Spät an einem Dezemberabend des Jahres 1618 in Straßburg begab sich der Professor der Geschichte Matthias Bernegger mit seinen Schülern zum Münster, um den seit einiger Zeit sichtbar gewordenen Kometen zu betrachten. Bernegger hatte der Religion wegen seine oberösterreichische Heimat verlassen müssen und an der Straßburger Akademie eine Anstellung gefunden. In seinem Hause, das ein fröhlicher Sinn und tätiger Geist belebte, wohnten stets einige Studenten, die liebevoll und dankbar an ihm hingen, nicht selten aber auch ihn ausnützten und betrogen. Dies pflegte seiner Liebe keinen Eintrag zu tun, wie er denn immer mit innigem Anteil von dem Schlesier erzählte, der lateinische Verse aus dem Stegreif machte, zur Mandoline sang und, wenn er ihm Geld abborgte, ihn so unschuldig schelmisch ansah, als ob er ihm im Voraus zu verstehen geben wollte, dass er es nie zurückgeben werde. Ebenso von jenem Basler, der durchaus nichts lernte, sei es, dass er es nicht konnte oder dass er keine Lust dazu hatte, aber seiner Frau in der Küche so anstellig zur Hand ging, dass sie nicht mehr ohne ihn fertig werden konnte, der freilich auch einen ärgerlichen Handel mit einer Dienstmagd anstellte, sodass Bernegger um seinetwillen bittenderweise bei den Ratsherren umherlaufen und bei Freunden eine Anleihe machen musste, um den Schaden einigermaßen zu decken. Noch mehr Not hatte er mit dem von Küssow, einem jungen Pommer, auszustehen, der sich betrank und niemals bezahlte und, wenn Bernegger einen Zweifel aussprach, ob er auch zu dem Seinigen kommen würde, stolz entrüstet sagte, er sei von uraltem deutschem Adel, wolle lieber das Leben einbüßen als die Ehre und fordere jeden vor sein Schwert, der ihm zu nahe träte. Er war faul und begriff nichts, konnte aber gut rechnen und löste, wenn er nüchtern war, die längsten und schwierigsten Aufgaben so geschwinde, als ob sie ihm jemand einbliese.
Während der kleine Trupp, von einem Laternenträger geführt, durch die nebelerfüllten Gassen schritt, erzählte Bernegger von dem Kometen und seiner etwaigen Bedeutung. Viele glaubten, sagte er, ein Komet zeige insbesondere den Tod hoher Herren an, und nachdem kurz vor seinem Erscheinen der Erzherzog Maximilian, sechzigjährig, gestorben sei, habe man ja nun auch den Tod der Kaiserin Anna erfahren müssen, und von bedenklicher Leibesschwäche des Kaisers werde viel gefabelt. Andere bezögen die drohende Fackel mehr auf Krieg und Pest, und auch das könne ja nur allzu leicht eintreffen, da von gewisser Seite, nämlich von den Jesuiten, ungescheut zum allgemeinen Kriege aufgerufen werde und der Krieg schon für sich eine Pest sei. Er wolle ihnen, seinen Schülern, aber nicht verhalten, dass einzelne, zum Beispiel der große Kepler, den er mit Stolz seinen Freund nenne, von solchen Andeutungen nicht viel hielten, indem Kepler auf alle Erscheinungen der Welt die physikalischen Gesetze angewendet wissen wollte, welche wohl Gottes Größe im Allgemeinen offenbarten, nicht aber seinen Willen in Bezug auf die menschlichen Geschicke im einzelnen. Er wies auf Keplers großes Werk von der Harmonie der Welt hin, wonach die ganze Welt mit Einschluss der Erde in sich zusammenhänge und durch sich bestehe; freilich wären dies alles gefährliche Wahrheiten oder gar nur Hypothesen, denen vorzüglich die Jugend sich nur behutsam nähern dürfe.
Unter solchen Reden gelangten sie bis dicht vor die plötzlich aus dem dunstigen Dunkel auftauchende Mauer des Münsters, und indem Bernegger seine Herde überblickte, bemerkte er, dass der Pommer fehlte. Wo denn der von Küssow geblieben sei? fragte Bernegger erstaunt die anderen. Den lockten andere Sterne, sagten die jungen Leute lachend, er werde wohl in irgendein Seitengässchen entschlüpft sein. Bernegger schüttelte seufzend den Kopf und sagte: »Hätte der junge Böotier nicht auf dem Heimwege davonlaufen können?«
Inzwischen hatte der durch ein Glockenzeichen herbeigerufene Turmwärter das Pförtlein geöffnet und versicherte während des Aufstiegs, dass der Himmel klar sei; der Nebel liege nur wie ein ausgebreitetes Laken über den Dächern. In der Tat empfing die aus dem engen Schacht auf die Plattform Tretenden der klare Raum, aus dem alles Trübe, Dunstige und Schwere ausgeschieden und in die Tiefe hinabgestoßen zu sein schien; neben sich sahen sie den schlanken Turm wie einen Speer in die diamantene Luft schweben. Bernegger lehnte sich an die Mauer und blickte ein wenig betäubt in das festliche Gewimmel der Sterne. Haben etwa doch diejenigen recht, dachte er, welche behaupten, es sei unerlaubt, natürliche Gesetze auf die göttlichen Geheimnisse anzuwenden? Ist es nicht Frevel von uns Zwergen, das grenzenlose Kleid Gottes ausmessen zu wollen? uns einzubilden, Gott, der ohne Anfang und Ende ist, der aus dem Nichts schafft, teile mit uns kurzlebigen Würmern dieselben Gesetze? Gleichzeitig dachte er mit Bewunderung des Mannes, der mit mächtigem Finger in das Flammenchaos ewige Linien schrieb, und es schien ihm, als könne Gott dem wagenden Geiste, der sich seinen Spuren nachschwang, um ihn zu erkennen, nicht zürnen.
Sich zu seinen Schülern wendend, fragte er plötzlich, was denn nach ihrer Meinung den Menschen vom Tiere unterscheide? und erhielt zur Antwort, das tue der Gedanke. »Wohlan«, sagte Bernegger, »misstrauet immer denen, die euch abhalten wollen zu denken; aber vergesst niemals, dass das Denken von Gott stammt und zu Gott führen muss.« Dann zeigte er ihnen die Planeten, welche sichtbar waren, die Sternbilder und den Kometen, der seinen ansehnlichen Schweif quer durch die Milchstraße zog. »Gleicht er nicht«, sagte er, »einem wütenden Stier, der blind in eine Herde fromm weidender Kühe hineinstürmt?« Verhoffentlich wäre dies Himmelsbild kein Vorspiel der Zukunft, sondern diente den streitenden Menschen zur Warnung, dass sie lieber die Rosse vor den Pflug schirrten und die Erde sich zum Nutzen pflegten und schmückten, anstatt sie durch ihre Hufe zerstampfen zu lassen.
Er habe immer gehört, sagte der Turmwart ein wenig missvergnügt, dass die Kometen die notwendige Bestrafung der Menschen anzeigten und deshalb auch die Gestalt einer Zuchtrute hätten, welche Gott dräuend aushänge. Auch sei er überzeugt, dass zu keiner Zeit die Menschen mehr und gründlicher ein Strafgericht verdient hätten durch Bosheit, Lüge, Abgötterei und Ruchlosigkeit aller Art, sodass es ihn nicht wundernehmen würde, wenn Gott sie allesamt mit einem Staupbesen wie Sodom und Gomorrha von der Erde fegen sollte.
Es sei im Plutarch zu lesen, erzählte Bernegger, dass vor der Verschüttung der Städte Herkulaneum und Pompeji durch den Vesuv ein rotgeschwänzter Komet mehrere Monate am Himmel gestanden habe. Auch jetzt vernehme man wieder von einem Rumoren und Zischen im Innern des Vesuvs, und sei es jawohl möglich, dass die durch den Kometen in der Sternenwelt hervorgerufene Unordnung sich im Bauche des Erdplaneten spiegle.
Einer der Schüler bemerkte, dass Italien der Sitz des Antichrist sei und die geweissagte Katastrophe also füglich dort Platz greifen könnte, vielleicht stehe gar der Umsturz der päpstlichen Tyrannei bevor.
Bernegger schüttelte den Kopf; Venedig habe den Stuhl des Papstes wohl ein wenig ins Wanken gebracht, aber nun stehe er fester als zuvor.
Die Böhmen seien doch aber in Aufruhr und wollten einen evangelischen König, sagte der Schüler. Wenn sich alle österreichischen Länder ihnen anschlössen, so könne etwa noch von dort aus die gereinigte Kirche über ganz Europa wachsen.
Er möchte lieber wünschen, sagte Bernegger, das Feuer bliebe auf Böhmen beschränkt und man könnte, wie man bei Waldbränden zu tun pflegte, durch Ausroden ringsum eine Insel aus dem Lande machen, von der die Funken nicht anderswohin übersprängen und zündeten. Schließlich aber könnten sie auf alle Fälle Gott danken, dass sie in der freien Stadt Straßburg wie auf einem glückseligen Eiland säßen, hinter dessen guten Mauern und Rechten man den Kriegsschwall nur wie fernes Meerbrausen höre.
In der Stadt Straßburg, murrte der Turmwart, sei es auch nicht mehr, wie es sein solle, wer die Augen offen halte, könne auch hier den leidigen Teufel durch die Gassen schwänzeln sehen, und man müsse sich nur der Langmut Gottes verwundern, mit der er die gebührende Strafe noch immer verhalte.
Bernegger, der wusste, dass er als Ausländer und Reformierter in der lutherischen Stadt missbilligt wurde, bezog diesen Tadel nicht mit Unrecht auf sich und schwieg ein wenig kleinlaut, aber er fasste sich wieder und sagte lächelnd, sie wären sich wohl alle mannigfacher Unvollkommenheit und Übertretung bewusst, und so täten sie allesamt am besten, auf die Gnade Gottes zu hoffen, von welcher der Sternenbogen, der schon seit Jahrtausenden ungetrübt über der menschlichen Verworrenheit stehe, ein tröstendes Bild sei.
In der Mitte des Monats März wehte der Wind aus Süden und schien die Sonne so warm, dass die Ärzte dem Kaiser Matthias eine Ausfahrt empfahlen, von welcher er jedoch statt erheitert bitterböse zurückkam, sodass seine dünnen, von faltiger Haut umschlotterten Hände hin und her zitterten. Er pflegte nämlich bei Ausfahrten Zuckerwerk unter die Kinder auszuteilen, die seinem Wagen nachliefen, und als er nun aus dem Sack, den man ihm hingelegt hatte, ein Stück herausnahm, um daran zu lutschen, merkte er, dass es ein Kieselstein war und dass die ganze Tüte nur von solchen voll war. Es entstand ein Laufen unter der Dienerschaft, ein Koch schob die Schuld auf den Konditor, der es wieder auf seine Ausläufer ablud, und endlich wurde dem Kaiser gemeldet, es habe gerade an Geld gemangelt, und da sei der Gewürzkoch auf den Einfall mit den Kieselsteinen gekommen, weil es ohnehin nur für die heillosen Gassenbuben sei; er bitte nun aber demütig um Verzeihung und wolle sogleich aus seiner Tasche gutes echtes Zuckerwerk unter die liebe Jugend verteilen lassen. Das kleine zusammengeschnurrte Gesicht des Kaisers nahm wieder einen freundlichen Ausdruck an, indem er sich zufrieden erklärte, doch klagte er noch ein wenig über die böse Welt, mit der es nun schon so weit gekommen sei, dass man sogar die schuldlosen Kindlein betröge.
Am folgenden Tage blies der Föhn so stark, dass der Kaiser keine Ausfahrt wagen konnte, und er lag kläglich von Schmerzen geplagt in seinem Bette, von den Ärzten vertröstet, dass sie mit dem verderblichen welschen Winde wieder vergehen würden. Zwei Räte statteten ihm Bericht von den Geschäften ab, wie sich der König Christian von Dänemark beschwere, dass der Graf von Schauenburg zum Reichsfürsten ernannt sei und sich obendrein Fürst zu Holstein nenne, was eine unleidliche Provokation für ihn als Herzog von Schleswig-Holstein sei. Ferner hielt sich der König über das Reichskammergericht auf, welches entschieden hatte, dass die Stadt Hamburg eine freie Reichsstadt sei, und ermahnte den Kaiser, den Übermut und die Anmaßlichkeit der hansischen Städte nicht aufkommen zu lassen, welche sich als eine selbstständige Körperschaft gebärdeten und schweizerische und holländische Grundsätze ins Reich einführen wollten, wonach man denn die Fürsten ausstopfen und in die Raritätenkammer stellen könnte. Es wäre auch spöttlich für den Kaiser, dass sie sich hinter den edlen und hochberühmten Reichsadler wie hinter einem Medusenschilde versteckten, ihn hernach aber gleichsam in den Hühnerstall sperrten, ihm die Federn ausrupften und kaum ein mageres Futterkorn gönnten.
Andererseits beklagte sich die Stadt Hamburg, dass der König ihr ungewohnte Zölle abfordere, dass er in öffentlichen Erlassen den guten altdeutschen Elbstrom als den seinigen ungescheut bezeichnet habe und dass er schließlich ihr gegenüber eine neue Stadt gegründet und mit großen Begünstigungen ausgesteuert, ihr also gleichsam als eine Falle auf die Nase gesetzt habe, um ihr das Futter wegzuschnappen. Die Stadt Hamburg hoffe, dass der Kaiser sie nicht so jämmerlich werde verschrumpfen und aussaugen lassen, umso mehr, als sie Türken- und andere Reichssteuern stets pünktlich bezahlt habe und nicht einmal ein Bauer seiner Kuh das Heu ausgehen lasse.
Der Kaiser sagte schmunzelnd, da wären zwei Enten, die an einem Frosch schluckten, und das beste wäre, keine bekäme ihn, da sie beide schon frech genug wären. Die Räte lachten und waren derselben Ansicht, doch meinten sie, dass der Däne als hochmütiger und unternehmender Fürst ganz besonders zu fürchten sei; sie hatten ein Mahnschreiben an ihn aufgesetzt des Inhalts, der Kaiser verwundere sich höchlich, dass der König von Dänemark so impertinent sein wolle, sich etwelcher Verachtung des heiligen Reiches zu unterstehen und den nordischen Meerstädten die uralte Handelsfreiheit zu verkürzen, welchen Schaden er verhoffentlich bald abstelle, da der Kaiser sonst zu solchen Mitteln greifen müsste, die der König nicht gern sehen würde. Den Schauenburger betreffend würde der Kaiser diesen eindringlich ermahnen, sich ungebührlicher fremder Titel zu enthalten, sich vielmehr in dieser und anderer Hinsicht wie ein ehrliebender deutscher Reichsfürst erfinden zu lassen.
Dass König Christian sich des Grafen von Oldenburg annahm, der den Erzbischof Friedrich Adolf von Bremen verklagte, weil er seit vielen Jahren mit seiner Schwester verlobt sei, aber die Heirat zu effektuieren sich beharrlich weigere, wodurch er und seine Schwester vor aller Welt verächtlich gemacht würden, betrachteten die kaiserlichen Räte nur als einen Umschweif des Königs, um den Erzbischof von seinem Erzbistum zu bringen, in welches er bekanntlich seinen eigenen Sohn einschlüpfen lassen wollte. Er habe denselben über und über mit Gold beschmiert, damit er desto besser durch das Pförtlein einginge, aber die Domherren, wenn sie auch davon abgriffen, so viel sie könnten, hielten ihn doch sorglich auf der Seite, weil ihnen der dänische Hirtenstab zurzeit noch etwas fremd vorkäme.
Vielleicht, sagte der Kaiser, indem er über das ganze Gesicht lachte, wären dem König von Dänemark die Weiber ausgegangen, er solle ja ein Herkules in der Liebe sein, und wolle sich ein neues Jagdgebiet im Reiche gründen.
Ja, sagten die Räte unter anhaltendem Gelächter, der König sei sehr amoros und halte sich auch für einen Adonis, sehe auch dergleichen aus auf den Bildern, die sein Gesandter bei seinem letzten Besuch in Wien verteilt habe. Das Frauenzimmer in Dänemark solle übrigens ausnehmend schön sein, nicht fett wie das hiesige, sondern zart und blond, dazu verliebter Natur und treulos, weil sie in ihrer Unmäßigkeit mit einem Manne nicht genug hätten.
Wenn Dänemark nicht so weit entfernt und nicht ketzerisches Land wäre, möchte er wohl einmal dahin reisen und dem König zu Hilfe kommen, sagte der Kaiser, während die beiden vor sich niedersahen und kaum das Lachen verbeißen konnten.
Hierauf sollte der Kaiser noch die Mansfeldische Achtserklärung unterschreiben; aber er war müde geworden und sagte verdrießlich, es habe keinen Zweck, den Bastard und Habenichts noch zu ächten, mit dem müsse Buquoy auch ohne das fertig werden, wozu bekomme er denn das viele Geld, und so weiter. Die Räte hingegen sagten, das Patent müsse durchaus morgen angeschlagen werden, baten flehentlich, der Kaiser möge doch unterschreiben, und ließen ein Süpplein kommen, um ihn wieder zu erfrischen. ›Wir setzen ihn aus dem Frieden in den Unfrieden und erlauben seinen Leib, Hab und Gut Jedermänniglichem‹, las der eine, während der andere dem Kaiser eine Feder in die Hand gab und ihm die Stelle bezeichnete, wohin er seinen Namenszug setzen sollte. Indem der Kaiser schrieb, dem vor Schläfrigkeit die Augen zufallen wollten, lief etwas Speichel und Suppe über seine herabhängende Unterlippe auf die Urkunde; er blickte errötend um sich, wischte schnell und verstohlen mit dem Ärmel seiner wollenen Nachtjacke darüber und sagte kläglich, die Suppe sei wieder so schlecht gewesen, niemand sorge für ihn, seit dem Tode der Kaiserin habe er keine einzige gute Schüssel mehr bekommen. Noch ehe die Räte sich entfernt hatten, war der Kaiser eingeschlafen und in seinen schweren Kissen und Federbetten fast verloren. Angesichts seiner Schwäche wurde sein Ableben stündlich erwartet, aber es vergingen noch zwei Tage, bis er wirklich, das ungeduldige Warten Ferdinands und seiner Anhänger endlich krönend, verstarb.
Es befand sich damals ein Abgesandter der holländischen Staaten in Prag, ein ruhiger, bedächtiger Mann, der, so behaglich man auch mit ihm plaudern konnte, über die politischen Fragen sich nie recht ausließ, und selbst bei Banketten, wo ein jeder sich aufknöpfte, einer Schnecke gleich, die die Fühler einzieht, vorsichtig in sich zurückkroch, wenn man ihn ausholen wollte.
»Wenn Ihr, meine Herren, betrachtet und nachahmt, was wir getan haben«, sagte er einmal, »so kann es Euch gewiss nicht fehlen. Wir haben vierzig Jahre lang wie ein Wall vor unserm Hause gestanden, und wenn einer gefallen ist, ist ein anderer in die Lücke getreten. Freunde haben wir nicht gehabt als das Meer, das wir wie einen Löwen mit Blut sättigten und das uns unsere Feinde verschlingen half. Wir führten in einer Hand das Ruder, in der anderen das Schwert, waren Kriegsleute und Handelsleute zugleich, ließen uns Bettler und Krämer schelten und sind frei und reich dabei geworden.«
Ja, sagten die böhmischen Herren, ihre Lage sei nicht so günstig, sie wären kein Meervolk, könnten auch zu keiner Eintracht kommen, weil bei der langen habsburgischen Herrschaft deutsche und böhmische Nation, katholischer und hussitischer Glaube nebeneinander aufgegangen sei. Die Städte wären selbstsüchtig und eifersüchtig, wollten für die gemeine Freiheit nichts tun und nichts geben, die Söldner wären ein habgieriges, ehrloses Volk, das sich ohne Geld nicht rührte. Man sollte zahlen und zahlen und könnte sich doch nicht selbst zugrunde richten.
Ob sie denn ihre Untertanen nicht bewaffneten? fragte der Gesandte. Ja, wer denn inzwischen ihre Güter bestellen sollte? war die Antwort. Freilich ließe hie und da einer seine Bauern zu Feld ziehen, aber im ganzen sei es nicht geraten, ihnen Waffen in die Hand zu geben, die sie leicht gegen den eigenen Herrn gebrauchen könnten. Den Bauern gehe es zu gut, darum wollten sie höher hinaus und zögen sich gern hinter den Kaiser, um unter seinem Schutze sich ihren Fronden zu entziehen. Der Kaiser drangsaliere zwar seine eigenen Bauern wie einer, bei den fremden aber spiele er den Schutzherrn; darum sei es eine bewährte Erfahrung, dass man mit den Bauern nicht gegen den Kaiser ziehen könne.
Nun, sagte der Gesandte, der den Auftrag hatte, die Böhmen auf alle Fälle bei der Kriegslust zu erhalten, die hochmögenden Herren befänden sich zwar augenblicklich im Frieden mit Spanien und könnten sich nicht geradezu gegen den Kaiser einlassen, aber das Evangelium ließen sie doch nicht im Stich, wenn es anginge, und wären gottlob imstande, die gute Sache mit Geld zu unterstützen, wenn sie guten Willen und Ausdauer sähen.
Auf diese Vertröstung des geldmächtigen Hollands taten sich die Böhmen viel zugute, doch unterließen sie nicht, sich auch nach anderer, tatkräftigerer Unterstützung umzusehen, die sie hauptsächlich in einem geeigneten König zu finden hofften. Ein König, der Geld und Kredit hätte, meinten sie, würde ihnen mehr nützen als schaden, vorausgesetzt, dass sie seine Rechte in einem der Krönung voraufgehenden Vertrage tunlichst einschränkten. Die meisten von ihnen hielten eine aristokratische Republik mit monarchischer Spitze für die beste Staatsform, da namentlich in Kriegszeiten eine einheitliche Leitung vorteilhaft sei. Welcher Fürst für das Amt in Betracht komme, darüber gingen natürlicherweise die Ansichten auseinander. Graf Thurn und Graf Schlick, welche Lutheraner und deutscher Abkunft waren, stimmten für den Kurfürsten von Sachsen, weil er einer der mächtigsten evangelischen Fürsten und ihr Nachbar sei, vor allem aber, weil er mit dem Kaiser gut stehe und derselbe sich nicht leicht mit ihm verfeinden würde. Die Kalviner dagegen, die bei Weitem in der Mehrzahl waren, wollten lieber einen König ihres Glaubens und brachten den Kurfürsten von der Pfalz in Vorschlag, der eine weit mutigere und entschlossenere Politik verfolge als der Sachse und durch seine Verwandtschaft mit England und Schweden sowie durch andere gute Verbindungen, mit den Staaten, der Union und der Schweiz, Nutzen bringen könne. Während diese beiden Fürsten zunächst noch kein Zeichen von Bereitwilligkeit verrieten, gab ein anderer große Geneigtheit zu verstehen: das war der Herzog von Savoyen, ein unruhiger, nach Vergrößerung trachtender Mann, der durch die Nachbarschaft mit Mailand oft in Streit mit Spanien geriet und als ein natürlicher Feind dieser Macht und Österreichs zu betrachten war. Er empfahl sich hauptsächlich durch fabelhaften Reichtum, der ihm zugeschrieben wurde, und wenn er auch katholisch war, so bekannte er sich doch als Feind des Papstes und behauptete, von Vorurteilen gegen Andersgläubige frei zu sein.
Die pfälzischen Räte vernahmen von der etwa möglichen Wahl ihres Herrn auf den böhmischen Thron nicht gerne, der doch ein wenig allzu unsicher und gleichsam am Rande eines Vulkanes stand. Es war einmal nicht zu leugnen, dass Ferdinand bereits erwählter böhmischer König war, und vorauszusehen, dass er nicht gutwillig einem anderen Platz machen würde. Wurde er Kaiser, so war es vollends eine heikele Sache für einen Reichsfürsten, seinem Oberhaupt im offenen Krieg entgegenzutreten, und verlor er leicht seine Bundesgenossen im Reiche. Nun hatten freilich nicht nur Pfalz, sondern auch andere ansehnliche Reichsfürsten längst beschlossen, diesmal die Kaiserkrone vom Hause Habsburg abzuwenden; allein noch hatte man sich nicht auf einen anderen Kandidaten geeinigt, geschweige denn, dass ein solcher gewonnen wäre. Da von einem evangelischen Kaiser doch abgesehen werden musste, die Kalviner sich einen lutherischen auch nicht einmal gewünscht hätten, zielte die pfälzische Politik noch immer auf den wittelsbachischen Vetter, den Herzog von Bayern, ab, und der Rat Camerarius reiste eigens nach München, um die Stimmung des verschlossenen und vorsichtigen Herrn zu erforschen. Jocher, des Herzogs erfahrenster Rat, mit dem Camerarius verhandeln musste, wusste genau, dass sein Herr auf den Antrag der Evangelischen nicht eingehen würde; seine Aufgabe bestand nur darin, ihre etwaigen geheimen Anschläge in Erfahrung zu bringen und, wenn möglich, einen Vorteil für den Herzog herauszupressen, also zwar nicht anzunehmen, sich aber den Abschlag auch nicht gleich herauswischen zu lassen.
Vertraulich erzählte Jocher, wie schon im vergangenen Jahre Ferdinand ihn um Hilfe angegangen und ihm Oberösterreich habe verpfänden wollen, das ihnen seiner Lage wegen natürlich anstehen würde. Sie hätten sich aber darüber noch nicht vernehmen lassen, denn es kaufe niemand ein Pferd, das ihm von selbst in den Stall liefe. Auch ohne das würde der Herzog sich jedenfalls gründlich bedenken, ob es rätlich für ihn sei, die Macht Österreichs zu stärken; denn er sei doch auch ein Reichsfürst, und die fürstliche Libertät, die durch Österreich und Spanien gefährdet würde, liege ihm wie jedem guten Deutschen am Herzen.
Hieran knüpfte Camerarius, zählte die Schäden auf, die der habsburgische Dominat dem Reiche gebracht habe, und mahnte, was für eine hohe Aufgabe es sei, und nur von einem klugen und mächtigen Fürsten wie Maximilian zu erfüllen, die alte Kaiserherrlichkeit wieder herzustellen.
Ja, sagte Jocher lachend, Kaiser und Reich ständen nicht gut in einem Ofen, wo eins aufgehe, schrumpfe das andere zusammen. Bei jeder neuen Wahl werde ein Stein aus der Kaiserkrone genommen und dafür ein Dorn eingesetzt, und so sei schon eine Dornenkrone daraus geworden, die einen doch nicht zum Heiligen mache, obschon sein Herr eine gewisse Anlage dazu habe. Auch Camerarius lachte und fragte, was für ein Herr der Herzog im täglichen Umgange sei? Ob er wirklich ein härenes Hemd trüge und sich geißelte, wie viele erzählten? Ob es in ganz München so streng und ehrbar zugehe wie am Hofe? Ob der Herzog wirklich nie mit Weibern zu tun hätte?
Jocher zog die Augenbrauen hoch und war augenscheinlich von Ehrfurcht durchdrungen. »Nichts dergleichen«, sagte er; »der Mann würde ganz Bayern zu einem Kloster machen, wenn er Augen und Hände allerorten hätte. Aber Gott hat den Menschen aus Fleisch gemacht, das den Keim des Verderbens und der Fäulnis in sich trägt, und darf es nicht ans Licht, so wuchert es im verborgnen.« Laster und Vergnügen seien schwer zu trennen, und es seien unter den Beamten viele, die sagten, wenn des Herzogs Vergnügen die Arbeit sei, so könne er das doch nicht von jedem voraussetzen und verlangen, besonders da es ihnen nicht zugute komme. Zuweilen führe er der Gesundheit wegen aufs Land, und bei Festlichkeiten wolle er, dass es hoch herginge, aber das Lustigsein zähle er herunter wie einen Rosenkranz oder säge es weg wie einen Klafter Holz.
Camerarius sagte, ihm gefielen die Menschen nicht, denen das Herz nicht einmal überlaufe. Für das Regiment möchte es freilich nützlich sein und besser taugen als die Natur seines jungen Herrn, der weder zur Arbeit noch zum Vergnügen die rechte Lust habe. Es sei immer, als ob er nur spiele oder noch nicht recht aufgewacht sei, und doch schliefe er bis in den hellen Tag. Übrigens sei er lieb und gut, trübe kein Wasser und nehme guten Rat an.
Jocher meinte, er sei ja auch noch jung, oft müssten die Jahre den Organismus erst ein wenig schütteln, damit alles an seinen Platz käme.
Das wäre zu wünschen, rief Camerarius; den feinen Verstand der Mutter hätte er, aber die Säfte wären träge, so wäre gewissermaßen ein gutes Mühlrad da, dem der Umschwung fehle, sodass das Korn ungemahlen bliebe. Zuweilen litte er auch an Melancholie, ließe sich aber leicht, namentlich durch das Söhnlein, zerstreuen.
Auch sein Herzog sei melancholisch, sagte Jocher, es habe aber nichts auf sich, sondern sei ihm angeboren, wie einer etwa dunkelfarbiger als andere auf die Welt komme. Eigentlich lachen könne er nicht, das gebe ihm aber gerade etwas Heroisches. Alles in allem sei er ein großer Fürst, und keiner im Reich sei ihm zu vergleichen.
Darum eben, sagte Camerarius, scheine er zum Kaiser bestimmt zu sein. Warum er denn die große Aufgabe nicht ergreifen wolle, für die Gott ihn geschaffen habe? Er sei der einzige katholische Fürst, für den die Stimmen der Evangelischen zu gewinnen sein würden. Und wie denn Jocher glaube dass er seinerseits sich zu den Evangelischen stellen würde?
Jocher zuckte die Achseln. Die Gesetze würde der Herzog respektieren, sagte er. Aber da er Gesetz und Ordnung liebe, würde er kaum das Regiment in einem Reich zwiespältigen Glaubens übernehmen. Vielfältige Erfahrung lehre, dass dabei keine Ordnung möglich sei, schon wegen der geistlichen Fürstentümer. Ob die Kirche sich jemals gutwillig ihre Einkünfte würde entziehen lassen?
Der Knoten wäre leicht zu lösen, meinte Camerarius, wenn alle protestantisch wären. Dann gäbe es keine geistlichen Fürstentümer mehr, jeder Fürst sei unabhängig vom Papste, Herr im eigenen Lande, und zwischen Fürst und Kaiser herrsche kein Misstrauen mehr.