Theorien der Literatur VII

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2. Goethes Italienische Reise: literarische Betrachtung des eigenen Sehe-Punktes

Goethes Blick ist eigentlich nie auf Italien gerichtet, er sieht immer das Bild bzw. den Text davor oder dahinter oder aber er betrachtet seine Perspektive selbst. Gerade diese Thematisierung der Perspektive macht das spezifisch Literarische für ihn aus, ist das, was die Literatur der Vedutenmalerei entgegen zu setzen hat, auch wenn sie sie für sich funktionalisiert: Die literarische Reisebeschreibung Goethes beschreibt nicht das, was das reisende Ich sieht (das erschöpft sich sowieso in dem, was durch Bilder bekannt ist), sondern sie fokussiert auch den perspektivischen Ausgangspunkt des Reisenden. Goethe bringt in seiner Italienischen Reise die fast erdrückende Überlegenheit bildkünstlerischer Reisedarstellungen gegenüber der Reiseliteratur zum Ausdruck. Insbesondere Goethes Sizilienreise1 ist ein Gang durch eine Bildergalerie. Goethe beschreibt und betrachtet nicht Landschaft, sein Reisebericht ist Ekphrasis im Paragone der Künste:

Mit keinen Worten ist die dunstige Klarheit auszudrücken, die um die Küsten schwebte, als wir am schönsten Nachmittage gegen Palermo anfuhren. Die Reinheit der Konture, die Weichheit des Ganzen, das Auseinanderweichen der Töne, die Harmonie von Himmel, Meer und Erde. Wer es gesehen hat, der hat es auf sein ganzes Leben. Nun versteh’ ich erst die Claude Lorrains und habe Hoffnung, auch dereinst in Norden aus meiner Seele Schattenbilder dieser glücklichen Wohnung hervorzubringen.2

Goethe nutzt hier den literarischen Text, um ihn zugleich in seiner mimetischen Kompetenz in Frage zu stellen. Die Ansicht Siziliens vermag er zu erfassen („Mit keinen Worten“), literarische Sprache vermag allenfalls als Ekphrasis verweisende Kraft zu entfalten („Konture“, „Ganzes“, „Töne“, „Harmonie“), ansonsten wird ihr Versagen bescheinigt. Goethes Italienische Reise beschreibt nicht das einmalige, ‚authentische‘ Reiseerlebnis, sondern ist immer schon Wiederholung einer bereits gemachten und künstlerisch repräsentierten Erfahrung und verweist vom erlebten Moment („wer es gesehen hat“) weg: erstens durch die Generalisierung des individuell-subjektiven Erlebens, zweitens durch die Perspektive auf die zeitüberdauernde Bedeutung („der hat’s auf ein ganzes Leben“). Die Transformation subjektiven Erlebens in im Wortsinn medialisierte Wahrnehmung bedarf keines externen Mediums mehr: Goethe nutzt hier nicht mehr wie seit dem 17. Jahrhundert und auch noch bei seinen Zeitgenössen beliebt das Claude-Glas, um sein Landschaftserleben dem von Lorrain künstlich anzugleichen, sondern es stellt sich quasi auf unvermittelte (und insofern fast schon wieder authentische) Weise die Wahrnehmungsähnlichkeit mit der bildkünstlerischen Vermittlung Claude Lorrains her. Aber alle sich andeutende Unmittelbarkeit des sehenden Erlebens wird sogleich in den Horizont zukünftiger Erinnerung („dereinst im Norden“) gerückt. Goethes literarisches Italien-Bild ist bei Goethe nie Original und Urbild, sondern gegenwärtig erinnerter Teil des kulturellen Bildgedächtnisses (Lorrain) oder in Aussicht gestelltes eigenes literarisches ‚Schattenbild‘, stets Mimesis seiner selbst.

In Goethes Italienischer Reise lassen sich aber auch Hinweise auf eine selbstbewusstere Konzeptionalisierung des Literarischen ausmachen, die Literatur nicht nur als pictura loquens, sondern als charakteristische Kunst mit Potentialen beschreibt, die jenseits dessen liegen, was die Malerei zu bieten hat. So beschreibt Goethe seine Ankunft mit dem Schiff auf Sizilien:

Anstatt ungeduldig ans Ufer zu eilen, blieben wir auf dem Verdeck, bis man uns wegtrieb; wo hätten wir einen gleichen Standpunkt, einen so glücklichen Augenblick so bald wieder hoffen können! […] Der Wirt [unseres Gasthofs], ein alter behaglicher Mann, von jeher Fremde aller Nationen zu sehen gewohnt, führte uns in ein großes Zimmer, von dessen Balkon wir das Meer und die Reede, den Rosalienberg und das Ufer überschauten, auch unser Schiff erblickten und unsern ersten Standpunkt beurteilen konnten.3

Goethe beschreibt nicht Sizilien, er beschreibt seinen Sehe-Punkt (den Standort seines Blicks) auf Sizilien, und dann den Sehe-Punkt (Balkon) auf seinen vorherigen Sehe-Punkt (Schiff). Er unterstreicht mit dem Verweis auf die Sehgewohnheiten des Gastwirtes im Kontext der Reisekonjunktur („von jeher Fremde aller Nationen zu sehen gewohnt“), inwiefern es ihm um die „Gewohnheiten“ des Betrachtens geht und deren Aufbrechen durch eine literarische Perspektivänderung: nicht die Ansicht des Bereisten, sondern der perspektivische Ausgangspunkt der Ansicht selbst wird zum Gegenstand literarischer Darstellung.

3. Giacomo Leopardi: Rückblicke des lyrischen Ich ‚im Bild‘ der Grandtouristes

Eine ähnliche Umkehrung des Reiseblicks, die für dessen spezifisch literarische und nicht bildkünstlerische Repräsentation steht, lässt sich auch bei Giacomo Leopardi ausmachen. Mein Beispiel ist hier das Gedicht La Ginestra o il fiore del deserto, das 1836 entstanden ist und die ‚Canti‘ Leopardis in der postumen Ausgabe von 1845 beschließt. Leopardi setzt sich in diesem berühmten Canto mit dem europäischen Grand Tour und seinen literarischen Folgen auseinander, das lyrische Ich, platziert am Fuße des Vesuv, präsentiert seine andere Sicht auf die Dinge und grenzt sich dabei dialogisch von den Grandtouristes ab.1 Der Blick des lyrischen Ich am Fuße des Vesuv wird hier in ein paragonales Verhältnis zu dem von Gemälden präformierten Blick der Reisenden gesetzt.2 Das lyrische Ich setzt sich ins Bild der Vedutenmaler und erwidert ihren Blick. Es entwickelt eine wahrnehmungsästhetische und perspektivische Opposition zur europäischen Reisekultur, ein Paragone zwischen italienischer Lyrik und europäischer Vedutenmalerei.

Das lyrische Ich des Canto positioniert sich und seine unerwiderte Rede an den Ginster bereits am Gedichtbeginn an einer der wichtigsten Stationen des Grand Tour: am Vesuv. Wie bedeutsam diese örtliche Positionierung für alles weitere ist, zeigt sich daran, dass das lyrische Ich hinter der beschreibenden Ortsbestimmung zurücktritt, indem das Gedicht mit der Lokalpräposition „Qui“ bzw. mit der adverbialen Bestimmung des Ortes einsetzt. Erst in der fünften Zeile gibt es sich durch die beginnende Du-Anrede des gelb-duftenden Ginsters implizit und in Vers 7 durch „ti vidi“ auch explizit zu erkennen:

Qui su l’arida schiena / Del formidabil monte / Sterminator Vesevo / La qual null’altro allegra arbor né fiore, / Tuoi cespi solitari intorno spargi, Odorata ginestra, / Contenta dei deserti. Anco ti vidi / De’ tuoi steli abbellir l’erme contrade / Che cingon la cittade / La qual fu donna de’ mortali un tempo, / E del perduto impero / Par che col grave e taciturno aspetto / Faccian fede e ricordo al passeggero.3

Bemerkenswert sind drei weitere Aspekte, die bereits hier auf den Deutungszusammenhang des Gedichtes mit der Reisekultur verweisen: Erstens und besonders deutlich die Erwähnung des „passeggero“ in Zeile 13, zweitens die Betonung des Gesichtssinns bzw. des Anblicks („ti vidi“ 7, „taciturno aspetto“ 12), und drittens der im Titel prominent vorangestellte und in Zeile 7 wiederholte Verweis auf die Wüstenhaftigkeit des Ortes („fiore del deserto“ / „contenta dei deserti“): Er assoziiert den Canto von Beginn an mit Corinne ou l’Italie (zudem weisen beide Werke die Oder-Struktur im Titel auf) bzw. mit dem berühmten Fluchtimpuls der Protagonistin Corinne beim Anblick des Vesuvs: „Cher Oswald, dit Corinne, quittons ce désert […].“4 Während Corinne und Oswald am Krater des Vesuv, Höhe- und Wendepunkt des Grand tour, die Flucht ergreifen, bleibt das lyrische Ich bei Leopardi provokativ sitzen und fordert den Betrachter ironisch auf, zum aufklärerischen Fortschrittsoptimismus angesichts dieser wenig einladenden Landschaft auf Distanz zu gehen:

A queste piagge / Venga colui che d’esaltar con lodo / Il nostro stato ha in uso, e vegga quanto / È il gener nostro in cura / All’amante natura. […] Dipinte in queste rive / Son dell’umana gente / Le magnifiche sorti e progressive.5

Wenn Leopardi in La Ginestra also ironisch vom in die Landschaft eingemalten Bild spricht („Dipinte in queste rive / Son dell’umana gente / Le magnifiche sorti e progressive“), so bezieht sich seine ironische Distanz nicht nur auf die Deutung des Bildes (als Gegenbeweis aufklärerisch fortschrittsverheißenden Optimismus‘), sondern auch auf Bildevokationsverfahren der Reiseliteratur, für das Goethes Italienische Reise steht.

Das lyrische Ich und der Ginster sind im Vergleich mit dem Reisenden durch einen anderen Blick und ein anderes Raumverhältnis gekennzeichnet. So erblickt das lyrische Ich am Vesuv nichts Unbekanntes, sondern erlebt ein Wiedersehen mit dem Ginster (Or ti riveggo, 14), und die das Gedicht von Beginn an prägende Dialogform betont diese die Fremderfahrung des Reisenden konterkarierende Vertrautheit. Das ‚Sitzen‘ des Ginster („tu siedi, o fior gentile“, 34) und das wiederholte standortfixierende „Qui“ (1, 42, 52) stehen der Reisebewegung gegenüber („i passi del peregrin“, 20). Während die Reiseberichte topisch die Einmaligkeit und Exklusivität des Vesuv-Erlebnisses hervorheben, betont La Ginestra das Vesuv-Erlebnis als Gewohnheit, die nicht mit Bewegung im Sinne von Reisen oder Besteigen verbunden ist, sondern mit dem unbeweglichen Sitzen auf vertrautem Boden: „Sovente in queste rive […] seggo la notte“.6 Damit setzt sich das lyrische Ich im wörtlichen Sinne ‚ins Bild’: Es platziert sich in demjenigen Landschaftsgemälde des Vesuv, das in den literarischen Reiseberichten geradezu topisch von einem Fenster gerahmt wurde.7 Die demonstrative Sesshaftigkeit des lyrischen Ich im Landschaftsbild der Reiseberichte konterkariert damit die Weltsicht, die Beschreibungsästhetik und die Landschaftswahrnehmung der Fahrenden: „Il suol ch’io premo“8 bietet stattdessen den Erkenntnisgewinn und bezeichnet den unbewegten Perspektivpunkt auf die Dinge. Dass Leopardi diese den Reiseblick umkehrende Sitz-Position nicht im privilegierten literarischen Format der Reisekultur – im von Prosa dominierten Genre Reiseroman oder Reisebericht – verortet, sondern dem lyrischen Ich eines Canto zuschreibt, ist als ein zusätzliches Plädoyer im Kontext des Paragone-Diskurses zu werten.

 

4. Émile Zola: Manets Porträt und das literarische Porträtiertwerden

Auch für Émile Zola scheint das Spezifikum der Literatur im Potential der perspektivischen Umkehrung zu liegen. Vordergründig ist in seinen Ausführungen im Salon de 1876 eine Eloge des Malers Manet zu lesen, die jedes Wettstreit-Gedankens entbehrt. Er preist den von den Zeitgenossen verachteten Maler als einen der wenigen, die dem bürgerlichen Zeitgeist nicht folgen – einem Zeitgeist, der versucht, die Photographie zum Maßstab aller Dinge zu machen und die Maler dazu verführt, mit Mitteln der Malerei kunstvergessen der Photographie nachzueifern. So schreibt Zola:


Abb. 1: Gustave Caillebotte (1848–1894): Les raboteurs de parquet. 1875. Öl auf Leinwand. H. 102; L. 146.5 cm. © RMN-Grand Palais (Musée d‘Orsay).

Caillebotte a exposé Les Raboteurs de parquet et Un jeune homme à sa fenêtre, d’un relief étonnant. Seulement, c’est une peinture tout à fait anti-artistique, une peinture claire comme le verre, bourgeoise, à force d’exactitude. La photographie de la réalité, lorsqu’elle n’est pas rehaussée par l’empreinte originale du talent artistique, est une chose pitoyable. (Émile Zola, Salon de 1876).1

Armselig ist eine photographische Malerei, die nicht erhoben wird durch den einzigartigen Abdruck, den künstlerisches Talent zu hinterlassen vermag. Als einer der Wenigen ergreift er für Manets Kunst Partei – und Manet bedankt sich bei seinem Fürsprecher mit einem Porträt.2 Dieses Porträt wiederum nimmt Zola zum Anlass einer Bildbeschreibung,3 die vordergründig nichts darüber verrät, was Literatur vermag und wie ihre Position im Paragone der Künste einzuschätzen ist. Bei näherer Betrachtung wird jedoch deutlich, dass Zola hier einerseits Manet als herausragenden naturalistischen Künstler ehrt, zugleich aber auch klarstellt, dass die naturalistische Malerei an die naturalistische Literatur nicht heranreichen kann.4 Manet reflektierte selbst über die Grenzen ‚seiner‘ Kunst5 – Zola hätte diese Grenzen offensichtlich gerne noch enger gezogen und kritisierte bereits im Jahr 1866: „Nos artistes sont des poètes. C‘est là une grave injure.“ Entsprechend ist sein Lobpreis Manets mit Vorsicht zu genießen – es währte ohnehin nur so lange, wie Manet der naturalistischen Ideologie zu folgen schien und wurde hart widerrufen, als Manet sich später dem Impressionismus zuwandte.6 Die Doppelbödigkeit seines Zuspruchs zeigte sich auch in seiner ‚Danksagung‘ an den Schöpfer seines Porträts, wie im Folgenden zu zeigen ist.


Abb. 2: Edouard Manet (1832–1883) Emile Zola. 1868. Öl auf Leinwand. H. 146.5; L. 114 cm. © RMN-Grand Palais (Musée d‘Orsay).

Zola stellt seine Ekphrasis unter das Vorzeichen der Erinnerung:

Je me rappelle les longues heures de pose. Dans l’engourdissement qui s’empare des membres immobiles, dans la fatigue du regard ouvert sur la pleine clarté, les mêmes pensées flottaient toujours en moi, avec un bruit doux et profond. […]7

Die Retrospektive auf die Vergangenheit tritt an die Stelle präsentischer Bildbetrachtung. Taubheit und Schläfrigkeit assoziiert sein Gedächtnis, einen un-sinnlichen Zustand. Zudem bezieht Zola sich auf eine Sinnesempfindung, die im toten Winkel der Malerei liegt: den Hörsinn. Weiter heißt es:

Par moments, au milieu du demi-sommeil de la pose, je regardais l’artiste, debout devant sa toile, le visage tendu, l’oeil clair, tout à son oeuvre. Il m’avait oublié, il ne savait plus que j’étais là, il me copiait comme il aurait copié une bête humaine quelconque, avec une attention, une conscience artistique que je n’ai jamais vues ailleurs. [….]8

Zola wendet die Perspektive des Malers und des Bildbetrachters gleichermaßen um: Sein autobiographisches Ich als Objekt der bildlichen Darstellung erwidert den Blick, schaut aus dem Bild heraus. Er erinnert sich, während der Maler ihn während des Malens zu vergessen haben scheint – auch hier ein Verweis auf den Paragone der Künste als Medien von Erinnerung und Gedächtnis. In Zolas Bildbeschreibung folgt ein Dialog, ausgelöst durch dessen Vorschlag, bei der künstlerischen Darstellung der Imagination größeren Raum zu geben:

Ce qui m’a étonné moi-même a été la conscience extrême de l’artiste. Souvent, quand il traitait un détail secondaire, je voulais quitter la pose, je lui donnais le mauvais conseil d’inventer. ‘Non, me répondait-il, je ne puis rien faire sans la nature. Je ne sais pas inventer. Tant que j’ai voulu peindre d’après les leçons apprises, je n’ai produit rien qui vaille. Si je vaux quelque chose aujourd’hui, c’est à l’interprétation exacte, à l’analyse fidèle que je le dois.’ Là est tout son talent. Il est avant tout un naturaliste.9

Zola wendet Manets Eingeständnis des imaginativen Unvermögens als malerisches Talent im Zeichen naturalistischer Ideale – vergleicht man diese Äußerung jedoch mit den in Le Roman expérimental vertretenen Positionen, so wird deutlich, dass der hier entwickelte und scheinbar mitgetragene Gegensatz von Imagination und detailgetreuer Analyse für die Literatur keine Geltung hat. Der literarische Naturalismus Zolas vermag seinem Programm nach Positivismus und künstlerische Schöpfungskraft zu vereinen. Zwar überlässt sich der naturalistische Roman nicht der ‘reinen Imagination’, versucht seinen sentiment personnel zu kontrollieren und sieht sich an Beobachtung gebunden, wie Zola schreibt:

[…] c’est l’investigation scientifique, c’est le raisonnement expérimental qui combat une à une les hypothèses des idéalistes, et qui remplace les romans de pure imagination par les romans d’observation et d’expérimentation.10

Jedoch ‘dirigiert’ der naturalistische Dichter nach der Poetik Zolas die positivistisch beobachteten Tatsachen in seinem Werk so, dass es die Mechanismen der Wirklichkeit ersten Grades zur Darstellung zu bringen vermag. Hier entsteht der für die Literatur notwendige Freiraum, der sich von ‚reiner Beobachtung‘ genauso emanzipiert weiß wie von reiner Imagination:

Nous partons bien des faits vrais, qui sont notre base indestructible; mais, pour montrer le mécanisme des faits, il faut que nous produisons et que nous dirigions les phénomènes; c’est là notre part d’invention, de génie dans l’œuvre […] Ainsi donc, au lieu d’enfermer le romancier dans des liens étroits, la méthode expérimentale le laisse à toute son intelligence de penseur et à tout son génie de créateur.11

Und auch die folgende Passage ist nur bei naiver Lektüre als Ausdruck ungebrochener tiefster Bewunderung zu sehen:

Ce portrait est un ensemble de difficultés vaincues ; depuis les cadres jusqu’au fond, depuis le charmant paravent japonais qui se trouve à gauche, jusqu’aux moindres détails de la figure, tout se tient dans une gamme savante, claire et éclatante, si réelle que l’oeil oublie l’entassement des objets pour voir simplement un tout harmonieux.12

Die Malerei tut sich schwer, sie ist bei der von Zola als Ideal gesetzten naturalistischen Darstellung mit Hindernissen konfrontiert, die Manet als Ausnahmeerscheinung überwunden hat, sein Werk aber trotzdem noch als ein Ensemble dieser genommenen Hürden erscheinen lässt – wenngleich eine Hürden-Komposition, die einen harmonischen Gesamteindruck erzielt, weil das Auge die Disparatheit ‚vergisst‘ – ein kleiner Seitenhieb auf die Malerei, die von der Schwäche des leicht täuschbaren menschlichen Gesichtssinnes profitiert. Zola fährt fort und bedient sich der rhetorischen Figur der Paralipse, um auf die Detailhaftigkeit aufmerksam zu machen, für die er Manet schätzt – auch wenn die naturalistische Malerei grundsätzlich nicht an die Literatur heranzureichen vermag:

Ich spreche erst gar nicht von den Objekten, von den Accessoires und Büchern, die auf dem Tisch herumliegen: Edouard Manet hat sich hier als Meister bewährt. Sondern ich empfehle ganz besonders die auf dem Knie der Figur ruhende Hand; das ist ein Wunderwerk. Hier endlich einmal Haut, echte Haut, ohne lächerliche Augentäuschung.13

Das ‚Wunderwerk‘ besticht nach Zola gerade dadurch, dass es seine ‚Echtheit‘ nicht aus dem Versuch gewinnt, das Auge zu täuschen und die Grenzen zwischen Realität und Kunst zu vermischen. Mimesis bedeutet immer Wirklichkeit zweiten Grades, und Literatur und Malerei werden gleichermaßen lächerlich, wenn sie das zu vertuschen suchen.

In einer noch grundsätzlicheren Hinsicht und durch eine grundlegende Strategie ist die Bildbeschreibung Zolas Auszug aus dem Salon de 1868 nicht nur Lob des naturalistischen Malers, sondern ein Plädoyer im Kontext der Paragone-Debatte: Zola entscheidet sich für ein ekphrastisches Künstlerlob, das zugleich auf jene blinde Flecken des bzw. eines jeden Gemäldes verweist, die in den Bereich spezifisch literarischer Kompetenzen fallen. Zolas ‚Bildbeschreibung‘ ist keine Beschreibung des Porträts, sondern eine Beschreibung seines Herstellungsprozesses. Er beschreibt, wie der Künstler Manet ihn malte und vor allem, welche Perspektiven der Rückblick des Porträtierten eröffnete und welche Bereiche des (geräuschvollen) Fühlens und Denkens für den Maler unerreichbar bleiben mussten – trotz aller ‚naturalistischer‘ Professionalität. Die Umkehrung des Blicks und die Flexibilität der Fokalisierung sind es, die die Literatur in die Waagschale der Künste wirft. Der Paragone zwischen Photographie einerseits und Malerei und Literatur andererseits wäre für Zola leicht entschieden.14 Im Paragone zwischen naturalistischer Malerei und naturalistischer Literatur sieht sich Zola gezwungen, subtiler zu argumentieren. Dass er sich dabei in die Argumentationstradition von Lessings Laokoon stellt, ist offensichtlich.