Was fehlt?

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3.Besinnung auf den Sinn der Frage: „Was fehlt?“

Gegen Ende der Vorbemerkung, mit der die vorliegenden Ausführungen eingeleitet wurden, habe ich kurz auf die Gründe hingewiesen, weshalb beim Zugang zur Frage „was fehlt?“ meine Betrachtungen die Sicht der interkulturellen Philosophie voraussetzen. Dabei wurde der Grund hervorgehoben, dass ein zentrales Anliegen interkultureller Philosophie gerade darin besteht, die für Denken und Erkenntnis wohl konstitutive Dimension der Kontextualität nicht als Erklärung für die regionale Isolierung der Denkarten und ihrer Fragen zu interpretieren, sondern sie im Gegenteil als Bedingung für die Kommunikation und für die Suche nach einer intensiven Universalität neu zu verstehen.8 Am Leitfaden dieses Gedankens, der – wie mir scheint – auch Impulse für die geschichtliche Verwirklichung der Idee der Katholizität geben kann, soll im Folgenden versucht werden, einige Momente darzustellen, die dazu beitragen sollen, den Sinnhorizont und damit auch die Erfahrungsmöglichkeiten der Frage „was fehlt?“ zu erweitern.

Es geht, anders ausgedrückt, um Hinweise, die sozusagen „von einem anderen Ufer“ her kommen und die dazu anregen möchten, sich der Frage „was fehlt?“ als einer Frage anzunähern, die zur Teilhabe an einer Sinnsuche herausfordert, die ihrerseits uns als Fragende eben dieser Frage zu einer Bewegung der Überschreitung der Grenzen kontextueller Zugänge und ihrer verengenden Grenzziehungen – hier insbesondere jene, die durch einen europäisch-deutschen sozialpolitischen und wissenschaftsgeschichtlichen Hintergrund geprägt sind – veranlasst. Und es dürfte dabei klar sein, dass diese Bewegung, die der Teilhabe an der in der Frage „was fehlt?“ drängenden Sinnsuche Gestalt gibt, nicht auf eine die Kontextualität verleugnende „Überführung“ der Frage ins Abstrakte abzielt, sondern vielmehr darauf, sie als eine Grundfrage zu verstehen, die in jedem Kontext die Latenz des Rufes dessen hütet, was in der abendländischen Philosophie seit Plato als Indikation der möglichen Fülle menschlicher Existenz in Erinnerung gebracht wird.9 Diesem möglichen Missverständnis wollte ja der Hinweis auf das Verständnis von Kontextualität in der interkulturellen Philosophie vorgreifen.

In diesem Sinne folgen nun die angesprochenen Momente, die, wie ich betonen darf, vor dem Hintergrund des Gesagten in den kritischen Anmerkungen zu den im „Einführungstext“ zur Frage des Symposiums vermuteten eurozentrischen Voraussetzungen formuliert werden, und zwar in ergänzender Absicht. Es sind die Folgenden:

3.1 Besinnung auf die Geschichtlichkeit der Frage

Freilich fragt das Symposium nach dem, was Theologie heute in „spätmodernen Zeiten“ fehlt, aber Theologie, die ihre Tradition nicht ganz vergessen hat, muss auch wissen, dass sie dabei eine Frage wiederholt, die wesentlich zu ihrer eigenen Geschichte gehört. Angesagt wäre daher zunächst, über die Geschichte der Frage nachzudenken, um so bewusst in Erinnerung rufen zu können, warum und wie Theologie (als „zweiter Akt“ der Glaubenspraxis einer Gemeinschaft10) in ihrer Geschichte um eine Antwort auf die Frage „was fehlt?“ ringt.

Wie viele Reformbewegungen und Erneuerungsansätze, angefangen bei der franziskanischen Armutsbewegung bis hin zur Theologie der Befreiung, zeigen, drückt sich in der Frage „was fehlt?“ eine Erfahrung des Unbehagens und der Revolte aus. Sie kann deshalb als ein Leitfaden in der Geschichte der Theologie betrachtet werden, um die Rebellion des (theologischen) Logos vor dem „Status quo“ in Welt und Kirche historisch zu rekonstruieren. Die Besinnung auf die Geschichte der Frage „was fehlt?“ würde so verdeutlichen, wie diese Frage zum Ringen der Theologie um ihr eigenes Selbstverständnis gehört, vor allem jedoch hätte sie für heutige Theologie die Konsequenz, dass beim Wiederholen der Frage diese mit dem tradierten Anliegen der Revolte konfrontiert wäre.

3.2 Besinnung auf die Kontextualität der Frage

Wer um die Geschichtlichkeit menschlicher Fragen weiß, der hat auch ein Bewusstsein davon, dass die jeweilig eigene Lebensgegenwart der Menschen die Kontextualität ihres Lebens und der Fragen, denen sie sich zu stellen haben, nicht erschöpft. Kontextualität – weil sie, wie bereits angemerkt, auch mit memoria zu tun hat – ist je mehr als nur faktische Gegenwart. Das gilt insbesondere für die Kontextualität philosophischer und theologischer Fragen, wie eben diese nach dem, was fehlt. Besinnung auf die Kontextualität der Frage soll also hier verhindern, dass man als Konsequenz der allgemeinen Auswirkungen der „Fortschrittsideologie“ allzu schnell die Tragweite der Frage „was fehlt?“ allein vom Kontext der eigenen Gegenwart her bestimmt, indem man eben lernt, ihren Sinn im Zusammenspiel von Tradition und Gegenwart herauszulesen.

3.3 Besinnung auf die Qualität der Frage

Gerade im faktischen Kontext einer Gegenwart, die sozialpolitisch durch die kapitalistische „Warenstruktur“11 der Gesellschaft und die daraus folgende Verdinglichung aller Verhältnisse menschlichen Lebens, die nur das Fehlen von „Dingen“ bzw. Waren kennt, und wissenschaftlich durch Erkenntnisinteressen und Methoden geprägt wird, die das Empirische, Analytische und Quantitative bevorzugen, sollte die Theologie aus der eigenen Einsicht in die Geschichte und Kontextualität der Frage „was fehlt?“ heraus klarstellen, dass für sie diese Frage eine Qualität hat, die weder im System der „Warenstruktur“ noch im vorherrschenden Wissenschaftsparadigma vorkommen kann. Weder eine bessere Bilanz der vorhandenen Waren noch eine bessere Berechnung der Produktionsmöglichkeiten noch eine Optimierung der Rentabilitätsmethoden, aber auch nicht präzisere analytische Methoden oder weiterreichende wissenschaftliche Prognosen werden auf die (philosophische) theologische Frage „was fehlt?“ antworten können. Denn heutige Theologie sollte nach dem, was fehlt – wie sie aus der Geschichte und Kontextualität der Frage lernen kann – wohl doch nicht aus einer Feststellung konkreter Mängel heraus fragen, sondern ganz im Gegenteil aus der Hoffnung auf die versprochene „Fülle“. Deshalb sollte sie übrigens auch vor Versuchen warnen, die den Sinn dieser Frage auf den Interessensbereich des „nachmetaphysischen Denkens“ einschränken und ihr die Funktion zukommen lassen, „Ressourcen“ des Beistands für eine „ihre eigene Bestimmung“ verfehlende praktische Vernunft zu mobilisieren.12

Also: Nicht die Realität des Mangels, sondern die Hoffung auf Fülle sollte Theologie als den Ursprung ihrer Frage nach dem, was fehlt, erfahren und vermitteln können.

Die theologische Frage „was fehlt?“ kann wahrscheinlich daher nur derjenige stellen, der, wie zum Beispiel Teresa von Ávila13, auch ahnt, was allein genügt. Und darin liegt wohl die singuläre Qualität dieser Frage. Ihre Pointe liegt eigentlich darin, dass sie nicht wissen will, was noch fehlt, sondern was im Grunde immer schon zu viel oder überflüssig war.

4.Schlussbemerkung

Die vorgelegten Betrachtungen, wie ich sagte, verstehen sich als Anregung zum Nachdenken über die Frage „was fehlt?“, weil von der Vermutung ausgegangen wird, dass unter den gegebenen sozialpolitischen und kulturellen Bedingungen einer mitteleuropäischen kapitalistischen „spätmodernen“ Gesellschaft wissenschaftliche Theologie sich erst vergewissern sollte, ob sie noch für die besondere, genauer: prophetische Qualität der Frage „was fehlt?“ sensibel genug ist. Das wäre meines Erachtens die Bedingung dafür, dass sie die Identifizierung von „Leerstellen“ im eigenen Tun nicht bloß mit der Aufgabe der Erweiterung des bestehenden „Lehr- und Forschungsplans“ mit neuen Themen und Problemen verwechsele, sondern darin die Herausforderung erkenne, die Grundlagen, auf denen sie steht, zu überprüfen und im interreligiösen wie im interkulturellen Gespräch möglicherweise eine sapientiale Neubegründung zu wagen.

Und in diesem Sinne darf ich doch meinen, dass die Besinnung auf den Sinn der Frage „was fehlt?“ doch der Anfang der im Symposium gestellten Aufgabe sein kann, wie ich schon sagte.

Literatur

Andreu, A., Sobre revelaciones religiosas y filosofía, Valencia 2007.

Bammé, A., Homo occidentalis. Von der Anschauung zur Bemächtigung der Welt. Zäsuren abendländischer Epistemologie, Velbrück 2011.

Böhme, G., Alternativen der Wissenschaft, Frankfurt a.M. 1980.

Espín, O.O., Idol & Grace. On Traditioning and Subversive Hope, New York 2013.

Estermann, J., Zivilisationskrise und das Gute Leben. Eine philosophische Kritik des Kapitalistischen Modells aufgrund des andinen Allin Kawasay/Suma Qamaña, in: Concordia. Internationale Zeitschrift für Philosophie 63 (2013), 19-48.

Fornet-Betancourt, R., Justicia, restitución, convivencia. Desafíos de la filosofía intercultural en América Latina, Aachen 2014.

- u.a. (Hg.), Auf dem Weg zu einer gerechteren Universalität. Philosophische Grundlagen und politische Perspektiven, Aachen 2013.

- (Hg.), Begegnung der Wissenskulturen im Nord-Süd-Dialog, Frankfurt a.M. 2008.

Gutiérrez, G., Teología de la liberación. Perspectivas, Lima 1971.

Heidegger, M., Leitgedanken zur Entstehung der Metaphysik, der neuzeitlichen Wissenschaft und der modernen Technik, Gesamtausgabe, Bd. 76, Frankfurt a.M. 2009.

- Wissenschaft und Besinnung, Gesamtausgabe, Bd. 7: Vorträge und Aufsätze, Frankfurt a.M. 2000.

- Die Zeit des Weltbildes, Gesamtausgabe, Bd. 5: Holzwege, Frankfurt a.M. 1977.

 

Hübner, K., Kritik der wissenschaftlichen Vernunft, Freiburg i.Br. u.a. 1978.

Kosík, K., Dialektik des Konkreten, Frankfurt a.M. 1967.

Lukács, G., Geschichte und Klassenkampf, Neuwied u.a. 1971.

Marx, K., Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie, MEW, Bde. 23-25, Berlin 1971.

Meyer-Abich, K.M. (Hg.), Vom Baum der Erkenntnis zum Baum des Lebens. Ganzheitliches Denken in Wissenschaft und Wirtschaft, München 1997.

Olmedo, A.M., El aro y la trama. Episteme, modernidad y pueblo, Santiago de Chile 2006.

Ortega y Gasset, J., Meditaciones del Quijote, Obras Completas, Bd. 1, Madrid 1983.

Plato, Das Gastmahl, Werke, Bd. 3, Darmstadt 1974.

Reder, M./Schmidt, J. (Hg.), Ein Bewusstsein von dem, was fehlt. Eine Diskussion mit Jürgen Habermas, Frankfurt a.M. 2008.

Teresa von Ávila, Gott allein genügt. Worte geistlichen Lebens, Kevelaer 2007.

Weber, M., Die »Objektivität« sozialwissenschaftlicher und sozialpolitischer Erkenntnis, Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, Tübingen 1988.

Weizsäcker, C.F. von, Die Einheit der Natur, München 1972.

1Siehe Programm des Symposiums.

2Vgl. Estermann, Zivilisationskrise.

3Für einen Überlick über die neuere Diskussion um den Begriff „Tradition“ vgl. Espín, Idol & Grace; für eine ausführlichere Darstellung des oben angesprochenen Aspektes vgl. das Kapitel „Sobre el concepto de tradición desde la perspectiva de la filosofía intercultural“ in Fornet-Betancourt, Justicia, 25-45.

4Vgl. Heidegger, Die Zeit des Weltbildes, insbesondere 77ff.; vgl. auch Heidegger, Wissenschaft und Besinnung, 37-65; und Heidegger, Leitgedanken.

5Vgl. Weber, »Objektivität«, insbesondere 170ff.; vgl. ferner Bammé, Homo occidentalis.

6Hier wird nicht nur an „außereuropäische“ Wissenstraditionen gedacht, da auch in Europa Alternativen zu der vorherrschend werdenden Linie entwickelt wurden. Vgl. u.v.a. Andreu, Sobre revelaciones; Böhme, Alternativen; Hübner, Kritik; Meyer-Abich (Hg.), Baum; von Weizsäcker, Einheit; vgl. zudem aber auch Fornet-Betancourt (Hg.), Begegnung.

7Vgl. Olmedo, El aro y la trama.

8Vgl. Fornet-Betancourt u.a. (Hg.), Auf dem Weg.

9Vgl. Plato, Gastmahl, insbesondere 202e; vgl. auch Ortega y Gasset, Meditaciones, insbesondere 311ff.

10Vgl. Gutiérrez, Teología.

11Vgl. dazu u.a.: Marx, Kapital; vgl. auch Lukács, Geschichte; vgl. zudem Kosík, Dialektik.

12Vgl. Reder/Schmidt (Hg.), Bewusstsein, insbesondere 30ff.

13Vgl. Teresa von Ávila, Gott.

Was fehlt?
Leer- und Lehrstellen der Theologie in und für spätmoderne Zeiten
Philosophisch-theologische Anmerkungen aus der Beratungsperspektive

Ferdinand Rohrhirsch, Eichstätt/Esslingen am Neckar

1.Zurichtung der Frage durch Rahmensetzung

‚Die Statements können auch essayistisch, experimentell, gewagt angelegt sein‘ – so die Formulierung von Rainer Bucher in einer E-Mail an die Teilnehmer des Symposions.

Obgleich „gewagt“ und „experimentell“ nur in einem sehr geringen Maße mein Naturell beschreiben, war die Formulierung äußerst hilfreich in Hinsicht auf meine Beitragsausrichtung.

Ich habe aus ihr die Ermutigung destilliert, die Symposionsfrage von Form-, Formulierungs- und Erwartungszwängen zu befreien, um sie so aus ihrer, für mich riesenhaft, beinahe anmaßenden Dimension herauszuholen. Ich möchte also auf die Symposionsfrage aus einer deutlich tiefer gelegten – biographisch-beruflichen – Perspektive und Warte einen für mich verantwortbaren Antwortversuch vorlegen.

„Etwas fehlt“ – mit diesen Worten ist ein Text überschrieben, der ein Gespräch von Ernst Bloch und Theodor W. Adorno dokumentiert, das von Glück und Utopie handelt. „Etwas fehlt“, dieser Satz, den Bloch von Brecht übernimmt, verliert auch dort nichts von seiner Bedeutsamkeit, wo es, vermeintlich weit entfernt von Glück und Utopie, um Alltägliches geht. Um einen Alltag, in dem vorgeschützte Sachzwänge häufig zu Handlungsimperativen führen, in deren Schlepptau dann regelmäßig die Vokabeln „unumkehrbar“ und/oder „alternativlos“ zu finden sind. Das gilt nicht nur im Zusammenhang von Bahnhofsneubauten im Südwesten Deutschlands.

Dass im Alternativlosen etwas fehlt, das ist unverkennbar – es ist die Alternative. Wie die zu denken ist, oder was da fehlt, das ist – zugegeben – nicht immer unmittelbar offenkundig. „Etwas fehlt.“ Was das ist, was da fehlt, weiß man nicht immer. Es darf nach Bloch auch „nicht ‚ausgespinselt‘ werden“1. Auch das Symposionsthema setzt voraus, dass etwas fehlt, und lädt ein, genauer zu fragen bzw. darüber nachzudenken, was es ist, das da fehlt.

Im Rahmen der ausgesprochenen Einladung von Rainer Bucher und der Ermahnung von Ernst Bloch bedeutet das für mich, um im Bild zu bleiben, mein Augenmerk auf die Leinwand zu richten. Sie soll daraufhin geprüft werden, ob es ihr möglich ist, Farben aufzunehmen, Farben abzugeben und erneut Farben anzunehmen. Und es bedeutet vor allem nachzusehen, ob überhaupt und welche Farben zur Verfügung stehen.

Damit ich am Bild der Theologie mitzuarbeiten vermag, teile ich meine bisherigen Erfahrungen mit der Theologie in universitäre und nachuniversitäre ein, wobei die universitären Erfahrungen auch meine Studienzeit umfassen.

2.Studienzeit und Universität: Zu Beginn Übermaß – Am Ende Mangel

Denke ich aber an den Beginn meiner Studienzeit, dann war nirgendwo ein Fehlen festzustellen. Aus der Perspektive eines Studierenden war von allem reichlich und manchmal viel zu viel vorhanden. Viele Fächer, viele Daten, viele Ansätze – und das alles unter dem Dach einer Theologischen Fakultät.

Vor einiger Zeit fand sich in der Zeitschrift der Katholischen Akademie in Bayern (zur debatte) der Abdruck eines interdisziplinären Gesprächs, das dem Thema „Glaube und Bildung“ verpflichtet war. Einstiegszitat war ein Satz des 2013 verstorbenen Innsbrucker Bischofs Reinhold Stecher. Was schuldet das Christentum einer Gesellschaft? Stechers Antwort: Bildung und Dialog. Und Bildung, so Kardinal Marx in diesem Gespräch, ist „mehr als ein Anpassungsprozess an die Wirtschaft“2. Lehrer der Religion, und damit waren für Marx nicht nur Religionslehrer gemeint, haben „Universalgenies“3 zu sein. Mit Bezug auf Johannes Röser wurde gefragt: „Wo sind die naturwissenschaftlich und technisch gebildeten Priester?“4, „Wo die Bildungspfarrer?“5.

Den Geist, der hinter diesen Sätzen steht – Welt in vielfältigster Weise verstehen zu wollen, damit ihr freundlich begegnet werden kann, um sie dann, und dann auch erst möglich, gern haben zu können –, meine ich in seinen Ausläufern in meiner Studienzeit in Eichstätt noch verspürt zu haben. In der Theologie gab es noch den Behringer-Lehrstuhl, also Naturwissenschaft und Technik explizit für Theologen. Verpflichtend waren auch die Vorlesungen bei Prof. Norbert Knopp (nicht Guido) – einem Kunstgeschichtler von Rang. „Die Architektur der Gotik“, so lautete der Titel einer seiner Vorlesungen. Wer sie besuchte, der wusste danach, dass man für die Frage, was Menschen von ihrem Gott gehalten haben, nicht auf Traktate angewiesen ist, sondern dass auch Steine vom Lobe Gottes künden können. Wenn man bereit ist, Sehen zu lernen.

Und die Philosophie kam ja noch hinzu. Auch sie war Teil des Theologiestudiums – für mich begeisternd, für nicht so wenige Priesteramtskandidaten eher eine unnötige, beschwerliche und wenig sinnvolle, wenngleich qualifizierte Behinderung auf ihrem „fokussierten“ und sehr geraden Weg zum Geistlichen.

Nein, nichts hat zu Beginn gefehlt – am Ende schon. Das Ende meiner Bekanntschaft mit der universitären Theologie war identisch mit der Streichung des Lehrstuhls für „Praktische Philosophie und Geschichte der Philosophie“, der innerhalb der Theologischen Fakultät verortet war.

Genauer und womöglich erhellender: der Lehrstuhl wurde nicht gestrichen, er wurde innerhalb der Universität umgewidmet – zugunsten eines Lehrstuhls für Informatik.

Da meinte ich zu spüren, über alle privat-berufliche Betroffenheit hinaus, dass mit der Aufgabe dieses Lehrstuhls nicht nur ein großer Teil der Philosophie aus dem theologischen Haus zieht, sondern dass sich mit diesem Auszug auch die Architektur des theologischen Hauses verändert. An seiner Fassade war das kaum zu sehen.

Anders formuliert: gerade durch den philosophischen Teilauszug zeigte sich für mich überdeutlich, dass der Geist der Philosophie zur Identität der Theologie gehört. Und nicht nur im Sinne einer Leitplanke, die es zum Beispiel verhindert, dass die Theologie eine von Spezialfragen geleitete, historische Wissenschaft wird.

Nun aber, seit über einem Jahrzehnt im Beratungsgewerbe, in Gesprächen mit Leitenden in Profit- und Non-Profit-Organisationen, mit Mittelständlern, Autobauern, Leitern von kommunalen Einrichtungen, Heimverantwortlichen, ist weder die Theologie noch die Theologische Fakultät ein Thema. Die Universität Eichstätt wird immer dann zum Thema, wenn Artikel, Pressemeldungen oder eine E-Mail aus der Verwaltung der Katholischen Universität Eichstätt an mich mir signalisieren, dass ein weiteres Kapitel der unendlichen Geschichte der Präsidentensaga aufgeschlagen worden ist.

Zusammengefasst: Ich weiß nicht, was und ob überhaupt der Eichstätter Theologie heute etwas fehlt. Noch viel weniger aber weiß ich, was einer süddeutschen, einer deutschen, einer europäischen oder südamerikanischen oder Eine-Welt-Theologie fehlt.

Wenn ich zudem Theologie grundsätzlich fasse, als wissenschaftliche und, nicht notwendig, aber durchaus wünschenswert, universitäre Unternehmung, die die Reflexion einer gewesenen, aktuellen oder einer möglichen zukünftigen Glaubenspraxis betreibt, und ich damit Theologie von der Glaubenspraxis trenne, die ich in meinem Umfeld wahrnehme und deren Teil ich bin, dann fehlt der Theologie nichts, weil sie selbst fehlt, das heißt in meinem gesellschaftlichen Umfeld nicht vorfindbar ist.

An dieser Stelle kann ich Johanna Rahner nicht widersprechen, die in ihrer Einführung in die katholische Dogmatik schreibt: „So gehört es wohl zu den Grundbedingungen der christlichen Gottesrede, dass ihr niemand zuhört. Man steht mit einem Angebot da, für das keine Nachfrage besteht“6.