Ricarda Huch: Deutsche Geschichte 2 Zeitalter der Glauben-Spaltung - Band 2 - bei Jürgen Ruszkowski

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Sari: gelbe Buchreihe #179
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Heftiger und schonungsloser als die offiziellen Aktenstücke, die immerhin auch eine scharfe Sprache führten, waren einige von privater Seite veröffentlichte Äußerungen. Auf dem Reichstag zu Worms 1495 erschien eine Schrift von dem Vertreter Magdeburgs, Hermann von Hermannsgrün, die darin gipfelte, dass dem Papst, wenn er die Kaiserkrone einem Franzosen zuwenden sollte, von den Deutschen der Gehorsam zu kündigen sei. Das hätte Trennung von Rom, Gründung einer Reichskirche bedeutet. Dreiundzwanzig Jahre später war noch keine Beschwerde erhoben, die Kirche triumphierte, auf dem Reichstag zu Augsburg 1518 verlangten Papst und Kaiser gemeinsam einen Zehnten für den Türkenkrieg. Maximilian drohte denjenigen, die ihn verweigern würden, mit Reichsacht und Kirchenbann.

Während die Stände mit ihrem Votum zögerten, erschien ein Flugblatt unter dem Titel Oratio dissuasoria, eine Rede, die von der Bewilligung des Zehnten abmahnte. Das war nicht die wohlabgewogene Sprache einer Kanzlei, sondern der leidenschaftliche Erguss eines Entrüsteten, eines verzweifelten Patrioten. Es sei eine gute Sache, den Türken zu bekämpfen, sagte er, aber unter diesem Vorwand das arme Volk auszuplündern, das sei ein ärgeres Verbrechen als alle Untaten der Türken. Nicht auf das Geld komme es an: das Unerträgliche sei, dass der Satan sich in den Engel des Lichtes verstelle, dass in den Becher der Frömmigkeit Gift gespritzt werde, dass das Volk, im Glauben, gottgefällig zu handeln, der Habsucht opfere, die die Mutter der falschen Religion sei. „Den Türken wollt ihr schlagen? Ich billige eure Absicht, aber ich fürchte sehr, ihr irrt euch im Namen. Sucht ihn nicht in Asien, sucht ihn in Italien. Gegen den asiatischen kann jeder Fürst sich selbst wehren, den anderen zu bändigen reicht die ganze christliche Welt nicht aus. Jener liegt mit seinen Nachbarn ab und zu im Kampf und hat uns noch nicht geschadet, dieser wütet überall und dürstet nach dem Blut der Armen, diesen Höllenhund könnt ihr auf keine andere Art als mit einem goldenen Strom beschwichtigen.“ Ebenso scharf war die Denkschrift des Bischofs von Lüttich, eines Grafen von der Mark. „Von der Hölle aus ging eines der ärgsten Tiere“, hieß es darin, „die Geldgier, die Wurzel alles Übels.“ Für den Verfasser der Oratio dissuasoria hielten viele den Ritter Ulrich von Hutten; dieser aber hatte in einer Schrift zur Bewilligung der Zehnten aufgefordert, in der er freilich, hin- und hergerissen zwischen seiner Anhänglichkeit an den Kaiser und der Einsicht in die Notwendigkeit des Türkenkriegs auf der einen Seite und dem Hass und Argwohn gegen den Papst auf der anderen, nicht umhin konnte, ein Übergewicht dieses Hasses spüren zu lassen. Wahrscheinlich hat ein Würzburger Domherr, Friedrich Fischer, die Oratio geschrieben; es waren also zwei hohe Geistliche, die einen so unverhüllten, beleidigenden Angriff auf das Kirchenoberhaupt wagten. Das Bedenkliche der wirtschaftlichen Zustände, hervorgerufen, wie man annahm, durch die Ausbeutung von Seiten Roms, machte blind gegen die Gefahr der Türkenkriege; wenigstens traute man den regierenden Häuptern nicht zu, dass es ihnen mit der Abwendung der Gefahr Ernst wäre. Die päpstlich-kaiserlichen Forderungen wurden abgelehnt, und zwar mit Hinblick auf den armen Mann, das vielgeplagte Volk, auf das alle Abgaben abgewälzt zu werden pflegten, und das nicht noch mehr belastet werden dürfe. Bereits waren im südwestlichen Deutschland Bauernaufstände ausgebrochen und hatten die Herren erschreckt. Man sagte sich, dass die Aufständischen mit ihren Klagen nicht durchaus im Unrecht waren; Befürchtungen, dass eine allgemeine Erhebung des bedrückten Volkes bevorstehe, wurden häufig ausgesprochen. Sei es nun, dass die Stände ernstlich daran glaubten oder nicht, sie wollten ihren Unwillen über das Ausbleiben der Reformation zeigen, indem sie ihren Beutel verschlossen.

Traurig ritt der Kaiser von Augsburg fort, wo er so oft auf der Höhe des Lebens getagt, gescherzt, getanzt hatte; jetzt mahnte ihn die über seine Seele sinkende Dämmerung, dass er es nicht wiedersehen werde. Als er in Innsbruck, die vor allen geliebte Stadt in den Bergen, einkehren wollte, schloss sie die Tore vor ihm zu, weil er ihr ohnehin viel schulde. „Er wird ein Streuhütlein werden“, hatte sein Vater, der sparsame Friedrich, von dem Kind gesagt, als es bei der gestellten Wahl nicht nach dem Goldstück, sondern nach dem Apfel griff, und wirklich hatte er das Geld nie festhalten können. „Der Kayser war ein herr von oesterreich“, berichtet eine Chronik von Maximilian. „Er war fromm und nicht von hoher vernunft und war stets arm.“ Wie ein abgewiesener Bettler ritt der kranke Herr weiter nach Wels, wo er am 12. Januar 1519 starb. Er war noch nicht 60 Jahre alt geworden.

Das Bild des seinem Ende nahen Kaisers, das in seinem kleinen Stüblein auf der Augsburger Pfalz Dürer von ihm zeichnete, versteht man erst recht, wenn man das Bild des jungen Maximilian damit vergleicht, das Lukas von Leyden gemalt hat.


Maximilian von Lukas von Leyden gemalt

Trotz der kennzeichnenden höckerigen Nase, und wenn wir auch die gleichen Züge wiederfinden, ist doch kaum ein Zusammenhang zwischen dem blonden, weichen, ganz ungeprägten, ganz empfänglichen Prinzengesicht und dem souveränen Haupt des scheidenden Kaisers. Die Spuren eines reich ausgefüllten, weit ausgreifenden Lebens sind hier zu einem ergreifenden Akkord gesammelt. Lag vielleicht ein Keim der Schwermut auf dem Grunde dieser unermüdlich tätigen, elastischen, heiteren Seele? Schöpfte er rastlos die unzähligen Quellen seines Reiches aus, damit der dunkle Keim nicht aufschießen und ihn überschatten könne? Dem unvergesslichen Antlitz haben sich ebenso sehr die Strapazen eines mehr an Mühsal als an Erfolgen reichen Lebens eingegraben wie die Einsicht in bodenlose Tiefen und klägliche Unzulänglichkeiten alles Menschlichen, und ebenso sehr wie hohe Würde scheint unausgesprochenes Leiden Distanz zu gebieten.

Es ist schicksalhaft, dass Maximilians Körper nicht in Innsbruck, sondern in Wiener-Neustadt begraben liegt; denn nicht seiner Person gilt die übermenschliche Gedächtnisfeier, die die ehernen Kolosse an seiner Tumba in der Hofkirche zu Innsbruck begehen, sondern dem letzten Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, des in einem Glauben einigen. Er ist ein Letzter, dessen hier voll Ehrfurcht gedacht werden soll, der Letzte einer stolzen und tragischen Reihe. Bild ist hier die Klage geworden, die zu seinen Lebzeiten, von Sebastian Brant ausgesprochen, aus vielen Herzen brach: „O Deutschland, hülle dich in Trauer, denn das Zepter wird aus deiner Hand genommen werden! Wer gibt meinen Augen Tränen, um den Zusammenbruch des Reiches zu beweinen!“

* * *

Kultur

Kultur

Nicht Sebastian Brant allein witterte Verfall und Untergang, aber kaum einer hat der bangen Ahnung so bestimmten Ausdruck gegeben wie er in seinem großen Brief an seinen Freund, den Patrizier und Humanisten Peutinger in Augsburg.


Konrad Peutinger (* 14. Oktober 1465 in Augsburg; † 28. Dezember 1547 ebenda) war ein Jurist, Humanist und Antiquar.

Er sieht die drohenden Vorzeichen, die andere nicht bemerken. „Keine besseren Zeiten werden kommen, im Gegenteil, ich fürchte schlimmere, da ja alles zu Verderben und Sturz sich hinneigt!“ Ein Gefühl war verbreitet, wie es die Kreatur vor einem Gewitter oder Erdbeben beschleicht, als verdunkle sich das Licht, als senke sich der Himmel tiefer als sonst hinab, als höre die Natur auf zu atmen.

Diese Ahnung unabwendbaren Unheils bemächtigte sich der Deutschen zu einer Zeit hoher kultureller Blüte, deren Pracht die Nachkommen zum Neid auf ein so harmonisches Zusammenwirken geistiger Kräfte bewegt. Um die Mitte des 15. Jahrhunderts sagte Enea Silvio Piccolomini, Deutschland sei noch nie so reich und glänzend gewesen, und andere sagten dasselbe mit ähnlichen Worten. In den hundert Jahren von 1450 bis 1550 ist, mit Ausnahme der Kirchen, das meiste von dem entstanden, was wir heute als Zeugnis des schönen mittelalterlichen Stadtbildes bewundern. Im letzten Viertel des 15. Jahrhunderts und im Laufe des 16. bauten sich fast alle Städte neue Rathäuser oder bauten wenigstens die älteren um, bauten die Zünfte sich neue Versammlungshäuser, die Patrizier und die Handwerker sich Wohnhäuser, die ihrem vermehrten Wohlstand, ihrem verfeinerten Geschmack, ihrem zunehmenden Bedürfnis nach Bequemlichkeit entsprachen. Überall in Deutschland, wo nicht Krieg oder Feuer oder Großstadtbedürfnis zerstört haben, treffen wir auf den mittelalterlichen Kern, der durch seinen malerischen, Auge und Gemüt befriedigenden Charakter so merklich von der modernen Umgebung absticht. Das ist keine Wohnstätte, sondern Heimat; es scheint, als ob glücklichere Menschen hier gelebt haben, die wussten, dass draußen Kampf und Ruhm ist, dass aber das Glück im Innern des Herzens und im Innern des Hauses gesucht werden muss.

Das Fachwerkhaus mit seinem phantastisch vergitterten Holzgerüst mahnt an die Wälder, deren Rauschen einst die deutschen Lande erfüllte, und atmet ihr würziges Aroma in die Straßen aus. Der hohe Giebel und das breite Tor erinnern an das Bauernhaus, das mütterlich schirmend mit dem Menschen zugleich das Vieh und den herbstlichen Vorrat umfasst.


Aus dem Jahr 1526 stammt das imposante Knocherhaueramtshaus am Marktplatz in Hildesheim, das mit der rhythmischen Steigerung seiner Stockwerke wie eine Fuge sich entfaltet und, ohne etwas von der bäuerlichen Geborgenheit zu verlieren, einen monumentalen Baugedanken verkörpert. Die Rathäuser, meist am Anfang des 15., zuweilen schon zu Ende des 14. Jahrhunderts begründet, wurden nun erweitert und geschmückt. Um die Mitte des 15. Jahrhunderts erhielt das Rathaus der Braunschweiger Altstadt die letzten Laubenvorbauten, durch die das ernste Gebäude in ein Feenschloss verwandelt wurde. Ebenso erhielt das zu Ende des 14. Jahrhunderts errichtete Rathaus zu Wesel seine stolze Fassade hundert Jahre später. Das Rathaus, dem Kaiser geweiht, wie die Kirche Gott, stand in den Grenzen der Weltlichkeit an Würde und Weihe der Kirche nah. Das Recht kommt nach germanischer Auffassung von Gott, wie es der Sachsenspiegel in den bekannten Worten zum Ausdruck bringt: „Gott selbst ist das Recht, und darum ist ihm das Recht lieb.“ Die Grundlage alles irdischen Rechtes ist das natürliche Recht, das Gott den Kreaturen gegeben hat und das allen Satzungen und Gewohnheiten vorgezogen werden muss. Wie die sittliche Ordnung ist es vorhanden gewesen, ehe es einen Staat gab. Durch den Kaiser konnte die Gerichtshoheit den Gliedern des Reiches verliehen werden und besaßen sie die Städte. Ihre Verleihung vollendete die Reichsunmittelbarkeit und war das ersehnte Siegel der Freiheit, gewährte Sicherheit vor den Ansprüchen der Landesherren. In vielen Städten sächsischen Rechts waren sogenannte Rolande als Kennzeichen der Gerichtshoheit den Rathäusern vorgebaut; sie trugen das Schwert zur Handhabung der Gerechtigkeit und zuweilen in der Gürtelschließe das Bild eines Engels mit der Laute als Symbol für den göttlichen Ursprung des Rechtes. Die malerische Ausschmückung im Inneren der Rathäuser pflegte auf alle diese Beziehungen hinzuweisen, etwa durch den Reichsadler oder Bilder der Kaiser oder durch Darstellungen aus der Heiligengeschichte oder der sogenannten Neun guten Helden, nämlich drei heidnischer, drei jüdischer und drei christlicher. In den Ratssälen und Gerichtslauben von Köln, Lüneburg, Goslar und vielen anderen umfängt den Eintretenden, als wäre Weihrauch in der Luft, das Gefühl der überirdischen Bestimmung.

 

Neue Kirchenbauten wurden im 15. Jahrhundert nur selten unternommen; in Augsburg entstanden zum Beispiel im letzten Viertel mehrere Klosterkirchen und die Kirche Sankt Ulrich und Afra, deren Einweihung in Gegenwart der beiden großen Gegner Kaiser Maximilian und Berthold von Henneberg stattfand. Anbauten erhielten verschiedene Kirchen, so der Dom von Münster die Fassade des einen Querschiffs mit dem herrlichen gotischen Fenster. Wurden neue Kirchen nicht errichtet, so füllten sich doch die alten um die Mitte des 15. Jahrhunderts mit den Altären, Grabmälern, Epithaphien, deren farbiges Gedränge uns den Eindruck einer heiligen, Ahnen und Enkel umfassenden Wunderwelt vermittelt, in der der einzelne willig versinkt. Wenn wir jetzt in den Museen an dem schweigenden Volk der Verklärten vorübergehen, so bemerken wir als Ursprungsjahr meistens Jahreszahlen zwischen 1470 und 1520. Unzählige Bilder und Statuen sind darunter, deren Meister nicht bekannt sind, die aber hochentwickelten Kunstsinn und Kunstfertigkeit verraten und die durch Lieblichkeit und beseelten Ausdruck sich tief einprägen.


Isenheimer Altar von Grünewald

Denkt man dann an die Meisterwerke der Epoche, den Isenheimer Altar von Grünewald, den Freiburger Altar von Baldung-Grien, die Schnitzaltäre von Tilman Riemenschneider und Michael Pacher (Michael Pacher (* um 1435 vermutlich in Mühlen bei Pfalzen, Tirol; † 1498 in Salzburg) war ein Tiroler Maler und Bildschnitzer), die Bildnisse von Dürer, Cranach und Holbein, so glaubt man die schöpferische Kraft des deutschen Volkes gesammelt zu sehen, um das Höchste, was ihm geoffenbart wurde, in vollkommener Form zu schaffen.

Wie die Kirchen sich mit Kunstwerken füllten, so die Häuser mit künstlerisch gearbeitetem Gerät, das nicht nur der Hand bequem, sondern auch dem Auge eine Lust sein sollte. Gerade die geschmackvolle Durchbildung der zum täglichen Gebrauch bestimmten Gegenstände zeigte die Höhe der Kultur, wenn anders Kultur ausgleichend ist, so dass ihre Güter nicht eine einzige oder einige wenige Stellen gleichsam als wunderbare Auswüchse schmücken, sondern allenthalben verteilt sind.


Tilman Riemenschneider (* um 1460 in Heiligenstadt; † 7. Juli 1531 in Würzburg) war ein deutscher Bildschnitzer und Bildhauer sowie Bürgermeister und Freiheitskämpfer. Er zählt zu den bedeutendsten Künstlern am Übergang von der Spätgotik zur Renaissance um 1500.


Albrecht Dürer der Jüngere (auch „Duerer“; * 21. Mai 1471 in Nürnberg; † 6. April 1528 ebenda) war ein deutscher Maler, Grafiker, Mathematiker und Kunsttheoretiker. Mit seinen Gemälden, Zeichnungen, Kupferstichen und Holzschnitten zählt er zu den herausragenden Vertretern der Renaissance.

Wie die einst so unwirtlichen Ritterburgen durch Teppiche, Truhen und Bilder wohnlich gemacht wurden, so zeigte sich auch in den Dörfern an Kirchen, Häusern, Brunnen und Wegkreuzen die Freude am Schönen. Die neuerfundene Kunst des Buchdrucks brachte auch den Ärmeren Anregung und die erwünschten Nachrichten vom Weltgeschehen durch Flugschriften. Schon am Ende des Jahrhunderts waren in fast allen namhaften deutschen Städten Druckereien in Tätigkeit. Die großen Verleger, die Koberger in Nürnberg, die Froben in Basel, die Quentell in Köln und Lufft in Wittenberg waren hochgebildete Männer, die durch ihre Arbeit ebenso wie sich selbst und nicht selten mehr als sich selbst Deutschland und die christliche Welt bereicherten. Sie haben dem Buchhandel die ehrenvolle Bahn vorgezeichnet, die ihre Berufsgenossen Jahrhunderte hindurch innegehalten haben. Die Bücher, die sie herstellten, schlossen sich zunächst noch der Art der geschriebenen an, ihr Format war unhandlich, die Lettern waren groß und schön, fast jede Seite trug graphischen Schmuck.


Von den Bibeln, die herausgegeben wurden, waren mehrere reichlich mit Holzschnittbildern versehen. Zur Zeit Maximilians war der Holzschnitt so entwickelt, dass bedeutende Künstler sich seiner bedienen konnten, um die anspruchsvollen Pläne des Kaisers auszuführen. Der Triumphzug und die Ehrenpforte, Verherrlichungen seiner Person und seiner Taten, rauschen so festlich vorüber, dass man schimmernde Farben zu sehen und Trompeten blasen zu hören meint. Hervorragende Künstler wurden sehr geschätzt, wenn auch nicht immer entsprechend bezahlt. Dass sie einer Zunft zugeteilt und dadurch dem Handwerk, der Arbeit und bürgerlichen Pflichten verbunden blieben, gehörte wieder zur ausgleichenden Kultur. Verschiedene Künstler haben hohe städtische Ämter bekleidet, so Altdorfer in Regensburg und Riemenschneider in Würzburg. Dass sie dem praktischen Leben sich nicht entfremden konnten, machte sie zu so tüchtigen männlichen Erscheinungen. Ermöglicht wurde der Umfang ihrer Leistungen durch den damals üblichen Schulbetrieb, der die Arbeit der Schüler in den Dienst des Meisters stellte.

Reich und glänzend stellten sich die deutschen Lande dem dar, der sie um die Jahrhundertwende durchwanderte, aber mitten im Überschwang konnte man Zeichen des Untergangs wahrnehmen. An die Vollendung der Leistungen selbst knüpfte sich wohl das Gefühl, dass alles, wie man sagte, zum Höchsten gekommen sei, die Ahnung, dass auf der eingeschlagenen Bahn kein Weitergehen möglich sei, dass der Lebensquell, aus dem das Abendland bisher sich gespeist hatte, ausgeschöpft sei. Aber nicht nur ein Versiegen oder Ausströmen tragender Kräfte machte sich geltend, sondern auch ein Vordringen von etwas Neuem, dem Alten Feindlichem; das war die Verweltlichung. Die große Spannung zwischen dem Himmlischen und Irdischen ließ nach. Noch zwar wiesen die Kunstwerke der Zeit die gotisch-germanische Linie auf, die wie ein zwischen Himmel und Erde zückender Blitz das Bild, indem sie es formt, entzündet. Im Fluge der Engel Dürers und Grünewalds bläst noch der Atem Gottes, der sie entsendete, die Gewänder der Heiligen sind gebauscht von der Erhabenheit überirdischen Schreitens und Schwebens. Ein Augenblick ist da, wo Himmlisches und Irdisches sich durchdringen und ewig gültige Meisterwerke entstehen. Das vermehrte Können ermöglichte den Künstlern, ihren Figuren mehr Beweglichkeit und der Bewegung mehr Natürlichkeit zu geben. Der Mensch erschien nicht mehr als der aus einer Welt des Mangels sehnsüchtig zur Herrlichkeit des Himmels Strebende, sondern als der Herr der Erde, die Krönung der Natur, der in sich Vollkommene. Die Schönheit des menschlichen Körpers begann den Künstler mehr zu interessieren als die Inbrunst seiner Seele. Mit Vorliebe wurde aller irdische Liebreiz über die Maria ergossen: eine mädchenhafte Frau, deren holdseliges Antlitz überhaucht ist von der reinen Flamme mütterlicher Liebe, so wie der Künstler sich die angebetete Geliebte als Mutter seines Sohnes vorstellen mochte.


Hans Baldung (* 1484 oder 1485 in Schwäbisch Gmünd; † September 1545 in Straßburg), auch Hans Baldung Grien nach der von ihm bevorzugten Farbe Grün genannt, war ein deutscher Maler.

Hans Baldung-Grien hat den Marienmythus zu einem deutschen Märchen gemacht: von höchster irdischer Süßigkeit umwoben, wandelt das Königskind durch die Prüfungen, um endlich von seinem königlichen Vater und königlichen Sohn in die liebenden Arme aufgenommen und gekrönt zu werden. Schöne und würdige Altarbilder stellten doch nicht mehr heilige Handlungen, sondern zeremonielle Begebenheiten unter hochgestellten Personen dar, nicht weil sie Gewänder von Edelleuten tragen, sondern weil sie ganz und gar aus irdischer Luft heraus leben.

Die veränderte Auffassung des Menschen in der Kunst wurde von den Zeitgenossen bemerkt. Geiler von Kaisersberg klagte, dass die Maler jetzt, wenn sie ein Bild von Sankt Barbara oder Sankt Katharina machen sollten, Huren malten, die die Priester in der Andacht störten. Die Priester allerdings waren sehr bereit, sich stören zu lassen. Weltliche Gesinnung, das heißt Trachten nach allem, was die Sinnlichkeit, den Ehrgeiz, die Prachtliebe, den Machttrieb befriedigt, ist immer unter den Menschen vorherrschend; aber im Mittelalter wirkte ihr das Streben nach Heiligung entgegen, das im Vorbild der Klostergeistlichkeit und in der Lehre der Kirche, überall, sei es durch Wort oder Bild, gegenwärtig war. Dass die Geistlichkeit aufhörte, ein Vorbild übermenschlicher Tugend zu sein, im Gegenteil das Beispiel des Lasters war, trug sehr zur Ausbreitung der Sittenlosigkeit bei; denn diejenigen, die an ausgezeichneter Stelle stehen, werden von der Masse nachgeahmt. Der Zölibat, sicherlich immer hier und da umgangen, wurde nun offen verhöhnt. In manchen Klöstern wirtschafteten ganze Mönchsfamilien, und man erzählte sich von Haufen kleiner Knöchlein, die bei Frauenklöstern ausgegraben wären. Die satirischen Schriften der Zeit sind voll von Spott und Hohn über die Ausschweifungen der Geistlichkeit, die denen der Laien nicht nachständen. Im Maß, wie die Entwicklung der Geldwirtschaft und der kaufmännischen Betriebe die Möglichkeit dazu vermehrte, ergriff die Sucht, reich zu werden, alle Stände. Man konnte reich werden, wenn man etwas Geld zu wagen hatte, sich an einem kaufmännischen Unternehmen beteiligte, das oft großen Gewinn abwarf; hatte man keins, musste man List oder Gewalt anwenden.

Es geht vom Geld eine anregende und wild aufregende, gemeinmachende Kraft aus. Wie ein Rauschmittel prickelt es auf, lähmt und entnervt, wie manche Gifte wirkt es heilsam in kleinen Dosen, aber da es reizt und niemals sättigt, wird die Grenze fast immer überschritten. Der Mensch ist immer schwach und bestechlich und war es auch im Mittelalter; aber mit Geld lässt sich Bestechung leichter handhaben als mit Naturalien. Schnell nahm die Bestechlichkeit zu, wurde mit großer Schamlosigkeit ausgeübt, und zwar in den höchsten Kreisen am meisten, wo mehr Geld zu vergeben war und mehr gebraucht und genützt wurde. Da Frankreich das reichste Land Europas war, wurden viele deutsche Fürsten heimlich und öffentlich Anhänger Frankreichs. Wie das Beispiel des Edlen, von oben gegeben, hebt, so verdirbt das Beispiel des Gemeinen. Auch die Bauern liefen dem Meistbietenden nach und führten etwa Krieg gegen die eigenen Landsleute. Hielten die Handwerker an dem alten Grundsatz fest, dass der Gewinn eine gewisse Grenze nicht überschreiten solle, damit eine annähernde Gleichheit der Lebenshaltung innegehalten werden könne, so machten sich doch auch unter ihnen die gesteigerten Ansprüche bemerkbar. Man machte sich die Erde zu einem angenehmen Aufenthalt, ohne zu fragen, was dafür zu zahlen war. Das Wort des Apostels: „Wir haben hier keine bleibende Stätte, sondern die zukünftige suchen wir“, verlor seine Geltung. Anstatt des Bundes mit dem Himmel schloss man einen Bund mit der Erde und feierte ihn durch Essen und Trinken. Wie Ausgehungerte stürzte man sich auf die Kannen und Schüsseln. Das war nicht das festliche Schmausen des Mittelalters, sondern Völlerei. Durch das selbstgefällig gepflegte Schlemmen und die Trunkenheit kam etwas Unflätiges in das Leben der Deutschen, das sie bei den mäßigen Romanen verächtlich machte. Es zeigte sich, dass das Natürliche sehr widerlich sein kann. Die Gelage und das unmäßige Trinken waren hauptsächlich eine Liebhaberei der Fürsten, ebenso die Jagd. Die Jagdleidenschaft erstickte in den Fürsten und Herren jedes Gefühl für Gerechtigkeit, das ohnehin den Bauern gegenüber gering war. Der Bauer, der sich des Wildes erwehrte, das seine Äcker beschädigte, wurde mit unmenschlichen Strafen, wie Ausstechen der Augen, bedroht. Überhaupt waren die Strafen grausamer und brutaler als die Verbrechen. Man weidete sich am Anblick der Todesqualen des Gegners und an Scheußlichkeiten der Justiz, von denen man heute nur mit Schaudern liest. Waren nun auch Rohheit und Unsittlichkeit nicht ärger, als sie früher gewesen waren, so fielen sie doch mehr auf im Vergleich mit der verfeinerten und der wissenschaftlichen Bildung, die nebenherging. War es doch die Zeit, von der Hutten sagte: „Es blühen die Studien, die Geister regen sich; du nimm den Strick, Barbarei, und mache dich auf Verbannung gefasst!“ Und an anderer Stelle: „Mit der Barbarei ist es zu Ende; bisher wurden die Studien gering geachtet, jetzt kehrt man zu wahrer Gelehrsamkeit zurück, die Geister bilden sich.“

 

Auch hier hatte Nikolaus von Cusa einen großartigen Anfang gemacht. Von der durch die Bibel gewiesenen Ansicht ausgehend, dass die sichtbare Welt ein Bild des unsichtbaren Gottes sei, stellte er den Menschen die Aufgabe, die Natur zu erforschen, um dadurch soweit wie möglich zur Erkenntnis des an sich nicht erkennbaren Gottes zu gelangen. Er verwarf es dabei als unwürdig, sich auf Autoritäten zu stützen, das sei, wie wenn ein Pferd, anstatt frei sich seine Nahrung zu suchen, im Stall fressen muss, was ihm in der Krippe vorgeworfen werde. Er verwarf sogar die Autorität des bis dahin fast heilig gehaltenen Aristoteles. So setzte die neue Macht, die Wissenschaft, sofort als selbstherrlich, furchtlos, rebellisch ein. Sie kam als Befreier, der Zweifel ging ihr als Herold voran. Dieser schwungvolle Anlauf blieb zunächst jedoch ohne Folge. Wenn Piccolomini von den Gelehrten und Adligen Deutschlands sagte, sie seien gute treuherzige Leute, aber sie liebten die Wissenschaft nicht nach seiner Weise, und ihre Lust sei nicht die seine, so urteilte er gewiss im ganzen richtig über die Deutschen seiner Zeit. Auch als es im letzten Viertel des 15. Jahrhunderts anders wurde, waren doch die Italiener den Deutschen gegenüber sehr im Vorteil, schon weil die Sprache, um deren Reinigung es sich zunächst handelte, die ihrige war.


Lorenzo Valla wurde zwischen 1405 und 1407 in Rom geboren. Er war als Sohn des kurialen Konsistorialadvokaten Luca della Valla stadtadeliger Abkunft.

Wie stolz sagt Lorenzo Valla: „Wir Römer haben die weltliche Herrschaft eingebüßt, aber kraft der glänzenden Herrschaft der Sprache regieren wir noch heute über einen großen Teil des Erdkreises: unser ist Italien, unser Frankreich, Spanien, Deutschland und viele andere Nationen, denn wo die römische Sprache herrscht, da ist römisches Reich.“ In wie sonderbarer Stellung befanden sich die deutschen Humanisten, die diesem Stolz gegenüber den Gebrauch der deutschen Sprache fördern wollten, aber sich selbst nicht gut in ihr ausdrücken konnten. Die reinere Behandlung und tiefere Durchdringung der lateinischen Sprache, wie sie nun üblich wurde, hatte für Deutschland auch Nachteile. Einst waren durch das Einströmen germanischen Geistes in die ausgebildete lateinische Sprache Dichtungen von hinreißender Lebendigkeit entstanden: Hymnen, Trink- und Liebeslieder. Die gefeilten, nach klassischen Mustern gearbeiteten Verse der deutschen Humanisten verhalten sich zu jenen wie ausgestopfte zu lebendigen Tieren. Gregor von Heimburg sagte einmal schön, als man seine tullianische Eloquenz pries, schöner als nach Weise der Bienen Zerstreutes zu sammeln, sei nach dem Vorbild des Wurms, der Seide aus seinem Eingeweide spinne, aus sich selbst heraus reden zu können. Er wolle jetzt das Studium der göttlichen Dinge betreiben, die nicht der Bewässerung durch die Fluten tullianischer Eloquenz, nicht der Redeblümchen Quintilians bedürften, sondern einer Rede, die die Sache erläutere, den Sinn kennen lehre, Dunkles aufhelle. Aber es ist nur selten, wenn überhaupt möglich, in einer fremden, erlernten Sprache Eigenes auf eigene Art zu sagen. Mochte je einmal einer von den gekrönten Dichtern vom Überschwang dichterischer Kraft erfüllt sein, Gestalt vermochte er ihm nicht zu geben. Wir begreifen diesen Dichtern gegenüber, dass Wimpheling sagte: Poesie sei ein Anhängsel der Grammatik und zu nichts gut, als die Silben zu messen. Es ist charakteristisch, dass die Dichterkrönung als greifbaren Gewinn das Recht einbrachte, an Universitäten die freien Künste zu lehren. Hervorragende Leistungen in der Poesie stellten den Dichter dem Gelehrten gleich, verdankte er sie doch seinem Fleiß und seinen gelehrten Kenntnissen.

Im Vergleich mit den italienischen Humanisten haftete den Deutschen etwas Spießbürgerliches, Beschränktes an. Zu einer Zeit, als in Italien die neubelebte Wissenschaft mit großartiger Naivität und stolzer Zuversicht gegen alles Bestehende anstürmte, konnte Enea Silvio Piccolomini Deutschland ein „gleichsam außerhalb der gebildeten Welt liegendes Land“ nennen. Allmählich aber ersetzten deutsche Bedächtigkeit und Gründlichkeit das geistige Feuer und führten zu bedeutenden Leistungen. Das Studium der Sprachen wurde auf durchdachte Art betrieben, die Methode des Erlernens verbessert, Lehrbücher und Grammatiken wurden geschaffen. Auch auf dem Gebiet der Rechtswissenschaft, die auf den Universitäten von Bologna, Padua, Pisa und Pavia studiert wurden, kam der Anstoß von Italien; aber schon der Umstand, dass das römische Recht in Beziehung zum deutschen gesetzt werden musste, bedingte eine besondere Entwicklung. Ulrich Zasius (Ulrich Zasius (* 1461 in Konstanz; † 24. November 1535 in Freiburg im Breisgau) war ein deutscher Jurist und Humanist. Geboren als Ulrich Zäsy hat er später den latinisierten Namen Huldrichus.), das Haupt der deutschen Rechtslehrer, war durchaus nicht für kritiklose Übernahme des römischen Rechtes, er wollte es nur übernommen wissen, soweit es für Deutschland heilsam und seinen Sitten entsprechend sei, hauptsächlich in Bezug auf die juristische Technik und die allgemeinen Rechtsgrundsätze.

Schon im Beginn des 15. Jahrhunderts wurde über das Fehlen allgemeiner leitender Grundsätze und über den Mangel an Einheitlichkeit im deutschen Recht geklagt. Nikolaus von Cusa, auf allen Gebieten führend, schlug vor, die provinziellen Gewohnheitsrechte aufzuzeichnen und allgemeine Rechtssätze aus ihnen abzuleiten. Soweit das Gewohnheitsrecht schlecht sei, solle es abgeschafft oder mit dem allgemeinen Gesetz der Natur und Vernunft in Einklang gebracht werden. Auch haben Aufzeichnungen der Stadt- und Landrechte seitdem vielfach stattgefunden; allein da das römische Recht gelehrt wurde und allgemeine Grundsätze enthielt, war es natürlich, dass diese übernommen wurden. Wo das deutsche Recht einigermaßen einheitlich und gut überliefert war, wie in Bayern und in den Hansestädten sächsischen Rechts, konnte das römische Recht nur langsam eindringen. Wie die anderen Gebiete des menschlichen Geisteslebens, so war auch das römische Recht durch einen Wust von Glossen und Kommentaren überdeckt und entstellt; das Zurückgehen auf die Quellen waren die wesentliche Tätigkeit und das größte Verdienst des Ulrich Zasius. „Vor allem will ich bekennen“, schrieb er, „dass ich allein von dem Texte der Quellen und von wahren und sicheren Gründen, die auf dem Recht oder der Natur der Sache beruhen, abhängen, nur auf diese mich stützen will.“ Der Wirbelwind der Meinungen habe bei ihm nicht das geringste Ansehen, wenn er nicht auf den Quellen des Rechtes oder auf der klaren Vernunft beruhe.