Unterwegs zu einer Ethik pastoralen Handelns

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Wer auch immer Gläubige (Laien, Kleriker und Ordensleute) zur Mitarbeit an diözesanen oder pfarrlichen Räten und Gremien oder zur Teilnahme an Versammlungen einlädt, hat die Verantwortung, auch die Grenzen dieser Mitarbeit sowie die Grenzen der Zuständigkeit des jeweiligen Gremiums klar zu benennen. Durch diese ehrliche Klärung der Voraussetzungen (die auch eindeutige Informationen darüber beinhalten sollte, was auf der Ebene einer Pfarrei oder einer Diözese nicht entschieden werden kann) wäre es möglich, Frustrationen vorzubeugen und die Zeit, welche zu echter Beratung genutzt werden könnte, nicht an Themen zu vergeuden, die nicht in der Zuständigkeit des Gremiums liegen. Die dazu erforderlich Ehrlichkeit ist durchaus als ethische Grundhaltung in der Seelsorge zu betrachten.

2.6 Die Frage nach der Umsetzung

In diesem Artikel kann das Ganze (der Beitrag des Kirchenrechts zu einer Ethik pastoralen Handelns) wiederum nur im Fragment (der hier benannten Bausteine mit der ihnen eigenen Kürze) vorgelegt werden. Vieles ist zu vertiefen, vieles könnte ergänzt werden. Bei aller Fragmentarität und Begrenztheit des hier Gesagten (und hinsichtlich des Vielen, was nicht gesagt werden konnte), muss aber zum Schluss die Frage gestellt werden, ob und wie diese Hinweise auf kirchenrechtlich fundierte Ansprüche an eine Ethik des pastoralen Handelns auch praktisch umgesetzt werden können. Ich folge hierbei den Vorschlägen, die vor einigen Jahren von Jean-Pierre Schouppe gemacht wurden.67 Er schlägt vor, die Einhaltung ethischer Standards in der Pastoral auf dem Verwaltungsweg sicher zu stellen. Eine denkbare Vorgehensweise wäre es, von Fall zu Fall auf Ebene der Diözese ad hoc darüber zu entscheiden, ob ein Seelsorger oder eine Seelsorgerin in ihrem pastoralen Handeln den ethischen Erfordernissen des Pastoralberufes entspricht oder nicht. Eine solche Untersuchung könnte durch die Errichtung einer entsprechenden Ethikkommission auf Diözesanebene erleichtert und formalisiert werden (analog etwa zu den Kommissionen, welche in den deutschen Diözesen für die Untersuchung der Missbrauchsfälle eingerichtet wurden). Die höchste Form der Formalisierung könnte die Sicherstellung ethischer Standards in der Seelsorge nach Meinung von Schouppe dann erreichen, wenn Verwaltungsgerichte eingerichtet würden, deren Zuständigkeit auch in diesem Bereich liegt.

Vor der wie auch immer gearteten Formalisierung der Sicherstellung ethischer Standards wäre es meiner Ansicht nach wünschenswert, auf der Ebene der Bischofskonferenz, der Diözesen und der Pfarreien erst einmal über diese Standards ins Gespräch zu kommen und dabei die recht verstandene Umsetzung all dessen in den Blick zu nehmen, was das Kirchenrecht an Beiträgen auf diesem Gebiet schon bereithält.

3. Zusammenschau

Im Zusammenhang mit den Missbrauchsfällen in der Kirche war immer wieder die Klage zu hören, dass in der Vergangenheit das Kirchenrecht nicht oder nicht umfassend genug angewandt worden ist.68 In der Regel bezieht sich diese Feststellung auf die mangelnde Anwendung des kirchlichen Strafrechts. Vor dem Hintergrund der hier vorgelegten Überlegungen zum Beitrag des Kirchenrechts zu einer Ethik pastoralen Handelns greift dieser sehr berechtigte Einwurf allein aber zu kurz. Es geht nicht allein um die mangelnde oder unzeitige Anwendung des kirchlichen Strafrechts im Hinblick auf die Täter. Die mangelnde Anwendung des Kirchenrechts betrifft auch Versäumnisse in anderen Bereichen des Kirchenrechts, etwa im Hinblick auf die Ausbildung der Priester und allgemeiner der Seelsorger, auf die Ausübung des Hirtenamtes von Seiten der Bischöfe, die ihren Priestern nahe sein und sie begleiten sowie die ihnen anvertrauten Gläubigen kennen und ihnen beistehen sollten. So wird die Auseinandersetzung mit den Missbrauchsfällen in der Kirche über den konkreten Anlass hinaus zu einer Einladung, umfassend über die Anwendung des Kirchenrechts nachzudenken und die ethischen Impulse umzusetzen, die in ihm enthalten und von ihm geschützt sind.

Die Gemeinschaft der Gläubigen im Volk Gottes ist nicht irgendeine Gemeinschaft, sie ist nicht nur Rechtsgemeinschaft, sie ist auch ethische Bewährungsgemeinschaft, in der es letztlich um das Heil der Seelen und die Beziehung des Einzelnen zu Gott geht. Aus der einzigartigen Beziehung zwischen Gott und den Menschen, die in der aus der Taufe geschenkten Gotteskindschaft zum Ausdruck kommt, ergibt sich nicht nur die unverlierbare Würde jedes Einzelnen in der Gemeinschaft der Kirche und seine bzw. ihre Teilhabe an der Sendung, die der Kirche anvertraut ist. Aus ihr ergeben sich auch ethische Implikationen für das pastorale Handeln in der Kirche, die bei der Achtung vor der Würde des Einzelnen und seiner Berufung zur Teilhabe an der kirchlichen Sendung ihren Ausgang nehmen, sich an den Orten verantwortlich gelebten Glaubens in einem Miteinander aller Gläubigen (von gemeinsamem und besonderem Priestertum) besonders bei der Feier der Sakramente zum Ausdruck bringen und sich auch auf den Bereich der Mitverantwortung für die gemeinsame Sendung auswirken.

Vor diesem Hintergrund ergibt sich eine Ethik der Seelsorge, zu der das Kirchenrecht einen Beitrag zu leisten in der Lage ist, wenn es recht verstanden und angewandt wird.

1 Vgl. Maximilian Hommens, Art. Regino von Prüm, in: LThK3 VIII, Sp. 971-972.

2 Das Sendhandbuch des Regino von Prüm. Herausgegeben von Wilfried Hartmann, Darmstadt 2004. Vgl. zu diesem Werk Péter Erdö, Die Quellen des Kirchenrechts (= Adnotationes in Ius Canonicum 23), Frankfurt a. M. 2002, S. 86; Linda Fowler-Magerl, Clavis Canonum. Selected Canon Law Collections, Hannover 2005, S. 77-79; Lotte Kérry, Canonical Collections of the Early Middle Ages (ca. 400-1140). A Bibliographical Guide to the Manuscripts and Literature, Washington 1999, S. 128-133.

3 Vgl. Herbert Kalb, Art. Send, Sendgerichtsbarkeit, in: LThK3 IX, Sp. 456.

4 Vgl. Klaus Demmer, Tolerantia moralis et jus in Ecclesia, in: PRMCL 69 (1980), S. 343.

5 Vgl. Klaus Demmer, Ius Ecclesiae – Ius gratiae. Animadversiones ad relationem inter ius canonicum et ethos christianum, in: PRMCL 66 (1977), S. 5-7.

6 Klaus Demmer, Die Dispens von der Lebenswahl. Rechtstheologische und moraltheologische Erwägungen, in: Gregorianum 61 (1980), S. 212.

7 Vgl. Demmer, Ius Ecclesiae (Anm. 5), S. 29-30.

8 Klaus Demmer, Das Verhältnis von Recht und Moral im Licht kirchlicher Dispenspraxis, in: Gregorianum 56 (1975), S. 701.

9 Demmer, Dispens (Anm. 6), S. 703.

10 Johannes Paul II., Apostolische Konstitution Sacrae disciplinae leges, in: Codex Iuris Canonici, Lateinisch-Deutsche Ausgabe, Kevelaer 52001, S. XVII.

11 Michael Rosenberger / Werner Wolbert / Sigrid Müller / Walter Schaupp, Ethikkodex professioneller Seelsorger, in: StZ 227 (2009), S. 447-458, hier: S. 448 (Präambel, 4. Abschnitt).

12 Interessanter Weise sind alle Bereiche, welche der vorgeschlagene Ethikkodex professioneller Seelsorger benennt (Verantwortung für das eigene Wohlergehen, für die eigene berufliche Kompetenz, für die beruflichen Beziehungen, für den Umgang mit Macht [ein Wort, welches das Kirchenrecht vermeidet], für den Umgang mit kirchlichem Geld und Besitz, für den Umgang mit Sexualität und emotionaler Nähe sowie für den Umgang mit anvertrautem Wissen) auch im Kirchenrecht angesprochen und von diesem geregelt, wenn auch in unterschiedlichen Zusammenhängen.

13 Can. 204 § 1 CIC; vgl. can. 96 CIC.

14 Vgl. can. 223 CIC: „Bei der Ausübung ihrer Rechte müssen die Gläubigen sowohl als einzelne wie auch in Vereinigungen auf das Gemeinwohl der Kirche, die Rechte anderer und ihre eigenen Pflichten gegenüber anderen Rücksicht nehmen.“

15 Vgl. can. 209 CIC.

16 Vgl. can. 210 CIC.

17 Vgl. can. 212 § 1 CIC.

18 Can. 212 § 2-3 CIC.

19 Vgl. can. 213 CIC.

20 Vgl. can. 214 CIC.

21 Vgl. cann. 217, 226 § 2 CIC. Nach can. 795 CIC muss wahre christliche Erziehung „die umfassende Bildung der menschlichen Person im Hinordnung auf ihr letztes Ziel und zugleich auf das Gemeinwohl der Gesellschaft anstreben; daher sind die Kinder und die Jugendlichen so zu bilden, dass sie ihre körperlichen, moralischen und geistigen Anlagen harmonisch zu entfalten vermögen, tieferes Verantwortungsbewusstsein und den rechten Gebrauch der Freiheit erwerben und befähigt werden, am sozialen Leben teilzunehmen.“

22 Vgl. cann. 218 und 229 CIC.

23 Vgl. can. 219 CIC.

24 Vgl. can. 221 CIC.

25 Can. 220 CIC.

26 Ausdrücklich wird dies in can. 618 CIC vom Ordensobern gefordert, der im Rahmen seines Dienstes Gehorsam verlangt; als ethische Grundhaltung ist eine solche Einstellung aber von allen in der Pastoral Tätigen zu erwarten.

27 Can. 204 § 1 CIC.

28 Can. 208 CIC.

29 Can. 211 CIC.

30 Vgl. can. 216 CIC: „Da alle Gläubigen an der Sendung der Kirche teilhaben, haben sie das Recht, auch durch eigene Unternehmungen je nach ihrem Stand und ihrer Stellung eine apostolische Tätigkeit in Gang zu setzen oder zu unterhalten.“ Vgl. bezüglich der Vereinigungen auch can. 298 CIC.

31 Can. 225 CIC.

 

32 Can. 228 § 1 CIC. Für diese Gläubigen ergibt sich dann auch der Anspruch auf eine ihrer Tätigkeit entsprechende, angemessene Vergütung; vgl. can. 231 § 2 CIC.

33 Vgl. can. 394 § 1 CIC.

34 Can. 394 § 2 CIC.

35 Can. 275 § 2 CIC.

36 Vgl. can. 529 CIC.

37 Eine der Grundsätze des in den USA geförderten Servant-Leadership, d.h. der dienenden Grundhaltung derjenigen, die zum Leiten bestellt sind (ob in der Kirche oder in einem Konzern) liegt darin, Leitung in einer Weise auszuüben, dass möglichst viele zur Mitarbeit ermutigt und dadurch befähigt werden, eines Tages selber Leiter sein zu können. Eine ähnliche Aufforderung sehe ich auch in den in diesem Abschnitt zitierten Normen des Kirchenrechts. Zum Servant-Leadership vgl. einführend Shann Ray Ferch und Larry C. Spears (Hrsg.), The Spirit of Servant-Leadership. New York 2011. Zu seiner Bedeutung für die Pastoral in der Pfarrei: Dan R. Ebner, Servant Leadership Models for Your Parish. New York 2010.

38 Can. 369 CIC.

39 Can. 515 § 1 CIC.

40 Vgl. can. 392 § 1 CIC.

41 Can. 392 § 2 CIC.

42 Can. 383 § 1 CIC.

43 Can. 386 CIC.

44 Vgl. can. 386 CIC.

45 Can. 387 CIC.

46 Vgl. cann. 396 und 398. Im Direktorium für den Hirtendienst der Bischöfe (2004) heißt es dazu näherhin: „Die Pastoralvisitation ist eine der durch einige Jahrhunderte lange Erfahrung erprobten Formen, durch die der Bischof persönliche Kontakte mit dem Klerus und mit den anderen Gliedern des Volkes Gottes unterhält. Sie ist eine Gelegenheit, um die Tatkraft der Mitarbeiter des Evangeliums zu bestärken, um sie zu loben, sie zu ermutigen und zu trösten, und sie ist auch eine Gelegenheit, um alle Gläubigen zu einer Erneuerung des eigenen christlichen Lebens und zu einer intensiveren apostolischen Arbeit aufzurufen Die Visitation erlaubt ihm zudem, die Wirksamkeit der Strukturen und der Mittel, die zum pastoralen Dienst bestimmt sind, zu bewerten, wobei er sich der Umstände und der Schwierigkeiten der Evangelisierungstätigkeit bewusst wird, um so besser die Prioritäten und die Mittel einer organischen Pastoral bestimmen zu können“ (Nr. 220).

47 Can. 529 § 1 CIC.

48 Vgl. can. 529 § 1 CIC.

49 Can. 521 CIC.

50 Vgl. besonders cann. 528 und 530 CIC.

51 Vgl. cann. 273-289 CIC.

52 Ein entsprechender Versuch findet sich in Alphonse Borras, Vers une déontologie du ministère ecclésial? In: NRT 121 (1999), S. 573-593.

53 Vgl. can. 834 § 1 CIC: „Den Heiligungsdienst erfüllt die Kirche in besonderer Weise durch die heilige Liturgie, die als Ausübung des priesterlichen Dienstes Jesu Christi zu betrachten ist; darin wird die Heiligung der Menschen durch sinnenhafte Zeichen bezeichnet und in der diesen je eigenen Weise bewirkt sowie von dem mystischen Leib Jesu Christi, von Haupt und Gliedern, der unverbrüchliche amtliche Gottesdienst vollzogen.“

54 Can. 836 CIC.

55 Can. 835 § 4 CIC.

56 SC 28.

57 Can. 843 § 1 CIC.

58 Vgl. can. 838 CIC.

59 Can. 843 § 2 CIC.

60 Can. 495 CIC.

61 Can. 228 § 2 CIC.

62 Vgl. can. 511 CIC: „In jeder Diözese ist, sofern die seelsorglichen Verhältnisse es anraten, ein Pastoralrat zu bilden, dessen Aufgabe es ist, unter der Autorität des Bischofs all das, was sich auf das pastorale Wirken in der Diözese bezieht, zu untersuchen, zu beraten und hierzu praktische Folgerungen vorzuschlagen.“

63 Vgl. can. 536 § 1 CIC: „Wenn es dem Diözesanbischof nach Anhörung des Priesterrates zweckmäßig scheint, ist in jeder Pfarrei ein Pastoralrat zu bilden, dem der Pfarrer vorsteht; in ihm sollen Gläubige zusammen mit denen, die kraft ihres Amtes an der pfarrlichen Seelsorge Anteil haben, zur Förderung der Seelsorgstätigkeit mithelfen.“

64 Vgl. can. 445 CIC: „Das Partikularkonzil bemüht sich für sein Gebiet darum, daß für die pastoralen Erfordernisse des Gottesvolkes Vorsorge getroffen wird; es besitzt Leitungsgewalt, vor allem Gesetzgebungsgewalt, so daß es, stets unter Vorbehalt des allgemeinen Rechts der Kirche, bestimmen kann, was zum Wachstum des Glaubens, zur Leitung des gemeinsamen pastoralen Wirkens, zur Ordnung der Sitten und zu Bewahrung, Einführung und Schutz der allgemeinen kirchlichen Disziplin angebracht scheint.“

65 Vgl. can. 460 CIC: „Die Diözesansynode ist eine Versammlung von ausgewählten Priestern und anderen Gläubigen der Teilkirche, die zum Wohl der ganzen Diözesangemeinschaft dem Diözesanbischof nach Maßgabe der folgenden Canones hilfreiche Unterstützung gewähren.“

66 Vgl. can. 466 CIC: „Einziger Gesetzgeber in der Diözesansynode ist der Diözesanbischof, während die anderen Teilnehmer der Synode nur beratendes Stimmrecht haben; allein er selbst unterschreibt die Erklärungen und Dekrete der Synode, die nur kraft seiner Autorität veröffentlicht werden dürfen.“

67 Vgl. Jean-Pierre Schouppe, Vers une procédure canonique en matière de déontologie pastorale? In: NRT 124 (2002), S. 218-237.

68 Ein Beispiel dieser Feststellung findet sich im Brief, den Papst Benedikt am 19. März 2010 an die Katholiken in Irland geschrieben hat. Dort sagt er den Bischöfen: „Es kann nicht geleugnet werden, dass einige von Euch und von Euren Vorgängern bei der Anwendung der seit langem bestehenden Vorschriften des Kirchenrechts zu sexuellem Missbrauch von Kindern bisweilen furchtbar versagt haben. Schwere Fehler sind bei der Aufarbeitung von Vorwürfen gemacht worden. Ich erkenne an, wie schwierig es war, die Komplexität und das Ausmaß des Problems zu erfassen, gesicherte Informationen zu erlangen und die richtigen Entscheidungen bei widersprüchlichen Expertenmeinungen zu treffen. Dennoch muss zugegeben werden, dass schwerwiegende Fehlurteile getroffen wurden und dass Versagen in der Leitung vorkamen. Dies alles hat Eure Glaubwürdigkeit und Handlungsfähigkeit untergraben. Ich erkenne Eure Bemühungen an, vergangene Fehler wieder gutzumachen und zu garantieren, dass sie sich nicht wiederholen. Ich rufe Euch auf, neben der vollständigen Umsetzung der Normen des Kirchenrechts im Umgang mit Fällen von Kindesmissbrauch weiter mit den staatlichen Behörden in ihrem Zuständigkeitsbereich zusammenzuarbeiten. Die Ordensoberen sollen natürlich ebenso handeln. Sie haben auch an den jüngsten Beratungen hier in Rom teilgenommen, die darauf abzielten, diese Angelegenheit klar und konsequent anzugehen. Es ist zwingend erforderlich, dass die Normen der Kirche in Irland zum Schutz von Kindern ständig überprüft und aktualisiert werden und dass sie vollständig und unparteiisch in Übereinstimmung mit dem Kirchenrecht angewandt werden“ (AAS 102 [2010], 215-216).

Weltentheologie – Bausteine zu einer Ethik pastoralen Handelns in der Postmoderne

Maria Widl

1. Pastoral zwischen Volksfrömmigkeit und Gemeindetheologie

In den vielen Jahrhunderten der Volkskirche war das pastorale Handeln auf die gültige Heilsvermittlung in den Sakramenten konzentriert. Die Verkündigung erinnerte daran, dass die kulturell tradierte Ethik dem machtvollen Willen Gottes entsprach, auf die man bei Höllenstrafe verpflichtet war. Alles Böse entsprang den Verführungskünsten des Teufels, denen die Menschen immer wieder erlagen. Dank der Gnade Gottes konnten sie dennoch gerettet werden. Dies geschah in den Sakramenten, und geführt durch das reiche kirchliche Leben, das sich rund um das Kirchenjahr, die Heiligenfeste und das religiöse Brauchtum rankte. Dieses erinnerte das christliche Heilsgeheimnis inmitten aller alltäglichen Vollzüge.1 Die Volksfrömmigkeit erweist sich als die vitale Vorderseite aller Ethik pastoralen Handelns, der diese verpflichtet bleibt.

Die Aufklärung führt in Teilen Europas zu einer beispiellosen säkularen Entwicklung, die über die Globalisierung in weite Bereiche der Welt ausstrahlt. Nach den Wirren der Weltkriege im 20. Jahrhundert ist die kulturelle Basis so nachhaltig zerstört, dass mit ihnen auch die Volksfrömmigkeit verloren geht. Zugleich ist ihr mit dem Ende der bäuerlichen Landwirtschaft und dem Voranschreiten städtischer Industriekultur der Boden entzogen. Der moderne Fortschrittsmythos entwickelt die Vision einer neuen, von Menschen gemachten, friedlichen und freien Welt. Im Zweiten Vatikanischen Konzil beschließt die Katholische Kirche, sich auf diese Kulturentwicklung einzulassen, und die moderne Welt auf neue Weise mit dem Christentum zu durchdringen.2

Zehn Jahre später tritt Ernüchterung ein. Papst Paul VI. spricht in seiner bahnbrechenden Enzyklika Evangelii nuntiandi vom „Bruch zwischen Evangelium und Kultur“ als dem großen „Drama der heutigen Zeit“ (EN 20). Die deutsche Kirche setzt zeitgleich in der Würzburger Synode auf die „Rechenschaft unserer Hoffnung“ in der kirchlichen Gemeinde, in der das Volk Gottes sich nicht mehr sakramental versorgen lässt, sondern „sich selbst sorgend“ entwickelt. Alle pastorale Phantasie und Kraft investiert für die nächsten Jahrzehnte in die Gemeindeentwicklung. Alle Ethik pastoralen Handelns wird der Gemeindeidee verpflichtet und an ihr ausgerichtet, ist doch die Gemeinde die „Kirche für alle am Ort“. Zugleich schreitet die säkulare Kulturentwicklung voran, das Christliche zieht sich in die Gemeinden zurück.

2. Zwischen Säkularität und religiösem Markt

Im ersten Schritt der Modernisierung wird die aufgeklärte Säkularität zum Kulturmaßstab. Dem entsprechen die Kirchen in einer Entmythologisierungswelle umfassenden Ausmaßes: Alle Relikte der Volksfrömmigkeit, incl. deren Spuren in der Kirchenausstattung, werden radikal beseitigt. Als Nebengleis der nachkonziliaren Liturgiereform verschwinden Marien- und Heiligenstatuen aus den Kirchen, ebenso weitgehend alle farbige Gestaltung, sowie alle bildlich-konkreten Darstellungen. Das Ideal ist die weiße, leere, auf sichtbarer Stahlkonstruktion basierende Mehrzweck-Industriehalle, in der nichts von der Gemeinde und der Gestaltung ihrer (liturgischen) Versammlung ablenkt.

Auch der Glaube wird theologisch um alles bereinigt, was nicht unmittelbar auf biblische Wurzeln rückführbar ist. Der enormen Faszination biblischer Exegese und Theologie korrespondiert die (auch durch ökumenische Bestrebungen motivierte) Ablehnung jener Glaubenstraditionen, die für moderne Menschen nicht nachvollziehbar, ja unerträglich scheinen, obwohl sie zum Kernbestand gehörten: Sünde, Opfer, Gnade, Erlösung, Schuld und Opfertod. Den Glauben unter Überwindung dieser „Relikte“ ganz neu auf eine Liebestheologie zu bauen, wird zum zentralen Fortschrittsziel. Die Ethik pastoralen Handelns verpflichtet darauf, fortan ausschließlich dem Menschen zu dienen und sich an dem zu orientieren, was ihm/ihr gut tut.

Wo der individuelle Mensch zum Maßstab des Guten und Wahren wird, gehen zwangsläufig alle Monopole verloren – auch das der Kirchen auf die Religion. Zugleich zeigt die zweite Phase der Moderne ein neues Interesse an der Religion. Diese wird allerdings nicht mehr von der verpflichtenden Offenbarung Gottes her konzipiert, sondern von den Sehnsüchten des Menschen nach Kontingenzbewältigung und Transzendierung.3 Dem entspricht ein reiches „spirituelles“ (so der neue Begriff dafür) Angebot in seiner ganzen Breite von fundamentalistischtraditional bis esoterisch-postmodern. Es hat viele kirchliche Anteile, die allerdings nicht dem Gemeindesektor entspringen, sondern im Bereich von Bewegungen und freien Initiativen angesiedelt sind.

Was sich dem religiös Interessierten als „Büfett“ darstellt, von dem man beliebig naschen kann, ist phänomenologisch gesehen eher ein Markt. Auf einem Büfett wird im Auftrag des Gastgebers angeboten, was delikat aussieht und leicht konsumierbaren Genuss verspricht. Am Marktplatz wird auf etlichen Ständen von Selbsterzeugern und Zwischenhändlern angeboten, was sich als Lebensmittel für Alltag und Festlichkeiten eignet. Das Angebot besteht aus Bodenständigem und Exotischem sehr unterschiedlicher Qualität, weswegen man es in die Hand nehmen, daran riechen und es meist auch verkosten darf. Wer hier einkauft, sucht nicht die hygienisch in Folie verschweißte Industriequalität, sondern Chance und Risiko eines Produktes, das möglichst natürlich erzeugt ist und in dem noch Handarbeit steckt. Und jede/r KäuferIn ist sich bewusst, dass sie/er auch getäuscht werden kann. Welcher Händler wiederholt nicht enttäuscht, gewinnt Stammkunden.

 

Die Kirchen verlieren gegenwärtig ihre Stammkunden, und auch die Laufkundschaft wird seltener. Der Geschmack und damit die Qualitätserwartungen haben sich verändert. Und auch der Service lässt zu wünschen übrig. Da gleichzeitig immer neue religiöse Marktplätze geöffnet werden, kaufen viele Menschen bereits anderswo. Und selbst viele unserer Stammkunden – die engagierten GemeindechristInnen – gestehen, dass sie heimlich die langweilig gewordene kirchliche Alltagskost mit Angeboten vom religiösen Markt anreichern. „Die Kirche braucht wieder ein attraktives Angebot; sie muss sich mehr nach dem Zeitgeschmack richten“, sagen die einen. „Die Kirche ist der geoffenbarten Wahrheit verpflichtet; man darf sie nicht durch Anpassung an den Zeitgeist verwässern“, sagen die anderen. Die Ethik pastoralen Handelns verliert ihre Eindeutigkeit; die Ausrichtung wird different, es entstehen Richtungsstreitigkeiten.

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