten hinausgingen; gerade die kulturgeschichtlichen Erweiterungen um Sprichwörter und Symbolwert speisten Material in den frühneuzeitlichen Naturdiskurs ein, das in Allegorien umgesetzt wurde.9

Exemplarisch sind die bereits erwähnten Symbola et Emblemata von Joachim Camerarius, eine vierteilige Reihe von Emblembüchern, die ausschließlich Naturmotive beinhalten. Die einzelnen Bücher sind, da sie je einhundert Embleme beinhalten, als Zenturien bezeichnet; das erste behandelt Pflanzen, die drei übrigen die Tiere der Erde, des Himmels und des Wassers. Als bestechende Leistung dieser Bücher wird heute die Exaktheit zahlreicher Pflanzendarstellungen gewürdigt; als Arzt und Botaniker war Camerarius das Studium in einem eigenen Kräutergarten möglich; überdies bezog er Informationen aus der Korrespondenz mit Gelehrten wie Aldrovandi, Francesco Calzolari und Carolus Clusius.10

Trotz dieser empirischen und um Aktualität bemühten Methoden zeigen die Symbola et Emblemata das Fortleben der mittelalterlichen Allegorese unter neuen Gesichtspunkten auf, denn der ordnende Gedanke des Werks besteht in der Suche nach dem verschlüsselten Sinn hinter der sichtbaren Erscheinung der Natur. Dieser ist jedoch nicht theologisch orientiert, sondern ethisch, denn der Körper und seine Triebe erscheinen als Herausforderung, der nur durch eine kontemplative Lebensweise zu begegnen sei.11

Camerarius versah seine Embleme mit einem kulturhistorischen Apparat, der auf den gegenüberliegen Seiten jeweils eine Auflistung von antiken und modernen Quellen als Belege liefert. In diesem philologischen Zugang zur Naturkunde liegt die Verflechtung von Deskriptivem und Sprichwörtlichem seines Emblembuchs begründet; auch Gessner und Aldrovandi hatten die antike Überlieferung als Basis ihrer naturkundlichen Schriften heran gezogen, in der Auswertung jedoch in verschiedene Sparten unterschieden, die Sprichwörter weiterführend beinhalten.12

 

Der Ansatz, das naturhistorische Wissen der Antike in Sinnbildern zu visualisieren und zugleich auf abstrakte Sachverhalte umzumünzen, lässt sich an einem Krokodil-Emblem der zweiten Zenturie exemplarisch nachvollziehen. Das Ikon zeigt ein Krokodil an einem Ufer vor offener See, auf der links ein Schiff fährt, rechts einige Felsen eine Insel bilden. Das Tier selbst kauert im rechten Vordergrund, in leichter Aufsicht von rechts nach links gelagert, über dem nackten Leib eines Mannes und vergießt Tränen, wobei sein Schwanz schlängelnd in die Höhe gerichtet ist. Ein zweiter, ebenfalls nackter Mensch nimmt am linken Bildrand mit erhobenen Armen Reißaus. Verstreute Muscheln kennzeichnen die Litoralzone, in der sich das Geschehen abspielt.

Unter dem Lemma „DEVORAT, ET/PLORAT“, gibt das Epigramm Aufschluss über das zu Sehende: „Non equidem ambigui dictis mihi fidere amici,/Certum est, ut lacrymis nec Crocodile tuis.“13 Das Thema des Emblems sind also wiederum die sprichwörtlichen Krokodilstränen als Zeichen falscher Freundschaft, die bereits Plinius beschrieben hatte und die über das Mittelalter durch die Physiologus-Tradition in Europa bekannt blieben, dort allerdings als Mahnung gegen Opportunismus unter Androhung von Höllenstrafen. Camerarius mag im Übrigen hervorragende Abbildungen von Pflanzen verwendet haben; seine Krokodile sind ästhetisch eher unbeholfene Phantasiegeschöpfe, deren Gestaltung hinter dem zeitgenössischen Kenntnisstand zurückblieb. Gleichwohl zeigt auch hier der flammenförmig nach oben züngelnde Schwanz, dass das Detail als Sinnbild des Hinterhältigen verstanden wurde.

6. Präparate

Einen charakteristischen Stellenwert erlangten Krokodilpräparate in den Sammlungsräumen frühneuzeitlicher Kunstkammern und Naturalienkabinette. Besonders eindrücklich zeigt etwa das 1599 veröffentlichte Frontispiz zum Sammlungsinventar des italienischen Apothekers Ferrante Imperato das Präparat eines Nilkrokodils, das rücklings von der Decke hängt, sodass sein Rückenpanzer zum zentralen Blickfang der mit zahlreichen Kuriositäten bestückten Zimmerdecke gerät (Abb. 2). Die Belebung des Interieurs mit Besuchern verleiht diesem nicht nur eine die Sammlung gleichsam aktivierende Dynamik.1 Indem der Kupferstich die von Imperatos Sohn gehaltene Führung zweier Edelmänner durch die Sammlung zeigt, offenbart er zugleich den sozialen Prestigegewinn, den bürgerliche Naturaliensammler erzielen konnten; Imperato selbst verfolgt das Geschehen in selbstgewisser Haltung an die Rückwand gelehnt, auf Augenhöhe mit dem hohen Besuch, der die Blicke, geleitet von einem Zeigestab, nach dem Krokodil richtet.


Abb. 2: Das Museum des Ferrante Imperato

Dass Krokodilpräparate zu den erstrangigen Sammlungsstücken der Kabinette zählten, belegt auch Willem Swanenburghs 1610 entstandene Darstellung des Hortus Botanicus in Leiden, der ein Vierteljahrhundert zuvor der Universität angegliedert worden war. Die in Vogelperspektive gezeigte Vedute des Gartens schließt am vorderen Bildrand mit einem separaten Streifen ab, auf dem markante Objekte der universitären Sammlung aufgereiht sind. Zu ihnen zählen drei ausgestopfte Krokodilhäute; zumindest die Schwänze der beiden kleineren Exemplare sind schlängelnd nach oben gewunden.

Die frühneuzeitlichen Naturaliensammlungen entsprachen dem Leitgedanken der Naturgeschichte, die göttliche Schöpfung gerade in ihren außergewöhnlichen Formen zu entschlüsseln. Die zentrale Hängung von Krokodilpräparaten mag dabei einerseits deren Größe geschuldet gewesen sein; in der meist symmetrischen Raumorganisation kommt Krokodilen und anderen Überformaten wie Haien und Würgeschlangen gleichwohl ein herausragender Status zu, den sie als quintessenzielle Exoten erfüllen.

Neben dieser wissenschaftlichen Präsentation konnten Krokodilpräparate jedoch auch in der Frühen Neuzeit als Drachen herhalten. Zum lokalen Wahrzeichen geriet etwa ein Krokodil, das Matthias II. 1608 der Stadt Brünn geschenkt hatte und das dort mit einer Legende in Verbindung gebracht wurde, der zufolge ein Drache einst die Stadt in Angst und Schrecken versetzt habe, dann aber durch den Witz und Mut eines Ritters überwältigt worden sei. Als ‚Brünner Drache‘ hängt bis heute ein Nilkrokodil im Durchgang des Alten Rathauses.2 Die Geschichte zeigt einerseits, dass Krokodilpräparate um 1600 zur herrschaftlichen Repräsentation gehören konnten, da sie als exotische Seltenheiten auf Finanzkraft und weitreichende Verbindungen schließen ließen; Matthias selbst soll das Krokodil von einer türkischen Delegation erhalten haben. Andererseits bietet sie eine Variante des Drachenkampfs als verbreiteter Gründungslegende, die in diesem Fall aber nicht auf die historische Christianisierung, sondern auf das städtische Selbstbewusstsein hinzuweisen scheint. Diese Affirmation des eigenen Rangs war in den Reichsstädten um 1600 verbreitet und äußerte sich maßgeblich in öffentlichen Kunstwerken, deren Ikonographie sich auf die Stadtgründungen bezieht. Auf eine annähernd gleiche Gründungssage wie Brno beruft sich etwa auch Klagenfurt, und die Kärntner Stände ließen ihrem Selbstverständnis 1590 in einer monumentalen Brunnenskulptur Ausdruck verleihen, die einen Lindwurm darstellt.3 Der Vergleich mit dem Brünner Drachen ist darin aufschlussreich, dass der Klagenfurter Lindwurm als Mischwesen aus Schlangenleib mit Pranken, Fledermausflügeln und einer Art Hundekopf kaum Merkmale eines Krokodils aufweist, sein typisch gewundener Schwanz aber eindrucksvoll auf die Bemühungen zeitgenössischer Darstellungen schließen lässt, Krokodile einer geläufigen Drachenikonographie anzugleichen.

7. Ikonographie der Erdteile

Den Status des paradigmatischen Exoten, den Krokodile im Sammlungsgefüge von Kunstkammern und Naturalienkabinetten einnahmen, bestätigt auch ihr Einsatz in der Ikonographie der Erdteile. Die Darstellung der vier Kontinente Europa, Asien, Afrika und Amerika als Personifikationen mit charakteristischen Attributen aus Kultur und Natur gehört zu den verbreitetsten Themen frühneuzeitlicher Bildprogramme. Ihre definitive Anweisung formulierte Cesare Ripa in der zweiten Ausgabe seiner Iconologia von 1603, in der er zugleich die eigentliche Bedeutung des Zyklus als Bekräftigung der europäischen Vorrangstellung in der Welt umriss. Demnach solle Europa als Trägerin der einzig wahren Religion mit imperialen Zügen hervorgehoben werden. Ihr und der annähernd gleichwertigen Erscheinung Asiens stehen als unzivilisierte Erdteile Afrika und Amerika gegenüber, die Ripa vornehmlich anhand wilder und gefährlicher Tiere bestimmt. Ripa orientierte sich für seine Entwürfe an antiken Text- und Bildquellen, auf die auch die Personifikation von Ländern bzw. Erdteilen als weibliche Figuren zurückgeht; für die Charakterisierung Amerikas berief er sich auf die Reiseliteratur seit Kolumbus und Vespucci.

Ihr entnahm er auch das für die amerikanischen Indigenen lange Zeit bemühte Stereotyp der Anthropophagie, das auf die vermeintliche Beobachtung von Menschenfleisch in den Vorräten brasilianischer Tupi durch Vespucci zurückging und in Reiseberichten des 16. Jahrhunderts auf grausame Weise bestätigt schien. Ripa schildert die Personifikation Amerikas dementsprechend als menschenfressende Amazone, deren Streitbarkeit durch ihre Bewaffnung mit Pfeil und Bogen und deren Anthropophagie durch einen pfeildurchbohrten Menschenkopf zu ihren Füßen zu verbildlichen sei. Als Begleittier weist er ihr ein Krokodil zu, das nicht nur für die gefahrvolle Fauna Amerikas stehe, sondern als Menschenfresser der Anthropophagie der Personifikation entspreche: „La lucerta, overo liguro sono animali fra gli altri molto notabili in quei paesi, peri òche sono grandi, &fieri, che devorano non solo li altri animali: ma gl’huomini ancora.“1


Abb. 3: Ein Nilkrokodil als Attributtier der Personifikation Afrikas

Noch schärfer als Ripa hatte der niederländische Kupferstecher Adriaen Collaert bereits 1589 ein Krokodil als Alteritätszeichen eingesetzt. In einer Serie von Erdteil-Allegorien nach Entwürfen von Maerten de Vos ordnete er es allerdings nicht Amerika, sondern Afrika als Begleittier zu (Abb. 3). Der muskulöse Akt der Personifikation reitet auf dem von rechts nach links durchs Bild stolzierenden Reptil, das die umgebende Natur geradezu subsumiert. Diese besteht aus einer schroffen Weltlandschaft voll wilder Fauna, im Hintergrund einerseits durch Palmen als exotisch markiert, andererseits durch einen Obelisken und ein Aquädukt auf die Bedeutung Nordafrikas in der Antike verweisend. Die paradigmatische Erscheinung des Krokodils wird links durch die Gegenüberstellung seines Mauls mit dem eines (phantastisch gestalteten) Nilpferds betont, rechts durch die Parallelisierung seines schleifenförmig gewundenen Schwanzes mit einem verschlungenen Schlangenpaar; diese Form wird im linken Mittelgrund überdies in der Figur eines Basilisken aufgenommen, der auf die in der antiken Literatur beschriebenen Wundertiere des afrikanischen Hinterlands verweist und als vermeintlich todbringendes Geschöpf ein besonderes Faszinosum der frühneuzeitlichen Naturkunde bildete.

Das Motiv einer Krokodilreiterin mag bizarr erscheinen, doch dürfte es von einer Plinius-Passage motiviert gewesen sein, der zufolge ein legendäres Volk in Afrika einst Krokodile soweit zu zähmen verstanden hätte, dass es sie als Reittiere nutzen konnte. Collaert gelang durch diese Darstellung jedenfalls die Suggestion beinahe magisch mit der Natur verbundener Ethnien, die einen umso größeren Gegensatz zu den europäischen Kulturgesellschaften bilden, als die von ihnen harmonisierte Fauna als heimtückisch und giftig dargestellt wird.

8. Rubens

Die Vermutung, es habe manipulierte Krokodilpräparate gegeben, deren Schwanz nach dem Vorbild von Drachendarstellungen gerollt war, wird auch von den Krokodilen genährt, die Peter Paul Rubens gemalt hat. Rubens hat in mindestens drei Monumentalgemälden Krokodile dargestellt. Das früheste zeigte Neptun und Amphitrite und verbrannte 1945 in Berlin; auf ihm war das Götterpaar von mythologischen Figuren und wilden Tieren umringt, zu denen auch ein von rechts ins Bild schwimmendes Krokodil gehörte, auf das sich spielerisch eine Nereide lehnte. Die auch auf der fotographischen Reproduktion erkennbare Nahtstelle auf der Nackenspalte lässt darauf schließen, dass Rubens sich an einem ausgestopften Präparat orientiert haben dürfte. Er wiederholte das Motiv auf den Vier Flüssen des Paradieses von 1615, auf denen das Krokodil als Attributtier des Nils von links ins Bild schwimmt und von Putten umspielt wird. Bei beiden Gemälden fällt auf, dass die Krokodile vom Bildrand abgeschnitten werden; nur der allerdings deutlich nach oben gerollte Ansatz ihrer Schwänze ist zu erkennen.

Rubens’ berühmtestes Krokodil ist allerdings das auf der Jagd auf Nilpferd und Krokodil von 1616.1 Das Gemälde zeigt den Höhepunkt des Jagdgeschehens, bei dem die beiden Tiere von drei berittenen Jägern und deren Treibern in die Zange genommen und nun mit Lanzen niedergestochen werden sollen. Im Tumult trampeln sie über einander; grausame Details wie die Quetschungen, die die gefallenen Treiber erleiden, und die Bisse, mit denen sowohl die Hunde als auch ein Pferd ihren Opfern zusetzen, steigern die Dynamik der Darstellung. Sie verdichten auch den Eindruck einer Bewährungsprobe, der die Jagd ikonographisch in Parallele zum Krieg setzte und im kaltblütigen Jäger Ideale des Regierens spiegelte. Hierzu trägt auf Rubens’ Bild die äußerste Wildheit der Beute bei, zumal derartige Exoten in Europa kaum je, zumindest aber nicht lebend zu sehen waren.

Arnout Balis nahm an, dass Rubens das Nilpferd auf der Grundlage von Studien zweier ausgestopfter Exemplare gemalt haben dürfte, die 1601 in Rom ausgestellt worden waren.2 Angesichts der hohen Ähnlichkeit der drei Krokodile, die Rubens gemalt hat, ließe sich für dieses Tier eine ähnliche Vermutung anstellen. Mehr noch scheint es sich um ein manipuliertes Präparat mit nach oben schlängelndem Schwanz gehandelt zu haben, den Rubens zweimal durch den Bildrand abschnitt, in der Jagd auf Nilpferd und Krokodil hingegen überzeugend in die Komposition eintragen konnte, da dieses Krokodil zwischen den Jägern und dem Nilpferd eingeklemmt erscheint. Es sei im Übrigen erwähnt, dass Rubens mit dem Thema kaum am zeittypischen Exotismus gelegen haben dürfte; eher scheint der Bericht über ein römisches Relief, auf dem eine Krokodiljagd dargestellt war, den humanistisch gelehrten Künstler zur Nachbildung des Sujets motiviert zu haben.3

 


Abb. 4: Soutmans Kupferstich nach Rubens’ Jagd auf Nilpferd und Krokodil

Rubens’ Jagdgemälde wurde in der druckgraphischen Version seines Kupferstechers Pieter Claesz. Soutman vervielfältigt (Abb. 4). Von dieser Vorlage übernahm der flämische Maler Jan van Kessel Rubens’ Nilpferd und Krokodil für einen 1664–1666 entstandenen Erdteile-Zyklus, der auf vier von jeweils sechzehn kleinformatigen Landschaften umgebenen Allegorien das Thema ausreizt. In womöglich bewusster Analogie zur Kompilatorik der zeitgenössischen Naturgeschichte versammelte van Kessel dafür eine Unzahl von Bildvorlagen aus zoologischen Publikationen und Reiseberichten, die er gleichberechtigt mit Tierdarstellungen aus der flämischen Malereitradition verband, und versah die allegorischen Bilder so mit dem Anschein wissenschaftlicher Präzision.


Abb. 5: Jan van Kessels Ansicht von Havanna

Die Ansicht von Havanna zeigt Krokodil und Nilpferd in einem neuen Zusammenhang, in dem sie nicht von Jägern bedrängt werden, sondern als vermeintliche Vertreter der kubanischen Fauna erscheinen, die mit Imponiergehabe um ein erlegtes Krokodil streiten; ein weiteres Krokodil reckt von rechts den Kopf in die Szene, während verstreute Knochen, darunter der Kinnbacken eines Esels sowie ein Menschenschädel, auf vergangene Fressräusche schließen lassen. Van Kessel münzte Rubens’ Vorlage damit auf die Amerika-Ikonographie um und setzte die kannibalischen Krokodile in Analogie zur angeblichen Anthropophagie der amerikanischen Indigenen.4 Hatte Rubens versucht, die unwahrscheinliche Schanzenform des Krokodilschwanzes in der dicht gedrängten Komposition zu kaschieren, so scheint van Kessel sie als Zeichen für das durchtriebene Verhalten des Tiers extrapoliert zu haben. Dies erscheint umso naheliegender, als der Maler auch mehrere Krokodilmotive nach Camerarius in den Erdteile-Zyklus integriert hat; die Reptilien zucken und schlängeln und verheißen nichts Gutes in den fernen Gefilden.


Abb. 6: Maria Sibylla Merians Kampf zwischen einem Kayman und einer Korallenschlange