Der Dreißigjährige Krieg

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Dann kam der Tag, wo das Schick­sal ihn dar­an mahn­te, dass er ver­fal­len war. Es war ein Som­mer­abend in Un­garn, und ein brei­ter Wind hauch­te über das Schilf, das am Ufer der still strö­men­den Theiß wuchs, so­dass die schma­len Sil­ber­lei­ber sich dreh­ten und nach den Wei­sen zu tan­zen schie­nen, die um ein Feu­er la­gern­de Zi­geu­ner geig­ten. Er, Ruß­worm, saß mit ein paar Freun­den in sei­nem Zelt und trank und spiel­te, als ei­ni­ge Of­fi­zie­re nä­her­ka­men, un­ter de­nen ein Frem­der war, der durch die aus­ge­such­te Ele­ganz, Keck­heit und An­mut sei­ner Er­schei­nung auf­fiel. Ruß­worm er­kann­te so­gleich, dass es we­der ein Deut­scher noch ein Ita­lie­ner, noch ein Wal­lo­ne war; es muss­te ein Fran­zo­se sein, und ein selt­sa­mes Frös­teln über­lief ihn, in­dem er das dach­te. Un­ter­des­sen wa­ren die Of­fi­zie­re her­an­ge­tre­ten und stell­ten den Frem­den als den jun­gen Herrn Bas­som­pi­er­re vor, der im Ge­fol­ge des Prin­zen von Join­ville ge­kom­men sei, um un­ter Ruß­worms Füh­rung ge­gen die Tür­ken zu kämp­fen. In­dem er sich ver­neig­te, sag­te der schö­ne jun­ge Mann, Ruß­worm habe, so viel ihm be­kannt sei, sei­ne Lauf­bahn un­ter sei­nem Va­ter, dem al­ten Mar­schall Bas­som­pi­er­re be­gon­nen; umso eher wer­de er jetzt dem Soh­ne ge­stat­ten, das Hand­werk von ihm zu ler­nen. Ruß­worm gab eine nicht un­höf­li­che, aber kur­ze Ant­wort, wäh­rend sein Herz beb­te; es kam ihm vor, als sei die schein­ba­re Un­be­fan­gen­heit des Fran­zo­sen er­küns­telt und als spie­le ein spöt­ti­sches Lä­cheln um sei­nen freund­li­chen Mund. Er war­te­te einen Au­gen­blick ab, wo er mit Bas­som­pi­er­re al­lein war, um ihm zu sa­gen, er habe nichts ge­gen ihn und wer­de ihm nichts zu­lei­de tun; aber sein An­blick sei ihm zu­wi­der, und er sol­le ihn mei­den, so viel das mög­lich sei. Den­noch sah er ihn oft, nicht nur im Fel­de, son­dern auch in den Häu­sern des ka­tho­li­schen Adels in Prag, wo nie­mand so er­folg­reich wie der jun­ge Bas­som­pi­er­re den Da­men den Hof zu ma­chen wuss­te; und so­wie er ihn er­blick­te, hör­te Ruß­worm die sü­ßen Gei­gen­tö­ne wie­der, die die Zi­geu­ner an je­nem Abend an der Theiß ge­spielt hat­ten.

Nie war Ruß­worm so wild und über­mü­tig, als wenn er Bas­som­pi­er­re in der Nähe wuss­te. Tol­le Fes­te fei­er­ten sie auf dem Schlos­se des Burg­gra­fen von Karl­stein, in des­sen jüngs­te Toch­ter er, Ruß­worm, eben da­mals ver­liebt war. In den Sä­len, wo man tanz­te, roch es nach Wachs, Schweiß und Blu­men; er hielt die Ge­lieb­te in den Ar­men und drück­te zum Ab­schied auf eine ih­rer Brüs­te, die aus dem sei­de­nen Mie­der quol­len, einen lan­gen Kuss, so­dass eine röt­li­che Stel­le sicht­bar blieb und das Mäd­chen auf­at­mend da­von­lief, um sich frisch zu pu­dern. Dann ritt er mit Bas­som­pi­er­re in die alte Stadt und er­zähl­te die­sem, er wis­se einen Gast­wirt mit zwei hüb­schen Töch­tern, die er ih­nen für ein paar Du­ka­ten ver­kup­peln wür­de. Der Wirt saß noch bei ei­nem Lämp­chen in der Gast­stu­be zwi­schen den Töch­tern, von de­nen die eine ihr ge­lös­tes Haar kämm­te, wäh­rend die an­de­re aus ei­nem al­ten Ka­len­der vor­las. Sie wur­den ein­ge­las­sen, und Ruß­worm setz­te sich so­fort zu der, die ihre Haa­re flocht und de­ren scheu­er Blick sei­ne Lei­den­schaft ent­zün­det hat­te. Er woll­te kei­ne Zeit ver­lie­ren, nann­te sie Lieb­chen und um­arm­te sie, und als der ent­rüs­te­te Va­ter ihn an­pack­te, droh­te er die­sem und be­haup­te­te, er habe schon Geld von ihm für sei­ne Kin­der an­ge­nom­men. Dass Bas­som­pi­er­re ihn warn­te und zu ver­mit­teln such­te, reiz­te ihn nur mehr: er hielt das jam­mern­de Mäd­chen in ei­nem Arme fest und wehr­te mit be­waff­ne­ter Hand den Va­ter ab; in­des­sen hat­te die an­de­re Toch­ter ein Fens­ter ge­öff­net und schrie um Hil­fe in die Nacht. Nun ka­men von ver­schie­de­nen Sei­ten die Nach­barn, mit Knüp­peln, Mes­sern und Äx­ten be­waff­net; er ver­such­te eine Wei­le, sich zu weh­ren, muss­te aber doch end­lich, am Arme ver­wun­det, das Mäd­chen los­las­sen und, von der er­bit­ter­ten Men­ge ver­folgt, durch die en­gen und stei­len Gas­sen flüch­ten.

Der Schweiß trat ihm bei der Erin­ne­rung auf die Stir­ne. Da­mals hat­te es ihn nicht an­ge­foch­ten; nur ein paar Tage spä­ter ritt er nachts an der Spit­ze ei­nes Mas­ken­zu­ges, denn es war Fa­sching, durch die Stadt, er in der Tracht ei­nes rei­chen Tür­ken, mit ei­nem per­len­be­han­ge­nen Tur­ban und ei­ner schar­lach­ro­ten Schär­pe aus­staf­fiert. Am Tore der Alt­stadt wur­den sie durch Wäch­ter auf­ge­hal­ten, die die Ver­ord­nung hat­ten, bei Nacht nie­man­den, wer es auch sei, pas­sie­ren zu las­sen. Ruß­worm, nicht wil­lens zu ge­hor­chen, trotz­te und droh­te mit sei­nem Na­men und An­se­hen; der Lärm führ­te den Haupt­mann der Po­li­zei­wa­che her­bei, der, nach­dem Ruß­worm sich zu er­ken­nen ge­ge­ben hat­te, die Ge­sell­schaft vor­beiließ und zu­gleich die Wäch­ter ent­schul­dig­te, die als arme Leu­te nur er­hal­te­ne Be­feh­le aus­ge­führt hät­ten. Die­se De­mü­ti­gung ge­nüg­te nicht, sei­nen Zorn zu be­sänf­ti­gen; viel­mehr be­wirk­te er, dass die Wäch­ter in har­tes Ge­fäng­nis ge­wor­fen wur­den und wo­chen­lang dort schmach­te­ten. Die Frau­en der Män­ner war­fen sich ihm zu Fü­ßen und fleh­ten sein Er­bar­men an, ohne dass es ihn rühr­te; ih­ren Män­nern, sag­te er, ge­sch­ehe recht, der Über­mut müs­se ge­straft wer­den, in Zu­kunft wür­den sie sei­nen Na­men ken­nen. Erst als zwei von den Ge­fan­ge­nen vor Käl­te und Hun­ger ge­stor­ben wa­ren, ließ er die üb­ri­gen frei.

Was hat­te ihn um­ge­trie­ben bei al­lem sei­nem Tun? Wo­hin war er ge­ra­ten? Sei­ne Bli­cke folg­ten den schwar­zen Wol­ken, die un­auf­halt­sam vor­über­feg­ten wie die Au­gen­bli­cke sei­nes grau­en­vol­len, be­sin­nungs­los ver­geu­de­ten Da­seins. Er hat­te das Wie­de­r­ein­tre­ten des Je­sui­ten­pa­ters über­hört und wen­de­te sich mit ei­nem Schrei des Schre­ckens um, als die­ser die Hand auf sei­nen Arm leg­te und ihn frag­te, ob er be­reit sei, das Abend­mahl zu emp­fan­gen.

Ruß­worm schlug die Hän­de vor das Ge­sicht, stürz­te auf die Knie und rief aus: »Ich bin der sün­den­volls­te al­ler Sün­der, nicht wert, dein Ge­wand, mein Va­ter, zu be­rüh­ren! Wie soll­te ich den Leib des Herrn emp­fan­gen?« Der Geist­li­che leg­te die Hand auf Ruß­worms Schei­tel, sag­te, dass Reue auch ein Über­maß von Sün­de zu til­gen ver­mö­ge, und for­der­te ihn auf, zu beich­ten. Fast eine Stun­de ver­ging dar­über, wor­auf der Je­suit dem Bü­ßen­den das Cre­do vor­zu­spre­chen be­gann. Als er die Wor­te aus­sprach: »Et in­car­na­tus est«, er­beb­te Ruß­worm, wie wenn ein Po­sau­nen­stoß sie be­glei­tet hät­te. »Auch mei­ne See­le«, rief er aus, »war ein un­s­terb­li­cher Hauch Got­tes, aber das Fleisch, in das sie ein­ging, hat sie ver­schlun­gen. Die Edle ist eine Skla­vin ge­wor­den, ent­stellt und be­su­delt, und ließ das Fleisch als einen grau­sa­men He­ro­des über sich tri­um­phie­ren. Es ist zu viel, zu viel«, stöhn­te er, »mei­ne Schuld ist zu groß für Got­tes Gna­de.« Die Trä­nen stürz­ten hef­tig aus sei­nen Au­gen, in­dem er die Knie des Pa­ters um­schlang. »Got­tes Gna­de ist un­er­mess­lich«, sag­te die­ser sanft. »Dass der Au­gen­blick da wäre«, flüs­ter­te Ruß­worm, »wo ich dies Fleisch op­fern darf, das durch und durch vol­ler Sün­de ist! Aber ist das Buße, dass ein Schwert mei­nen Na­cken durch­schnei­det? Ich möch­te, dass je­des mei­ner Glie­der ein­zeln zu Tode ge­mar­tert wer­den könn­te. Lang­sam soll­te das Feu­er mich ver­zeh­ren; viel­leicht lie­ße Gott zu, dass, wäh­rend mein Fleisch in Qua­len schmöl­ze, mei­ne See­le ver­jüngt und ge­rei­nigt wür­de.«

Der Pa­ter such­te den lei­den­schaft­lich Schluch­zen­den zu be­ru­hi­gen. »Er­gib dei­nen Wil­len in Gott«, sag­te er zu ihm, »auch dar­in, dass du nicht mehr op­fern willst, als er von dir ver­langt. Brin­ge dich ihm wil­lig dar, wenn die Stun­de kommt, und har­re de­mü­tig, wie er mit dir schal­ten will.«

Nach die­ser ge­walt­sa­men Auf­re­gung kam eine wohl­tä­ti­ge Ruhe und tiefer Schlaf über den Ver­ur­teil­ten. Er wur­de durch die Schrit­te und Re­den ver­schie­de­ner Män­ner ge­weckt, die sein Zim­mer be­tra­ten und un­ter de­nen er die ver­mumm­te Ge­stalt des Hen­kers er­kann­te. Ob es schon Zeit sei? frag­te er; man hät­te ihn län­ger schla­fen las­sen kön­nen. Es sei sechs Uhr, wur­de ihm geant­wor­tet, um sie­ben müs­se al­les vor­bei sein. Der Je­sui­ten­pa­ter, der ein Kru­zi­fix trug, nick­te ihm zu und schi­en ihm et­was sa­gen zu wol­len; al­lein er be­ach­te­te es nicht, plötz­lich von ei­nem durch­drin­gen­den Wi­der­wil­len und Zorn er­fasst. Auf sei­ne lau­te Fra­ge, ob des Kai­sers Ma­je­stät da­von un­ter­rich­tet sei, dass jetzt sein Haupt fal­len sol­le, ant­wor­te­te ei­ner der an­we­sen­den Rich­ter, es ge­sch­ehe al­les auf Be­fehl des Kai­sers. Ruß­worm stutz­te; es dräng­te ihn, das Fens­ter auf­zu­rei­ßen und die Vor­über­ge­hen­den um Ret­tung an­zu­ru­fen, der Kai­ser wer­de sie da­für be­loh­nen. Nicht mög­lich schi­en es ihm, nicht mög­lich, dass der Kai­ser ihn ver­lie­ße!

Drau­ßen war es noch dun­kel, in das Zim­mer fie­len rote Lich­ter von den Fa­ckeln, die die Wäch­ter hiel­ten. Das Ge­fühl, es be­ob­ach­te­ten ihn höh­nen­de Bli­cke und wei­de­ten sich an sei­ner To­des­furcht, ließ ihn sich fas­sen; er rich­te­te sich stolz auf und bat die An­we­sen­den, sei­nen Ab­schieds­wor­ten Ge­hör zu schen­ken.

Der Tod sei ihm er­wünscht, sag­te er ru­hig, durch den er die zahl­rei­chen Sün­den sei­nes Le­bens büße. Wol­le der Hen­ker ihm die be­fleck­te Hand ab­hau­en, be­vor er ihm das Haupt vom Rump­fe trenn­te, so wer­de er es ihm dan­ken. Nicht als ob er am Tode des Her­zogs von Mer­coeur schul­dig sei; auch den Bel­gio­jo­so habe er nicht ge­tö­tet, viel­mehr habe der ihm nach­ge­stellt und sei in die Gru­be ge­stürzt, die er ihm zum Fal­le ge­gra­ben habe.

 

Er wur­de leb­haf­ter und sprach schnel­ler und lau­ter. Noch we­ni­ger, fuhr er fort, habe er sich je­mals ge­gen das Haupt des Rö­mi­schen Rei­ches, den Kai­ser, ver­fehlt. Ja, er sei nei­disch und rach­süch­tig ge­we­sen, habe wüst mit Wei­bern ge­wirt­schaf­tet; aber den Kai­ser habe er ver­ehrt wie einen Va­ter und Herrn, der Traum sei­ner Ju­gend wie das Ziel sei­ner Man­nes­kraft sei ge­we­sen, sein Le­ben auf dem Schlacht­feld für den Kai­ser zu wa­gen. Er habe die Fein­de nie ge­fürch­tet, die von au­ßen die Macht des Kai­sers an­ge­grif­fen hät­ten, noch die im In­nern des Rei­ches sein Dien­stei­fer ge­reizt hät­te. Hei­lig über al­les sei ihm der Kai­ser ge­we­sen, Huld und Lohn hät­te er von ihm ver­dient; an­statt des­sen gebe er ihn dem Hen­ker preis. Zu spät wer­de er ihn zu­rück­wün­schen, er wer­de kei­nen fin­den, der ihm so er­ge­ben sei wie er. Nie­mand wer­de ihn vor den Ver­rä­tern schüt­zen, die ihn um­ring­ten, ver­las­sen wer­de er ster­ben, arm und ein­sam wie ein hei­mat­lo­ser Bett­ler.

Wäh­rend ei­ni­ge von Ruß­worms Rede er­schüt­tert wa­ren, mach­te der Vor­sit­zen­de des Ge­rich­tes Mie­ne, sei­ne Läs­te­run­gen ge­gen die kai­ser­li­che Ma­je­stät zu un­ter­bre­chen; in­des­sen leg­te der Je­suit die Hand auf sei­nen Arm und hielt ihm mit trau­ri­gem Blick das Kru­zi­fix ent­ge­gen. In Ruß­worms Zü­gen ging eine jähe und schreck­li­che Ver­än­de­rung vor; er riss das Kreuz dem Geist­li­chen aus der Hand, drück­te es an die Lip­pen und an das Herz und rief aus, in­dem er sich auf die Knie warf: »Mein Hei­land Je­sus Chris­tus, ver­gib mir; ich st­er­be gern als ein Sün­der zu dei­nen Fü­ßen.« In die­ser Stel­lung ver­harr­te er schwei­gend, bis der Streich fiel, der ihn mit eins tö­te­te.

Die­sel­be Nacht war dem Kai­ser un­ru­hig ver­lau­fen. Abends hat­te er mit Phil­ipp Lang, ein paar Ma­lern und Frau­en beim Wei­ne ge­ses­sen, bis er plötz­lich müde wur­de und zu Bett ver­lang­te. Er wach­te aber nach kur­z­em Schlaf wie­der auf und wur­de, je län­ger er sich schlaf­los hin und her warf, de­sto auf­ge­reg­ter. Phil­ipp Lang, den er zu sich ru­fen ließ, durch­schau­te, dass er gern von Ruß­worm ge­spro­chen hät­te, aber nicht selbst an­fan­gen moch­te, und er­zähl­te schein­bar bei­läu­fig, der Ver­ur­teil­te habe sei­ne Schuld ein­ge­se­hen und sich reu­mü­tig auf den Tod vor­be­rei­tet.

»Er ist ein trot­zi­ger Mensch«, sag­te der Kai­ser. »Wa­rum hat er mei­ne Gna­de nicht an­ge­ru­fen, da ich ihm doch im­mer ein mil­der Herr ge­we­sen bin?« Er sei sich wohl be­wusst ge­we­sen, dass er sie nicht ver­dient habe, mein­te Lang; auch habe er nie­mand au­ßer sich selbst ge­ach­tet.

Er sei auch tüch­tig ge­we­sen, sag­te der Kai­ser. Ja er habe ihm Glück ge­bracht. Jetzt sei er von Ver­rä­tern um­ge­ben und wis­se nicht, wem er trau­en sol­le.

Lang nann­te die­sen und je­nen, der Ruß­worm weit über­le­gen sei, und führ­te Bei­spie­le von dem ver­wahr­los­ten Zu­stan­de an, in den das Heer un­ter ihm ge­ra­ten sei. Er habe nur den Vor­zug plum­per Tap­fer­keit be­ses­sen; der ver­stor­be­ne Schwar­zen­berg habe stets an ihm ge­ta­delt, dass er al­les bes­ser wis­sen wol­le als die an­de­ren, dass aber sei­ne Plä­ne un­aus­führ­bar sei­en.

»Ei­ner be­nei­det den an­de­ren, und ei­ner miss­traut dem an­de­ren«, sag­te Ru­dolf. »Sie ha­ben es im Grun­de alle nur auf mein Geld ab­ge­se­hen.«

Wenn der Kai­ser woll­te Gna­de wal­ten las­sen, sag­te Lang vor­sich­tig, so kön­ne nie­mand ihn an der Aus­übung die­ses gött­li­chen Rech­tes hin­dern, wenn es hie und da auch bö­ses Blut ma­chen wer­de.

»Ich habe nie­mand als dich«, sag­te Ru­dolf kla­gend, »die­je­ni­gen, die mich eh­ren und lie­ben soll­ten, trach­ten nach mei­nem Le­ben. Mag der Ruß­worm üb­ri­gens sein, wie er will, er war mir er­ge­ben und war des­halb mei­nem Bru­der Matt­hi­as im Wege, der ihn ver­leum­de­te. Sie ha­ben es dar­auf ab­ge­se­hen, dass ich in ihm mich selbst op­fe­re.« Er stand vom Bett auf und ging, auf Lang ge­stützt, im Zim­mer auf und ab, das ein trü­bes Nacht­lämp­chen er­hell­te. In­des­sen kroch der Mor­gen an das Fens­ter; mit fie­bri­gen Au­gen sah der Kai­ser zu, wie sich un­ten die Dä­cher und Tür­me spitz und frös­telnd in das kah­le Zwie­licht zu boh­ren be­gan­nen.

Wäre Ruß­worm der kai­ser­li­chen Ma­je­stät so er­ge­ben ge­we­sen, sag­te Lang, so hät­te er nicht der­ma­ßen fre­vel­haf­te Re­den über sie füh­ren sol­len, wie vie­le ge­hört hät­ten; frei­lich sei er ja noch jung, und im Rau­sche kön­ne man die Wor­te nicht wä­gen, Gna­de sei im­mer wohl an­ge­wandt; wenn der Kai­ser es wol­le, so wer­de er schleu­nig einen Bo­ten mit der Be­gna­di­gung auf das Rat­haus schi­cken. Eile tue jetzt not, fuhr er fort, da Ru­dolf, sicht­lich er­leich­tert, doch noch ein we­nig zau­der­te, mit Ta­ge­s­an­bruch sol­le ja die Hin­rich­tung voll­zo­gen wer­den; wor­auf er ge­schäf­tig die nö­ti­gen An­ord­nun­gen traf und dem Bo­ten ein­schärf­te, zu lau­fen, so schnell ihn sei­ne Bei­ne trü­gen. Als der­sel­be vor dem Rat­hau­se an­kam, wur­de eben der in schwar­ze Tü­cher ge­wi­ckel­te Kör­per des Ge­rich­te­ten auf einen Wa­gen ge­la­den, um aus der Stadt ge­schafft zu wer­den.

Die­ser Mis­ser­folg er­schüt­ter­te den Kai­ser im ers­ten Au­gen­blick nicht son­der­lich; denn er hat­te sich in­zwi­schen vor­ge­stellt, was für un­be­que­me Fol­gen sein Ein­griff nach sich zie­hen könn­te und wie Ruß­worm viel­leicht über sei­ne Schwä­che prah­len und ihn heim­lich aus­la­chen wür­de. Schon am sel­ben Abend je­doch kam die Be­ängs­ti­gung wie­der, und es ge­wann den An­schein, als soll­te die Me­lan­cho­lie, die man schon über­wun­den glaub­te, sich des Kai­sers von Neu­em be­mäch­ti­gen.

1 fremd­län­disch, be­son­ders ro­ma­nisch, süd­län­disch <<<

4.

Der jun­ge Ma­xi­mi­li­an von Bay­ern war zäh, schlau und herrsch­süch­tig, ver­stieg sich in sei­nen Plä­nen aber nie zu hoch, son­dern zü­gel­te sie mit Ge­duld und Vor­sicht und wuss­te sei­nen Hoch­mut sehr wohl mit ei­ner schein­ba­ren Un­ter­ord­nung un­ter die Je­sui­ten zu ver­ei­nen, die je­doch bald merk­ten, dass ihre Macht über ihn nicht wei­ter ging, als sein Vor­teil zuließ oder etwa als ihr Ver­stand es über den sei­ni­gen da­von­trug. Das Äu­ße­re be­tref­fend, war er gut ge­wach­sen und hat­te ein hüb­sches, re­gel­mä­ßi­ges Ge­sicht, das frei­lich die Weich­heit der Ju­gend früh ver­lor; sei­ne Sinn­lich­keit war feu­rig, und es konn­te nicht feh­len, dass er in Lie­bes­an­ge­le­gen­hei­ten ge­riet, de­nen er sich mit Lei­den­schaft hin­gab. Sein Beicht­va­ter, dem bei den häu­fi­gen Ge­sprä­chen, die er mit Ma­xi­mi­li­an führ­te, die­se Vor­gän­ge nicht ver­bor­gen blie­ben, be­schränk­te sich zu­erst auf die War­nung, der Prinz sol­le Meis­ter sei­ner Ge­füh­le zu blei­ben su­chen. Nach ei­ner Wei­le ließ er sich häu­fi­ger dar­über aus, was für Pf­lich­ten ein ka­tho­li­scher Re­gent in Be­zug auf die Wei­ber, ins­be­son­de­re sei­ne Ehe­frau habe; er sei näm­lich für ihr Be­tra­gen ver­ant­wort­lich und müs­se sie so zie­hen und hal­ten, dass sie zu kei­nem Ta­del, viel­mehr zum Lobe An­lass gebe. Vor al­len Din­gen dür­fe er ihr kei­nen Ein­fluss auf die Re­gie­rungs­hand­lun­gen ge­stat­ten, denn für die­se müs­se haupt­säch­lich der Wil­le Got­tes und das Wohl der Kir­che, teils aber auch die so­ge­nann­te rai­son d’état oder Staats­ver­nunft maß­ge­bend sei. Es sei des­halb not­wen­dig, dass kein weib­li­cher Ein­fluss, wie er im Ehe­bett sich all­zu leicht gel­tend ma­che, sich ei­nes Fürs­ten be­mäch­ti­ge und dass in sei­nen Ver­hält­nis­sen zu den Wei­bern die Nei­gung zu­rück­tre­te. Die fleisch­li­chen Trie­be, die der Na­tur des Men­schen an­haf­te­ten, dürf­ten wohl be­frie­digt wer­den, aber es dür­fe kein Ver­hält­nis dar­aus er­wach­sen, das sein Füh­len und Den­ken dau­ernd in An­spruch näh­me.

Zum ers­ten Male be­merk­te der Beicht­va­ter, dass sein sonst so wil­li­ger Schü­ler ihm schwei­gend wi­der­streb­te, wes­halb er sich ent­schloss, die Ge­fahr, die sich hier ent­wi­ckeln konn­te, nach­drück­lich zu be­kämp­fen. Er sprach ein­ge­hend über die Be­schaf­fen­heit des Wei­bes, die es wohl taug­lich ma­che, ein Ge­fäß des Man­nes, aber nicht wür­dig, sei­ne Ge­fähr­tin zu sein. Vie­le Kir­chen­leh­rer sei­en im Zwei­fel, ob das Weib fä­hig sei, in den Him­mel, das heißt in die un­mit­tel­ba­re Nähe Got­tes zu ge­lan­gen als höchs­tens mit­tel­bar durch den Mann, da es kei­ne per­sön­li­che See­le habe und des Ei­gen­le­bens bar sei, in­so­fern etwa mit den Tie­ren auf ei­ner Stu­fe. Ge­schaf­fen sei die Frau, eben­so wie das Tier, da­mit der Mann sich sei­ner nach Be­darf be­die­ne, und sei des­halb sei­ner fleisch­li­chen Na­tur ent­spre­chend und auf sie wir­kend ge­macht, als der­je­ni­gen Sei­te sei­nes We­sens, mit der er selbst ver­werf­lich und ver­gäng­lich sei. Nur ei­ne Frau habe auf Er­den ge­lebt, die rein und von der Ge­brech­lich­keit der Wei­ber frei sei, die Hei­li­ge Jung­frau, und es sei die Mei­nung ei­ni­ger ge­lehr­ter Vä­ter des Or­dens Jesu, dass das weib­li­che Ge­schlecht durch sie er­löst wer­den kön­ne, wäh­rend an­de­re glaub­ten, dass Ma­ria ge­wis­ser­ma­ßen die Dar­stel­le­rin die­ses nie­de­ren Ge­schlech­tes sei und das­sel­be in ihr An­teil an Gott habe, ohne selbst über sei­ne kur­ze tie­ri­sche Exis­tenz hin­aus­zu­kom­men. Die­ses al­les be­den­kend, kön­ne ein Fürst der Wei­ber sich wohl be­die­nen, wenn es nö­tig sei, sol­le sich aber nicht zu ih­rem Knecht ma­chen, vor ih­nen schar­wen­zeln und knie­beu­gen, sie etwa gar ver­göt­tern, wie man­che heid­nischer- und scham­lo­ser­wei­se tä­ten. Die Kö­ni­gin des Him­mels, die von En­geln Ge­tra­ge­ne, die un­be­fleckt emp­fan­gen habe, der sol­le er sein Herz wei­hen. Sie, die ma­kel­los Schö­ne, die un­ver­welkli­che, nie sich ent­blät­tern­de Rose, die wol­ken­los Strah­len­de, die Hold­se­li­ge, Gna­den­rei­che, All­ver­zei­hen­de, sei die ein­zi­ge Dame, der ein Fürst sich an­be­tend hin­ge­ben kön­ne, ohne sich zu er­nied­ri­gen. Wer ihr hie­nie­den nie­wan­ken­de Er­ge­ben­heit be­wie­se, den wür­de ihre Li­li­en­hand am Tore des Him­mels emp­fan­gen, um ihn in der Ewig­keit für die kur­ze Span­ne ir­di­scher Ent­sa­gung zu ent­schä­di­gen.

Sol­che Wor­te fach­ten all­mäh­lich Lie­be zu der Him­mels­jung­frau im Her­zen des Prin­zen an, frei­lich nicht ohne Kämp­fe und Rück­fäl­le. Um die Ent­wick­lung zu be­för­dern, leg­te der Beicht­va­ter sei­nem Zög­ling al­ler­lei geist­li­che Übun­gen auf, Ver­sen­kung in vor­ge­schrie­be­ne Be­trach­tun­gen, viel­stün­di­ge Ge­be­te und zwi­schen­durch Gei­ße­lun­gen und Kas­tei­un­gen. In dem da­durch her­vor­ge­ru­fe­nen Zu­stan­de von Er­re­gung er­blick­te der Prinz zu­fäl­lig ein von dem Ma­ler Rott­mann ver­fer­tig­tes Bild der Jung­frau Ma­ria in ei­ner von zahl­lo­sen Blu­men durch­spross­ten Land­schaft, von la­chen­den En­gels­kin­dern wie von ei­nem Früh­lings­kran­ze um­ge­ben, den Be­schau­er mit frau­en­haf­ter Güte und Lieb­lich­keit an­lä­chelnd. Hin­ge­ris­sen von der Schön­heit der un­er­reich­bar Schwe­ben­den, ge­lob­te er ihr das rei­ne Feu­er sei­nes Her­zens und den Dienst sei­nes gan­zen Le­bens, so­dass er alle sei­ne Ta­ten in ih­rem Na­men und zu ih­rer Ver­herr­li­chung tun wol­le. Bald reif­ten ihm auch die Früch­te sei­nes Ent­schlus­ses, in­dem das Be­wusst­sein, der himm­li­schen Frau an­zu­ge­hö­ren, ins­ge­heim mit ihr, der über al­len ir­di­schen Wei­bern, ja über al­len Men­schen Thro­nen­den in­brüns­tig und auf ewig ver­bun­den zu sein, ihn in er­ha­be­ner Höhe un­er­schüt­ter­lich fest­stell­te. Er be­gann die Frau­en, die er mit der Voll­kom­men­heit sei­ner Her­rin ver­glich, ge­ring­zu­schät­zen und un­ge­rührt an ih­nen vor­über­zu­ge­hen, wäh­rend sie durch sei­ne stren­ge Zu­rück­hal­tung dop­pelt an­ge­zo­gen wur­den. Es wäre ihm nicht schwer ge­wor­den, un­ver­mählt zu blei­ben; aber da er für einen Nach­fol­ger zu sor­gen hat­te, hei­ra­te­te er sei­ne Base Eli­sa­beth Re­na­te von Loth­rin­gen, üb­ri­gens ohne dass der Zweck der Ver­bin­dung er­reicht wur­de. Die Al­lein­herr­schaft der Jung­frau Ma­ria im Her­zen Ma­xi­mi­lians wur­de durch die Ehe nicht an­ge­tas­tet, grün­de­te sich viel­mehr mit den Jah­ren im­mer fes­ter und si­che­rer. Die oft lang­wie­ri­gen Re­gie­rungs­ge­schäf­te er­hiel­ten eine ge­wis­se Sü­ßig­keit durch die Vor­stel­lung, dass es sich um ihr Land und ihr Volk hand­le, wel­ches er, als der Statt­hal­ter der an­ge­be­te­ten Kö­ni­gin, um sie zu­frie­den­zu­stel­len, in einen mög­lichst hei­lig­mä­ßi­gen Zu­stand zu ver­set­zen habe.