Der Dreißigjährige Krieg

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Chris­ti­an von An­halt hör­te sol­chen Ge­sprä­chen, wo die Fürs­ten wie Wür­fel hin und her ge­spielt wur­den, ver­wun­dert und mit heim­li­cher Miss­bil­li­gung zu, ließ sich aber nichts mer­ken, auch weil er dach­te, dass es da­mit noch gute Wei­le habe. Das üp­pi­ge We­sen mit den Wei­bern, das in Prag im Schwan­ge war, miss­fiel ihm glei­cher­wei­se, und er hielt sich ei­ni­ger­ma­ßen da­von zu­rück. Er pfleg­te sich stets einen Raum in sei­nem Geis­te wie eine Ka­pel­le vor­zu­be­hal­ten, wo­hin Lärm, Schmutz und Un­ge­zie­fer der Welt­ge­schäf­te nicht drang, wo der kla­re Hauch des rei­nen Got­tes­glau­bens und ho­her Men­sch­lich­keit weh­te und wo das Bild­nis ei­ner Frau thron­te, die er in­brüns­tig lieb­te und die ihm an­ge­hör­te, sei­ner Ge­mah­lin, ei­ner Grä­fin Bentheim, mit der er nun seit etwa zehn Jah­ren ver­hei­ra­tet war. Was ihn um­gab und was er tat, moch­te hie und da ein­mal übel schme­cken, das Be­wusst­sein, dass sei­ne See­le, wann er woll­te, sich in ei­nem Pa­ra­die­se läu­tern konn­te, ver­lieh sei­nem We­sen einen an­mu­ti­gen und stol­zen Schwung.



Hoff­nung be­schwing­te sei­nen Schritt, als er den Weg zum Kai­ser an­trat, und blies wie ein fri­scher Flü­gel­schlag mit ihm in das Ge­mach des Mon­ar­chen; er er­wi­der­te An­halts ehr­furchts­vol­len Gruß freund­lich, er­in­ner­te ihn an ihre frü­he­re Be­geg­nung und er­mun­ter­te ihn, sich zu­trau­lich zu äu­ßern. Zu­nächst, sag­te An­halt, kön­ne er nur Dank äu­ßern, dass der Kai­ser ihm das Glück sei­ner Ge­gen­wart ge­wäh­re, Dank, dass er in die­sem Au­gen­blick nicht nur als der Un­ter­tan zu sei­nem Herr­scher, son­dern dass er als ein Fürst und ein Mann zu dem spre­chen dür­fe, von dem die Ge­schi­cke der Welt ab­hin­gen.



»Soll­te es Euer Lieb­den al­lein un­be­kannt sein«, sag­te Ru­dolf weh­mü­tig, »dass kaum ein Herr auf sei­nem Gute so ver­las­sen und ohn­mäch­tig ist wie der Kai­ser?«



»Der Kai­ser win­ke nur«, sag­te Chris­ti­an leb­haft, »und das Reich ist ge­rüs­tet, sei­nem Be­fehl zu ge­hor­chen.« Der Kai­ser ken­ne ja nur einen klei­nen Teil des Rei­ches, er sol­le doch ein­mal nord­wärts rei­sen, da wer­de ihm al­les zu Fü­ßen lie­gen. Er sol­le doch de­nen nicht Glau­ben schen­ken, die aus Un­kennt­nis oder Ge­häs­sig­keit ihm die Pro­tes­tan­ten wie Hei­den und Reichs­fein­de ab­schil­der­ten; sie selbst nenn­ten sich Ka­tho­li­ken, denn sie hät­ten ja den al­ten Glau­ben nicht ab­ge­schafft, son­dern in sei­ner ur­sprüng­li­chen Rein­heit wie­der­her­ge­stellt. Könn­te er nur die Her­zen der evan­ge­li­schen Un­ter­ta­nen aus ih­rer Brust neh­men und auf­ma­chen wie einen Schrein, so wür­de er das Bild des Kai­sers als ein Hei­lig­tum dar­in ver­schlos­sen fin­den. Möch­te er nur zwi­schen den Par­tei­en ein ge­rech­ter Schieds­rich­ter sein und den Be­schwer­den der Evan­ge­li­schen ab­hel­fen, so wür­de der Frie­den im Rei­che wie­der auf­blü­hen. Könn­ten sie nur zu der Quel­le ge­lan­gen, wo das Recht un­ver­fälscht und un­ver­stopft flie­ße, so wür­den die evan­ge­li­schen Fürs­ten des Kai­sers treue Rit­ter und Erz­en­gel sein. Wa­rum soll­te die alte Ein­tracht zwi­schen den Par­tei­en sich nicht wie­der be­grün­den las­sen? Hät­ten sie doch den glei­chen Feind, den Tür­ken, der über ih­rem Strei­ten aus­ge­las­sen und mäch­tig ge­wor­den sei.



Der Kai­ser hat­te An­halt von Zeit zu Zeit durch einen Blick oder eine Hand­be­we­gung er­mun­tert, fort­zu­fah­ren. Sein Auge ruh­te mit Wohl­wol­len auf der eben­mä­ßig kräf­ti­gen Ge­stalt des Fürs­ten, aus des­sen hüb­schem Ge­sicht Of­fen­heit und Scharf­sinn strahl­ten und von des­sen We­sen eine Wär­me aus­ging, die es ihm leicht mach­te, sei­nen Wor­ten zu fol­gen. Nicht nur währ­te die Au­di­enz au­ßer­ge­wöhn­lich lan­ge, son­dern der Kai­ser be­en­de­te sie auch mit der Aus­sicht auf eine zwei­te und mit An­deu­tung, dass eine en­ge­re Ab­ma­chung die Fol­ge sein kön­ne.



Noch im Lau­fe des­sel­ben Ta­ges wur­de der Kai­ser an dem güns­ti­gen Ein­druck, den er emp­fan­gen hat­te, wie­der irre. Er hat­te sich, so schi­en es ihm nun, ei­nem lus­ti­gen Feu­er ge­nä­hert, um sich dar­an zu wär­men, und wür­de sich schließ­lich dar­an ver­bren­nen. Durch sei­ne Keck­heit, sei­nen Witz und sei­nen Schein von Of­fen­heit hat­te die­ser Mensch ihn zu um­gar­nen ge­sucht, dem es doch zu­letzt nur auf den Vor­teil und Nut­zen sei­ner Par­tei an­kam. War An­halt nicht ein be­rüch­tig­ter Auf­wieg­ler, der im Diens­te Hein­richs IV. von Frank­reich ge­stan­den hat­te und der es ohne Zwei­fel auch mit den hol­län­di­schen Staa­ten, den Tür­ken des Nor­dens, hielt? Ja, wenn er in den läs­ti­gen und lei­di­gen Streit­fra­gen, mit de­nen man ihn seit Jah­ren be­läs­tig­te, zu­guns­ten der Evan­ge­li­schen ent­schie­de, so wür­den sie ihn hilf­los sei­nen Fein­den aus­lie­fern. Auf­merk­sam rief er sich al­les zu­rück, was An­halt ge­sagt hat­te, ob ein Ver­spre­chen dar­in ver­steckt ge­we­sen wäre, die Uni­on wür­de ihm ge­gen Matt­hi­as zu Hil­fe kom­men. Ge­gen die­sen lis­ti­gen Fürs­ten galt es die Waf­fe um­zu­keh­ren und ihn so zu be­ar­bei­ten, dass er ihm, dem Kai­ser, die Diens­te der Uni­on zur Ver­fü­gung stell­te und eine nach Be­lie­ben zu zah­len­de Rech­nung da­für aus­schrie­be.



Bei der zwei­ten Au­di­enz spür­te An­halt so­fort, dass mit dem Kai­ser eine Ver­än­de­rung vor­ge­gan­gen war; er schi­en eine frem­de Mas­ke vor­ge­bun­den zu ha­ben, der ge­gen­über der ver­wirr­te Gast das herz­li­che Ge­spräch vom vo­ri­gen Male nicht wie­der an­zu­knüp­fen wuss­te. Er wis­se wohl, sag­te Ru­dolf, dass sein Bru­der Matt­hi­as sich Hoff­nung auf den Bei­stand der Evan­ge­li­schen ma­che, auch sein Bru­der Ma­xi­mi­li­an hät­te mit die­sen zu tun ge­habt, er durch­schaue al­les, man sol­le im Reich nicht den­ken, dass ein Blin­der oder ein Kran­ker auf dem Hrad­schin sit­ze. Dann plötz­lich be­klag­te er sich, dass die Stän­de nach­läs­sig im Zah­len der Tür­ken­steu­er ge­we­sen wä­ren und ihn da­durch zu ei­nem schmäh­li­chen Frie­den mit den Tür­ken ge­zwun­gen hät­ten. Von der Tür­ken­steu­er ma­che er al­les ab­hän­gig, vor­her las­se er sich auf nichts ein. Er wol­le ge­hor­sa­me Un­ter­ta­nen se­hen, dann wer­de er auch ein gnä­di­ger Kai­ser sein.



An­halt war vor Är­ger und Ent­täu­schung rot ge­wor­den; wie ein Sumpf kam ihm der Kai­ser vor, in den es ihn reiz­te mit Stei­nen zu wer­fen. Man hät­te die Tür­ken­steu­er ent­rich­tet, sag­te er, ob­wohl es man­che selt­sam ge­dünkt hät­te, die nie­mals einen Tür­ken ge­se­hen hät­ten noch je se­hen wür­den. Aber man be­wil­li­ge selbst den Bau­ern, wenn sie ihre Ab­ga­ben und Fron­den or­dent­lich leis­te­ten, das, was sie, um ihr Le­ben zu fris­ten, nö­tig hät­ten. Für die Evan­ge­li­schen je­doch sei im Rei­che kein Recht und kein Rich­ter. Wehe dem Reich, wenn die Ver­kürz­ten in ih­rer Not zum Schwer­te grif­fen und die Feh­den zwi­schen Brü­dern sich er­neu­er­ten.



Das las­se sich wie eine Dro­hung hö­ren, sag­te der Kai­ser vor­sich­tig, und An­halt be­merk­te, dass sei­ne Hand, die um den Rand des Ti­sches griff, zu zit­tern be­gann. Von Un­ge­duld und Wi­der­wil­len hin­ge­ris­sen, ant­wor­te­te er, in­dem er sich stolz auf­rich­te­te, er ste­he als ein Un­ter­tan vor sei­nem Kai­ser, aber Gott sei über ih­nen bei­den, der nach Be­lie­ben um­wen­den kön­ne, was er er­schaf­fen habe. Ru­dolf sol­le nur das Ende Cäsars be­den­ken, wel­ches Gott habe ge­sche­hen las­sen, nach­dem er ihn so hoch ge­rückt habe, dass noch heu­te die Welt­be­herr­scher nach ihm ge­nannt wür­den.



Die­se Au­di­enz hat­te einen nach­tei­li­gen Ein­fluss auf den Zu­stand des Kai­sers. Die An­spie­lung auf die Er­mor­dung Cäsars gab ihm be­stän­dig An­lass zu Be­fürch­tun­gen, die Lang eher ver­stärk­te als ent­kräf­te­te. An die­sem An­halt, sag­te er, sehe der Kai­ser nun, was die Evan­ge­li­schen im Schil­de führ­ten und wozu sie fä­hig wä­ren, er hät­te sich nie so weit mit ihm ein­las­sen sol­len.



Je mehr sich Lang des Kai­sers si­cher fühl­te, de­sto gleich­gül­ti­ger und rück­sichts­lo­ser wur­de er ge­gen sei­ne Per­son. Be­frie­dig­te er auch nach wie vor sei­ne täg­li­chen Be­dürf­nis­se, so war doch der Ton sei­ner Stim­me da­bei oft hart und be­feh­lend und lag in sei­nem We­sen eine weg­wer­fen­de Ver­ach­tung, was der Kai­ser tief spür­te, ohne es mer­ken zu las­sen. Sei­ner­seits fiel es Lang nicht auf, dass der Kai­ser ihn sel­te­ner zu sich rief, viel­mehr oft ab­sicht­lich fern­hielt; denn er war froh, des läs­ti­gen Diens­tes ein­mal über­ho­ben zu sein. Mehr und mehr las­te­te das Be­wusst­sein auf dem Kai­ser, dass er sein Ver­trau­en die­sem Man­ne, der ihn nicht lie­be, ge­schenkt habe; es war ihm, als hät­te er ein Stück von sei­ner See­le in Langs Hand ge­ge­ben und müs­se sie um je­den Preis wie­der­ha­ben.



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7.



Vor Jah­ren hat­te Ty­cho de Bra­he, der kai­ser­li­che Astro­nom, in ei­ner miss­ver­gnüg­ten Stim­mung den Kai­ser vor sei­nem sech­zigs­ten Le­bens­jah­re ge­warnt, wäh­rend des­sen sein Le­ben durch Mord oder sons­ti­ges Ver­häng­nis in Ge­fahr schwe­be. Zu wei­te­ren Er­klä­run­gen hat­te sich Ty­cho nicht be­we­gen las­sen, wie denn über­haupt der hof­fär­ti­ge Däne sei­ne Auss­prü­che wie Kost­bar­kei­ten von sich gab, von de­nen er sich un­gern trenn­te. Von Jo­han­nes Kep­ler, dem ar­men Schwa­ben, der um des Glau­bens wil­len Amt und Brot ver­lo­ren hat­te und dank­bar sein muss­te, in Prag eine Un­ter­kunft zu fin­den, hat­te der Kai­ser er­war­tet, dass er aus­gie­bi­ger sein wür­de; an­statt des­sen war von die­sem ei­gen­sin­ni­gen Man­ne noch we­ni­ger her­aus­zu­be­kom­men. Je mehr sich der Kai­ser sei­nem sech­zigs­ten Jah­re nä­her­te, de­sto häu­fi­ger lag ihm die Pro­phe­zei­ung des Ty­cho be­ängs­ti­gend im Sin­ne, und ei­nes Abends ließ er sei­nen Astro­no­men zu sich be­schei­den in der un­be­stimm­ten Hoff­nung, der­sel­be kön­ne sie ent­kräf­ten oder eine tröst­li­che an ihre Stel­le set­zen. Kep­ler, der es nicht ver­tra­gen konn­te, in der Ar­beit ge­stört zu wer­den, war un­ge­hal­ten; er sei nicht des Kai­sers Narr, murr­te er, in­dem er sei­ne Map­pe zu­rück­s­tieß, dass die be­schrie­be­nen Blät­ter im Zim­mer um­her­flo­gen. Da sich sei­ne Frau un­ter Seuf­zen an­schick­te sie auf­zu­le­sen, rief er ihr zu, sie sol­le das las­sen. »Wenn ich mei­nen Brei ver­brannt habe, wer­de ich ihn auch selbst aus­löf­feln«, sag­te er är­ger­lich. Wa­rum er sich be­kla­ge, sag­te jetzt die Frau vor­wurfs­voll, dass der Kai­ser ihn wie einen La­kai­en oder Lauf­bur­schen trak­tie­re? Er hät­te zei­tig vor­bau­en und als ein Mann von Adel, und der auf sei­ne Wür­de hiel­te, auf­tre­ten sol­len. Auch der Ty­cho hät­te ihn, Kep­ler, wie einen Die­ner be­han­delt, und er hät­te sich’s ge­fal­len las­sen, nur zu Hau­se kön­ne er den Part des Lö­wen brül­len.

 



Kep­ler ent­schul­dig­te sich, er dür­fe es doch mit dem Kai­ser nicht ver­der­ben, schließ­lich sei es ja das schlimms­te nicht, dass er nachts noch ein­mal auf das Schloss müs­se, so gehe es bei Hofe ein­mal zu. Der Kai­ser habe ihm doch auch Huld und Ver­trau­en er­wie­sen, und er habe Ur­sa­che, ihm dank­bar zu sein. Was näm­lich in Prag für Kep­ler un­schätz­ba­ren Wert hat­te, wa­ren die Beo­b­ach­tun­gen, die Ty­cho de Bra­he in lan­gen Jah­ren über die Bahn des Pla­ne­ten Mars an­ge­stellt hat­te und die er zum Aus­bau sei­nes Sys­tems ge­brauch­te. Als nun nach dem Tode des Ty­cho sei­ne Er­ben die­se Pa­pie­re nebst dem gan­zen Nach­lass für sich be­an­spruch­ten und dem Kep­ler nicht zur Ein­sicht las­sen woll­ten, ent­schied der Kai­ser zu sei­nen Guns­ten, da­mit er sein Werk vollen­den kön­ne.



Im Schlos­se an­ge­langt, er­zähl­te Kep­ler, in der Mei­nung, der Kai­ser wol­le über den Fort­schritt sei­ner Ar­beit un­ter­rich­tet sein, es gehe rüs­tig vor­wärts, und im Lau­fe ei­nes Jah­res kön­ne er et­was Neu­es, der Auf­merk­sam­keit Wür­di­ges im Druck er­schei­nen las­sen. Durch die Be­rech­nun­gen des Ty­cho sei er in­stand ge­setzt, den er­ha­be­nen Traum des Ko­per­ni­kus auf die fes­ten Säu­len der Wirk­lich­keit zu grün­den, und er zweifle nicht, dass die­se Ent­de­ckung den Ruhm des Kai­sers ver­meh­ren wer­de, des­sen Groß­mut ihm zum Be­sitz der dazu not­wen­di­gen Hilfs­mit­tel ver­hol­fen habe.



Der Kai­ser hör­te freund­lich und ein we­nig zer­streut zu; ob der neue Ka­len­der noch nicht fer­tig sei? frag­te er. Nein, ant­wor­te­te Kep­ler, es ste­he noch et­was aus, er sei all­zu sehr in sei­ne große Ar­beit ver­tieft ge­we­sen, hät­te auch einen neu­en Stern am Him­mel be­ob­ach­tet, was ihm viel Zeit und Ge­dan­ken ge­nom­men hät­te.



Ein neu­er Stern? frag­te der Kai­ser; was das zu be­deu­ten habe. Ob es ein Ko­met sei. Nein, sag­te Kep­ler, ein Ko­met sei auch sicht­bar, aber die­ser Stern gebe ihm mehr zu den­ken. Ob er ihn se­hen wol­le? Er kön­ne ihn von der Ga­le­rie des Bel­ve­de­re aus be­ob­ach­ten. Die Die­ner­schaft und die üb­ri­gen An­we­sen­den wa­ren er­staunt, als der Kai­ser sei­ne Ge­neigt­heit er­klär­te, und vollends er­schro­cken, als er ihre Beglei­tung aus­schlug. Der Kep­ler sol­le ihn füh­ren, sag­te er, in­dem er die­sen fra­gend an­sah, wor­auf der la­chend ant­wor­te­te, das ge­traue er sich wohl, und se­hen müs­se der Kai­ser oh­ne­hin mit sei­nen ei­ge­nen Au­gen. Es kön­ne der Ma­je­stät doch et­was zu­sto­ßen, sag­te der neue Ofen­hei­zer Rhuts­ky ängst­lich, we­nigs­tens müs­se mit Wind­lich­tern ge­leuch­tet wer­den, und un­ten vor der Ga­le­rie müs­se je­mand war­ten, für den Fall, dass der Kai­ser et­was be­nö­ti­ge. Nach­dem al­les an­ge­ord­net war, er­griff der Kai­ser Kep­lers Arm und ließ sich von ihm durch den Schloss­gar­ten am sin­gen­den Brun­nen vor­über zum Bel­ve­de­re füh­ren. Vor dem jä­hen An­blick der himm­li­schen Unend­lich­keit schloss der Kai­ser die Au­gen und hieß Kep­ler durch einen Wink mit der Hand einen Ses­sel dicht an die Mau­er rücken, denn er litt an Schwin­del. Den Pelz, den man ihm um­ge­hängt hat­te, dicht um sich zie­hend, ob­wohl es eine laue Früh­lings­nacht war, setz­te er sich und blieb eine Wei­le so, ohne sich zu rüh­ren. Nach­dem er sich er­holt hat­te, wies ihm Kep­ler erst den Ko­me­ten, der als ein schwa­cher, et­was ver­schwom­me­ner Schein aus dem blass­blau­en Him­mel auf­tauch­te, und dann den neu­en Stern, der sich im Stern­bild der Lei­er zeig­te. Wenn er recht auf­mer­ke, sag­te er zum Kai­ser, wer­de er se­hen, dass die­ser Stern an­ders als die an­de­ren, wie eine stark bren­nen­de Fa­ckel aus­se­he und dass zu­wei­len ru­bin­ro­te Zun­gen dar­in auf­flamm­ten, als ob in ei­nem Hochofen ge­wis­se Stof­fe zer­schmol­zen wür­den. Er hal­te da­für, dass es mit die­sem Stern sei­ne be­son­de­re Be­wandt­nis habe.



Was er da­mit an­deu­ten wol­le? frag­te der Kai­ser auf­merk­sam, er sol­le es un­ge­scheut her­aus­sa­gen.



»Wie«, sag­te Kep­ler, »wenn es gar kein Stern wäre, son­dern eine Welt, die jen­seits der uns sicht­ba­ren Son­nen­wel­ten läge und die, durch in­ne­res Ge­setz oder un­er­forsch­li­che Re­vo­lu­tio­nen er­schüt­tert, un­ter­ge­hend durch un­se­ren Raum stürz­te? Dann frei­lich müss­te sie, wie sie aus ih­rer, un­se­ren ar­men Werk­zeu­gen un­zu­gäng­li­chen Ent­le­gen­heit her­aus­brach, auch wie­der ver­schwin­den.« Ein neu­er Stern müs­se einen neu­en Kai­ser be­deu­ten, sag­te der Kai­ser, so viel ver­ste­he er auch von der Stern­kunst.



Ach nein, sag­te Kep­ler gut­mü­tig, in­dem er sich über den Lehn­stuhl des Kai­sers beug­te, das sol­le er sich doch aus dem Sinn schla­gen. Der Wel­ten­sturz, der jetzt dort er­schei­ne, sei vor un­mess­ba­rer Zeit ge­sche­hen, als die rö­mi­schen Kai­ser deut­scher Na­ti­on noch gar nicht vor­han­den ge­we­sen.



Aber um­sonst kön­ne er doch nicht er­schei­nen, be­harr­te der Kai­ser, und auch nichts Ge­rin­ges zu be­deu­ten ha­ben.



Kep­ler zuck­te ein we­nig un­ge­dul­dig die Schul­tern und sag­te nach ei­ner Wei­le: »Wenn es so wäre, dass wir, die ir­di­sche Luft ver­las­send, im Äther at­men und in den Wel­traum hin­ein­schif­fen könn­ten, dann wür­den wir Jahr­hun­der­te rei­sen, bis wir etwa in die Nähe je­ner Welt kämen. Wenn un­ser Herz dann von dem Don­ner der um­rol­len­den Son­nen und dem An­blick der ent­blö­ßten All­macht Got­tes noch nicht ge­bro­chen wäre, wür­den wir viel­leicht se­hen, wie ein aus den Weltentrüm­mern ver­jüng­ter Ball durch den ko­chen­den Ozean roll­te. Schei­ter­te dann un­ser Schiff in der feu­ri­gen Bran­dung, wer frü­ge da­nach? Was könn­ten wir den Erst­lin­gen Got­tes gel­ten?«



Der Kai­ser wen­de­te sich mit miss­traui­schem Blick nach Kep­ler um. Er sei ein Ket­zer, sag­te er; ob er etwa nicht glau­be, dass Gott, der die Men­schen er­schaf­fen habe, ih­ren Lauf und die Stun­de ih­res To­des wis­se? Ob er nicht glau­be, dass Gott sie durch Zei­chen war­nen kön­ne?



»Al­les, was ge­schieht, ge­schieht in Gott«, sag­te Kep­ler eif­rig, »und also ist Gott all­wis­send.« Es möch­te auch wohl sein, fuhr er fort, dass, da alle Tei­le der Welt in Gott zu­sam­men­hin­gen, der eine Teil sich im an­de­ren spie­gle. Aber so im ein­zel­nen kön­ne man dem nicht nach­ge­hen. Es könn­ten auch Kai­ser auf an­de­ren Ster­nen re­gie­ren, um die sich Gott be­küm­mern müss­te, man könn­te da leicht et­was auf den un­rech­ten Ort be­zie­hen. Wol­le der Kai­ser aber durch­aus eine Aus­le­gung von ihm ha­ben, so wol­le er ihn mah­nen, nach Un­garn zu bli­cken, weil der Stern dort hin­über auf­ge­gan­gen sei.



So gehe es doch auf den Matt­hi­as, mur­mel­te der Kai­ser, in sich hin­ein schau­dernd.



Das habe er nicht ge­meint, sag­te Kep­ler, mit­lei­dig in das fah­le, jam­mer­vol­le Ge­sicht d