Der Dreißigjährige Krieg

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Au­ßer der Jagd und den Trink­fes­ten nah­men Lie­bes­sa­chen die Zeit Her­zog Fried­richs von Würt­tem­berg in An­spruch. Er hat­te meh­re­re Jah­re mit ei­nem ehe­ma­li­gen Hoffräu­lein sei­ner Frau ge­lebt, die ihm be­reits lang­wei­lig zu wer­den an­fing, als er die fünf­zehn­jäh­ri­ge Toch­ter ei­nes Sän­gers aus sei­ner Ka­pel­le sah, de­ren sprö­de Ju­gend ihn ent­zück­te und die zu vol­ler Blü­te an­zu­fa­chen er sich so­fort un­wi­der­steh­lich ge­trie­ben fühl­te. Mit der Ent­las­sung der bis­he­ri­gen Ge­lieb­ten wur­de der Hof­pre­di­ger be­traut, der sich denn auch seuf­zend an­schick­te, die Frau in Kennt­nis zu set­zen. Sie sol­le sich, riet er ihr, zu ih­rer Fa­mi­lie be­ge­ben oder sonst einen ent­le­ge­nen Ort wäh­len, wo sie in der Stil­le wei­len kön­ne; denn in der Nähe des Her­zogs sei ih­res Blei­bens nicht län­ger, ihre Ge­gen­wart sei ihm un­leid­lich, weil sie ihn an be­gan­ge­nes Un­recht er­in­ne­re. Es blei­be ihr so­mit nichts an­de­res üb­rig, als den Wil­len des Her­zogs zu re­spek­tie­ren und sich zu bes­sern.

Die fas­sungs­lo­se Dame war den Ratschlä­gen und Vor­stel­lun­gen des Pre­di­gers nicht zu­gäng­lich und wuss­te sich den Zu­tritt zum Her­zog zu er­zwin­gen. Die­ser fing an mit kur­z­en, schnel­len Schrit­ten im Zim­mer auf und ab zu ge­hen und laut über ihr un­ge­hor­sa­mes, wi­der­spens­ti­ges, un­ar­ti­ges We­sen zu kla­gen. Un­mög­lich sei es, mit ei­nem sol­chen Wei­be zu le­ben, zu lan­ge schon habe er es er­tra­gen, an­statt ihm dank­bar zu sein, habe sie ihn un­glück­lich ge­macht; wenn er nicht schleu­nig von ihr be­freit wer­de, müs­se er zu­grun­de ge­hen. In­dem sie sich auf den Bo­den warf und sei­ne Füße um­schlang, er­in­ner­te sie ihn un­ter Trä­nen an sei­ne Lie­bes­schwü­re, ver­gan­ge­nes Glück und der­glei­chen, wie er an ei­nem lieb­li­chen Früh­lings­abend un­ter ei­nem blü­hen­den Birn­baum sie, die Ver­zag­te, an sich ge­zo­gen und sich ver­schwo­ren habe: die Zun­ge sol­le ihm ver­fau­len, wenn er je ein un­hol­des Wort zu ihr spre­che!

»Ja«, schrie der Her­zog wü­tend, »da­mals lieb­te ich dich, und jetzt hast du mei­ne Lie­be ver­scherzt, das ist ein Un­ter­schied!« Wenn sie sich jetzt in an­stän­di­ger Ver­bor­gen­heit hal­ten und ihre Zun­ge hü­ten wol­le, fuhr er ru­hi­ger fort, wol­le er et­was für sie tun; füh­re sie aber fort, ihn zu er­zür­nen, so wer­de er sie ein­sper­ren und ge­büh­rend be­stra­fen.

Nach­dem die­se Per­son be­sei­tigt war, er­hielt der Hof­pre­di­ger den Auf­trag, die Her­zo­gin da­von in Kennt­nis zu set­zen, was ihn ver­an­lass­te, den Her­zog mit vor­sich­ti­gem Au­gen­blin­zeln zu fra­gen, ob er etwa das neue Dirn­lein auch an­wei­sen müs­se. Der Her­zog zog zu­erst die Brau­en zu­sam­men, schlug dann aber ein lau­tes Ge­läch­ter auf und sag­te, nein, dar­auf ver­ste­he er sich bes­ser.

Die Her­zo­gin, eine Prin­zes­sin von An­halt, sah ih­ren Ge­mahl nur noch sel­ten. Sie be­schäf­tig­te sich da­mit, in der Bi­bel zu le­sen und Stücke dar­aus, die sie be­son­ders lieb­te, in fran­zö­si­sche Spra­che zu über­tra­gen. Bei­nah täg­lich emp­fing sie den Be­such des Hof­pre­di­gers, mit dem sie sich über theo­lo­gi­sche Fra­gen un­ter­hielt und von dem sie über die Vor­gän­ge am Hof und im Lan­de un­ter­rich­tet wur­de. Als er ihr von der Ver­ab­schie­dung der letz­ten Ge­lieb­ten ih­res Man­nes Mit­tei­lung mach­te und zu­gleich ihre Mild­tä­tig­keit für die Ver­sto­ße­ne in An­spruch nahm, be­merk­te er, dass das blas­se Ge­sicht der Her­zo­gin sich rö­te­te und den Aus­druck hof­fen­der Er­war­tung kaum zu­rück­hal­ten konn­te. Er be­trach­te­te sie ver­wun­dert und schwieg eine Wei­le in großer Ver­le­gen­heit, wäh­rend er sich mit ei­nem Tüch­lein den Schweiß von der Stirn wisch­te. Dann er­wähn­te er be­hut­sam das klei­ne Mäd­chen, das die Auf­merk­sam­keit des Her­zogs er­regt habe und für des­sen Zu­kunft er vä­ter­lich sor­gen wol­le, wes­we­gen es in der Nähe des Schlos­ses ein­quar­tiert sei. Die Au­gen der Her­zo­gin er­lo­schen wie­der, und sie sag­te, sich auf ihr ehe­ma­li­ges Hoffräu­lein be­zie­hend, sie wol­le sie gern nach ih­rem ge­rin­gen Ver­mö­gen un­ter­stüt­zen, wenn ihre El­tern es nicht tä­ten. »Ich habe es ihr vor­aus­ge­sagt«, fuhr sie fort, »dass es so kom­men wür­de, denn ich kann­te mei­nen Herrn. Sie stand ein we­nig be­schämt vor mir, aber doch sah ich, wie glück­lich und wie stolz und ei­gen­sin­nig sie war, und konn­te von ih­rem Ge­sicht, das wie Ap­fel­blü­ten leuch­te­te, ab­le­sen, was sie dach­te: ›Du kennst ihn nicht, du Arm­se­li­ge! Du frei­lich ver­magst ihn nicht zu fes­seln! Kei­ne ver­möch­te es! Aber ich, ich! Mich, die Al­ler­lieb­lichs­te, wird er nie­mals ver­las­sen!‹ – Es ist nur Gott«, setz­te die Her­zo­gin ge­dan­ken­voll hin­zu, »der uns nie­mals ent­täuscht, weil er die Voll­kom­men­heit ist. Aber un­se­re See­le, die der nied­ri­gen Erde ver­wach­sen ist, er­reicht den Him­mel nicht im­mer.«

»Das Ge­bet, das lie­be Ge­bet trägt uns hin­auf«, sag­te der Pfar­rer und fing an, al­ler­lei ku­rio­se Ge­schich­ten von der Wun­der­wir­kung des Ge­be­tes zu er­zäh­len, wo­mit er die Her­zo­gin schließ­lich so­gar zum La­chen brach­te.

Ei­nes Vor­mit­tags trat in die Apo­the­ke ein in Pelz­werk und einen bun­ten Kaftan wun­der­lich ge­klei­de­ter Mann, der An­ti­mon, Mer­kur und Flos fer­ri zu kau­fen ver­lang­te und um Er­laub­nis bat, in ir­gend­ei­nem Ne­ben­raum der Apo­the­ke ei­ni­ge Ver­su­che da­mit ma­chen zu dür­fen. Er be­dien­te sich da­bei der la­tei­ni­schen Spra­che, die er mit deut­schen, fremd­ar­tig aus­ge­spro­che­nen Wör­tern ver­meng­te. Der Apo­the­ker, der in dem Man­ne so­fort einen Adep­ten er­kann­te, ant­wor­te­te zö­gernd, das Gold­ma­chen, wor­auf er au­gen­schein­lich aus­ge­he, sei im Würt­tem­ber­gi­schen eine wei­taus­se­hen­de, ge­fähr­li­che Sa­che, die al­ler­lei Un­ver­mu­te­tes nach sich zu zie­hen pfle­ge. Er selbst sei auch in der Wis­sen­schaft nicht un­er­fah­ren, hiel­te aber die Hän­de da­von und rie­te auch dem Frem­den, sei­ne Kennt­nis­se als ein vor­sich­ti­ger Mann ge­heim­zu­hal­ten. Es wa­ren un­ter­des­sen mehr Leu­te in den La­den ge­tre­ten, de­ren Neu­gier durch die auf­fal­len­de Er­schei­nung des Rei­sen­den, sei­nen ho­hen Pelz­hut, die große sil­ber­ne, mit far­bi­gen Stei­nen be­setz­te Schnal­le, die den schar­lach­rot ge­füt­ter­ten Kaftan zu­sam­men­hielt, er­regt wur­de. Ob­wohl der Apo­the­ker war­nend den Fin­ger auf den Mund leg­te, ließ der Frem­de sich nicht bit­ten, son­dern schwatz­te be­reit­wil­lig von sei­ner Kunst und zeig­te ein in ei­nem glä­ser­nen Büchs­chen ver­schlos­se­nes pfir­sich­blü­ten­far­be­nes Pul­ver, mit des­sen Hil­fe er sich rühm­te, ganz Stutt­gart mit pu­rem Gol­de über­zie­hen zu kön­nen. Als er wie­der­um mit dem Apo­the­ker al­lein war, mahn­te ihn die­ser ernst­lich, nun­mehr flugs die Stadt zu ver­las­sen, be­vor sei­ne An­we­sen­heit dem Her­zog hin­ter­bracht sei; denn die­ser sei nun ein­mal auf das Gold­ma­chen er­picht und wür­de ihn nicht eher los­las­sen, als bis er sei­nen Durst nach die­sem Me­tall voll­kom­men ge­stillt habe. Vor ei­ni­gen Jah­ren sei auch ei­ner ge­kom­men, den habe der Her­zog wie einen Hei­land emp­fan­gen, ihn zum Feld­mar­schall und Ober­jä­ger­meis­ter er­nannt, ihn bei Ti­sche ne­ben sich sit­zen las­sen und ihm selbst das Fleisch vor­ge­schnit­ten und den Wein ein­ge­schenkt. Näch­te­lang habe der Her­zog ihm zu­ge­se­hen, wie er im La­bo­ra­to­ri­um ge­mischt und ge­kocht habe, ja ei­ni­ge be­haup­te­ten so­gar, er habe ihn um­armt und Herz­bru­der ge­nannt. Wie aber die Ta­ler und das Gold hau­fen­wei­se in den Ta­schen des Adep­ten ver­schwun­den sei­en, in sei­ner Pfan­ne aber nichts ge­ra­ten sei, habe ihn der Her­zog in bil­li­ger Ent­rüs­tung am Gal­gen auf­hän­gen las­sen.

Das habe der Be­trü­ger denn wohl auch ver­dient, sag­te der Frem­de mit ei­nem über­le­ge­nen Lä­cheln; ihm kön­ne es so nicht ge­hen, denn er sei im Be­sit­ze des wah­ren Ar­kan­ums, er füh­re den ech­ten Bräu­ti­gam in die Kam­mer, der die Braut nicht un­ge­seg­net aus dem Feu­er­bett las­sen wer­de.

Ach, sag­te der Apo­the­ker, das wer­de ihm auch nicht hel­fen, an ei­nem Bröck­lein oder Häuf­lein Gold wer­de sich der Her­zog nie­mals ge­nü­gen las­sen; so viel, wie der ha­ben wol­le, kön­ne ein ar­mer Adept ge­mei­nig­lich doch nicht pro­du­zie­ren, da müs­se er schon mit dem Teu­fel im Bun­de ste­hen. Er hat­te kaum aus­ge­spro­chen, als ei­ner vom Hof­staat des Her­zogs in die Apo­the­ke trat, ein höf­li­ches Ge­spräch mit dem Frem­den an­knüpf­te und ihn auf­for­der­te, ei­ni­ge Ex­pe­ri­men­te im Schlos­se zu ma­chen; der Her­zog habe ein vor­treff­li­ches La­bo­ra­to­ri­um und wol­le sich gern von ei­nem er­prob­ten Künst­ler un­ter­wei­sen las­sen. Es hat­te näm­lich ei­ner von den Be­diens­te­ten der Hof­kü­che, der ge­ra­de Ein­käu­fe an Ge­wür­zen und Le­cke­rei­en in der Apo­the­ke mach­te, die Neu­ig­keit von der An­we­sen­heit des Wun­der­man­nes in das Schloss ge­tra­gen, wor­auf Her­zog Fried­rich Be­fehl ge­ge­ben hat­te, ihn ein­zu­la­den und, kos­te es, was es wol­le, zu ihm zu füh­ren. Der Frem­de er­schrak ein we­nig, woll­te es aber nicht mer­ken las­sen und be­stell­te, sich ge­wal­tig auf­bla­send, noch al­ler­lei Tink­tu­ren und Mi­ne­ra­li­en bei dem Apo­the­ker, der ihm, wäh­rend er al­les zu­sam­men­trug, kläg­lich zu­zwin­ker­te.

Bil­lig­ten die Theo­lo­gen das Trei­ben ih­res Herrn auch nicht, so dank­ten sie es ihm doch, dass er sie un­ge­stört in ih­rem Krei­se wal­ten ließ und nicht etwa wie an­de­re Fürs­ten kal­vi­nis­ti­sche Um­sturz­ge­lüs­te hat­te. Die Luthe­ra­ner hat­ten nach ih­rer Mei­nung eine fel­sen­si­che­re Stüt­ze in der Augs­bur­gi­schen Kon­fes­si­on, als die von Kai­ser und Reich ver­bürgt sei, und glaub­ten, es kön­ne nur über die Kal­vi­ner her­ge­hen, die kein Recht und kei­ne Si­cher­heit er­wor­ben und auf nichts Schrift­li­ches po­chen könn­ten.

 

Da fiel ein Er­eig­nis vor, wel­ches die Evan­ge­li­schen in wei­tem Um­kreis auf­schreck­te und auch den Be­que­me­ren zu den­ken gab. Zu­nächst hat­te es nicht viel zu be­deu­ten, dass in der evan­ge­li­schen Reichs­stadt Do­nau­wörth, wo sich ein ka­tho­li­sches Klos­ter be­fand, eine Pro­zes­si­on wi­der das Her­kom­men au­ßer­halb der Kir­che mit flie­gen­den Fah­nen um­zog und von an­griffs­lus­ti­gem Stra­ßen­vol­ke be­läs­tigt wur­de; aber un­ver­se­hens nahm die Sa­che ein erns­te­res Aus­se­hen, da die Ka­tho­li­schen sich kla­gend an den Kai­ser wand­ten, der Stadt­rat aber, von der trot­zi­gen Bür­ger­schaft ge­drängt, nicht nach­ge­ben woll­te. Hin und wi­der wur­de ver­mit­telt und be­ra­ten, aber kei­ne Ver­stän­di­gung er­zielt, wor­auf der Kai­ser end­lich über die hart­nä­cki­ge Stadt die Acht ver­häng­te und den Her­zog von Bay­ern zum Voll­stre­cker der­sel­ben er­klär­te. Die­ser ei­gen­mäch­ti­ge Akt rief all­ge­mei­ne Ent­rüs­tung un­ter den Evan­ge­li­schen her­vor, und auch die Ka­tho­li­schen bil­lig­ten ihn nicht alle, teils aus Ei­fer­sucht auf Bay­ern, teils weil die Be­rech­ti­gung dazu au­gen­schein­lich be­streit­bar war. Am meis­ten reg­te sich der alte Her­zog von Neu­burg als der Nach­bar von Do­nau­wörth und Bay­ern auf; denn er zwei­fel­te nicht dar­an, dass Ma­xi­mi­li­an bei die­ser Ge­le­gen­heit sein Ge­biet über­zie­hen und über­haupt ge­gen alle Ket­zer auf ein­mal aus­ho­len wür­de. Er schick­te Bo­ten nach al­len Sei­ten: nach Do­nau­wörth, um ihm Hil­fe zu ver­spre­chen und es zum Aus­har­ren zu er­mun­tern, nach der Stadt Ulm und nach Würt­tem­berg, um auf freund­nach­bar­li­che und glau­bens­ver­wand­te Un­ter­stüt­zung zu drin­gen, ja so­gar nach Kur­pfalz, um an­zu­klop­fen, wes­sen man sich in der Not von dort zu ge­wär­ti­gen habe.

Auch dem Her­zog von Bay­ern war nicht durch­aus wohl zu­mu­te. Er hat­te längst ein Auge auf die Stadt Do­nau­wörth ge­wor­fen, an wel­che er alte Rech­te ha­ben woll­te, und hat­te des­halb die Ge­le­gen­heit, sich ein­zu­drän­gen, gern er­grif­fen; aber er ver­hehl­te sich nicht, dass er da­mit das Pfand noch nicht im ei­ge­nen Sa­cke hat­te, und wenn er nach voll­zo­ge­ner Acht wie­der ab­zie­hen muss­te, so hat­te er um­sonst vie­le Kos­ten auf­ge­wendet, die ihm we­der die klei­ne Reichs­stadt noch der in Schul­den fast er­trin­ken­de Kai­ser er­set­zen wür­de.

Jo­cher, sein klügs­ter und flei­ßigs­ter Rat, muss­te den Fall vom recht­li­chen Ge­sichts­punkt un­ter­su­chen und kam zu dem Schlus­se, dass kein Rechts­ti­tel vor­han­den sei, un­ter dem der Her­zog An­spruch auf die Reichs­stadt er­he­ben kön­ne; in­des­sen lie­ßen sich, wenn der Her­zog wol­le, schon Um­we­ge zum Zie­le fin­den, und einen sol­chen bie­te eben die Geld­fra­ge. Er müs­se näm­lich die Rech­nung über die auf­ge­wende­ten Kos­ten von vorn­her­ein so groß ma­chen, dass der Kai­ser in ab­seh­ba­rer Zeit nicht dar­an den­ken könn­te, sie zu be­zah­len, und also die Sa­che still­schwei­gend ver­al­ten und ver­jäh­ren las­sen müs­se.

Nun blieb frei­lich im­mer noch zu fürch­ten, dass die Stadt sich klüg­lich der Gna­de des Kai­sers un­ter­wür­fe, was bei­den, der Stadt und dem Kai­ser, das liebs­te ge­we­sen wäre; aber dies un­ter­blieb auf das Drän­gen ei­ni­ger Heiß­spor­ne, die das Volk mit dem ver­hei­ße­nen Bei­stand der Glau­bens­ge­nos­sen ver­trös­te­ten. Der Her­zog von Neu­burg woll­te sich her­vor­wa­gen, wenn die Stadt Ulm den An­fang mach­te; da sich die­se aber auf Würt­tem­berg ver­ließ, wel­ches nicht ge­neigt war, sich ein­zu­mi­schen, so rühr­te sich kei­ner, und es blieb der ver­las­se­nen, vor der her­an­rücken­den Macht des Her­zogs hef­tig er­schro­cke­nen Stadt nichts üb­rig, als sich dem ge­stren­gen Herrn zu un­ter­wer­fen. In sei­nem Ge­fol­ge wa­ren meh­re­re Je­sui­ten, die den Auf­trag hat­ten, die Bür­ger­schaft in der Wei­se zum ka­tho­li­schen Glau­ben zu be­keh­ren, dass das ge­ge­be­ne Wort des Her­zogs, ge­walt­sa­me Mit­tel soll­ten dazu nicht an­ge­wandt wer­den, da­bei be­ste­hen kön­ne.

Die evan­ge­li­schen Fürs­ten är­ger­ten sich nicht we­nig, dass die glau­ben­streue Stadt so lie­der­lich ver­lo­ren­ge­gan­gen war und dass der hoch­mü­ti­ge und hab­gie­ri­ge Bay­ern­her­zog eine so ge­schwin­de und bil­li­ge Beu­te hat­te ge­win­nen kön­nen, und der Drang, das Ge­sche­he­ne in et­was gutz­u­ma­chen und ähn­li­che Ver­stö­ße in Zu­kunft zu ver­hin­dern, be­feu­er­te sie zu ei­ner ge­wis­sen Ein­mü­tig­keit und Tat­kraft. Von dem herz­haf­ten Chris­ti­an von An­halt zu­sam­men­ge­hal­ten und an­ge­spornt, brach­ten sie ein Bünd­nis zu­we­ge, das sie Uni­on nann­ten und das sei­nen ei­gent­li­chen Rück­halt, da sich im Rei­che ge­nü­gen­de Kraft nun ein­mal nicht auf­brin­gen ließ, in ei­nem heim­li­chen Freun­de, dem Kö­ni­ge von Frank­reich, Hein­rich IV., fin­den soll­te. Hes­sen-Kas­sel und Kur­bran­den­burg wur­den im fol­gen­den Jah­re für die Uni­on ge­won­nen, Kur­sach­sen hin­ge­gen, ob­wohl die ei­gent­li­che Vor­macht der Evan­ge­li­schen, eben­so Her­zog Hein­rich Ju­li­us von Braun­schweig-Wol­fen­büt­tel blie­ben miss­bil­li­gend ab­seits.

6.

Ei­ner von den Söh­nen Kai­ser Ru­dolfs, Don Gi­u­lio d’Austria, war durch die Ord­nungs­lo­sig­keit sei­ner Le­bens­füh­rung so an­stö­ßig ge­wor­den, dass der Va­ter ihn nach der Herr­schaft Kru­mau ent­fernt hat­te, wo er we­ni­ger be­merkt wur­de und wo die Ein­woh­ner­schaft se­hen muss­te, mit ihm aus­zu­kom­men. Das zü­gel­lo­se Be­neh­men des jun­gen Ba­stards er­schöpf­te je­doch end­lich ihre Ge­duld; er ver­folg­te Mäd­chen und Frau­en auf der Stra­ße und bis in die Häu­ser und be­han­del­te die Män­ner, die es ihm weh­ren woll­ten, als re­bel­li­schen Pö­bel, den er zu stra­fen wis­sen wer­de. Da­rauf­hin wur­de er vom Kai­ser wohl ein­mal zur Ord­nung ge­wie­sen, ohne dass je­doch et­was We­sent­li­ches ge­än­dert wur­de. Nun lern­te Don Gi­u­lio bei ei­nem Tanz, wo er sich ein­ge­drängt hat­te, die Toch­ter ei­nes Bar­biers ken­nen, ein scheu­es, mehr lieb­rei­zen­des als schö­nes Mäd­chen, in die er sich ver­lieb­te und die er so an sich zu zie­hen wuss­te, dass sie ihre El­tern ver­ließ, um als sei­ne Ge­lieb­te bei ihm zu woh­nen. Sei­ne nicht un­ed­le Er­schei­nung, sein lei­den­schaft­li­ches und zu­gleich hoch­fah­ren­des We­sen mach­ten sie so sehr zu sei­ner Skla­vin, dass sie sich se­lig pries, den Staub von sei­nen Fü­ßen küs­sen zu dür­fen, und dass eine Lieb­ko­sung von sei­ner Hand ihr fast die Be­sin­nung raub­te. Alle Ver­su­che der El­tern, ihr Kind zu­rück­zu­ho­len, wa­ren ver­geb­lich; er jag­te sie fort mit dem Be­deu­ten, es sei ihr frei­er Wil­le, ihm in sei­nem Hau­se als Magd zu die­nen.

In ei­ner Nacht je­doch kam das Mäd­chen schwer­ver­wun­det vor die Tür ih­res El­tern­hau­ses und ließ sich jam­mernd in ihr ver­las­se­nes Bett tra­gen; den Prin­zen hat­te, als sie in sei­nen Ar­men lag, plötz­lich eine Ra­se­rei er­grif­fen, so­dass er sie würg­te, sie in die Brust biss und sie er­mor­det hät­te, wenn auf ihr Schrei­en nicht ein Die­ner ge­kom­men wäre und ihr die Flucht er­mög­licht hät­te. Wi­der Er­war­ten ge­nas das Mäd­chen un­ter der Pfle­ge der El­tern, die es nun ängst­lich im Hau­se hü­te­ten. Trotz­dem ge­lang es Don Gi­u­lio, ihr Brie­fe zu­zu­ste­cken und auch selbst ein­zu­drin­gen; al­lein der Va­ter warf ihn hin­aus und rief, um sein Kind vor fer­ne­ren Nach­stel­lun­gen zu si­chern, den Schutz des Statt­hal­ters von Kru­mau an. Die­ser ver­wünsch­te im Her­zen den un­be­que­men Ba­stard, gab aber doch sei­nem her­ri­schen Drän­gen und Dro­hen nach und ließ es zu, dass der Bar­bier, weil er den Sohn des Kai­sers an­ge­grif­fen hät­te, ins Ge­fäng­nis ge­wor­fen wur­de. Nun er­reich­te Don Gi­u­lio sei­nen Wil­len; denn die furcht­sa­me Mut­ter glaub­te durch Nach­gie­big­keit Gna­de für ih­ren Mann er­kau­fen zu müs­sen, und das Mäd­chen ver­moch­te, wie­wohl es sich ent­setz­te und ver­lo­ren gab, kei­nen Wi­der­stand zu leis­ten. Durch De­mut und Zärt­lich­keit such­te sie einen neu­en Aus­bruch sei­ner selt­sa­men Wut zu be­schwö­ren, in­des er sie miss­trau­isch be­ob­ach­te­te, weil es ihm schi­en, als sei sie trau­rig und ver­lan­ge nach Hau­se. So wa­ren meh­re­re Wo­chen ver­gan­gen, als er ei­nes Abends, nach­dem er mehr Wein als ge­wöhn­lich ge­trun­ken hat­te, sie auf­for­der­te, sich zu ihm zu set­zen und mit ihm zu trin­ken. Ihre Wei­ge­rung reiz­te ihn, und es kam ein Blick in sei­ne Au­gen, der ihr eine schreck­li­che Erin­ne­rung ein­flö­ßte und ihre Glie­der lähm­te. Als er ihre Angst sah, ver­rie­gel­te er Tür und Fens­ter, warf sie auf das Bett und ließ nicht von ihr ab, bis sie tot war; ih­ren emp­fin­dungs­lo­sen Kör­per zer­riss und zer­hack­te er, wor­auf ihn plötz­lich die Kräf­te ver­lie­ßen.

Das ge­sche­he­ne Un­glück such­te man nach Mög­lich­keit zu ver­tu­schen. Der Bar­bier, der im Ge­fäng­nis schwer er­krankt war, wur­de zu­nächst dar­in ge­las­sen, da­mit sein Ge­schrei das Übel nicht ver­meh­re; spä­ter dach­te man, wenn es noch nö­tig sei, ihn durch Geld ab­zu­fin­den. Frei­lich sah der Statt­hal­ter ein, dass ernst­li­che Maß­nah­men ge­trof­fen wer­den müss­ten, um den Un­hold an der Aus­übung wei­te­rer und viel­leicht emp­find­li­che­rer Ab­scheu­lich­kei­ten zu ver­hin­dern.

Phil­ipp Lang un­ter­nahm es, den Kai­ser von dem Vor­ge­fal­le­nen in Kennt­nis zu set­zen, mach­te aber durch­aus nicht den Ein­druck da­mit, den man ge­fürch­tet hat­te. Das Mäd­chen hät­te sich vor­se­hen sol­len, mein­te der Kai­ser, man kön­ne nicht für jede Hure in der Welt auf­kom­men. Das sei wohl wahr, sag­te Lang; aber es sei doch wohl an dem, dass der jun­ge Herr ein we­nig haupt­krank sei, wie die Ärz­te wis­sen woll­ten, und man tue da­her viel­leicht am bes­ten, wenn man ihn der Be­wa­chung ei­nes ge­schick­ten Arz­tes so­wie ei­nes Geist­li­chen an­ver­traue, die wech­sel­wei­se mit Pur­gan­zen und Buß­pre­dig­ten, wie es sich eben schi­cke, ih­ren Vor­teil an ihm wahr­neh­men könn­ten. »Mei­net­we­gen«, sag­te der Kai­ser; man sol­le nur gründ­lich mit ihm ab­fah­ren, ihm sei al­les gleich. Sei­ne Söh­ne taug­ten nichts, frön­ten auf sei­ne Kos­ten ei­nem üp­pi­gen Le­ben, ohne es ihm zu dan­ken. Er zie­he jetzt die Hand von Don Gi­u­lio ab, und es dür­fe bei sei­ner Un­gna­de künf­tig nicht mehr von ihm ge­re­det wer­den.

In der habs­bur­gi­schen Fa­mi­lie wur­de die­se Ge­schich­te Don Gi­u­li­os mit Scha­den­freu­de und Ent­rüs­tung be­spro­chen und be­stärk­te sie in der Mei­nung, mit Ru­dolf gehe es ab­wärts, und sie müss­ten sich zu­sam­menschlie­ßen, da­mit er nicht das gan­ze Haus in den Ab­grund zie­he. Schon im Jah­re 1606 hat­ten sie un­ter sorg­fäl­ti­gen Vor­keh­run­gen zur Ge­heim­hal­tung ih­res Un­ter­fan­gens einen Ver­trag ab­ge­schlos­sen, nach wel­chem Matt­hi­as, als der Äl­tes­te, zu ih­rem Haupt an­ge­nom­men wer­den und be­fugt sein soll­te, im Fal­le der Not et­was Ent­schei­den­des vor­zu­neh­men.

Ru­dolf hat­te sich, nach­dem er sei­nes treu­en Feld­herrn be­raubt war, dazu be­we­gen las­sen, dass er Matt­hi­as in dem noch im­mer fort­dau­ern­den Tür­ken­krie­ge den Ober­be­fehl über­trug, und un­ter des­sen Lei­tung war es zu ei­nem nicht ge­ra­de un­güns­ti­gen Frie­dens­ver­tra­ge ge­kom­men. Als nun aber der Ver­trag dem Kai­ser vor­ge­legt wur­de, wei­ger­te er sich zu un­ter­schrei­ben, weil dar­in schimpf­li­che Ver­lus­te für ihn vor­ge­se­hen wä­ren; der Krieg, sag­te er, sol­le bis zur voll­stän­di­gen Un­ter­wer­fung des Fein­des fort­ge­setzt wer­den. Da­ge­gen war zu er­wi­dern, dass es zur Fort­füh­rung des Krie­ges an Geld feh­le, dass die Un­garn sich mit den Tür­ken ver­bin­den wür­den und dass es dem dop­pel­ten An­griff zu wi­der­ste­hen noch we­ni­ger mög­lich sein wür­de; aber Ru­dolf ent­geg­ne­te, er wis­se recht gut, dass Matt­hi­as durch den Frie­den das Heer frei be­kom­men wol­le, um es nach Prag zu füh­ren und ihm, sei­nem Bru­der, die Kro­ne zu ent­rei­ßen; da­hin wol­le er es nicht kom­men las­sen.

Die­sen Ver­dacht galt es dem Kai­ser aus­zu­trei­ben, und da Matt­hi­as sein Ge­wis­sen nicht rein fühl­te, auch die Ab­nei­gung des Bru­ders ge­gen sei­ne Per­son sich nicht zu über­win­den ge­trau­te, mach­te sich Khlesl nach Prag auf, um den Kai­ser von sei­nes Schütz­lings Un­schuld und Er­ge­ben­heit zu über­zeu­gen. Bei dem Has­se Ru­dolfs ge­gen Matt­hi­as war die­se Rei­se nicht ohne Ge­fahr für den Bi­schof, und vie­le warn­ten ihn, er sol­le sei­nen Kopf nicht mut­wil­lig in des Lö­wen Ra­chen ste­cken; aber Khlesl ließ sich nie durch Be­fürch­tun­gen für sei­ne Per­son von ei­nem Un­ter­neh­men ab­hal­ten, auch weil er sich als Werk­zeug Got­tes noch zu vie­len Ta­ten und Ehren vor­be­hal­ten glaub­te. Frei­lich konn­te er sich in Prag neu­er, un­be­hag­li­cher Ge­füh­le nicht im­mer er­weh­ren. An das klei­ne, bür­ger­li­che Wien ge­wöhnt, wo ihn je­der­mann kann­te und ehr­fürch­tig grüß­te, schi­en er sich fast in einen an­de­ren Erd­teil und un­ter bar­ba­ri­sche Fremd­lin­ge ver­setzt, de­ren Blick teils gleich­gül­tig, teils mit feind­se­li­ger Dro­hung auf ihm ruh­ten. Wenn sie hier ein Bu­ben­stück­lein an dir ver­üben woll­ten, ging es ihm zu­wei­len durch den Sinn, so möch­te es wohl lan­ge wäh­ren, bis ein Hahn da­nach kräh­te; aber er ließ das nicht auf­kom­men, son­dern be­ru­hig­te sich da­mit, dass Gott den Khlesl schon nicht wer­de sin­ken las­sen.

 

Eine Au­di­enz er­wirk­te Phil­ipp Lang, ge­mäß sei­nem Grund­satze, es mit Matt­hi­as nicht ganz zu ver­der­ben, der frü­her oder spä­ter doch den neu­en Kai­ser ab­ge­ben wür­de; frei­lich muss­te Khlesl ge­lo­ben, nichts, was dem Kai­ser emp­find­lich sein könn­te, vor­zu­brin­gen. Wäh­rend er durch lan­ge Gän­ge und über dunkle Trep­pen zu dem kai­ser­li­chen Vor­ge­mach ge­führt wur­de, ka­men ihm die selt­sa­men Gerüch­te über des Kai­sers schwarz­blü­ti­ge Ein­fäl­le zu Sin­ne nebst den be­klem­men­den An­wand­lun­gen, de­nen er sonst nicht un­ter­wor­fen war. Er er­in­ner­te sich, wie man­ches Mal er den Kai­ser in ver­trau­li­chen Ge­sprä­chen einen Bä­ren­häu­ter, Lü­gen­va­ter und Schmutz­fin­ken ge­nannt, ja dass er ihm Schwach­gläu­big­keit und man­geln­den ka­tho­li­schen Ei­fer vor­ge­wor­fen hat­te, und er dach­te, wie leicht er hier oben in ei­nem plötz­lich sich öff­nen­den Ver­lies für im­mer ver­schwin­den könn­te. Vor­wärts, Khlesl, raun­te er sich zu, die Furcht kommt vom Teu­fel! und sie wich denn auch mit ei­nem Schla­ge von ihm, als er dem Kai­ser ge­gen­über­stand, des­sen Blick sich in die Au­gen­höh­len zu­rück­zu­zie­hen schi­en und der ihm mit vor­neh­mer Lie­bens­wür­dig­keit die Hand reich­te. Lei­se und lang­sam sprach er da­bei sein Ver­gnü­gen aus, den be­rühm­ten Bi­schof ken­nen­zu­ler­nen, der so viel für die Wie­der­her­stel­lung der Kir­che ge­tan habe, und zeig­te sich über die­se Ver­hält­nis­se gut un­ter­rich­tet. Un­will­kür­lich duck­te sich Khlesl zu­sam­men, als wis­se er mit sei­ner großen, ma­ge­ren, stark­kno­chi­gen Per­son dem sanf­ten, ver­bor­ge­nen Man­ne vor ihm nicht bei­zu­kom­men, und be­gann von sei­ner An­häng­lich­keit an die Ma­je­stät zu spre­chen, wor­an er die Bit­te knüpf­te, der Kai­ser möge doch et­wai­gen Ver­leum­dun­gen kei­nen Glau­ben schen­ken, son­dern ihn als den er­ge­bens­ten sei­ner Die­ner be­trach­ten. Er hat­te je­doch den Satz kaum vollen­det, als er sich durch ein ge­lin­des Kopf­ni­cken und freund­li­ches Hand­win­ken des Kai­sers aus dem Zim­mer ge­scho­ben fühl­te und sich nach we­ni­gen Mi­nu­ten zwar un­be­schä­digt, aber ohne ir­gend­ein Er­geb­nis er­run­gen zu ha­ben wie­der vor die Burg ver­setzt sah.

An eine zwei­te Au­di­enz war nicht zu den­ken, oh­ne­hin be­durf­te der Kai­ser meh­re­re Tage, um sich von der An­stren­gung die­ses Empfan­ges zu er­ho­len. Von der Falsch­heit und Rau­blust des Matt­hi­as nur de­sto mehr über­zeugt, blick­te er angst­voll nach je­man­dem aus, der ihn vor sei­nen Fein­den schütz­te. Durch die Do­nau­wör­ther Sa­che ver­pflich­te­te er sich den Her­zog von Bay­ern, be­reu­te es aber, so­wie es ge­sche­hen war, und hät­te es gern rück­gän­gig ge­macht. Wie hat­te er auf Kos­ten der Reichs­städ­te, de­ren stets ge­füll­te Kas­se ihm in so man­chen Ver­le­gen­hei­ten aus­ge­hol­fen hat­te, den ehr­gei­zi­gen, heim­tücki­schen, nur all­zu mäch­ti­gen Fürs­ten be­rei­chern kön­nen? Hät­te er es nicht lie­ber mit den Evan­ge­li­schen hal­ten sol­len, von de­nen er in sei­ner Um­ge­bung so oft hör­te, dass sie ihm er­ge­be­ner wä­ren als sei­ne Glau­bens­ge­nos­sen und dass sie nicht, wie die Je­sui­ten, den Kö­nigs­mord für eine er­laub­te Sa­che hiel­ten?

Die be­dräng­te Lage des Kai­sers, die an den Hö­fen im Rei­che wohl­be­kannt war, brach­te den un­ter­neh­mends­ten un­ter den deut­schen Fürs­ten, Chris­ti­an von An­halt, auf den Ge­dan­ken, dass die Pro­tes­tan­ten sie be­nüt­zen müss­ten, um ihre Stel­lung durch An­schluss an das Reichsober­haupt zu be­fes­ti­gen. Die­ser Prinz, des­sen mun­te­ren, tap­fe­ren Geist die Sor­ge für sein klei­nes Land nicht aus­füll­te, hat­te eine Statt­hal­ter­schaft im pfäl­zi­schen Dienst an­ge­nom­men, die ihn in leb­haf­te­ren Zu­sam­men­hang mit den Welt­hän­deln brach­te. Rei­sen und Brief­wech­sel ver­mit­tel­ten ihm die Kennt­nis von al­lem, was vor­fiel, und lie­fer­ten ihm da­durch den Stoff zu stets neu­en An­schlä­gen im In­ter­es­se sei­ner Glau­ben­s­par­tei. Auch in Prag war er schon ein­mal ge­we­sen, hat­te dort Be­zie­hun­gen zum böh­mi­schen Adel an­ge­knüpft und war so­gar vom Kai­ser emp­fan­gen und mit Aus­zeich­nung be­han­delt wor­den. Mit der Über­zeu­gung, dass es sei­ner Kühn­heit und Schlau­heit nicht feh­len kön­ne, trat er die Rei­se an. Von den pro­tes­tan­ti­schen Her­ren in Prag wur­de er gut auf­ge­nom­men, und ihre Gast­freund­schaft ent­zück­te ihn; fast ver­wun­der­lich kam es ihm vor, dass sie so viel Wert auf den Bei­stand der Uni­on leg­ten, da doch die deut­schen Fürs­ten, an ih­rem Reich­tum ge­mes­sen, arme Schel­me wa­ren. Die re­for­mier­ten Her­ren Wen­zel von Bu­do­wa, Rup­pa und Eras­mus von Tschernem­bl, der be­deu­tends­te Stan­des­herr von Ös­ter­reich, hat­ten un­ge­mei­ne theo­lo­gi­sche Kennt­nis­se und wa­ren in der Po­li­tik al­ler Län­der be­wan­dert. Sie trau­ten alle dem Kai­ser durch­aus nicht, man könn­te ihn al­len­falls zwin­gen, Ver­spre­chun­gen zu ge­ben, nicht aber, sie zu hal­ten, er sei ein Rep­til, das über­all durch­schlüp­fe. Mit Matt­hi­as sei viel­leicht eher et­was aus­zu­rich­ten, er kön­ne die Hil­fe der Pro­tes­tan­ten durch­aus nicht ent­beh­ren, und wenn man nur den Khlesl ab­schaff­te, so wer­de er leicht zu re­gie­ren sein.

Tschernem­bl sag­te, die Habs­bur­ger hät­ten alle Prä­ten­sio­nen,1 die wä­ren ih­nen nicht aus­zu­trei­ben, am bes­ten wür­de man ganz ohne sie aus­kom­men. Ja, sag­te Rup­pa, ein be­schei­de­ner und ver­nünf­ti­ger Fürst, der ih­nen von vorn­her­ein ihre ur­al­ten Rech­te ver­bürg­te und ohne das nicht zu­ge­las­sen wür­de, schick­te sich bes­ser für sie. Sie könn­ten dann Sor­ge tra­gen, dass er nicht um sich grif­fe und sich breit mach­te. Wozu man sich über­haupt da­mit be­lü­de, mein­te Tschernem­bl. Wenn sich die Stän­de von Ös­ter­reich, Böh­men, Mäh­ren und Schle­si­en ver­bün­de­ten, so wä­ren sie doch stark ge­nug, selbst ihre In­ter­es­sen wahr­zu­neh­men. Auf Ve­ne­dig, Schweiz, Hol­land und die Uni­on könn­ten sie im­mer rech­nen. Die Re­pu­bli­ken hät­ten doch vie­le Fein­de, mein­te Graf Thurn kopf­schüt­telnd, und in die­sen krie­ge­ri­schen Zei­ten wäre man ohne ein fürst­li­ches Haupt übel ver­sorgt, gleich­sam als trü­ge man die Ho­sen ohne Gurt. Tschernem­bl ver­wies auf das Bei­spiel der Hol­län­der; wach­sam und ein­mü­tig müs­se man sein, da­von hän­ge al­les ab. Man sähe zur Ge­nü­ge an den grie­chi­schen und rö­mi­schen Staa­ten, wie sie in der Frei­heit ge­blüht hät­ten. Es sei leich­ter, sich äu­ße­rer als ein­hei­mi­scher Ty­ran­nen zu er­weh­ren; wie schwer wäre es, die Habs­bur­ger ab­zu­wer­fen, da sie ei­nem ein­mal im Ge­nick sä­ßen.