Es war kurz vor Mitternacht, als der Küster des Domes außer Atem gelaufen kam und erzählte, er habe ein schreckliches Zeichen und Gesicht gesehen, und er sei gewiss, es stehe Krieg und Pest bevor, wenn nicht der Jüngste Tag im Anzuge sei. Als er vor einer halben Stunde aus dem Kloster gekommen sei und habe heimgehen wollen, habe er die Fenster des Domes erleuchtet gesehen, sodass er gedacht habe, es werde noch darin gearbeitet. Über diesen Frevel erschrocken, habe er an alle Türen gefasst, aber sie wären fest verschlossen gewesen, und keinen Laut hätte er vernehmen können. Am liebsten, sagte er, wäre er davongelaufen; aber er hätte sich ein Herz gefasst und wäre an einem der Holunderbäume, die um den Chor herum wüchsen, hinaufgeklettert, bis er durch die Fenster in das Innere hätte hineinsehen können. Da hätte ihn Entsetzen erfasst, und er hätte so gezittert, dass er sich kaum an den Zweigen des Baumes hätte halten können: die ganze Kirche sei voll Blut gestanden, das sei alles des Heilands Blut gewesen; unter dem Gewölbe habe sein Leib gehangen, und aus den tiefen Furchen seines Gesichtes sei Blut herabgeronnen, und sein Mund und seine Augen wären wie Brunnenröhren gewesen, aus denen das Blut dick hervorgeschossen sei.
Nachdem die Zuhörer sich von ihrem Schrecken gefasst hatten, wollten sie das Wunder auch sehen, aber der Wirt hielt sie ängstlich zurück; wenn Feuer im Dome sei, könne es sein Haus ergreifen, sagte er, indem er ängstlich nach der Kirche hinüberblickte, deren steile Mauerterrassen in gleichförmigem, schwerem Dunkel lagen. »Seht«, sagte der Küster, »es ist wie ausgeblasen. Wenn es etwas Natürliches gewesen wäre, hätte es nicht so verschwinden können.« Erst als die Nacht sich zerstreute, gingen die Leute verfroren und übermüdet nach Hause.
Am folgenden Tage predigte Skultetus im Dome, der in aller Frühe von den Spuren der gestrigen Arbeit gesäubert worden war. Wie der kleine hagere Mann, auf der Kanzel stehend, sich in dem erhabenen Raume umsah, reckte er sich unwillkürlich und blähte die Brust auf; denn es war ihm, als schwebe er über der erschaffenen Erdkugel und seine Worte würden von der Unendlichkeit verschlungen werden. Hingegen tönte seine Stimme, als ob er in eine Posaune bliese, sodass er selbst vor dem Schall schauderte. Er sagte: Gottes Allmacht hat mich erfasst und hierhergetragen, damit ich die Wahrheit verkündige. Gott wollte, dass das Reich der Finsternis aufhöre und dass die Werke der Finsternis zerstört werden. Dies war das Nest, wo die geschwollene Nachtbrut der Mönche und Jesuiten trotzte, das ist Aberglauben, Tücke, Wut und Zerstörung. Heil uns, der Herr hat gerichtet! Das Licht, das da heißt Vernunft und Wahrheit, fährt stürmisch herauf, und Krähen und Eulen, wie schwere Dämpfe auf dem Bauche kriechend, sausen von dannen.
Friedrich und Elisabeth waren zum Gottesdienst feierlich geputzt, er in einem schwarzen, sie in einem weißen, mit Diamanten besetzten Gewande. Er trug eine mit einem besonders großen Diamanten besetzte Agraffe
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nebst Reiherbusch am Barett, sie eine ebensolche im Haar, am Hals und in den Ohren trug sie Gehänge von Perlen. Es verdross sie ein wenig, dass viele von den böhmischen Damen in viel reicherem Schmuck erschienen als sie, was sie auch schon auf den Bällen bemerkt hatte, und sie stellte Friedrich vor, dass dies ein Unfug sei, dem er steuern müsse. Die Königin, sagte sie, müsse sogleich am reichsten Schmucke kenntlich sein, und es würde niemals Ordnung und Anstand in einem Lande herrschen, wo die Vasallen schönere Kleider trügen als die Herren. Friedrich sagte entschuldigend, dass er noch ein wenig hinhalten müsse, bis er in Böhmen recht stabiliert sei; sitze er erst einmal fest auf dem Throne, so wolle er einen größeren Schatz von Juwelen anschaffen, wie er ihrem neuen Stande gebühre. Böhmen sei ja ein reiches Land und könne seinen König gebührlich ausstatten, auch hätte er den Eindruck, dass die Untertanen es an nichts fehlen lassen würden, es wären ihnen ja schon stattliche Geschenke überreicht worden. Feine Lebensart hätten die böhmischen Weiber doch nicht und müssten also darin sowie an Schönheit hinter ihr zurückstehen.
Die Zeit verging Friedrich zunächst schnell und angenehm, da er nach Brünn und Breslau reisen und die Huldigung der Mähren und Schlesier in Empfang nehmen musste. Unterdessen regierten in Prag Christian von Anhalt, der Gouverneur, und die Räte der Krone, unter denen Wenzel von Budowa mit einigen anderen das Wort führte. Unter seinen Briefschaften fand Anhalt eines Tages eine Bittschrift von Bauern, welche die Aufhebung der Leibeigenschaft verlangten, und nach einigen Bedenken entschloss er sich, dieselbe dem Rat vorzulegen. Er könne darüber nicht entscheiden, sagte er, weil er mit den Verhältnissen in Böhmen nicht vertraut genug sei; allein es komme ihm vor, als würden die Bauern hierzulande über Gebühr geplagt, und er halte es für gefährlich in Kriegszeiten, wenn der Landmann seiner Herrschaft nicht anhänglich sei und etwa gar dem Landesfeind zulaufe, anstatt seine Scholle zu verteidigen.
Die Sache sei so, sagte Budowa: für die Bauern hätte ihr jeweiliger Herr einzustehen, und wenn der der guten Sache anhänge und sie in rechter Zucht halte, würden die Bauern auch ihre Schuldigkeit tun, soweit sie könnten. Freilassen könne man die Bauern nicht, denn das verdienten und vermöchten sie nicht, abgesehen davon, dass der König doch wohl den Adel nicht seiner Rechte und seines Besitzes berauben könne, der vielmehr der Quell des Rechtes sein solle.
Dieser Ausführung schloss sich der Kanzler Ruppa an und sagte, zurzeit Kaiser Rudolfs hätten sich auch einmal die Bauern über ihre Herren beklagt und Befreiung von allerlei Fronden verlangt; Kaiser Rudolf aber, der doch ein mächtiger Herr gewesen sei, hätte die Schuldigen ausgeliefert, und da wären die Rädelsführer mit Rad und Galgen angemessen bestraft worden, worauf es wieder Ruhe gegeben hätte.
Es handle sich hauptsächlich um königliche Bauern, sagte Anhalt, und es scheine ihm nicht rätlich, gleich jetzt mit der Schärfe gegen sie vorzugehen. Man könne ja einen abschlägigen Bescheid geben oder sonst kunktieren. Die Herren sollten bedenken, wie man jetzt daran sei, wenn man noch Mannschaft gegen die Bauern aufbieten müsste und wenn die Felder nicht bestellt würden, wo schon durch den Krieg eine Teuerung wäre.
Sie wären bis jetzt mit den Bauern fertig geworden, entgegnete Budowa, und würden es auch inskünftig werden. Das betreffe die Grundlage ihrer Rechte, und daran dürfe nicht gerüttelt werden. Gewisse Herren könnten ja vermahnt werden, ihren Bauern nicht das Blut auszupressen und ein christliches Einsehen zu haben; er wolle durchaus das Verfahren aller nicht billigen. Aber der König werde auch nicht dulden, dass sein Adel noch einem anderen Landesherrn außer ihm huldige. Das würde ein Gelauf und eine Zwischenträgerei geben, wenn die hämischen Bauern wegen jeder Tracht Prügel, die sie bekämen, an den Hof laufen und klagen wollten. Dahinein dürfe der König sich nicht mischen, sonst hätte man schließlich das Faustrecht und wisse nicht mehr, wer Herr und wer Knecht sei.
Das wisse man auch jetzt nicht, sagte Graf Solms finster; nur so viel sehe er, dass der König hierzulande nicht der Herr sei.
»Meint Ihr«, rief Budowa, »weil unser Land östlich von Eurem liegt, der König wäre hier wie der türkische Sultan und könnte seinen Großen den Kopf vom Rumpfe schneiden, wenn es ihm beliebt?«
»Wenn die türkischen Vasallen es verdienen«, antwortete Solms nachdrücklich, »so hätte der Sultan recht und wäre umso besser daran.«
»Die deutschen Grafen«, rief einer von den böhmischen Herren aufspringend, »müssen wenig Ehre haben, wenn sie sich so mit den Hunden in gleiche Reihe stellen!« Auch Graf Solms erhob sich und sagte langsam, während seine Augen Blitze warfen: »Wie blank unsere Ehre ist, zeigt meines Schwertes Fläche, und wie schneidend unser Mut, seine Schärfe.«
Anhalt beeilte sich, Frieden zu stiften, indem er vorstellte, dass sie sich in der Ratsstube des Königs befänden, dem sie alle mit gleicher Treue ergeben wären; dass sie einander nicht zu beweisen brauchten, wie viel Ehre und Tapferkeit sie hätten, und dass sie ihr Blut für den Kampf mit dem gemeinsamen Feinde sparen müssten. Er brachte es auch endlich dahin, dass sich die Streitenden die Hand zur Versöhnung reichten, doch taten sie es mit sichtlichem Widerwillen und gegenseitiger Verachtung. Was die Bauern betraf, so wurde ihnen Untersuchung der einzelnen Klagepunkte in künftiger Zeit verheißen; inzwischen wurden sie vermahnt, sich ruhig zu halten, und zu unerschütterlichem Gehorsam gegen ihre Herren angewiesen.
1 Hakenartige Schließe; französisch agrafe = Spange
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36.
Im Juni erhielt Herzog Maximilian die Nachricht, dass die Unionsfürsten sich hatten bereden lassen, stillzusitzen, wenn er gegen den Pfälzer ziehe, immerhin sich vorbehaltend, seine pfälzischen Erblande, falls er dort angegriffen werde, zu schützen. Er hatte nicht nach Prag ziehen wollen, solange er befürchten musste, sie würden unterdessen sein Herzogtum überfallen oder Friedrich zu Hilfe kommen, und war deshalb von dem Ergebnis der Verhandlungen sehr befriedigt. Diesen Dienst hatte ihm Frankreich geleistet, und der französische Gesandte tat sich nicht wenig auf die Geschicklichkeit zugute, mit der er den protestantischen Fürsten eingeredet habe, es sei das beste für sie, Pfalz seinen unsauberen Handel mit dem Kaiser allein ausfechten zu lassen; allein Jocher äußerte sich vertraulich, es hätte ohnehin keiner von diesen Schneckenhelden Lust gehabt, seine Haut für ihren Obersten zu Markte zu tragen. Die Union habe sich, als Anhalt nach Böhmen gezogen sei, gleichsam selbst den Kopf abgebissen, und wenn sie auch wie der Skorpion noch eine Weile mit dem Schwanze zappele, so sei doch keine Lebenskraft darin und werde man sie bald mit bloßen Füßen ohne Schaden zusammentreten können.
So brach denn Maximilian mit einem wohlgeordneten und -gerüsteten Heere auf, um zunächst sein Pfand, die Provinz Oberösterreich, in Besitz zu nehmen, und näherte sich in den ersten Tagen des August der Stadt Linz.
Kepler saß am Abend, als es anfing zu dämmern, über seinen Instrumenten und Büchern, als die Herren von Saurau, Vater und Sohn, zu ihm kamen, um sich von ihm zu verabschieden; denn sie gehörten zu den erklärten Rebellen und erwarteten sich nichts Gutes von der Ankunft Maximilians. Ob es denn wahr sei, dass der Bayernherzog auf Linz ziehe? fragte Kepler. In der Schule hätten einige wissen wollen, er gehe geradeswegs gegen den böhmischen König, andere meinten gar, gegen den Türken. Nein, sagte Herr von Saurau, das sei gewiss, dass es ihnen gelte. Ferdinand hätte sie ausgeliefert, das sei längst geplant gewesen. Widerstand könnten sie dem Herzog nicht leisten, unterwerfen wollten sie sich nicht, so verließen sie denn die Heimat. Sie gingen nach Nürnberg oder einer anderen evangelischen Reichsstadt. Kepler meinte bedenklich und mitleidig, die Füße wären lose, aber das Herz ließe sich nicht so leicht ausgraben.
Der Ältere sah schweigend vor sich nieder, der Jüngere aber sagte, in den Reichsstädten sei ein freieres und lustigeres Leben als in den Bergen zwischen den Bauern, man könne es wohl eine Zeit lang mitmachen, inzwischen gebe es vielleicht eine Änderung, die Zeit sei voll Unruhe, und Ferdinand habe den Bogen zu straff gespannt, aller Tage Abend sei noch nicht da.
Ob Kepler nicht auch verreisen wolle? fragte der Ältere. Sie könnten miteinander gehen, zu Linz sei seines Bleibens doch nicht. Herzog Maximilian sei vom Papste besoldet, die Ketzer auszurotten; man munkele, er werde später abdanken, um Jesuitengeneral zu werden. Wie dem auch sei, verschonen werde er keinen, und die Wissenschaft am wenigsten, die es mit dem kopernikanischen System halte.
Er möchte ungern schon wieder wandern, sagte Kepler; wenn es aber nötig sei, wolle er versuchen, ob er nicht eine Anstellung in Schwaben finde. Wie solle er in Nürnberg sein Brot finden? Die Herren von Nürnberg hätten für Leute seines Schlages kein Geld übrig, und er habe ein Weib und liebe Kinder.
Dem alten Herrn tat es leid, und er nahm traurigen Abschied. »Wenn ich bei Euch saß und Euch zuhörte«, sagte er zu Kepler, »war es mir oft, als schmecke ich den Himmel.« Wenn sie nach Ulm gingen, sagte Kepler, so sei da der Astronom und Mathematiker Faulhaber; der sei ebenso gelehrt wie er und werde ihnen in allem, was er wisse, sicherlich gern zu Diensten sein.
Als das bayrische Heer in Sicht kam, wurde die Aufregung groß in Linz. Auf Bitten seiner Frau begab sich Kepler zu einem Jesuitenpater, der ihn oft aus Interesse an der Astronomie besucht hatte, und fragte ihn, ob er im Notfall hoffen könnte, mit den Seinigen Schutz in seinem Kloster zu finden. »Jetzt wird Euch bange!« sagte der Jesuit langsam, indem er den Arm in die Seite stemmte und Kepler mit triumphierendem Lächeln ansah; »jetzt kommt Ihr als ein reuiges Kind, das sich im Schoße der schwergekränkten Mutter bergen möchte!«
»Wenn Ihr damit meint«, sagte Kepler, »ich wollte mich zu Eurer Kirche bekehren, so muss ich freilich nein sagen, jetzt so wenig wie vor zwanzig Jahren, und ich meine auch, es stände dem Manne noch weniger an als dazumal dem Jünglinge.«
Der Jesuit ereiferte sich: »Es steht einem jederzeit an«, rief er, »Buße zu tun und die Wahrheit zu bekennen. Seht Ihr die Zeichen Gottes noch immer nicht? Wie mögt Ihr, als ein kluger Mann, Institutionen anhängen, die in kurzem vor einem Hauche Gottes verschwinden werden? Ihr, die Ihr Ordnung und Gesetz am Himmel so herrlich nachgewiesen habt? Wo ist bei Eurer Ketzerei Ordnung und Gesetz? Wo ist da die Basis, die Basis? O göttliche Weisheit Keplers, riechst du auch nach Menschenfleisch? Greifst du es nicht mit Händen, dass es nur
eine
Kirche geben kann, wenn es nur
einen
Gott gibt? Hättest du den Lauf der Sterne ausmessen können, wenn es Ketzer unter ihnen gäbe, die ihn verwirrten?«
»Wer weiß, ob es nicht Zwietracht und Kämpfe unter den Sternen gegeben hat, bevor die Sieger die Triumphspiele begannen, denen wir jetzt zuschauen? Ob die Katholiken oder die Evangelischen unterlegen sind, ist vielleicht in den Historienbüchern des Himmels aufgeschrieben«, sagte Kepler und lächelte.
Der Pater musste wider Willen lachen und nannte Kepler einen Schelm und Fantasten. »Ihr Ketzer seid nun einmal hartnäckig«, sagte er, »ihr Schwaben insbesondere. Euch muss die Not beten lehren, und ich sollte Euch in der Klemme stecken lassen, damit es Eurer Seele zugute käme.«
»Das hat sie oft getan«, sagte Kepler, »und wenn ich gut kämpfen gelernt habe, so ist es, weil die Not meine Meisterin war.«
»Kepler, Kepler«, seufzte der Jesuit, »was für ein stolzer und verwegener Mann seid Ihr! Wenn ich Euch liebe, so ist es um des hehren Verstandes willen, mit dem Gott Euch Unwürdigen begnadet hat; sonst müsste ich es mir füglich zur Sünde anrechnen.« Um dieser Liebe willen, sagte er, wolle er sich für Kepler verwenden, wenn die Stadt erstürmt würde und er in Gefahr komme, mehr könne er nicht versprechen. Übrigens werde es dessen nicht bedürfen; denn der Herzog von Bayern sei ein frommer katholischer Fürst und werde Barmherzigkeit üben.
Kepler trat den Heimweg an in Gedanken darüber, ob er in Wirklichkeit stolz und eigensinnig sei, dass er nicht katholisch werden wollte; denn er hatte schon manchmal gedacht, dass Gut und Böse vielleicht auf beiden Seiten gleich sei, er hatte keinen eigentlichen Widerwillen gegen die Katholiken, noch hielt er seine Glaubensgenossen für unfehlbar. Dennoch hätte ihn vor sich selber geekelt, wenn er seine bedrängten Brüder verlassen und sich zur Beichte und Messe hätte bequemen sollen. Es fiel ihm bei, nach den Mauern zu gehen und den fortschreitenden Arbeiten des Belagerungsheeres zuzusehen; dort traf er Hizler, von einem Häuflein Männer und Frauen umgeben, auf die er in großer Aufregung einredete.
»Seht ihr den Herodes?« rief er und meinte damit den Herzog Maximilian; »seht ihr die Speere und Schilde in der Sonne blitzen, mit denen sie euch morden wollen? Aber Gott wird mit seinem Volke sein, wenn wir bei seinem Worte bleiben! Ich bin euer Hirt, und ihr sollt mich noch auf dem Scheiterhaufen jubilieren hören! Wären keine Verräter unter uns, so würde der Herr uns nicht so strafen. Aber da ist einer, da ist einer!« rief er laut, indem er auf den langsam vorübergehenden Kepler zusprang und ihn beim Arme griff. »Der hat die Kriegsnot über uns gebracht, weil er Gott erzürnte. Um deines Trotzes und deiner Sünde willen schickt uns der Herr die Philister über den Hals!«
»Wohlan«, sagte Kepler friedlich, »so schickt er sie vielleicht um deiner Tugend willen wieder heim.«
»Das könnte dir passen, du Obenhinaus!« knurrte Hizler und fügte verdrießlich hinzu: »Hätte mich der Zorn nicht übermannt, so hätte ich nimmer das Wort an dich gerichtet.«
Darüber brauche er sich kein Gewissen zu machen, sagte Kepler, es seien ja keine gütlichen gewesen.
Unterdessen schlugen unfern Kugeln in die Mauer, dass es krachte und Staub und Steine aufflogen, worüber viele erschraken und fortliefen, um in dieser Not bei den Ihrigen zu sein. Da auch Kepler weitergehen wollte, rief ihm Hizler plötzlich mit wehklagender Stimme nach: »Bekehre dich doch, Keplerle, komm in den Stall zu den anderen Schafen! Bekehre dich, so soll alles vergeben und vergessen sein.«
»Weißt du«, sagte Kepler stehenbleibend, »in mir ist ein Dämon, dem muss ich treu bleiben; denn er ist ewig, und eure Formeln sind von gestern und währen bis morgen.«
Er ging weiter, hielt aber noch einmal an und rief Hizler zu, er müsse die Zeit, die ihm noch bleibe, zur Arbeit nützen. Die nächste Nacht sei eine Mondfinsternis, wenn Gott gebe, dass die Stadt sich so lange halte, wolle er sie beobachten, und falls Hizler auch dazu Lust habe, sei er willkommen.
Die Gassen widerhallten vom Schritt der Soldaten, die der Kommandant beauftragt hatte, das Volk im Zaume zu halten, das Drohungen gegen ihn ausgestoßen hatte, weil er kapitulieren wollte. Kepler saß in einem offenen Balkon seines Hauses und erwartete den Mond. Der Abend war so still, dass sich kein Blatt im Wipfel der hohen Esche bewegte, die sein Haus beschirmte. Aus der Stadt scholl dann und wann Getöse und Aufkreischen; aber bis zu Keplers Bewusstsein drang in diesem Augenblicke nichts davon. Etwa um neun Uhr erglomm der Giebel des Nachbarhauses im näherrückenden Lichte, und gleich darauf schwebte die leuchtende Welt in den Gesichtskreis des Wartenden. Der Himmel hob sich wie ein milchgraues Meer aus der Dunkelheit, geballte Wolken tauchten auf wie Zacken und Berge und Schiffe und schwammen langsam vorüber oder sanken zurück in die Finsternis. Kepler fuhr herum, als Hizler durch die niedrige Tür eintrat, dessen Klopfen er überhört hatte. »Ich habe die Sache Gott anheimgestellt«, sagte er, »es steht ein großes Gericht über die ganze Erde bevor, und es wird einem jeden zuteil werden, was er verdient hat. Ich habe dich gewarnt, nunmehr fahre hin, inzwischen wollen wir nicht hadern.« Da Kepler ihn auf eine blutige Schramme an der Schläfe und seinen humpelnden Gang anredete, sagte er, die rohen Kriegsknechte hätten ihm so übel mitgespielt, als er sie aufgefordert habe, lieber auf die Wälle zu ziehen und den Antichristen zu vertreiben, anstatt die gläubigen Brüder zu bedrohen. Er wollte sich nicht verbinden lassen, weil ihm jetzt mehr daran gelegen sei, die Mondfinsternis mit Kepler zu beobachten; wenn die Erscheinung vorüber sei, wolle er gern einen Schluck Wein annehmen und sich die Wunde von Keplers Hausfrau waschen lassen; einstweilen ertrage er die Schmerzen freudig um des Erlösers willen.
Schon nach wenigen Minuten sahen sie den Sternenschatten auf den wandernden Mond fallen, worüber Hizler, während Kepler still beobachtete, ganz atemloses Staunen und lautes Vergnügen war. Zu denken, sagte er, dass da oben ein mechanisches Theater ablaufe, regelmäßig wie eine Uhr, die nie aufgezogen zu werden brauche, eigentlich ein Perpetuum mobile, sei höchst wundervoll. Er sprach mit großer Gelehrsamkeit über dies Problem, mit dem er sich viel beschäftigte, wie er denn auch ein allerliebstes drehbares Planetarium aus Messing verfertigt hatte; dann, als die Verfinsterung vorüber war, ließ er den Gegenstand fallen und sagte: »Ein gräuliches Warnungszeichen, das der Herr seinem Volke aufsteckt; aber sie toben und würgen weiter in ihrer Verblendung. Rase nur zu, blutiger Attila! Gott lässt dich eine Weile wüten, jedoch das Strafgericht wartet schon, in das du hineintappen wirst!«
Kepler meinte, Herzog Maximilian habe ein gut ausgerüstetes Heer und mehr Geld als irgendein Fürst im Reiche; solange er zum Kaiser halte, möchte ihnen nicht leicht einer gewachsen sein. »Da sieht man wieder das Schwindelköpflein!« rief Hizler sich ereifernd. »Willst du die Wege Gottes auskennen? Wenn es ihm gefällt, kann er Tataren und Heiden auferwecken, um seine Befehle auszuführen! Wenn es ihm gefällt, kann er die falschen Götzen mit einem Atemzuge umblasen!«
Kepler, dessen Augen dem kleinen Schatten einer Fledermaus folgten, der pfeilschnell über die getünchte, mondbeschienene Mauer des Hauses huschte, ging nicht darauf ein und überließ es seiner Frau, Hizlers Prophezeiungen, Drohungen und Betrachtungen mit Ehrfurcht und Schrecken entgegenzunehmen.
Sein Gemüt war voll Sorgen über die Angelegenheit seiner Mutter, die nach den Berichten aus seiner Heimat eine schlimme Wendung zu nehmen drohte und die umso schwerer wog, weil er sie, als eine schimpfliche und gefährliche Sache, niemandem mitteilen mochte, vielmehr, solange es anging, geheimzuhalten suchen musste. Bald nach der Einnahme von Linz kam ein Brief von seiner Schwester, es sei nun alles aus, die Mutter sei aus ihrem Hause in den Turm geschleppt worden und solle durchaus eine Hexe sein. Ihr Mann sei böse über die Schande, ihr Bruder, der Zinngießer, sei vollends außer sich geraten und habe gesagt, wenn die Mutter wirklich eine Hexe sei, so wolle er nichts mehr mit ihr zu tun haben, es sei des Ärgernisses übrig genug. Wenn er ihr nicht schnell zu Hilfe komme, so sei die Mutter gewiss verloren, sie habe keinen Freund mehr. Ihr alter gebrechlicher Körper werde die Kälte, Folter und Marter nicht überstehen, und das werde noch das beste sein, da sie sonst lebendig ins Feuer müsse. Sie könne nichts tun als beten und weinen, und das tue sie Tag und Nacht; er solle sich eilen, damit er nicht zu spät komme.
Ohne Verzug reiste Kepler nach Güglingen und erfuhr, dass der Vogt Einhorn es dahin gebracht hatte, an die Stelle des schwebenden Zivilprozesses einen Kriminalprozess treten zu lassen, indem er der Frau Reinbold gestattete, eine Gegenklage auf Zauberei einzureichen. Sie hatte unterdessen neuen Stoff zum Beweise zusammengebracht: namentlich sollte die Kepler ein zehnjähriges Mädchen am Arme gefasst haben und sollte dieser Arm lahm geworden sein, sodass das Kind ihn wochenlang nicht hätte gebrauchen können, und ferner sollte die Keplerin ein vierzehnjähriges Mädchen das Zaubern haben lehren wollen, dem sei es aber bange geworden, sodass es ihr unter Vorwänden entschlüpft wäre. Nachdem Kepler die Akten des Prozesses durchgesehen hatte, in die er auf vieles Ersuchen und Verwenden hatte Einsicht nehmen dürfen, stellte er dem Präsidenten des Gerichtes vor, dass die Punkte samt und sonders belanglos wären und durchaus nicht hinreichten, eine Anklage darauf zu begründen. Den Aussagen von Kindern könne man doch keinen Glauben schenken, sie könnten von Frau Reinbold unterrichtet sein oder etwas missverstanden haben; nichts von allem sei erwiesen, und seine Mutter leugne alles.
Das täten die Weiblein freilich alle, sagte der Präsident mit einem feinen und herablassenden Lächeln; dazu wäre er da, um ihnen die Verstocktheit auszutreiben. Wenn er nicht ausreiche, so wären da Schrauben und Zangen, mit denen man meistens rasch zum Ziele käme. Wenn man ein wenig Erfahrung hätte, könne man auch den Hexen ihr Handwerk ansehn, wie einem Pfarrer oder Metzger das seinige. Ihm, Kepler, werde freilich diese Erfahrung abgehn; wo sollte er sie gemacht haben? An seiner Mutter? Er sei der Sohn, da trübe die natürliche Liebe den Blick. Er sei ja auch sonst wohl mit den Wissenschaften und dem Rechtswesen im besonderen nicht vertraut.
Er habe Theologie studiert, und die Jurisprudenz sei ihm auch nicht fremd, sagte Kepler; nicht so fremd, dass er nicht wisse, es gehöre mehr dazu als die Aussagen von Kindern, um ein Malefizurteil darauf zu gründen.
Nach seinem Dafürhalten, sagte der Präsident gelassen und noch erhabener lächelnd, sei gerade auf das unschuldvolle Wort der Kindlein viel zu geben; sie wenigstens seien meistens noch nicht vom Satan bestochen. Übrigens würde sich das im Verlaufe des Prozesses alles aufklären. Wie es denn in Linz stehe? Da hätten die Evangelischen nun wohl abgewirtschaftet.
Er hätte gedacht, der Präsident sei selbst evangelisch, sagte Kepler.
Ganz gewiss, antwortete der Präsident lächelnd, aber der Übereifer der Herren Pfarrer liege ihm fern. Kepler möge ihm nicht verargen, dass er das ausspreche. Die Prädikanten in Österreich hätten den Pöbel nicht aufhetzen sollen, das könne sich eine Regierung durchaus nicht gefallen lassen. Er münze diese Worte aber nicht auf Kepler, der gewiss vorsichtig und vernünftig gewesen sei.
Kepler merkte, dass der Präsident sich so anstellte, als halte er ihn für einen Pfarrer und wisse gar nichts von seinem wirklichen Beruf und seinen Werken; er biss die Zähne zusammen und verabschiedete sich kurz, damit seine Ungeduld und sein Zorn nicht noch herausführen und er die Lage seiner Mutter verschlimmerte.
Aus der Studienzeit hatte Kepler einen Freund, namens Besold, der Professor der