Ricarda Huch: Deutsche Geschichte – Untergang des Römischen Reiches Deutscher Nation – bei Jürgen Ruszkowski

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Sari: gelbe Buchreihe #180
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Ungarn und Türken

Ungarn und Türken

Zur Methode Ludwigs gehörte es, denen, die er angreifen oder die er verhindern wollte ihn anzugreifen, Feinde zu erwecken. Deshalb reizte er Portugal zum Krieg gegen Spanien, deshalb suchte er einen französischen Prinzen oder von ihm abhängigen Mann auf den polnischen Thron zu bringen, der sich etwa gegen Österreich gebrauchen ließ. Österreich gegenüber war er in der günstigen Lage, sich zweier immer zum Sprung bereiter Feinde dieser Macht bedienen zu können: der Ungarn und der Türken. Man muss die stets von Osten drohende Gefahr bedenken, um Leopolds unsicheres Verhalten im Westen zu verstehen.

Es waren die schwierigen Verhältnisse Siebenbürgens, die einen Zusammenstoß mit der Türkei herbeiführten. Dies Land hatte sich unter ehrgeizigen und oft hervorragenden Führern eine Art Selbständigkeit zwischen der Pforte und Österreich zu behaupten gewusst, sich bald mehr dem einen, bald dem anderen Land anschließend. Als die Pforte den Großfürsten Rákoczy, der ihre Unzufriedenheit erregt hatte, angriff und besiegte, dann das ungarische Großwardein eroberte, glaubte die österreichische Regierung sich einmischen zu müssen, um einem türkischen Einfall in die Erblande vorzubeugen.

Wenn sich der Kaiser nicht leicht zum Krieg entschloss, so erklärt sich das aus der Schwierigkeit, ein den türkischen Streitkräften nur einigermaßen gewachsenes Heer zusammenzubringen. Er verfügte damals über 12.000 Mann, wozu noch das etwa 15.000 Mann zählende Aufgebot der Ungarn kam, und diesen standen 120.000 Türken gegenüber. Sicherlich hätte der Kaiser mehr Geld und mehr Soldaten aus den Erblanden aufbringen können, wenn die militärischen Angelegenheiten ganz in seiner Hand gelegen hätten und wenn nicht in der Verwaltung Schlendrian und Schlamperei herkömmlich gewesen wären. „Kein Mensch hat hier Lust zu ernstlicher Arbeit“, schrieb der Nuntius an den Papst, und später Prinz Eugen: „Es mag auch noch so schlechte Nachricht kommen, ist man doch hier weit entfernt, sich zu beunruhigen oder an Abhilfe zu denken. Man ist hier von außerordentlicher Gemütsruhe und lässt alles seinen Gang gehen.“

Hier Ordnung zu schaffen, war Leopold nicht die Persönlichkeit. „O Dio“, schrieb er einmal seinem Beichtvater, „come detesto di dover prendere delle resoluzioni!“ Aus Angst vor Entschlüssen und Entscheidungen ließ er die Dinge gehen, und eine ähnliche Geistesverfassung herrschte in seiner Umgebung.


Raimondo Graf von Montecuccoli, seit 1651 Fürst von Montecuccoli (* 21. Februar 1609 auf Schloss Montecuccolo in Pavullo nel Frignano bei Modena; † 16. Oktober 1680 in Linz), war ein italienischer kaiserlicher Feldherr, Diplomat und Staatsmann in österreichisch-habsburgischen Diensten.

Der Oberbefehlshaber des kaiserlichen Heeres, Raimondo de Montecuccoli, einer der vielen zu Österreichern gewordenen Italiener, war im Jahr 1609 in Modena geboren, hatte in vielen Schlachten des Dreißigjährigen Krieges mitgekämpft und war in den Jahren 1639-42 in schwedischer Gefangenschaft gewesen. Diese Zeit hatte er benützt, um viel zu lesen, nicht nur kriegswissenschaftliche, sondern auch allgemein wissenschaftliche Werke, und hatte sich eine bedeutende Gelehrsamkeit erworben. Vielleicht war es dies Wissen, vielleicht auch das zunehmende Alter, das seine Kriegführung bedächtig, oft allzu bedächtig machte. Überhaupt aber war es der Grundsatz dieser Epoche, Schlachten womöglich zu vermeiden, um die Soldaten, eine kostbare Ware, zu sparen, und mehr durch geschickte strategische Bewegungen Erfolg zu erringen. Montecuccoli ging darin sehr weit; allerdings war er fast immer in der Lage, mit einer geringen Truppenzahl einer Übermacht entgegenzugehen. Als Mensch war er ehrenhaft und sympathisch.

Nachdem die wichtige, der Grenze nahegelegene Festung Neuhäusel von den Türken erobert worden war, und nachdem Leopold den Regensburger Reichstag gehörig bearbeitet hatte, ließ sich das Reich zur Hilfeleistung bereitfinden. Sie war dreifacher Art: das Reich stellte die eigentlichen Reichstruppen, Brandenburg, Sachsen und Bayern schickten ihre Hilfe gesondert, und ebenso trat der Rheinbund als selbständig handelnde Macht auf. Als das vornehmste Glied desselben lieferte Ludwig XIV. die meisten Truppen, zu denen sich viele von Adel als Freiwillige gesellten. Dass Ludwig ihm als Teilnehmer am Krieg aufgedrängt wurde, während man doch wusste, dass er die Türken gegen Österreich aufzuhetzen pflegte, war eine Beleidigung des Kaisers, die er tief empfand. Doch kämpften die Franzosen mit der ihnen eigenen Bravour und Disziplin, so dass sich Ludwig rühmen konnte, einen großen Teil zum Sieg beigetragen zu haben.

Bei St. Gotthardt an der Raab, nahe der steiermärkischen Grenze, kam es zur Schlacht, die ungeachtet des Zurückweichens der Reichstruppen im Beginn mit einem vollständigen Sieg der Christen endete. Es scheint, dass Montecuccoli auch in diesem Fall die Schlacht vermeiden wollte und nur durch den Rat der übrigen Heerführer zum Angriff bestimmt wurde. Trotz des glänzenden Erfolges schloss der Kaiser noch im selben Monat, im August 1664, den für ihn unvorteilhaften Frieden von Vasvar, der die Festungen Großwardein und Neuhäusel in den Händen der Türken ließ. Auch Siebenbürgen blieb bis auf weiteres unter türkischem Einfluss. Die Sorge um die Entwicklung in Spanien im Falle des Todes Philipps IV., der damals erwartet wurde, noch mehr vielleicht der Unmut über die unwürdige Bundesgenossenschaft Frankreichs, scheint beim Abschluss eines so verzichtvollen Vertrages den Ausschlag gegeben zu haben.

Der Unwille über den nachteiligen Friedensschluss war auch in Ungarn groß und steigerte die im Kreis der Magnaten ohnehin herrschende Unzufriedenheit zu förmlicher Verschwörung. Nur einige Komitate Ungarns, die der österreichischen Grenze nahe lagen, waren damals in österreichischem Besitz, die Mitte, nämlich die Komitate oder Paschaliks Ofen, Temesvar, Kanischa und Erlau mit dem hochgelegenen Ofen und den übrigen wichtigsten Festungen, darunter Grau, Stuhlweißenburg und Belgrad, befand sich in türkischen Händen. Aber auch das österreichische Ungarn war kein sicherer Besitz. Es war ein tragisches Verhängnis, dass Österreich Ungarn als Vormauer gegen die Türkei zu beherrschen suchen musste und dass andrerseits die Ungarn der deutschen Herrschaft natürlicherweise widerstrebten. Die Ungarn lebten noch in mittelalterlich feudalen Verhältnissen, während Österreich seine ständische Verfassung mehr und mehr durch eine modern-zentralistische zu überwinden suchte. Die ungarischen Stände konnten sich rühmen, im Besitz eines aus dem 13. Jahrhundert stammenden Privilegiums, der sogenannten Goldenen Bulle König Andreas II. zu sein, welches ihnen ein Widerstandsrecht verbürgte für den Fall, dass ein König ihre Rechte verletzen sollte. Die militärischen Stationen, die der Kaiser in Ungarn errichtete und die zum Schutz gegen die Türken notwendig waren, wurden von den Ungarn als unrechtmäßiger Druck empfunden. Besonders die ungarischen Protestanten, die von der österreichischen Regierung ihren Versprechungen zuwider unterdrückt wurden, hassten die Deutschen. Viele von ihnen hätten die Herrschaft der Türken, welche Andersgläubige gewähren ließen, der deutschen vorgezogen; aber auch viele Katholiken dachten so. Nach dem Frieden von Vasvar kam der angesammelte Widerwille zum Ausbruch. Bei Gelegenheit der Verlobung der Helene Zriny mit Franz Rákoczy kamen verschiedene Häupter der Bewegung unauffällig zusammen und beredeten die vorzunehmenden Schritte. Die angesehensten und tätigsten Häupter der Empörung waren Peter Zriny, Ban von Croatien, dessen Schwager Graf Frangipani und Graf Nadasdy, der reichste unter den ungarischen Magnaten. Sie hofften auf Hilfe von der Pforte, von Frankreich, von Polen, von Venedig. An alle diese Mächte wendeten sie sich insgeheim und erhielten auch hie und da ermunternde Antworten, aber keine bindenden Versprechungen. So zogen sich die Vorbereitungen durch mehrere Jahre hin unter wechselnder Teilnahme der einen und anderen, als die österreichische Regierung bereits durch Verräter von den Vorgängen unterrichtet war. Wie schwer erträglich die trotzige Selbständigkeit der Ungarn auch für die Regierung war und wie gern sie auch einen Anlass ergriffen hätte, sie zu brechen, ging sie doch behutsam mit den ungarischen Magnaten um. Sie waren große Herren, verschwenderisch, liebenswürdig, gute Gesellschafter, großartig im Auftreten, und unterhielten freundschaftliche Beziehungen zum österreichischen Adel. Trotz mancherlei Feindschaft und Eifersucht im einzelnen Fall fühlte sich der Adel aller Länder, die herrschende Schicht jener Zeit, wie eine internationale Kaste untereinander verbunden. Zunächst wurde versucht, ob sich die Schuldigen in Güte gewinnen ließen. Zriny, Frangipani und Nadasdy bekundeten Reue, als ihnen Vorhalte gemacht wurden, und gelobten, künftig dem Kaiser treu dienen zu wollen; sie setzten aber die Versuche, ausländische Hilfe zu gewinnen, fort. Damals begannen die Kriege Ludwigs XIV., die Pforte hielt zwar noch Frieden, konnte ihn aber jeden Augenblick brechen, die Lage Österreichs zwischen den beiden Erbfeinden war so, dass es geraten schien, den sich vorbereitenden ungarischen Aufstand im Keim zu unterdrücken. Als sie sich verloren sahen, flohen die Grafen Zriny und Frangipani nach Wien und ergaben sich der Gnade des Kaisers, die sie schon einmal erfahren hatten. Die Räte des Kaisers entschieden sich für Anwendung äußerster Strenge, das Gericht verurteilte Zriny, Frangipani und Nadasdy, der sich ahnungslos in Baden bei Wien aufgehalten hatte, außerdem noch den Grafen Tattenbach, einen etwas schwachköpfigen Steiermärker, zum Tode. Es war natürlich, dass die Angeklagten leugneten und sich auszureden suchten; aber die Art, wie einer die Schuld auf den andern abzuwälzen versuchte, macht einen peinlichen Eindruck. Als Menschen, die ganz im wilden Genuss ihrer Kraft und ihrer Leidenschaften gelebt hatten, brachen sie zusammen, als sie plötzlich aller äußeren Stützen beraubt waren. Indessen, als sie den Untergang vor Augen sahen, rafften sie sich auf und starben stolz und furchtlos. Nur Graf Tattenbach war haltlos und musste bis zuletzt mit tröstenden Beamten umgeben werden. Die Verurteilten wurden vor ihrem Tod aus der Adelsmatrikel ausgestoßen, was sie sehr schmerzte. Andrerseits wurde dafür gesorgt, dass der Henker sie bei der Vollziehung des Urteils nicht mit der Hand berührte. Ihr Vermögen wurde konfisziert, es bestand zum größten Teil in liegenden Gütern, daneben in edlen Steinen, kostbarem Gerät und Schmuck, auch in Geld. Von den Gütern kamen die meisten an die Familie Esterhazy, die dem Kaiser stets treu angehangen hatte. Graf Frangipani war der letzte seines Geschlechtes, die Familie Zriny erlosch mit dem Sohne des Hingerichteten. In Zrinys Tochter Helene, die in erster Ehe mit Rákoczcy vermählt war, brannte die Flamme des Hasses weiter. Mit ihrem zweiten Gatten, dem hochbegabten, glänzenden Emerich Tököly, entfachte sie den Aufruhr immer neu, schließlich aber mussten sie sich, von den Türken verlassen und verraten, nach Kleinasien zurückziehen, wo sie im Beginn des 18. Jahrhunderts gestorben sind.

 

Leopold gedachte die unterdrückte Verschwörung zur Änderung der ungarischen Verfassung im absolutistischen Sinn auszunützen, ähnlich wie es Ferdinand II. in Böhmen gemacht hatte. Er ging dabei zur Schonung seines Gewissens außerordentlich behutsam vor. Eine Versammlung von Geistlichen musste zunächst vom religiösen Standpunkt aus beurteilen, ob der Kaiser berechtigt sei, die Privilegien, die er beschworen hatte, aufzuheben. Darauf folgten Beratungen von Justiz- und Militärpersonen. Alle diese Kommissionen rieten zu der gewünschten Verfassungsänderung, die auch Lobkowitz und der Hofkanzler Hocher, ein Bürgerlicher, Sohn eines Freiburger Rechtsgelehrten, befürworteten. Bis dahin hatten die hohen Reichsämter immer ungarische Magnaten inne, die ziemlich unabhängig schalteten, an ihrer Spitze der Palatin. Dies Amt sollte aufgehoben werden und an die Stelle des Palatins ein Gubernator treten, der von Wien abhängig wäre. Möglichst allmählich und unmerklich sollte das Gubernium Justiz, Verwaltung und Steuerwesen an sich ziehen, bis das Regiment auf gleichen Fuß mit den Erblanden gebracht wäre, wie man sich ausdrückte. Nach vielen Bedenken wählte der Kaiser zu diesem Amt den Deutschmeister Ampringen, einen reichsdeutschen Fürsten, der als streng redlicher und wohlwollender Mann bekannt war. Gern hätte Leopold das Land wieder ganz katholisch gemacht, und es wurden zu diesem Zweck mehr als 200 protestantische Pfarrer verbannt, andere, die sich nicht fügen wollten, nach Neapel und Triest auf die Galeeren geschickt, wo viele starben. Die entsetzlichen Grausamkeiten, die von den Vertretern der Regierung verübt wurden, steigerten den Hass der Ungarn ins Maßlose. Der Deutschen Blut zu trinken und ihre Leichen zu häufen, war der Wunsch, in dem ihre Lieder schwelgten. Trotz aller Gewalttaten ließ sich weder die Katholisierung noch die Zentralisierung durchführen. Nach acht Jahren suchte Ampringen sein Mergentheim wieder auf, ohne dass er, von der Wiener Regierung ziemlich im Stich gelassen, die Befugnisse seines Amtes hätte ausüben können. Es zeigte sich, dass die alten Organisationen weiterarbeiteten, während die neue ratlos und zwecklos danebenstand.


Kara Mustafa Pascha (geb. 1634/35 in Marınca bei Merzifon, Eyâlet Sivas; gest. 25. Dezember 1683 in Belgrad) war unter der Regentschaft des Sultans Mehmed IV. Großwesir des Osmanischen Reiches und Oberbefehlshaber bei der Zweiten Belagerung Wiens zu Beginn des Großen Türkenkrieges.

Unter diesen Umständen war es doppelt misslich, dass nach dem Tod des friedfertigen Großveziers Köprili im Jahr 1676 die Beziehungen zur Pforte sich wieder verschlechterten. Kara Mustapha, der an seine Stelle trat, war, weil er von den Polen besiegt worden war, angegriffen und glaubte, seine erschütterte Stellung durch einen Sieg über Österreich wieder befestigen zu können. Die aufständischen Ungarn unter Emerich Tököly versprachen, ihn zu unterstützen. Im Frühling des Jahres 1683 wälzte sich ein Heer von 200.000 Türken gegen Wien heran; denn es war Kara Mustaphas Plan, die Hauptstadt zu erobern.

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Straßburg

Straßburg

Fast immer sind Koalitionen im Nachteil gegen einen einzelnen Feind, selbst wenn sie ihm zahlenmäßig überlegen sind. Das Zusammenwirken des Kaisers mit dem Kurfürsten von Brandenburg gestaltete sich vollends unfruchtbar. Der Kurfürst beschuldigte die Kaiserlichen absichtlicher Untätigkeit, Montecuccoli zog sich zuerst vorübergehend, dann ganz von der Heeresleitung zurück. Es kam zu keinem nennenswerten Erfolg, der Tod Turennes, der bei Sasbach von einer Kugel getroffen wurde, blieb unausgenützt. Von diesen Unzuträglichkeiten abgesehen, sicherte ihre größere militärische Tüchtigkeit den Franzosen das Übergewicht. „Bei den Deutschen“, sagte Leibniz, „kein Schneid im Handeln, kein Geist in den Unternehmungen, keine Spur von Feldherrnkunst. Es war, wie wenn ein ungeschlachter Riese kämpfte mit einem geübten Fechter von Fach: jener plump, unbeholfen, dieser lebhaft, gewandt, sicher, mitten im Kampf kaltblütig, besonnen. Denn für die Franzosen gab Kunst, Geist und Schnelligkeit, nicht Macht und Wucht den Ausschlag, und ihre Pläne waren geheim, ihre Schläge nicht aufzufangen wie der Blitz, erst zu bemerken, wenn sie schon saßen. Die Führer Männer von Kopf, die Obersten und Hauptleute stramm im Dienst, alle der Belohnung sicher.“ Dieses schneidende Urteil kann nur auf die Führung bezogen werden. Die deutschen Soldaten waren gut und sollten bald unter ausgezeichneten Führern ihre Leistungsfähigkeit beweisen.

Einen bedeutenden Erfolg errang die französische Diplomatie, als es ihr gelang, die Schweden zu einem Einfall in die Mark Brandenburg zu veranlassen. Der höfliche schwedische Anführer versicherte zwar, das solle keine Ruptur bedeuten; aber der Große Kurfürst nahm es für das, was es war, und kam ohne Zeitverlust seinem Land zu Hilfe. In seinem eigenen Interesse verletzt, zeigte er, was er leisten konnte, wenn er wollte. In raschem Zug führte er seine Truppen vom Rhein nach dem Osten, eroberte das von den Schweden besetzte Rathenow zurück, besiegte den Generallieutenant Wrangel in der Reiterschlacht bei Fehrbellin und jagte den Feind in der vielbewunderten Fahrt über die Eisfläche des Kurischen Haffs über die Grenze. Dann eroberte er Stettin und glaubte sich ein zweites Mal im Besitz von Pommern. Dass Ludwig XIV., dessen Absicht es durchaus nicht war, das Reich von den Schweden zu befreien, ihm die Beute entriss, erbitterte ihn nicht gegen den französischen König, sondern gegen den Kaiser, der ihn allerdings nach längerem Auf und Ab der Meinungen am Wiener Hof preisgab. Der Friede von Nymwegen, der im Jahr 1679 den ersten Koalitionskrieg abschloss, war ein Triumph der französischen Diplomatie. Nachdem zuerst Holland, wo die Aristokratenpartei wieder zu Ansehen kam, sich durch einen vorteilhaften Handelsvertrag hatte gewinnen lassen, folgten Spanien und der Kaiser; da musste auch Friedrich Wilhelm sich fügen. Von Groll gegen den Kaiser erfüllt, schloss er sich neuerdings eng an Frankreich. Ludwig XIV. konnte sorglos zu neuen Eroberungen schreiten.

Wenn er etwas rauben wollte, pflegte Ludwig vorher zu proklamieren, dass er nichts als den Frieden wünsche und nie etwas nähme, als was ihm gehöre. Was ihm gehöre, bestimmten die sogenannten Reunionskammern, deren Aufgabe es war, festzustellen, welche Gebiete von den Besitztümern Metz, Toul und Verdun jemals abhängig gewesen wären. Als die Kammern einmal, vom Eifer fortgerissen, auf diese Weise die Bistümer Straßburg, Speyer, Worms, Trier und Mainz einforderten, soll selbst Louvois, der französische Kriegsminister, gelacht haben.


Der spätere Kardinal Richelieu wurde am 9. September 1585 in Paris als Armand du Plessis de Richelieu geboren. Ursprünglich war er für eine militärische Laufbahn vorgesehen, aber als sein Bruder Alphonse-Louis (1582 – 1653) auf das Amt des Bischofs von Luçon verzichtete, kam Richelieu im Jahr 1607 als „Ersatzkandidat“ zum Zuge. 1614 überzeugte er bei den Generalständen mit seinen rhetorischen Fähigkeiten. 1616 wurde Richelieu von der Regentin Maria von Medici (1575 – 1642) zum Außenminister.

Richelieu hatte diesen Weg vorgezeichnet, indem er im Jahr 1624 eine Kammer gründete, die den französischen Anspruch auf Lothringen zu begründen hatte, später galt er der Eroberung des Elsass. Nach einer längeren Pause nahm die an das Parlament von Metz angeschlossene Reunionskammer im Jahr 1679 ihre Tätigkeit wieder auf, wobei angenommen wurde, dass die drei Bischöfe von Metz, Toul und Verdun als Kläger auftraten und die von ihnen abhängenden Vasallen zur Huldigung aufforderten, widrigenfalls ihre Gebiete ihnen aberkannt würden. Proteste wurden nicht beachtet. Als räumliche Grenze wurde der Rhein betrachtet, eine zeitliche Grenze gab es nicht, man ging bis auf Karl den Großen zurück. Er befürchte, sagte der österreichische Staatsmann von Hornigk, das um sich fressende Dependentienfeuer werde auch die rechtsrheinischen Lande ergreifen, und schließlich werde der König von Frankreich ganz Deutschland als abhängig vom Bistum Metz und als sein Eigentum erklären.

Es wird erzählt, Karl V. habe einmal gesagt, wenn Straßburg und Wien gleichzeitig von Feinden bedroht werden sollten, würde er zuerst Straßburg entsetzen. Als der Fall eintrat, stand ein schwächerer Fürst an der Spitze des Reiches, aber schwächer nicht nur durch seinen Charakter, sondern auch durch nicht von ihm verschuldete Umstände. Das Elsass hatte er verloren, die Aussicht, es wiederzugewinnen, war gering, das Schwergewicht Österreichs hatte sich nach dem Osten verlagert. Nachdem der unglückliche Friede von Nymwegen geschlossen war, in dem Leopold sogar die Stadt Freiburg im Breisgau, ein Kleinod seiner Krone, geopfert hatte, stand er wieder allein, mit dem militärisch wichtigen Kurfürsten von Brandenburg war er sogar verfeindet. Im Osten bereitete sich die Türkei zu einem großen Schlag vor.

Ludwig XIV. hätte die heißbegehrte Reichsstadt Straßburg am liebsten durch Schmeichelei und Bestechung gewonnen. Wohl gab es in Straßburg seit mehr als 100 Jahren eine französische Partei, aber ausschlaggebend war sie nicht. Die Einwohner waren deutsch und wollten deutsch, wollten vor allem Reichsstädter bleiben, was sie auch im letzten Krieg durch die Tat bewiesen hatten. Die Reichsfreiheit war das Fundament ihres Wohlstandes und Ansehens; wie hätten sie darauf verzichten sollen! Sodann waren sie durchaus protestantisch. Die Stadt, die unter Führung des Stättmeisters Sturm und des Pfarrers Martin Butzer eine Säule der Reformation gewesen war, misstraute dem katholischen Frankreich.


Martin Butzer

Als im Herbst des Jahres 1681 französische Truppen sich um Straßburg zusammenzogen und ihre Absicht nicht mehr zu verkennen war, verbreitete sich Schrecken. Eine Aussicht auf Entsatz zeigte sich von keiner Seite. Ludwig hatte mit der Möglichkeit gerechnet, dass die evangelischen Orte der Eidgenossenschaft sich um der alten Bundesgenossin willen rühren würden; aber auch sie blieben still. Das Reich war wie gelähmt. Wohl brachte der Kaiser auf dem Reichstag eben damals eine neue Reichskriegsverfassung zustande; aber sie kam der bedrängten Reichsstadt nicht zugute. Der Magistrat war in großer Sorge, wie sich der notwendige Übergang an Frankreich vollziehen sollte, ohne dass es zu einem Aufruhr im Volk käme. Denn notwendig schien es, sich zu fügen, heroischer Untergang kam nicht in Betracht. Nicht einmal zu einem Tumult kam es; nach der Überlieferung verlangte ein einziges Männlein von 70 Jahren, ein Schneider, dass bis zum Tode für die Freiheit gekämpft werde. Er fand jedenfalls keinen Widerhall in der Bevölkerung: man ließ, wenn auch ungern, das Unvermeidliche geschehen. Dass tapferer Widerstand, wie Bremen ihn gegen Schweden gewagt hatte, wirksame Hilfe herbeigezogen hätte, ist nicht anzunehmen.

 

Am 30. September zog Louvois an der Spitze seiner Truppen in die gefallene Stadt ein. Nach den Bedingungen der Kapitulation blieb ihr die innere Verfassung erhalten; aber der Dom wurde dem katholischen Kultus zurückgegeben.


Straßburger Dom (Münster) – Foto: Jonathan Martz

Einige Tage später traf der berühmte Vauban ein, um die Grenzstadt zu einer uneinnehmbaren Festung zu machen. Im Oktober erfolgte der triumphale Einzug des Königs mit der ganzen königlichen Familie. An der Pforte des Münsters empfing den unblutigen Eroberer der Bischof von Straßburg, Egon von Fürstenberg, unter Ludwigs Kreaturen eine der verächtlichsten.

Am selben Tag besetzten französische Truppen in Italien die Mantua gehörende Festung Casale.

Man kann wohl das Schuldverhältnis bei diesem traurigen Ereignis nicht richtiger beurteilen, als es Leibniz in einem lateinischen Gedicht getan hat: Deutschland an Straßburg: Schandfleck welchen der Rhein mit all seinen Wogen nicht abwäscht, dass du schweigend verdirbst, dass du das Reich mit verdirbst! Straßburg an Deutschland: Schandfleck welchen der Rhein mit all seinen Wogen nicht abwäscht, dass daliegen im Schlaf allzumal Kaiser und Reich.

Nachdem der Schlag gefallen war, fehlte es nicht an Bemühungen im Reich, Kräfte zum Widerstand gegen die Vergewaltigung zu sammeln; sie scheiterten hauptsächlich an der Weigerung des Kurfürsten von Brandenburg, der am Tag nach dem Fall Straßburgs dem französischen Gesandten einen mit Diamanten besetzten Degen schenkte und das Bündnis mit Frankreich erneuerte. Vergebens bestürmte der kaiserliche Gesandte, der von dem bereits abgeschlossenen Geheimbund nichts ahnte, das Gewissen Friedrich Wilhelms; dieser befürwortete eifrig den Verzicht auf die von Frankreich geraubten deutschen Gebiete. Von Brandenburg verlassen, von türkischer Übermacht bedroht, entschloss sich Leopold zu einem 20jährigen Waffenstillstand mit Frankreich, in welchem er für diese Zeitspanne den Verlust der von den Reunionskammern beanspruchten und eingezogenen Gebiete mit Einschluss Straßburgs anerkannte.

Viele geschichtliche Ereignisse sind durch den Willen handelnder Menschen bestimmt, andere führt eine Verkettung von Umständen herbei, die oft lange Zeit im Dunkeln verlaufen, bis im Augenblick der Reife sie ans Licht treten und sich entfalten. Aber das Unberechenbare hat auch seine Stelle. Der Dämon Zufall wirbelt festes Menschenwerk durcheinander, auf unentwirrbare Knäuel legt sich die lösende Hand des Todes. Dass sich zwei Augen schließen, kann das politische Bild der Erde verändern, auch dass zwei Hände sich zum Ehebund vereinigen, konnte damals entscheidende Folgen haben. Im Jahr 1677 heiratete Wilhelm von Oranien die protestantische Tochter des katholischen Jakob Stuart, des Bruders König Karls II. von England, der, da Karl kinderlos war, sein Nachfolger sein würde. Noch war es eine ziemlich belanglose Verbindung; aber Ludwig XIV. erkannte die Gefahr, die daraus für ihn entstehen konnte, und empfand sie als Verlust inmitten seiner Siege. Seinem zähesten Feind hatte sich ein Zugang zum englischen Thron eröffnet. Im Jahr 1679 starb der Kurfürst Ferdinand Maria von Bayern, der ein Vasall Frankreichs gewesen war; sein Sohn und Nachfolger wurde Kaiser Leopolds Schwiegersohn, Anhänger und siegreicher Feldherr. Die Politik des Anschlusses an Österreich am Anfang der Regierung Ferdinand Marias hatte bald der herkömmlichen Gegnerschaft weichen müssen. Sie wurde unterstützt durch des Kurfürsten Heirat mit Adelaide von Savoyen, einer Prinzessin, die Frankreich liebte und Österreich hasste und diese Richtung mit dem Feuer ihrer Natur und der Energie ihres Charakters am Hof durchsetzte. In einem Punkt zwar bestand ein Gegensatz zwischen Frankreich und Bayern, insofern beide ein Anrecht auf die Krone behaupteten; doch hatte Ludwig so wenig Aussicht, sie zu erlangen, dass er davon absehen konnte; den bayrischen Anspruch auf Böhmen und einen Teil der Erblande erkannte er gern an. Ein merkwürdiger Umschwung erfolgte, als Adelaide die Heirat ihres Sohnes Max Emanuel mit einer Tochter des Kaisers ins Auge zu fassen begann. Sie erwartete so viel von dieser verheißungsvollen Verbindung, dass sie sie sterbend ihrem Sohn empfahl, während ihr ganzes Leben hindurch die Bekämpfung Österreichs und der Anschluss an Frankreich ihr Ziel gewesen war. Auch der Tod des Kurfürsten von Sachsen, der die Subsidien Frankreichs empfangen hatte, brachte einen Anhänger des Kaisers auf den Thron. Wunderbar mutet es ferner an, dass durch die Rücksichtslosigkeit Ludwigs XIV. im Leben und in der Politik zwei Männer, welche durch ihre Nationalität eher zu Frankreich gehörten, von dort nach Wien gedrängt wurden und als österreichische Feldherren dem Kaiser herrliche Siege erkämpfen sollten: Herzog Karl von Lothringen und Prinz Eugen von Savoyen.


Karl III. von Lothringen (auch der Große genannt) (* 18. Februar 1543 in Nancy; † 14. Mai 1608 in Nancy) war Herzog von Lothringen und Mercœur.

Wenn die bedeutungsvolle Stunde herannaht, strömt es von allen Seiten, wo vorher sich nichts regte, um das große Ereignis, sei es Sieg oder Untergang, ans Licht zu treiben.

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