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2. Was können Literaturausstellungen vermitteln und wie können sie es? 8

Wurden bis Mitte des 20. Jahrhunderts Textzeugen im Sinne der nationalen Repräsentation aufgewertet und zur Schau gestellt, so haben sich in den letzten Jahrzehnten Motivation, Zweck und ökonomische Interessen massiv verändert. Heute geht es oftmals um Öffentlichkeitsarbeit und Werbung der das Material beherbergenden Institution, gezeigt werden zumeist neu erworbene oder besonders wertvolle Werkmanuskripte, Briefe, Fotografien sowie Gegenstände aus Nachlässen. Dahinter steht in vielen Fällen auch die Legitimation nach außen oder den GeldgeberInnen gegenüber. D.h., hier feiert sich die Bibliothek selbst, betreibt Eigenwerbung, erfüllt aber auch jene Bildungsarbeit und Wissensvermittlung, die zu den genuinen Aufgaben von Bibliotheken zählen. In vielen Fällen passiert darüber hinaus eine Form von Kanonisierungsarbeit, da AutorInnen bzw. Werke eine (wenn auch indirekte) literaturwissenschaftliche Bewertung bzw. Aufwertung im Rahmen der Ausstellungsarbeit und der Wahrnehmung durch die Öffentlichkeit erfahren.

Ausstellungen können auch über den Entstehungsvorgang, die Bedingungen, über Wirkungen Auskunft geben (vgl. Hügel 1991, S. 10). Auch wenn die Präsentation freilich nicht den Lektürevorgang ersetzen kann, so ist es ihr doch möglich, das Umfeld zu zeigen, Assoziationen auszulösen und eine Übertragung auf andere Zusammenhänge zu erlauben. Damit findet ein differenzierter Austausch statt, eine spezifische Vernetzung der Objekte, so dass sich Ausstellungen auch als Hypertexte lesen lassen, »mit der Möglichkeit, Bezüge nach vorne und rückwärts herzustellen« (Reust 2000, S. 64). Dementsprechend müssen Substitute jene Lücken füllen, die sich aus der Diskrepanz des individuellen Leseaktes und der präsentierten Literatur(-Umgebung) zwangsläufig ergeben. Als »Substitut« kann dabei all das dienen, was vermeintlich zum Alltag von AutorInnen gehört: Gebrauchsgegenstände, Kleidungsstücke etc. Literaturausstellungen können also »Kontaktzonen« zwischen Literatur und Lebenswelt der AutorInnen etablieren bzw. können AutorInnen im Rahmen von Ausstellungen auch »ein zweites, anderes Leben« (Fetz/Schweiger 2010, S. 10) gewinnen. Literaturausstellungen können Einblick in die dichterische Praxis, in Werkstätten und Arbeitsweisen geben. Indem sie Notizen und Entwürfe zeigen, verweisen sie auf Entstehungs- und Rezeptionsbedingungen, deuten Werke und zeichnen deren Geschichte nach, verbinden sich mit der Biografie der Autorin bzw. des Autors sowie literarischen Zusammenhängen (vgl. Lange-Greve 1995, S. 87). Texte werden als Ausstellungsexponate schaubar, manchmal auch hörbar gemacht, selten von den BesucherInnen aber als Lektüre rezipiert.

Im Verständnis von Literatur als etwas »Unsichtbarem« und Ungegenständlichem muss die Ausstellung konsequenterweise auf gegenständliche Objekte ausweichen, um »den Widerschein des Literarischen einzufangen« (Göres 1982, S. 44) bzw. das Literarische in sinnlich Wahrnehmbares und rational Verstehbares zu »übersetzen«.

3. Literaturausstellungen als »Übersetzungen« von Literarischem

Ausgangspunkt der Konzeption von Literaturausstellungen im Sinn der Übersetzung ist die Überlegung, dass Literatur selbst seit jeher mit textimmanenten Visualisierungsstrategien arbeitet. Der Wiener Literaturwissenschaftler Stefan Kutzenberger nimmt diesbezüglich eine klare Position ein und deklariert: »Die Frage, ob man Literatur visualisieren soll/darf/kann, ist deshalb zu bejahen und zu ergänzen: man muss« (Kutzenberger 2012, S. 10).

Kutzenberger konnte mit seiner Herangehensweise über 100 Studierende dafür begeistern, sich Zeile 13 aus dem 4. Kapitel ihres jeweiligen Lieblingsbuches zu widmen, und diese Passage in der gleichnamigen Ausstellung, die von 23. Jänner bis 28. Jänner 2012 in der Berggasse 5 zu sehen war, zu visualisieren. Die vielfältigen Zugänge stellen unter Beweis, dass die Öffnung und Erweiterung von Imaginationsräumen tatsächlich der literarischen Vermittlung dienlich sein können.

So »verarbeiteten« etwa die vier Studierenden Arthur Klammer, Bettina Schöll, Gilbert Waltl und Nikolai Wecerka den Satz »Er war aufs Drehkreuz gestürzt, als er den ersten Schrei gellen hörte, und sah den Kopf hüpfend über den Fahrdamm kullern« aus Bulgakows »Der Meister und Margarita«9 in Form einer Installation: Vorbei an einem Drehkreuz traten die BesucherInnen in einen Raum, der sich urbanen Visualisierungsformen widmete. Die Studierenden etablierten einerseits Bilder von Moskau als moderner, schnelllebiger Metropole (so bringt die Straßenbahn neue Möglichkeiten der Mobilität, aber auch ungeahnte Gefahren), andererseits als Stadt der politischen Gegensätze und des Stalin-Regimes.

Die Gruppe mit Lina Bittner, Delara-Mirjam Najfar, Carmen Richter, Sarah Gabriela Riedl, Theresa Bettina Schodl und Stefanie Tuma konzentrierte sich in ihrer Ausstellungsarbeit auf den Aspekt des Balls als soziales Ereignis, das Rituale, Verhaltensformen sowie Selbstdarstellung der englischen Gesellschaft des beginnenden 19. Jahrhunderts deutlich macht. Den konzeptionellen Ansatz der Schau prägte in dem Fall der Satz: »Ich fühlte mich sehr geschmeichelt, als er mich zum zweiten Mal zum Tanz aufforderte«, so Elizabeth Bennet, die Heldin von Jane Austens Roman »Stolz und Vorurteil«. Die sechs Studierenden bauten eine Art Kabine, die wie ein Ballsaal dekoriert und ausgestattet war. Leuchter, Samt, Plakate von Filmadaptionen sowie ein Zusammenschnitt aus verschiedenen Verfilmungen, der jeweils die Ballszene zeigte, sollten bei den BesucherInnen den Eindruck evozieren, selbst Teil dieser Gesellschaft zu sein bzw. die Identifikation mit der Ich-Erzählerin unterstützen.

Literaturausstellungen transportieren textimmanente Bilder jedoch nicht per se über andere Medien, auch wenn sie sich »Ansichten von Literatur« (Hügel 1991, S. 14) widmen, (neue) Zusammenhänge herstellen und dadurch Imaginationsräume erzeugen. In diesem Sinne findet die Literaturausstellung keine adäquaten Bilder, sondern übersetzt Literatur in die Sprache des Schauraums, d.h. findet Visualisierungen für Literatur. Literarische Formen und Inhalte, Erzählstrukturen und -haltungen lassen sich in einer Schau also »mittelbar vermitteln«, d.h. die Auswahl und Zusammensetzung von Objekten geben Literaturausstellungen die Möglichkeit, »Literarisches« über Umwege erfahrbar zu machen. Die Exponate sind also Vehikel der Literatur, Vehikel mit einer Art Referenz-Qualität (vgl. Hügel 1991, S. 13). Daraus resultiert die Sichtweise, dass Objekte in Literaturausstellungen Verweischarakter haben und daher als Schaufenster funktionieren. Die BesucherInnen blicken durch das Glas der Vitrine auf von KuratorInnen ausgewählte Fotografien, Buchund/oder Manuskriptseiten, Korrekturbögen, Zeichnungen, Briefe oder Ansichtskarten, die Auskunft über Reisen, Ideen, Gedanken, Beziehungen, Gefühle und literarische Einfälle geben. In welchem Zusammenhang die ausgewählten Objekte zueinander und mit der Literatur bestimmter AutorInnen, einer Zeit oder Region stehen, welche Kontextualisierungen sie herstellen, unterliegt ganz und gar der Entscheidung der AusstellungsmacherInnen.

4. Schaufenster als Literatur-Auslagen

Zwischen der Zeichnung eines Malers und dem Autograph eines Textes besteht ein entscheidender, wesensmäßiger Unterschied: Die Zeichnung ist das Ziel der Betrachtung, der Text aber, sieht man von der bereits erwähnten sogenannten »Aura« der Originalhandschrift, also ihrer Einzigartigkeit und Echtheit einmal ab, vermittelt sich erst durch die Lektüre, durch die Decodierung der Textzeichen und ihre Interpretation. Objekte der Literatur sind dem eigentlichen Sinn nach ja nicht sinnenhaft, sie müssen gelesen und daher auch umgeblättert werden. Der Schauraum aber ist Ort der »visuellen Erfahrung« und nicht Ort des Lesens. »Wenn man den Schreibtisch und das Arbeitszimmer des Schriftstellers vorführt, dann sei das so, als zeige man anstatt der Bilder eines Künstlers die zum Malen gebrauchten Pinsel und seine Palette« (Botka zitiert n. Lange-Greve, 1995 S. 92).

Der Hierarchiestreit zwischen Bild und Text begleitet die Literatur- und Kunstgeschichte schließlich schon sehr lange bis hin zur aktuellen Medientheorie, dass der Logozentrismus zunehmend der Macht der Bilder Platz machen muss (Schmitz-Emans 2008, S. 9ff.). In diesem Zusammenhang verwendet Susanne Lange-Greve auch den Begriff des Schaufensters, das die zu verkaufende Ware so attraktiv wie möglich präsentiert und zur (käuflichen) Erwerbung hinführen soll. So wie etwa Modesalons Anfang des 20. Jahrhunderts das Schaufenster als Reklame- und Attraktionspunkte entwickelten, so versucht das Schaufenster »Vitrine« in literarischen Ausstellungen zum Lesen (und so auch zum Erwerb von Literatur) hinzuführen. Sichtbar wird in dieser Herangehensweise die Verabschiedung vom Konzept der Repräsentation und kulturellen (nationalen) Identifikation. Die Ausstellung folgt letztlich dem Warencharakter von Literatur.

Worin besteht nun die Chance für Literaturausstellungen, über diese Werbemaßnahmen und über die »Aura des Originals« hinweg eigene Bedeutung zu erlangen? Über die in den »Schaufenstern« präsentierten Objekte werden die eigentlichen »Auslagen« (die Literatur und ihre ErzeugerInnen) erkennbar. Daraus resultiert die Frage, wie diese Schaufenster gestaltet sind: Sind Literaturausstellungen illustrierend-ergänzend oder interpretierend-neuschöpfend? Wie gelingt der Spagat zwischen ästhetischen Prinzipien und dokumentarischen Forderungen?

Susanne Lange-Greve nennt vier Motivationsaspekte, Literatur auszustellen: die ideell-erzieherische, die bildungsmäßige, die operativ-überredende sowie die Informationsebene (vgl. Lange-Greve 1995). Rainer Noltenius ergänzt diese um die Ebene der Einwerbung von Nachlässen und Archivalien (Noltenius 2009, S. 82). Nicht selten führen Literaturausstellungen zu Schenkungen, Dauerleihgaben oder aber auch zu gezielten Ankäufen. Ich möchte allerdings noch eine Ebene hinzufügen, jene der Wissensproduktion durch neu geschaffene Zusammenhänge.

 

Das Ausstellungskonzept »Schaufenster« lässt sich mit Entwürfen und Notiz-Blättern aus Joe Bergers Nachlass illustrieren: Die eigenhändigen Aufzeichnungen, die aus restauratorischen Gründen flach in einer Glasvitrine präsentiert wurden10, verbinden Ideen und Einfälle zum Text »Plädoyer für den Alkohol« sowie zu verschiedenen Erzählungen, Gedichten und Märchen bzw. vermischen sich mit Notizen zu Auftritten. Während die Blätter allein betrachtet relativ uninteressant erscheinen – sie zeigen seine wirr erscheinende, verschnörkelte, schwer lesbare Handschrift –, erschließen sich die Aufzeichnungen im Kontext mit den jeweiligen Publikationen und Aktionen. So wurde etwa die von Berger mitgegründete Arbeitsgruppe »first vienna working group: motion«, die sich 1972 aufgelöst hatte, 1976 noch einmal aktiv, und Berger macht sich dazu lose Notizen. Das Festival »steirischer herbst« in Graz hatte nämlich bei dem Autor Wolfgang Bauer um eine Produktion angefragt und das Duo Bauer & Berger sprang mit dem Projekt »Zirkus Speisesoda oder die größte Poesie des Universums« ein. Berger erwarb dafür billig einen alten Zirkus mit einem Bären, einem Hundeballett und einem Schimpansen und fuhr nun damit nach Graz. Der Maler Franz Ringel hatte im Vorfeld das Plakat für die Veranstaltung gestaltet, der Dichter Reinhard Priessnitz Gedichte vorbereitet. Dem vorausgeeilt waren hanebüchene Ankündigungen, wie etwa dass das Krokodil Kartenzwicken könne. Bauer und Berger traten mit »Lotosblütenkranz über dem Overall« und dem Schimpansen Rudi auf. Dabei verstand sich die Aktion als Parodie auf die Fernsehshows der Zeit.

Bergers diesbezügliche Aufzeichnungen gewinnen nur über den KuratorInnen-Kommentar sowie zusätzliches Material, wie Fotografien (die Berger, Bauer, Priessnitz und den Performer Toni Dusek im »Kostüm« zeigen), Plakate und Zeitungsausschnitte (über den veritablen Flop), jene Bedeutung, die literatursoziologische, ästhetische und kulturpolitische Zusammenhänge, Veränderungen und Forderungen nach neuen szenischen Erscheinungsformen deutlich macht. Nur in den Kontext der literarischen und aktionistischen Produktion situiert, können die Manuskripte – als im Schaufenster ausgelegte Literatur(ware) – zur Wissensvermittlung und -produktion beitragen, ein Andenken an einen vergessenen Autor setzen und zur Lektüre sowie Erwerbung von Bergers (damals neu edierten) Texten11 anregen.

5. Chance: Inszenierung von Literatur

Interpretationen durch Ausstellungs-KuratorInnen können in der Zurschaustellung von Literatur ähnliche Wirkungen wie Inszenierungen am Theater erzielen: Die Fähigkeit der Vermittlung liegt einerseits in der subjektiven, eigenen Position, der Interpretation durch eine/n »RegisseurIn«, KuratorIn, andererseits in der Objektivierung, also äußeren Verständlichmachung der Idee. Nur so lassen sich Ansichten von Literatur vermitteln.

Im Hinblick auf die Vermittlung von Literatur weisen Theater und Ausstellungswesen zahlreiche Parallelen und Berührungspunkte auf (vgl. Hanak-Lettner 2011, S. 9). Hier wie dort werden die Objekte/Figuren in ein räumlich definiertes Bedeutungssystem gestellt, in welchem zahlreiche andere PlayerInnen mitbestimmen: Das Licht spielt eine große Rolle, das Design der Vitrinen/Kostüme, Raumgestaltung bzw. Bühnenbild, das Arrangement der Objekte und Figuren. Beide – sowohl die Theaterinszenierung als auch die Ausstellung – unterliegen einer bestimmten Erzählstruktur, einer klaren Dramaturgie. Damit sind nicht inszenatorische, multimediale Spektakel zur Popularisierung von Literatur gemeint, sondern die Einbettung in Narrative, die sich mit dem Original verbinden, und dazu sind inhaltlich-thematische Strukturen notwendig. Ebenso reicht es nicht aus, nachträglich mit Kunst aufgeladene Objekte (wie zum Beispiel Kafkas Gabel im Deutschen Literaturarchiv Marbach) einfach zu zeigen, auch wenn die »Präsentation von Geburtsurkunden und Alltagsgegenständen berühmter DichterInnen ein verständlicher, oftmals faszinierender und wichtiger Aspekt von Literaturausstellungen [ist]« (Kutzenberger 2012, S. 11).

Kutzenberger vertritt den Standpunkt, dass es »aus literaturwissenschaftlicher Sicht spannender und interaktiver auf jeden Fall dann [wird], wenn man die auratischen Ausstellungsmethoden hinter sich lässt und versucht, die Literatur selbst auf innovative künstlerische Weise sichtbar werden zu lassen« (Kutzenberger 2012, S. 11).

Ein jüngeres, gelungenes Beispiel für die Inszenierung von Literatur ist die Ernst-Jandl-Ausstellung im Wien Museum im Jahr 2011, die anlässlich Jandls 85. Geburtstags ausgerichtet wurde. Hier wird der Text zum Ereignis. Das Material wird inszeniert und der Ausstellungsbesuch zur »Show« stilisiert: Über eine Musikstation wird Jandls Leidenschaft für Jazz vermittelt, über Tondokumente und Videos – wie etwa von seinem legendären Auftritt 1965 in der Royal Albert Hall vor 7000 ZuhörerInnen – wird der Ausstellungsbesuch zum Sprachereignis. Damit wird aus der hermeneutisch-interpretierenden Lektüre ein unmittelbar erfahrbarer Event, der sich an neueren Theorien von Museumspädagogik orientiert, welche die »perfektionierte Mischung von Medien« proklamiert (vgl. Reust 2000, S. 66). In der Ankündigung der Jandl-Show heißt es dazu:

Die Ernst Jandl Show inszeniert Jandls Werk in seiner Vielstimmigkeit, Internationalität und Intermedialität: mit zum Teil unbekannten Ton- und Filmaufnahmen, Fotos und Lebensdokumenten sowie vielen unveröffentlichten Texten. Jandl wird als Künstler sichtbar, der an den Schnittstellen von Text, Ton und Bild arbeitete und dessen innovative Kraft bis in die Alltagskultur hinein fortwirkt. Erstmals wird neben Jandls Greatest Hits faszinierendes Material aus dem Nachlass […] öffentlich präsentiert. Dabei wird deutlich, wie sehr bei Jandl Leben und Schreiben ineinander verschränkt sind.12

Dennoch bleiben auch bei dieser Ausstellung pädagogische und bildungspolitische Ansprüche nicht ausgespart und werden programmatisch ausgewiesen: »Noch mehr Jandl bietet das hochkarätige, umfangreiche Begleitprogramm mit vielen Angeboten speziell für Kinder und Jugendliche.« Die Leseanregung für ein junges Publikum ist zusammen mit der (anlassbezogenen) Präsentation und Veröffentlichung der Nachlassmaterialien klar definiertes Ziel der Ausstellung. Damit belegt auch diese Schau: Als Rechtfertigung dafür, dass sich Literatur selbst kaum zeigen lässt, bleibt der Ausstellung vorerst das Zeigen von Authentischem übrig, der »Zauber des Gegenständlichen«. »Faszinierendes Material« ist ein wesentlicher Begriff in der Rezeption, ebenso das Neue: »unveröffentlichte Texte, unbekannte Aufnahmen«. Die Verknüpfung mit der Biografie dient schließlich als Anhaltspunkt und Anreiz für eine Auseinandersetzung mit den Texten.

Wesentlich an dem Ankündigungstext zur Jandl-Show erscheint mir auch der Begriff der Inszenierung, des Arrangements, der Positionierung mit einer klaren Dramaturgie und einer These, einer speziellen Idee dahinter, die das Versprechen gibt, der Literatur auch ohne den individuellen, privaten Leseakt zur Wirkung zu verhelfen, indem sie neue Imaginationsräume schafft. Damit reflektiert die Jandl-Show auch den museumsdidaktischen Diskurs, nämlich den Fokus auf die Selektion und die Inszenierung der Objekte zu legen, und die Autorität der Institution (Literaturmuseum, Bibliothek, Literaturarchiv) zu senken (vgl. Reust 2000, S. 66).

Aus dem Verhältnis von Zeigen und Deuten entwickelt sich ein Verhältnis zwischen Inszenierung und Ereignis/Erleben. Daraus ergeben sich zahlreiche Chancen und Herausforderungen, Literatur zu reflektieren, zu vermitteln, aber auch die Differenz zwischen Exponat und möglicher Interpretation im Hinblick auf ästhetische Erscheinungsformen zu thematisieren. Wenn man das Exponat nicht als Ersatz für das Unerreichbare, sondern für sich in seiner Materialität nimmt und in neuen oder anderen Zusammenhängen präsentiert, lässt sich realisieren, was Ausstellungen auf Umwegen – ohne die es freilich nicht geht – über das literarische Werk formulieren.

Dementsprechend ist in der Literaturausstellung das Risiko notwendig, eigene Positionen und Standpunkte, eigene Ansichten zu präsentieren. Erst dann wird produktiv mit Literatur umgegangen, produktiv im Sinne einer Teilhabe und Weiterentwicklung von Überlegungen und Reflexionen. Ein Text repräsentiert sich nicht mehr selber, Literatur muss erschlossen werden.

Hier bewahrt sich die Ausstellungsregisseurin bzw. der Ausstellungsregisseur den Blick auf das Exponat, um Wissen mit neuem oder neu zu bewertendem Material zu verbinden und daraus Erkenntnisse und Werte zu schöpfen.

Unter diesem Zugang werden nicht nur Fragen aufgeworfen, neue Zusammenhänge erprobt, das Objekt ist nicht mehr »einfach Träger von Informationen, sondern Repräsentant von Kulturwerten« (Hügel 2009, S. 19), Literatur und ihre Geschichte und Geschichten werden nicht nur gezeigt, sondern kreieren eigene Welten in der Imagination der RezipientInnen.

Anmerkungen

1 Diesen damals neuen Ansatz brachte der italienische Architekt Leopoldo della Santa im Jahr 1816 mit seinem Idealplan der Dreiteilung. Della Santa erörterte dabei die Frage der ökonomischsten Speicherung von Bibliotheksgut, indem er in seinen Überlegungen die Buchhöhenformate berücksichtigte und nach entsprechender Aufstellung eine optimale Platzausnutzung erreichte (vgl. Naumann 2009, S. 3).

2 Die Gründung des Goethe-Archivs in Weimar sowie die Einrichtung eines eigenständigen Gebäudes unter Erzherzogin Sophie von Sachsen-Weimar-Eisenach im Jahr 1886 verweisen auf eine neue Wahrnehmung von literarischen Handschriften als »kulturelles Erbe« sowie die veränderte Bedeutung von Autographen als Textgrundlage für editorische Projekte. Erstmals gab es den Rückbezug auf historisches Material, wodurch die eigene Geschichte »empirisch« belegt wurde (Wittkau 1992, S. 13).

3 Im wissenschaftsgeschichtlichen Diskurs nimmt Karl Lachmanns Lessing-Ausgabe sowohl für die neugermanistische Editionswissenschaft (Weigel 1989) als auch für die Konstituierung von literarischen Vereinen eine wichtige Rolle ein (vgl. Danielczyk 2008).

4 Damit wurde auch das literarische Umfeld um die deklarierten Nationaldichter – in Deutschland nach Lessing Goethe und Schiller, für Österreich wurde Grillparzer als solcher kanonisiert – in die Literaturgeschichtsforschung aufgenommen und dementsprechend neu ediert. Neben der Veröffentlichung von literarischen Texten wurden nun auch weiterführende Zeugnisse, Briefe, Aufzeichnungen und Aussagen über den literarischen Umkreis hinaus neu bewertet und galten nun als historisch bedeutsames Material.

5 In diesem Zusammenhang wurden Literaturausstellungen wesentliche identitätsstiftende Maßnahmen zur Etablierung dieser neuen Institution »Literaturarchiv«, die sich in ihrem Selbstverständnis zwischen Universität, Bibliothek und Archiv bewegt. Vielerorts waren und sind Literaturarchive, -museen und Handschriftensammlungen zwar verwaltungstechnisch einer der eben genannten Einrichtungen zugeordnet, bekamen bzw. bekommen aber ihr eigenes Gebäude.

6 Beispiele dafür gibt es genügend, für Österreich sind u.a. das Adalbert-Stifter-Haus in Linz (mit dem dort angesiedelten oberösterreichischen Literaturarchiv) oder das Robert-Musil-Institut für Literaturforschung bzw. das Kärntner Literaturarchiv zu nennen. Dass die Handschriftensammlung der Wienbibliothek im Rathaus – mit seiner Grundsteinlegung im Jahr 1878 erstes österreichisches Literaturarchiv – nicht Franz-Grillparzer-Archiv heißt, ist allein das Resultat damaliger stadt- und wissenschaftspolitischer Verhältnisse. Wie stark die enge Verbindung von AutorIn und Ort bis heute nachwirkt, verdeutlichen etwa regelmäßige Anfragen von ForscherInnen, die Einblick in das »Karl-Kraus-Archiv« im Wiener Rathaus nehmen möchten.

 

7 Handschriften, Manuskripte, Dokumente sind im Museumsjargon sogenannte »Flachware«, sie sind »anstrengend« und lassen sich daher schwer ausstellen.

8 Ich danke Frau Dr.in Veronika Zangl sehr für die anregenden Gespräche und wertvollen Hinweise zu den vorliegenden Fragestellungen.

9 Michail Bulgakow (2001): Der Meister und Margarita. Berlin: Jugend und Volk.

10 »DENKEN SIE! Joe Berger zum 70. Geburtstag.« Ausstellung in der Wienbibliothek im Rathaus, 22. Oktober 2009 bis 15. April 2010.

11 Joe Berger (2009): Hirnhäusl. Prosatexte aus dem Nachlass und verstreut Publiziertes. Hg. u. komm. von Thomas Antonic und Julia Danielczyk. Klagenfurt: Ritter.

12 http://www.wienmuseum.at/de/ansicht/ausstellung/die-ernst-jandl-show.html [Zugriff: 13.06.2012].