Der Dreißigjährige Krieg

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Am Nach­mit­tage be­glei­te­te sie den Land­gra­fen auf die Jagd und gab sich wie sonst ih­rer Lust an wa­ge­hal­si­gem Rei­ten hin, eine Ver­än­de­rung in ih­rem We­sen höchs­tens in­so­fern zei­gend, als sie ih­rem Man­ne ge­gen­über schweig­sam und von ver­hal­te­ner Reiz­bar­keit war.

Zur zwei­ten Frau sei­nes äl­tes­ten Soh­nes wähl­te Mo­ritz ein Mäd­chen aus der An­hal­ti­schen Fa­mi­lie, das sich be­son­ders durch Ver­nunft und Fröm­mig­keit emp­fahl und meh­re­re Jah­re äl­ter als Otto war. Die jun­ge Frau klag­te über nichts, son­dern äu­ßer­te sich dem Land­gra­fen ge­gen­über zu­frie­den. Ei­ni­ge Mo­na­te nach der Hoch­zeit je­doch wur­de Otto am Mor­gen er­schos­sen im Bet­te auf­ge­fun­den, wahr­schein­lich durch ei­ge­ne Hand ge­fal­len, je­den­falls als ein Op­fer sei­ner las­ter­haf­ten Ver­wil­de­rung.

Nun war Wil­helm, der jüngs­te Sohn der schö­nen Ag­nes, Erbe des Lan­des. Er war, wenn auch hübsch und fein von Ge­sicht, ernst und flei­ßig, doch we­ni­ger glän­zend be­gabt als die Brü­der und war von sei­nem Va­ter stets et­was zu­rück­ge­setzt ge­we­sen, frei­lich ohne des­sen Wis­sen und Wil­len, der in der Be­hand­lung sei­ner Kin­der auf Ge­rech­tig­keit hielt. Wil­helm such­te die Lie­be des stren­gen Va­ters, dem er in be­schei­de­ner Zu­rück­hal­tung er­ge­ben war, durch Ar­beit­sam­keit und Pf­licht­ei­fer zu ge­win­nen. Sei­nen zar­ten Kör­per stähl­te er durch rit­ter­li­che Übun­gen und wur­de mehr in­fol­ge die­ser Wil­lens­kraft als aus na­tür­li­cher An­la­ge ein tüch­ti­ger Jä­ger und Sol­dat.

22.

Da­mals er­schi­en ein Buch, das dem Land­gra­fen An­re­gung ge­währ­te, es hat­te den Ti­tel ›Chy­mi­sche Hoch­zeit Chris­ti­an Ro­sen­creuz‹, gei­ßel­te mit Witz und Wär­me die Las­ter der Zeit und be­rich­te­te von ei­ner Ge­sell­schaft, die zum Zweck eine Re­form der Sit­ten, der Po­li­tik und der Kir­che, kurz, des gan­zen öf­fent­li­chen so­wie pri­va­ten Le­bens habe. Es be­gann mit ei­ner Er­zäh­lung, wie die Wei­ber ei­nes Fa­bel­lan­des sich im Rat­hau­se ver­sam­meln, um den herr­schen­den Übeln ab­zu­hel­fen, wie das Volk in Ehr­furcht war­tet, auf wel­che Wei­se es ge­bes­sert und be­glückt wer­den soll, wie end­lich die ge­hei­lig­te Pfor­te sich öff­net und den Har­ren­den das Er­geb­nis ver­kün­det wird, mit wel­chem der Wen­de­punkt ei­ner neu­en, schö­ne­ren Zeit be­gin­nen soll: eine neue Taxe auf Kraut, Rü­ben und Pe­ter­si­lie.

Die Emp­feh­lung des Land­gra­fen ver­schaff­te dem Bu­che in Hes­sen vie­le Le­ser, aber auch in an­de­ren kal­vi­ni­schen Ge­gen­den er­reg­te es Bei­fall oder min­des­tens In­ter­es­se, wäh­rend es im All­ge­mei­nen als frech, auf­wieg­le­risch und voll von Ket­ze­rei­en ge­ta­delt und be­kämpft wur­de. Der un­ge­nann­te Ver­fas­ser, nach dem man ver­ge­bens fahn­de­te, war ein Schwa­be, der aus ei­ner Fa­mi­lie von Theo­lo­gen stamm­te, Jo­hann Va­len­tin An­dreae, ein rast­lo­ser Geist, des­sen Ver­stand eben­so durch­drin­gend und un­be­stech­lich wie sei­ne Fan­ta­sie leb­haft war, hei­ter, stolz, warm­her­zig und un­ter­neh­mend. Durch sei­ne Ab­kunft zur Theo­lo­gie be­stimmt, wid­me­te er sich doch zu­nächst aus Nei­gung der Ma­the­ma­tik und Mecha­nik, der Ma­le­rei, Mu­sik und Dich­tung, führ­te ein un­ge­bun­de­nes Rei­se­le­ben oder ver­dien­te sich sei­nen Un­ter­halt als Er­zie­her. Etwa im Jah­re 1613 war er mit zwei Freun­den, dem ös­ter­rei­chi­schen Edel­mann Abra­ham Ho­el­zel und dem schwä­bi­schen Ju­ris­ten Be­sold, sei­ner Ge­sund­heit we­gen im Bade Gries­bach, ohne Stel­lung und wil­lens, sich durch Un­ter­richt die Ein­nah­men zu ver­schaf­fen, de­ren er be­durf­te. Wäh­rend ei­nes län­ge­ren Auf­ent­hal­tes in Ita­li­en hat­te er in Pa­dua Fech­ten und Vol­ti­gie­ren ge­lernt und es mit sei­nem ge­schmei­di­gen Kör­per dar­in zu großer Fer­tig­keit ge­bracht. Als er ei­nes Ta­ges mit Ho­el­zel an ei­nem Plat­ze vor­bei­kam, der zur Kurzweil für die an­we­sen­den rit­ter­li­chen Gäs­te be­stimmt war, lock­te es ihn, sich ein we­nig zu tum­meln, und be­lus­tig­te sich in al­ler­lei Spie­len und Küns­ten mit Ho­el­zel zu­sam­men, der, plum­per ge­baut und we­ni­ger ge­wandt, Jo­hann Va­len­tins Vor­zü­ge in de­sto bes­se­rem Licht er­schei­nen ließ. Am nächs­ten Tage er­zähl­te Ho­el­zel, es hät­ten ihn meh­re­re vor­neh­me jun­ge Leu­te auf­ge­sucht und ihn nach dem jun­gen Man­ne aus­ge­fragt, der sich mit ei­nem so vor­treff­li­chen und un­ge­wöhn­li­chen Vol­ti­gie­ren habe se­hen las­sen; er, Ho­el­zel, habe dar­auf An­dreaes Ta­len­te und Fer­tig­kei­ten ge­rühmt, und sie sei­en be­gie­rig, sei­ne Be­kannt­schaft zu ma­chen. Er sol­le sich be­reit hal­ten, viel­leicht blü­he ihm hier das Glück. In kur­z­er Zeit hat­te er wirk­lich meh­re­re jun­ge Edel­leu­te zu Schü­lern im Fech­ten und Vol­ti­gie­ren, die üb­ri­gens gute Ge­sell­schaf­ter wa­ren. War er mit Ho­el­zel und Be­sold al­lein, so diente es ih­nen zu großer Be­lus­ti­gung, dass An­dreae nun end­lich das Ge­biet ge­fun­den habe, auf wel­chem er Ehre und Vor­teil er­rin­gen kön­ne; kärg­lich sei es ihm er­gan­gen, so­lan­ge er sich der Welt­weis­heit, Kunst und Got­tes­ge­lehrt­heit be­flei­ßigt habe, als Fecht­meis­ter wer­de er zu Ruhm und An­se­hen kom­men. Üb­ri­gens be­schloss er so­gleich, un­ver­merkt auf das In­ne­re der jun­gen Män­ner zu wir­ken, die ihn mit der Aus­bil­dung ih­res Kör­pers be­traut hat­ten, und als ein an­de­rer Mer­kur ihre See­len zu Gott zu füh­ren. Bei dem häu­fi­gen Zu­sam­men­sein fand er Ge­le­gen­heit, sei­ne Kennt­nis­se in der Ma­the­ma­tik zu zei­gen und sie so für die­se Wis­sen­schaft zu in­ter­es­sie­ren, dass sie sich alle et­was da­von an­zu­eig­nen wünsch­ten und ihn um Un­ter­wei­sung ba­ten. Ka­men sie dann auf theo­lo­gi­sche Fra­gen, so lob­te Be­sold wohl die Schrif­ten des Mys­ti­kers Va­len­tin Wei­gel, wäh­rend ihn we­der Luthers noch Kal­vins Leh­re ganz be­frie­di­ge. Sie wä­ren, sag­te er, of­fen­bar von den Men­schen auf­stei­gend zu Gott ge­kom­men, wäh­rend man doch, um zu Gott zu kom­men, sich so weit wie mög­lich von den Men­schen ent­fer­nen müs­se. Die An­schau­ung un­se­res Le­bens müs­se man ver­las­sen, wenn man Gott fin­den wol­le; denn Gott wis­se nichts von uns, Gott wis­se nur von sich, dar­um müs­se, wer zu ihm wol­le, die fes­te Erde von sich sto­ßend einen Sturz in den bo­den­lo­sen Ab­grund wa­gen, der für un­se­re ir­di­schen Sin­ne die Nacht und das Nichts sei.

Die­se Auf­fas­sung be­kämpf­te An­dreae als schwär­me­risch und ge­fähr­lich. Gott, des­sen We­sen Licht sei, sei nur durch das Licht zu er­rei­chen. Es sei viel Wahr­heit in dem, was Be­sold sage, aber das Gan­ze sei un­wahr. Man dür­fe nicht ver­ges­sen, dass die Welt, wel­chen An­teil auch das Böse an ihr habe, doch von Gott er­schaf­fen, von sei­nem Sa­men und Blut sei. Es kom­me nicht so sehr dar­auf an, dass der ein­zel­ne im Glau­ben Be­frie­di­gung fin­de und Gott nä­her­kom­me, wie dass die Ge­sell­schaft, die kleins­te wie die um­fas­sends­te, eine har­mo­ni­sche Ord­nung dar­stel­le. Luther sei kein Gott, also nicht un­fehl­bar, wenn auch gött­li­chen Geis­tes voll ge­we­sen; aber wel­cher an­de­re Mensch sei das? Wo­hin wür­de man ge­ra­ten, wenn ein je­der die Macht ha­ben soll­te, den ei­ge­nen Träu­men über die höchs­ten Din­ge nach­zu­ge­hen, sich ei­ge­ne Wege zur Se­lig­keit zu gra­ben? Sie wüss­ten wohl alle, dass das Wort Re­li­gi­on von Bin­den kom­me, und sie sol­le in der Tat ein hei­li­ges Band um alle Men­schen, ja um alle Welt schlin­gen. Das möch­te ih­nen ka­tho­lisch klin­gen; aber Luther habe ja auch die ka­tho­li­sche Kir­che nicht ab­schaf­fen, nur rei­ni­gen wol­len. Einst wer­de ge­wiss die Kup­pel der al­lesum­fas­sen­den Kir­che mit dem Ge­wöl­be des Kos­mos sich de­cken und ein Got­tes­haus für alle sein. Das Grü­beln, Schwär­men und Dis­pu­tie­ren müs­se ein­mal auf­hö­ren, je­der sol­le sich auf dem fes­ten Bo­den ge­mein­sa­men Glau­bens ei­nem tä­ti­gen tu­gend­haf­ten Le­ben wid­men. Was für eine wun­der­vol­le Har­mo­nie habe er in den Städ­ten Ba­sel, Zü­rich und Genf ge­se­hen! Die gli­chen licht­brin­gen­den Ster­nen, die sich streng, voll Ruhe und fast gleich­gül­tig auf re­gel­mä­ßi­ger Bahn be­weg­ten.

Er er­zähl­te mit Vor­lie­be von dem Le­ben in den eid­ge­nös­si­schen Städ­ten, von der Tüch­tig­keit und Ver­nünf­tig­keit ih­rer Be­woh­ner, wie sie ih­rer Ar­beit flei­ßig nach­gin­gen, ein je­der tue, was ihm ob­lie­ge, die Vor­neh­men stolz auf ihre Pf­lich­ten, auch die Ge­rin­ge­ren auf die ih­rem Stan­de ei­gen­tüm­li­che Wür­de. Feh­le es auch nicht ganz an Fle­cken und Ab­wei­chun­gen, so wür­den sie doch aus­ge­gli­chen durch die Re­gel­mä­ßig­keit der Be­we­gung und die Fül­le des Lich­tes im Gan­zen. Frei­lich wä­ren die Theo­lo­gen dort auch an­ders ge­ar­tet als die im Reich und lei­der nicht zum we­nigs­ten in Schwa­ben; sie lehr­ten, pre­dig­ten, wal­te­ten in der Ge­mein­de, tä­ten ihr Ta­ge­werk, an­statt al­ber­ne Spitz­fin­dig­kei­ten aus­zu­boh­ren und sich her­nach dar­über zu zan­ken und zu ver­flu­chen.

Da­mals wa­ren die lu­the­ri­schen Theo­lo­gen über zwei Streit­fra­gen ge­spal­ten, de­ren eine die Al­lent­hal­ben­heit oder Ubi­qui­tät Chris­ti ge­nannt wur­de. Ei­ni­ge sag­ten, dass, da Chris­ti Leib beim Abend­mahl im Bro­te sei, und zwar ohne dass, wie die Ka­tho­li­schen fälsch­lich lehr­ten, eine Ver­wand­lung vor sich gehe, dies so er­klärt wer­den müs­se, dass er eben al­lent­hal­ben sei; wäh­rend die an­de­ren ent­ge­gen­hiel­ten, die Welt sei voll Un­rat, und es sei un­ziem­lich, an­zu­neh­men, Chris­tus sei im Dreck ent­hal­ten. Fer­ner nah­men die Theo­lo­gen der Uni­ver­si­tät Gie­ßen, die zu Hes­sen-Darm­stadt ge­hör­te, als Dog­ma an, dass Chris­tus wäh­rend sei­nes Wan­dels auf Er­den im Voll­be­sitz sei­ner gött­li­chen Na­tur ge­we­sen sei und sich nur schein­bar der Leib­lich­keit mit ih­ren Ge­bre­chen un­ter­wor­fen habe, um sei­ne Auf­ga­be voll­füh­ren zu kön­nen. Dies ver­warf das Haupt der würt­tem­ber­gi­schen Theo­lo­gen, Osi­an­der, gänz­lich, da, wenn Chris­tus nicht wirk­lich ein Mensch ge­we­sen sei, sein Tun und Lei­den auf Er­den be­deu­tungs­los und ge­wis­ser­ma­ßen Spie­gel­fech­te­rei ge­nannt wer­den müs­se. Er habe sich vor der Men­sch­wer­dung sei­ner gött­li­chen Ei­gen­schaf­ten ent­äu­ßert, und es be­ste­he das gan­ze Ge­heim­nis in sei­ner Gott­mensch­heit, wie aus vie­len Bi­bel­stel­len zu er­här­ten sei. Eben­so stütz­ten die Geg­ner ihre un­wi­der­leg­li­che Be­weis­füh­rung mit großer Ge­lehr­sam­keit auf Bi­bel­sprü­che.

 

23.

Un­ter dem Druck der schwä­bi­schen Theo­lo­gen­herr­schaft hat­te auch Jo­han­nes Kep­ler zu lei­den, der ja im Würt­tem­ber­gi­schen ge­bo­ren war. Eine An­stel­lung in sei­ner Hei­mat für ihn zu er­wir­ken, war sei­nen Freun­den nicht mög­lich; frei­lich hat­ten sie auch nicht den Mut, sich um sei­net­wil­len sehr aus­zu­set­zen. Sei­ne Frau war bald nach dem epi­lep­ti­schen An­fall, den sie beim Ein­bruch der Pas­sau­er in Prag er­lit­ten hat­te, ge­stor­ben, und schon vor­her hat­te er das klei­ne Mäd­chen, sei­nen Lieb­ling, ver­lo­ren; noch im sel­ben Jah­re folg­ten die­sen bei­den zwei an­de­re Kin­der. Er ar­bei­te­te da­mals an­ge­streng­ter als je, zwi­schen­durch aber kämpf­te er mit trau­ri­gen und pein­vol­len Ge­dan­ken. Wenn er sein Ehe­le­ben, das nun ab­ge­schlos­sen und un­wie­der­bring­lich hin­ter ihm lag, über­blick­te, karg an Glück, reich an Ent­beh­rung, Streit und Miss­hel­lig­keit, so schi­en es ihm jetzt nicht mehr, als fie­le die Schuld dar­an auf sei­ne arme tote Frau, son­dern als hät­te er es an­ders ge­stal­ten kön­nen. Sie war wohl oft un­zu­frie­den, ängst­lich auf den Er­werb und die Not­durft be­dacht, bit­ter und gräm­lich ge­we­sen; aber wie hat­te er sei­ne Pf­licht er­füllt? War er der Stab ge­we­sen, an dem sie sich auf­rich­ten, der Quell, aus dem sie Er­fri­schung schöp­fen konn­te? Sei­ne schö­nen, über­schweng­li­chen Stun­den hat­te er bei der Ar­beit ge­habt; für sie war Mü­dig­keit und Un­ge­duld üb­rig­ge­blie­ben. Er ent­sann sich der hold­se­li­gen kind­li­chen Wit­we, als die er sie ken­nen­lern­te, wie rüh­rend ihre Ban­gig­keit und ihre Zwei­fel ihm er­schie­nen wa­ren und wie er sich ver­mes­sen hat­te, ihr das Le­ben lieb und leicht zu ma­chen. In den ers­ten Jah­ren, wenn er nachts den Him­mel be­ob­ach­tet hat­te und her­nach an ihr Bett kam, hat­te sie ihn oft mit selt­sam sehn­süch­ti­gen Au­gen an­ge­lä­chelt und etwa ge­sagt: »Dein Ant­litz schim­mert noch von den Ster­nen«; aber es war ihm nie­mals ein­ge­fal­len, dass er ihr von sei­ner Fül­le et­was hät­te mit­tei­len kön­nen. Ihre re­li­gi­ösen Grü­belei­en hat­ten ihn ge­lang­weilt und ge­är­gert; das hat­te er nie be­dacht, wo­mit sie denn sonst ihre schmach­ten­de See­le hät­te spei­sen sol­len.

Freun­de und Freun­din­nen sag­ten ihm, er hät­te sich nichts vor­zu­wer­fen, son­dern sei ein vor­züg­li­cher Ehe­mann ge­we­sen, und rie­ten ihm, sich wie­der zu ver­hei­ra­ten, da­mit er eine rich­tig ge­ord­ne­te Häus­lich­keit hät­te. An­fäng­lich moch­te er nichts da­von wis­sen, und kei­ne leuch­te­te ihm ein, wie vie­le ihm auch vor­ge­schla­gen wur­den. Dann kam ihm in den Sinn, dass er durch die Hei­rat mit ei­ner Dame von Rang und Ver­mö­gen des elen­den Rin­gens und Quä­lens um das täg­li­che Brot über­ho­ben wer­den könn­te; von sei­nen schon ge­krümm­ten Schul­tern wür­de die häss­li­che Bür­de fal­len, frei wür­de er sich auf­rich­ten und mit leich­tem Schritt der Höhe des Le­bens zu­stre­ben kön­nen. Ja, das hät­te er kön­nen, wenn er al­lein ge­we­sen wäre; aber nun war er an die an­spruchs­vol­le frem­de Dame ge­bun­den, der er den Wohl­stand ver­dank­te und die pein­li­cher las­ten moch­te als die eins­ti­gen Sor­gen. Er konn­te sich sei­ne Frau nur als ein schlich­tes, lieb­li­ches Mäd­chen den­ken, ein sanf­tes, un­be­fan­ge­nes, hei­ter an­lä­cheln­des, sitt­sa­mes, und nach ei­nem sol­chen fing er all­mäh­lich an sich zu seh­nen. Da ihm von ei­ner be­rich­tet wur­de, näm­lich von der schö­nen Su­san­na Ret­tin­ger, ei­ner Schrei­ner­s­toch­ter, die eine vor­neh­me Dame hat­te er­zie­hen las­sen, ent­schloss er sich, sie zu hei­ra­ten und die Sor­ge für den Le­bens­un­ter­halt wei­ter zu tra­gen.

Da Kai­ser Matt­hi­as ihm we­der den rück­stän­di­gen noch den lau­fen­den Sold aus­zah­len konn­te, nahm er eine Pro­fes­sur an dem Gym­na­si­um in Linz an, wo er un­ter den Her­ren von Adel An­hän­ger sei­ner Leh­re und Be­wun­de­rer sei­ner Schrif­ten hat­te und wo er ge­ehrt und fried­lich hät­te le­ben kön­nen, wenn ihm nicht von der Hei­mat aus Un­ru­he und Be­schwer­de wäre be­rei­tet wor­den. Es be­fand sich als Pre­di­ger in Linz sein Lands­mann Dok­tor Hiz­ler, mit dem er viel ver­kehr­te; denn Hiz­ler in­ter­es­sier­te sich für Astro­no­mie, Ma­the­ma­tik und Mecha­nik, war leb­haft, wiss­be­gie­rig und fröh­lich und ver­stand es, den schweig­sa­men und un­ge­sel­li­gen Kep­ler durch sei­ne Mun­ter­keit um­gäng­lich zu stim­men. Er hat­te klei­ne, lus­ti­ge, kind­li­che Au­gen, auf­wärts ge­sträub­tes Haar und einen spit­zen Bart, trank gern gu­ten Wein und hat­te meis­tens, das Theo­lo­gi­sche auf die Be­rufs­ge­schäf­te ein­schrän­kend, eine me­cha­ni­sche Spie­le­rei in Ar­beit; so fer­tig­te er da­mals ein von selbst lau­fen­des Wä­ge­lein an, auf dem ein trom­pe­ten­bla­sen­der und peit­schen­knal­len­der klei­ner Kut­scher saß.

Ei­nes Ta­ges um Os­tern, als Kep­ler der Sit­te ge­mäß das Abend­mahl neh­men woll­te, fiel es Hiz­ler ein, zu fra­gen, ob Kep­ler die würt­tem­ber­gi­sche Kon­kor­di­en­for­mel un­ter­schrie­ben habe, was Kep­ler ver­nein­te, da er es über­haupt nicht für rich­tig hal­te, sei­nen Glau­ben auf For­meln zu zwin­gen, vollends aber je­ner nicht zu­stim­men kön­ne. Hiz­ler war er­staunt und böse und be­stand dar­auf, Kep­ler müs­se die For­mel un­ter­schrei­ben, die gut und löb­lich sei, sonst kön­ne er ihn zum Ge­nuss des Abend­mahls nicht zu­las­sen. Kep­ler ant­wor­te­te, we­gen des Dog­ma­ti­schen möch­te es sein, aber dazu kön­ne er sich nicht ent­schlie­ßen, die An­hän­ger Kal­vins zu ver­flu­chen, das sei ge­gen sei­ne Über­zeu­gung. Was? fuhr Hiz­ler auf, ob er etwa die ab­scheu­li­che Ket­ze­rei der Kal­vi­ner in Schutz neh­men wol­le? Ob er etwa be­haup­ten wol­le, dass ein Mann durch et­was an­de­res als den Glau­ben se­lig wer­den kön­ne? Ob er etwa der An­sicht sei, dass ein Un­ter­tan sich der von Gott ein­ge­setz­ten Ob­rig­keit wi­der­set­zen dür­fe? Ob er sich ein­bil­de, dass ein Laie zum Pre­di­gen be­ru­fen sein kön­ne? Ob der Teu­fel ihm ein­ge­bla­sen habe, dass das Brot nicht der Leib Chris­ti sei?

Da­bei blick­te er, die Hän­de auf den Tisch ge­stützt und weit über­ge­beugt, Kep­ler aus klei­nen, fun­keln­den Au­gen dro­hend an.

Da­rauf wol­le er sich nicht ein­las­sen, ant­wor­te­te Kep­ler; er habe im Sinn, bei der lu­the­ri­schen Leh­re zu blei­ben, auf die er ge­tauft sei; es möch­te auch sein, dass die Leh­re Kal­vins Irr­tü­mer ein­schlie­ße, nur kön­ne und wol­le er nicht ein­se­hen, warum man sie des­halb ver­flu­chen müs­se.

So? rief Hiz­ler hohn­la­chend, den Grund wol­le er wis­sen, warum man sie ver­flu­chen sol­le? Kep­ler möch­te doch ihm den Grund sa­gen, warum man sie nicht ver­flu­chen sol­le, die der Wahr­heit ins Ge­sicht lö­gen und wi­der die Recht­gläu­big­keit an­bell­ten!

So möch­ten er und an­de­re sie im­mer­hin ver­flu­chen, sag­te Kep­ler, nur er kön­ne es durch­aus nicht tun, weil er kei­ner­lei Hass oder Ab­nei­gung ge­gen sie habe.

Da­bei be­ru­hig­te sich Hiz­ler aber kei­nes­wegs, son­dern kam an den fol­gen­den Ta­gen wie­der, um Kep­ler ab­wech­selnd zu be­dro­hen und zu be­schwö­ren, dass er die Kon­kor­di­en­for­mel un­ter­schrei­be. »Lie­ber«, rief er fast wei­nend, »was ge­hen dich die Erz­schel­me und Teu­fels­kin­der von Kal­vi­nis­ten an? Ach Lie­ber, ver­flu­che sie doch! Ver­flu­che sie in Got­tes Na­men! Ver­flu­che sie we­nigs­tens mit der Zun­ge, wenn auch dein Herz nicht da­bei ist!« In­des­sen trotz sei­ner Ver­träg­lich­keit tat ihm Kep­ler den Wil­len nicht, wor­auf Hiz­ler ihn, wie er ge­droht hat­te, vom Abend­mahl aus­schloss. Dies glaub­te Kep­ler als einen gro­ben Schimpf sich nicht bie­ten las­sen zu sol­len und wen­de­te sich kla­gend an das Kon­sis­to­ri­um in Stutt­gart. We­gen sei­ner Par­tei­nah­me für den Gre­go­ria­ni­schen Ka­len­der schon vor­dem ge­gen ihn ein­ge­nom­men, ent­schied das­sel­be da­hin, Kep­ler sei ein Schwin­del­hirn­lein, das sich all­zu sehr auf­bla­se, wenn er glau­be, in theo­lo­gi­schen Fra­gen an­de­re meis­tern zu kön­nen; er sol­le rich­ti­ge Ka­len­der ma­chen und flei­ßig in sei­nem Be­ru­fe sein, in der Theo­lo­gie aber sich von de­nen zu­recht­wei­sen las­sen, die dazu be­fugt sei­en.

Seit­dem blie­ben die bei­den Lands­leu­te ver­fein­det; Hiz­ler such­te Kep­ler, wo er ihn traf, durch in­grim­mi­ge Bli­cke und vor sich hin ge­mur­mel­te Schelt­wor­te aus dem Gleich­ge­wicht zu brin­gen. Un­ter die­sen Wi­der­wär­tig­kei­ten litt Kep­ler umso mehr, als er neu­er­dings durch Nach­rich­ten aus der Hei­mat emp­find­lich be­un­ru­higt wur­de; sei­ne Mut­ter näm­lich, die in Güg­lin­gen leb­te, war der Zau­be­rei ver­däch­tigt wor­den.

Ka­tha­ri­na Kep­ler, eine klei­ne, brau­ne, durch vie­ler­lei Müh­se­lig­kei­ten früh ge­beug­te Frau, die aber mun­te­ren und be­weg­li­chen Geis­tes war, leb­te, seit ihre hüb­sche sanf­te Toch­ter Mar­ga­re­te sich mit dem Pfar­rer Bin­der ver­hei­ra­tet hat­te, ganz al­lein in leid­li­chen Ver­hält­nis­sen. Ihr Mann war vor vie­len Jah­ren, des häus­li­chen Le­bens müde, in den Tür­ken­krieg ge­zo­gen und dort ver­schol­len; ihre Söh­ne wa­ren, bis auf Jo­han­nes, ohne hö­he­re Bil­dung auf­ge­wach­sen, ei­ner war, wie einst sein Va­ter, als Söld­ner dem Krie­ge nach­ge­zo­gen und kam mit Frau und Kin­dern bet­tel­arm zu­rück, nach­dem er in der Frem­de ka­tho­lisch ge­wor­den war. Ent­rüs­tet wies ihn die Mut­ter, bei der er jetzt un­ter­schlüp­fen zu kön­nen hoff­te, von ih­rem Ti­sche. In ih­rer Ein­sam­keit ver­trieb sie sich die Zeit, die sie sich durch Le­sen nicht ver­kür­zen konn­te, denn das ver­stand sie nicht, mit wun­der­li­chen Träu­me­rei­en oder da­durch, dass sie Be­su­che aus der Nach­bar­schaft emp­fing, mit de­nen sie bei ei­nem Gla­se Würzwein plau­der­te. Ir­gend­wie verd­arb sie es mit man­chen von die­sen Be­kann­ten, viel­leicht weil ihre Au­gen, ob­wohl sie fern an den Leu­ten vor­bei ins Wei­te schweif­ten, doch tief ein­dran­gen und sie mit un­be­dacht schar­fer Zun­ge un­lieb­sa­me Wahr­hei­ten sag­te. So kam es da­hin, dass eine Frau na­mens Rein­bold, die un­ter ei­ner im­mer zu­neh­men­den Läh­mung und Ver­krüm­mung der Glied­ma­ßen litt, die Kep­ler be­schul­dig­te, ihr das Lei­den, mit dem kein Arzt sich aus­ken­ne, an­ge­hängt zu ha­ben.

Wäh­rend dies im Gan­ge war, traf es sich, dass ein Bru­der die­ser Frau, der Bar­bier Kräut­lein, und der Vogt Luther Ein­horn bei ei­nem ih­nen be­freun­de­ten Förs­ter mit dem Bru­der des re­gie­ren­den Her­zogs, dem Prin­zen Achil­les, zu­sam­men­ka­men, der ge­ra­de in der dor­ti­gen Ge­gend jag­te. Bei dem ge­mein­sa­men Mit­ta­ges­sen er­zähl­te der Bar­bier, wie sei­ne Schwes­ter von der Kep­le­rin un­heil­bar ver­zau­bert sei und dass sei­ner Mei­nung nach die alte Hexe ge­zwun­gen wer­den müs­se, die Kran­ke wie­der ge­sund zu ma­chen. Prinz Achil­les zeig­te sich be­gie­rig, mehr von dem He­xen­we­sen zu ver­neh­men, wo­mit ihn denn der Vogt und der Bar­bier gut be­die­nen konn­ten. Er ver­mes­se sich, sag­te der Vogt, eine Hexe bloß am Ge­sicht zu er­ken­nen, er habe schon vie­le pro­zes­siert, er ken­ne jetzt ihre Sch­li­che, und es kön­ne ihm kei­ne ent­schlüp­fen.

Ob man sich denn da­bei nicht den Teu­fel auf den Hals zie­he, frag­te Prinz Achil­les, als den Buh­len der Weibs­bil­der?

Ach, rief der Bar­bier ki­chernd, man müs­se den Teu­fel nur nicht fürch­ten, so kön­ne er ei­nem auch nichts an­ha­ben. Auch glau­be er gar nicht, dass dem Teu­fel viel an den al­ten Vet­teln ge­le­gen sei, de­ren es ja mehr als ge­nug gebe. Ein­mal, er­zähl­te er, sei er in den Turm zu ei­nem He­xen­ver­hö­re ge­ru­fen wor­den, weil der Hen­ker bei ei­ner Be­klag­ten das Teu­fel­s­ab­zei­chen, wel­ches man Stig­ma nen­ne, ent­deckt habe, sie hin­ge­gen es für eine Nar­be habe er­klä­ren wol­len, die nach ei­nem von ihm, dem Bar­bier, weg­ge­schnit­te­nen Wärz­lein zu­rück­ge­blie­ben sei. Dort habe die Frau split­ter­nackt aus­ge­zo­gen auf ei­nem Stuhl ge­ses­sen, laut heu­lend, wäh­rend meh­re­re Rich­ter sie ge­hal­ten und an der Nar­be oder dem Teu­fels­zei­chen, das an ih­rer Brust ge­ses­sen sei, her­um­ge­drückt hät­ten. Er hät­te es denn auch in Au­gen­schein neh­men müs­sen, hät­te sich auch wohl des Wärz­leins er­in­nert, aber als ein vor­sich­ti­ger Mann nichts da­von ge­sagt, son­dern ge­fragt, ob denn der Hen­ker schon die Pro­be ge­macht habe? Denn er wis­se wohl, dass, wenn mit ei­ner Na­del in den Fle­cken hin­ein­ge­sto­chen wer­de und kein Blut da­nach kom­me, dies ein hin­läng­li­cher und voll­gül­ti­ger Be­weis für die Teu­fels­buhl­schaft sei. Da­rauf habe der Hen­ker ge­lacht und ge­sagt, frei­lich habe er das schon ge­tan, die Her­ren lie­ßen sich eben von der Erz­schel­min am Nar­ren­seil füh­ren, wor­auf er gleich noch ein­mal mit ei­ner lan­gen, spit­zen Na­del in das Mal hin­ein­ge­fah­ren sei. Er habe denn auch des Heu­lens und Schwö­rens der Per­son un­ge­ach­tet ge­sagt, er wis­se nichts von ei­nem Wärz­lein, ken­ne sie auch nicht, wor­auf sie ge­hö­rig ge­fol­tert und zu Asche ver­brannt wor­den sei.

 

Prinz Achil­les, der schon ein we­nig an­ge­trun­ken war, hör­te be­gie­rig mit ro­tem Kopf und glän­zen­den Au­gen zu. Und split­ter­nackt sei sie ge­we­sen? frag­te er; ob sie denn wäh­rend des Fol­terns auch split­ter­nackt aus­ge­zo­gen wä­ren? Der Vogt und der Bar­bier bo­gen sich vor La­chen; frei­lich, sag­ten sie, ob man etwa Wei­ber, die sich nicht schäm­ten, mit dem Teu­fel zu buh­len, wie Klos­ter­jung­fern be­han­deln sol­le? Das hät­te er nicht ge­wusst, rief der Prinz, er möch­te für sein Le­ben gern ein­mal da­bei sein, und es wäre et­was gar Schö­nes und Ver­dienst­li­ches, den Teu­fels­dir­nen einen Denk­zet­tel zu ge­ben. Ja frei­lich, brüll­te der Vogt, einen feu­ri­gen, mit dem sie zur Höl­le füh­ren, und so sol­le man es der Kep­le­rin auch ma­chen, wenn sie den gu­ten from­men Leu­ten et­was an­hän­ge. Ja, wenn sei­ner Schwes­ter zu ih­rem Rech­te ver­hol­fen wür­de, sag­te Bar­bier Kräut­lein, wol­le er sich dank­bar er­wei­sen; wor­auf der Prinz und der Vogt ihn ver­trös­te­ten, die Sa­che sol­le be­trie­ben wer­den, es müs­se selt­sam zu­ge­hen, wenn man ei­nem al­ten Wei­be nicht Meis­ter wür­de.

Die­ser Verab­re­dung ge­mäß be­ga­ben sich Bar­bier Kräut­lein und Vogt Ein­horn zu Frau Kep­ler, hiel­ten ihr vor, was sie be­gan­gen ha­ben soll­te, und ga­ben ihr un­ter Dro­hun­gen an­heim, den Zau­ber, durch den sie die Rein­bold krank ge­macht hät­te, wie­der auf­zu­he­ben. Die Kep­le­rin ver­tei­dig­te sich tap­fer, sie habe die Rein­bold nicht ver­zau­bert, ver­ste­he sich auch gar nicht dar­auf; nach ih­rer An­sicht habe die Frau in frü­he­rer Zeit ein­mal heim­lich mit ei­nem Man­ne zu tun ge­habt und die Frucht ab­zu­trei­ben ver­sucht, wor­aus der Glie­der­scha­den ent­stan­den sein möge. Hier­durch er­bit­ter­te sie ihre Fein­de noch mehr, was sie aber nicht an­focht; viel­mehr be­wog sie ih­ren Sohn, den Zinn­gie­ßer, und ih­ren Schwie­ger­sohn, den Pfar­rer Bin­der, eine Be­lei­di­gungs­kla­ge für sie ein­zu­rei­chen we­gen des schimpf­li­chen, ihr zu­ge­mu­te­ten Ver­dach­tes.

Der Pro­zess nahm sei­nen An­fang, ver­lief aber nicht so, wie die ih­rer Un­schuld sich be­wuss­te Frau Kep­ler für selbst­ver­ständ­lich an­ge­nom­men hat­te; denn die be­klag­te Par­tei such­te durch Zeu­gen den Be­weis zu er­brin­gen, dass sie in der Tat mit He­xen­werk um­ge­he, wo­durch eine Men­ge Weit­läu­fig­kei­ten und neue Ge­fah­ren ent­stan­den. Da kam ein Schus­ter, der Jah­re hin­durch fast täg­lich ein Stünd­chen bei ihr ver­plau­dert hat­te, und be­haup­te­te, sie habe ihm in ei­nem Gla­se Wein et­was Zau­be­ri­sches bei­ge­bracht, wo­durch er bett­lä­ge­rig ge­wor­den sei; fer­ner der To­ten­grä­ber, der an­gab, sie habe ihn vor Jah­ren ge­be­ten, ihr den Schä­del ih­res ver­stor­be­nen Man­nes zu ver­schaf­fen, sei aber auf sei­ne gut­ge­mein­te War­nung da­von ab­ge­stan­den. Dies leug­ne­te sie nicht, son­dern er­klär­te, sie habe im Sin­ne ge­habt, ih­rem Soh­ne Jo­han­nes einen Trink­be­cher dar­aus ma­chen zu las­sen, da­mit er sich nach al­tem Glau­ben Kraft und Se­gen dar­aus trin­ke. Auch gab sie frei­mü­tig zu, kran­ke Kin­der, zu de­nen man sie ge­führt habe, mit al­ler­lei Ver­sen be­spro­chen zu ha­ben, wie das von al­ters ge­bräuch­lich sei und wo­von man im­mer gute Wir­kung ver­spürt habe. Sie füg­te vor­wurfs­voll hin­zu, es kom­me ihr un­mensch­lich vor, dass die El­tern, die sie frü­her um ihre Hil­fe­leis­tung ge­be­ten und ihr da­für ge­dankt hät­ten, sie jetzt der­sel­ben als ei­ner ab­scheu­li­chen Mis­se­tat zei­hen woll­ten.

Die Kin­der der Frau Kep­ler ge­rie­ten über die­se Wen­dung des Pro­zes­ses in Auf­re­gung und Sor­ge, und ih­rer Toch­ter schi­en es am bes­ten, dem Bru­der Jo­han­nes in Linz da­von zu be­rich­ten, der als ein ge­lehr­ter Mann und Astro­nom des Kai­sers klug und mäch­tig ge­nug sein wer­de, um ih­rer Mut­ter aus der Be­dräng­nis zu hel­fen. Die­ser riet, die Mut­ter sol­le un­ver­züg­lich zu ihm nach Linz kom­men, da­mit wer­de der wi­der­wär­ti­gen Sa­che am schnells­ten ein Ende ge­macht. Die­sem Vor­schlag stimm­ten die Kin­der leb­haft zu, hal­fen ihr, ei­ni­ge Hab­se­lig­kei­ten zu­sam­men­zu­pa­cken, und die Abrei­se ging zur Er­leich­te­rung al­ler von­stat­ten. Un­ter­wegs aber, al­lein ih­ren Ge­dan­ken über­las­sen, stell­te sie sich vor, wie da­heim nun alle den­ken und sa­gen wür­den, dass sie au­gen­schein­lich eine Hexe sei, sonst wür­de sie nicht die Flucht er­grif­fen ha­ben; wie sie ihr Le­ben lang für eine Hexe wür­de gel­ten müs­sen und mit was für Au­gen ihr Sohn Jo­han­nes sie an­se­hen wür­de. Sie schalt sich tö­richt, dass sie ih­ren Kin­dern nach­ge­ge­ben hat­te: nichts Bö­ses oder Teuf­li­sches konn­te man ihr nach­wei­sen, viel­mehr wür­de sie ih­ren heim­tücki­schen Ver­leum­dern ob­sie­gen, so­dass sich ihre Schan­de bloß vor al­ler Au­gen zei­gen wür­de. Als sie un­ter sol­chen Ge­dan­ken in Ulm an­ge­kom­men war, kehr­te sie, ohne sich die be­rühm­te Stadt an­zu­se­hen, so­fort wie­der um nach Hau­se, nicht nur zum Schre­cken der Kin­der, son­dern fast auch ih­rer Geg­ner, die be­reits un­si­cher ge­wor­den wa­ren, ob sie nicht am Ende selbst in die ge­fähr­li­che Gru­be stür­zen möch­ten. Da die Beu­te ih­nen aber nun wie­der er­reich­bar war und sie zu­rück nicht mehr konn­ten oder woll­ten, such­ten sie im Stil­len nach neu­en Zeu­gen und Be­wei­sen, um dann ih­rer­seits mit ei­ner An­kla­ge auf Zau­be­rei her­vor­tre­ten zu kön­nen.