Der Dreißigjährige Krieg

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24.

Das Jahr 1618 be­gann mit ei­nem Tri­um­phe für Khlesl, in­dem der voll­zo­ge­ne Frie­de mit Ve­ne­dig, der sein Werk war, fei­er­lich in Wien be­gan­gen wer­den konn­te. Der Kar­di­nal lieb­te Fes­te und Um­zü­ge und be­küm­mer­te sich ein­ge­hend dar­um, dass ein in die Au­gen fal­len­der Prunk da­bei ent­fal­tet wur­de. In lan­gem Zuge wall­ten die Hof­be­am­ten, die Klos­ter- und Welt­geist­li­chen und die in Zünf­te ver­teil­ten Bür­ger um den Ste­phans­dom, jede Kör­per­schaft eine mit Sym­bo­len be­mal­te Fah­ne in ih­rer Mit­te tra­gend: ein in Flam­men auf­wärts­lau­fen­der Sala­man­der, der hei­li­ge Mar­tin, der mit dem Schwer­te den Man­tel zer­schnei­det, um ihn mit dem Bett­ler zu tei­len, ein mit Lor­beerzwei­gen um­wun­de­nes Schwert und der­glei­chen. Nach sei­ner ei­ge­nen An­wei­sung wa­ren auf vier Fah­nen die vier Ele­men­te, alle in Pur­pur, dar­ge­stellt: die Luft durch die pur­pur­ne Mor­gen­rö­te, das Was­ser durch das von der Flut zu­rück­ge­spie­gel­te Aben­d­rot, die Erde durch pur­pur­ne Blu­men, das Feu­er durch die pur­pur­ne Flam­me. Lus­tig pran­gend und frohlo­ckend be­weg­te sich die flat­tern­de Pro­zes­si­on durch die kla­re Win­ter­luft, bis ein Bild nach dem an­de­ren in der tie­fen, duf­ten­den Däm­me­rung des Do­mes sich sacht zu­sam­men­leg­te und erb­lich.

Erz­her­zog Ma­xi­mi­li­an hat­te den Frie­dens­ab­schluss nicht ver­hin­dern kön­nen; aber nun sehe man, sag­te er zu Fer­di­nand, dass es mit Khlesl zu Ende kom­men müs­se. Er sei zwei­felsoh­ne von Ve­ne­dig be­sto­chen wor­den, des Kai­sers Ver­stan­des­blö­dig­keit neh­me täg­lich zu, Khlesl sei der wah­re Kai­ser und Matt­hi­as sein Ham­pel­mann. Bei sei­ner Kopf­schwä­che kön­ne Matt­hi­as für sich nicht sor­gen, sie müss­ten ihn be­frei­en und ihm und sich sel­ber Recht ver­schaf­fen. Auf dem ge­wöhn­li­chen Wege wäre der Zweck nicht zu er­rei­chen, sie müss­ten gleich­sam sich selbst für das Tri­bu­nal an­se­hen und den Schul­di­gen ju­sti­fi­zie­ren, und nach sei­ner An­sicht ge­schä­he das am schick­lichs­ten, in­dem sie den gel­ben Teu­fel durch ein heim­li­ches Gift, das durch einen ver­trau­ten Arzt wohl zu be­schaf­fen sein wer­de, auf die Sei­te schaff­ten. Die­ser Vor­schlag kam Fer­di­nand be­frem­dend vor, ob­wohl er zu­gleich nicht um­hin konn­te, die Ent­schlos­sen­heit sei­nes Oheims zu be­wun­dern. Nach­dem er sich meh­re­re Tage be­dacht hat­te, ant­wor­te­te er Ma­xi­mi­li­an, das Mit­tel schei­ne ihm zu scharf, ab­ge­se­hen da­von, dass Khlesls Hoch­ver­rat viel­leicht nicht ganz zu er­wei­sen sei. Es las­se sich wohl noch ein an­de­rer Weg fin­den, um zum Zie­le zu kom­men, er stim­me für ge­lin­de­re Mit­tel, vor­züg­lich da es eine geist­li­che Per­son, einen Kar­di­nal be­tref­fe, des­sen sich schließ­lich noch der Papst an­neh­men wer­de.

Er­fuhr Khlesl von die­sen ge­hei­men Plä­nen auch nichts, so emp­fand er doch die zu­neh­men­de Un­gunst der bei­den Erz­her­zö­ge und dass sie sich mit star­ken Ent­schlüs­sen tru­gen. Sein rüs­ti­ger Kör­per wur­de um die­se Zeit zum ers­ten Male von ei­nem Un­wohl­sein be­fal­len, und die Tage, die er un­tä­tig im Bet­te lie­gen muss­te, brach­ten ihm schwar­ze Ge­dan­ken, was ihm be­vor­stün­de, wenn etwa der Kai­ser mit Tode ab­gin­ge. Doch raff­te er sich sei­ner Ge­wohn­heit nach ge­walt­sam auf, fürch­te­te auch, es möch­te in sei­ner Ab­we­sen­heit je­mand das Steu­er an sich rei­ßen, und fühl­te sich un­ent­behr­lich, was er für den Kai­ser und die Kai­se­rin in der Tat war. »Lie­ber Khlesl«, pfleg­te ihm die Kai­se­rin zu sa­gen, »mein Herr be­kommt gleich die Me­lan­cho­lie, wenn Ihr ihn nicht täg­lich ein we­nig zu­sam­men­schimpft und auf­mun­tert.«

»Me­lan­cho­lie kommt von Lan­ger­wei­le«, sag­te Khlesl zu Matt­hi­as, »und die Lan­ge­wei­le kommt Ih­nen, weil Sie nichts Rech­tes vor­neh­men, und es gibt doch über­ge­nug zu tun.« Khlesl habe gut re­den, da er ge­sund sei, ver­tei­dig­te sich Matt­hi­as kläg­lich; ihm aber sei nie­mals wohl, er kön­ne die Ge­dan­ken nicht bei­sam­men hal­ten, das Es­sen schme­cke ihm nicht, ge­hen kön­ne er auch nicht, es sei nicht an­ders, als wenn er ver­zau­bert sei. Das woll­te Khlesl nicht gel­ten las­sen: ge­hen müs­se er ja nicht, er sei der höchs­te Herr der Chris­ten­heit und kön­ne fah­ren; wenn er kei­ne Lust zu es­sen habe, kön­ne er es blei­ben las­sen, zu­we­nig sei bes­ser als zu viel, ihm feh­le nichts, die Ärz­te fän­den nichts an ihm. »Neh­men Sie sich der Ge­schäf­te an«, sag­te er, »das er­mun­tert Ihre Die­ner und ist auch Ihre Pf­licht. Vom mü­ßi­gen Hin­sit­zen kommt dickes Blut und Ver­derb­nis der Säf­te. Ich will gern für Sie ar­bei­ten und den Hass, der dar­aus kommt, auf mich neh­men; aber ich könn­te Ih­nen auch durch Krank­heit oder Ei­fer­sucht der Fein­de ab­han­den kom­men. Was soll dann aus Ih­nen wer­den, wenn Sie die Ge­schäf­te nicht ver­ste­hen?«

In den Er­b­län­dern, na­ment­lich in Böh­men, ver­folg­te Khlesl nicht die­sel­be ver­söhn­li­che Po­li­tik wie im Rei­che, viel­mehr wur­de wie zu Ru­dolfs Zei­ten in al­len strei­ti­gen Fäl­len meis­tens zu­guns­ten der Ka­tho­li­ken ent­schie­den. Dies wur­de von den pro­tes­tan­ti­schen Stän­den na­ment­lich dem Ein­fluss des Fer­di­nand zu­ge­schrie­ben, der als ein Schü­ler und An­hän­ger der Je­sui­ten übel be­ru­fen war, und ei­ni­ge, na­ment­lich Graf Thurn, mach­ten dar­auf auf­merk­sam, dass er kei­nes­falls als Kö­nig dür­fe zu­ge­las­sen wer­den; aber die­se fan­den, als der Au­gen­blick zu han­deln da war, nicht ge­nü­gen­den An­hang. Jetzt gel­te es zu zei­gen, sag­te Thurn, dass Böh­men ein Wahl­reich sei, wie sie ja auch Ru­dolf ab­ge­setzt und Matt­hi­as auf den Thron ge­ho­ben hät­ten, ge­gen­über der An­sicht der Ka­tho­li­schen, als hät­ten die Habs­bur­ger ein An­recht auf die Kro­ne; drän­ge Fer­di­nand jetzt durch, so be­hiel­ten sie ge­wis­ser­ma­ßen recht, und man kön­ne ihn her­nach nicht mehr los­wer­den. Die an­de­ren stimm­ten ihm wohl zu, mein­ten aber, Fer­di­nand ma­che per­sön­lich einen gu­ten Ein­druck, gehe ver­trau­lich und lie­bens­wür­dig mit dem Adel um, sei nicht hoch­mü­tig wie Ru­dolf und Matt­hi­as, man wer­de schon mit ihm aus­kom­men, wei­se er sich spä­ter an­ders aus, so sei man doch im­mer noch Herr im Hau­se und wer­de sich des Haus­rechts zu ge­brau­chen wis­sen.

Es währ­te nicht lan­ge, so gab es hier und dort An­lass zur Un­zu­frie­den­heit: na­ment­lich der Be­fehl an Stadt und Uni­ver­si­tät, sich an der Fron­leich­namspro­zes­si­on zu be­tei­li­gen, wäh­rend das Fest der hei­li­gen Hus und Hie­rony­mus ver­bo­ten wur­de, em­pör­te das gan­ze Volk; die Her­ren be­gan­nen ein­an­der vor­zu­wer­fen, dass sie sich dem neu­en Herr­scher be­quemt hät­ten, und nah­men sich vor, den be­gan­ge­nen Feh­ler wie­der gutz­u­ma­chen. In zwei Städ­ten wur­de der Bau von pro­tes­tan­ti­schen Kir­chen un­ter­sagt mit Be­ru­fung dar­auf, dass im Ma­je­stäts­brief nur dem Adel und den frei­en Städ­ten freie Re­li­gi­ons­aus­übung zu­ge­stan­den wäre, die frag­li­chen Städ­te aber nicht frei wä­ren. Die De­fen­so­ren, wel­che ein­ge­setzt wa­ren, um die im Ma­je­stäts­brief be­wil­lig­ten Rech­te zu wah­ren, be­strit­ten das, was sie in­so­fern auch wohl konn­ten, da die be­tref­fen­de Stel­le im Do­ku­ment nicht ge­nau ge­nug ge­fasst war, um nicht ver­schie­de­ne Auf­fas­sun­gen auf­kom­men zu las­sen. Wie nun ein schar­fer Brief des Kai­sers ein­traf, der zum Ge­hor­sam er­mahn­te und wid­ri­gen­falls mit Stra­fen droh­te, er­grif­fen die Stän­de die Ge­le­gen­heit, auf ih­rem Recht zu be­ste­hen. Thurn, der, weil er recht­zei­tig ge­warnt hat­te, mehr als frü­her ge­hört wur­de, dräng­te, jetzt müs­se das Ver­säum­te nach­ge­holt und die Re­gie­rung end­lich so ein­ge­rich­tet wer­den, dass die Rech­te des Adels nicht mehr ver­kürzt wür­den; an­de­re dach­ten, sie woll­ten es dar­auf an­kom­men las­sen, wie der Kai­ser und der Kö­nig sich zu ih­ren For­de­run­gen stell­te, und mit et­wai­ger Nach­gie­big­keit sich zu­frie­den ge­ben. Den Kai­ser glaub­te man an der gan­zen Sa­che we­ni­ger be­tei­ligt als Fer­di­nand, die Haupt­schuld aber maß man den ka­tho­li­schen Kron­be­am­ten bei, Po­pel von Lob­ko­witz, der den Ma­je­stäts­brief nicht mit un­ter­schrie­ben hat­te, fer­ner Mar­ti­nitz und Sla­wa­ta, die von je­her Geg­ner der evan­ge­li­schen Stän­de ge­we­sen wa­ren und die über alle Vor­fäl­le an den Hof be­rich­te­ten, wie es ih­nen be­lieb­te.

An ei­nem war­men Mai­mor­gen ver­sam­mel­ten sich die Stän­de bei Wil­helm von Lob­ko­witz, um sich nach ge­mein­schaft­lich ein­ge­nom­me­nem Frühtrunk auf das Schloss zu be­ge­ben und die Ver­tre­ter der Kro­ne zur Rede zu stel­len. Jetzt woll­ten sie sich vor Kom­pro­mis­sen hü­ten, sag­te Ko­lon­na von Fels un­ter dem Trin­ken, ein­mal müs­se gründ­lich auf­ge­räumt wer­den mit den Habs­bur­gern, sonst wür­den sie nie zur Ruhe kom­men. Ja, sag­te Kins­ky, ein­mal müs­se man Mut zum Han­deln fin­den, ein ein­ma­li­ger star­ker Bluter­guss sei nicht so ge­fähr­lich wie das ste­te Tröp­feln aus ei­ner of­fe­nen Wun­de.

Das sei nicht ge­sagt, mein­te Wil­helm von Lob­ko­witz kopf­schüt­telnd, bei ei­nem star­ken Bluter­guss fah­re oft die See­le zu­gleich her­aus. Un­vor­be­rei­tet los­zu­schla­gen sei sinn­los, man müs­se ge­rüs­tet sein, wenn es auf einen Krieg aus­lau­fen soll­te.

Das sei ge­wiss, sag­te Thurn, dass der Zeit­punkt bei der Wahl Fer­di­n­ands ge­eig­ne­ter ge­we­sen wäre. Es sei doch ein an­de­res, wenn man sich im Rech­te wis­se. Jetzt hät­te man ge­wis­ser­ma­ßen zu­ge­ge­ben, dass Böh­men ein habs­bur­gi­sches Er­b­land sei.

Was? rief Kins­ky, wo­durch sie das zu­ge­ge­ben hät­ten? Sie hät­ten Fer­di­nand aus Recht und Frei­heit, nicht pflicht­schul­dig ge­wählt. Üb­ri­gens wür­de ge­schrie­be­nes Recht doch nicht ge­ach­tet, die Faust gäbe den Aus­schlag. Ver­trä­ge wä­ren nichts an­de­res als der Schafs­pelz wöl­fi­scher Fürs­ten, tö­richt, wer sich da­durch blen­den lie­ße. Und ob sie etwa da­mals kriegs­ge­rüs­tet ge­we­sen wä­ren? Wer es ehr­lich mei­ne, ver­schan­ze sich nicht hin­ter Aus­flüch­ten.

 

Auf die­se Wor­te fie­len hef­ti­ge Ent­geg­nun­gen, meh­re­re spran­gen von den Sit­zen, und es wur­de laut durch­ein­an­der­ge­schri­en. Nach­dem sich der Lärm ge­legt und die Strei­ten­den sich be­ru­higt hat­ten, sag­te Thurn, sie wä­ren ja dar­in ei­nig, dass sie mit dem Hau­se Ös­ter­reich nicht wei­ter wirt­schaf­ten woll­ten. Es wäre voll Lug und Trug, da­bei len­den­lahm, faul und blö­de, lie­ße über­mü­ti­ge Die­ner schal­ten. Alle stimm­ten zu: Matt­hi­as wis­se wohl kaum et­was von dem schar­fen Schrei­ben, das in sei­nem Na­men an sie ab­ge­las­sen wäre, Mar­ti­nitz und Sla­wa­ta hät­ten es ver­fasst, es wäre wohl nie­mals aus Prag her­aus­ge­kom­men. Den Prahl­han­sen müs­se ein­mal gründ­lich das Maul ge­stopft wer­den. Ein­zel­ne Stim­men wur­den laut, man müs­se sie de­fene­strie­ren, sie hät­ten es vollauf ver­dient, Lang­mut ma­che sie nur dreis­ter.

Er­hitzt und in wil­der Lau­ne stie­gen die Her­ren zu Pfer­de und rit­ten den Weg zum Schloss hin­an; Gold­re­gen, Rot­dorn und Schnee­ball quol­len in di­cken Ge­bü­schen über die Mau­ern der Gär­ten, und die Luft war von sü­ßen Gerü­chen durch­kreuzt, als wür­fen sich spie­len­de Früh­lings­göt­ter mit Hau­fen von Flie­der­duft.

Die Ver­tre­ter der Kro­ne, die be­reits im Schlos­se ver­sam­melt wa­ren, nah­men die un­ge­stü­men Fra­gen der Stän­de, sie woll­ten wis­sen, wer den kai­ser­li­chen Droh­brief ver­fasst habe, mit an­schei­nend hoch­mü­ti­ger Ge­las­sen­heit und ein we­nig hä­mi­scher Höf­lich­keit ent­ge­gen; aber sie konn­ten ihre Un­si­cher­heit und Ängst­lich­keit nicht ganz ver­ber­gen, die durch das um­ge­hen­de Gerücht von der Wut und dem ge­fähr­li­chen Vor­ha­ben der Evan­ge­li­schen über sie ge­kom­men war. In den feind­li­chen Bli­cken, die un­ter den Fra­gen und Ant­wor­ten auf sie ge­rich­tet wa­ren, be­merk­ten Mar­ti­nitz und Sla­wa­ta plötz­lich eine böse Lust, die ih­nen Ent­set­zen ein­flö­ßte. Mar­ti­nitz wur­de bleich, stot­ter­te et­was von der Ge­rech­tig­keit des Kai­sers und dass er nicht vom Ma­je­stäts­brief ab­wei­chen wür­de, und wich da­bei zu­rück, um durch ein an­sto­ßen­des Ge­mach zu ent­flie­hen; aber schon wur­de er um­ringt, von meh­re­ren Fäus­ten ge­packt und an das of­fen­ste­hen­de brei­te Fens­ter ge­schleppt, vor wel­chem der gol­de­ne Mai sich aus­brei­te­te. Un­ter Sträu­ben und Zap­peln hör­te er lau­tes Brül­len: »Fah­re zur Höl­le, Teu­fels­bra­ten!«, wor­auf ihm, be­vor er noch an der stei­len Mau­er hin­un­ters­aus­te, die Sin­ne ver­gin­gen. In­zwi­schen hat­ten schon ver­schie­de­ne Fäus­te den er­schro­cken zur Flucht sich wen­den­den Sla­wa­ta er­grif­fen und schleu­der­ten den kläg­lich um Gna­de Fle­hen­den dem ers­ten nach; die bei­den Schel­me ge­hö­ren zu­sam­men! hieß es un­ter höh­ni­schem Ge­läch­ter. Den Schrei­ber der bei­den, na­mens Fa­bri­ti­us, der dem ge­schwin­den Vor­gang schlot­ternd zu­ge­se­hen hat­te, war­fen sie nach­träg­lich hin­ter­her, da­mit er, wie sie ihm la­chend zu­rie­fen, sich des fa­ta­len Brief­schrei­bens nicht mehr un­ter­ste­hen kön­ne.

Der Aus­gang die­ser ra­schen Tat war über­ra­schend, in­dem die drei aus ei­ner Höhe von vier­zig El­len her­ab­ge­stürz­ten Män­ner, durch einen Mist­hau­fen weich auf­ge­fan­gen, kei­ne Ver­let­zun­gen er­lit­ten, son­dern sich vor der Wut ih­rer Fein­de, die ih­nen noch ei­ni­ge Schüs­se nach­knall­ten, in das na­he­ge­le­ge­ne Haus des Po­pel von Lob­ko­witz flüch­ten konn­ten. Wäh­rend die Ge­ret­te­ten sich des Bei­stan­des der wun­der­tä­ti­gen Mut­ter Got­tes rühm­ten, er­lie­ßen die Di­rek­to­ren eine um­ständ­li­che Recht­fer­ti­gung: sie hät­ten ver­rä­te­rische Leu­te, die sie zu Re­bel­len ge­gen des Kai­sers Ma­je­stät hät­ten ma­chen wol­len, nach al­ter Wei­se durch die De­fe­ne­stra­ti­on ju­sti­fi­ziert und hoff­ten, der Kai­ser, des­sen treue Un­ter­ta­nen sie wä­ren und auch blei­ben woll­ten, wer­de künf­tig ihre An­lie­gen gnä­dig er­hö­ren und die Un­ge­rech­tig­kei­ten ab­stel­len, wo­durch der lie­be Frie­den wie­der her­ge­stellt wer­den kön­ne.

25.

Von der Ober­pfalz kom­mend, fuhr am Sonn­tag, dem 27. Mai, um die Mit­tags­zeit ein brei­ter, ge­deck­ter Wa­gen in Re­gens­burg ein, aus dem zwei in un­an­sehn­li­che Män­tel gehüll­te Rei­sen­de stie­gen, wäh­rend zwei an­de­re sit­zen blie­ben und wei­ter­fuh­ren. Die bei­den Fuß­gän­ger schlu­gen sich schnell in eine Sei­ten­gas­se und gin­gen schwei­gend und ei­lig bis zum Kol­le­gi­um der Je­sui­ten, wo sie an­klopf­ten und ein­ge­las­sen wur­den. Vor dem Rek­tor leg­te der eine der bei­den Män­ner Müt­ze und Man­tel ab und gab sich als Ja­ros­lav von Mar­ti­nitz zu er­ken­nen, der­sel­be, der vor kaum zehn Ta­gen in Prag von den Un­ka­tho­li­schen aus dem Fens­ter ge­wor­fen und wun­der­ba­rer­wei­se am Le­ben er­hal­ten war. Er sei, er­zähl­te er, mit Hil­fe des gu­ten Ba­ders und Chir­ur­gen Tho­ma­son, als des­sen Die­ner er sich aus­ge­be, aus Prag ent­flo­hen und so­eben glück­lich in Re­gens­burg an­ge­langt, von wo er sich nach Mün­chen un­ter den Schutz des from­men ka­tho­li­schen Her­zogs von Bay­ern be­ge­ben wol­le. In­dem er laut die be­ne­dei­te Jung­frau lob­te, knie­te der Rek­tor vor Mar­ti­nitz nie­der; er müs­se durch­aus demje­ni­gen Ver­eh­rung er­wei­sen, sag­te er, den die Hei­li­ge Jung­frau so sicht­bar­lich be­schützt habe. Das wol­le er nicht leug­nen, ent­geg­ne­te Mar­ti­nitz, den Rek­tor auf­he­bend, freue sich viel­mehr der Tat­sa­che, dass die Jung­frau Ma­ria sich in Per­son sei­ner an­ge­nom­men habe; aber er über­he­be sich des­sen nicht, son­dern schrei­be es ein­fäl­ti­ger­wei­se der Kraft des Ge­be­tes zu, wor­auf er seit frü­her Ju­gend sich zu ver­las­sen ge­wöhnt sei. »Was für Zei­tun­gen, was für Zei­tun­gen!« rief der Rek­tor, das müs­se der Bi­schof hö­ren; wenn es Mar­ti­nitz recht sei, woll­ten sie sich un­ver­weilt zu ihm be­ge­ben. Wäh­rend der La­kai, der Mar­ti­nitz be­glei­tet hat­te, zu der üb­ri­gen Rei­se­ge­sell­schaft ins Wirts­haus ging, eil­ten der Rek­tor und sein Gast zum Bi­schof, der, von den Vor­fäl­len in Prag be­reits im All­ge­mei­nen un­ter­rich­tet, be­gie­rig war, das Nä­he­re zu ver­neh­men. Er ließ sich kaum Zeit, Mar­ti­nitz zu um­ar­men und zu seg­nen, und über­stürz­te ihn dann mit Fra­gen: er kön­ne und kön­ne es nicht glau­ben, dass Men­schen so keck und böse sein soll­ten, from­me, un­schul­di­ge Leu­te und hoch­vor­neh­me Die­ner des Kai­sers aus dem Fens­ter zu wer­fen! Und dass er nun eins von die­sen jäm­mer­li­chen Op­fern mit Au­gen vor sich sähe! Ob er denn arg zer­schun­den und zer­schla­gen sei? Der­glei­chen sei ja kaum bei Tür­ken und Ta­ta­ren oder den heid­nischen Ja­pa­ne­sen üb­lich!

Wahr sei es, sag­te Mar­ti­nitz la­chend, da­von kön­ne er zeu­gen, der es am ei­ge­nen Lei­be er­fah­ren habe; aber un­er­hört sei es frei­lich, und der gute Herr von Sla­wa­ta, der schwer da­nie­der­lie­ge, habe auch ge­klagt, es ste­he wohl in den His­to­ri­en, dass die rö­mi­schen Pa­trio­ten den ehr­gei­zi­gen Cäsar mit Dol­chen er­mor­det hät­ten, aber aus dem Fens­ter pfle­ge man nur Kat­zen oder etwa ein jun­ges Hünd­lein zu wer­fen. Ein sol­cher Schimpf sei un­aus­steh­lich, und es wäre kein Wun­der, wenn man vor Kum­mer dar­über hin­stür­be.

Wie es denn zu­ge­gan­gen sei? frag­te der Bi­schof. Mar­ti­nitz sol­le ihm doch um Got­tes wil­len al­les haarklein er­zäh­len. Und was für eine Be­wandt­nis es denn mit sei­ner Er­ret­tung habe?

Mar­ti­nitz er­zähl­te, dass sie am Tage zu­vor ge­warnt wor­den wä­ren, als ob die Un­ka­tho­li­schen mit Mord­ge­dan­ken um­gin­gen, sie hät­ten es je­doch nicht be­ach­tet, son­dern wä­ren, auf Gott und ihr gu­tes Ge­wis­sen trau­end, zur an­be­raum­ten Sit­zung auf die Burg ge­gan­gen; dass ihre Wi­der­sa­cher sie so­gleich mit un­ge­rech­ten Vor­wür­fen an­ge­bellt und ihre Verant­wor­tung kaum an­ge­hört hät­ten und dass Graf Thurn das Zei­chen ge­ge­ben und ge­schri­en hät­te, we­gen ih­rer Ver­bre­chen müss­ten sie jetzt des To­des sein, wor­auf er und der Smir­sitz­ky ihn ge­packt und un­ter Hohn­la­chen aus dem Fens­ter ge­wor­fen hät­ten. Im Fal­len habe er aber den Kopf nicht ver­lo­ren, son­dern fort­wäh­rend ge­mur­melt: »Je­sus Ma­ria, Ma­ria steh mir bei, Ma­ria ver­lass mich nicht«, un­ter wel­chem Be­ten er wohl­be­hal­ten im Gra­ben an­ge­langt und wie von müt­ter­li­cher Hand auf einen ge­pols­ter­ten Ses­sel sanft nie­der­ge­setzt sei. Gleich­zei­tig sei in der un­te­ren Stadt eine Pro­zes­si­on über die Brücke ge­gan­gen, und ein red­li­cher Mann, der da­bei ge­we­sen sei, habe die al­ler­se­ligs­te Jung­frau im blau­en Man­tel in der Luft flat­tern ge­sehn, wie sie ihn, Mar­ti­nitz, ge­tra­gen und sorg­fäl­tig im Gra­ben ab­ge­setzt habe.

»Was für ein herr­li­ches Wun­der!« rief der Bi­schof, und der Rek­tor füg­te mit fun­keln­den Au­gen hin­zu, da al­les so wohl ab­ge­gan­gen sei, müs­se man sich freu­en, müs­se man frohlo­cken, dass die Un­ka­tho­li­schen ein­mal ihre Tücke und mehr als he­ro­di­sche Grau­sam­keit gründ­lich of­fen­bart hät­ten. Nun müs­se doch je­der­mann und auch der Kai­ser ein­se­hen, dass Mo­de­ra­ti­on da nicht am Plat­ze wäre, son­dern dass der­glei­chen Dis­teln und Dor­nen nur mit Feu­er könn­ten aus­ge­rot­tet wer­den.

Ge­wiss habe Gott es ei­gens so ver­an­stal­tet, sag­te Mar­ti­nitz. Er und sein lie­ber Oheim Sla­wa­ta hät­ten es im­mer ge­sagt, in Böh­men müs­se man nicht glimpf­lich, son­dern auf stei­er­mär­kisch re­for­mie­ren, sonst wä­ren die­se gott­lo­sen Schel­me nicht zu beu­gen.

Ja, wie er denn so selt­sam und ei­gent­lich ver­schmutzt aus­sä­he? frag­te nun der Bi­schof, in­dem er des Mar­ti­nitz Ge­sicht in der Nähe mus­ter­te.

So künst­lich hät­te ihn sein Ba­der her­ge­rich­tet, sag­te Mar­ti­nitz, hät­te ihn mit Ruß an­ge­schwärzt und auch den Kne­bel­bart ge­stutzt, um ihn un­kennt­lich zu ma­chen. Es sei auch not­wen­dig ge­we­sen; denn die Un­ka­tho­li­schen hät­ten be­rit­te­ne Mör­der nach ihm aus­ge­sandt, die ihn auch ein­ge­holt hät­ten. Er habe aber auf­recht in sei­ner Ka­le­sche ge­ses­sen und sie dreist an­ge­se­hen, die Pis­to­le in der Hand, wor­auf sie wei­ter­ge­rit­ten wä­ren, sei es, dass sie ihn nicht er­kannt oder sich nicht an ihn ge­wagt hät­ten.

Der Herr von Sla­wa­ta, be­rich­te­te Mar­ti­nitz fer­ner, sei schlim­mer dar­an als er, kön­ne das Bett nicht ver­las­sen und kaum re­den, so zer­schla­gen sei er; aber die hoch­ge­bo­re­ne Frau Po­ly­xe­na von Lob­ko­witz pfle­ge ihn un­ter ih­rem Da­che; das sei eine so klu­ge und ma­je­stä­ti­sche Frau, dass die Un­ka­tho­li­schen sich kei­ner Ge­walt ge­gen sie un­ter­fan­gen wür­den.

Der Bi­schof tisch­te sei­nen Gäs­ten ein präch­ti­ges Abendes­sen auf, wäh­rend Mar­ti­nitz sei­nen Be­richt wie­der­ho­len und im ein­zel­nen aus­ma­len muss­te. Am fol­gen­den Tage ver­sah er den Flücht­ling mit ei­nem klei­ne­ren und leich­teren Wa­gen, da man auf den schma­len und ge­fähr­li­chen bay­ri­schen We­gen, wie er sag­te, mit ei­ner schwe­ren Ka­le­sche, wenn sie etwa in den Gra­ben stürz­te oder im Schlam­me ste­cken­blie­be, übel dar­an sei. So aus­ge­rüs­tet, kam Mar­ti­nitz glück­lich nach Lands­hut und am Tage dar­auf nach Frei­sing; aber von dort an nahm die Un­weg­sam­keit der Stra­ße so zu, dass der Die­ner, wel­cher die Zü­gel führ­te, in große Sor­ge ge­riet und end­lich an­hielt mit den Wor­ten, dass er sich nicht wei­ter traue oder we­nigs­tens der Verant­wor­tung ent­ho­ben sein wol­le. Der Ba­der Tho­ma­son stieg aus, um die Ge­le­gen­heit zu be­trach­ten, und sag­te nach ei­ner Wei­le, zu Fuße wür­den sie vollends ste­cken­blei­ben, da sie kei­ne ho­hen Stie­fel hät­ten, und weil sie doch nach Mün­chen woll­ten, sei sein Vor­schlag, dass sie es mit Gott ver­such­ten, hin­durch­zu­fah­ren. Mar­ti­nitz warf nur oben­hin einen Blick auf die Stra­ße und sag­te, frei­lich müss­ten sie wei­ter, nach­dem ihn die Him­mels­kö­ni­gin eben erst beim Stur­ze von der Burg so tap­fer be­hü­tet habe, wol­le er sich jetzt nicht durch Zwei­fel be­fle­cken. Auch hät­ten sie ja vier Pfer­de vor dem Wa­gen, man sol­le nur in Got­tes Na­men dar­auf­schla­gen. Un­ter Peit­schen­knal­len, Stol­pern und Zie­hen wur­de die Rei­se lang­sam fort­ge­setzt; in­des­sen als die Däm­me­rung her­ein­brach, kam es doch da­hin, dass der Wa­gen um­schlug, wo­bei zwar die In­sas­sen mit ei­ni­gen Quet­schun­gen und Schram­men da­von­ka­men, aber die Deich­sel zer­brach. Mar­ti­nitz half den Wa­gen auf­rich­ten, was nach schwe­ren Be­mü­hun­gen glück­te, und setz­te sich dann auf einen Stein am Wege und be­te­te, wäh­rend die an­de­ren mit den we­ni­gen Werk­zeu­gen, die sie bei sich hat­ten, das Fahr­zeug leid­lich zu­sam­men­flick­ten. Über den Saat­fel­dern und fer­nen sam­metschwar­zen Wäl­dern schweb­te der Him­mel wie ein un­ge­heu­rer Ad­ler, von des­sen Sturm­flu­ge ein lei­ser, ste­ti­ger Luft­zug über die tie­fe Erde strich. Von Mün­chen aus habe er die Ab­sicht, nach Al­töt­ting zu pil­gern, sag­te Mar­ti­nitz, sein Ge­bet un­ter­bre­chend, es kom­me ihm un­glaub­lich vor, dass Gott from­me ka­tho­li­sche Rei­sen­de im Sti­che las­sen soll­te. Er möch­te sich fast ver­bür­gen, dass sie noch vor Mit­ter­nacht vor den To­ren Mün­chens an­kämen.

 

Dies be­wahr­hei­te­te sich, und der Ex­u­lant fand eine ziem­li­che Un­ter­kunft im Wirts­hau­se zum Gül­de­nen Hir­schen, wo er schon am fol­gen­den Mor­gen vom Ge­ne­ral­leut­nant von Til­ly, den er aus frü­he­rer Zeit gut kann­te, und von des Her­zogs Käm­me­rer Max Kurtz be­sucht wur­de. Als die­ser aus­rich­te­te, der Her­zog wol­le Mar­ti­nitz sei­ne bes­ten Lei­bärz­te und Chir­ur­gen schi­cken, um ihn zu be­han­deln, lach­te er über­laut und sag­te, er habe den al­ler­bes­ten Arzt, das sei die Jung­frau Ma­ria, die habe ihn be­reits so gut ku­riert, dass nur noch ein paar blaue Fle­cken als Spu­ren des gräu­li­chen Stur­zes üb­rig wä­ren. Til­ly sah dem Ge­ret­te­ten an­däch­tig zu, wie er in die Luft sprang und mit den Ar­men um sich hieb, um zu be­wei­sen, dass ihm nichts feh­le, und sag­te, er hof­fe, Gott möge sich sei­ner, Til­lys, be­die­nen, um die Ket­ze­rei in Böh­men aus­zu­rot­ten und die not­lei­den­de Kir­che wie­der auf­zu­rich­ten. Ob Gott ihn ei­nes Mär­ty­rer­tums, wie Mar­ti­nitz und Sla­wa­ta er­lit­ten hät­ten, wür­dig hal­te, wis­se er nicht, aber sein Ei­fer dazu sei stark und mäch­tig, und nichts wün­sche er mehr, als dass Gott das Op­fer sei­nes Le­bens an­näh­me. Wenn Mar­ti­nitz ihm die Ehre an­tun wol­le, in sei­nem Hau­se zu woh­nen, so wol­le er ihm da­für als für eine Gna­de dan­ken, und er zweifle nicht, dass sein Herr, der Her­zog, da­mit ein­ver­stan­den wäre.

Bei Til­ly blieb Mar­ti­nitz ei­ni­ge Wo­chen, bis sei­ne Fa­mi­lie sich mit ihm ver­ei­nig­te, mit der er dann ein Bür­ger­haus am Vieh­mark­te be­zog. Da in Prag zu­nächst kein Um­schwung ein­trat, viel­mehr ein Re­gi­ment un­ka­tho­li­scher Di­rek­to­ren ein­ge­setzt, end­lich so­gar der Kur­fürst von der Pfalz zum Kö­ni­ge ge­wählt wur­de, dach­te Mar­ti­nitz nicht an Heim­kehr, son­dern sie­del­te von Mün­chen auf den Be­fehl des nun­meh­ri­gen Kai­sers Fer­di­nand nach Passau über, wo­hin sich auch Sla­wa­ta mit den Sei­ni­gen flüch­te­te. Un­ter dem Schut­ze des Erz­her­zog-Bi­schofs Leo­pold, mit dem sie zur Zeit Kai­ser Ru­dolfs und des Pas­sau­er Ein­falls in gu­tem Ein­ver­neh­men ge­stan­den, dem sie so­gar die Nach­fol­ge hat­ten zu­wen­den wol­len, er­war­te­ten sie in be­hag­li­chem Frie­den, doch nicht ohne Un­ge­duld die Ge­le­gen­heit, nach Böh­men zu­rück­zu­keh­ren und sich ih­rer Gü­ter wie­der zu be­mäch­ti­gen.