Träume - Spiegel der Seele, Krankheiten - Signale der Seele

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Lebensstil und Traum

Der Begriff des Lebensstils spielt in der therapeutischen Seelsorge eine große Rolle. Es ist eine der großen Entdeckungen Adlers, der damit den komplizierten Menschen besser verstehen will. Adler nannte seine Psychologie – im Gegensatz zu Freud – Individualpsychologie (Individuum heißt in seiner ursprünglichen Bedeutung das unteilbare Ganze).

Adler will den Menschen nicht zerteilen, sondern ihn in seiner unteilbaren Ganzheit verstehen. Der Lebensstil bedeutet für ihn:

 die Lebens-Grundüberzeugungen, die ein Mensch in sich hat;

 das Denkschema, mit dem der Mensch seine unbewussten Ziele ansteuert; – die Meinungen, die er über die anderen hat;

 die Vorstellungen, die er von Gott, dem christlichen Glauben und dem Sinn des Lebens hat;

 die private Logik, die er sich über Liebe, Arbeit, Freizeit, Genuss, Aktivität, Ehrgeiz usw. gebildet hat;

 die subjektive Wahrnehmung, in der er Welt, Dinge und Menschen beurteilt;

 das Bewegungsgesetz eines Menschen, das ihn zwanghaft oder mutig, pessimistisch oder optimistisch, aktiv oder passiv, entscheidungsstark oder entscheidungsschwach an die Aufgaben des Lebens herangehen lässt;

 die Gangart eines Menschen, die ihn langsam oder schnell, kreativ oder einfallslos, plump oder elegant, vorurteilslos oder voreingenommen alles im Leben in Angriff nehmen lässt;

 ein Programm, das sich dieser Mensch geschaffen hat, um allen Anforderungen gewachsen zu sein;

 die Summe von Erfahrungen, die der Mensch schon als Kind gemacht und in sein Lebensprogramm eingebaut hat;

 die schöpferische Antwort, den Herausforderungen des Lebens auf konstruktive oder neurotische Art und Weise zu begegnen; alle Umgangs- und Verhaltensmuster, mit denen er aggressiv, charmant, betrügerisch, nachgiebig, kämpferisch, abwertend oder fürsorglich die Lebensaufgaben anpackt.

Der Lebensstil ist also die Summe aller Denk-, Fühl- und Verhaltensmuster, die ein Mensch einsetzt, um den Ansprüchen des Lebens gewachsen zu sein. Der Lebensstil ist die Schablone, die der junge oder erwachsene Mensch über alle Situationen, Gegebenheiten und Ereignisse stülpt. Im Lebensstil kommt der ganze Mensch mit allen seinen Sonnen- und Schattenseiten ungeschminkt zur Sprache. Der Lebensstil ist ein getreues Spiegelbild dieser einmaligen Persönlichkeit.

Aufgabe der therapeutischen Seelsorge ist es, diesen Lebensstil mit dem Ratsuchenden herauszuarbeiten. Je klarer der Lebensstil definiert ist, desto besser kann dem Ratsuchenden geholfen werden:

 seine Mängel zu erkennen,

 seine Probleme zu verstehen,

 seine Beziehungsstörungen einzuordnen,

 seine Glaubensschwierigkeiten wahrzunehmen,

 Lösungen für Konflikte anzustreben.

Der Traum ist eine Möglichkeit, den Lebensstil eines Menschen zu verstehen. Denn im Traum kommen die Muster und Lebens-Grundüberzeugungen zur Sprache, die für sein Denken, Fühlen und Handeln kennzeichnend sind.

An einem Beispiel möchten wir deutlich machen, wie der Traum den Lebensstil enthüllt. Den Traum erzählte eine achtunddreißigjährige Frau, die die Beratung aufsuchte. Zunächst beschrieb sie ihr Problem:

»Ich bin verheiratet und habe Schwierigkeiten mit meinem Mann. Immer bin ich unzufrieden. Bei den kleinsten Dingen, die nicht nach meinen Vorstellungen verlaufen, reagiere ich mit Kritik. Ich habe das Gefühl, dass ich es richtig mache, und er macht vieles falsch. Meine Unzufriedenheit ist so stark, dass ich mit der Kritik nicht aufhören kann. Ich werde unwahrscheinlich aggressiv. Als ich heiratete, wusste ich, dass ich einen großen Fehler machte, aber ich wollte den Mann nicht enttäuschen.«

Mein Traum war so:

»Ich gehe zu einem Mann in die Seelsorge. Er hat lange, schlohweiße Haare. Der Bischof hat mir den Mann empfohlen. Auf dem Weg dorthin werden meine Schritte langsamer. Ich spüre, wie ich selbst mit mir rede. ›Warum gehst du langsamer?‹ Und ich höre mich sagen: ›Er wird das Gespräch nicht bringen, was du dir vorstellst!‹ Als ich die Tür öffne, kommt mir ein Gesicht entgegen, das ich langweilig finde. Ich spüre keine Überzeugung, dass er mir helfen kann. Was er sagt, ist oberflächlich. Ich spüre, dass in mir Zorn hochkommt. Plötzlich fallen ihm seine Aufzeichnungen aus der Hand. Auf der Erde liegt alles durcheinander. Er findet nichts wieder. Da wache ich auf.«

Der Lebensstil erschließt sich durch fünf Fragen:

a) Wie sieht die Ratsuchende sich selbst?

 Unzufrieden, pessimistisch,

 selbstkritisch, besserwisserisch,

 überheblich, fehlerorientiert.

b) Wie sieht die Ratsuchende die anderen? Wie sehen die anderen die Ratsuchende?

 Die anderen genügen nicht,

 sie machen alles falsch,

 sie sind schuld,

 besonders Männer sind enttäuschend,

 sie erfüllen nicht ihre Erwartungen,

 die anderen werden entwertet,

 die Ratsuchende wirkt in den Augen der anderen unangenehm,

 handelt in den Augen der anderen lieblos und unpartnerschaftlich,

 wird als arrogant und kritiksüchtig erlebt.

c) Wie fühlt sich die Ratsuchende in der Welt? Wie ist ihre Glaubenserziehung?

 Sie lebt unglücklich in dieser Welt,

 das Leben bleibt ihr vieles schuldig,

 sie findet, Gott ist ungerecht,

 der Glaube ist eher eine Last und keine Freude,

 sie fühlt sich auch von Gott oft im Stich gelassen.

d) Welche Ziele verfolgt die Ratsuchende?

 Sie muss überlegen sein,

 sie handelt richtig,

 nur durch Überlegenheit meistert sie das Leben,

 sie weiß alles und weiß alles besser,

 durch ständige Entwertung anderer steigert sie ihre eigene, allumfassende Macht,

 selbst die Ratschläge eines namhaften geistlichen Führers, eines Bischofs, sind irrig.

e) Mit welchen Mitteln und Methoden verfolgt die Ratsuchende ihre Ziele?

 Mit unbarmherziger Kritik,

 Aggressionen,

 Entwertungen,

 unmenschlicher Überheblichkeit,

 Besserwisserei,

 Selbstgerechtigkeit (»Ich mache alles richtig!«),

 Verachtung von Menschen, besonders der Männer.

Zusammenfassend lässt sich sagen: Das geschilderte Eheproblem und der Traum sind in den Aussagen so deckungsgleich, dass die Leitmotive des Lebensstils in beiden Äußerungsformen klar ersichtlich sind. Denken, Fühlen und Handeln eines Menschen kommen so eindrücklich zur Sprache, dass es der Seelsorger leicht hat, den roten Faden im Auge zu behalten.

Die verschiedenen Aspekte des Lebensstils sollen allerdings nicht vom Seelsorger gedeutet werden. Der Seelsorger hat die Aufgabe, die Selbstaussagen, die im Problem und im Traum offenbar werden, mit der Ratsuchenden ins Licht zu heben. Sieht sich die Ratsuchende im Spiegel seiner Stellungnahmen, kann die Selbsterkenntnis so hilfreich sein, dass mit Gottes Hilfe eine Korrektur des alten Lebensstils gelingt.

Die Zielrichtung des Traums

Ein Begriff, der das Konzept der therapeutischen Seelsorge und des biblischen Denkens beherrscht, ist der Begriff der Zielgerichtetheit, der Finalität (finis = Ziel). Das Ziel des Menschen besteht darin,

 im Geistlichen wie im Menschlichen positive oder auch zerstörerische Vorstellungen zu verwirklichen,

 mit praktisch gelebter Liebe, aber auch mit störenden Verhaltensmustern das Leben zu meistern,

 von klein auf Hilflosigkeit in Stärke zu verwandeln,

 Unsicherheit in Sicherheit zu überführen,

 Unvollkommenheit in Vollkommenheit zu verarbeiten, die Minussituation des Lebens in eine Plussituation umzugestalten.

Wo wird im biblischen Denken das zielorientierte Planen und Handeln des Menschen deutlich? Einige Bibelstellen sollen das verdeutlichen:

»Gib dein Bestes im Glaubenskampf, damit du das ewige Leben gewinnst. Zu diesem Leben hat Gott dich berufen, als du vor vielen Zeugen das gute Bekenntnis des Glaubens ablegtest« (l. Timotheus 6,12).

»Im Voraus setzt du (Gott) fest, wie alt er (der Mensch) wird, auf Tag und Monat hast du es beschlossen« (Hiob 14,5).

»Lehre mich, Herr, dass mein Leben ein Ziel hat« (Psalm 39,5).

»Jage nach dem vorgesteckten Ziel« (Philipper 3,14).

»Arbeitet an euch selbst in der Furcht vor Gott, damit ihr gerettet werdet! Ihr könnt es, denn Gott gibt euch nicht nur den guten Willen, sondern er selbst arbeitet an euch, damit seine Gnade bei euch ihr Ziel erreicht« (Philipper 2,12 – 13).

Der Mensch wird angehalten,

 zu Gott zu kommen,

 eine Hoffnung auf ihn zu setzen,

 Vertrauen nicht aufzugeben,

 im Glauben Zuversicht zu praktizieren,

 zu kämpfen, um den Siegespreis zu erlangen,

 

 die Seligkeit zu schaffen,

 auf das Ziel zu schauen usw.

Adler nennt seine Psychologie eine Gebrauchspsychologie, im Gegensatz zur Besitzpsychologie.

Die Besitzpsychologie stellt fest, was ein Mensch mit auf die Welt bringt. Aus dem Besitz wird alles Seelische abgeleitet. Die Gebrauchspsychologie verdeutlicht, was ein Mensch mit seinen Anlagen, Gaben und Möglichkeiten anfängt,

 wie er sie benutzt,

 was er damit bezweckt,

 wie er sie in Dienst stellt.

Im Umgang mit Christen und Nichtchristen und in der Seelsorge mit Ratsuchenden wird deutlich, wie ein Mensch seine Gaben, Anlagen und von Gott geschenkten Möglichkeiten ausnutzt.

Redet er sich auf seinen »Besitz« heraus? Gebraucht er seine vererbten Anlagen als Alibi? Ist er bereit, über seine Verantwortung nachzudenken, darüber,

 was er aus Anlage und Umwelteinflüssen gemacht hat?

 wie er seine Gaben in Dienst gestellt hat?

 wie er Gaben und Talente vergraben oder für Gott und andere Menschen eingesetzt hat?

Im Wachen wie im Traum kommen diese Deutungsmuster zur Sprache.

Die Traumdeutung nach Adler versucht daher schwerpunktmäßig, zwei Fragen zu beantworten:

a) Was ist das Ziel des Traumes?

 Was soll damit bezweckt werden?

 Welche Lebens-Grundeinstellungen (menschlich oder geistlich) offenbart der Träumer?

b) Wie ist die Stellung des Träumers zur Gemeinschaft?

 Handelt er gemeinschaftsfreundlich?

 Handelt er partnerschaftsfeindlich?

 Handelt er kooperativ oder destruktiv? Das Beispiel eines Flugtraumes soll beide Aspekte beleuchten.

Ein Manager eines mittelgroßen Betriebes, Zulieferer für ein großes Autowerk, kommt mit folgendem Problem in die Seelsorge: »Mein Leben verläuft im Prinzip erfolgreich. Man beneidet mich um meinen geschäftlichen Fortschritt. Aber es macht mir zu schaffen: Ich verstehe die Menschen nicht. Die Menschen verstehen mich auch offensichtlich nicht. Ich denke prinzipiell sachlich und pragmatisch, die anderen haben Beurteilungskriterien, die mir fremd sind. Helfen Sie mir, es muss doch Kompromisse geben!«

Der Mann ist ein ausgesprochener Einzelgänger. Frau und Kinder distanzieren sich von ihm. Die Frau scheint sogar zu signalisieren, dass sie sich trennen will. In der dritten Beratungsstunde bringt er einen Traum mit.

»Ich sehe vor mir ein unbegehbares felsiges Etwas, einen zerklüfteten Hügel. Rechts davon läuft ein kleines Wesen weg. Es kann ein Mensch sein. Ich sehe, wie ich den Kopf schüttele. Einen Augenblick überlege ich, wie ich diesen schwierigen Hügel bezwingen kann. Dann nehme ich einen Anlauf, hebe ab und fliege wie im Gleitflug über das Hindernis hinweg. Auf der anderen Seite komme ich gut an und stehe fest auf der Erde. Ich schaue mich um und lächele. Dann wache ich auf.«

Meine Fragen lauten:

»Was ist Ihr Hauptgefühl an der dichtesten Stelle des Traumes?«

Antwort: »Ich wache auf und bin stolz. Ich habe das Problem gemeistert!«

»Wie sehen Sie sich selbst im Traum?«

»Ich spüre, das bin ich. So gehe ich das Leben an. Vor mir ein dickes Problem. Es sieht unlösbar aus. Man hat den Eindruck, es gibt keinen Weg.«

»Wie sehen Sie die anderen, soweit sie im Traum vorkommen?«

»Ja, das ist eine Schwierigkeit bei mir. Die anderen kommen nicht vor. Es sei denn, das flüchtende Wesen war ein Mensch. Leider ist das meine Schwachstelle im Leben. Die Firma interessiert mich, nicht die Menschen. Der Erfolg interessiert mich, nicht die Mitarbeiter. Mein Ehrgeiz frisst mich auf. Da bleiben nicht selten andere auf der Strecke.«

»Wenn das fliehende Wesen ein Mensch war, was sagt Ihnen das Bild?«

»Es könnte meine Frau sein, aber auch die Kinder. Vielleicht sogar Mitarbeiter der Firma, die vor den Problemen kapitulieren. Aber das reizt mich besonders. Ich fliehe nicht, ich will das Unbegehbare gangbar machen.«

»Was tun Sie im Traum?«

»Offensichtlich lasse ich sie laufen. Ich bleibe ja stehen und nehme mir wieder das riesige Problem vor. Mich befriedigt die Arbeit. – Ja, und abends und am Wochenende bin ich allein. Es stimmt tatsächlich, die anderen fliehen vor mir.«

»Welche versteckten Ziele verfolgen Sie? Was wollen Sie erreichen?«

»Ich will komplizierte Sachen meistern. In der Regel weiß ich, wenn ich einen Anlauf nehme, die Ärmel hochkrempele, dann komme ich darüber weg. Unüberwindliches hat für mich einen wahnsinnigen Reiz. Was andere nicht schaffen, das reizt mich besonders.«

»Welche unausgesprochenen Absichten verbergen sich dahinter?«

»Gut sein ist nicht genug. Ich sage es ungern, aber ich will besser als die anderen sein. Und dieses Ziel verleiht mir ungeahnte Kräfte.«

»Mit welchen Mitteln und Methoden verfolgen Sie Ihr Ziel?«

»Mit Wagemut gehe ich an die Sache heran, mit großem Ehrgeiz, das versteht sich von selbst. Ich denke nach, ich denke vorher wirklich gründlich nach. Leider übersehe ich die anderen dabei. Wenn es sein muss, mobilisiere ich alle Kräfte. Ich stecke so leicht nicht auf.«

»Was wollen Sie verändern, wenn der Traum Dinge offenbart, die problematisch sind?«

»An meiner Lebensauffassung will ich nichts ändern. Was mich erheblich stört, sind meine Schwierigkeiten mit Menschen. Mit meiner Frau, mit meinen Kindern und mit Mitarbeitern gibt es laufend Konflikte. In der Regel gehen die mit Gefühl an alles heran. Gefühle haben bei mir aber einen geringen Stellenwert. Mit Gefühlen löst man keine Probleme.«

Zusammenfassend lässt sich sagen: Die Zielgerichtetheit des Traumes wird deutlich. In allem, was der Mensch träumt, verfolgt er Zwecke und Ziele, die er selbst nicht versteht. Aber auch die Beziehungsfähigkeit wird im Traum offenbar.

Nach Adler ist das Gemeinschaftsgefühl ein Barometer für seelische Gesundheit oder Krankheit. Dieser tüchtige und erfolgreiche Manager ist nicht wenig gestört. Der Traum signalisiert ihm, dass die Menschen vor ihm fliehen. Im Spiegel seiner Selbstaussagen werden ihm die Mängel seiner Lebensgestaltung bewusst. Er spürt, dass er sich in die Isolierung hineinmanövriert hat. Die Veränderung seiner Lebens-Grundüberzeugungen braucht viel Zeit. Besonders der Traum hilft ihm, die Bremse zu ziehen, um sein Lebenskonzept zu revidieren. Es ist typisch für ihn, dass er nun wie ein Manager neue Wege im sozialen Bereich strategisch angeht.

Der Traum und das Unbewusste

Träume steigen aus dem Unbewussten hoch. Was heißt das eigentlich? Die Tiefenpsychologen sprechen übereinstimmend vom Unbewussten, doch es gibt Unterschiede in der Bewertung dieses menschlichen Bereichs. Die meisten gehen davon aus,

 dass das Unbewusste durch Verdrängung entstanden ist;

 dass verdrängte sexuelle Impulse, die dem Über-Ich (dem Gewissen) unangenehm sind, ins Unbewusste gerutscht sind;

 dass diese verdrängten Impulse dem Bewusstsein entrissen, aber noch in der Erinnerung vorhanden sind. Sie sind nicht ausgelöscht und können in Träumen, verkleidet in Bildern und Symbolen, wieder an der Oberfläche erscheinen;

 dass eine Grenzziehung zwischen Bewusstem und Unbewusstem fast unmöglich ist.

Die Vorstellung der Individualpsychologie Adlers ist eine andere. Er grenzt das Unbewusste nicht scharf gegen das Bewusste ab. Aufbauend auf Adler lässt sich über das Unbewusste Folgendes sagen:

 Der Mensch ist eine unteilbare Einheit. Seelisches und Körperliches, Unbewusstes und Bewusstes gehen nahtlos ineinander über. Die Aufspaltung wird dem Menschen nicht gerecht. Auch die Bibel lässt diese künstliche Aufteilung nicht zu.

 Das Unbewusste ist kein Ort, kein unheimlicher Dschungel, kein gefüllter Raum mit verdrängten und abgestellten Gedanken und Wünschen.

 Der Mensch denkt, fühlt und handelt im Sinne seines Lebensstils. Das heißt, er lässt Dinge, die ihm angenehm erscheinen, vor dem Bewusstsein zu, andere Dinge, die ihm unlieb sind, denen er ausweicht, lässt er im so genannten Unbewussten verschwinden.

 Wir haben uns so an die Unterscheidung zwischen Bewusstem und Unbewusstem gewöhnt, dass wir in der Tat an zwei verschiedene Bereiche glauben. Im Prinzip gibt es sie nicht. Nach Freud ist das Unbewusste das Verdrängte. Da für Adler im Gegensatz zu Freud das Ich keine Instanz neben Es und Über-Ich ist, sondern gleichbedeutend mit der Person, lehnt er den Gegensatz zwischen bewusst und unbewusst ab. Das Unbewusste meint nach unserer Sicht nicht versteckte Winkel unserer Seele, sondern Teile des Bewusstseins, die wir nicht verstanden haben.

 Das Unbewusste ist also das Nicht-Zugelassene, das Vergessene, das Ausgeblendete, das dem Lebensstil nicht entspricht. Das Unbewusste ist die unverstandene Seite unseres Lebensstils; die unverstandenen Lebens-Grundüberzeugungen, Selbstannahme, Beziehungs- und Umgangsmuster verkörpern den Lebensstil. Dieser Lebensstil bleibt den meisten Menschen unbewusst bzw. unverständlich.

 Der Lebensstil als unbewusster Lebensplan verfolgt Zwecke und Ziele, die dem Bewusstsein weitgehend unbekannt sind. Der Mensch verhält sich so, als ob er über seine Ziele bestens informiert ist.

 »Der Mensch weiß mehr, als er versteht!« (Dies war ein Lieblingssatz Adlers.) Der Mensch weiß unermesslich viel über sich zu berichten, auch im Traum. Aber er versteht es nicht. Seine verborgenen Absichten sind ihm unbewusst. Er kann dieses Wissen verstehbar machen. Mithilfe eines Seelsorgers oder Beraters kann er diese verborgenen Schätze ins Licht des Bewusstseins heben.

 Das Unbewusste ist also das Unerkannte, Unverstandene, Unverdaute und Ungeklärte. Das Unbewusste ist nicht die schweinische Rumpelkammer unserer Persönlichkeit, wo beschämende Wünsche und unsaubere Begierden verstaut werden.

Traumassoziationen

Die meisten Berater, Therapeuten und Seelsorger, die sich mit Traumdeutungen beschäftigen, benutzen die Methoden der Assoziation (freie Verknüpfung von Gedanken, von denen einer den anderen hervorruft), um die Bilder, Symbole und Geschehnisse im Traum zu verstehen. Diese Methode wurde von Sigmund Freud in die Traumdeutung eingeführt und von den meisten Autoren übernommen. Freud schreibt darüber:

»Dieses Verfahren ist leicht zu beschreiben, wenngleich seine Ausführung Unterweisung und Übung erfordern dürfte. Wenn man es bei anderen, etwa einem Kranken mit einer Angstvorstellung in Anwendung zu bringen hat, so fordert man ihn auf, seine Aufmerksamkeit auf die betreffende Idee zu richten, aber nicht, wie er schon so oft getan, über sie nachzudenken, sondern alles ohne Ausnahme sich klarzumachen und dem Arzt mitzuteilen, was ihm zu ihr einfällt … Es mag also die Aussage genügen, dass wir bei jeder krankhaften Idee ein zur Lösung derselben hinreichendes Material erhalten, wenn wir unsere Aufmerksamkeit gerade den ›ungewollten‹, den unser Nachdenken störenden, dem sonst von der Kritik als wertlosen Abfall beseitigten Assoziationen zuwenden … Es müsste jedes Traumbeispiel sich in gleicher Weise dazu eignen.«8

Freud zerlegt den Traum in seine Teile, geht einzeln an alle Bruchstücke heran und fragt den Träumer nach seinen Assoziationen.

Selbst kritische Einwände, die der Träumer gegen seine eigenen Einfälle vorbringt, kommen zur Sprache. In diesen kritischen Einwänden wird laut Freud der Widerstand des Träumers deutlich, verdrängte Elemente zu offenbaren.

Auch Adler und andere Psychologen haben diese Technik grundsätzlich anerkannt und praktiziert. Sie birgt zudem folgende Vorteile:

 In den Gedankenassoziationen kommen die zielgerichteten Vorstellungen des Träumers zur Sprache, denn der Träumer kann ja nichts anderes in seinen frei strömenden Einfällen beisteuern, als was in ihm angelegt ist.

 

 In den Gedankenassoziationen kommt der Lebensstil dieses Menschen zum Tragen; ohne dass er sich darüber im Klaren ist, geben seine Einfälle das Bewegungsgesetz und die Grundüberzeugungen wieder.

 In den Gedankenassoziationen kommen also keine objektiven Vorstellungen zur Sprache, sondern die Mittel, Ziele und Methoden dieses einmaligen Menschen.

Wie sieht die Assoziations-Methode praktisch aus?

Eine Frau träumt. Die ersten zwei Sätze dieses Traumes lauten:

»Es ist Winter. Ich gehe von zu Hause allein eine eisig glatte Straße hinauf.«

Der Berater und Seelsorger kann alle Traumelemente eingehend befragen.

 »Sie sprechen vom Winter. Was fällt Ihnen dazu ein?«

 »Sie gehen von zu Hause weg. Was empfinden Sie dabei?«

 »Sie sind allein. Wie fühlen Sie sich?«

 »Sie befinden sich auf einer eisig glatten Straße. Was löst das in Ihnen aus?«

 »Sie gehen eine eisige glatte Straße hinauf. Was hat das alles mit Ihrem Leben und Empfinden von heute zu tun?«

Schon die beiden ersten Sätze sind eine gekonnte Verdichtung der gegenwärtigen Befindlichkeit dieser Frau. Der Traum präzisiert Gefühle, Gedanken und das Handeln der Träumerin. Die Assoziationen bringen ihren kompletten Lebensstil zur Sprache.