Außer der Jagd und den Trinkfesten nahmen Liebessachen die Zeit Herzog Friedrichs von Württemberg in Anspruch. Er hatte mehrere Jahre mit einem ehemaligen Hoffräulein seiner Frau gelebt, die ihm bereits langweilig zu werden anfing, als er die fünfzehnjährige Tochter eines Sängers aus seiner Kapelle sah, deren spröde Jugend ihn entzückte und die zu voller Blüte anzufachen er sich sofort unwiderstehlich getrieben fühlte. Mit der Entlassung der bisherigen Geliebten wurde der Hofprediger betraut, der sich denn auch seufzend anschickte, die Frau in Kenntnis zu setzen. Sie solle sich, riet er ihr, zu ihrer Familie begeben oder sonst einen entlegenen Ort wählen, wo sie in der Stille weilen könne; denn in der Nähe des Herzogs sei ihres Bleibens nicht länger, ihre Gegenwart sei ihm unleidlich, weil sie ihn an begangenes Unrecht erinnere. Es bleibe ihr somit nichts anderes übrig, als den Willen des Herzogs zu respektieren und sich zu bessern.
Die fassungslose Dame war den Ratschlägen und Vorstellungen des Predigers nicht zugänglich und wusste sich den Zutritt zum Herzog zu erzwingen. Dieser fing an mit kurzen, schnellen Schritten im Zimmer auf und ab zu gehen und laut über ihr ungehorsames, widerspenstiges, unartiges Wesen zu klagen. Unmöglich sei es, mit einem solchen Weibe zu leben, zu lange schon habe er es ertragen, anstatt ihm dankbar zu sein, habe sie ihn unglücklich gemacht; wenn er nicht schleunig von ihr befreit werde, müsse er zugrunde gehen. Indem sie sich auf den Boden warf und seine Füße umschlang, erinnerte sie ihn unter Tränen an seine Liebesschwüre, vergangenes Glück und dergleichen, wie er an einem lieblichen Frühlingsabend unter einem blühenden Birnbaum sie, die Verzagte, an sich gezogen und sich verschworen habe: die Zunge solle ihm verfaulen, wenn er je ein unholdes Wort zu ihr spreche!
»Ja«, schrie der Herzog wütend, »damals liebte ich dich, und jetzt hast du meine Liebe verscherzt, das ist ein Unterschied!« Wenn sie sich jetzt in anständiger Verborgenheit halten und ihre Zunge hüten wolle, fuhr er ruhiger fort, wolle er etwas für sie tun; führe sie aber fort, ihn zu erzürnen, so werde er sie einsperren und gebührend bestrafen.
Nachdem diese Person beseitigt war, erhielt der Hofprediger den Auftrag, die Herzogin davon in Kenntnis zu setzen, was ihn veranlasste, den Herzog mit vorsichtigem Augenblinzeln zu fragen, ob er etwa das neue Dirnlein auch anweisen müsse. Der Herzog zog zuerst die Brauen zusammen, schlug dann aber ein lautes Gelächter auf und sagte, nein, darauf verstehe er sich besser.
Die Herzogin, eine Prinzessin von Anhalt, sah ihren Gemahl nur noch selten. Sie beschäftigte sich damit, in der Bibel zu lesen und Stücke daraus, die sie besonders liebte, in französische Sprache zu übertragen. Beinah täglich empfing sie den Besuch des Hofpredigers, mit dem sie sich über theologische Fragen unterhielt und von dem sie über die Vorgänge am Hof und im Lande unterrichtet wurde. Als er ihr von der Verabschiedung der letzten Geliebten ihres Mannes Mitteilung machte und zugleich ihre Mildtätigkeit für die Verstoßene in Anspruch nahm, bemerkte er, dass das blasse Gesicht der Herzogin sich rötete und den Ausdruck hoffender Erwartung kaum zurückhalten konnte. Er betrachtete sie verwundert und schwieg eine Weile in großer Verlegenheit, während er sich mit einem Tüchlein den Schweiß von der Stirn wischte. Dann erwähnte er behutsam das kleine Mädchen, das die Aufmerksamkeit des Herzogs erregt habe und für dessen Zukunft er väterlich sorgen wolle, weswegen es in der Nähe des Schlosses einquartiert sei. Die Augen der Herzogin erloschen wieder, und sie sagte, sich auf ihr ehemaliges Hoffräulein beziehend, sie wolle sie gern nach ihrem geringen Vermögen unterstützen, wenn ihre Eltern es nicht täten. »Ich habe es ihr vorausgesagt«, fuhr sie fort, »dass es so kommen würde, denn ich kannte meinen Herrn. Sie stand ein wenig beschämt vor mir, aber doch sah ich, wie glücklich und wie stolz und eigensinnig sie war, und konnte von ihrem Gesicht, das wie Apfelblüten leuchtete, ablesen, was sie dachte: ›Du kennst ihn nicht, du Armselige! Du freilich vermagst ihn nicht zu fesseln! Keine vermöchte es! Aber ich, ich! Mich, die Allerlieblichste, wird er niemals verlassen!‹ – Es ist nur Gott«, setzte die Herzogin gedankenvoll hinzu, »der uns niemals enttäuscht, weil er die Vollkommenheit ist. Aber unsere Seele, die der niedrigen Erde verwachsen ist, erreicht den Himmel nicht immer.«
»Das Gebet, das liebe Gebet trägt uns hinauf«, sagte der Pfarrer und fing an, allerlei kuriose Geschichten von der Wunderwirkung des Gebetes zu erzählen, womit er die Herzogin schließlich sogar zum Lachen brachte.
Eines Vormittags trat in die Apotheke ein in Pelzwerk und einen bunten Kaftan wunderlich gekleideter Mann, der Antimon, Merkur und Flos ferri zu kaufen verlangte und um Erlaubnis bat, in irgendeinem Nebenraum der Apotheke einige Versuche damit machen zu dürfen. Er bediente sich dabei der lateinischen Sprache, die er mit deutschen, fremdartig ausgesprochenen Wörtern vermengte. Der Apotheker, der in dem Manne sofort einen Adepten erkannte, antwortete zögernd, das Goldmachen, worauf er augenscheinlich ausgehe, sei im Württembergischen eine weitaussehende, gefährliche Sache, die allerlei Unvermutetes nach sich zu ziehen pflege. Er selbst sei auch in der Wissenschaft nicht unerfahren, hielte aber die Hände davon und riete auch dem Fremden, seine Kenntnisse als ein vorsichtiger Mann geheimzuhalten. Es waren unterdessen mehr Leute in den Laden getreten, deren Neugier durch die auffallende Erscheinung des Reisenden, seinen hohen Pelzhut, die große silberne, mit farbigen Steinen besetzte Schnalle, die den scharlachrot gefütterten Kaftan zusammenhielt, erregt wurde. Obwohl der Apotheker warnend den Finger auf den Mund legte, ließ der Fremde sich nicht bitten, sondern schwatzte bereitwillig von seiner Kunst und zeigte ein in einem gläsernen Büchschen verschlossenes pfirsichblütenfarbenes Pulver, mit dessen Hilfe er sich rühmte, ganz Stuttgart mit purem Golde überziehen zu können. Als er wiederum mit dem Apotheker allein war, mahnte ihn dieser ernstlich, nunmehr flugs die Stadt zu verlassen, bevor seine Anwesenheit dem Herzog hinterbracht sei; denn dieser sei nun einmal auf das Goldmachen erpicht und würde ihn nicht eher loslassen, als bis er seinen Durst nach diesem Metall vollkommen gestillt habe. Vor einigen Jahren sei auch einer gekommen, den habe der Herzog wie einen Heiland empfangen, ihn zum Feldmarschall und Oberjägermeister ernannt, ihn bei Tische neben sich sitzen lassen und ihm selbst das Fleisch vorgeschnitten und den Wein eingeschenkt. Nächtelang habe der Herzog ihm zugesehen, wie er im Laboratorium gemischt und gekocht habe, ja einige behaupteten sogar, er habe ihn umarmt und Herzbruder genannt. Wie aber die Taler und das Gold haufenweise in den Taschen des Adepten verschwunden seien, in seiner Pfanne aber nichts geraten sei, habe ihn der Herzog in billiger Entrüstung am Galgen aufhängen lassen.
Das habe der Betrüger denn wohl auch verdient, sagte der Fremde mit einem überlegenen Lächeln; ihm könne es so nicht gehen, denn er sei im Besitze des wahren Arkanums, er führe den echten Bräutigam in die Kammer, der die Braut nicht ungesegnet aus dem Feuerbett lassen werde.
Ach, sagte der Apotheker, das werde ihm auch nicht helfen, an einem Bröcklein oder Häuflein Gold werde sich der Herzog niemals genügen lassen; so viel, wie der haben wolle, könne ein armer Adept gemeiniglich doch nicht produzieren, da müsse er schon mit dem Teufel im Bunde stehen. Er hatte kaum ausgesprochen, als einer vom Hofstaat des Herzogs in die Apotheke trat, ein höfliches Gespräch mit dem Fremden anknüpfte und ihn aufforderte, einige Experimente im Schlosse zu machen; der Herzog habe ein vortreffliches Laboratorium und wolle sich gern von einem erprobten Künstler unterweisen lassen. Es hatte nämlich einer von den Bediensteten der Hofküche, der gerade Einkäufe an Gewürzen und Leckereien in der Apotheke machte, die Neuigkeit von der Anwesenheit des Wundermannes in das Schloss getragen, worauf Herzog Friedrich Befehl gegeben hatte, ihn einzuladen und, koste es, was es wolle, zu ihm zu führen. Der Fremde erschrak ein wenig, wollte es aber nicht merken lassen und bestellte, sich gewaltig aufblasend, noch allerlei Tinkturen und Mineralien bei dem Apotheker, der ihm, während er alles zusammentrug, kläglich zuzwinkerte.
Billigten die Theologen das Treiben ihres Herrn auch nicht, so dankten sie es ihm doch, dass er sie ungestört in ihrem Kreise walten ließ und nicht etwa wie andere Fürsten kalvinistische Umsturzgelüste hatte. Die Lutheraner hatten nach ihrer Meinung eine felsensichere Stütze in der Augsburgischen Konfession, als die von Kaiser und Reich verbürgt sei, und glaubten, es könne nur über die Kalviner hergehen, die kein Recht und keine Sicherheit erworben und auf nichts Schriftliches pochen könnten.
Da fiel ein Ereignis vor, welches die Evangelischen in weitem Umkreis aufschreckte und auch den Bequemeren zu denken gab. Zunächst hatte es nicht viel zu bedeuten, dass in der evangelischen Reichsstadt Donauwörth, wo sich ein katholisches Kloster befand, eine Prozession wider das Herkommen außerhalb der Kirche mit fliegenden Fahnen umzog und von angriffslustigem Straßenvolke belästigt wurde; aber unversehens nahm die Sache ein ernsteres Aussehen, da die Katholischen sich klagend an den Kaiser wandten, der Stadtrat aber, von der trotzigen Bürgerschaft gedrängt, nicht nachgeben wollte. Hin und wider wurde vermittelt und beraten, aber keine Verständigung erzielt, worauf der Kaiser endlich über die hartnäckige Stadt die Acht verhängte und den Herzog von Bayern zum Vollstrecker derselben erklärte. Dieser eigenmächtige Akt rief allgemeine Entrüstung unter den Evangelischen hervor, und auch die Katholischen billigten ihn nicht alle, teils aus Eifersucht auf Bayern, teils weil die Berechtigung dazu augenscheinlich bestreitbar war. Am meisten regte sich der alte Herzog von Neuburg als der Nachbar von Donauwörth und Bayern auf; denn er zweifelte nicht daran, dass Maximilian bei dieser Gelegenheit sein Gebiet überziehen und überhaupt gegen alle Ketzer auf einmal ausholen würde. Er schickte Boten nach allen Seiten: nach Donauwörth, um ihm Hilfe zu versprechen und es zum Ausharren zu ermuntern, nach der Stadt Ulm und nach Württemberg, um auf freundnachbarliche und glaubensverwandte Unterstützung zu dringen, ja sogar nach Kurpfalz, um anzuklopfen, wessen man sich in der Not von dort zu gewärtigen habe.
Auch dem Herzog von Bayern war nicht durchaus wohl zumute. Er hatte längst ein Auge auf die Stadt Donauwörth geworfen, an welche er alte Rechte haben wollte, und hatte deshalb die Gelegenheit, sich einzudrängen, gern ergriffen; aber er verhehlte sich nicht, dass er damit das Pfand noch nicht im eigenen Sacke hatte, und wenn er nach vollzogener Acht wieder abziehen musste, so hatte er umsonst viele Kosten aufgewendet, die ihm weder die kleine Reichsstadt noch der in Schulden fast ertrinkende Kaiser ersetzen würde.
Jocher, sein klügster und fleißigster Rat, musste den Fall vom rechtlichen Gesichtspunkt untersuchen und kam zu dem Schlusse, dass kein Rechtstitel vorhanden sei, unter dem der Herzog Anspruch auf die Reichsstadt erheben könne; indessen ließen sich, wenn der Herzog wolle, schon Umwege zum Ziele finden, und einen solchen biete eben die Geldfrage. Er müsse nämlich die Rechnung über die aufgewendeten Kosten von vornherein so groß machen, dass der Kaiser in absehbarer Zeit nicht daran denken könnte, sie zu bezahlen, und also die Sache stillschweigend veralten und verjähren lassen müsse.
Nun blieb freilich immer noch zu fürchten, dass die Stadt sich klüglich der Gnade des Kaisers unterwürfe, was beiden, der Stadt und dem Kaiser, das liebste gewesen wäre; aber dies unterblieb auf das Drängen einiger Heißsporne, die das Volk mit dem verheißenen Beistand der Glaubensgenossen vertrösteten. Der Herzog von Neuburg wollte sich hervorwagen, wenn die Stadt Ulm den Anfang machte; da sich diese aber auf Württemberg verließ, welches nicht geneigt war, sich einzumischen, so rührte sich keiner, und es blieb der verlassenen, vor der heranrückenden Macht des Herzogs heftig erschrockenen Stadt nichts übrig, als sich dem gestrengen Herrn zu unterwerfen. In seinem Gefolge waren mehrere Jesuiten, die den Auftrag hatten, die Bürgerschaft in der Weise zum katholischen Glauben zu bekehren, dass das gegebene Wort des Herzogs, gewaltsame Mittel sollten dazu nicht angewandt werden, dabei bestehen könne.
Die evangelischen Fürsten ärgerten sich nicht wenig, dass die glaubenstreue Stadt so liederlich verlorengegangen war und dass der hochmütige und habgierige Bayernherzog eine so geschwinde und billige Beute hatte gewinnen können, und der Drang, das Geschehene in etwas gutzumachen und ähnliche Verstöße in Zukunft zu verhindern, befeuerte sie zu einer gewissen Einmütigkeit und Tatkraft. Von dem herzhaften Christian von Anhalt zusammengehalten und angespornt, brachten sie ein Bündnis zuwege, das sie Union nannten und das seinen eigentlichen Rückhalt, da sich im Reiche genügende Kraft nun einmal nicht aufbringen ließ, in einem heimlichen Freunde, dem Könige von Frankreich, Heinrich IV., finden sollte. Hessen-Kassel und Kurbrandenburg wurden im folgenden Jahre für die Union gewonnen, Kursachsen hingegen, obwohl die eigentliche Vormacht der Evangelischen, ebenso Herzog Heinrich Julius von Braunschweig-Wolfenbüttel blieben missbilligend abseits.
Einer von den Söhnen Kaiser Rudolfs, Don Giulio d’Austria, war durch die Ordnungslosigkeit seiner Lebensführung so anstößig geworden, dass der Vater ihn nach der Herrschaft Krumau entfernt hatte, wo er weniger bemerkt wurde und wo die Einwohnerschaft sehen musste, mit ihm auszukommen. Das zügellose Benehmen des jungen Bastards erschöpfte jedoch endlich ihre Geduld; er verfolgte Mädchen und Frauen auf der Straße und bis in die Häuser und behandelte die Männer, die es ihm wehren wollten, als rebellischen Pöbel, den er zu strafen wissen werde. Daraufhin wurde er vom Kaiser wohl einmal zur Ordnung gewiesen, ohne dass jedoch etwas Wesentliches geändert wurde. Nun lernte Don Giulio bei einem Tanz, wo er sich eingedrängt hatte, die Tochter eines Barbiers kennen, ein scheues, mehr liebreizendes als schönes Mädchen, in die er sich verliebte und die er so an sich zu ziehen wusste, dass sie ihre Eltern verließ, um als seine Geliebte bei ihm zu wohnen. Seine nicht unedle Erscheinung, sein leidenschaftliches und zugleich hochfahrendes Wesen machten sie so sehr zu seiner Sklavin, dass sie sich selig pries, den Staub von seinen Füßen küssen zu dürfen, und dass eine Liebkosung von seiner Hand ihr fast die Besinnung raubte. Alle Versuche der Eltern, ihr Kind zurückzuholen, waren vergeblich; er jagte sie fort mit dem Bedeuten, es sei ihr freier Wille, ihm in seinem Hause als Magd zu dienen.
In einer Nacht jedoch kam das Mädchen schwerverwundet vor die Tür ihres Elternhauses und ließ sich jammernd in ihr verlassenes Bett tragen; den Prinzen hatte, als sie in seinen Armen lag, plötzlich eine Raserei ergriffen, sodass er sie würgte, sie in die Brust biss und sie ermordet hätte, wenn auf ihr Schreien nicht ein Diener gekommen wäre und ihr die Flucht ermöglicht hätte. Wider Erwarten genas das Mädchen unter der Pflege der Eltern, die es nun ängstlich im Hause hüteten. Trotzdem gelang es Don Giulio, ihr Briefe zuzustecken und auch selbst einzudringen; allein der Vater warf ihn hinaus und rief, um sein Kind vor ferneren Nachstellungen zu sichern, den Schutz des Statthalters von Krumau an. Dieser verwünschte im Herzen den unbequemen Bastard, gab aber doch seinem herrischen Drängen und Drohen nach und ließ es zu, dass der Barbier, weil er den Sohn des Kaisers angegriffen hätte, ins Gefängnis geworfen wurde. Nun erreichte Don Giulio seinen Willen; denn die furchtsame Mutter glaubte durch Nachgiebigkeit Gnade für ihren Mann erkaufen zu müssen, und das Mädchen vermochte, wiewohl es sich entsetzte und verloren gab, keinen Widerstand zu leisten. Durch Demut und Zärtlichkeit suchte sie einen neuen Ausbruch seiner seltsamen Wut zu beschwören, indes er sie misstrauisch beobachtete, weil es ihm schien, als sei sie traurig und verlange nach Hause. So waren mehrere Wochen vergangen, als er eines Abends, nachdem er mehr Wein als gewöhnlich getrunken hatte, sie aufforderte, sich zu ihm zu setzen und mit ihm zu trinken. Ihre Weigerung reizte ihn, und es kam ein Blick in seine Augen, der ihr eine schreckliche Erinnerung einflößte und ihre Glieder lähmte. Als er ihre Angst sah, verriegelte er Tür und Fenster, warf sie auf das Bett und ließ nicht von ihr ab, bis sie tot war; ihren empfindungslosen Körper zerriss und zerhackte er, worauf ihn plötzlich die Kräfte verließen.
Das geschehene Unglück suchte man nach Möglichkeit zu vertuschen. Der Barbier, der im Gefängnis schwer erkrankt war, wurde zunächst darin gelassen, damit sein Geschrei das Übel nicht vermehre; später dachte man, wenn es noch nötig sei, ihn durch Geld abzufinden. Freilich sah der Statthalter ein, dass ernstliche Maßnahmen getroffen werden müssten, um den Unhold an der Ausübung weiterer und vielleicht empfindlicherer Abscheulichkeiten zu verhindern.
Philipp Lang unternahm es, den Kaiser von dem Vorgefallenen in Kenntnis zu setzen, machte aber durchaus nicht den Eindruck damit, den man gefürchtet hatte. Das Mädchen hätte sich vorsehen sollen, meinte der Kaiser, man könne nicht für jede Hure in der Welt aufkommen. Das sei wohl wahr, sagte Lang; aber es sei doch wohl an dem, dass der junge Herr ein wenig hauptkrank sei, wie die Ärzte wissen wollten, und man tue daher vielleicht am besten, wenn man ihn der Bewachung eines geschickten Arztes sowie eines Geistlichen anvertraue, die wechselweise mit Purganzen und Bußpredigten, wie es sich eben schicke, ihren Vorteil an ihm wahrnehmen könnten. »Meinetwegen«, sagte der Kaiser; man solle nur gründlich mit ihm abfahren, ihm sei alles gleich. Seine Söhne taugten nichts, frönten auf seine Kosten einem üppigen Leben, ohne es ihm zu danken. Er ziehe jetzt die Hand von Don Giulio ab, und es dürfe bei seiner Ungnade künftig nicht mehr von ihm geredet werden.
In der habsburgischen Familie wurde diese Geschichte Don Giulios mit Schadenfreude und Entrüstung besprochen und bestärkte sie in der Meinung, mit Rudolf gehe es abwärts, und sie müssten sich zusammenschließen, damit er nicht das ganze Haus in den Abgrund ziehe. Schon im Jahre 1606 hatten sie unter sorgfältigen Vorkehrungen zur Geheimhaltung ihres Unterfangens einen Vertrag abgeschlossen, nach welchem Matthias, als der Älteste, zu ihrem Haupt angenommen werden und befugt sein sollte, im Falle der Not etwas Entscheidendes vorzunehmen.
Rudolf hatte sich, nachdem er seines treuen Feldherrn beraubt war, dazu bewegen lassen, dass er Matthias in dem noch immer fortdauernden Türkenkriege den Oberbefehl übertrug, und unter dessen Leitung war es zu einem nicht gerade ungünstigen Friedensvertrage gekommen. Als nun aber der Vertrag dem Kaiser vorgelegt wurde, weigerte er sich zu unterschreiben, weil darin schimpfliche Verluste für ihn vorgesehen wären; der Krieg, sagte er, solle bis zur vollständigen Unterwerfung des Feindes fortgesetzt werden. Dagegen war zu erwidern, dass es zur Fortführung des Krieges an Geld fehle, dass die Ungarn sich mit den Türken verbinden würden und dass es dem doppelten Angriff zu widerstehen noch weniger möglich sein würde; aber Rudolf entgegnete, er wisse recht gut, dass Matthias durch den Frieden das Heer frei bekommen wolle, um es nach Prag zu führen und ihm, seinem Bruder, die Krone zu entreißen; dahin wolle er es nicht kommen lassen.
Diesen Verdacht galt es dem Kaiser auszutreiben, und da Matthias sein Gewissen nicht rein fühlte, auch die Abneigung des Bruders gegen seine Person sich nicht zu überwinden getraute, machte sich Khlesl nach Prag auf, um den Kaiser von seines Schützlings Unschuld und Ergebenheit zu überzeugen. Bei dem Hasse Rudolfs gegen Matthias war diese Reise nicht ohne Gefahr für den Bischof, und viele warnten ihn, er solle seinen Kopf nicht mutwillig in des Löwen Rachen stecken; aber Khlesl ließ sich nie durch Befürchtungen für seine Person von einem Unternehmen abhalten, auch weil er sich als Werkzeug Gottes noch zu vielen Taten und Ehren vorbehalten glaubte. Freilich konnte er sich in Prag neuer, unbehaglicher Gefühle nicht immer erwehren. An das kleine, bürgerliche Wien gewöhnt, wo ihn jedermann kannte und ehrfürchtig grüßte, schien er sich fast in einen anderen Erdteil und unter barbarische Fremdlinge versetzt, deren Blick teils gleichgültig, teils mit feindseliger Drohung auf ihm ruhten. Wenn sie hier ein Bubenstücklein an dir verüben wollten, ging es ihm zuweilen durch den Sinn, so möchte es wohl lange währen, bis ein Hahn danach krähte; aber er ließ das nicht aufkommen, sondern beruhigte sich damit, dass Gott den Khlesl schon nicht werde sinken lassen.
Eine Audienz erwirkte Philipp Lang, gemäß seinem Grundsatze, es mit Matthias nicht ganz zu verderben, der früher oder später doch den neuen Kaiser abgeben würde; freilich musste Khlesl geloben, nichts, was dem Kaiser empfindlich sein könnte, vorzubringen. Während er durch lange Gänge und über dunkle Treppen zu dem kaiserlichen Vorgemach geführt wurde, kamen ihm die seltsamen Gerüchte über des Kaisers schwarzblütige Einfälle zu Sinne nebst den beklemmenden Anwandlungen, denen er sonst nicht unterworfen war. Er erinnerte sich, wie manches Mal er den Kaiser in vertraulichen Gesprächen einen Bärenhäuter, Lügenvater und Schmutzfinken genannt, ja dass er ihm Schwachgläubigkeit und mangelnden katholischen Eifer vorgeworfen hatte, und er dachte, wie leicht er hier oben in einem plötzlich sich öffnenden Verlies für immer verschwinden könnte. Vorwärts, Khlesl, raunte er sich zu, die Furcht kommt vom Teufel! und sie wich denn auch mit einem Schlage von ihm, als er dem Kaiser gegenüberstand, dessen Blick sich in die Augenhöhlen zurückzuziehen schien und der ihm mit vornehmer Liebenswürdigkeit die Hand reichte. Leise und langsam sprach er dabei sein Vergnügen aus, den berühmten Bischof kennenzulernen, der so viel für die Wiederherstellung der Kirche getan habe, und zeigte sich über diese Verhältnisse gut unterrichtet. Unwillkürlich duckte sich Khlesl zusammen, als wisse er mit seiner großen, mageren, starkknochigen Person dem sanften, verborgenen Manne vor ihm nicht beizukommen, und begann von seiner Anhänglichkeit an die Majestät zu sprechen, woran er die Bitte knüpfte, der Kaiser möge doch etwaigen Verleumdungen keinen Glauben schenken, sondern ihn als den ergebensten seiner Diener betrachten. Er hatte jedoch den Satz kaum vollendet, als er sich durch ein gelindes Kopfnicken und freundliches Handwinken des Kaisers aus dem Zimmer geschoben fühlte und sich nach wenigen Minuten zwar unbeschädigt, aber ohne irgendein Ergebnis errungen zu haben wieder vor die Burg versetzt sah.
An eine zweite Audienz war nicht zu denken, ohnehin bedurfte der Kaiser mehrere Tage, um sich von der Anstrengung dieses Empfanges zu erholen. Von der Falschheit und Raublust des Matthias nur desto mehr überzeugt, blickte er angstvoll nach jemandem aus, der ihn vor seinen Feinden schützte. Durch die Donauwörther Sache verpflichtete er sich den Herzog von Bayern, bereute es aber, sowie es geschehen war, und hätte es gern rückgängig gemacht. Wie hatte er auf Kosten der Reichsstädte, deren stets gefüllte Kasse ihm in so manchen Verlegenheiten ausgeholfen hatte, den ehrgeizigen, heimtückischen, nur allzu mächtigen Fürsten bereichern können? Hätte er es nicht lieber mit den Evangelischen halten sollen, von denen er in seiner Umgebung so oft hörte, dass sie ihm ergebener wären als seine Glaubensgenossen und dass sie nicht, wie die Jesuiten, den Königsmord für eine erlaubte Sache hielten?
Die bedrängte Lage des Kaisers, die an den Höfen im Reiche wohlbekannt war, brachte den unternehmendsten unter den deutschen Fürsten, Christian von Anhalt, auf den Gedanken, dass die Protestanten sie benützen müssten, um ihre Stellung durch Anschluss an das Reichsoberhaupt zu befestigen. Dieser Prinz, dessen munteren, tapferen Geist die Sorge für sein kleines Land nicht ausfüllte, hatte eine Statthalterschaft im pfälzischen Dienst angenommen, die ihn in lebhafteren Zusammenhang mit den Welthändeln brachte. Reisen und Briefwechsel vermittelten ihm die Kenntnis von allem, was vorfiel, und lieferten ihm dadurch den Stoff zu stets neuen Anschlägen im Interesse seiner Glaubenspartei. Auch in Prag war er schon einmal gewesen, hatte dort Beziehungen zum böhmischen Adel angeknüpft und war sogar vom Kaiser empfangen und mit Auszeichnung behandelt worden. Mit der Überzeugung, dass es seiner Kühnheit und Schlauheit nicht fehlen könne, trat er die Reise an. Von den protestantischen Herren in Prag wurde er gut aufgenommen, und ihre Gastfreundschaft entzückte ihn; fast verwunderlich kam es ihm vor, dass sie so viel Wert auf den Beistand der Union legten, da doch die deutschen Fürsten, an ihrem Reichtum gemessen, arme Schelme waren. Die reformierten Herren Wenzel von Budowa, Ruppa und Erasmus von Tschernembl, der bedeutendste Standesherr von Österreich, hatten ungemeine theologische Kenntnisse und waren in der Politik aller Länder bewandert. Sie trauten alle dem Kaiser durchaus nicht, man könnte ihn allenfalls zwingen, Versprechungen zu geben, nicht aber, sie zu halten, er sei ein Reptil, das überall durchschlüpfe. Mit Matthias sei vielleicht eher etwas auszurichten, er könne die Hilfe der Protestanten durchaus nicht entbehren, und wenn man nur den Khlesl abschaffte, so werde er leicht zu regieren sein.
Tschernembl sagte, die Habsburger hätten alle Prätensionen,1 die wären ihnen nicht auszutreiben, am besten würde man ganz ohne sie auskommen. Ja, sagte Ruppa, ein bescheidener und vernünftiger Fürst, der ihnen von vornherein ihre uralten Rechte verbürgte und ohne das nicht zugelassen würde, schickte sich besser für sie. Sie könnten dann Sorge tragen, dass er nicht um sich griffe und sich breit machte. Wozu man sich überhaupt damit belüde, meinte Tschernembl. Wenn sich die Stände von Österreich, Böhmen, Mähren und Schlesien verbündeten, so wären sie doch stark genug, selbst ihre Interessen wahrzunehmen. Auf Venedig, Schweiz, Holland und die Union könnten sie immer rechnen. Die Republiken hätten doch viele Feinde, meinte Graf Thurn kopfschüttelnd, und in diesen kriegerischen Zeiten wäre man ohne ein fürstliches Haupt übel versorgt, gleichsam als trüge man die Hosen ohne Gurt. Tschernembl verwies auf das Beispiel der Holländer; wachsam und einmütig müsse man sein, davon hänge alles ab. Man sähe zur Genüge an den griechischen und römischen Staaten, wie sie in der Freiheit geblüht hätten. Es sei leichter, sich äußerer als einheimischer Tyrannen zu erwehren; wie schwer wäre es, die Habsburger abzuwerfen, da sie einem einmal im Genick säßen.