Der Krieg zwischen Venedig und dem Kaiser lockte viele berühmte Feldherren und junge Herren von Adel nach Gradisca, der die große grüne friaulische Ebene beherrschenden Festung, um die der Kampf hauptsächlich sich drehte. Während Venedig sich des berühmten Giustiniani rühmte, glänzte auf österreichischer Seite namentlich Trauttmansdorff, der seine Laufbahn in den Kriegszügen des Matthias gegen Rudolf begonnen hatte (den von Ramée hatte Erzherzog Leopold schon vor einigen Jahren geschwind und lautlos prozessieren und köpfen lassen). Neben Trauttmansdorff machten sich der Lothringer Dampierre, Marradas, Melander, besonders aber Albrecht von Waldstein oder Wallenstein bemerkbar, ein etwa dreißig Jahre alter böhmischer Edelmann, der als Vasall des nunmehrigen Königs von Böhmen Ferdinand ins Feld gezogen war. Zog Wallenstein die Scharen der Söldner an, so war er doch bei den Kameraden nicht beliebt, wenn man ihm auch zugestand, dass sein Regiment in auffallend guter Ordnung, tüchtig und leistungsfähig sei; aber er schreckte durch zurückhaltendes und hochfahrendes Wesen ab, nahm an den gemeinsamen Banketten selten teil, betrank sich niemals und schien sich überhaupt mit anderen nicht gemein machen zu wollen. Sein Reichtum ermöglichte ihm, prunkvoll gekleidet zu erscheinen und sich mit einem Tross reich ausstaffierter Diener zu umgeben. Man wusste, dass er dies Vermögen seiner Frau, einer verwitweten böhmischen Edelfrau, verdankte, die kürzlich gestorben war, ohne Kinder geboren zu haben. Sie war mehrere Jahre älter als er und nicht schön, aber leidenschaftlicher Natur und in ihren ernsthaften und tiefsinnigen Mann sehr verliebt gewesen. Das Gerücht war von ihr im Umlauf, um sich sein Herz zuzuwenden, habe sie ihre Zuflucht zu einer alten Frau genommen, die sich auf Arzneien und allerlei verborgene Künste verstanden habe, und ihm einen von derselben zusammengekochten Liebestrank eingeflößt, der aber keine Liebe, sondern eine gefährliche Krankheit in ihm erzeugt habe. Nach seiner Genesung sei er noch kälter als zuvor gegen sie gewesen, worüber jene alte Frau sehr erschrocken gewesen sei und gesagt habe, er könne kein fleischliches Herz haben, wenn es diesem Zauber unzugänglich sei. Selbst Tiere würden durch dies Mittel zur Liebesbrunst angefacht, er müsse außerhalb der Natur und mit feindlichen Geistern im Bunde stehen. Die arme Frau versuchte in frommen Übungen Trost zu finden, vermochte es aber nicht, sich der hoffnungslosen Liebe zu entreißen, und ergab sich traurig in den Tod. Zur zweiten Gemahlin wählte der junge Witwer die österreichische Gräfin Harrach, die nicht reich war, ihn aber durch ihre angesehene Familie in nahe Verbindung mit dem Erzhause brachte.
Trauttmansdorff, der den Oberbefehl hatte, war ein Mann, der sich weniger durch Feldherrngabe als durch Kühnheit und Selbstbewusstsein auszeichnete, auch durch seine heldenhafte Gestalt und seinen stolz getragenen blonden Kopf Eindruck machte. Um einen gelungenen Ausfall zu feiern, lud er eines Tages die Offiziere zu einem Gastmahl ein, das im geräumigen Schlosshof aufgerüstet wurde. Der von Mauern eingeschlossene Platz war schattig kühl; jenseit derselben sah man das blaue Meer und die rötlichen Berge in der schwirrenden Luft kochen.
Gleich beim Beginn des Essens entspann sich ein Streit, indem Trauttmansdorff die Gesundheit des Kaisers ausbrachte und sein Glas darauf leerte, welchem Beispiel alle mit Ausnahme Wallensteins folgten. Von Trauttmansdorff darüber zur Rede gestellt, antwortete Wallenstein kurz, dass er das Weintrinken bei der Hitze nicht vertragen könne, wogegen Trauttmansdorff mit Schärfe einwandte, er habe Wallenstein kürzlich trinken sehen, als das Wohl des Erzherzogs von Steiermark ausgebracht worden sei. Der Erzherzog von Steiermark sei König von Böhmen und sein Herr, entgegnete Wallenstein. Das sei nicht wahr, rief Trauttmansdorff, annoch habe Matthias die Oberherrschaft in Böhmen, wenn er auch Ferdinand schon habe krönen lassen. Und ob Wallenstein Matthias nicht als seinem Kaiser Gehorsam vor allem schulde? Indem er sich drohend von seinem Sitz erhob, fragte Wallenstein, ob Trauttmansdorff ihn der Lüge zeihen wolle und ob er behaupten wolle, er, Wallenstein, sei kein treuer Untertan des Kaisers?
Dieser gefährliche Zwist wurde durch die übrigen glücklich beigelegt, und Trauttmansdorff wie Wallenstein versicherten, dass sie weder dem Kaiser noch dem Könige von Böhmen, noch sich gegenseitig dies zum Schimpf gemeint hätten. Bald jedoch entstand ein neuer Wortwechsel, indem Trauttmansdorff die Hoffnung aussprach, der nächste Krieg werde gegen die ketzerischen Rebellen im Reich gehen; der Umstand nämlich, dass die holländischen Staaten der Republik Venedig ein Hilfsheer unter dem General Grafen Johann Ernst von Nassau gesendet hatten, in dem zahlreiche Protestanten aus dem Reiche dienten, wurde als eine ungebührliche Herausforderung aufgefasst und hatte eine gereizte Stimmung im österreichischen Heer erzeugt. Dagegen sagte Wallenstein in einer Art, als ob seine Meinung besser begründet sei als die der anderen, es werde zunächst gegen die Türken gehen, erst wenn diese gänzlich niedergeworfen wären, könne die Ordnung im Reich hergestellt werden. Trauttmansdorff war Mitglied einer kürzlich gegründeten hochadeligen Gesellschaft, deren Ziel ausdrücklich die Bekämpfung der Heiden war, von der man aber wusste oder mutmaßte, dass sie gegen die Evangelischen gerichtet und zunächst zur Unterstützung des Königs von Polen gegen Schweden bestimmt sei. Wallenstein scheine gründlich unterrichtet zu sein, sagte Trauttmansdorff spöttisch; er hätte selbst den Türken gegenübergestanden und wisse, dass sie nicht sonderlich mehr zu fürchten wären; einstweilen hätte man mit ihnen aufgeräumt. »Die Türken sind so mächtig wie je«, sagte Wallenstein mit kühler Bestimmtheit, »und solange die Türken in Europa sind, wird niemals ein sicheres Gleichgewicht bei den christlichen Staaten herrschen.« Ob er eine Weltmonarchie gründen wolle? fragte Trauttmansdorff höhnisch. Das komme wohl aus seinem Blute, denn so viel er wisse, sei Attila ein Böhme gewesen.
Noch einmal legten sich die Offiziere zwischen die Streitenden mit dem Vorschlag, die Würfel sollten entscheiden, wer recht habe. Unter lautem Jubel tat Trauttmansdorff den höchsten Wurf, womit es für bewiesen galt, dass der nächste Krieg gegen die Ketzer gehen werde. Als dann der Würfelbecher unter allen umging, und zwar unter der Abmachung, dass der Sieger im Spiel den nächsten großen Sieg davontragen solle, gewann es Trauttmansdorff wieder mit der größten Zahl. Ein paar von den bedienenden Mädchen brachen Zweige von den Lorbeerbäumen, die an der Mauer wuchsen, banden sie zusammen und setzten den Kranz auf seinen blonden Kopf; sein schon erhitztes Gesicht wurde noch dunkler rot, er umfasste die Mädchen, küsste sie, zog sie auf seine Knie und erwiderte das Zutrinken der übrigen. Wallenstein setzte sein Glas an die Lippen, dann stand er auf und entfernte sich, indem er sich mit der Hitze entschuldigte. Es sei gut, dass er gegangen sei, sagte Dampierre aufatmend; seine Gegenwart lasse keine rechte Fröhlichkeit aufkommen. »Er hat etwas an sich, das mir nicht gefällt«, sagte Trauttmansdorff; »wenn er ein Kavalier ist, so hat er gewiss den Bocksfuß im Wappen.«
Drei Tage später wurde Trauttmansdorff, als er die Wälle besuchte und sich dabei zu sehr aussetzte, von einer Granate getroffen und starb einige Stunden später. Auch der venezianische Feldherr Giustiniani fiel in diesem Kriege, der auf beiden Seiten mit großer Tapferkeit, aber ohne entscheidende Ergebnisse, fast wie ein glänzendes Turnier geführt wurde. Nach wechselndem Kriegsglück kam im Herbst 1617 der Friede dadurch zustande, dass auf Khlesls Betreiben der Kaiser der Republik Venedig günstige Bedingungen zugestand, anstatt Ferdinands Interessen, wie dieser gewünscht hätte, bis zum äußersten zu vertreten.
Von Gradisca aus fuhr Wallenstein eines Tages über die friaulische Ebene nach Venedig und Padua, um den alten Professor Argoli zu besuchen, von dem er sich als Jüngling in der Astrologie hatte unterrichten lassen. In einem von außen düster aussehenden Hause bewohnte Argoli hohe, luftige Gemächer, von denen aus man auf einen von Bäumen eingefassten Platz und jenseit desselben auf die aus Gebüschen anschwellende gekuppelte Masse des Domes von San Antonio sah. Auf dem Platze war stets ein lebhafter Verkehr, sei es, dass an Markttagen die Landleute hier zusammenkamen oder dass, im Winter, die reichen Venezianer, die in Padua Paläste besaßen, in Karossen oder Sänften oder auch zu Pferde hier spazierten. Argoli brachte einen großen Teil des Tages damit zu, den Leuten zuzusehen und sich über sie zu belustigen, indem er sie mit dem Gewimmel von Maden auf einem faulen Käse verglich, die übereingekommen wären, sich und ihren Wohnort für etwas Wichtiges und Dauerhaftes auszugeben.
Aus Wallensteins stattlichem Aufzuge reimte er sich sofort seine veränderten Glücksumstände zusammen, ließ aber davon nichts merken, sondern plauderte von diesem und jenem und führte dem Gaste seinen Hund und seine Katze vor, die zwei bequem ausgefütterte Körbe in seinem Arbeitszimmer bewohnten. Er erzählte, dass die Katze, die ein Junges hatte, mit dem Hunde in einer Art von Ehe lebte, insofern sie ihn als Vater des Kindes angenommen habe und er sich als solcher rücksichtsvoll und fürsorglich betrage; er nenne die drei deshalb die Heilige Familie, den Hund San Giuseppe, die Katze Madonna und das neugeborene Kätzlein sei das Bambino.1 Wallenstein lächelte über den spaßhaften Einfall; aber an Tieren fand er keinen Geschmack und konnte sich nicht überwinden, ihnen Aufmerksamkeit zu widmen. Dann zeigte Argoli ihm sein Theater, nämlich das große Rondell unter dem Fenster, wo eben ein geräuschvoller Zusammenlauf war, weil eine Karosse vor der anderen den Vortritt verlangte, den jene weigerte. »Diese armen Würmlein«, sagte Argoli, »eine dünne Schicht Schimmel auf einem Knäuel von Verwesung, beißen sich bis aufs Blut, weil einer etwas schneller kriechen kann als der andere oder ein Pfund Kot mehr im Leibe hat als der andere«, und lachte dabei so, dass ihm Tränen in die Augen traten. Wallenstein betrachtete ihn ein wenig befremdet, worauf er abbrach und von der Astrologie zu sprechen anfing und allerlei Erfolgen, die er gehabt habe; wie er erzählte, dass er den Tod des Kaisers Rudolf richtig prophezeit habe und dass es ihm hernach von Neidern abgestritten sei, ereiferte er sich mehr und mehr, und seine kleinen Augen funkelten böse. Er habe Glauben an ihn, sagte Wallenstein, denn seine ihn betreffenden Prophezeiungen seien eingetroffen: er habe sich vermählt und sei reich, auch einigen Kriegsruhm habe er schon erworben. Das sei nur der Anfang, rief Argoli lebhaft aus, er habe ja noch bei Weitem das größere Stück Weges zu durchlaufen. Es sei jetzt gerade sieben Jahre her, dass er ihm das Horoskop gestellt habe, jetzt sei der rechte Zeitpunkt, die Sterne wieder zu beobachten. Wallenstein bat ihn, es bald zu tun, da er des Krieges wegen nicht lange von seinem Regiment abwesend sein könne; der Professor könne darauf rechnen, dass er, Wallenstein, sich erkenntlich zeigen werde. Das wisse er, sagte Argoli, dass der Herr großmütig sei. Er wolle noch in dieser Nacht ein Bild des Himmels aufnehmen, die Nächte seien ohnehin jetzt klar und wiesen bedeutende Konstellationen auf. Auch dabei zu sein, erlaubte er Wallenstein auf seinen Wunsch und empfing ihn am Abend auf der Zinne des Hauses, wo er ein feines Essen hatte auftischen lassen. Während desselben plauderten sie über die Politik des Papstes und Venedigs, und Argoli sagte, die päpstliche Herrschaft sei im Augenblick zwar etwas wacklig geworden, werde sich aber wieder befestigen und einen neuen Aufschwung nehmen, bis sie zuletzt den ganzen Erdkreis umspannen werde.
Ob nicht ein Gewitter im Anzuge sei? fragte Wallenstein, nach dem dunstigen Horizont blickend. Nein, sagte Argoli, noch acht Tage, solange Jupiter den Himmel beherrsche, werde die Atmosphäre den entzündlichen Stoff einsaugen und vertilgen; hernach, wenn sie überladen sei, werde es mit furchtbarer Gewalt ausbrechen. Es mochte in entfernten Regionen ein starker Wind lebendig sein; denn während die Wipfel der Platanen um den Platz herum unbeweglich schwebten, eilte dunkles Gewölk unstet durch den blauen Himmel. Etwa um die zehnte Stunde traten die Sterne hervor, und bald darauf zeigte Argoli seinem Schüler die aufblitzende Krone des Jupiter. »Seht«, sagte er, »Wolken und Sterne ducken sich vor dem glücklichen Licht, wie wenn ein König unter sie getreten wäre.« Wallenstein, welcher wusste, dass dieser Planet seine Geburtsstunde beherrscht hatte, betrachtete ihn aufmerksam, der mit dem Feuer des weißen Saphirs, wie eine Ewige Lampe in der marmornen Rotunde eines Domes, den Raum durchglänzte. So blieb es jedoch nur kurze Zeit, dann sammelten sich die Wolken, die die Festung des Lichtes vergeblich berannt und sich zerstreut hatten, in dichteren Haufen und schwollen langsam über den Westen, das Strahlenreich fast ganz mit Finsternis bedeckend. »Das Glück begünstigt nur meinen Anfang«, sagte Wallenstein; »oder ist es der Tod, der meine Laufbahn früh abschneidet?« Argoli antwortete nicht, sondern blickte in tiefen Gedanken auf das stetig sich verändernde Bild des beweglichen Himmels. Sich nach Norden wendend, sah er, dass dicht über dem Horizont eine graue Dunstmauer sich gebildet hatte, in der es wetterleuchtete; es sah aus, als stieße eine Schlange ihre lechzende Zunge über das Ufer eines Meeres. »Ihr werdet hoch steigen, hoch, hoch«, sagte Argoli sinnend; »aber das Ende wird vor der Zeit kommen. Es ist eine jähe Bahn. Die Kraft, die der Seele mitgeteilt wurde, verteilt sich nicht gelassen über das Dasein, sondern verdichtet und staut sich und erwirkt mit hitzigem Regiment hitziges Widerstreben; wie sie das Leben verschlingt, so wird das Leben sie verschlingen.« Er blickte forschend in das schmale, gelblichblasse Gesicht des ihm gegenübersitzenden Mannes, dessen in schön gewölbtem Hohl sich verbergende graue Augen mit vorsichtig zurückgehaltener Gier auf ihm ruhten. »Dass ich sterblich bin, weiß ich«, sagte Wallenstein; »habt keine Scheu, mir mitzuteilen, was Ihr wisst, wenn der Bescheid auch bitter ist.« Noch wisse er gar nichts, entschuldigte sich Argoli eifrig, er müsse nun Messungen und Berechnungen anstellen, aus denen er das Ergebnis ziehen werde; am nächsten oder darauffolgenden Tage sei er bereit, Wallenstein ausführliche Auskunft zu geben.
Als Wallenstein am nächsten Tag um die Mittagszeit sich bei Argoli einfand, zierte die Mitte der Tafel ein ausgestopfter Adler, in dessen offenem Schnabel eine Zitrone befestigt war. Es hätte, sagte Argoli, mit listigem Blick lächelnd, eine Orange sein sollen, doch sei ja, wie Wallenstein wohl wisse, diese Frucht eben nicht zeitig; so habe er denn die längliche Zitrone als ungenügendes Symbol des Erdballs benützen müssen. »Das soll nicht bedeuten«, fuhr er fort, »dass ich Euch als Cäsar grüße; denn des Wortes ›Kaiser‹ will ich mich nicht bedienen, um selbst zwischen uns beiden nichts auszusprechen, was wie ein Angriff auf die heilige Majestät klänge.« Aber wenn auch nicht Kaiser, werde er doch dem Kaiser gleich sein. Triumph blitzte aus Wallensteins dunklem Gesicht, und er wurde immer aufgeräumter, je mitteilsamer Argoli unter dem Essen sich zeigte. Vom Osten komme ihm Ruhm und Ehre, sagte Argoli unter anderm, dort werde der Schauplatz seiner Siege sein. Er werde den Thron des Sultans umstürzen und das alte Reich von Byzanz erneuern. Ob er nicht bemerkt habe, wie der dünne Halbmond gestern Nacht beim Aufstieg des Jupiters am östlichen Himmel wie ein fadenscheiniger Leinenfetzen verschwunden sei? Mars sei ihm günstig, nur zuletzt werde etwas kommen, das mächtiger als der Gott der Schlachten sei. Diese Gefahr drohe vom Norden, und vor dem Norden solle er auf der Hut sein; von dorther komme sein Überwinder. Aber das schlummere in ferner Zukunft; noch sei der Kelch seines Glückes nicht erblüht und werde blühend noch lange prangen.
Tags darauf überbrachten reichgekleidete Diener Wallensteins dem Professor Geschenke ihres Herrn: einen silbernen Globus, auf welchem in blauem Schmelz der Sternenhimmel abgebildet war; eine Uhr, welche die in Erz getriebene Gestalt des Riesen Atlas auf der Schulter trug, und eine silberne, mit Halbedelsteinen reich besetzte, kunstreich und geheimnisvoll verschließbare Kassette, in der hundert Golddukaten waren.
Auf der Rückfahrt durch die blaugrüne Luft, die fiebernd über den friaulischen Sümpfen zitterte, saß Wallenstein in seinen Wagen zurückgelehnt und ließ sich, die müden Augen halb schließend, vom mystischen Flimmern der Zukunft umweben. Er atmete das unendliche Schweigen der unbewohnten Ebene wie Weihrauch der Erde ein, die sich unter ihm bückte; jenseit des Umkreises, den die Ehrfurcht seiner Größe einräumte, mochten die zurückgewichenen Völker knien und scheu das sengende Gestirn vorüberrollen sehen.
1 kleines Kind <<<
Moritz von Hessen hatte Ursache, stolz auf seine Kinder zu sein; namentlich war er es auf die anmutige und kluge Elisabeth, die so bescheiden zuzuhören wusste, wenn ihr Vater sich mit gelehrten Männern unterhielt, und so überraschend gedankenvoll mitzusprechen, wenn sie dazu aufgefordert wurde. Schöner waren die Söhne, denen die frühverstorbene Mutter ihren vielbewunderten Reiz zum Gedächtnis eingeprägt zu haben schien: Otto, der älteste, mit dem vollen griechischen Munde und dem runden Kinn, und Moritz mit den goldstrahlenden Augen, dem braunen Gelock und der mädchenhaft leicht errötenden zarten Haut. Die junge Stiefmutter sah die wundervolle Blüte der bevorzugten Nachkommen ihres Mannes nicht ohne Eifersucht, doch war sie zu einsichtig, um es merken zu lassen, und das Ansehen des Landgrafen in der Familie zu groß, als dass Streit und Misshelligkeit sich laut hervorgewagt hätten.
Es war ein Augenblick schöner Genugtuung für Moritz, als sein Erstgeborener im Jahre 1612 den neugewählten Kaiser Matthias in Frankfurt in einer zierlichen lateinischen Ansprache begrüßte und die Augen der Fürsten neidisch oder wohlwollend auf dem Achtzehnjährigen ruhten, nicht wenige von dem Gedanken erfüllt, wie lieblich der Satan seine gefährlichen Werkzeuge auszuzieren wisse.
Bald darauf traf den glücklichen Vater ein jäher Schlag, indem der zwölfjährige Moritz erkrankte und schon nach zwei Tagen, bevor noch jemand die Gefahr des Zustandes erkannt hatte, starb. Da man nichts anderes annahm, als dass es sich um ein leichtes Fieber handle, stellte Moritz, am Bette des Knaben sitzend, ihm allerlei Aufgaben als Unterhaltung und Prüfung. Er disputierte mit ihm über das Abendmahl, in der Weise, dass er abwechselnd die Rolle eines Lutheraners und eines Papisten spielte und der Kleine die Auffassung der Reformierten beiden gegenüber verteidigen und sie mit Bibelstellen erhärten musste. Dann ließ er ihn Sätze aus dem Deutschen ins Lateinische und Französische übertragen, was alles Moritz zufriedenstellend ausführte, die brennenden Augen eifrig und ein wenig angstvoll auf den Vater gerichtet, dessen Ungeduld beim Unterricht ihm bekannt war. In der Mathematik jedoch, die des Landgrafen Lieblingsfach war, wurden die Antworten des kranken Kindes unsicher und blieben einige Male ganz aus, sodass der Vater es scharf zur Aufmerksamkeit anhielt. »Ich werde es gleich wissen, lieber Vater«, sagte das Kind, erschrocken die Hände faltend, und ließ den Kopf in das Kissen zurückfallen, indem es stammelnd um Wasser bat. Wie der Landgraf das Gesicht seines Sohnes sich verfärben sah, sprang er auf, läutete, rief nach Dienern und Ärzten; eben hatte er noch Zeit, den laut Atmenden in seine Arme zu nehmen und ihm zuzurufen: »Mein Sohn, mein Sohn, denke an Jesus Christus, der von den Toten auferstanden ist!«, als die Augen, die ihn flehend ansahen, brachen, und das geliebte Kindeshaupt leblos auf seine Schulter fiel.
Der Landgraf blieb lange mit dem Leichnam seines Knaben allein und ließ sich während mehrerer Tage nur wenig vor anderen sehen; erschien er aber, so war sein Benehmen sicher und gebietend wie sonst und sprach er ruhig von der Pflicht des Christen, sich dem Schmerz über den Verlust geliebter Personen oder irdischer Güter nicht hinzugeben, sondern die Aufgaben des Tages zu erfüllen. Solche Grundsätze hatte er namentlich seinem ältesten Sohne Otto vorzuhalten, der sich um den Tod des jüngeren Bruders leidenschaftlich grämte und weder durch Arbeit noch durch Betrachtung oder Musik zerstreuen ließ. Plötzlich aber war der Kummer ohne ersichtliche Ursache ganz erloschen; so fing sein Wesen immer verhängnisvoller an, von einer Übertreibung zur anderen zu schwanken. Das väterliche Gebot der Mäßigkeit überschreitend, betrank er sich in loser Gesellschaft, knüpfte ein Liebesverhältnis mit einer älteren Frau an und ward einmal, aus einem übelberüchtigten Hause heimkehrend, berauscht auf der Gasse gefunden. Der Zorn und Schmerz seines Vaters schmetterte ihn zu tiefster Zerknirschung nieder, doch hinderte das nicht, dass er sich bald darauf neuen Ausschweifungen ergab, was durch den Ausbruch einer Krankheit an den Tag kam. Dem verzweifelten Landgrafen, der mit dem Gedanken umging, dem entarteten Sohne die Nachfolge zu entziehen, rieten die Erzieher Ottos, er möchte den nunmehr Zwanzigjährigen verheiraten und dadurch dem geordneten Leben wieder zuführen; und so wurde denn die Vermählung mit einer badischen Prinzessin so schnell wie möglich eingeleitet und vollzogen. Hoffnungsvoll beteiligte sich Moritz selbst an den Vorbereitungen zur Hochzeit, deren vornehmste Unterhaltung ein Kampfspiel der Babylonia und der Ekklesia, eigentlich der babylonischen Hure und der evangelischen Kirche war, die einander beschimpften und herausforderten. Moritz selbst dichtete und komponierte ein Hochzeitslied, das mit den Worten begann: ›Venus, du und dein Sohn, der, dem ihr gnädig seid, Über der Sterblichen Häupter schreitet er sorglos, ein Gott‹; und wider seinen Willen wurden seine Augen nass, als die ernsten Töne sich in feierlichem Rhythmus über den jungen Vermählten drehten. Auf seinen Wunsch stellte der Pfarrer, der sie traute, ihnen die Bedeutung und die Pflichten der Ehe eindringlich vor und dass sie für einen Fürsten und Landesbeherrscher besonders bindend seien, was auch Eindruck auf Otto zu machen schien. Als jedoch nach einem Jahre die junge Frau im Wochenbette starb, nahm er die anstößige Lebensführung allen Ermahnungen und Drohungen zum Trotz wieder auf. Zwischen den Fürbitten und Ratschlägen der Familie und der Räte beschloss Moritz schleunige Wiederverheiratung, obwohl Otto selbst ihr widerstrebte. Bald sagte er trotzig, dass er die aufgedrungene Frau nicht werde lieben können, dann hatte er Anwandlungen, wo er stundenlang weinte, sich anklagte und sagte, man solle nichts mehr mit ihm versuchen, es sei aus mit ihm, er müsse doch zugrunde gehen.
Im Innersten schwer niedergebeugt, hielt sich der Landgraf abseits von dem Treiben am Hofe und in der Familie, bemühte sich, im Studium der Wissenschaften oder bei den Verwaltungsgeschäften zu vergessen, als ein Verbrechen seinen Blick auf neue Untiefen in seiner Umgebung lenkte. Spät am Abend beim Verlassen des Schlosses wurde Herr von Hertinghausen, ein älterer Mann, durch Rudolf von Eckardsburg, einen schönen, im Umgang angenehmen und besonders bei den Damen beliebten jungen Ritter, ermordet, und zwar, wie sich herausstellte, weil jener eine tadelnde Bemerkung über verliebte Beziehungen des Eckardsburg zur Landgräfin Juliane gemacht hatte. Die Untersuchung ergab nichts, als dass Juliane mit dem von Eckardsburg häufiger als mit anderen getanzt und gern mit ihm geplaudert habe; auch unter der Folter beharrte der Angeklagte dabei, dass nichts Strafbares geschehen und dass er seine Augen nie anders als mit der der Fürstin schuldigen Ehrfurcht auf Juliane gerichtet habe. Diese leugnete gleichfalls jede Schuld sowie auch jede Neigung ab und verlangte, dass Eckardsburg freigelassen werde, da er nur einen Verleumder zur Rettung ihrer Ehre im Zweikampf getötet, nicht gemordet habe. Die Zweifel des Landgrafen wurden nicht beschwichtigt, vielmehr, wie wenig er auch vorher an die Möglichkeit ehebrecherischer Liebe seiner Frau zu einem anderen Manne gedacht hatte, so fest stand ihm jetzt, dass beide wenigstens gegenseitiger Zuneigung schuldig seien. Die Erinnerung vergangener Jahre suchte ihn heim, als die junge Frau des alten Landgrafen Ludwig von Hessen eines Liebesverhältnisses mit einem adligen Herrn beschuldigt wurde und er mit richtendem Eifer die strengste Bestrafung der Angeklagten durchzusetzen suchte. Unter Qualen fragte er sich, ob ihn damals noch ein besonderer Hass gegen die Miterbin des dem Tode nahen alten Fürsten bewegt habe? ob er gegen die eigene Frau blind oder nachsichtiger sein dürfe als damals gegen jene? oder ob die Wut seiner Eifersucht ihm einen Vorwand, Strenge zu üben, zuspielen wollte? Bald dachte er diesen schmachvollen Zustand dadurch zu überwinden, dass er den Eckardsburg dem Martertode preisgab, den das Gesetz für solchen Fall vorschrieb; bald wurde er uneins mit sich, wünschte an die Unschuld seiner Frau zu glauben und forderte von seiner Hoheit und Überlegenheit Verzeihen. Erst nachdem die Geistlichkeit ihm versichert hatte, dass Eckardsburg dem Rechte nach nicht anders als mit dem Tode zu bestrafen sei, und nachdem auch die Richter auf Befragen sich dahin ausgesprochen hatten, es liege kein Anlass, Gnade zu üben, vor, unterzeichnete er das Urteil, nach welchem der Schuldige gerädert werden sollte.
Die Landgräfin hatte bemerkt, was im Herzen ihres Mannes vorging, und aufgehört, zu Eckardsburgs Gunsten zu sprechen; sie war schweigsam und hielt sich in ihren Gemächern. Am Tage vor der Hinrichtung teilte er ihr mit, dass das Urteil unter den Fenstern des Schlosses, als auf dem Schauplatze des Verbrechens, vollzogen werde und dass es sein Wille sei, sie solle der Exekution mit ihm zuschauen zum Zeichen für jedermann, dass sie beide an der Bestrafung eines Missetäters, auch wenn er von hohem Range sei, ein Wohlgefallen hätten. Juliane entschuldigte sich damit, dass ihr nicht wohl sei, weshalb sie schon seit mehreren Tagen das Zimmer gehütet habe; doch da er, den Blick scharf auf sie richtend, sagte, sie habe sich sonst wohl auf seinen Wunsch oder aus eigenem Antrieb zu beherrschen gewusst, entgegnete sie nichts mehr und erschien zur festgesetzten Stunde am Fenster. Sie hörte dünnes Geläut den langsamen Zug verkünden und sah den von zwei Geistlichen geleiteten Verurteilten im langen schwarzen Gewande heranschreiten, das weiche blonde Haar sorgfältig geordnet, hinter ihm rüstige Henker mit Keulen in den muskelstarken Armen. Er zitterte vor Furcht und heimlicher Hoffnung; denn er konnte es doch nicht glauben, dass er, der Schöne und Vielgeliebte, zu einem so gräulichen Tode bestimmt sei. Als er das Rad aufgerichtet sah, auf dem er hingeschlachtet werden sollte, schauderte er und blieb gelähmt stehen, indem er unwillkürlich flehend am Schlosse hinaufsah. Sein Auge begegnete dem starren Blick der Landgräfin, in dem nichts von Gnade zu lesen war, und gleichzeitig stießen ihn die Knechte vorwärts. Juliane stand während der ganzen Zeit aufrecht ohne sich zu rühren: ihre großen dunklen Augen sahen leer auf den menschenerfüllten Platz, und auf ihren schmalen Lippen saß ein schwaches Lächeln.