Unterwegs zu einer Ethik pastoralen Handelns

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Salus animarum – suprema lex. Der Beitrag des Kirchenrechts zu einer Ethik der Seelsorge

Markus Graulich

Im Jahr 906 veröffentlicht Abt Regino von Prüm († 915)1 sein Sendhandbuch,2 welches vor allem als Hilfestellung für den Bischof bei der Visitation der Diözese und dem dabei abzuhaltenden Sendgericht3 gedacht ist. In Form von Fragen, welche der Bischof Klerus und Volk während der Visitation zu stellen hat, lässt Regino erkennen, welche Standards im pastoralen Handeln und in der Glaubenspraxis im Mittelalter gelten und gibt zugleich einen originellen Einblick in das Kirchenrecht seiner Zeit, denn jede der 185 Fragen wird mit einem oder mehreren Texten der universalen und partikularen kirchlichen Gesetzgebung belegt.

Einige der Fragen, welche Regino den Bischof stellen lässt, sind leicht und eindeutig zu beantworten, so etwa die Frage nach der Beschaffenheit von Kelch, Hostienschale und Korporale (Fragen 6 und 7), nach dem Vorhandensein der für die Feier der Hl. Messe und der anderen Sakramente erforderlichen Bücher (Fragen 10 und 11), der priesterlichen Gewänder (Frage 12) oder der ausreichenden Zahl von Kerzen (Frage 13). Schwieriger ist es schon, Antworten auf die Fragen nach dem Lebenswandel des Seelsorgers zu finden, etwa danach, „ob er in Verdacht ist wegen einer Frau oder er in sein Haus eine Frau eingeschmuggelt hat“ (Frage 18), „ob er die Kranken besucht, ob er ihnen Absolution erteilt“ (Frage 19), ob er Geld für die Sakramentenspendung nimmt (Frage 20) oder die Sakramente an Unwürdige spendet (Frage 39), „ob durch die Nachlässigkeit des Priesters irgendein Kind in der Pfarrei ohne Taufe gestorben ist“ (Frage 21), ob er trunk- oder streitsüchtig ist (Frage 21), ob er betet (Frage 28-29), „ob er dem Volk das Wort Gottes verkündet“ (Frage 33), „ob er Sorge trägt für Arme, Fremde und Waisen und sie, wenn es ihm möglich ist, zu seiner Mahlzeit einlädt“ (Frage 35), ob er zur Glaubensverkündigung in der Lage ist (Frage 82; 95) oder ob er die liturgischen Gebete und Vorschriften kennt (Frage 83-92).

Während die erste Gruppe von Reginos Fragen eher zu dem gehört, was landläufig unter Rechtsnormen verstanden wird, ist dies im Hinblick auf die zweite Gruppe von Fragen nicht so eindeutig zu sagen. Ihre Beantwortung reicht auch in den Bereich des ethisch relevanten Verhaltens bzw. ethisch relevanter Grundhaltungen hinein.

Wenn vor dem Hintergrund des historischen Beispiels von Reginos Sendhandbuch im Folgenden der Frage nachgegangen werden soll, worin der Beitrag des Kirchenrechts zu einer Ethik pastoralen Handelns liegen kann, ist daher zunächst etwas über die Eigenart des Kirchenrechts zu sagen, das sich nicht einfach auf die positiv-rechtlichen Normen reduzieren lässt, sondern sehr eng mit der Ethik bzw. mit der Moral verknüpft ist, und in ihnen seine Grundlage und seine Voraussetzung hat. Rechtspflichten und das Ethos des Handelns liegen im Kirchenrecht enger beieinander, als dies etwa in der staatlichen Rechtsordnung der Fall ist.

1. Die Eigenart des Kirchenrechts

Das Recht der Kirche ist nicht nur vom Begriff der Kirche her zu bestimmen und als eine Funktion des Kirchenbegriffs zu betrachten. Das Recht der Kirche hat es immer auch mit dem Selbstverständnis des Menschen zu tun, das sich in seinen verschiedenen Dimensionen im Lauf der Geschichte auch in rechtlichen Institutionen zum Ausdruck bringt, weshalb das Recht als eine Realität anzusehen ist, die an der Geschichtlichkeit des Menschen teilhat.4 Andererseits soll das Kirchenrecht auch immer an das neutestamentliche Ethos, an die Verkündigung und den Anspruch Jesu rückgebunden sein.5 In der Kirche sind daher Rechtsordnung und Heilsordnung zwar zu unterscheiden, aber nicht strikt voneinander zu trennen. Der vorpositive Grund der einzelnen Normen tritt im Kirchenrecht deutlicher hervor und spielt eine größere Rolle, als im staatlichen Recht. Was Kirchenrecht ist, wird auf der Grundlage der neutestamentlichen Heilsökonomie bestimmt. Von ihr her ergeben sich sowohl die pastorale Zielsetzung, als auch die Verhältnisbestimmung zwischen Recht und Ethos, denn „die communio fidelium ist ja nicht nur eine Glaubensgemeinschaft, sondern auch eine sittliche Bewährungsgemeinschaft, ungeachtet der begrifflichen Unterscheidung zwischen Glauben und Sittlichkeit. Die ‘salus animarum’ ist an sittlichen Einsatz gebunden, wie des näheren auch immer das Zuordnungsverhältnis beider aussieht.“6

In gewisser Weise kommt dem Recht in der Kirche so etwas wie eine ethosstützende Funktion zu. Selbstverständlich gibt es auf Grund der Geschichtlichkeit der Erkenntnis und der Vielfalt der Kulturen auch in der Kirche eine gewisse Ungleichzeitigkeit, Rhythmusverschiebungen, unterschiedliche Freiheitsstände, welche der kirchliche Gesetzgeber zu berücksichtigen hat. Aber hinter all dem steht doch ein gemeinsames Menschenbild, das über hermeneutische Prozesse in die Erarbeitung des Rechts eingeht.7

Dadurch ist es möglich, dass das Kirchenrecht den Menschen tiefer erreicht, und nicht nur – wie dies bei der staatlichen Rechtsordnung oft der Fall ist – eine rein äußere und äußerlich bleibende Größe darstellt. Es muss zwar darauf geachtet werden, Recht und Ethik zu unterscheiden, da sie zwei verschiedenen Bereichen angehören. Dennoch stehen sie aber nicht ohne Beziehung einander gegenüber, sondern die kirchenrechtliche Norm hat ihre Basis in der ethischen Norm und bleibt auf diese hin durchlässig, ohne dass das Recht die Moral ersetzen oder einholen könnte. Die moralischen Normen binden das Gewissen, die juristischen Normen das äußere Verhalten des Menschen, das aber von der moralischen Grundlage nicht zu trennen ist.

Aufgabe des kirchlichen Rechts ist es, auf der Grundlage des ius divinum und vor dem Hintergrund der Vorgaben des Lehramtes eine Rechtsordnung zu gestalten, welche der Sendung und den Zielen der Kirche gerecht wird, und zugleich Wege zu finden und aufzuzeigen, wie die Formen und Zuständigkeiten der konkreten Teilhabe an Handeln und Vollmacht der Kirche rechtlich geregelt werden können. Ordnung und Schutz der Pflichten und Rechte aller Gläubigen haben im Kontext der Communio des Volkes Gottes besondere Beachtung zu finden. Zugleich hat die Rechtsordnung der Kirche auf das Heil der Seelen ausgerichtet zu bleiben (salus animarum – suprema lex), was es erforderlich macht, dass dem Kirchenrecht auch eine gewisse Flexibilität eignet, ohne dass dadurch sein Rechtscharakter verloren gehen würde. Das Kirchenrecht hat das Ziel, der Gemeinschaft des Volkes Gottes eine Ordnung zu geben, vor deren Hintergrund und mit deren Hilfe sich die Sendung der Kirche verwirklichen lässt.

Das kirchliche Recht hat dabei jeweils von der Glaubensentscheidung des Einzelnen, von der je größeren Gerechtigkeit der Heilsbegegnung mit dem Christusereignis auszugehen, die an der Basis christlicher Existenz steht, die erst die Beziehungen innerhalb der Gemeinschaft der Glaubenden zur Folge hat und sich rechtlicher Festlegung im Letzten radikal entzieht. „Sie kann immer nur über ihre anthropologischen und moralischen Implikationen erreicht werden. Kirchliches Recht stellt angesichts dessen einen äußeren Kreis dar, der sich um eben dieses prinzipiell unerreichbare Ziel legt.“8 Deshalb ist auch das Recht der Kirche dem „je mehr“ des persönlichen Einsatzes verpflichtet. Es will moralisch-ethischen Einsatz nicht eingrenzen, sondern ein Minimum festlegen.

Kirchliches Recht „ist Initialzündung, die immer über sich hinausweist. Es ist transparent auf Heilsbegegnung hin.“9 Der Gesetzgeber vertraut darauf, dass sich die Sendung der Kirche zur Erreichung ihrer Ziele auch anderer Mittel als des Rechts bedienen kann, ohne dass dieses deshalb seinen Platz in der Kirche und seine Notwendigkeit verlöre. So stellte auch Papst Johannes Paul II. bei der Promulgation des derzeitig gültigen Gesetzbuches der Katholischen Kirche fest, „dass es keineswegs der Zweck des Codex sein kann, im Leben der Kirche den Glauben, die Gnade, die Charismen und vor allem die Liebe der Gläubigen zu ersetzen. Im Gegenteil, der Codex zielt vielmehr darauf ab, der kirchlichen Gesellschaft eine Ordnung zu geben, die der Liebe, der Gnade und den Charismen Vorrang einräumt und gleichzeitig deren geordneten Fortschritt im Leben der kirchlichen Gesellschaft wie auch der einzelnen Menschen, die ihr angehören, erleichtert.“10

2. Kirchenrechtliche Bausteine einer Ethik pastoralen Handelns

Wenn es um die Formulierung einer Ethik des pastoralen Handelns geht, kommt das Kirchenrecht in der Regel nicht unbedingt in den Blick, oder aber es wird als unzureichend zurückgewiesen. So stellen Rosenberger u.a. in der Präambel ihres vor wenigen Jahren vorgelegten „Ethikkodex professioneller Seelsorger“ fest, dass „das allgemeine (Kirchen-)Gesetz nur den Rahmen abstecken [soll; M.G.], innerhalb dessen sich ergänzend und konkretisierend Berufskodizes bilden, die sich die Berufsgruppen in ihrer Eigenständigkeit und Eigenverantwortung selber geben.“11

Dies verkennt die vorher dargelegte ethische Grundlegung des Kirchenrechts, das – so die hier zu vertretende These – selbst schon Bausteine einer Ethik pastoralen Handelns enthält, welche von der konkreten Norm geschützt werden und dieser zugleich zu Grunde liegen. Das gilt sowohl für den Begriff und das Selbstverständnis der Seelsorge, als auch für die Grundhaltungen, welche sie kennzeichnen und die in den einzelnen Tätigkeitsfeldern anzuwendenden Leitlinien pastoralen Handelns.12

Wenn hier nun solche Bausteine einer Ethik pastoralen Handelns aus der kirchlichen Rechtsordnung benannt werden, kann dies – um den Rahmen des Beitrages nicht zu sprengen – nur exemplarisch geschehen, sozusagen als Einladung, das Kirchenrecht auch einmal aus einer anderen Perspektive wahrzunehmen. Neben der Beschränkung auf ausgewählte Themenbereiche ist bewusst auch eine weitgehende Beschränkung auf das im Codex Iuris Canonici vorliegende universale Kirchenrecht vorgenommen worden, dessen Normen dann in teilkirchlichen Rechtsordnungen weiter entfaltet werden, worauf hier aber nicht eingegangen wird.

 

Eine weitere Vorbemerkung im Hinblick auf die Terminologie ist erforderlich: wenn der Codex als universales Gesetzbuch von den Seelsorgern spricht, hat er normalerweise die Bischöfe und Priester im Blick. Das, was hier über sie gesagt wird, ist – mutatis mutandis – auch auf die Seelsorgerinnen und Seelsorger anzuwenden, welche im deutschen Sprachraum hauptberuflich in der Pastoral tätig sind, auch wenn darauf nicht jedes Mal ausdrücklich hingewiesen wird.

2.1 Die Voraussetzung: Die Würde der Kinder Gottes

„Gläubige sind jene, die durch die Taufe Christus eingegliedert, zum Volk Gottes gemacht und dadurch auf ihre Weise des priesterlichen, prophetischen und königlichen Amtes Christi teilhaft geworden sind; sie sind gemäß ihrer je eigenen Stellung zur Ausübung der Sendung berufen, die Gott der Kirche zur Erfüllung in der Welt anvertraut hat.“13

Diese grundlegende und unverlierbare Würde der Gotteskindschaft ist von allen Gliedern des Volkes Gottes zu achten, und stellt in der Communio der Kirche die Grundlage für die Ausübung von Rechten und Pflichten dar, welche entweder allen Gläubigen gemeinsam, oder aber in besonderer Weise den Laien, den Klerikern und den Ordensleuten zukommen. Diese Rechte und Pflichten sind – nach dem Grundsatz neminem laedere, unicuique suum tribuere – wechselseitig zu gewährleisten.14

Vor dem Hintergrund der Würde der Gotteskindschaft in der Communio des Volkes Gottes haben die Gläubigen die Pflicht, die Gemeinschaft mit der Kirche zu wahren15 sowie ein heiliges Leben zu führen, und dadurch zur Heiligung der Kirche beizutragen.16 Sie sind zum Gehorsam gegenüber den in Stellvertretung Christi handelnden Hirten der Kirche (sacri Pastores, utpote Christi repraesentantes) verpflichtet,17 und zugleich berechtigt, „ihre Anliegen, insbesondere die geistlichen, und ihre Wünsche den Hirten der Kirche zu eröffnen. Entsprechend ihrem Wissen, ihrer Zuständigkeit und ihrer hervorragenden Stellung haben sie das Recht und bisweilen sogar die Pflicht, ihre Meinung in dem, was das Wohl der Kirche angeht, den geistlichen Hirten mitzuteilen und sie unter Wahrung der Unversehrtheit des Glaubens und der Sitten und der Ehrfurcht gegenüber den Hirten und unter Beachtung des allgemeinen Nutzens und der Würde der Personen den übrigen Gläubigen kundzutun.“18

Um die Würde ihrer Gotteskindschaft erkennen und leben zu können, haben alle Gläubigen das Recht auf den Empfang der geistlichen Güter, besonders auf die Verkündigung des Wortes Gottes und den Empfang der Sakramente19, das Recht auf die Feier des Gottesdienstes nach dem eigenen Ritus20 sowie das Recht auf eine christliche Erziehung, um als Menschen und Christen reifen und leben zu können.21

Allen Gläubigen kommt das Recht zu, eine tiefere Kenntnis der kirchlichen Lehre zu erwerben,22 ihren Lebensstand in der Kirche ohne Zwang zu wählen,23 und ihre Rechte geltend zu machen.24 „Niemand darf den guten Ruf, den jemand hat, rechtswidrig schädigen und das persönliche Recht eines jeden auf den Schutz der eigenen Intimsphäre verletzen.“25

Aus der unverlierbaren und in der Gotteskindschaft gründenden Personwürde ergeben sich also Rechte und Pflichten aller Gläubigen, denen durchaus eine ethische Relevanz zukommt, und die in der Lage sind, eine ethische Haltung derer, die in der Pastoral tätig sind, zu fördern, auch ohne dass dies explizit in Ethikkodizes normiert wird. Diejenigen, die dem Seelsorger in seinem pastoralen Handeln begegnen, sind stets als Kinder Gottes und mit Achtung ihrer Personwürde zu behandeln.26

2.2 Die Entfaltung: Die Teilhabe aller Gläubigen an der gleichen Sendung

Alle Gläubigen sind – wie gesagt – „auf ihre Weise des priesterlichen, prophetischen und königlichen Amtes Christi teilhaft geworden …, sie sind gemäß ihrer je eigenen Stellung zur Ausübung der Sendung berufen, die Gott der Kirche zur Erfüllung in der Welt anvertraut hat.“27 Dies impliziert eine gemeinsame, wenn auch differenzierte Teilhabe und Teilgabe an der Sendung der Kirche als Konsequenz und Entfaltung der Personwürde in Christus: „Unter allen Gläubigen besteht, und zwar aufgrund ihrer Wiedergeburt in Christus, eine wahre Gleichheit in ihrer Würde und Tätigkeit, kraft der alle je nach ihrer eigenen Stellung und Aufgabe am Aufbau des Leibes Christi mitwirken.“28

Vor dem Hintergrund der in der Taufe grundgelegten Würde haben alle Gläubigen zunächst einmal „die Pflicht und das Recht, dazu beizutragen, dass die göttliche Heilsbotschaft immer mehr zu allen Menschen aller Zeiten auf der ganzen Welt gelangt“29 und als Einzelne oder in einer Vereinigung am Apostolat der Kirche mitzuarbeiten.30 Ausdrücklich unterstreicht der Codex, dass dieses Recht auch den Christgläubigen zukommt, welche weder Kleriker noch Ordensleute sind oder in einer spezifischen Form „hauptamtlich“ an der Sendung der Kirche teilnehmen: „Da die Laien wie alle Gläubigen zum Apostolat von Gott durch die Taufe und die Firmung bestimmt sind, haben sie die allgemeine Pflicht und das Recht, sei es als einzelne oder in Vereinigungen, mitzuhelfen, dass die göttliche Heilsbotschaft von allen Menschen überall auf der Welt erkannt und angenommen wird, diese Verpflichtung ist um so dringlicher unter solchen Umständen, in denen die Menschen nur durch sie das Evangelium hören und Christus kennenlernen können.“31 Auch sind sie, sofern „sie als geeignet befunden werden, … befähigt, von den geistlichen Hirten für jene kirchlichen Ämter und Aufgaben herangezogen zu werden, die sie gemäß den Rechtsvorschriften wahrzunehmen vermögen.“32

Schon aus diesen wenigen Hinweisen wird deutlich, dass das Kirchenrecht alle Gläubigen als Protagonisten der Sendung der Kirche betrachtet und vor aller Differenzierung, die sich aus dem je eigenen Stand der Gläubigen und den verschiedenen Lebensumständen ergibt, zunächst einmal alle Gläubigen als Subjekte des Handelns der Kirche und damit auch ihrer Pastoral betrachtet. Dies wird noch einmal unterstrichen, wenn der Codex dem Bischof einer Diözese nicht nur die Aufgabe in Erinnerung ruft, das Apostolat in seiner Diözese zu fördern und zu koordinieren,33 sondern ihn auch dazu auffordert, „die Gläubigen auf ihre Pflicht hinzuweisen, je nach ihren Lebensumständen und Fähigkeiten das Apostolat auszuüben, und sie zu ermahnen, sich an den verschiedenen Werken des Apostolates je nach den örtlichen und zeitlichen Erfordernissen zu beteiligen und sie zu unterstützen.“34

Ein ähnlicher Auftrag ergeht auch an die Priester und Diakone, welche nicht nur dazu verpflichtet sind, gemeinsam zum Aufbau der Kirche beizutragen und entsprechend zusammen zu arbeiten, sondern auch „die Sendung anzuerkennen und zu fördern, welche die Laien, jeder zu seinem Teil, in Kirche und Welt ausüben.“35 Fast wortgleich wird diese Aufforderung im Hinblick auf den Pfarrer wiederholt.36

Eine aus den kirchenrechtlichen Normen sich ergebende und ihnen zugleich zugrunde liegende ethische Maxime pastoralen Handelns liegt also darin, niemand als bloßes Objekt der Pastoral oder der Sendung der Kirche zu betrachten, sondern die je spezifische Teilhabe an dieser Sendung, sein Subjektsein, anzuerkennen und zu fördern.37 Das steht quer zu mancher Pfarr-Herren-Mentalität, die nicht nur unter Klerikern zu finden ist.

2.3 Diözese und Pfarrei: Orte verantwortlich gelebten Christseins

Vor dem Hintergrund der in der Taufe begründeten Würde der Christgläubigen und der gemeinsamen Teilhabe und Teilgabe an der Sendung der Kirche sowie der daraus sich ergebenden Tatsache, dass alle Gläubigen auf je ihre Weise Subjekte der Sendung und der Pastoral der Kirche sind, werden die Verortungen des Glaubenslebens, die Diözese und die Pfarrei jeweils ausgehend von den Personen beschrieben, die sie ausmachen, und nicht etwa ausgehend von einem eher technischen Kriterium wie der Territorialität.

So ist die Diözese zunächst und vor allem ein „Teil des Gottesvolkes (populi Dei portio), der dem Bischof in Zusammenarbeit mit dem Presbyterium zu weiden anvertraut wird; indem sie ihrem Hirten anhängt und von ihm durch das Evangelium und die Eucharistie im Heiligen Geist zusammengeführt wird, bildet sie eine Teilkirche, in der die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche Christi wahrhaft gegenwärtig ist und wirkt.“38 Innerhalb der Diözese ist dann die Pfarrei „eine bestimmte Gemeinschaft von Gläubigen, die in einer Teilkirche auf Dauer errichtet ist und deren Seelsorge unter der Autorität des Diözesanbischofs einem Pfarrer als ihrem eigenen Hirten anvertraut wird.“39

Diözese und Pfarrei sind also – vor allen anderen Kennzeichen, die ihnen innerhalb der Kirche zukommen – zunächst einmal Gemeinschaften von Gläubigen, Orte gelebten Glaubens, an denen alle – je auf ihre Weise und in Erfüllung ihrer ganz spezifischen Aufgabe – zusammenwirken, um die Sendung der Kirche in dieser Welt zu erfüllen, eine Sendung, die sie sich genauso wenig selber gegeben haben, wie sie selber die Initiative ergriffen haben, zur Gemeinschaft des Volkes Gottes zu gehören. Die Zugehörigkeit zur Kirche (auch in ihrer konkreten Gestalt vor Ort) und die Mitarbeit an der Erfüllung ihrer Sendung in der Welt sind weder menschliches Verdienst, noch menschliche Leistung, sondern Antwort auf einen Ruf, christlich gesprochen: auf eine Berufung. Ruf und Antwort entziehen sich selbstverständlich kirchenrechtlicher Regelung, aber das Kirchenrecht schafft, auch in der Art und Weise, wie Diözese und Pfarrei beschrieben werden, den Rahmen, in dem die Antwort auf den Ruf zur Teilhabe am Volk Gottes und seiner Sendung ethisch verantwortet gemeinsam gelebt werden kann.

Selbstverständlich ist es hier nicht möglich, ausführlich auf die jeweilige Rolle und die Aufgaben des Bischofs und des Pfarrers einzugehen, denen in Diözese und Pfarrei besondere Verantwortung zukommt. Aus der Perspektive einer Ethik pastoralen Handelns mögen einige Hinweise genügen.

Dem Bischof ist es in seiner Diözese aufgetragen, die Einheit seines Bistums mit der Gesamtkirche zu wahren und dafür zu sorgen, dass die kirchlichen Gesetze eingehalten werden.40 „Er hat darauf zu achten, dass sich kein Missbrauch in die kirchliche Ordnung einschleicht, vor allem in Bezug auf den Dienst am Wort, die Feier der Sakramente und Sakramentalien, die Verehrung Gottes und der Heiligen sowie in Bezug auf die Vermögensverwaltung.“41 Er stellt also den Rahmen sicher, innerhalb dessen Christsein verantwortlich gelebt werden kann. Zugleich und zuvor aber hat er sich „um alle Gläubigen zu kümmern, die seiner Sorge anvertraut werden, gleich welchen Alters, welchen Standes oder welcher Nation, ob sie in seinem Gebiet wohnen oder sich dort nur auf Zeit aufhalten; er hat den apostolischen Geist auch denen zuzuwenden, die wegen ihrer Lebensumstände aus der ordentlichen Seelsorge nicht hinreichend Nutzen ziehen können, wie auch jenen, die von der religiösen Praxis abständig geworden sind.“42

Seine besondere Fürsorge hat seinen engsten Mitarbeitern, den Priestern, zu gelten. „die er als Helfer und Ratgeber hören soll; er hat ihre Rechte zu schützen und dafür zu sorgen, dass sie die ihrem Stand eigenen Verpflichtungen richtig erfüllen und dass ihnen die Mittel und Einrichtungen zur Verfügung stehen, deren sie zur Förderung des geistlichen und geistigen Lebens bedürfen; ebenso hat er für ihren angemessenen Lebensunterhalt und für die soziale Hilfe nach Maßgabe des Rechts zu sorgen.“43 Mutatis mutandis gilt diese Fürsorgepflicht des Bischofs auch für alle anderen hauptamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Seelsorge.

Der Bischof ist nicht nur Lehrer der Gläubigen (auch in sittlichen Fragen)44 und „vornehmlicher Ausspender der Geheimnisse Gottes“, sondern „eingedenk seiner Verpflichtung, selbst ein Beispiel der Heiligkeit zu geben in Liebe, Demut und Einfachheit des Lebens, hat der Diözesanbischof alles daranzusetzen, die Heiligkeit der Gläubigen entsprechend der je eigenen Berufung des einzelnen zu fördern… [und] ständig darauf hinzuarbeiten, dass die seiner Sorge anvertrauten Gläubigen durch die Feier der Sakramente in der Gnade wachsen und so das österliche Geheimnis erkennen und leben.“45

 

Mit gebotener Sorgfalt (debita cum diligentia) hat der Bischof die Diözese zu visitieren, um sich vor Ort ein Bild machen und die Gläubigen des ihm anvertrauten Bistums kennen lernen zu können.46

Das Kennen der ihm anvertrauten Gläubigen ist selbstverständlich auch die Pflicht des Pfarrers einer Gemeinde sowie der Seelsorgerinnen und Seelsorger, die hauptamtlich an der Pastoral der Pfarrei mitarbeiten: „Um die Hirtenaufgabe sorgfältig wahrzunehmen, hat der Pfarrer darum bemüht zu sein, die seiner Sorge anvertrauten Gläubigen zu kennen; deshalb soll er die Familien besuchen, an den Sorgen, den Ängsten und vor allem an der Trauer der Gläubigen Anteil nehmen und sie im Herrn stärken, und wenn sie es in irgendwelchen Dingen fehlen lassen, soll er sie in kluger Weise wieder auf den rechten Weg bringen; mit hingebungsvoller Liebe soll er den Kranken, vor allem den Sterbenden zur Seite stehen, indem er sie sorgsam durch die Sakramente stärkt und ihre Seelen Gott anempfiehlt; er soll sich mit besonderer Aufmerksamkeit den Armen, Bedrängten, Einsamen, den aus ihrer Heimat Verbannten und ebenso denen zuwenden, die in besondere Schwierigkeiten geraten sind; auch soll er seine Aufgabe darin sehen, die Ehegatten und Eltern bei der Erfüllung der ihnen obliegenden Pflichten zu stützen und die Vertiefung eines christlichen Lebens in der Familie zu fördern.“47 Anders wäre auch die vorher schon angesprochene Anerkennung und Förderung des Anteils der Laien an der Sendung der Kirche nicht möglich.48 Zugleich gibt diese Erfordernis auch einen Hinweis auf die verantwortbare Größe einer Pfarrei: sie darf ein Kennen lernen der Gläubigen nicht erschweren oder gar verunmöglichen.

Damit jemand zum Pfarrer oder zum hauptamtlichen Mitarbeiter in der Seelsorge bestellt werden kann, ist seine Eignung zu prüfen und er hat „sich außerdem durch Rechtgläubigkeit und Rechtschaffenheit aus[zu]zeichnen, er muss durchdrungen sein von Seeleneifer sowie von anderen Tugenden und zudem die Eigenschaften besitzen, die für die Seelsorge in der in Frage kommenden Pfarrei nach dem allgemeinen und dem partikularen Recht gefordert werden.“49 Wie in anderen Fällen auch, geht diese Eignungsanforderung des Kirchenrechts weit über die reine Rechtsnorm hinaus und greift in den Bereich der Ethik bzw. der ethischen Grundhaltungen über. Gleiches ist auch im Hinblick auf den Katalog der Amtspflichten und Obliegenheiten des Pfarrers zu sagen,50 der in entsprechender Weise auch für die hauptamtlichen Mitarbeiter der Seelsorge gilt. Auch die im Codex aufgelisteten Pflichten und Rechte der Kleriker51 sind geeignet, als Grundlage für einen Ethikkodex der Seelsorge zu dienen, ohne dass dies hier genauer entfaltet werden kann.52

2.4 Die Sakramente: recht gefeierter Glaube

Wichtige Bausteine für eine Ethik pastoralen Handelns finden sich darüber hinaus im Sakramentenrecht, gehört doch die Feier der Sakramente neben der Verkündigung des Wortes zu den unaufgebbaren Bestandteilen der Sendung der Kirche.53 Die Feier der Sakramente ist eine der Gelegenheiten, an denen die gemeinsame Teilhabe an der Sendung der Kirche besonders deutlich wird: „Der christliche Gottesdienst, in dem das gemeinsame Priestertum der Gläubigen ausgeübt wird, ist ein Tun, das aus dem Glauben hervorgeht und darauf beruht; deshalb haben sich die geistlichen Amtsträger eifrig zu bemühen, den Glauben zu entfachen und zu erhellen, vor allem durch den Dienst am Wort, durch das er erzeugt und genährt wird.“54 An ihm haben nicht nur die Kleriker, sondern „auch die übrigen Gläubigen den ihnen eigenen Anteil, indem sie sich auf ihre Weise tätig an den liturgischen Feiern, besonders an der Feier der Eucharistie, beteiligen; auf besondere Weise haben an demselben Dienst die Eltern Anteil, indem sie ihr Eheleben in christlichem Geiste führen und für die christliche Erziehung ihrer Kinder sorgen.“55 Dieser Anteil ist in besonderer Weise von den Seelsorgerinnen und Seelsorgern anzuerkennen, die dadurch ebenfalls zu erkennen geben, dass es in der Pastoral der Kirche nicht um eine Trennung zwischen Subjekten und Objekten der Seelsorge geht, sondern darum, dass „bei den liturgischen Feiern … jeder, sei er Liturge oder Gläubiger, in der Ausübung seiner Aufgabe nur das und all das tun [soll; M.G.], was ihm aus der Natur der Sache und gemäß den liturgischen Regeln zukommt.“56

Es wäre reizvoll, ist aber hier nicht möglich, nun die ethischen Konnotationen des Sakramentenrechts im Einzelnen durchzubuchstabieren. Ich beschränke mich daher auf einen allgemeinen Hinweis, der m.E. eine ethische Grundhaltung der Sakramentenpastoral darstellt. Das allgemeine Kirchenrecht bestimmt: „Die geistlichen Amtsträger dürfen die Sakramente denen nicht verweigern, die gelegen darum bitten, in rechter Weise disponiert und rechtlich an ihrem Empfang nicht gehindert sind.“57 Kein Seelsorger und keine Seelsorgerin kann also eigenmächtig Voraussetzungen für den Empfang der Sakramente benennen (dieses Recht steht allein der kirchlichen Autorität zu58), sondern hat die Kriterien anzuwenden, welche tatsächlich universal- und partikularrechtlich bestehen. Dies gilt sowohl in positiver als auch in negativer Hinsicht. D.h., die Anforderungen dürfen nicht höher geschraubt werden, als dies allgemein vorgesehen ist, sie dürfen aber auch nicht niedriger gesetzt werden. So ist z.B. die Tatsache, dass die Eltern eines Täuflings nicht in einer kirchenrechtlich gültigen Ehe leben, kein Grund, diesem Kind die Taufe zu verweigern; sie ist aber Einladung, die Eltern auf ihrem Weg seelsorglich zu begleiten und sie ggf. zu einer kirchlichen Eheschließung zu führen, ohne dass davon die Taufe des Kindes abhängig gemacht werden könnte. Genauso ist es weder ethisch noch pastoral zu verantworten, Sakramentenspendungen in Aussicht zu stellen oder gar vorzubereiten, in dem klaren Wissen darum, dass die Voraussetzungen dazu fehlen und sie dann „höhernorts“ in letzter Minute doch noch verhindert oder später als ungültig erklärt werden. Der Seelsorger hat dann zwar den „Schwarzen Peter“ weiter geschoben, seiner ethischen Verantwortung ist er nicht gerecht geworden. Hier lädt das Kirchenrecht zum verantwortlichen Handeln ein, wenn es festlegt: „Die Seelsorger und die übrigen Gläubigen haben jeweils gemäß der ihnen eigenen kirchlichen Aufgabe die Pflicht, dafür zu sorgen, dass jene, die Sakramente erbitten, auf ihren Empfang durch die erforderliche Verkündigung und katechetische Unterweisung unter Beachtung der von der zuständigen Autorität erlassenen Normen vorbereitet werden.“59 Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

2.5 Die Räte: ehrliche Mitverantwortung

Wenn alle Gläubigen ihrem Stand und ihrer jeweiligen Aufgabe entsprechend an der Sendung der Kirche teilhaben und für sie Mitverantwortung tragen, ist es konsequent, dass sich diese Mitverantwortung auch im gemeinsamen Tun zeigt. So sind etwa Vertreter des Presbyteriums eingeladen, im Priesterrat mit dem Bischof zusammenzuwirken. Die Aufgabe des Priesterrates besteht darin, „den Bischof bei der Leitung der Diözese nach Maßgabe des Rechts zu unterstützen, um das pastorale Wohl des ihm anvertrauten Teiles des Gottesvolkes so gut wie eben möglich zu fördern.“60 Ebenso sieht das Kirchenrecht vor, dass „Laien, die sich durch Wissen, Klugheit und Ansehen in erforderlichem Maße auszeichnen, … befähigt [sind], als Sachverständige und Ratgeber, auch in Ratsgremien nach Maßgabe des Rechts, den Hirten der Kirche Hilfe zu leisten.“61 Dies geschieht etwa im Diözesanpastoralrat62 oder im Pfarrpastoralrat63 oder aber im Partikularkonzil64 und der Diözesansynode.65 So, wie in der Diözesansynode der Bischof einziger Gesetzgeber bleibt und allen anderen Mitgliedern nur beratendes Stimmrecht zukommt,66 ist auch die Mitarbeit der Gläubigen in den anderen Räten der Kirche vor Ort eine Mitarbeit, die in der Regel auf Beratung abzielt und sicherstellen kann, dass die Verantwortlichen den Blick für die pastoralen Realitäten in Pfarrei und Bistum nicht verlieren.