Der Dreißigjährige Krieg

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3.

Zwei Män­ner ge­wan­nen auf Ru­dolf Ein­fluss, die sei­ne Stim­mung voll­stän­dig ver­än­der­ten, was frei­lich auch im Zu­sam­men­hang mit dem auf und ab ge­hen­den Lau­fe sei­ner Krank­heit ste­hen moch­te. Der eine war der aus Ti­rol ge­bür­ti­ge Phil­ipp Lang, der sich ihm zu­erst in ge­schäft­li­chen An­ge­le­gen­hei­ten nütz­lich er­wie­sen hat­te. Ein Ju­we­lier näm­lich bot dem Kai­ser meh­re­re Sä­cke voll Edel­stei­ne, Ru­bi­ne, Sma­rag­de und Opa­le, zum Kauf an und for­der­te eine ver­hält­nis­mä­ßig ge­rin­ge Sum­me da­für, die aber bar aus­ge­zahlt wer­den soll­te, da der Kai­ser ihm be­reits viel Geld schul­de­te und er Ur­sa­che hat­te zu zwei­feln, ob er je­mals be­frie­digt wer­den wür­de. Aus der Finanz­kam­mer kam der Be­scheid, dass kein Geld vor­han­den sei, nicht ein­mal das Not­wen­di­ge kön­ne be­strit­ten wer­den, es hät­te sich so­gar der Apo­the­ker end­lich ge­wei­gert, die Dat­teln, Mor­sel­len und den Ro­sen­zu­cker auf die kai­ser­li­che Ta­fel zu lie­fern, wenn er nicht zu­vor we­nigs­tens teil­wei­se aus­ge­zahlt wür­de. Wenn der Kai­ser die Edel­stei­ne ha­ben wol­le, ließ man ihm sa­gen, sol­le er sie aus sei­ner ei­ge­nen Scha­tul­le zah­len, und deu­te­te an, er müs­se doch durch die Gold­ma­che­rei, für die er so viel auf­wen­de, ge­nug er­üb­rigt ha­ben. Hier­über ge­riet der Kai­ser in Zorn und tob­te und jam­mer­te ab­wech­selnd, dass er Blut­sau­gern aus­ge­lie­fert und von Räu­bern um­ringt sei. In die­ser Not er­bot sich Phil­ipp Lang, einen Aus­weg zu fin­den, und be­haup­te­te so­gar, dass dies leicht und dass nur das Un­ge­schick oder der böse Wil­le der Finanz­rä­te an ei­ner sol­chen Ver­le­gen­heit schuld sei. Ers­tens gebe es meh­re­re rei­che Leu­te in Prag, die da­hin be­ar­bei­tet wer­den könn­ten, dass sie eine pas­sen­de Sum­me her­lie­hen; fer­ner sei es be­kannt, dass ei­ni­ge von den wohl­ha­bends­ten Zünf­ten der Städ­te sich zu­sam­men­ge­tan hät­ten, um auf die Aus­schaf­fung der Ju­den aus Prag an­zu­tra­gen, und dass sie da­hin be­schie­den sei­en, sie möch­ten es un­ter­las­sen, da es bei Hofe un­lieb­sam auf­ge­nom­men wer­den wür­de. Dies sei ein großer Feh­ler ge­we­sen; denn den Zünf­ten sei an der Sa­che viel ge­le­gen, und sie wür­den ge­wiss den höchs­ten Preis da­für ge­zahlt ha­ben. Die Ju­den trü­gen ihm aber doch noch mehr, wen­de­te der Kai­ser ein. Es sei ja auch nicht sei­ne Mei­nung, sag­te Lang, die Ju­den aus­zu­wei­sen; einst­wei­len kön­ne man aber doch den Zünf­ten eine ge­wis­se Aus­sicht er­öff­nen und sie zah­len las­sen, das üb­ri­ge kön­ne man ge­trost der Zu­kunft über­las­sen. Man wür­de eine Un­ter­su­chung ein­lei­ten und auch die Ju­den­schaft ver­neh­men, die sich ge­wiss dem Kai­ser auch ih­rer­seits nicht ver­ächt­lich emp­feh­len wür­de. Über­haupt, sag­te Phil­ipp Lang, wür­de der Kai­ser viel mehr Mit­tel ha­ben, wenn sei­ne Um­ge­bung red­lich sei; er sei arm und habe rei­che Die­ner, das kön­ne nicht mit rech­ten Din­gen zu­ge­hen; er, Phil­ipp Lang, könn­te ihm über man­ches die Au­gen öff­nen, wenn der Kai­ser ihn be­schüt­zen und sei­ner Huld ver­si­chern woll­te.

Die­se An­deu­tung be­zog sich auf Mat­kow­sky, und da dem Kai­ser das si­che­re und trost­rei­che We­sen Langs zu­sag­te, fand der­sel­be bald Ge­le­gen­heit, noch mehr Ver­dacht auf den be­güns­tig­ten Kam­mer­die­ner fal­len zu las­sen. Mat­kow­sky sei kei­nes­wegs von Er­ge­ben­heit ge­gen den Kai­ser er­füllt, son­dern sei ein Werk­zeug der böh­mi­schen Pro­tes­tan­ten und habe des­we­gen durch falsche An­kla­gen den Gra­fen Rumpf ge­stürzt, der das Haupt der ka­tho­li­schen Par­tei ge­we­sen sei. Durch sei­nen Arg­wohn und sei­ne Be­fürch­tun­gen habe er den Kai­ser mit ei­nem schwar­zen Netz von Schwer­mut um­garnt und ihn krank und ohn­mäch­tig ge­macht. Wozu die Me­lan­cho­lie und die Furcht? Er sei der mäch­tigs­te Mon­arch der Erde, die Ein­künf­te der reichs­ten Län­der stän­den ihm zu Ge­bo­te, er brau­che ge­wis­ser­ma­ßen nur wie ein Zau­be­rer einen Ring zu dre­hen, so sei die Er­fül­lung sei­ner Wün­sche schon da, wenn er nur sei­ne Kraft und sein Ver­mö­gen recht er­kenn­te und an­wen­de­te. Was ver­möch­te sein Bru­der Matt­hi­as ge­gen ihn? Der­sel­be sei ein vor­zei­tig ge­al­ter­ter Mensch, ohne Nach­kom­men­schaft, arm und von ihm ab­hän­gig, eine Pup­pe in den Hän­den des Bi­schofs von Wien, der doch schließ­lich nur des Kai­sers Un­ter­tan sei. Der Kai­ser sol­le Mat­kow­sky ent­fer­nen, der einen un­heil­vol­len Schat­ten auf sein Ge­müt ge­wor­fen habe und ein nichts­wür­di­ger Ket­zer sei; bei ei­nem Pro­zess wür­de sich er­ge­ben, dass er ein großes Ver­mö­gen be­sit­ze, wel­ches dem Kai­ser ab­ge­stoh­le­nes Gut sei, und die Kon­fis­ka­ti­on des­sel­ben wür­de bil­li­ger­wei­se die kai­ser­li­che Kas­se fül­len.

Die­ser Rat wur­de be­folgt und er­wies sich nütz­lich, in­dem Mat­kow­sky in der Tat ein nen­nens­wer­tes Ver­mö­gen be­saß, wo­von Phil­ipp Lang sich die grö­ße­re Hälf­te an­eig­ne­te, wäh­rend der Rest an den Kai­ser kam.

Der an­de­re Günst­ling des Kai­sers war Graf Her­mann Chri­stoph Ruß­worm, ein schö­ner, heiß­blü­ti­ger Of­fi­zier, der sich in den Tür­ken­krie­gen mehr­fach her­vor­ge­tan hat­te und nun der höchs­ten Stu­fe mi­li­tä­ri­scher Macht zu­streb­te. Die­ser herrsch­süch­ti­ge und rück­sichts­lo­se jun­ge Mann war we­der un­ter den Hof­her­ren noch beim Kriegs­ra­te, noch bei sei­nem Vor­ge­setz­ten, dem Feld­mar­schall Adolf von Schwar­zen­berg, be­liebt, ja sein Ver­hält­nis zu die­sem war so miss­lich, dass er sich kaum län­ger hät­te hal­ten kön­nen, wenn je­ner nicht kurz nach sei­nem großen Sie­ge bei Papa vom Tode wäre hin­ge­rafft wor­den. Ruß­worm hoff­te in die of­fe­ne Stel­le ein­zu­tre­ten, wozu der Kai­ser auch ge­neigt ge­we­sen wäre; aber er ge­trau­te sich nicht, ei­nem so jun­gen Men­schen ge­gen den all­ge­mei­nen Wunsch eine so ver­ant­wor­tungs­vol­le Wür­de zu über­tra­gen, und so er­hielt sie der Her­zog Phil­ipp Ema­nu­el von Mer­coeur, ein Mann, der mit dem Ruh­me der Kriegs­er­fah­rung den ed­ler Sit­ten ver­ei­nig­te.

Auf der Rei­se nach Un­garn je­doch wur­de Mer­coeur in Nürn­berg von ei­nem bös­ar­ti­gen Fie­ber er­grif­fen. Durch den Arzt auf die Mög­lich­keit ei­nes töd­li­chen Aus­gangs hin­ge­wie­sen, bat er den Rat der Stadt um Er­laub­nis, einen ka­tho­li­schen Geist­li­chen kom­men zu las­sen, der ihm die Ster­be­sa­kra­men­te rei­chen soll­te, wur­de aber ab­schlä­gig be­schie­den, weil das den städ­ti­schen Sat­zun­gen zu­wi­der­lau­fe und ein be­denk­li­ches Bei­spiel ge­ben kön­ne. Als der Zu­stand des Kran­ken sich ge­gen den Abend ver­schlim­mer­te, schick­te er noch ein­mal an den Rat, der die Ant­wort gab, zu so spä­ter Stun­de kön­ne man nicht so vie­le Her­ren zu­sam­men­brin­gen, dass ein gül­ti­ger Be­schluss zu­stan­de kom­me, man wol­le die Sa­che am fol­gen­den Mor­gen in Er­wä­gung zie­hen und ihm dann Be­richt sa­gen. Von sei­nem Ster­be­bet­te aus ließ Mer­coeur dem Rate sa­gen, er habe nicht ge­wusst, dass die An­ge­le­gen­heit so schwie­rig sei, und bit­te um Ver­zei­hung, dass er den Her­ren eine sol­che Un­ge­le­gen­heit be­rei­tet habe; wor­auf er sei­nen Geist auf­gab.

Doch er­füll­te sich Ruß­worms Hoff­nung noch nicht so­gleich; erst als auch der Nach­fol­ger des Mer­coeur, Graf Solms, ei­nes plötz­li­chen To­des ge­stor­ben war, be­för­der­te Ru­dolf sei­nen Lieb­ling zum Ober­be­fehl. Wenn der stol­ze Mann im glän­zen­den Har­nisch vor den Kai­ser hin­trat, so glich er dem Rit­ter Ge­org, der sich von sei­nem himm­li­schen Herrn zum Kamp­fe ge­gen den Sün­den­dra­chen wei­hen lässt. Wenn er schwur, dass der Kai­ser ihm Gott auf Er­den sei, dass er sei­nen Na­men un­ter Hei­den und Ket­zern groß ma­chen, ja sei­nen bes­ten Freund und ei­ge­nen Bru­der um des Kai­sers wil­len nie­der­sto­ßen wür­de, so fühl­te die­ser, dass es dem jun­gen Kriegs­hel­den da­mit Ernst sei und dass er sich auf sei­ne Er­ge­ben­heit durch­aus ver­las­sen kön­ne. Ruß­worm zwei­fel­te nie­mals we­der an den Rech­ten des Kai­sers in ir­gend­ei­ner Be­zie­hung noch an sei­ner ei­ge­nen Fä­hig­keit und Un­über­wind­lich­keit. Mit der Er­laub­nis, frei zu re­den, aus­ge­stat­tet, er­zähl­te er dem Kai­ser, sein Heer, so­weit es deutsch sei, sei ihm ganz er­ge­ben und wür­de un­ter sei­ner Lei­tung je­den Feind be­sie­gen, wäre es nur nicht durch die Träg­heit und Selbst­sucht des Kriegs­ra­tes und durch die Zwei­deu­tig­keit der wel­schen1 Of­fi­zie­re ge­hemmt. Die Wel­schen, die ja die Mehr­zahl der ho­hen Stel­len in­ne­hät­ten, die Bas­ta, die Gon­za­ga, die Bel­gio­jo­so und vie­le an­de­re, um­garn­ten wohl das kai­ser­li­che Ohr mit schmeich­le­ri­schen Wor­ten, mein­ten es aber nicht ehr­lich; das Schick­sal des Rei­ches sei ih­nen, den Frem­den, gleich­gül­tig, sie woll­ten nur ihre Ta­schen fül­len, sä­ßen wie hab­gie­ri­ge Gei­er über den ih­nen an­ver­trau­ten Pro­vin­zen und ver­lie­ßen sie, selbst voll­ge­so­gen, als aus­ge­mer­gel­te Wüs­ten. Der Kai­ser sei zu mil­de, er habe das Schwert über den Erd­kreis und sol­le sei­ne Schär­fe der Welt zei­gen. Die Ket­zer spot­te­ten sei­ner und rühm­ten sich, er sei ih­nen heim­lich zu­ge­tan oder er fürch­te sich, sie of­fen zu be­kämp­fen; woll­te er nur ein­mal sei­ne Ma­je­stät schei­nen las­sen, so wür­den sie ge­blen­det nie­der­fal­len, und die alte Kai­ser­macht wür­de sich er­neu­ern.

Sie­ges­nach­rich­ten vom Schau­plat­ze des Tür­ken­krie­ges tru­gen dazu bei, den Kai­ser in Vor­stel­lun­gen von un­er­schüt­ter­li­cher Macht zu wie­gen. Der Bild­hau­er Adriaen de Vries er­hielt den Auf­trag, ihn ge­har­nischt, in olym­pi­scher Hal­tung, gleich­sam als einen Ju­pi­ter dar­zu­stel­len, und durf­te so­gar zu­wei­len in Ru­dolfs Ge­gen­wart, mit Be­nut­zung sei­ner Per­son ar­bei­ten. Der ihm von Phil­ipp Lang dar­ge­brach­te Glück­wunsch, dass er nach Über­win­dung der häss­li­chen Krank­heit als ein an­de­rer Her­ku­les ver­gnügt und ver­gött­licht aus der Asche des Schei­ter­hau­fens stei­ge, leuch­te­te ihm ein, und er be­eil­te sich, die Erde so­weit wie mög­lich vor sei­ner Macht er­zit­tern zu las­sen.

 

Stau­nend und mit Kopf­schüt­teln hör­ten die Pra­ger zu, wie auf den Gas­sen und Plät­zen un­ter Trom­pe­ten­schall ein jahr­hun­der­tal­tes Edikt ver­le­sen wur­de, wel­ches die An­hän­ger der Böh­mi­schen Brü­de­ru­ni­tät mit dem Tode be­droh­te. Der pro­tes­tan­ti­sche Her­ren­stand über­leg­te sich, ob et­was vor­zu­neh­men, etwa ein Auf­stand ein­zu­lei­ten sei; aber da ge­rau­me Zeit ver­ging, ohne dass dem wun­der­li­chen Er­lass et­was Wei­te­res folg­te, viel­mehr al­les beim al­ten blieb, ließ man es hin­ge­hen. So konn­te dem Kai­ser be­rich­tet wer­den, das Edikt sei vom gan­zen Vol­ke mit still­schwei­gen­der Un­ter­wür­fig­keit auf­ge­nom­men, wor­auf eine weit schär­fe­re Maß­re­gel, um Un­garn zu schre­cken, er­folg­te: es wur­den näm­lich alle Ge­set­ze und Ver­ord­nun­gen be­stä­tigt, die seit Kö­nig Ste­phans Zei­ten zum Schut­ze der ka­tho­li­schen Re­li­gi­on er­las­sen wa­ren.

Dies ge­walt­sa­me Ge­setz, das nichts we­ni­ger als die Aus­rot­tung des Pro­tes­tan­tis­mus be­deu­te­te, schlug in Un­garn, das sich oh­ne­hin in ei­nem Zu­stan­de dau­ern­der Gä­rung be­fand, als ein Zei­chen zum Aufruhr ein, der so­gleich auch Sie­ben­bür­gen er­griff und Mord und Blut­ver­gie­ßen in dem wil­den Lan­de her­vor­rief. Un­be­ha­gen er­fass­te die habs­bur­gi­sche Fa­mi­lie und auch die kai­ser­li­chen Räte; denn wenn man die schwie­ri­ge Stim­mung der Pro­tes­tan­ten im Reich be­dach­te und wie sie je­der­zeit im trü­ben zu fi­schen ge­neigt wä­ren, fer­ner, dass der Kai­ser kein Geld hat­te und in­fol­ge­des­sen auch kein zu­ver­läs­si­ges Heer auf­brin­gen konn­te, um ei­ner großen Kriegs­macht zu wi­der­ste­hen, so hat­te es das An­se­hen, als steue­re man un­auf­halt­sam dem Ab­grun­de zu. Der Grau­sam­keit der Bas­ta und Bel­gio­jo­so, die zu­erst zur Durch­füh­rung des Edik­tes, dann zur Nie­der­wer­fung des Auf­stan­des nach Un­garn ge­schickt wa­ren, ge­lang es wohl, das Feu­er an ein­zel­nen Or­ten zu er­sti­cken, aber es flamm­te stets an an­de­ren de­sto hef­ti­ger auf, und schließ­lich hielt es der Kriegs­rat für not­wen­dig, Bas­ta, den un­mensch­li­chen Nea­po­li­ta­ner, zu­rück­zu­ru­fen, da­mit das kai­ser­li­che Re­gi­ment nicht vollends ver­hasst ge­macht wer­de. Die Fein­de Ba­stas, an de­ren Spit­ze Ruß­worm stand, er­grif­fen die Ge­le­gen­heit und ver­lang­ten die Be­stra­fung die­ses Teu­fels, der un­ter dem Vor­wan­de der Re­li­gi­on sei­ner Lust an Quä­le­rei und Blut­ver­gie­ßen ge­frönt, eine Men­ge Men­schen wahl­los dem Hen­ker über­lie­fert und durch Ver­höh­nung und Ver­ge­wal­ti­gung der Op­fer sei­nen Na­men fluch­wür­dig ge­macht habe. Ruß­worm selbst lei­te­te das Ge­richt, vor dem sich Bas­ta zu ver­ant­wor­ten hat­te, und zwei­fel­te nicht am Un­ter­gan­ge sei­nes Geg­ners, dem eine Rei­he schänd­li­cher Ver­ge­hen nach­ge­wie­sen wa­ren, als der Pro­zess plötz­lich eine an­de­re Wen­dung nahm, in­dem Bas­ta eine Voll­macht des Kai­sers vor­leg­te, nach wel­cher er über sei­ne Ver­wal­tung Un­garns nie­man­dem soll­te Re­chen­schaft ab­zu­le­gen ha­ben und je­des ihm gut dün­ken­de Mit­tel zur Be­kämp­fung des Auf­stan­des soll­te an­wen­den dür­fen. Au­ßer sich vor Ent­rüs­tung, eil­te Ruß­worm zum Kai­ser, der denn auch leug­ne­te, die Voll­macht aus­ge­stellt zu ha­ben; Bas­ta, mein­te er, müs­se sie sich wohl auf be­trü­ge­ri­sche Wei­se ver­schafft ha­ben. Im ers­ten Au­gen­blick fühl­te sich Ruß­worm er­leich­tert; aber wie er von der Burg her­un­ter­stieg, sank sei­ne Stim­mung. Die Mie­ne des Kai­sers, sein un­si­che­rer Blick, der schnel­le Wech­sel der Far­be auf sei­nem blas­sen Ge­sicht schweb­ten ihm vor und woll­ten ihm nicht ge­fal­len; er konn­te sich des Ein­drucks nicht er­weh­ren, dass der Kai­ser die Un­wahr­heit ge­sagt habe. Er dach­te sich den Zu­sam­men­hang so, dass Lang, von Bas­ta be­sto­chen, Ru­dolf die Un­ter­schrift ab­ge­lis­tet habe; man wuss­te ja, dass er die Ge­schäf­te hass­te und sie sich gern von sei­nem Kam­mer­die­ner ab­neh­men ließ. Ruß­worm be­merk­te, dass die Rich­ter im All­ge­mei­nen den Wor­ten des Kai­sers kei­nen Glau­ben schenk­ten, und wenn dies auch nicht ge­ra­de­zu aus­ge­spro­chen wur­de, so fiel doch dement­spre­chend das Ur­teil mil­de aus, was an­fangs nie­mand für mög­lich ge­hal­ten hat­te.

Die­se Nie­der­la­ge Ruß­worms er­mu­tig­te sei­ne ita­lie­ni­schen Fein­de, und selbst un­ter sei­nen frü­he­ren An­hän­gern wa­ren man­che, die es ihm jetzt ver­dach­ten, dass er, des­sen Lauf­bahn von Ge­walt­tä­tig­kei­ten kei­nes­wegs frei war, einen Ka­me­ra­den hat­te rich­ten wol­len. Es war an ei­nem war­men Som­mer­abend im Jah­re 1605, als er, von ei­ner Au­di­enz beim Kai­ser heim­keh­rend, an ei­ner Stra­ßen­e­cke auf Fran­ces­co Bel­gio­jo­so stieß, der, fest­lich in Weiß ge­klei­det, im Be­grif­fe schi­en, eine Ge­sell­schaft auf­zu­su­chen. Zwi­schen ih­nen ent­spann sich ein Wort­wech­sel und Kampf, in des­sen Ver­lau­fe Bel­gio­jo­so von ei­nem Die­ner Ruß­worms er­sto­chen wur­de; ob der Ita­lie­ner, wie Ruß­worm be­haup­te­te, ihm auf­ge­lau­ert hat­te, um ihn zu über­fal­len, und er in der Not­wehr sich be­fun­den hat­te, ließ sich zu­nächst nicht fest­stel­len. Da es nicht das ers­te Mal war, dass Ruß­worm einen Geg­ner im an­geb­li­chen Zwei­kampf ge­tö­tet hat­te, rech­ne­te er auch dies­mal mit Si­cher­heit dar­auf, dass die Un­ter­su­chung un­ter­drückt wer­den oder nur zu ei­ner leicht zu er­tra­gen­den Schein­stra­fe füh­ren wür­de.

In­des­sen das ge­fäng­nis­ar­ti­ge Zim­mer, in dem er ver­wahrt, und die Rück­sichts­lo­sig­keit, mit der er be­han­delt wur­de, mach­ten ihn stut­zig, und vollends als er die vie­len An­kla­ge­punk­te las, die die Grund­la­ge ei­nes ge­gen ihn ein­ge­lei­te­ten Pro­zes­ses bil­den soll­ten, er­schrak er und be­griff, dass es auf sei­nen Un­ter­gang ab­ge­se­hen war. Er wur­de da nicht nur be­schul­digt, den Bel­gio­jo­so ge­tö­tet, son­dern auch den Her­zog von Mer­coeur und den Gra­fen Solms er­mor­det zu ha­ben, die sei­nem Ehr­geiz im Wege ge­we­sen wä­ren, ja er soll­te den schmäh­li­chen Aus­gang ei­nes Feld­zu­ges ge­gen die Tür­ken ver­schul­det ha­ben, den der jun­ge Erz­her­zog Fer­di­nand in so un­zu­rei­chen­der Wei­se ge­führt hat­te, dass Ruß­worm, als er zu sei­ner Hil­fe her­bei­eil­te, das un­glück­li­che Ende nicht mehr ab­wen­den konn­te. In die­ser Be­dräng­nis wuss­te Ruß­worm kei­nen Mann von Ein­fluss am Hofe, der für ihn hät­te wir­ken wol­len, nur auf die Gna­de des Kai­sers hoff­te er; zu­wei­len je­doch fiel ihm des­sen blas­ses Ge­sicht und sei­ne furcht­sa­me Hal­tung von je­nem Tage ein, wo er ihn we­gen Ba­stas Voll­macht be­fragt hat­te, und dann wur­de ihm ban­ge zu­mu­te. Soll­te es wahr sein, was Graf Kins­ky, den er als einen evan­ge­li­schen Böh­men ver­ach­te­te, ge­sagt ha­ben soll­te, dass die hei­li­ge kai­ser­li­che Ma­je­stät ein hoh­les Bin­sen­rohr und ein fei­ger, zwei­zün­gi­ger Lüg­ner sei? Er ver­scheuch­te den Ge­dan­ken und sprach sich selbst Zu­ver­sicht ein; wenn er nur zu ihm ge­las­sen wür­de, dach­te er, wür­de er Ru­dolf wie sonst für sich ge­win­nen.

Un­ter der Die­ner­schaft des Kai­sers war ei­ner, der Ofen­hei­zer Bla­hel, der Ruß­worm an­hing, und die­sem ge­lang es, sich mit dem Ge­fan­ge­nen in Ver­bin­dung zu set­zen. Bla­hel hat­te frü­her des Kai­sers Ver­trau­en be­ses­sen, aber in der letz­ten Zeit, klag­te er, sei er von Phil­ipp Lang ver­leum­det und ver­drängt wor­den. In dem düs­te­ren Stüb­chen, das Ruß­worm nicht ver­las­sen durf­te, saß der ge­ängs­tig­te Mensch und wein­te, seit Ta­gen sei es ihm nicht mög­lich ge­we­sen, al­lein mit dem Kai­ser zu spre­chen, Lang sei der Schwar­zen Kunst mäch­tig und habe den al­ten Herrn be­hext. Er könn­te ent­setz­li­che Din­ge von Lang sa­gen, wenn er es sich ge­trau­en dürf­te; auch Ruß­worms Schick­sal wäre in sei­ner Hand, und Ruß­worm hät­te einen großen Feh­ler be­gan­gen, dass er sich nicht Langs Gunst zu er­wer­ben ver­sucht hät­te. Nein, sag­te Ruß­worm, mit den Zäh­nen knir­schend, Lang sei ein schnö­der Jude und ehr­lo­ser Mensch, vor dem er­nied­ri­ge er sich nicht, lie­ber wol­le er ster­ben. Ach, sag­te Bla­hel, warum er sich so auf­bla­sen wol­le? Selbst der Erz­bi­schof von Prag, der Herr von Lam­berg, hät­te Lang sei­nen größ­ten Be­för­de­rer ge­nannt und ihn ganz un­ter­tä­nig zu sei­ner Kon­se­kra­ti­on ein­ge­la­den; und der Erz­her­zog Matt­hi­as hät­te erst kürz­lich einen Brief an ihn ge­schrie­ben, in dem er ihn sei­nen in­son­ders hoch­ver­trau­ten, viel­ge­lieb­ten Herrn und Freund ge­nannt hät­te. »Wenn ich ihn sähe«, sag­te Ruß­worm, »wür­de ich ihm ins Ge­sicht spei­en.«

»Es ist nun auch doch zu spät«, sag­te Bla­hel, »er hasst Euch so, dass ein Sack voll Gold­stücke ihm nicht Eu­ren Kopf auf­wä­gen wür­de.«

Ein Vet­ter Ruß­worms, der sich dem Kai­ser zu Fü­ßen wer­fen woll­te, wur­de nicht vor­ge­las­sen, und ein an­de­rer Ver­such, der zu sei­ner Ret­tung un­ter­nom­men wer­den soll­te, ver­schlim­mer­te nur sei­ne Lage. Seit näm­lich im Rei­che die Fra­ge, wer Ru­dolfs Nach­fol­ger wer­den soll­te, be­spro­chen wur­de, zo­gen ei­ni­ge evan­ge­li­sche Fürs­ten in Be­tracht, ob Ma­xi­mi­li­an, der Her­zog von Bay­ern, sich dazu schi­cken und be­reit fin­den las­sen wür­de. Sie be­rech­ne­ten, dass da­durch Bay­ern für im­mer von Ös­ter­reich ge­trennt und die ka­tho­li­sche Par­tei ge­spal­ten wür­de; nur frag­te es sich, ob Ma­xi­mi­li­an, der das durch­schau­en muss­te, für einen so ge­wag­ten Schritt zu ge­win­nen wäre. Auf vor­sich­ti­ge An­deu­tun­gen ant­wor­te­te der Her­zog aus­wei­chend und dach­te bei sich, dass er die sta­che­li­ge Kro­ne nur dann nicht aus­schla­gen wür­de, wenn er da­bei von ös­ter­rei­chi­scher Sei­te kei­ne Ge­fahr lie­fe. Er tat ei­ni­ge un­vor­greif­li­che Schrit­te, in­dem er Ruß­worm, den ruhm­vollen Feld­herrn und Günst­ling des Kai­sers, mit des­sen Be­wil­li­gung in sei­nen Dienst nahm und in­dem er einen Ge­sand­ten nach Pa­ris schick­te, der ins­ge­heim zu er­for­schen hat­te, wie sei­ne Be­wer­bung etwa auf­ge­nom­men wer­den wür­de. Der Kai­ser war es wohl zu­frie­den, einen so mäch­ti­gen und an­ge­se­he­nen Reichs­fürs­ten ge­gen sei­nen Bru­der aus­spie­len zu kön­nen, an­de­rer­seits er­füll­te ihn die An­ma­ßung des Bay­ern­her­zogs, der ihm über­haupt nicht ge­heu­er war, doch mit Wi­der­wil­len, und sei­ne Für­bit­te zu­guns­ten Ruß­worms schi­en ihm da­mit im Zu­sam­men­hang zu ste­hen. Der von Lang an­ge­reg­te Ver­dacht, Ruß­worm habe ohne Zwei­fel von den ver­rä­te­rischen Plä­nen des Her­zogs ge­wusst, wohl mit dar­an ge­hol­fen, er­bit­ter­te den Kai­ser der­ma­ßen, dass er nicht län­ger zö­ger­te, son­dern den vie­len Stim­men nach­gab, die den Tod des un­be­zähm­ba­ren Feld­herrn for­der­ten.

Ein bäng­lich weis­sa­gen­des Ge­fühl be­schlich Ruß­worm, als ihm hin­ter­bracht wur­de, dass sei­ne Die­ner, die beim Tode des Bel­gio­jo­so zu­ge­gen ge­we­sen wa­ren, ge­fol­tert und, ob­wohl man kein Ge­ständ­nis von ih­nen habe er­pres­sen kön­nen, hin­ge­rich­tet wä­ren. Bla­hel hat­te die Exe­ku­ti­on mit an­ge­se­hen und schlich sich in der Dun­kel­heit zu Ruß­worm, um ihm da­von zu er­zäh­len. Der eine habe ein fre­ches Lied ge­pfif­fen und des­halb von dem Je­sui­ten, der ne­ben ihm ge­gan­gen sei, eine Maul­schel­le emp­fan­gen, was die an­de­ren be­glei­ten­den Pfaf­fen ge­ta­delt hät­ten, so­dass es un­ter die­sen fast zu ei­ner Schlä­ge­rei ge­kom­men wäre; der an­de­re wäre, sei­ner Mei­nung nach, vor Angst ge­stor­ben, als ihm die Sch­lin­ge um den Hals ge­legt wor­den wäre; denn er hät­te nicht das we­nigs­te ge­zap­pelt. »Die ha­ben es hin­ter sich«, sag­te Bla­hel, »wenn es mit uns nur auch schon vor­über wäre.« Am fol­gen­den Tage wur­de er we­gen der ent­deck­ten Zwi­schen­trä­ge­rei mit Ruß­worm ver­haf­tet, und die­ser hör­te nun nichts mehr von drau­ßen.

Da­ran, dass er zum Tode ver­ur­teilt wer­den wür­de, zwei­fel­te er nicht mehr; aber dass das Ur­teil aus­ge­führt wür­de, das glaub­te er doch nicht, im letz­ten Au­gen­blick wür­de die Gna­de des Kai­sers da­zwi­schen­tre­ten.

Es war ein dunk­ler No­vem­ber­tag, als ihm an­ge­kün­digt wur­de, dass er sein Ge­fäng­nis ver­las­sen müs­se, um nach dem Rat­hau­se über­ge­führt zu wer­den: ein wei­te­res Zei­chen des na­hen En­des. Die lan­ge Haft hat­te ihn so schwach ge­macht, dass er ohne Hil­fe die stei­le Trep­pe nicht hin­un­ter­stei­gen konn­te. Das Zim­mer, das ihm an­ge­wie­sen wur­de, war grö­ßer und luf­ti­ger als das vo­ri­ge, die Tür war von Sol­da­ten be­wacht, die blo­ße Schwer­ter in der Hand und Ge­weh­re über der Schul­ter hän­gen hat­ten. Im Lau­fe des Ta­ges wur­de ihm das To­des­ur­teil zur Kennt­nis ge­bracht, und gleich­zei­tig kam der Je­suit, der ihn vor­be­rei­ten und sei­ne Beich­te emp­fan­gen soll­te. An­fäng­lich ge­bär­de­te sich Ruß­worm un­ge­stüm ent­rüs­tet als das Op­fer bos­haf­ter Rän­ke und ty­ran­ni­scher Will­kür; aber die ver­ständ­nis­vol­le Mil­de des Geist­li­chen mach­te ihn all­mäh­lich zu­gäng­li­cher. »Ich glau­be Euch«, so etwa sag­te die­ser, »dass rach­süch­ti­ge Fein­de die Ur­sa­che Eu­res To­des sind, auch mag es sein, dass je­ner Bel­gio­jo­so nicht von Eu­rer Hand ge­fal­len ist oder dass er Euch nach dem Le­ben stell­te; aber an­statt an Eure Fein­de und ihr Un­recht zu den­ken, ver­gleicht Euch mit je­nem Mer­coeur, der, ein ta­del­lo­ser Held, durch den Wil­len Got­tes un­ter Ket­zern ster­ben muss­te, oder ver­gleicht Euch mit dem Herrn Chris­tus, un­se­rem Hei­land, der zwi­schen Mis­se­tä­tern am Kreu­ze hing. Scheint es Euch dann noch, als ob Ihr schuld­los lit­tet? Ist kein Fle­cken auf Eu­rem Ge­wis­sen, den mit Eu­rem Blu­te til­gen zu dür­fen Euch lieb sein soll­te?«

 

Ruß­worm wur­de hier­auf schweig­sam und nach­denk­lich. Da der Pa­ter ihn nach ei­ner Wei­le frag­te, ob er das hei­li­ge Abend­mahl zu neh­men wün­sche, bat er, zu­nächst eine Wei­le al­lein blei­ben zu dür­fen; er füh­le das Be­dürf­nis, in sein In­ne­res ein­zu­keh­ren und sich mit Gott zu ver­söh­nen, be­vor er das Sa­kra­ment emp­fin­ge.

Dun­kel zu­sam­men­ge­ballt wa­ren Ge­füh­le und Ge­dan­ken in der See­le des Feld­herrn em­por­ge­stie­gen; es grau­te und ge­lüs­te­te ihn zu­gleich, sie zu ent­wir­ren. Er trat an das Fens­ter und sah in die un­ru­hi­ge Spät­herbst­nacht hin­aus: wie eine Her­de hung­ri­ger Wöl­fe jag­te der Wol­ken­him­mel über die schau­dern­de Stadt hin. Vor der kal­ten, nas­sen Luft, die durch die Fu­gen drang, zog Ruß­worm un­will­kür­lich sei­nen Man­tel dich­ter über sich zu­sam­men. Es fiel ihm auf ein­mal die lang­ver­gan­ge­ne Zeit ein, wo er sich vor der Dun­kel­heit in die Arme der Mut­ter ge­flüch­tet hat­te. Wie hat­te ihn einst ihr Kuss be­se­ligt, mit dem sie zu­wei­len, wenn er fra­gend zu ihr auf­sah, ihm die Au­gen schloss! An sei­nem Bet­te hat­te sie das Luther­lied ge­sun­gen, und er er­in­ner­te sich plötz­lich deut­lich an das trot­zi­ge Blit­zen ih­rer schö­nen Au­gen, das sich für ihn mit dem Ge­sang ver­knüpf­te. Wie hat­te er spä­ter, als Ka­tho­lik, dies Lied so has­sen kön­nen, dass er, wenn er es in ei­ner Kir­che sin­gen hör­te, sich kaum zu­rück­hal­ten konn­te, mit sei­nen Sol­da­ten ein­zu­bre­chen und den Ket­zern mit dem Schwer­te das Maul zu stop­fen? Hat­te er sich über­haupt im­mer zu­rück­ge­hal­ten? Fast nie mehr hat­te er an sei­ne Kind­heit zu­rück­ge­dacht; der Tag sei­nes Re­li­gi­ons­wech­sels hat­te ihn von der Wur­zel sei­ner Ver­gan­gen­heit los­ge­ris­sen und den Stür­men des Schick­sals preis­ge­ge­ben. In die blen­den­de Zu­kunft stürz­te er sich, de­ren Gip­fel er in ei­nem An­lauf neh­men woll­te, einen Gip­fel des Ruh­mes, des Reich­tums, al­ler ir­di­schen Genüs­se. Wer ihm da­bei im Wege stand, den be­trach­te­te er als sei­nen Feind; nie­mals war es ihm in den Sinn ge­kom­men, das Recht der an­de­ren und ei­ge­nes Recht oder Un­recht ab­zu­wä­gen.

Ein grau­es Schloss im El­saß stieg vor ihm auf, des­sen un­heil­vol­le Schwel­le sei­ne Erin­ne­rung nie wie­der be­tre­ten hat­te; nun tat er es un­wil­lig, mit der Hand den Griff des Fens­ter­kreu­zes um­klam­mernd. Im Auf­tra­ge sei­nes da­ma­li­gen Vor­ge­setz­ten, des Mar­schalls Bas­som­pi­er­re, hat­te er es be­setzt und zu­gleich den Schutz ei­ner vor­neh­men Dame und ih­rer Toch­ter über­nom­men, die sich dort­hin ge­flüch­tet hat­ten. Die Mut­ter war schö­ner; aber das Mäd­chen, fast noch Kind, hat­te ihn wie einen Ge­sand­ten Got­tes an­ge­se­hen, des­sen Be­ruf es sei, das Böse auf Er­den zu be­kämp­fen, und ihr be­wun­dern­der, un­be­wusst sich hin­ge­ben­der Blick hat­te ihn hin­ge­ris­sen. Nach­dem er sie ver­führt hat­te, schi­en es ihm, als habe sie schuld an der är­ger­li­chen Sa­che, und die Em­pö­rung und Verzweif­lung der Mut­ter und das Fle­hen des Kin­des er­reg­ten eine so grau­sa­me Lust in ihm, dass er die Ge­schän­de­te in ei­ner wil­den Nacht sei­nen trun­ke­nen Ka­me­ra­den über­ließ. Er fühl­te kei­ne Reue, son­dern Wut und Hass, als er die ent­eh­ren­den Wor­te hö­ren muss­te, mit de­nen Mar­schall Bas­som­pi­er­re ihm sei­ne un­rit­ter­li­che Tat vor­warf. Vor schmach­vol­ler Stra­fe ret­te­te ihn die Flucht, und schon wähn­te er sich si­cher, als ein zu­fäl­li­ges Aben­teu­er ihn wie­der in die Hän­de des Mar­schalls führ­te, der un­ver­züg­lich das To­des­ur­teil an ihm voll­zie­hen woll­te.

Da­mals war er ver­fal­len. Wa­rum büß­te er nicht wil­lig sei­ne ers­ten Ver­bre­chen? War es Gott, der ihm noch ein­mal die Frei­heit gab, da­mit er sich durch edle Ta­ten ent­sün­dig­te? Er je­doch hat­te die Frist be­nützt, um sich de­sto tiefer in die Höl­le zu ver­stri­cken. Jetzt schi­en es ihm, als habe er, wäh­rend er sich der zwei­ten glück­li­chen Flucht ge­rühmt und sie als Ge­währ be­trach­tet habe, dass er ge­feit vor Ge­fah­ren sei, zu­tiefst in der Brust das Be­wusst­sein ge­tra­gen, dass er ein ent­ron­ne­ner Ver­bre­cher sei. Er sah sich, wie er den Sol­da­ten, den Ka­me­ra­den, den Vor­ge­setz­ten er­schi­en: stolz, ge­fürch­tet, be­wun­dert, ge­hasst; wie ihm nichts ge­nüg­te und eine sinn­lo­se Un­ge­duld ihn vor­wärts trieb. Die Sie­ge, die ein an­de­rer er­rang, freu­ten ihn nicht, die Ehren, die an­de­ren zu­teil wur­den, schmerz­ten ihn schlim­mer als Wun­den. Er­mor­det hat­te er we­der Schwar­zen­berg noch Mer­coeur, noch Solms; aber hät­te er sie nicht ster­ben las­sen, wenn es in sei­ner Macht ge­we­sen wäre? Ge­wiss war, dass ihr Tod ihm will­kom­men war und dass er sich ein­bil­de­te, Gott habe alle die­se Män­ner hin­ge­mäht, da­mit er auf­stie­ge. Er, der alle hass­te, die über ihm wa­ren, ver­gab nie­mals Neid oder Ei­fer­sucht und Wi­der­setz­lich­keit, die sich ge­gen ihn rich­te­ten. Er sah sich bei Raab, als die Tür­ken be­siegt und in die Flucht ge­schla­gen wa­ren, wie er, trun­ken vom Schlach­ten, trie­fend und kle­bend von Schweiß, Schmutz und Blut, durch das ver­las­se­ne La­ger der Tür­ken voll der von ih­nen zu­rück­ge­las­se­nen Schät­ze ritt, de­ren größ­ter Teil ihm, als dem Feld­obers­ten, zu­fal­len muss­te. Als sein Blick auf zwei Of­fi­zie­re fiel, die sich über einen Hau­fen kost­ba­rer Waf­fen her­ge­macht hat­ten und eben einen krum­men Sä­bel aus ge­ätz­tem Sil­ber mit ei­nem edel­stein­be­setz­ten Knauf in den Hän­den hiel­ten, über­mann­ten ihn Zorn und Gier, so­dass er vom Pfer­de sprang und sie Die­be schalt, die sich sei­nes Ei­gen­tums be­mäch­tig­ten. Der eine von ih­nen er­schrak und ent­schul­dig­te sich, in­so­fern es nicht er­laubt war zu plün­dern, so­lan­ge der Feind noch ver­folgt wur­de; der an­de­re, ein Nea­po­li­ta­ner, gab eine ge­reiz­te Ant­wort, die zu rä­chen sich Ruß­worm vor­be­hielt. In Prag war es, Jah­re nach­her, als er in das Zim­mer die­ses Man­nes drang, ihm ins Ge­sicht schlug und ihn, als er den De­gen zog, im ra­schen Zwei­kampf er­stach. Der war nicht der ein­zi­ge, der von sei­ner Hand ge­fal­len war.