Der Dreißigjährige Krieg

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19.

Der Krieg zwi­schen Ve­ne­dig und dem Kai­ser lock­te vie­le be­rühm­te Feld­her­ren und jun­ge Her­ren von Adel nach Gra­dis­ca, der die große grü­ne fri­au­li­sche Ebe­ne be­herr­schen­den Fes­tung, um die der Kampf haupt­säch­lich sich dreh­te. Wäh­rend Ve­ne­dig sich des be­rühm­ten Gi­us­ti­nia­ni rühm­te, glänz­te auf ös­ter­rei­chi­scher Sei­te na­ment­lich Trautt­mans­dorff, der sei­ne Lauf­bahn in den Kriegs­zü­gen des Matt­hi­as ge­gen Ru­dolf be­gon­nen hat­te (den von Ramée hat­te Erz­her­zog Leo­pold schon vor ei­ni­gen Jah­ren ge­schwind und laut­los pro­zes­sie­ren und köp­fen las­sen). Ne­ben Trautt­mans­dorff mach­ten sich der Loth­rin­ger Dam­pi­er­re, Mar­ra­das, Me­lan­der, be­son­ders aber Al­brecht von Wald­stein oder Wal­len­stein be­merk­bar, ein etwa drei­ßig Jah­re al­ter böh­mi­scher Edel­mann, der als Va­sall des nun­meh­ri­gen Kö­nigs von Böh­men Fer­di­nand ins Feld ge­zo­gen war. Zog Wal­len­stein die Scha­ren der Söld­ner an, so war er doch bei den Ka­me­ra­den nicht be­liebt, wenn man ihm auch zu­ge­stand, dass sein Re­gi­ment in auf­fal­lend gu­ter Ord­nung, tüch­tig und leis­tungs­fä­hig sei; aber er schreck­te durch zu­rück­hal­ten­des und hoch­fah­ren­des We­sen ab, nahm an den ge­mein­sa­men Ban­ket­ten sel­ten teil, be­trank sich nie­mals und schi­en sich über­haupt mit an­de­ren nicht ge­mein ma­chen zu wol­len. Sein Reich­tum er­mög­lich­te ihm, prunk­voll ge­klei­det zu er­schei­nen und sich mit ei­nem Tross reich aus­staf­fier­ter Die­ner zu um­ge­ben. Man wuss­te, dass er dies Ver­mö­gen sei­ner Frau, ei­ner ver­wit­we­ten böh­mi­schen Edel­frau, ver­dank­te, die kürz­lich ge­stor­ben war, ohne Kin­der ge­bo­ren zu ha­ben. Sie war meh­re­re Jah­re äl­ter als er und nicht schön, aber lei­den­schaft­li­cher Na­tur und in ih­ren ernst­haf­ten und tief­sin­ni­gen Mann sehr ver­liebt ge­we­sen. Das Gerücht war von ihr im Um­lauf, um sich sein Herz zu­zu­wen­den, habe sie ihre Zuf­lucht zu ei­ner al­ten Frau ge­nom­men, die sich auf Arz­nei­en und al­ler­lei ver­bor­ge­ne Küns­te ver­stan­den habe, und ihm einen von der­sel­ben zu­sam­men­ge­koch­ten Lie­bes­trank ein­ge­flö­ßt, der aber kei­ne Lie­be, son­dern eine ge­fähr­li­che Krank­heit in ihm er­zeugt habe. Nach sei­ner Ge­ne­sung sei er noch käl­ter als zu­vor ge­gen sie ge­we­sen, wor­über jene alte Frau sehr er­schro­cken ge­we­sen sei und ge­sagt habe, er kön­ne kein fleisch­li­ches Herz ha­ben, wenn es die­sem Zau­ber un­zu­gäng­lich sei. Selbst Tie­re wür­den durch dies Mit­tel zur Lie­bes­brunst an­ge­facht, er müs­se au­ßer­halb der Na­tur und mit feind­li­chen Geis­tern im Bun­de ste­hen. Die arme Frau ver­such­te in from­men Übun­gen Trost zu fin­den, ver­moch­te es aber nicht, sich der hoff­nungs­lo­sen Lie­be zu ent­rei­ßen, und er­gab sich trau­rig in den Tod. Zur zwei­ten Ge­mah­lin wähl­te der jun­ge Wit­wer die ös­ter­rei­chi­sche Grä­fin Har­rach, die nicht reich war, ihn aber durch ihre an­ge­se­he­ne Fa­mi­lie in nahe Ver­bin­dung mit dem Erz­hau­se brach­te.

Trautt­mans­dorff, der den Ober­be­fehl hat­te, war ein Mann, der sich we­ni­ger durch Feld­herrn­ga­be als durch Kühn­heit und Selbst­be­wusst­sein aus­zeich­ne­te, auch durch sei­ne hel­den­haf­te Ge­stalt und sei­nen stolz ge­tra­ge­nen blon­den Kopf Ein­druck mach­te. Um einen ge­lun­ge­nen Aus­fall zu fei­ern, lud er ei­nes Ta­ges die Of­fi­zie­re zu ei­nem Gast­mahl ein, das im ge­räu­mi­gen Schloss­hof auf­ge­rüs­tet wur­de. Der von Mau­ern ein­ge­schlos­se­ne Platz war schat­tig kühl; jen­seit der­sel­ben sah man das blaue Meer und die röt­li­chen Ber­ge in der schwir­ren­den Luft ko­chen.

Gleich beim Be­ginn des Es­sens ent­spann sich ein Streit, in­dem Trautt­mans­dorff die Ge­sund­heit des Kai­sers aus­brach­te und sein Glas dar­auf leer­te, wel­chem Bei­spiel alle mit Aus­nah­me Wal­len­steins folg­ten. Von Trautt­mans­dorff dar­über zur Rede ge­stellt, ant­wor­te­te Wal­len­stein kurz, dass er das Wein­trin­ken bei der Hit­ze nicht ver­tra­gen kön­ne, wo­ge­gen Trautt­mans­dorff mit Schär­fe ein­wand­te, er habe Wal­len­stein kürz­lich trin­ken se­hen, als das Wohl des Erz­her­zogs von Stei­er­mark aus­ge­bracht wor­den sei. Der Erz­her­zog von Stei­er­mark sei Kö­nig von Böh­men und sein Herr, ent­geg­ne­te Wal­len­stein. Das sei nicht wahr, rief Trautt­mans­dorff, an­noch habe Matt­hi­as die Ober­herr­schaft in Böh­men, wenn er auch Fer­di­nand schon habe krö­nen las­sen. Und ob Wal­len­stein Matt­hi­as nicht als sei­nem Kai­ser Ge­hor­sam vor al­lem schul­de? In­dem er sich dro­hend von sei­nem Sitz er­hob, frag­te Wal­len­stein, ob Trautt­mans­dorff ihn der Lüge zei­hen wol­le und ob er be­haup­ten wol­le, er, Wal­len­stein, sei kein treu­er Un­ter­tan des Kai­sers?

Die­ser ge­fähr­li­che Zwist wur­de durch die üb­ri­gen glück­lich bei­ge­legt, und Trautt­mans­dorff wie Wal­len­stein ver­si­cher­ten, dass sie we­der dem Kai­ser noch dem Kö­ni­ge von Böh­men, noch sich ge­gen­sei­tig dies zum Schimpf ge­meint hät­ten. Bald je­doch ent­stand ein neu­er Wort­wech­sel, in­dem Trautt­mans­dorff die Hoff­nung aus­sprach, der nächs­te Krieg wer­de ge­gen die ket­ze­ri­schen Re­bel­len im Reich ge­hen; der Um­stand näm­lich, dass die hol­län­di­schen Staa­ten der Re­pu­blik Ve­ne­dig ein Hilfs­heer un­ter dem Ge­ne­ral Gra­fen Jo­hann Ernst von Nassau ge­sen­det hat­ten, in dem zahl­rei­che Pro­tes­tan­ten aus dem Rei­che dienten, wur­de als eine un­ge­bühr­li­che Her­aus­for­de­rung auf­ge­fasst und hat­te eine ge­reiz­te Stim­mung im ös­ter­rei­chi­schen Heer er­zeugt. Da­ge­gen sag­te Wal­len­stein in ei­ner Art, als ob sei­ne Mei­nung bes­ser be­grün­det sei als die der an­de­ren, es wer­de zu­nächst ge­gen die Tür­ken ge­hen, erst wenn die­se gänz­lich nie­der­ge­wor­fen wä­ren, kön­ne die Ord­nung im Reich her­ge­stellt wer­den. Trautt­mans­dorff war Mit­glied ei­ner kürz­lich ge­grün­de­ten hoch­ade­li­gen Ge­sell­schaft, de­ren Ziel aus­drück­lich die Be­kämp­fung der Hei­den war, von der man aber wuss­te oder mut­maß­te, dass sie ge­gen die Evan­ge­li­schen ge­rich­tet und zu­nächst zur Un­ter­stüt­zung des Kö­nigs von Po­len ge­gen Schwe­den be­stimmt sei. Wal­len­stein schei­ne gründ­lich un­ter­rich­tet zu sein, sag­te Trautt­mans­dorff spöt­tisch; er hät­te selbst den Tür­ken ge­gen­über­ge­stan­den und wis­se, dass sie nicht son­der­lich mehr zu fürch­ten wä­ren; einst­wei­len hät­te man mit ih­nen auf­ge­räumt. »Die Tür­ken sind so mäch­tig wie je«, sag­te Wal­len­stein mit küh­ler Be­stimmt­heit, »und so­lan­ge die Tür­ken in Eu­ro­pa sind, wird nie­mals ein si­che­res Gleich­ge­wicht bei den christ­li­chen Staa­ten herr­schen.« Ob er eine Welt­mon­ar­chie grün­den wol­le? frag­te Trautt­mans­dorff höh­nisch. Das kom­me wohl aus sei­nem Blu­te, denn so viel er wis­se, sei At­ti­la ein Böh­me ge­we­sen.

Noch ein­mal leg­ten sich die Of­fi­zie­re zwi­schen die Strei­ten­den mit dem Vor­schlag, die Wür­fel soll­ten ent­schei­den, wer recht habe. Un­ter lau­tem Ju­bel tat Trautt­mans­dorff den höchs­ten Wurf, wo­mit es für be­wie­sen galt, dass der nächs­te Krieg ge­gen die Ket­zer ge­hen wer­de. Als dann der Wür­fel­be­cher un­ter al­len um­ging, und zwar un­ter der Ab­ma­chung, dass der Sie­ger im Spiel den nächs­ten großen Sieg da­von­tra­gen sol­le, ge­wann es Trautt­mans­dorff wie­der mit der größ­ten Zahl. Ein paar von den be­die­nen­den Mäd­chen bra­chen Zwei­ge von den Lor­beer­bäu­men, die an der Mau­er wuch­sen, ban­den sie zu­sam­men und setz­ten den Kranz auf sei­nen blon­den Kopf; sein schon er­hitz­tes Ge­sicht wur­de noch dunk­ler rot, er um­fass­te die Mäd­chen, küss­te sie, zog sie auf sei­ne Knie und er­wi­der­te das Zu­trin­ken der üb­ri­gen. Wal­len­stein setz­te sein Glas an die Lip­pen, dann stand er auf und ent­fern­te sich, in­dem er sich mit der Hit­ze ent­schul­dig­te. Es sei gut, dass er ge­gan­gen sei, sag­te Dam­pi­er­re auf­at­mend; sei­ne Ge­gen­wart las­se kei­ne rech­te Fröh­lich­keit auf­kom­men. »Er hat et­was an sich, das mir nicht ge­fällt«, sag­te Trautt­mans­dorff; »wenn er ein Ka­va­lier ist, so hat er ge­wiss den Bocks­fuß im Wap­pen.«

Drei Tage spä­ter wur­de Trautt­mans­dorff, als er die Wäl­le be­such­te und sich da­bei zu sehr aus­setz­te, von ei­ner Gra­na­te ge­trof­fen und starb ei­ni­ge Stun­den spä­ter. Auch der ve­ne­zia­ni­sche Feld­herr Gi­us­ti­nia­ni fiel in die­sem Krie­ge, der auf bei­den Sei­ten mit großer Tap­fer­keit, aber ohne ent­schei­den­de Er­geb­nis­se, fast wie ein glän­zen­des Tur­nier ge­führt wur­de. Nach wech­seln­dem Kriegs­glück kam im Herbst 1617 der Frie­de da­durch zu­stan­de, dass auf Khlesls Be­trei­ben der Kai­ser der Re­pu­blik Ve­ne­dig güns­ti­ge Be­din­gun­gen zu­ge­stand, an­statt Fer­di­n­ands In­ter­es­sen, wie die­ser ge­wünscht hät­te, bis zum äu­ßers­ten zu ver­tre­ten.

20.

Von Gra­dis­ca aus fuhr Wal­len­stein ei­nes Ta­ges über die fri­au­li­sche Ebe­ne nach Ve­ne­dig und Pa­dua, um den al­ten Pro­fes­sor Ar­go­li zu be­su­chen, von dem er sich als Jüng­ling in der Astro­lo­gie hat­te un­ter­rich­ten las­sen. In ei­nem von au­ßen düs­ter aus­se­hen­den Hau­se be­wohn­te Ar­go­li hohe, luf­ti­ge Ge­mä­cher, von de­nen aus man auf einen von Bäu­men ein­ge­fass­ten Platz und jen­seit des­sel­ben auf die aus Ge­bü­schen an­schwel­len­de ge­kup­pel­te Mas­se des Do­mes von San An­to­nio sah. Auf dem Plat­ze war stets ein leb­haf­ter Ver­kehr, sei es, dass an Markt­ta­gen die Land­leu­te hier zu­sam­men­ka­men oder dass, im Win­ter, die rei­chen Ve­ne­zia­ner, die in Pa­dua Pa­läs­te be­sa­ßen, in Ka­ros­sen oder Sänf­ten oder auch zu Pfer­de hier spa­zier­ten. Ar­go­li brach­te einen großen Teil des Ta­ges da­mit zu, den Leu­ten zu­zu­se­hen und sich über sie zu be­lus­ti­gen, in­dem er sie mit dem Ge­wim­mel von Ma­den auf ei­nem fau­len Käse ver­glich, die über­ein­ge­kom­men wä­ren, sich und ih­ren Wohn­ort für et­was Wich­ti­ges und Dau­er­haf­tes aus­zu­ge­ben.

 

Aus Wal­len­steins statt­li­chem Auf­zu­ge reim­te er sich so­fort sei­ne ver­än­der­ten Glücks­um­stän­de zu­sam­men, ließ aber da­von nichts mer­ken, son­dern plau­der­te von die­sem und je­nem und führ­te dem Gas­te sei­nen Hund und sei­ne Kat­ze vor, die zwei be­quem aus­ge­füt­ter­te Kör­be in sei­nem Ar­beits­zim­mer be­wohn­ten. Er er­zähl­te, dass die Kat­ze, die ein Jun­ges hat­te, mit dem Hun­de in ei­ner Art von Ehe leb­te, in­so­fern sie ihn als Va­ter des Kin­des an­ge­nom­men habe und er sich als sol­cher rück­sichts­voll und für­sorg­lich be­tra­ge; er nen­ne die drei des­halb die Hei­li­ge Fa­mi­lie, den Hund San Gi­u­sep­pe, die Kat­ze Ma­don­na und das neu­ge­bo­re­ne Kätz­lein sei das Bam­bi­no.1 Wal­len­stein lä­chel­te über den spaß­haf­ten Ein­fall; aber an Tie­ren fand er kei­nen Ge­schmack und konn­te sich nicht über­win­den, ih­nen Auf­merk­sam­keit zu wid­men. Dann zeig­te Ar­go­li ihm sein Thea­ter, näm­lich das große Ron­dell un­ter dem Fens­ter, wo eben ein ge­räusch­vol­ler Zu­sam­men­lauf war, weil eine Ka­ros­se vor der an­de­ren den Vor­tritt ver­lang­te, den jene wei­ger­te. »Die­se ar­men Würm­lein«, sag­te Ar­go­li, »eine dün­ne Schicht Schim­mel auf ei­nem Knäu­el von Ver­we­sung, bei­ßen sich bis aufs Blut, weil ei­ner et­was schnel­ler krie­chen kann als der an­de­re oder ein Pfund Kot mehr im Lei­be hat als der an­de­re«, und lach­te da­bei so, dass ihm Trä­nen in die Au­gen tra­ten. Wal­len­stein be­trach­te­te ihn ein we­nig be­frem­det, wor­auf er ab­brach und von der Astro­lo­gie zu spre­chen an­fing und al­ler­lei Er­fol­gen, die er ge­habt habe; wie er er­zähl­te, dass er den Tod des Kai­sers Ru­dolf rich­tig pro­phe­zeit habe und dass es ihm her­nach von Nei­dern ab­ge­strit­ten sei, er­ei­fer­te er sich mehr und mehr, und sei­ne klei­nen Au­gen fun­kel­ten böse. Er habe Glau­ben an ihn, sag­te Wal­len­stein, denn sei­ne ihn be­tref­fen­den Pro­phe­zei­un­gen sei­en ein­ge­trof­fen: er habe sich ver­mählt und sei reich, auch ei­ni­gen Kriegs­ruhm habe er schon er­wor­ben. Das sei nur der An­fang, rief Ar­go­li leb­haft aus, er habe ja noch bei Wei­tem das grö­ße­re Stück We­ges zu durch­lau­fen. Es sei jetzt ge­ra­de sie­ben Jah­re her, dass er ihm das Ho­ro­skop ge­stellt habe, jetzt sei der rech­te Zeit­punkt, die Ster­ne wie­der zu be­ob­ach­ten. Wal­len­stein bat ihn, es bald zu tun, da er des Krie­ges we­gen nicht lan­ge von sei­nem Re­gi­ment ab­we­send sein kön­ne; der Pro­fes­sor kön­ne dar­auf rech­nen, dass er, Wal­len­stein, sich er­kennt­lich zei­gen wer­de. Das wis­se er, sag­te Ar­go­li, dass der Herr groß­mü­tig sei. Er wol­le noch in die­ser Nacht ein Bild des Him­mels auf­neh­men, die Näch­te sei­en oh­ne­hin jetzt klar und wie­sen be­deu­ten­de Kon­stel­la­tio­nen auf. Auch da­bei zu sein, er­laub­te er Wal­len­stein auf sei­nen Wunsch und emp­fing ihn am Abend auf der Zin­ne des Hau­ses, wo er ein fei­nes Es­sen hat­te auf­ti­schen las­sen. Wäh­rend des­sel­ben plau­der­ten sie über die Po­li­tik des Paps­tes und Ve­ne­digs, und Ar­go­li sag­te, die päpst­li­che Herr­schaft sei im Au­gen­blick zwar et­was wack­lig ge­wor­den, wer­de sich aber wie­der be­fes­ti­gen und einen neu­en Auf­schwung neh­men, bis sie zu­letzt den gan­zen Erd­kreis um­span­nen wer­de.

Ob nicht ein Ge­wit­ter im An­zu­ge sei? frag­te Wal­len­stein, nach dem duns­ti­gen Ho­ri­zont bli­ckend. Nein, sag­te Ar­go­li, noch acht Tage, so­lan­ge Ju­pi­ter den Him­mel be­herr­sche, wer­de die At­mo­sphä­re den ent­zünd­li­chen Stoff ein­sau­gen und ver­til­gen; her­nach, wenn sie über­la­den sei, wer­de es mit furcht­ba­rer Ge­walt aus­bre­chen. Es moch­te in ent­fern­ten Re­gio­nen ein star­ker Wind le­ben­dig sein; denn wäh­rend die Wip­fel der Pla­ta­nen um den Platz her­um un­be­weg­lich schweb­ten, eil­te dunkles Ge­wölk un­s­tet durch den blau­en Him­mel. Etwa um die zehn­te Stun­de tra­ten die Ster­ne her­vor, und bald dar­auf zeig­te Ar­go­li sei­nem Schü­ler die auf­blit­zen­de Kro­ne des Ju­pi­ter. »Seht«, sag­te er, »Wol­ken und Ster­ne du­cken sich vor dem glück­li­chen Licht, wie wenn ein Kö­nig un­ter sie ge­tre­ten wäre.« Wal­len­stein, wel­cher wuss­te, dass die­ser Pla­net sei­ne Ge­burts­stun­de be­herrscht hat­te, be­trach­te­te ihn auf­merk­sam, der mit dem Feu­er des wei­ßen Sa­phirs, wie eine Ewi­ge Lam­pe in der mar­mor­nen Rotun­de ei­nes Do­mes, den Raum durch­glänz­te. So blieb es je­doch nur kur­ze Zeit, dann sam­mel­ten sich die Wol­ken, die die Fes­tung des Lich­tes ver­geb­lich be­rannt und sich zer­streut hat­ten, in dich­teren Hau­fen und schwol­len lang­sam über den Wes­ten, das Strah­len­reich fast ganz mit Fins­ter­nis be­de­ckend. »Das Glück be­güns­tigt nur mei­nen An­fang«, sag­te Wal­len­stein; »oder ist es der Tod, der mei­ne Lauf­bahn früh ab­schnei­det?« Ar­go­li ant­wor­te­te nicht, son­dern blick­te in tie­fen Ge­dan­ken auf das ste­tig sich ver­än­dern­de Bild des be­weg­li­chen Him­mels. Sich nach Nor­den wen­dend, sah er, dass dicht über dem Ho­ri­zont eine graue Dunst­mau­er sich ge­bil­det hat­te, in der es wet­ter­leuch­te­te; es sah aus, als stie­ße eine Schlan­ge ihre lech­zen­de Zun­ge über das Ufer ei­nes Mee­res. »Ihr wer­det hoch stei­gen, hoch, hoch«, sag­te Ar­go­li sin­nend; »aber das Ende wird vor der Zeit kom­men. Es ist eine jähe Bahn. Die Kraft, die der See­le mit­ge­teilt wur­de, ver­teilt sich nicht ge­las­sen über das Da­sein, son­dern ver­dich­tet und staut sich und er­wirkt mit hit­zi­gem Re­gi­ment hit­zi­ges Wi­der­stre­ben; wie sie das Le­ben ver­schlingt, so wird das Le­ben sie ver­schlin­gen.« Er blick­te for­schend in das schma­le, gelb­lich­blas­se Ge­sicht des ihm ge­gen­über­sit­zen­den Man­nes, des­sen in schön ge­wölb­tem Hohl sich ver­ber­gen­de graue Au­gen mit vor­sich­tig zu­rück­ge­hal­te­ner Gier auf ihm ruh­ten. »Dass ich sterb­lich bin, weiß ich«, sag­te Wal­len­stein; »habt kei­ne Scheu, mir mit­zu­tei­len, was Ihr wisst, wenn der Be­scheid auch bit­ter ist.« Noch wis­se er gar nichts, ent­schul­dig­te sich Ar­go­li eif­rig, er müs­se nun Mes­sun­gen und Be­rech­nun­gen an­stel­len, aus de­nen er das Er­geb­nis zie­hen wer­de; am nächs­ten oder dar­auf­fol­gen­den Tage sei er be­reit, Wal­len­stein aus­führ­li­che Aus­kunft zu ge­ben.

Als Wal­len­stein am nächs­ten Tag um die Mit­tags­zeit sich bei Ar­go­li ein­fand, zier­te die Mit­te der Ta­fel ein aus­ge­stopf­ter Ad­ler, in des­sen of­fe­nem Schna­bel eine Zitro­ne be­fes­tigt war. Es hät­te, sag­te Ar­go­li, mit lis­ti­gem Blick lä­chelnd, eine Oran­ge sein sol­len, doch sei ja, wie Wal­len­stein wohl wis­se, die­se Frucht eben nicht zei­tig; so habe er denn die läng­li­che Zitro­ne als un­ge­nü­gen­des Sym­bol des Erd­balls be­nüt­zen müs­sen. »Das soll nicht be­deu­ten«, fuhr er fort, »dass ich Euch als Cäsar grü­ße; denn des Wor­tes ›Kai­ser‹ will ich mich nicht be­die­nen, um selbst zwi­schen uns bei­den nichts aus­zu­spre­chen, was wie ein An­griff auf die hei­li­ge Ma­je­stät klän­ge.« Aber wenn auch nicht Kai­ser, wer­de er doch dem Kai­ser gleich sein. Tri­umph blitz­te aus Wal­len­steins dunklem Ge­sicht, und er wur­de im­mer auf­ge­räum­ter, je mit­teil­sa­mer Ar­go­li un­ter dem Es­sen sich zeig­te. Vom Os­ten kom­me ihm Ruhm und Ehre, sag­te Ar­go­li un­ter an­derm, dort wer­de der Schau­platz sei­ner Sie­ge sein. Er wer­de den Thron des Sul­tans um­stür­zen und das alte Reich von By­zanz er­neu­ern. Ob er nicht be­merkt habe, wie der dün­ne Halb­mond ges­tern Nacht beim Auf­stieg des Ju­pi­ters am öst­li­chen Him­mel wie ein fa­den­schei­ni­ger Lei­nen­fet­zen ver­schwun­den sei? Mars sei ihm güns­tig, nur zu­letzt wer­de et­was kom­men, das mäch­ti­ger als der Gott der Schlach­ten sei. Die­se Ge­fahr dro­he vom Nor­den, und vor dem Nor­den sol­le er auf der Hut sein; von dort­her kom­me sein Über­win­der. Aber das schlum­me­re in fer­ner Zu­kunft; noch sei der Kelch sei­nes Glückes nicht er­blüht und wer­de blü­hend noch lan­ge pran­gen.

Tags dar­auf über­brach­ten reich­ge­klei­de­te Die­ner Wal­len­steins dem Pro­fes­sor Ge­schen­ke ih­res Herrn: einen sil­ber­nen Glo­bus, auf wel­chem in blau­em Schmelz der Ster­nen­him­mel ab­ge­bil­det war; eine Uhr, wel­che die in Erz ge­trie­be­ne Ge­stalt des Rie­sen At­las auf der Schul­ter trug, und eine sil­ber­ne, mit Halbe­del­stei­nen reich be­setz­te, kunst­reich und ge­heim­nis­voll ver­schließ­ba­re Kas­set­te, in der hun­dert Gold­du­ka­ten wa­ren.

Auf der Rück­fahrt durch die blau­grü­ne Luft, die fie­bernd über den fri­au­li­schen Sümp­fen zit­ter­te, saß Wal­len­stein in sei­nen Wa­gen zu­rück­ge­lehnt und ließ sich, die mü­den Au­gen halb schlie­ßend, vom mys­ti­schen Flim­mern der Zu­kunft um­we­ben. Er at­me­te das un­end­li­che Schwei­gen der un­be­wohn­ten Ebe­ne wie Weih­rauch der Erde ein, die sich un­ter ihm bück­te; jen­seit des Um­krei­ses, den die Ehr­furcht sei­ner Grö­ße ein­räum­te, moch­ten die zu­rück­ge­wi­che­nen Völ­ker kni­en und scheu das sen­gen­de Gestirn vor­über­rol­len se­hen.

1 klei­nes Kind <<<

21.

Mo­ritz von Hes­sen hat­te Ur­sa­che, stolz auf sei­ne Kin­der zu sein; na­ment­lich war er es auf die an­mu­ti­ge und klu­ge Eli­sa­beth, die so be­schei­den zu­zu­hö­ren wuss­te, wenn ihr Va­ter sich mit ge­lehr­ten Män­nern un­ter­hielt, und so über­ra­schend ge­dan­ken­voll mit­zu­spre­chen, wenn sie dazu auf­ge­for­dert wur­de. Schö­ner wa­ren die Söh­ne, de­nen die früh­ver­stor­be­ne Mut­ter ih­ren viel­be­wun­der­ten Reiz zum Ge­dächt­nis ein­ge­prägt zu ha­ben schi­en: Otto, der äl­tes­te, mit dem vol­len grie­chi­schen Mun­de und dem run­den Kinn, und Mo­ritz mit den gold­strah­len­den Au­gen, dem brau­nen Ge­lock und der mäd­chen­haft leicht er­rö­ten­den zar­ten Haut. Die jun­ge Stief­mut­ter sah die wun­der­vol­le Blü­te der be­vor­zug­ten Nach­kom­men ih­res Man­nes nicht ohne Ei­fer­sucht, doch war sie zu ein­sich­tig, um es mer­ken zu las­sen, und das An­se­hen des Land­gra­fen in der Fa­mi­lie zu groß, als dass Streit und Miss­hel­lig­keit sich laut her­vor­ge­wagt hät­ten.

Es war ein Au­gen­blick schö­ner Ge­nug­tu­ung für Mo­ritz, als sein Erst­ge­bo­re­ner im Jah­re 1612 den neu­ge­wähl­ten Kai­ser Matt­hi­as in Frank­furt in ei­ner zier­li­chen la­tei­ni­schen An­spra­che be­grüß­te und die Au­gen der Fürs­ten nei­disch oder wohl­wol­lend auf dem Acht­zehn­jäh­ri­gen ruh­ten, nicht we­ni­ge von dem Ge­dan­ken er­füllt, wie lieb­lich der Sa­tan sei­ne ge­fähr­li­chen Werk­zeu­ge aus­zu­zie­ren wis­se.

Bald dar­auf traf den glück­li­chen Va­ter ein jä­her Schlag, in­dem der zwölf­jäh­ri­ge Mo­ritz er­krank­te und schon nach zwei Ta­gen, be­vor noch je­mand die Ge­fahr des Zu­stan­des er­kannt hat­te, starb. Da man nichts an­de­res an­nahm, als dass es sich um ein leich­tes Fie­ber hand­le, stell­te Mo­ritz, am Bet­te des Kna­ben sit­zend, ihm al­ler­lei Auf­ga­ben als Un­ter­hal­tung und Prü­fung. Er dis­pu­tier­te mit ihm über das Abend­mahl, in der Wei­se, dass er ab­wech­selnd die Rol­le ei­nes Luthe­r­a­ners und ei­nes Pa­pis­ten spiel­te und der Klei­ne die Auf­fas­sung der Re­for­mier­ten bei­den ge­gen­über ver­tei­di­gen und sie mit Bi­bel­stel­len er­här­ten muss­te. Dann ließ er ihn Sät­ze aus dem Deut­schen ins La­tei­ni­sche und Fran­zö­si­sche über­tra­gen, was al­les Mo­ritz zu­frie­den­stel­lend aus­führ­te, die bren­nen­den Au­gen eif­rig und ein we­nig angst­voll auf den Va­ter ge­rich­tet, des­sen Un­ge­duld beim Un­ter­richt ihm be­kannt war. In der Ma­the­ma­tik je­doch, die des Land­gra­fen Lieb­lings­fach war, wur­den die Ant­wor­ten des kran­ken Kin­des un­si­cher und blie­ben ei­ni­ge Male ganz aus, so­dass der Va­ter es scharf zur Auf­merk­sam­keit an­hielt. »Ich wer­de es gleich wis­sen, lie­ber Va­ter«, sag­te das Kind, er­schro­cken die Hän­de fal­tend, und ließ den Kopf in das Kis­sen zu­rück­fal­len, in­dem es stam­melnd um Was­ser bat. Wie der Land­graf das Ge­sicht sei­nes Soh­nes sich ver­fär­ben sah, sprang er auf, läu­te­te, rief nach Die­nern und Ärz­ten; eben hat­te er noch Zeit, den laut At­men­den in sei­ne Arme zu neh­men und ihm zu­zu­ru­fen: »Mein Sohn, mein Sohn, den­ke an Je­sus Chris­tus, der von den To­ten auf­er­stan­den ist!«, als die Au­gen, die ihn fle­hend an­sa­hen, bra­chen, und das ge­lieb­te Kin­des­haupt leb­los auf sei­ne Schul­ter fiel.

Der Land­graf blieb lan­ge mit dem Leich­nam sei­nes Kna­ben al­lein und ließ sich wäh­rend meh­re­rer Tage nur we­nig vor an­de­ren se­hen; er­schi­en er aber, so war sein Be­neh­men si­cher und ge­bie­tend wie sonst und sprach er ru­hig von der Pf­licht des Chris­ten, sich dem Schmerz über den Ver­lust ge­lieb­ter Per­so­nen oder ir­di­scher Gü­ter nicht hin­zu­ge­ben, son­dern die Auf­ga­ben des Ta­ges zu er­fül­len. Sol­che Grund­sät­ze hat­te er na­ment­lich sei­nem äl­tes­ten Soh­ne Otto vor­zu­hal­ten, der sich um den Tod des jün­ge­ren Bru­ders lei­den­schaft­lich gräm­te und we­der durch Ar­beit noch durch Be­trach­tung oder Mu­sik zer­streu­en ließ. Plötz­lich aber war der Kum­mer ohne er­sicht­li­che Ur­sa­che ganz er­lo­schen; so fing sein We­sen im­mer ver­häng­nis­vol­ler an, von ei­ner Über­trei­bung zur an­de­ren zu schwan­ken. Das vä­ter­li­che Ge­bot der Mä­ßig­keit über­schrei­tend, be­trank er sich in lo­ser Ge­sell­schaft, knüpf­te ein Lie­bes­ver­hält­nis mit ei­ner äl­te­ren Frau an und ward ein­mal, aus ei­nem übel­be­rüch­tig­ten Hau­se heim­keh­rend, be­rauscht auf der Gas­se ge­fun­den. Der Zorn und Schmerz sei­nes Va­ters schmet­ter­te ihn zu tiefs­ter Zer­knir­schung nie­der, doch hin­der­te das nicht, dass er sich bald dar­auf neu­en Aus­schwei­fun­gen er­gab, was durch den Aus­bruch ei­ner Krank­heit an den Tag kam. Dem ver­zwei­fel­ten Land­gra­fen, der mit dem Ge­dan­ken um­ging, dem ent­ar­te­ten Soh­ne die Nach­fol­ge zu ent­zie­hen, rie­ten die Er­zie­her Ot­tos, er möch­te den nun­mehr Zwan­zig­jäh­ri­gen ver­hei­ra­ten und da­durch dem ge­ord­ne­ten Le­ben wie­der zu­füh­ren; und so wur­de denn die Ver­mäh­lung mit ei­ner ba­di­schen Prin­zes­sin so schnell wie mög­lich ein­ge­lei­tet und voll­zo­gen. Hoff­nungs­voll be­tei­lig­te sich Mo­ritz selbst an den Vor­be­rei­tun­gen zur Hoch­zeit, de­ren vor­nehms­te Un­ter­hal­tung ein Kampf­spiel der Ba­by­lo­nia und der Ek­kle­sia, ei­gent­lich der ba­by­lo­ni­schen Hure und der evan­ge­li­schen Kir­che war, die ein­an­der be­schimpf­ten und her­aus­for­der­ten. Mo­ritz selbst dich­te­te und kom­po­nier­te ein Hoch­zeits­lied, das mit den Wor­ten be­gann: ›Ve­nus, du und dein Sohn, der, dem ihr gnä­dig seid, Über der Sterb­li­chen Häup­ter schrei­tet er sorg­los, ein Got­t‹; und wi­der sei­nen Wil­len wur­den sei­ne Au­gen nass, als die erns­ten Töne sich in fei­er­li­chem Rhyth­mus über den jun­gen Ver­mähl­ten dreh­ten. Auf sei­nen Wunsch stell­te der Pfar­rer, der sie trau­te, ih­nen die Be­deu­tung und die Pf­lich­ten der Ehe ein­dring­lich vor und dass sie für einen Fürs­ten und Lan­des­be­herr­scher be­son­ders bin­dend sei­en, was auch Ein­druck auf Otto zu ma­chen schi­en. Als je­doch nach ei­nem Jah­re die jun­ge Frau im Wo­chen­bet­te starb, nahm er die an­stö­ßi­ge Le­bens­füh­rung al­len Er­mah­nun­gen und Dro­hun­gen zum Trotz wie­der auf. Zwi­schen den Für­bit­ten und Ratschlä­gen der Fa­mi­lie und der Räte be­schloss Mo­ritz schleu­ni­ge Wie­der­ver­hei­ra­tung, ob­wohl Otto selbst ihr wi­der­streb­te. Bald sag­te er trot­zig, dass er die auf­ge­drun­ge­ne Frau nicht wer­de lie­ben kön­nen, dann hat­te er An­wand­lun­gen, wo er stun­den­lang wein­te, sich an­klag­te und sag­te, man sol­le nichts mehr mit ihm ver­su­chen, es sei aus mit ihm, er müs­se doch zu­grun­de ge­hen.

 

Im In­ners­ten schwer nie­der­ge­beugt, hielt sich der Land­graf ab­seits von dem Trei­ben am Hofe und in der Fa­mi­lie, be­müh­te sich, im Stu­di­um der Wis­sen­schaf­ten oder bei den Ver­wal­tungs­ge­schäf­ten zu ver­ges­sen, als ein Ver­bre­chen sei­nen Blick auf neue Un­tie­fen in sei­ner Um­ge­bung lenk­te. Spät am Abend beim Ver­las­sen des Schlos­ses wur­de Herr von Her­ting­hau­sen, ein äl­te­rer Mann, durch Ru­dolf von Eckards­burg, einen schö­nen, im Um­gang an­ge­neh­men und be­son­ders bei den Da­men be­lieb­ten jun­gen Rit­ter, er­mor­det, und zwar, wie sich her­aus­stell­te, weil je­ner eine ta­deln­de Be­mer­kung über ver­lieb­te Be­zie­hun­gen des Eckards­burg zur Land­grä­fin Ju­lia­ne ge­macht hat­te. Die Un­ter­su­chung er­gab nichts, als dass Ju­lia­ne mit dem von Eckards­burg häu­fi­ger als mit an­de­ren ge­tanzt und gern mit ihm ge­plau­dert habe; auch un­ter der Fol­ter be­harr­te der An­ge­klag­te da­bei, dass nichts Straf­ba­res ge­sche­hen und dass er sei­ne Au­gen nie an­ders als mit der der Fürs­tin schul­di­gen Ehr­furcht auf Ju­lia­ne ge­rich­tet habe. Die­se leug­ne­te gleich­falls jede Schuld so­wie auch jede Nei­gung ab und ver­lang­te, dass Eckards­burg frei­ge­las­sen wer­de, da er nur einen Ver­leum­der zur Ret­tung ih­rer Ehre im Zwei­kampf ge­tö­tet, nicht ge­mor­det habe. Die Zwei­fel des Land­gra­fen wur­den nicht be­schwich­tigt, viel­mehr, wie we­nig er auch vor­her an die Mög­lich­keit ehe­bre­che­ri­scher Lie­be sei­ner Frau zu ei­nem an­de­ren Man­ne ge­dacht hat­te, so fest stand ihm jetzt, dass bei­de we­nigs­tens ge­gen­sei­ti­ger Zu­nei­gung schul­dig sei­en. Die Erin­ne­rung ver­gan­ge­ner Jah­re such­te ihn heim, als die jun­ge Frau des al­ten Land­gra­fen Lud­wig von Hes­sen ei­nes Lie­bes­ver­hält­nis­ses mit ei­nem ad­li­gen Herrn be­schul­digt wur­de und er mit rich­ten­dem Ei­fer die strengs­te Be­stra­fung der An­ge­klag­ten durch­zu­set­zen such­te. Un­ter Qua­len frag­te er sich, ob ihn da­mals noch ein be­son­de­rer Hass ge­gen die Mi­ter­bin des dem Tode na­hen al­ten Fürs­ten be­wegt habe? ob er ge­gen die ei­ge­ne Frau blind oder nach­sich­ti­ger sein dür­fe als da­mals ge­gen jene? oder ob die Wut sei­ner Ei­fer­sucht ihm einen Vor­wand, Stren­ge zu üben, zu­spie­len woll­te? Bald dach­te er die­sen schmach­vol­len Zu­stand da­durch zu über­win­den, dass er den Eckards­burg dem Mar­ter­to­de preis­gab, den das Ge­setz für sol­chen Fall vor­schrieb; bald wur­de er un­eins mit sich, wünsch­te an die Un­schuld sei­ner Frau zu glau­ben und for­der­te von sei­ner Ho­heit und Über­le­gen­heit Ver­zei­hen. Erst nach­dem die Geist­lich­keit ihm ver­si­chert hat­te, dass Eckards­burg dem Rech­te nach nicht an­ders als mit dem Tode zu be­stra­fen sei, und nach­dem auch die Rich­ter auf Be­fra­gen sich da­hin aus­ge­spro­chen hat­ten, es lie­ge kein An­lass, Gna­de zu üben, vor, un­ter­zeich­ne­te er das Ur­teil, nach wel­chem der Schul­di­ge ge­rä­dert wer­den soll­te.

Die Land­grä­fin hat­te be­merkt, was im Her­zen ih­res Man­nes vor­ging, und auf­ge­hört, zu Eckards­burgs Guns­ten zu spre­chen; sie war schweig­sam und hielt sich in ih­ren Ge­mä­chern. Am Tage vor der Hin­rich­tung teil­te er ihr mit, dass das Ur­teil un­ter den Fens­tern des Schlos­ses, als auf dem Schau­plat­ze des Ver­bre­chens, voll­zo­gen wer­de und dass es sein Wil­le sei, sie sol­le der Exe­ku­ti­on mit ihm zu­schau­en zum Zei­chen für je­der­mann, dass sie bei­de an der Be­stra­fung ei­nes Mis­se­tä­ters, auch wenn er von ho­hem Ran­ge sei, ein Wohl­ge­fal­len hät­ten. Ju­lia­ne ent­schul­dig­te sich da­mit, dass ihr nicht wohl sei, wes­halb sie schon seit meh­re­ren Ta­gen das Zim­mer ge­hü­tet habe; doch da er, den Blick scharf auf sie rich­tend, sag­te, sie habe sich sonst wohl auf sei­nen Wunsch oder aus ei­ge­nem An­trieb zu be­herr­schen ge­wusst, ent­geg­ne­te sie nichts mehr und er­schi­en zur fest­ge­setz­ten Stun­de am Fens­ter. Sie hör­te dün­nes Ge­läut den lang­sa­men Zug ver­kün­den und sah den von zwei Geist­li­chen ge­lei­te­ten Ver­ur­teil­ten im lan­gen schwar­zen Ge­wan­de her­an­schrei­ten, das wei­che blon­de Haar sorg­fäl­tig ge­ord­net, hin­ter ihm rüs­ti­ge Hen­ker mit Keu­len in den mus­kel­star­ken Ar­men. Er zit­ter­te vor Furcht und heim­li­cher Hoff­nung; denn er konn­te es doch nicht glau­ben, dass er, der Schö­ne und Viel­ge­lieb­te, zu ei­nem so gräu­li­chen Tode be­stimmt sei. Als er das Rad auf­ge­rich­tet sah, auf dem er hin­ge­schlach­tet wer­den soll­te, schau­der­te er und blieb ge­lähmt ste­hen, in­dem er un­will­kür­lich fle­hend am Schlos­se hin­aufsah. Sein Auge be­geg­ne­te dem star­ren Blick der Land­grä­fin, in dem nichts von Gna­de zu le­sen war, und gleich­zei­tig stie­ßen ihn die Knech­te vor­wärts. Ju­lia­ne stand wäh­rend der gan­zen Zeit auf­recht ohne sich zu rüh­ren: ihre großen dunklen Au­gen sa­hen leer auf den men­schen­er­füll­ten Platz, und auf ih­ren schma­len Lip­pen saß ein schwa­ches Lä­cheln.