Ricarda Huch: Deutsche Geschichte 2 Zeitalter der Glauben-Spaltung - Band 2 - bei Jürgen Ruszkowski

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Sari: gelbe Buchreihe #179
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Man müsste sich wundern, dass Gregor von Heimburg, der als Syndikus von Nürnberg die Gewalttätigkeit eines Fürsten so ernstlich bekämpft hatte, sich nun für das Machtstreben eines Fürsten einsetzte, wenn man nicht bedächte, dass er hier gegen den Absolutismus des weltbeherrschenden Papstes vorgehen konnte, den zu erschüttern das Ziel seines Lebens war. Unverkennbar wurde das Auftreten des Herzogs schroffer, seit er Heimburg in seinen Dienst genommen hatte. Nachdem Cusa den Herzog durch Drohungen gereizt hatte, wie dass er ihm die Brixener Lehen entziehen und sie dem Kaiser übertragen werde, schickte der Herzog ihm, um der Sache ein Ende zu machen, einen Absagebrief, überfiel ihn in Bruneck und zwang ihm einen für sich günstigen Vertrag ab. Cusa verließ sein Bistum und bewog den Papst, Herzog Siegmund, den er im Interesse seines Kreuzzuges viel lieber freundlich behandelt hätte, zu exkommunizieren. Heimburg verfasste dagegen eine Appellation an einen künftigen Papst und ein künftiges Konzil, ja an die gesamte Herde unseres Herrn Jesu Christi, wie er sich ausdrückte, und an jeden, der sich unser erbarmen und das Recht eines niedriger Gestellten auch gegen zürnende höher Gestellte verteidigen will, endlich an alle Freunde der Gerechtigkeit und Unschuld. Es war eine unerhörte Herausforderung, denn eben erst hatte Pius II. die Bulle Execrobilis erlassen, in der er alle für den Bann verfallen erklärte, die an ein künftiges Konzil appellieren würden, womit er also die auf den Konzilien zu Konstanz und Basel aufgestellten Grundsätze verdammte. Heimburg appellierte an ein künftiges Konzil, aber nicht nur das, sondern auch von der sichtbaren Kirche an eine unsichtbare. Am Grünen Donnerstag des folgenden Jahres schaltete Pius die Exkommunikation des Herzogs und Heimburgs zwischen den altherkömmlichen Fluch über die Häretiker und den über die Seeräuber und Sarazenen ein.

Nachdem diese endgültige Verfluchung unter pompösen Zermalmungsandrohungen verhängt war, blieb alles wie zuvor. Der Herzog blieb Herzog, und Heimburg blieb sein Rat, das Volk starrte einen Augenblick auf die päpstlichen Blitze wie auf ein gemaltes Gewitter und ging dann wieder seinen Geschäften nach. Da doch etwas geschehen musste, verfiel Pius II. auf die schweizerischen Eidgenossen als auf besonders getreue Söhne. Sie hatten zur Zeit des Konstanzer Konzils dem Vater des jetzigen Herzogs den Aargau weggenommen, freilich im Auftrag des Kaisers im Gegensatz zum damaligen Papst, und würden sich jetzt vielleicht bereitfinden lassen, Herzog Siegmund den Thurgau zu entreißen. Zwar hatte er sie aus irgendeinem Grunde kürzlich in den Bann getan, aber den hob er auf und ermunterte sie, die Exekution zu vollstrecken. Nicht sofort willigten die Eidgenossen ein, und nachdem sie sich schließlich aufgerafft und den Thurgau, des Herzogs letzte Besitzung in der Schweiz, erobert hatten, schlossen sie mit ihm Frieden. So hatte der Papst es nicht gemeint, er schalt und mahnte, allein vergebens, die Eidgenossen blieben verstockt. Der Kaiser, an den er sich nun wandte und mit dem der Papst so eng durch die Reichsgesetze und persönlich durch 210.000 Dukaten verbunden war, schlug doch den verwandtschaftlichen Zusammenhang höher an und weigerte sich, gegen seinen Vetter einzuschreiten. Die nun ergehende Vorladung Siegmunds, Heimburgs, sämtlicher anderer Räte des Herzogs, des Bischofs von Trient, des Kapitels von Brixen, der meisten Äbte Tirols, vieler geistlicher und weltlicher Herren, der Bürger aller Städte, fast aller Einwohner der Grafschaft Tirol nach Rom, wo sie wegen ihrer Rechtgläubigkeit in Bezug auf den Artikel: ich glaube an eine heilige, katholische und apostolische Kirche, vernommen werden sollten, regte Heimburg zu witzigen Ausmalungen dieses Massenaufbruchs an. In seiner Entgegnung sagte er, man könne wohl glauben, dass eine Kirche sei, nicht aber könne man an eine Kirche glauben, denn man glaube nur an Göttliches, nicht an Erschaffenes, und bezeichnete damit die Kirche als eine menschliche Einrichtung. Es blieb dem Papst nur die Hoffnung auf die Wirkung einer Handelssperre, die als Folge der Exkommunikation eintreten sollte. Cusa selbst drängte darauf, dass alle nach Tirol führenden Wege gesperrt und alle Lebensmittel zurückgehalten würden, damit eine völlige Aushungerung die Hartnäckigen endlich niederzwänge. Pius scheute sich nicht, die Edelleute aufzufordern, dass sie, was sie ohnehin gern taten, die Handelsleute überfielen und ihnen ihre Waren, z. B. Salz und Wein, wegnähmen. Obschon auch die Sperre schwer durchführbar war, wie denn z. B. der Erzbischof von Salzburg erklärte, seine Untertanen müssten ohne von Tirol eingeführte Lebensmittel verhungern, ließen doch ihre in Tirol allmählich peinlich empfundenen Folgen den Herzog eine Beilegung des Streites wünschen. Da auf der anderen Seite der Papst mit Schrecken sah, wie wenig seine Bannflüche verfingen, schien eine von der Republik Venedig vorgeschlagene Vermittlung nicht mehr ganz aussichtslos. Der von ihr damit betraute Morosini, ein feiner und kluger Mann, suchte mit unsäglicher Geduld eine Verständigung herbeizuführen. Es spricht für Gregor von Heimburg, den er bei diesem Anlass kennenlernte, wie hoch ihn der gebildete Venezianer schätzte. Dem päpstlichen Legaten gegenüber sprach er die Ansicht aus, dass der Papst und Cusa durch Humanität und Güte mehr ausrichten würden als durch Gewalt. „Ich muss bezeugen“, schrieb er, „dass mir der Herr Gregorius in einem ganz anderen Licht erschien, als er mir geschildert war, und ich glaube mit Recht überzeugt sein zu dürfen, dass ich alles durch seine Klugheit und Umsicht erreicht habe. Nicht nur der Herzog, sondern ganz Deutschland hält ihn für einen höchst gelehrten Mann und entschiedenen Freund der Wahrheit und des Friedens.“ Diese eifrigen, wohlwollenden Bemühungen scheiterten an der Unversöhnlichkeit des Nikolaus von Cusa. Er blieb dabei, dass das Hochstift Brixen der Herr und der Herzog der Vasall sei; ohne Unterwerfung und Abbitte des Herzogs gestattete er dem Papst nicht, die Exkommunikation aufzuheben. Nachdem Venedig sich zurückgezogen hatte, nahm der Kaiser das Vermittelungswerk auf. „In der Tat, heiliger Vater“, schrieb er dem Papst, „wäre es Zeit, die Sache beizulegen. Die Autorität der Kirche verliert, wie wir sehen, zu sehr an Achtung. Es ist nötig in Berücksichtigung unserer Zeit von der Strenge ein wenig nachzulassen.“ In Berücksichtigung unserer Zeit! Ja, das hatte sich gezeigt, dass der päpstliche Bannfluch einen Fürsten nicht mehr vom Thron schleudern konnte. Pius II. sah es ein, Cusa nicht. An seiner starren Haltung wäre die Vermittlung wohl wieder abgeglitten; da berührte den Knoten, den alles Zerren anstatt ihn aufzulösen nur desto fester zusammengezogen hatte, die Geisterhand des Todes, und er fiel schlaff auseinander: rasch nacheinander starben im Spätsommer 1464 erst Nikolaus von Cusa, dann Pius II. Gleich darauf wurden die Vorschläge des Kaisers angenommen. Siegmund beugte sich nicht; da er sich durchaus weigerte, Abbitte zu leisten, erbot sich der Kaiser zu einer stellvertretenden Demütigung vor dem Papst. Ob und in welcher Form sie ausgeübt wurde, steht nicht fest.

In dieser Versöhnung war Gregor von Heimburg nicht inbegriffen und suchte sie wohl auch nicht. Da sein Verhältnis zu Nürnberg schon seit einigen Jahren gelöst war, trat er durch Vermittlung Herzog Albrechts von Sachsen in Beziehung zu Georg Podiebrad, dem König von Böhmen, der als Kalixtiner den Gegner des Papstes gebrauchen konnte und mächtig genug war, den Verfemten zu schützen.


Georg von Kunštát und Poděbrad (* 1420 † 1471), auch bekannt als Poděbrad oder Podiebrad, war der sechzehnte König von Böhmen, der 1458–1471 regierte. Er war ein Führer der Hussiten, jedoch gemäßigt und tolerant gegenüber dem katholischen Glauben.

Dieser bedeutende Fürst, den einige unternehmende Männer im Reich gern unter Beiseiteschiebung des schläfrigen Friedrich zum Kaiser gemacht hätten, war immer bereit, großartige Pläne auszuführen, die er selbst entwarf oder die andere ihm unterbreiteten. Er plante eine Organisation der abendländischen Fürsten, die der päpstlichen Macht die Waage halten könnte, er dachte sogar daran, die Türken aus dem vor kurzem eroberten Konstantinopel hinauszuwerfen und sich selbst zum oströmischen Kaiser zu machen. Wieder hatte Heimburg Gelegenheit, mit Rat und Schrift gegen die Gewaltherrschaft des Papstes zu wirken, der einen Feldzug gegen den hussitischen Böhmenkönig führte, wie Pius II. gegen Herzog Siegmund getan hatte, ihn in den Bann tat und seine Untertanen und die benachbarten Fürsten gegen ihn auf hetzte.


Matthias Corvinus (* 1443, † 1490), auch Matthias I. genannt, war von 1458 bis 1490 König von Ungarn und Kroatien. Nach mehreren Feldzügen wurde er 1469 zum König von Böhmen gewählt und nahm 1487 den Titel Herzog von Österreich an.

Mathias von Ungarn, auch ein hochstrebender und begabter Mann, setzte sich schließlich, den Ermahnungen Gehör schenkend, in Bewegung und ließ sich zum König von Böhmen wählen; ein Krieg wäre zwischen den beiden mächtigen Emporkömmlingen des Ostens entbrannt, wenn nicht Georg Podiebrad dem Tod erlegen wäre. So war Gregor von Heimburg ohne Aufgabe und ohne Schutz.

Albrecht von Sachsen, der Schwiegersohn des Verstorbenen, nahm ihn auf und brachte ihn nach Dresden; aber trotz der herzoglichen Gunst wollte die Stadt den Gebannten nicht bei sich dulden. Da entschloss sich der verlassene Kämpfer, die Absolution des Papstes zu suchen und erhielt sie auf Albrechts Befürwortung. Es war im Jahr 1472; bald darauf starb er.

Der Verlauf des Streites zwischen dem Herzog von Tirol und der Kirche zeigt, wie nah der Gedanke der Säkularisation geistlicher Güter den weltlichen Fürsten lag, wie sie, sowie es möglich schien, ihn grundsätzlich ergriffen und rücksichtslos durchzuführen versuchten, und was für ketzerische Gedanken in Verbindung damit laut, öffentlich dem Papst entgegengeworfen werden konnten.

 

Albrecht Wettin von Sachsen, Herzog von Sachsen, geboren am 27 Januar 1443 in Grimma, verstorben am 12. September 1500.

Es zeigte sich freilich auch, was für Kampfmittel dem Papst doch noch zur Verfügung standen, wie er Ehrgeizige, Unzufriedene und Habgierige zu benutzen wusste, und wie auch der Bannfluch dadurch lästig werden konnte, dass sich Feinde seiner zum Schaden des Betroffenen bedienten. Noch war ein Gebannter, wenn er nicht Fürst war, ein Ausgestoßener, für manches einfache Gemüt ein gebrandmarkter Frevler, für die vielen Niederträchtigen ein bequemes Ziel. Selbst ein so überzeugter Gegner des Papstes wie Gregor von Heimburg gab am Ende nach. War der einst so Tapfere müde geworden? Tat er es, um dem Herzog von Sachsen, dem einzigen, der ihm ein Asyl anbot, keine Schwierigkeiten zu machen? Oder war auch in ihm ein Gefühl geblieben oder wieder erwacht, das sich nach der Geborgenheit im Schoss der alten Mutter Kirche sehnte, die alle Christen des Abendlandes umfasste und zu Brüdern machte?

* * *

Humanisten und Mönche

Humanisten und Mönche

Wie eine Landschaft zuweilen vor anderen mit Früchten gesegnet ist, so bringt sie auch zuzeiten eine besonders große Anzahl außergewöhnlicher Menschen hervor, eine überschwengliche Ernte, der vielleicht langedauernde Unfruchtbarkeit folgt. Westfalen und der obere Rhein waren im 15. Jahrhundert so ergiebig, namentlich das Gebiet des Oberrheins war erfüllt von der Heiterkeit und dem Brausen geistigen Lebens.


Jakob Wimpfeling, geb. in Schlettstadt, Elsass, 25. Juli 1450; war ein Humanist und Theologe der Renaissance.

Die Schule von Schlettstadt leitete Jakob Wimpheling, am Dom von Straßburg predigte Geiler von Kaisersberg, an der Universität Freiburg lehrte Ulrich Zasius.


Johann Geiler von Kaysersberg war Priester, der als einer der größten Volksprediger des 15. Jahrhunderts galt.


Ulrich Zasius (1461 – 24. November 1535 oder 1536) war ein deutscher Jurist. 1461 in Konstanz (heute Baden-Württemberg) geboren. Nach dem Studium in Tübingen zunächst bischöflicher Notar in Konstanz, dann 1489 Stadtschreiber in Baden im Aargau und in Freiburg in 1493. † 1535.

Diese und viele andere Männer, um die Mitte des Jahrhunderts geboren, waren durchdrungen vom Bewusstsein der Notwendigkeit einer Reform, die darin bestehen sollte, dass durch die auf allen Gebieten wuchernde Verwilderung, durch den aufgehäuften Wust von Missbräuchen und Verzerrungen durchgebrochen werden müsse zu den reinen Quellen, aus denen die Religion, das Recht, die Sprache, die Sitten geflossen wären, hauptsächlich zur Heiligen Schrift. Dort sollte man die christliche Lehre aus dem Mund des Heilands vernehmen anstatt aus den durch die Spitzfindigkeit der Scholastik verdunkelten Lehrbüchern oder aus den mit sinnlosen Wundergeschichten zur Unterhaltung ausgeschmückten Legendensammlungen. Das römische Recht sollte man aus den von Justinian gesammelten Rechtsbüchern, nicht aus den verunstaltenden Kommentaren des Mittelalters, die alten Sprachen sollte man aus den Werken der klassischen Schriftsteller studieren. Um das gegenwärtige Leben des deutschen Volkes aufzuhellen, wollten sie zu seinen Ursprüngen zurückkehren und in der Vertiefung in seine ruhmreiche Vergangenheit den Glauben an seine Zukunft gewinnen.

Viele von diesen älteren Humanisten waren niemals in Italien gewesen, und mochten sie auch von der großartigen Bewegung des den Deutschen so eng verbundenen Landes berührt sein, so waren sie doch mehr beeinflusst von der in der Stille erwachsenen Lebensauffassung und Unterrichtsart der ‚Brüder vom gemeinsamen Leben’, die in den Niederlanden entstanden waren und in der Schule von Deventer eine Stätte weitreichender Wirksamkeit gegründet hatten. Italien wirkte auf das lebhaft erwachende Interesse an der deutschen Geschichte weniger durch den dortigen Patriotismus und die bewunderten Vorbilder der Antike als durch seine Verachtung der Deutschen. Vielleicht war der tiefste Grund für dies neue Interesse die Tatsache, dass eine Epoche abgelaufen war, der eine auf wesentlich verschiedener Grundlage sich entwickelnde folgen musste, dass man in einer Stunde lebte, wo eine Entwicklung sich geschlossen hatte, wo auf göttlichen Wink die Hülle vom gegossenen Bild fällt und es rund und blinkend vor allen Augen dasteht, nicht mehr fließend, sondern fertig für die Ewigkeit. Dies war gerade den Humanisten des Oberrheins nicht bewusst, sie wollten vielmehr den Schutt wegräumen, damit das alte Fundament zum Vorschein käme und richtig an das Alte anschließend weiter gebaut werden könne. Aber ein Stachel war es ihnen, dass die Deutschen von den kultivierteren Nachbarn als Barbaren bezeichnet wurden. Poggio zum Beispiel, der als Teilnehmer des Konzils sich in Konstanz aufgehalten und in deutschen Klöstern nach alten Handschriften gefahndet hatte, schrieb in einem Brief, die Deutschen seien einst ein kriegerisches Volk gewesen, jetzt wären sie nur stark im Essen und Trinken. „Sind das Menschen?“ sagte er: „Gute Götter, schlaftrunkene, blöde, schnarchende Geschöpfe sind es, niemals nüchtern, den Menschen und Gott verhasst! Ob sie leben oder tot sind, kann man nicht unterscheiden, wenn sie von Wein und Speise überwältigt daliegen.“ Ein anderer Italiener nannte Deutschland eine Räuberhöhle, in der die Edelsten vom Adel die Räuber wären. „Leben ist hier gleichbedeutend mit Saufen.“ Die Barbarei des Geistes sei unglaublich, Freunde der Wissenschaft seien äußerst selten, Freunde der Eleganz gebe es überhaupt nicht, für das Studium der Humanität fehle es an Fassungskraft. Unter solchen Barbaren wohne keine Muse. Derartigen Beschimpfungen sollte ein Bild glanzvoller Vergangenheit, großer Taten deutscher Helden entgegengestellt werden. Aus ähnlicher Stimmung heraus hatte im Anfang des Jahrhunderts Dietrich von Niem (ca. 1345 – 22. März 1418), ein Westfale, der im Dienst des Papstes in Italien lebte, die ersten Züge zu einer deutschen Geschichte entworfen. Er zuerst bezeichnete auch die Deutschen als Nation, das Wort im völkischen Sinne gebrauchend. In einer Zeit beginnender Auflösung ermutigte er sich und sein Volk durch die Erinnerung an das Heldenzeitalter des Reiches unter den großen Kaisern, von denen er Otto I., Magnus Augustus, am höchsten verehrte. Heraufbeschworen durch den Unwillen über eine trübe gewordene Gegenwart, zogen sie vorüber, die blonden Sachsenkönige, die dämonischen Staufer, die geharnischten Ritter, eine gottgeweihte Schar, die ihren Kaiser über die Alpen geleitete, den Westen schützte und den Osten eroberte. Seine Auffassung hat Nikolaus von Cusa und die Humanisten beeinflusst. Jakob Wimpheling, in der elsässischen Reichsstadt Schlettstadt geboren, versuchte als erster nach ihm eine Darstellung deutscher Geschichte unter dem Titel Epitome rerum Germanicarum. Die Herrlichkeit des Imperiums, die völkerbezwingenden Waffentaten ließ er ausmünden in die Zeit der Erfindung Gutenbergs, wo die Hand, die das Schwert führte, im Buchdruck das Wort verbreitete und verewigte, wo der Barbar dem Abendland eine Waffe schenkte, die nicht tötet, sondern lebendig macht, den Samen der Bildung in die Furchen der Zeit streut.


Johannes Gutenberg

Wimpheling hat eine eigene Schrift über die Kunst des Buchdrucks verfasst, die göttliche Kunst oder die deutsche Kunst, wie man sie schlechtweg nannte. Er frohlockte über die große Zahl der meist deutschen Buchdrucker, die in fast allen Ländern, dankbar aufgenommen, Werkstätten errichtet hatten. Indessen war Wimpheling nicht blind für die Fehler seiner Landsleute, die missgünstige Beobachter zu dem Vorwurf der Barbarei berechtigten. Er lobte sie als tapfer, treu, wahrheitsliebend, aber er tadelte ihre Trunksucht und dass der Adel, nur am Krieg und an der Jagd seine Lust findend, sich zu gut hielt, um Bildung des Geistes zu erwerben. Der Adel war gewohnt gewesen, dass seine kränklichen oder zarten Söhne, die lieber über den Büchern als auf dem Rücken der Pferde saßen, dem geistlichen und damit dem gelehrten Stande geweiht wurden; das, was er für einen Mangel ansah, machte sie zu Gelehrten. Das sollte nun anders werden, seit Bildung die Aufgabe hatte, alle in den Menschen gelegten Keime zur Entfaltung zu bringen, einen edlen, vernünftig urteilenden, die äußere und innere Welt nach allen Beziehungen überblickenden Menschen zu formen. Gerade im Westen, an der französischen Grenze, wo man dem Angriff sowohl wie der Verführung unmittelbar ausgesetzt war, konnte sich das Bewusstsein des Deutschtums leidenschaftlich steigern.

Seit es ein Frankreich gibt, hatte Frankreich mit brennender Eifersucht auf das Nachbarvolk geblickt, das Träger des Kaisertums geworden war, wozu sich Frankreich, das Karl den Großen ebenso für sich in Anspruch nahm wie Deutschland, das sich sogar nach seinem Stammesnamen nannte, ebenso berechtigt hielt. Kaum war durch Beendigung des englisch-französischen Krieges Frankreichs Kraft frei geworden, so suchte es von neuem, wie es schon vor diesem Krieg getan hatte, die angeblichen Ansprüche zu verwirklichen, sei es durch kriegerischen Überfall, sei es durch Bestechung.


Ludwig XI. der Kluge (3. Juli 1423 – 30. August 1483), König von Frankreich von 1461 bis 1483. Er war der sechste König aus dem Haus Valois und der zweite der sogenannten Loire-Könige.

Nachdem im Jahr 1444 der Dauphin, der spätere König Ludwig XI., Straßburg belagert hatte, entstand dort eine französische Partei, die den Anschluss an Frankreich wünschte und von französischen Sendungen ermuntert und unterstützt wurde. Im Hinblick auf diese Verhältnisse richtete Wimpheling eine Schrift an den Rat von Straßburg, deren Zweck die Aufforderung war, in Straßburg ein Gymnasium zu gründen, deren eigentlichen Kern aber die Auseinandersetzung bildete, dass das linksrheinische Gebiet immer den Deutschen, niemals den Franzosen gehört habe, und dass Karl der Große ein Deutscher gewesen sei. Der Rat erhielt die in lateinischer Sprache verfasste Schrift in deutscher Übersetzung. Man hätte sich nicht wundern können, wenn die Straßburger französische Partei die Schrift angegriffen hätte; anstatt dessen kam eine Entgegnung von ganz anderer Seite, von einem jungen Mann nämlich, der sich bisher als Anhänger Wimphelings gebärdet hatte, dem Franziskanermönch Thomas Murner.


Thomas Murner, OFM (24. Dezember 1475 – ca. 1537) war ein deutscher Satiriker, Dichter und Übersetzer. Er wurde in Oberehnheim (Obernai) bei Straßburg geboren. 1490 trat er in den Franziskanerorden ein und begann 1495 zu reisen, zu studieren und dann in Freiburg im Breisgau, Paris, Krakau und Straßburg selbst zu lehren und zu predigen.

Er machte sich in der Germania nova über Wimphelings historische Beweisführung lustig, wozu er Ursache gehabt hätte, da die Quellenforschung trotz guter Absicht noch nicht sehr ausgebildet war, wenn nur seine eigene stichhaltiger gewesen wäre. Seine Kritik hatte die gute Folge, dass Wimpheling in seiner Entgegnung nunmehr die weit ausholenden künstlichen Gründe beiseitesetzte und sich auf die Tatsache berief, dass „unsere Väter und Großväter, unsere Urgroßväter, Vorfahren und Ahnen Deutsche oder Alemannen gewesen sind, dass sie deutsch gesprochen, dass sie Männer von deutscher Art und Sitte gewesen“. Während der Straßburger Rat Wimphelings Schrift mit Dank, ja mit Begeisterung aufgenommen hatte, befahl er die Vernichtung der Murnerschen Entgegnung.

 

Die Fehde wurde von den Anhängern Wimphelings noch eine Zeitlang fortgesetzt. Es erschienen damals wohl schon Flugblätter und sogenannte Neue Zeitungen; aber Zeitungen im heutigen Sinne, wo die öffentliche Meinung sich täglich hätte äußern, wo auf allen Gebieten des Lebens das Für und Wider hätte besprochen werden, Gegner in Streitfragen sich hätten bekämpfen können, gab es nicht. Anstatt dessen teilten sich die Gelehrten ihre Ansichten und Entdeckungen in Briefen mit, die gesammelt und gedruckt wurden, oder sie bekämpften und verteidigten sich in Druckschriften. Wimphelings Getreue behandelten Murner wie einen Landesverräter; aber es scheint nicht, dass er im Auftrag oder nur im Sinne der französischen Partei Straßburgs aufgetreten war, sonst hätte Kaiser Maximilian, der so unermüdlich sein Leben lang die Sache des Reiches gegen Frankreich verfocht, ihn wohl kaum zum Dichter gekrönt. Was ihn eigentlich bewog, die politischen Behauptungen Wimphelings zu bestreiten, ist nicht recht ersichtlich; vielleicht lockte es den Witzigen und Spottlustigen, Wimphelings etwas schwerfälligen Kothurn ins Stolpern zu bringen, vielleicht ärgerte ihn als Mönch, der die Klosterschulen für die besten hielt, der Vorschlag, in Straßburg ein Gymnasium zu gründen. Überhaupt bestand ein Gegensatz zwischen der Welt- und der Klostergeistlichkeit: die Weltgeistlichen verachteten die Mönche wegen ihres Mangels an Kenntnissen, ihres abgeschmackten Aberglaubens und ihres Schwelgens in Sinnengenüssen, die Mönche wehrten sich mit dem Vorwurf der Ketzerei. Als Wimpheling in der Schrift De integritate gegen die Mönche zu Felde zog und als Beispiel dafür, dass man auch außerhalb der Klostermauern ein heiliges Leben führen könne, Augustinus anführte, der nie eine Kutte getragen und nie gebettelt habe, sprang Murner wieder in die Schranken, zieh Wimpheling der Ketzerei und verklagte ihn sogar als Feind der christlichen Kirche beim Papst Julius II. Nur wenige waren damals frei von der Neigung, einen Gegner durch die Denunziation der Ketzerei zu schrecken oder zu Falle zu bringen. Keine hatte so vernichtende Folgen; denn das letzte Glied der Kette war der Scheiterhaufen. Zu seinem Glück hatte Wimpheling vielvermögende Freunde: der Bischof von Straßburg, das Domkapitel, bedeutende Gelehrte setzten sich für ihn ein, worauf der Papst ihm nicht nur die Reise nach Rom erließ, wohin er bereits vorgeladen war, sondern sogar den Mönchen Schweigen auferlegte. Solche Verbote pflegten nicht beachtet zu werden.


Johannes Trithemius, latinisiert aus Johann(es) Tritheim, auch Johannes von Trittenheim, Johann Heidenberg sowie Johannes Zeller genannt (* 1. Februar 1462 in Trittenheim; † 13. Dezember 1516.

Gegen die Weltgeistlichkeit vereint, bekämpften sich die Orden oft heftig untereinander, so die Dominikaner und Franziskaner wegen der unbefleckten Empfängnis der Maria. Ein merkwürdiger Mann, der mit den Humanisten in Beziehung stand, Vielschreiber, Sammler denkwürdiger Notizen, Liebhaber der Geheimwissenschaften, Johannes Trithemius, Abt des Klosters Sponheim bei Kreuznach, verfasste im Jahr 1494 aus besonderer Vorliebe für Anna, die Mutter der Jungfrau, flink mit der Feder, wie er war, ein Werk in 13 Kapiteln über diese Heilige, deren Verehrung vermutlich aus dem von den Türken eroberten Byzanz ins Reich eingedrungen war, in dem er die Meinung verfocht, sie habe ihre Tochter ohne Erbsünde empfangen. Gegen diese schwer beweisbare Behauptung erhob sich ein Prediger des Dominikanerordens in Frankfurt am Main, namens Wigand Wirt, in einem an Trithemius gerichteten Brief. Der berühmte, an Bewunderung gewöhnte Abt stellte Wirt in seiner Antwort als einen Geisteskranken hin, der des Arztes bedürfe und den im Jenseits die ewige Verdammnis erwarte.


Wigand Wirt in einem an Trithemius gerichteten Brief

Nach zwei Jahre lang geführter erbitterter Fehde mischten sich die Universität Köln und mehrere Theologen ein und entschieden, dass Wirt eine unehrerbietige Ansicht über die Geburt der Jungfrau habe und Trithemius um Verzeihung bitten müsse, dass aber beide Teile die Streitfrage ruhen zu lassen hätten. Wirt, dem das unleidlich war, wandte sich klagend an Papst Alexander VI., richtete aber nichts aus, da Trithemius die Mehrheit auf seiner Seite hatte: die Universitäten von Paris und Köln, mehrere Orden, mehrere Kardinäle und Erzbischöfe, viele Gelehrte und fast den ganzen Klerus von Deutschland. Die Verehrung der heiligen Anna, von der man bisher nicht viel Wesens gemacht hatte, wurde begierig wie eine neue Mode ergriffen. Als ein Frankfurter Stadtpfarrer die Lehre von der unbefleckten Empfängnis Mariä auf der Kanzel besprach und die Dominikaner, die diese Lehre bestritten, als Verunehrer der Jungfrau angriff, konnte der zum Schweigen verurteilte Wigand Wirt nicht an sich halten; er stellte sich eines Tages der Kanzel gegenüber auf, um den Franziskaner durch unentwegtes Anstarren außer Fassung zu bringen. Wirklich, als dieser die Augen des Feindes dreist auf sich gerichtet fühlte, geriet er in Wut und schoss einen Pfeil ab, indem er sagte, er sei froh, nicht zu denen zu gehören, die den Kaiser Heinrich ermordet hätten; es war nämlich Überlieferung, dass Heinrich VII. in Italien an Gift gestorben sei, das ein Dominikaner ihm gereicht habe. „Du lügst“, schrie Wigand Wirt, „und hast deine Lüge wie ein Ketzer ausgespien.“ Wieder entspann sich eine Fehde und gingen Klagen nach Rom, Wirt verfasste ein bitterböses Büchlein, das der Erzbischof von Mainz verbrennen ließ. Die Dominikaner, die über die erlittene Niederlage umso erbitterter waren, als sie in gelehrten Disputationen über die Frage gesiegt hatten, beschlossen auf einem Ordenskapitel, das im Jahre 1506 in Wimpfen stattfand, sich durch eine großartige, gewagte Unternehmung Recht zu verschaffen. Ihr Plan war, die heilige Jungfrau selbst sich über die sie am nächsten angehende Angelegenheit im Sinne der Dominikaner aussprechen zu lassen. Einer Aussage aus so sicherer Quelle gegenüber, meinten sie, müsse jeder Widerspruch verstummen. Als Ort, wo die Einfalt des Volkes das Gelingen des Planes am ehesten gewährleiste, erschien ihnen die Stadt Bern geeigneter als Nürnberg oder Frankfurt. Vier Männer, die an der Spitze des Berner Dominikanerklosters standen, nahmen es auf sich, die Gottesmutter erscheinen zu lassen.

Johann Jetzer (* um 1483 in Zurzach; † wahrscheinlich 1515 ebenda) war Schneidergeselle und zwischen 1506 und 1508 Mitglied des Dominikanerordens in Bern.

Sie erprobten ihre Kunst zunächst an einem Schneidergesellen aus Zurzach, namens Jetzer, der kürzlich in das Kloster eingetreten war, der auch die Wunder, die sich ihm offenbarten, gläubig hinnahm, bis er einmal in der Stimme der Maria die des Priors erkannte und den Betrug durchschaute. Nicht abgeschreckt durch diesen Unfall, setzten die Unternehmer, nachdem Jetzer Schweigen gelobt hatte, ihr Spiel fort und ließen nunmehr die Jungfrau in der Kirche erscheinen und sich beklagen, dass die ketzerischen Franziskaner, die eine falsche Lehre über sie verbreiteten, noch in der Stadt geduldet werden. Die Zuhörer, von der Wimpfener Versammlung offenbar richtig beurteilt, zweifelten nicht an der Wirklichkeit der Erscheinung; aber von Jetzers Seite mehrten sich die Schwierigkeiten. Zwar hatte er sich durch Drohungen in den Betrug hineinziehen lassen, spielte aber ungern eine Rolle, die ihm viele Quälereien zuzog, denn er war auch stigmatisiert worden, und als die Brüder seinen Widerwillen merkten, wussten sie sich nicht anders zu helfen, als dass sie dem gefährlichen Mitwisser nach dem Leben trachteten. Einer vergifteten Suppe mit Not entronnen, entwischte er aus dem Kloster, stellte sich dem Rat und gestand das Vorgefallene. Nachdem die Untersuchungen seine Aussage bestätigt hatten, wurden die vier Schuldigen dem weltlichen Gericht übergeben und verbrannt. Jetzer wurde in einen Käfig gesperrt, entkam aber.

Vielleicht ist diese groteske Geschichte mit Ausschluss der Hinrichtung, welche wirklich im Jahre 1509 stattgefunden hat, nicht wahr. Vieles spricht dafür, dass die Erscheinungen der Jungfrau Erfindungen des frechen, hysterischen Jetzer, und dass die unglücklichen Mönche Betrogene waren, denen durch die Folter ein falsches Geständnis erpresst wurde. Dann wäre aber bewiesen, dass die Mönche noch dümmer und abergläubischer waren, als man allgemein für möglich hielt, und dass sie in allen Kreisen aufs äußerste verhasst waren; denn sonst wären sie kaum das Opfer eines so unverschämten Betruges geworden.