Ricarda Huch: Deutsche Geschichte 2 Zeitalter der Glauben-Spaltung - Band 2 - bei Jürgen Ruszkowski

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Sari: gelbe Buchreihe #179
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Verbindend und gestaltend geht durch alle Briefe, schon im ersten beginnend, Reuchlins Prozess, dessen Entscheidung bei der Kommission in Rom lag. Die Spannung zu steigern, wurden einige Briefsteller dorthin versetzt und berichten über den Gang der Verhandlungen aus eigener Anschauung, so dass sich Furcht und Hoffnung, von Anhängern und Gegner wechselnd empfunden, im Werk spiegeln. Einen beiläufigen Spaß machten sich die Verfasser daraus, dass sie in der zweiten Brieffolge, die 1517 erschien, ihre Mönche zuweilen die Dunkelmännerbriefe anführen ließen, so als wären sie stolz auf die vielen gelehrten Freunde, die ihr verehrter Magister Ortuin habe.

Die Epistolae obscurorum virorum sind das einzige von Humanisten verfasste schriftstellerische Kunstwerk, das die Zeit überdauert hat und dauern wird, solange die Geistesfreiheit aufrichtige Anhänger hat. Nur hier wird die Vergangenheit, die so oft durch die lateinische Sprache und fremdartige Gedankengänge ein mühseliges und unfruchtbares Studium bedeutet, zur blühenden Gegenwart. Wir verstehen, dass es hier nicht um ciceronianische Rhetorik oder um verstaubte, schwer zu ergrübelnde Thesen geht, sondern um etwas Unvergängliches, Unersetzliches, etwas allen Menschen zu jeder Zeit Notwendiges, die Luft, in der der Geist atmet: um Freiheit.


Verfasser der ersten Briefe war, wie man mit ziemlicher Sicherheit annimmt, der junge Humanist Crotus Rubeanus. Er besaß den Humor, der neben den hassens- oder verachtenswürdigen Seiten des Gegners zugleich die komischen sieht und an diesen solches Vergnügen hat, dass er ihn beinah liebgewinnt. Je länger er mit diesen Ketzerrichtern im Geiste umgeht, die so wundervoll albern, selbstgefällig wie der Hahn auf dem Mist paradieren, desto mehr überkommt ihn eine Art von Zärtlichkeit für diese kostbaren Modelle; er möchte sie lieber streicheln als vernichten.


Ulrich von Hutten, * 21. April 1488, † 20. August 1523

Ganz anders Hutten, der am zweiten Teil der Briefe beteiligt war. Ihm führen Zorn und Entrüstung die Feder, sein Witz ist scharf, er hat nicht das künstlerisch quellende Behagen, die künstlerische Spiellust seines Freundes Crotus. Hutten gehörte zu den wenigen Rittern, die sich den Wissenschaften widmeten und sich dessen rühmten, und zu den noch selteneren, die Vertreter ihres Standes nach angeborenem Wesen waren. Wohl kam es häufig vor, dass junge Adlige sich für einen Helden begeisterten, sich einem Führer anschlossen, viel weniger häufig, dass sie aus eigener Überzeugung für eine gute Sache kämpften. Die eigentliche Aufgabe des Ritters, die Schwachen zu schützen, die Vergewaltiger zu strafen, hatte sich in der Ausübung fast ins Gegenteil verkehrt. Hutten aber fühlte das innerste Gesetz seines Seins erfüllt, als er Gelegenheit fand, für die, denen Unrecht geschah, sich einzusetzen. Zum ersten Mal geschah das, als der leidenschaftliche und gewalttätige junge Herzog Ulrich von Württemberg seinen, Huttens, Vetter Hans von Hutten ermordete, in dessen Frau er sich verliebt und vor dem er sich aufs äußerste gedemütigt hatte.


Ulrich von Württemberg (* 8. Februar 1487 in Reichenweier (Riquewihr), Elsass; † 6. November 1550 in Tübingen) war 1498–1519 und 1534–1550 der dritte regierende Herzog von Württemberg.

Als naher Verwandter fühlte sich Hutten doppelt berufen, den fürstlichen Mörder anzugreifen. Er bewies seine Dichtergabe, indem er den einzelnen Fall in seiner allgemeinen Bedeutung ergriff und darstellte, den Ermordeten als fleckenlosen Ehrenmann, den Mörder als rohen, sittenlosen, jede Willkür sich anmaßenden Tyrannen schilderte, was für den Herzog ungefähr zutraf. Viel mehr noch entsprach ihm der Kampf um Reuchlin. Denn in diesem Fall war nicht nur einem einzelnen Menschen Unrecht geschehen, sondern es stießen zwei Prinzipien aufeinander, von denen das eine die Herrschaft innehatte, das andere sich Raum erkämpfen wollte: Geisteszwang und Geistesfreiheit. Sollte es in Deutschland dem Gedanken möglich werden, seine göttliche Kraft zu gebrauchen und die Ergebnisse seiner Forschung zu äußern? Sollte es eine freie Wissenschaft geben? Oder sollte der Gedanke in alle Ewigkeit in ein Gerüst gezwängt bleiben, das Herrschsucht geschaffen hatte? Können Menschen sich anmaßen, und wäre es selbst um eines guten Zweckes willen, aller Menschen Glauben und Denken zu bestimmen? Kann Weltanschauung vorgeschrieben werden? – Hutten selbst liebte die Freiheit über alles, darum setzte er von allen Menschen, besonders von allen Deutschen voraus, dass sie freiwillig nicht Knechte sein wollten, deshalb hasste er diejenigen, die andere knechteten. Er hatte Erasmus und Reuchlin von jeher verehrt als Bahnbrecher der Wissenschaft und einer freieren, edleren Auffassung des geistigen Lebens; nun er verfolgt und bedroht war, wurde Reuchlin ihm doppelt teuer. Als der Geängstete ihm einmal geschrieben hatte: Verlasse die Sache der Wahrheit nicht! antwortete er im Januar 1517: „Ich sie oder dich, ihren Führer, verlassen? Kleinmütiger Kapnion, wie wenig kennst du Hutten! Nein, wenn du sie heute verließest, würde ich den Krieg erneuern!“ Von jungen kampflustigen Gefährten umgeben, glaubte er sich des Sieges sicher. „Längst wird ein Brand vorbereitet“, schrieb er, „der zu rechter Zeit, hoffe ich, aufflammen soll.“ Reuchlin, der ältere Mann, der genug für seinen Ruhm getan hat, soll ohne Furcht den Austrag seiner Angelegenheit seinen jungen Verehrern überlassen, der endliche Triumph kann nicht ausbleiben.

Soweit der Ausgang von der vom Papst eingesetzten Kommission abhing, hatte Hutten recht mit seinem Zutrauen. Als es nach mehreren Jahren endlich zum Beschluss kam, gaben alle mit einziger Ausnahme des Dominikaners Sylvester Prierias dem Vorsitzenden, Erzbischof von Nazareth, sich anschließend, ihre Stimme für Reuchlin ab. Trotz aller Bemühungen Hochstratens und Pfefferkorns wäre ihm der Sieg zugefallen, wenn nicht Leo X. doch schließlich den Mut verloren hätte, den mächtigen Predigerorden gegen sich aufzubringen. Es zeigte sich, wie so oft bei den Kaisern, dass die Forderungen des Amtes die Neigungen der Person überstimmten. Die für Reuchlin günstige Entscheidung der Kommission wurde nicht nur nicht verkündigt, sondern aufgehoben, so dass für Ränke auf der einen, Befürchtungen auf der anderen Seite wieder Raum war. Die Dunkelmännerbriefe wurden auf fleißiges Drängen der Dominikaner vom Papst zum Feuer verurteilt, obwohl man, so hieß es, auch an der Kurie in das Gelächter eingestimmt hatte, das dem verwegenen Witz der jungen Freiheitsschwärmer wie ein allverbreitetes Echo folgte.

Von Erasmus ging die Sage, das Lachen habe ihm durch Sprengung eines gefährlichen Geschwürs das Leben gerettet. Später, als er in den Briefen redend und als Feind des Papstes eingeführt wurde, äußerte er sich erschreckt und ablehnend. Noch einen anderen gab es, der, obgleich er zu den Humanisten gezählt wurde und obgleich es ihm an Humor nicht fehlte, die Briefe ablehnte, ja sogar ihren unbekannten Verfasser einen Hanswurst nannte; das war Luther.


Doktor Martin Luther

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Die Reichsreform

Die Reichsreform

Das, was man die mittelalterliche Anarchie nennen kann, lag einmal begründet in den fließenden Zuständen, die Verschiebung der Machtverhältnisse verhältnismäßig leicht ermöglichten und dem allgemeinen Streben nach Selbstherrschaft dienten; dazu kam im späteren Mittelalter die Entartung und Verwilderung aller Verhältnisse, die umso mehr als unerträglich empfunden wurde, als das öffentliche Leben überhaupt, wie es die Entwicklung des menschlichen Geistes mit sich bringt, allmählich zu erstarren begann. Das Bedürfnis nach festen Ordnungen machte sich geltend.


Karl IV. (HRR) – Wikipedia. Karl IV. (HRR) Karl IV. (tschechisch Karel IV.; * 14. Mai 1316 in Prag; † 29. November 1378 ebenda), geboren als Wenzel (tschechisch Václav), war römisch-deutscher Kaiser.

Man kann sagen, dass Karl IV. mit der Goldenen Bulle den Anfang dazu gemacht hatte, indem er wenigstens die Königswahl in feste Formen brachte und aus den Kurfürsten eine Art Körperschaft organisierte, die dem König gleichberechtigt zur Seite stand und seitdem auch in den Kurvereinen bedeutenden Einfluss ausübte. Siegmund, Karls geistvoller Sohn, der mit so viel Energie an der Reformation der Kirche arbeitete, plante auch eine Reichsreform, wobei er sich auf die Städte und die Ritter stützen und das Reich in Kreise einteilen wollte.


Sigismund lebte vom 15. Februar 1368 bis zum 9. Dezember 1437. Geboren wurde er in Nürnberg als Kind von Kaiser Karl IV und seiner vierten Frau Elisabeth von Pommern. Aus der Ehe davor, mit Anna von Schweidnitz, ging Sigismunds Halbbruder hervor, Wenzel. Anders als sein Vater, galt Sigismund als lebensfroher Mensch, der sich die Zeit gerne mit einem Turnier vertrieb. Er war hoch gebildet und sprach mehrere Sprachen. Sigismund war zweimal verheiratet.

 

Zur Ausführung konnte es bei dem Widerwillen aller Stände nicht kommen. Noch zu seinen Lebzeiten aber durchdachte ein philosophischer Kopf, der junge Nikolaus von Cusa, diese seine Zeit so sehr bewegenden Fragen. Wie es damals selbstverständlich war, behandelte er in seiner Schrift De concordantia catholica die Reichs- und Kirchenreform gemeinsam. Er ging von dem tiefsinnigen, folgenreichen Gedanken aus, dass die Wahrheit auf Übereinstimmung beruhe. Die Ordnung im Reich beruhe auf der Übereinstimmung von Papst und Kaiser mit dem Körper ihrer Untergebenen. Der entgegengesetzten Entwicklung von Papsttum und Kaisertum entsprechend wollte er auf Minderung der päpstlichen und Mehrung der kaiserlichen Macht hinwirken. Die gesamte Kirche hielt er damals für vertreten durch die in einem Konzil versammelten christlichen Prälaten, und zwar auch ohne den Papst, falls derselbe an dem Konzil nicht teilnehmen wolle oder könne. Würde unter so vielen aus verschiedenen Ländern stammenden Priestern Übereinstimmung erzielt, so könne das als Wirkung des Heiligen Geistes angesehen werden. Innerhalb des Staates waren die Reichstage etwa das, was in der Kirche die Konzilien waren; sie sollten nach seinem Reformplan jährlich in Frankfurt stattfinden. Der ausübenden Macht des Kaisers sollte ein Reichsheer dienen, das durch eine Reichssteuer zu erhalten wäre. Da fürstliche Heere neben dem kaiserlichen nicht vorgesehen waren, so bedeutete das eine Umwälzung von unermesslichen Folgen. Zwecks leichterer Verwaltung sollte das Reich in Kreise eingeteilt werden und in jedem Kreis ein Reichsgericht das Recht sprechen. Einen gesicherten Rechtszustand zu schaffen, sah er für das wichtigste Erfordernis an. Die Fehde sollte für ewige Zeit abgeschafft werden. Was die Masse des Volkes betrifft, ging Cusa davon aus, dass ihr sklavische Gesinnung angeboren sei, so dass sie sich willig von den Weiseren leiten ließe und durch sie vertreten werden könnte. Bei der Zusammensetzung der Reichstage und Reichsgerichte war dem bürgerlichen Element mehr Einfluss zugedacht als dem fürstlichen. Man spürt in dem ganzen Entwurf den bürgerfreundlichen, großartig zugreifenden Geist des Zeitalters des Kaisers Siegmund, auch darin ihm zugehörig, dass seine Ideen sich nicht verwirklichten.


Albrecht II. von Habsburg (in einer Handschrift um 1560) Albrecht II. von Österreich, genannt der Weise oder der Lahme (* 12. Dezember 1298 auf der Habsburg; † 20. Juli 1358 in Wien).

Der frühe Tod des tatkräftigen Albrecht II., des Schwiegersohns und Nachfolgers Kaiser Siegmunds, entzog der Reformbewegung den Ansporn, den die kaiserliche Teilnahme ihr bis dahin gegeben hatte. Ein seltsames Verhängnis fügte es, dass Friedrich III., der durch Nichtwollen und Nichttun die Nation lähmte und sich selbst erhielt, über 50 Jahre regierte. Versenkt man sich in die wunderliche Existenz dieses Habsburgers, so kommt einem wohl das Bild der Riesenschildkröte in den Sinn, die man zuweilen in Aquarien sieht. Ein gigantischer Klotz von phantastisch urweltlichem Umriss hängt im Wasser. Lebt dies Geschöpf oder ist es in Jahrtausenden versteinert? Wie lange man es auch beobachtet, es bewegt sich nicht; aber plötzlich sieht man, dass der Felsen Augen hat, aus denen es böse herausblitzt, ein unzugänglicher, tückischer, lauernder Wille. Weder durch gütliche Vorstellung noch durch Drohung war Friedrich III. nach irgendeiner Richtung hin zu bewegen. Seine Politik hat sich in einem späteren Jahrhundert in der Regierung eines gleichfalls langlebigen Habsburgers und seines langlebigen Kanzlers wiederholt, die nämlich, nichts am Bestehenden zu ändern, weil in einem morschen Gebäude die Verrückung eines einzigen Steins zum Zusammenbruch des Ganzen führen könne. Nachdem Friedrich sich entschlossen hatte, dem Papst die Obedienz zu leisten, bevor die ersehnte Reform verbürgt war, verbanden sich die beiden mittelalterlichen Häupter zum Widerstand gegen jede Neuerung. Obwohl auch jetzt noch, wie im Mittelalter, der Papst den kaiserlichen Einfluss in Italien bekämpfte, der Kaiser zuweilen rücksichtslos diesen Einfluss durchsetzte, so wurde doch mehr und mehr der Erzherzog von Österreich und römische Kaiser des Papsttums wichtigste Stütze. Die beiden universalen Mächte blieben in einer Zeit, wo die selbständig gewordenen Nationen das alte Weltgebäude zerbrachen, aufeinander angewiesen. Eine Reichsreform im Sinne des Cusa hätte dem Kaiser erwünscht sein müssen; allein sie zu erzwingen, hätte es mehr Interesses für das Reich und mehr Lust, sich dafür einzusetzen, bedurft, die der ganz der Sorge für seine Erblande hingegebene Friedrich nicht hatte. Denn dies geheimnisvolle Urtier, das am liebsten still vor sich hin Rosen züchtete und Edelsteine sammelte, war nicht ohne Empfindung, er hatte sogar Leidenschaft für sein Land Österreich und im Zusammenhang damit für seinen Sohn und Erben. Wenn er ihm auch misstrauisch keinen Einblick in die Regierung gestattete, so war der Sohn ihm doch teuer als der künftige Herr des Weltreichs Österreich. Austriae Est Imperare Orbi Universo. Alles Erdreich Ist Österreich Untertan. Das Ostreich, zu dem König Rudolf im 13. Jahrhundert den Grund gelegt hatte, das Rudolf der Stifter weitergeträumt hatte, wogte als große Vision vor der dunklen Seele Friedrichs III. Gespeist mit seinen ausschweifenden Vorstellungen, schwoll es in der unterirdischen Höhle zu ungeheurem Ausmaß an. Das Ostreich, bestehend aus Polen, Ungarn, Böhmen und Österreich, war da; aber gerade zur Zeit Friedrichs III. eroberten es tatkräftige Emporkömmlinge, erst Georg Podiebrad von Böhmen, dann Mathias Corvinus von Ungarn. Die Führung des Bollwerks, das Europa vor den Türken schützen musste, schien dem Hause Habsburg zu entgleiten. Wien selbst, Österreichs schöne Hauptstadt, fiel dem König von Ungarn zur Beute, Friedrich III. schlug sich kläglich als Gast seiner guten Städte durchs Reich. Das machte ihn nicht irre im Glauben an die Bestimmung seiner Dynastie.


Matthias I. Corvinus (Mátyás Hunyadi) König von Ungarn (seit 1458) und Böhmen (seit 1476), * 23.2.1443 Klausenburg (Siebenbürgen), † 6.4.1490 Wien.


Georg von Podïebrad (Jiří z Poděbrad; eigentlich von Kunstadt, Poděbrader Linie) König von Böhmen, * 6.4.1420, † 22.3.1471 Prag.

Und wie er erlebte, dass Mathias Corvinus seinen einstigen Beschützer, Georg Podiebrad von Böhmen, entthronte, so erlebte er auch den Tod dieses kriegsgewaltigen Usurpators.

Ja es gelang ihm, als sein Nebenbuhler im Westen, Herzog Karl von Burgund, die Reichsstadt Neuß belagerte, ein Reichsheer zum Entsatz zu führen, zu dem selbst aus dem Norden, aus Lübeck, stattliche Abteilungen heranrückten. Auch dieser erstaunliche Aufschwung jedoch gehört in den Kreis seiner österreichischen Berechnungen. Es genügte ihm, die Reichshilfe im einzelnen Fall erwirkt zu haben. Grundsätzliche Beschlüsse zur Ordnung des Reichs hat er nicht erstrebt und nicht erreicht; denn die Reformation, die seinen Namen trägt, die ein Reichstag des Jahres 1442 zum Gesetz erhob, ließ außer einigen Bestimmungen, an die sich noch dazu niemand kehrte, alles beim alten.

Indessen, obwohl vom Kaiser aufgegeben, ruhte die Idee der Reichsreform keineswegs. Ihr Vertreter war der Heidelberger Martin Mayr, wie Cusa aus dem Bürgerstande hervorgegangen. Da er für sich allein nichts hätte erreichen können, trat er nacheinander in den Dienst verschiedener Fürsten, die geneigt waren, sich für die Reformation einzusetzen, einmal auch in den Dienst Podiebrads, als der sich mit der Absicht trug, römischer König und Nachfolger Friedrichs zu werden. Die Pläne zur Reichsreform, die man allmählich von der Kirchenreform abtrennte, waren sich in den wesentlichen Punkten gleich, wie die Übel, die sie abschaffen sollte, die gleichen blieben. Die Verwüstung des Reiches war die Folge der Fehden, deren Zahl und deren brutaler Charakter im Laufe des 15. Jahrhunderts in erschreckendem Maße zunahm; die Abstellung der Fehden war also das nächst liegende Bedürfnis. Im Beginn des 15. Jahrhunderts hatten die Fehden ein solches Ausmaß mit so heillosen Folgen erreicht, dass man ernstlich an ihre Beschränkung dachte; aber man verfiel auf ein höchst ungeeignetes Mittel. Im Jahr 1442 wurde ein Gesetz erlassen, das nur diejenigen Fehden für erlaubt erklärte, die dem Befehdeten drei Tage vor Beginn angesagt wären. Durch Beobachtung einer leicht durchzuführenden Förmlichkeit glaubten nun die Ritter in Ehren ihre Mitstände überfallen und schuldlose Menschen ausplündern, einkerkern und misshandeln zu können. Man sah ein, dass dem Fehdewesen auf andere Weise entgegengetreten werden müsse. Ursprünglich war das Recht der Fehde ein Recht der Selbsthilfe, wenn die Gerichte versagten. Es folgt daraus, dass für schnelles und gerechtes Gericht gesorgt werden musste, damit die Friedebrecher sich nicht mit dem Vorwand entschuldigen konnten, es sei ihnen kein Recht geworden. Wiederum konnte das Gericht nur wirksam werden, wenn hinter seinen Beschlüssen eine Vollziehungsgewalt stand, die dem Verbrecher mit der Waffe entgegentreten konnte. Beide, Gericht und Heer, mussten natürlich regelmäßig besoldet werden, ein Kostenaufwand, der nur durch eine allgemeine Steuer gedeckt werden konnte. Verbot der Fehde, Reichsgericht, Reichsheer, Reichssteuer, das waren die immer wiederkehrenden Forderungen der Reichsreform; zweifelhaft blieb aber und gekämpft wurde darum, ob diese Institutionen mehr vom Kaiser oder vom Reich, das heißt von den Ständen, abhängen, wessen Macht sie verstärken sollten.

Das höchste Gericht, das Hofgericht, war an die Person des Kaisers gebunden, der den Vorsitz führte oder den Vorsitzenden ernannte. Es ist einleuchtend, dass, da die Kaiser keine ständige Residenz hatten und vollends seit Friedrich III. sich fast ständig in Österreich aufhielten, das für viele Deutsche schwer erreichbar war, das Hofgericht den Anforderungen einer pünktlichen Justiz nicht genügte. Unter Maximilian kamen die wunderlichsten Dinge vor.


Johann XX. von Dalberg (* 14. August 1455 in Oppenheim; † 27. Juli 1503 in Heidelberg) war als „Johann III.“ Bischof von Worms und von 1480 bis 1482 Kanzler der Universität Heidelberg. Er war ein profilierter Mäzen des deutschen Frühhumanismus, selbst hochgelehrt und den Künsten zugetan.

Der Bischof von Worms, Johann von Dalberg, in humanistischen Kreisen hochgeehrt als guter Lateiner, Dichter, Kenner des Altertums und Büchersammler, lebte in Streit mit seiner Stadt Worms, die er seiner Herrschaft unterwerfen wollte und der er durch brutales Geltendmachen seines militärischen Übergewichts einen Huldigungseid abzwang, zu dem sie als freie Stadt ihrer Meinung nach nicht verpflichtet war. Beide wandten sich an den Kaiser als an den höchsten Richter. Maximilian hielt es, wenn immer möglich, mit den Reichsstädten, die seine Interessen vertraten und ihm zahlten, wollte es aber auch mit dem berühmten Dalberg nicht verderben; er half sich damit, dass er erst der Stadt und dann dem Bischof recht gab, so dass die von beiden Seiten an ihn abgeschickten Gesandtschaften befriedigt heimkehrten, um sich bald darauf in erneuter Ungewissheit zu finden. Auf diese Weise fertigte er die ihm geduldig Nachreisenden viermal hintereinander ab; dann beraumte er eine Tagung an, auf welcher er zwischen den Streitenden zu vermitteln versprach, verschob aber jeweils den Termin, weil irgendetwas dazwischenkam. Mit so naiven Listen brachte er es dahin, dass, als der Bischof starb, die Rechtsfrage noch nicht entschieden und durch eine neue Konstellation zunächst aus der Welt geschafft war. Es ist begreiflich, dass der Vorschlag gemacht wurde, das Hofgericht möge von der Person des Kaisers getrennt werden und einen festen Sitz in einer zentral gelegenen Stadt erhalten. Im Laufe des 15. Jahrhunderts war neben dem Hofgericht das sogenannte Kammergericht entstanden, das, ursprünglich für gewisse, meist fiskalische Zwecke zusammenberufen, allmählich das Hofgericht verdrängte. So kam es, dass das neu zu gründende Reichsgericht nicht Hofgericht, sondern Kammergericht genannt wurde. Begreiflicherweise sah der Kaiser die Abtrennung des höchsten Gerichtes von seiner Person nicht gern; gab ihm doch das Amt des höchsten Richters seinen wesentlichen Charakter und die Möglichkeit, seinen Einfluss geltend zu machen. Günstig für den Kaiser wäre dagegen die Reichssteuer, der Gemeine Pfennig, gewesen, die jeden Reichsangehörigen treffen sollte; denn dadurch wäre die Masse des Volkes wieder in eine unmittelbare Beziehung zum Kaiser getreten. Aus eben diesem Grunde verletzte diese Steuer das Interesse der Fürsten und anderer Stände, die das Recht zu finanzieller Ausnützung ihrer Untertanen mit keinem anderen teilen wollten; ärgerlich genug waren ihnen die jeweiligen Beutezüge der Kirche. Überhaupt wurde das Recht, keinem Steuerzwang zu unterliegen, von allen, mit Ausnahme der Hörigen, die aber auch gegen willkürliche Erhöhung der Abgaben protestierten, in Anspruch genommen und ängstlich festgehalten. Steuerpflicht wurde als Abzeichen der Hörigkeit betrachtet und gerade in dieser Hinsicht die Lage der Franzosen, über deren Vermögen der König weitgehend verfügen konnte, als bestialisches Servitut bezeichnet. Wie die Stände der Prälaten, Ritter und Städte dem Landesherrn gegenüber das Recht der Steuerbewilligung als Grundlage der Freiheit hüteten, so die Reichsstände gegenüber dem Kaiser, nur dass die Landstände viel mehr Verständnis und guten Willen für die Erfordernisse des Landes aufbrachten als die Reichsstände für die des Reiches. Man sollte meinen, es habe sich jeder beeifert, das Seine zu tun, damit der andauernden Verwüstung des Landes durch Kriege und Fehden ein Ende gemacht würde, und tatsächlich waren alle von der Notwendigkeit der Reform überzeugt; sobald sie aber in Angriff genommen werden sollte, zeigte sich Widerstand auf allen Seiten. „Traue dem Landfrieden nicht“, ist eine noch heute gebrauchte Redewendung, die im Mittelalter dem berechtigten Misstrauen der Städte gegen eine scheinbar so wohltätige Einrichtung Ausdruck gab. Dass an der Spitze der zur Durchführung des Landfriedens gebildeten militärischen Organisation ein Fürst stand, machte diese in den Augen der Städte zu einer verdächtigen Interessenvertretung. Ein oder der andere Kaiser dachte daran, sich selbst zum Landfriedenshauptmann zu machen, vermochte es aber nicht durchzusetzen. Hätten nun wenigstens die Fürsten die Sache stramm gehandhabt! Aber nur selten wurde einmal ein Raubnest zerstört, ein Friedensbruch bestraft. Im Allgemeinen waren zu viel Berechnungen und Rücksichten im Spiel, als dass sie aus der in Reichsangelegenheiten grundsätzlichen Langsamkeit herausgetreten wären. Sahen es doch manche Fürsten nicht ungern, wenn die Ritter den Städten Ungelegenheiten machten, hetzten sie wohl gar heimlich auf.

 

Indessen selbst dann, wenn es sich um eine Stärkung der kaiserlichen Zentralgewalt handelte, wenn Siegmund und später Maximilian daran dachten, sich im Gegensatz zu den Fürsten auf die Städte und Ritter zu stützen, verhielten sich beide Stände ablehnend. Die Städte hatten ihre Macht und Unabhängigkeit auf den im Laufe der Jahrhunderte von den Kaisern erlangten Freiheiten und Privilegien aufgebaut, ihre Politik hatte immer darin bestanden, diese kostbaren Pergamente sich bestätigen zu lassen und durch neue zu vermehren. Dieselbe Politik des Beharrens auf erworbenen Rechten betrieb die Ritterschaft. Jede Stärkung der Zentralgewalt aber, mochte sie auch den Ständen wohlwollend geneigt sein und ihr Bestes im Auge haben, bedrohte doch zunächst ihre Selbständigkeit. Die von den Städten mit manchem Opfer erkaufte Unabhängigkeit hing bis zu einem gewissen Grade mit der Anarchie zusammen, deren Ausschreitungen bekämpft werden sollten. Konnte ihnen der Kaiser versprechen, dass bei einer Neuregelung ihre Stellung verbessert, wenigstens nicht verschlechtert würde? Ja, wenn er den Fürsten einen Bund der Städte, Ritter und Bauern hätte entgegenstellen können! Aber die Feindschaft zwischen Rittern und Städten und die Verachtung der Bauern war so eingefleischt, so mit allen Anschauungen und geschichtlichen Erinnerungen zusammenhängend, dass der genialste Mann sie nicht hätte überwinden können und dass, wäre ein solcher Bund zustande gekommen, das Ziel nicht ohne furchtbare Bürgerkriege hätte erreicht werden können.

Am ersten konnten die Fürsten bei der Reformation zu gewinnen hoffen, wenn nämlich sie bei der Besetzung der zu schaffenden Reichsinstitutionen den Hauptanteil bekamen, und so brachten sie denn auch im Laufe des 15. Jahrhunderts mehrere, meist von Martin Mayr erdachte, Reformpläne vor. Allein die Gegensätze zwischen den Fürsten waren zu groß, ihre Absicht, die eigene Macht zu vermehren, zu offenkundig, als dass sie Anklang hätten finden können. Die verfeindeten Häuser Brandenburg und Wittelsbach dachten die Reform als Kampfmittel gegeneinander zu gebrauchen, und alle Fürsten hofften, durch sie die in ihren Territorien gelegenen Städte und Ritterschaften sich unterwerfen zu können. Man gewöhnte sich daran, auf den Tod des Kaisers als auf den Zeitpunkt zu blicken, wo die schwierigste Hemmung wegfallen würde, umso mehr als sein Sohn Maximilian freudig sich der großen Angelegenheit widmen zu wollen versprach.

Im Jahr 1459 war dem ungleichen Paar, Friedrich von Österreich und Leonor von Portugal, der erste und einzige Sohn, Maximilian, geboren, der mit ebenso viel Ungestüm seiner Stunde zu großen Taten entgegensah, wie das Volk mit Ungeduld und Vertrauen seinen Regierungsantritt erwartete. Denn der Jugendliche war ganz und gar das Gegenteil seines Vaters, begierig, das noch schwankende Ostreich in feste Hand zu fassen, aber auch Vater und Mehrer des Heiligen Römischen Reichs zu werden.

Außer dem ersten königlichen Habsburger, Rudolf, ist Maximilian der erste Kaiser, von dessen äußerer Erscheinung wir uns ein überzeugendes Bild machen können; vielleicht ist es auch das, was ihn uns so besonders nahebringt.


Maximilian II. (* 31. Juli 1527 in Wien; † 12. Oktober 1576 in Regensburg), zeitgenössisch auch „Maximilian der Ander[e]“, war Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation und Erzherzog zu Österreich von 1564 bis 1576.

Wir sehen ihn so, wie ihn Dürers Meisterhand kurz vor seinem Tode gezeichnet hat.


Das Bild zeigt Maximilian alt, ganz ausgereift, aber ohne ein Zeichen der Auflösung.

Die Züge sind scharf ausgeprägt, mit keinem anderen Gesicht vergleichbar, sehr vornehm, sehr hoheitsvoll und doch voll Güte. Maximilian wurde nicht verkannt, wenn er, wie er gern tat, in einem schäbigen alten Wams einherging; sein Gesicht verkündigte seine Würde. In den Falten um Augen und Mund liegt ein ganz leises Lächeln, die Spur eines Humors, der die Parade des Lebens mit leichtem Zweifel betrachtet, nicht wie ein religiöser Mensch, dem sie Schein ist, sondern wie einer, der weiß, dass er eine Rolle in einem Drama zu spielen hat. Den Hermelin, der ihm zugeteilt ist, trägt er mit Anstand und möchte ihn nicht lassen; aber es ist ihm bewusst, dass er dem Theater gehört, ihn zwar verpflichtet, die seiner Rolle angemessenen Taten zu tun, sein eigentliches Wesen jedoch nichts angeht. Diese Eigenart, die Dinge nicht bis zum äußersten ernst zu nehmen, gab ihm Überlegenheit, aber auch etwas Dilettantisches und war insofern Ursache einer Schwäche. So wenig geblendet er durch die Requisiten des Lebens war, so verwandt fühlte er sich dem Leben selbst: er interessierte sich für alles, traute sich alles zu, ergriff alles und riss durch sein warmes Eingehen alle mit. Es kam ihm mehr darauf an, möglichst viel Leben an sich zu reißen, als in einer Sache Meister zu sein; war er doch Kaiser. Bei aller Umgänglichkeit, Leutseligkeit und Skepsis war er doch erfüllt von seiner Größe. Seiner freien Art lag nichts ferner als Pose, als sich auszustaffieren mit erklügelten Gebärden; aber in den Pausen seines atemlosen Lebens war er beschäftigt, Denkmäler seines Ruhmes aufzutürmen, die zugleich die seines Hauses und des Reiches waren.

Maximilian war 34 Jahre alt, als sein Vater starb. Schon zwei Jahre später fand der denkwürdige Reichstag von Worms statt, von dem man nach dem Urteil Mösers den Beginn eines neuen Zeitalters für Deutschland datieren sollte. Er nennt den das ganze Reich umfassenden Ewigen Landfrieden, der hier verkündigt wurde, eine große und glückliche Konföderation, durch welche das dem Auseinanderfallen nahe Reich noch einmal zu einem lebens- und handelsfähigen Organismus zusammengefasst sei. Die Fehde wurde nicht für einen beschränkten Zeitraum, sondern für immer aufgehoben, sie hörte auf, ein unter gewissen Umständen zulässiges Rechtsmittel zu sein. Sicherlich musste es außerordentliche Folgen sowohl für das öffentliche Leben wie auch für die einzelne Person haben, dass nun in allen Streitfällen der Prozess an die Stelle der Waffen trat. Da gleichzeitig das Söldnerheer mehr oder weniger allgemein die ständigen Heere ersetzte, entwöhnten sich allmählich alle Schichten des Volkes der Waffen, das Volk wurde friedlich, Rohheit und Gewalttätigkeit beschränkten sich auf die Söldner und Landsknechte, auf den Auswurf der Gesellschaft. Menschen, die sich im 15. Jahrhundert noch als ritterliche Unholde, als verwilderte Helden gebärden konnten, wurden schlechtweg als Verbrecher angesehen. Freilich liefen die Unbewaffneten Gefahr, den Bewaffneten gegenüber eine gutartige und respektable, aber schüchterne oder gar feige Lämmerherde zu werden. Auch die Anarchie hat Vorzüge, auf ihrem unsicheren Boden erwachsen starke Persönlichkeiten, erwachsen alle die Mittel der Selbsthilfe, durch die während des hohen Mittelalters gerade das Bürgertum so rühmliche Ergebnisse erkämpfte. Doch indessen wären Besorgnisse dieser Art überflüssig gewesen. Der Ausspruch, es fehle nicht an guten Gesetzen, sie müssten nur ausgeführt werden, konnte auch auf das Fehdeverbot angewendet werden. Es wurde so wenig beobachtet, als wenn der Reichstag zu Worms ein Auftritt in einem Theaterstück gewesen wäre. Im Jahr 1499, also ein Jahr später, unterwarf der Erzbischof von Trier die Reichsstadt Boppard, ohne dass jemand der Vergewaltigten zu Hilfe gekommen wäre.