Das Weltkapital

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»Gott sei Dank sind die demokratieorientierten konzernkritischen Aktivisten nicht in ... blutigen Kreuzzügen engagiert. Vielmehr stellen sie zentralisierte Machtsysteme grundsätzlich in Frage und stehen linken zentralstaatlichen wie rechten marktwirtschaftlichen Einheitslösungen gleichermaßen skeptisch gegenüber. Häufig wird geringschätzig vermerkt, dass die Bewegung keine Ideologie, keine übergreifende Botschaft, keinen Gesamtplan habe. Dies ist absolut richtig, und wir sollten dafür ausgesprochen dankbar sein. Im Moment sind die konzernkritischen Basisaktivisten von Möchtegernführern umringt, die nur auf die Gelegenheit warten, sie als Fußsoldaten zu rekrutieren. Es spricht sehr für diese junge Bewegung, dass sie bis heute alle derartigen Programme und großzügig verteilten Manifeste abgewiesen hat und sich stattdessen auf einen annehmbar demokratischen, repräsentativen Prozess verlässt, um das nächste Stadium ihres Widerstands zu erreichen« (Klein, a.a.O., 519 f., Hervorhebung von Klein).

Wenn hier diffus von »Ideologie«, »übergreifender Botschaft« oder »Gesamtplan« die Rede ist, dann soll damit leicht durchschaubar eine Theoriebildung über den unmittelbaren Erfahrungshorizont hinaus von vornherein mit pejorativen Formulierungen belegt werden. Naomi Klein versucht den Begriffsapparat theoretischer Abstraktionen per se denunziatorisch in die Nähe »zentralisierter Machtsysteme« zu rücken, ohne sich mit dem Theorieproblem ernsthaft auseinanderzusetzen. Sie vermengt dabei die nicht zu bestreitende Tatsache, dass es alle möglichen Weltverbesserungssekten und restmarxistischen Gruppierungen gibt, die als »Möchtegernführer« unbedingt »Fußsoldaten« rekrutieren möchten, unzulässigerweise mit der Frage der Erarbeitung eines neuen theoretischen Paradigmas nach dem Epochenbruch seit Ende der 80er Jahre. Die Sektenprediger, Parteiideologen und Altmarxisten, die sie hier als abschreckende Beispiele bemüht, sind in Wirklichkeit Überbleibsel einer vergangenen Epoche. Soweit sie theoretische Abstraktionen repräsentieren, sind es die Begriffsruinen des 20. Jahrhunderts: im wesentlichen Restbestände der gescheiterten Modelle »nachholender Modernisierung«, bei denen die Theorie tatsächlich den »zentralisierten Machtsystemen« von Entwicklungsdiktaturen unterworfen worden war. Ein gespenstisches Residuum dieser Geschichte bildet etwa das nordkoreanische Regime. Aber auch im Westen selbst hatte die traditionelle Arbeiterbewegung die Theorie politischen Parteiapparaten untergeordnet, eben weil ihre verkürzte, auf die »Anerkennung« innerhalb des warenproduzierenden Systems beschränkte Vorstellung von Emanzipation über die bürgerliche politische Form nicht hinauskommen konnte.

Indem nun die Globalisierung die ihrem Begriff nach nationalstaatlich eingegrenzte Form der Politik überhaupt obsolet macht, stellt sich unausweichlich die Frage eines neuen theoretischen Paradigmas, das dieser veränderten Situation Rechnung trägt. Naomi Klein subsumiert aber die Theorie überhaupt unter die vergangene Epoche ihrer Anbindung an die bürgerliche Politik, wie Bové die Theorie überhaupt »hundert Jahren« der »Niederlage und Selbstaufgabe« zuschreibt. Ein derart unhistorisches Unmittelbarkeitsdenken ist zum Scheitern verurteilt. Klein und Bové merken nicht einmal, dass sie selber die theoretische Reflexion wieder einer Art Politik unterordnen wollen, nur eben keiner traditionellen Parteipolitik mehr.

Wenn Bové der Theorie die »gemeinsamen Erfahrungen« der Aktivisten gegenüberstellt und wenn Klein gegen die Theorie einen »demokratischen repräsentativen Prozess« beschwört, dann geraten beide verdächtig in die Nähe der Vorstellungen von Ulrich Beck, der sich die Angestellten der Weltbank, die Finanzjongleure auf den globalisierten Finanzmärkten und die Wirtschaftsjournalisten als eine Art kollektiven Theoretiker zurechthalluziniert. So wenig aber die »Macher« der kapitalistischen Praxis aus ihrem distanzlosen immanenten Handeln heraus jemals eine theoretische Reflexion hervorbringen werden, ebenso wenig werden die »Macher« der sozialen Bewegung dazu in der Lage sein, wenn sie sich auf die falsche Unmittelbarkeit der »Erfahrungen« beschränken. Die affirmativen Instinkte der bloßen Selbsterhaltung im Dschungel der »zweiten Natur« kapitalistischer Gesellschaftsformen sind so nicht zu überwinden.

Aus tausend bloß aufsummierten Erfahrungen des sozialen Leidens wird ebenso wenig eine zureichende neue Theorie wie aus tausend demokratischen Meetings und Abstimmungen von vor sich hin räsonierenden Meinungsidioten. Heute sperrt sich die Aufgabe der Theoriebildung mehr denn je dem Fetisch der Demokratie, der selber der obsoleten politischen Form angehört und rein formal ist wie das bürgerliche Recht überhaupt. Das hat nichts mit »zentralisierten Machtsystemen« zu tun oder damit, dass den Aktivisten des Widerstands angeblich »abgehobene« theoretische Dogmen »übergestülpt« würden. Theorie ist ihrem Wesen nach machtlos im äußeren Sinne. Dies konnten die Modernisierungsdiktaturen nicht ungestraft ignorieren, aber dasselbe gilt für die globale soziale Bewegung.

Theorie im Sinne kritischer und selbstkritischer Reflexion weiß um ihre eigene Beschränktheit, aber sie ist auch nicht zu umgehen. Nach dem Ende der linken Modernisierungstheorien im Kontext von Arbeiterparteien und Entwicklungsdiktaturen gibt es keine mit administrativer Macht ausgestattete Theorie mehr. Niemand kann dazu gezwungen werden, irgendein Dogma nachzubeten. Es sind die berühmten Erfahrungen selbst, die heute das Bedürfnis nach theoretischer Reflexion über den eigenen Horizont hinaus wecken. Es genügt nicht, das unmittelbare Erleben mit einem vagen antikapitalistischen Gefühl zu verbinden. Eine neue Erklärung der Logik und Geschichte des Kapitalismus ist gefragt, eine neue Analyse der Entwicklung des Weltmarkts, die heute den seit dem 19. Jahrhundert ausgebildeten nationalökonomischen Rahmen sprengt.

Kapitalismus als Weltsystem
Die Vorstufen der Globalisierung: Geschichte und Theorie des Weltmarkts in der Epoche der Nationalökonomien

Eine Darstellung des Kapitalismus und seiner Entwicklung ist auf verschiedenen Ebenen der Abstraktion und Konkretion möglich, die oft nicht klar auseinandergehalten werden. Marx bezeichnete die Ebene seiner Darstellung im »Kapital« als diejenige des »Kapitals im Allgemeinen«, das heißt der allgemeinen kapitalistischen Logik und der Ableitung ihrer Kategorien – zunächst ohne Betrachtung eines bestimmten Bezugsrahmens. Tatsächlich bewegt sich der reale kapitalistische Reproduktionsprozess aber in einem solchen Rahmen, der irgendwann auch auf der allgemeinen Ebene im Aufbau der theoretischen Architektur erscheinen muss. Dabei sieht die Vermittlung von betriebswirtschaftlichem Einzelkapital und Gesamtkapital je nach der Ebene der Darstellung unterschiedlich aus. Soweit es um die grundsätzliche Logik des »Kapitals im Allgemeinen« geht, gewissermaßen um die Anfangsgründe der begrifflichen Darstellung (etwa des Verhältnisses von »abstrakter Arbeit« und Wert), kann auch der Begriff des Gesamtkapitals über weite Strecken allgemein und unbestimmt bleiben. Sobald jedoch ein bestimmter Bezugsrahmen gewählt werden muss (was oft schon bei der Auswahl von Beispielen unvermeidlich ist), zeigt sich, dass es dabei wiederum zwei Möglichkeiten gibt: Zum einen ist es die sogenannte Volkswirtschaft oder Nationalökonomie, die den jeweils bestimmten Bezugsrahmen des Gesamtkapitals bildet; zum andern ist es der Weltmarkt.

Marx war, nebenbei bemerkt, nicht mehr dazu in der Lage, die als vierter Band des »Kapitals« geplante Darstellung des Verhältnisses von Nationalökonomie, Staat und Weltmarkt auf der Ebene des »Kapitals im Allgemeinen« in Angriff zu nehmen. Da diese Lücke weder in der marxistischen noch in der bürgerlich-akademischen Theoriebildung jemals geschlossen wurde und der ominöse vierte Band des »Kapitals« bestimmt nicht als Kollektivprodukt der endgültig reflexionslos gewordenen kapitalistischen Funktionseliten oder als anonymes Gemeinschaftswerk von bornierten Erfahrungsfetischisten erscheinen wird, findet die laufende Globalisierungsdebatte in dieser entscheidenden Hinsicht nicht einmal einen verlassenen theoretischen Steinbruch vor, aus dem sie sich mit Begriffs-brocken bedienen könnte. Auch eine Darstellung, die sich wie die vorliegende nicht auf der (ableitungslogisch-werttheoretischen) Ebene des »Kapitals im Allgemeinen« bewegt, sondern ein bestimmtes konkret-historisches Entwicklungsstadium des Kapitalismus analysiert, muss deshalb das grundsätzliche Verhältnis der verschiedenen Bezugsebenen erörtern.

Weltmarkt, Nationalökonomie und geschlechtliches Abspaltungsverhältnis

Seinem Begriff nach ist der sozialökonomische Aktionsraum des Kapitals grenzenlos, beschränkt allein durch die jeweiligen technischen (und auch militärisch-weltpolizeilichen) Zugriffsmöglichkeiten. Wenn es könnte, würde das Kapital nicht nur die gesamte Erde, sondern alle Welten und das gesamte Universum seiner betriebswirtschaftlichen Vernutzungslogik der »abstrakten Arbeit« unterwerfen, also (wie besonders in der angelsächsischen Science Fiction gelegentlich ganz naiv ausgemalt) noch die »Arbeitskraft« der Geschöpfe fremder Sternensysteme ausbeuten und in Geld (Mehrwert/Profit) verwandeln. Insofern ist das Kapital per se nicht nur »vaterlandslos«, sondern überhaupt jeder sozialen Verpflichtung, jeder kulturellen Beziehung, jeder Art von Ordnung außerhalb seines unmittelbaren ökonomischen Imperativs gegenüber prinzipiell illoyal. Kapitalismus ist ein paradoxer Fremdkörper in der Gesellschaft, der diese zu seinem Funktionsmaterial gemacht hat, aber ihrer besonderen Existenz gegenüber gleichgültig ist.

 

Andererseits ist dieser aus allen menschlichen Bindungen herausgelöste hybride Fremdkörper des Kapitals mit seinem selbstbezüglichen Imperativ der endlosen Plusmacherei in der Form des Geldes jedoch ein äußerst bedürftiges Wesen. Denn das Kapital ist für seinen Akkumulationsprozess, der in grotesker Weise das Leben der Menschheit verwurstet, auf bestimmte Rahmenbedingungen angewiesen, die es selber in seiner ökonomischen Unmittelbarkeit nicht schaffen kann.

In der Struktur der sozialen Beziehungen sind dies zum einen alle Tätigkeiten, Verhaltensweisen, Zuwendungen und kulturell-symbolischen Ausdrucksformen, die nicht im System der »abstrakten Arbeit« aufgehen, sich nicht oder nur teilweise in die Geldform übersetzen lassen und dennoch unerlässliche (und meistens »stumme«) Voraussetzungen dafür sind, dass überhaupt eine Reproduktion des sozialen Lebens stattfinden kann. Traditionellerweise ist dieser Lebens- und Reproduktionsaspekt, der für die kapitalistische Logik nur lästigen Ballast darstellt, den Frauen zugeschrieben worden und figuriert als vielfältige »Abspaltung« von der offiziellen Gesellschaftlichkeit (vgl. Scholz 2000). Es handelt sich dabei keineswegs bloß um die nicht in Wertform/Geldform darstellbare »Hausarbeit«, familiäre und nachbarschaftliche »Zuwendung«, weibliche »Liebesarbeit«, Fürsorgehaltung usw., sondern auch um diverse in den Institutionen der »abstrakten Arbeit« und des Marktes selbst angesiedelte, weiblich konnotierte soziale »Schmiermittelfunktionen«, soziopsychische Vermittlungstätigkeiten und dazugehörige emotionale Haltungen etc. Inzwischen wird sogar in Managementtheorien versucht, diese Aspekte unter dem Stichwort der »emotionalen Intelligenz« bewusst zu instrumentalisieren.

Da die verschiedenen Momente eines sozial-materiellen, sozialpsychologischen und kulturell-symbolischen »Abspaltungsverhältnisses« (Roswitha Scholz) durchwegs informell, also nicht institutionalisiert und nicht formal kodifiziert sind, sich auch ihrer Natur nach dagegen sperren, kommen sie in der bürgerlichen Theorie seit der Aufklärung entweder gar nicht vor oder bleiben unterbelichtet; dies gilt besonders für den Begriffsapparat der politischen Ökonomie und auch noch weitgehend für die Marxsche Kritik derselben. Dennoch handelt es sich um höchst reale Voraussetzungen des betriebswirtschaftlichen Verwertungsprozesses, ohne die der globale Kapitalismus an seiner allen sozialen und sinnlichen Bezügen gegenüber gleichgültigen Destruktionslogik zugrunde gegangen wäre.

Zum andern aber sind es innerhalb des institutionellen Gefüges kapitalistischer »negativer Vergesellschaftung« selbst die als »außerökonomisch« geltenden staatlich-politischen Funktionen, die einen Rahmen für den Verwertungsprozess setzen müssen, ohne den dieser auf Dauer nicht vor sich gehen kann. Das Kapital bedarf nicht nur seines eigenen »inneren« betriebswirtschaftlichen Funktionsraums, sondern auch eines »äußeren« nationalstaatlich-nationalökonomischen Funktionsraums.

Erst der moderne Staat ist es, der durch seine Apparate der (offenen oder »stummen«) Repression und Menschenverwaltung dafür sorgt, dass die Bevölkerung seines Territoriums als Material des kapitalistischen Verwertungsprozesses nicht nur definiert, sondern diese Definition auch durchgesetzt, durchgehalten und zur Gewohnheit gemacht werden kann. Somit haben wir es unter den zahlreichen Paradoxien des Kapitalismus auch mit derjenigen zu tun, dass das Kapital als solches politisch illoyal und Staat bzw. Politik ebenso wie der Gesellschaft insgesamt gegenüber gleichgültig ist, trotzdem aber zusammen mit dem »inneren« betriebswirtschaftlichen Kapitalverhältnis überhaupt erst Staat, Politik und »Nation« als äußere Funktionssphären einer kapitalistisch domestizierten Gesellschaft ebenso entstanden sind wie jene »stumme«, das Geschlechterverhältnis bestimmende Abspaltungsstruktur.

Zwar erscheint das Verhältnis von Ökonomie und Politik, von Staat und Markt bzw. »abstrakter Arbeit« in der realen Konstitutionsgeschichte der Moderne zunächst umgekehrt, etwa in den absolutistischen Militärdespotien der frühen Neuzeit; dort nämlich figuriert der sich herausbildende neue politische Apparat territorialer (statt feudal-dynastischer) Macht zunächst als Demiurg und quasi als Befehlshaber der neuen, erst embryonalen Verwertungsökonomie – der klassische Begriff der »politischen Ökonomie«, im 17. Jahrhundert entstanden, verweist noch auf dieses zunächst so erscheinende Unterordnungsverhältnis, das sich als Illusion vom »Primat der Politik« ideologisch bis heute fortgepflanzt hat. Tatsächlich aber haben schon die protopolitischen Machtgebilde der frühneuzeitlichen militärischen Feuerwaffenrevolution sehr schnell unfreiwillig zur Verselbständigung der Verwertungs- bzw. Geldmaschine als kapitalistischer Gesellschaftsmaschine geführt, der gegenüber Staat, Recht und Politik nur noch Rahmenbedingungen und Funktionen für ihren eigenen Selbstzweck darstellen.

Die einzelnen betriebswirtschaftlichen Kapitalien (und somit auch die Summe dieser Unternehmungen, denn Kapital gibt es nur im Plural) verhalten sich wesensgemäß selbstbezüglich, also ignorant gegen alles Gesamtgesellschaftliche; aber damit Kapitalismus als gesellschaftliches Verhältnis überhaupt möglich ist, bedarf es einer solchen gesamtgesellschaftlichen Instanz. So muss der Staat eine ganze Reihe von äußeren materiellen Rahmenbedingungen (so genannte Infrastrukturen) der kapitalistischen Reproduktion, die nicht oder nicht ausreichend als kapitalistische Marktunternehmen betrieben werden können, in seine Regie nehmen oder subventionieren. Vor allem aber muss er als »makroökonomischer Akteur« auch die ökonomischen Rahmenbedingungen des Kapitals selber setzen, indem er virtuell einen gesamtgesellschaftlichen Standpunkt einnimmt (nämlich als »ideeller Gesamtkapitalist«, so der einschlägige Terminus bei Marx), den das per definitionem als betriebswirtschaftliches Unternehmen vereinzelte Kapital als solches nicht einnehmen kann.

Hier wird abermals die Paradoxie und Irrationalität des Kapitalismus deutlich: Es handelt sich um eine gesellschaftliche Produktionsweise, die jedoch aufgrund ihres Charakters als aufgepfropfter Fremdkörper selber nicht gesellschaftlich, ja geradezu antigesellschaftlich agiert und damit permanent ihre eigene Existenz in Frage stellt. So muss neben dem informellen, geschlechtlich bestimmten Abspaltungsverhältnis auf der Mikroebene andererseits der Staat die Funktion der Gesellschaftlichkeit auf der institutionellen Makroebene übernehmen, aber eben nur auf dem Boden und im Vollzug der kapitalistischen Reproduktion, also bloß äußerlich und im Nachhinein.

Einerseits strukturiert der Staat in diesem Zusammenhang das kapitalistische Selbstzweckmedium, nämlich das Geld (als Erscheinungsform der ungreifbaren Wertabstraktion), indem er dessen Garantie in Gestalt der Währung (d.h. des jeweiligen nationalstaatlichen Geldnamens) übernimmt und es über seine Zentralbank durch festgelegte Zinssätze für die Refinanzierung des Bankensystems, durch Kontrolle der Geldmenge, An- oder Verkauf von Devisen usw. »geldpolitisch« reguliert. Auch als (infrastruktureller) Investor spielt der Staat eine regulative Rolle. In bestimmten Fällen kann der Staat auch selber als »Unternehmer« oder (wie im Fall des untergegangenen östlichen Staatskapitalismus) vorübergehend und unter besonderen Bedingungen – vor allem einer gesellschaftlichen Transformation »zum« Kapitalismus bzw. (im 20. Jahrhundert) einer »nachholenden Modernisierung« – sogar als Generalunternehmer des Kapitals auftreten; de facto agieren die einzelnen betriebswirtschaftlichen Unternehmen über den Markt dann allerdings doch wieder im Plural, wenn auch unter der überdimensionalen Käseglocke eines staatlichen Generalanspruchs.

Andererseits ist es wiederum der Staat, der mittels abgeschöpfter Steuern oder Kreditaufnahme an den Finanzmärkten die dem Kapital als irrationalem Verhältnis eigentümlichen Krisen und drohenden Zusammenbrüche sozialökonomisch auffangen muss, z.B. durch sozialstaatliche Bürokratien, akute Notsubventionen usw. Als Welfare-Staat, der seit Ende des 19. Jahrhunderts auf den Weg gebracht wurde, institutionalisierte und monetarisierte der Staat strategisch einige Aspekte, die bislang privaten oder kirchlichen Wohltätigkeitsorganisationen, vor allem aber dem soziokulturell weiblich bestimmten Abspaltungsverhältnis überlassen geblieben waren, während die staatliche »Armenfürsorge« seit dem 17. Jahrhundert einzig und allein repressive Disziplinierungs- und Kasernierungsmethoden gekannt hatte.

Sozialversicherungssysteme, sozialstaatliche Ansprüche und entsprechende bürokratische Zuteilungsapparate waren einerseits Vorbeugungsmaßnahmen gegen die Krisenanfälligkeit des Systems und gingen gleichzeitig konform mit einer zunehmenden Frauenerwerbstätigkeit, ohne dass dadurch das strukturelle Abspaltungsverhältnis überwunden worden wäre. In den wirklichen Krisen wurden und werden soziale Pufferfunktionen andererseits wieder entstaatlicht, entmonetarisiert und vielfach im Mikrobereich an die Frauen zurückdelegiert. Geschlechtliches Abspaltungsverhältnis und sozialstaatliche Funktionen stehen so als materielle, soziale und soziopsychische Puffer für die Reibungsverluste der gesellschaftlich destruktiven Logik des Kapitals in einem widersprüchlichen Verhältnis zueinander, wobei der nationalstaatlich-nationalökonomische Raum den Rahmen sowohl auf der Mikro- als auch auf der Makro-Ebene bildet.

Der paradoxe Charakter des Kapitals als »ungesellschaftliche Gesellschaftlichkeit«, als illoyaler Fremdkörper und gleichzeitig eigenes, aber gewissermaßen »aufgesaugtes« Dasein der gesellschaftlichen Institutionen und der sozialen Beziehungen sowie als irrationales und doppelbödiges Verhältnis von »innen« und »außen« bringt einen strukturellen Selbstwiderspruch innerhalb des Systems hervor, der auf verschiedenen Abstraktionsebenen festgestellt werden kann: Einerseits ist das Kapital ungesellschaftlich, andererseits bedarf es soziokulturell abgespaltener Momente und einer gesellschaftlichen Formierung für seinen selbstbezüglichen Zweck der Kapitalakkumulation. Einerseits ist es daher seinem Wesen nach grenzenlos, aber eben nur als »ungesellschaftliches Wesen«; andererseits ist es auf einen äußeren, staatlich regulierten und daher immer schon begrenzten gesellschaftlichen Funktionsraum angewiesen.

Innerhalb des nationalstaatlich begrenzten und regulierten Territoriums stellt sich der Kapitalismus als »Nationalökonomie« oder Binnenmarkt dar. Und dieser Funktionszusammenhang ist so entscheidend, dass die Wissenschaft des Kapitals von sich selbst eben nicht als »Weltökonomie« oder »Weltwirtschaftslehre« auftritt, sondern keineswegs zufällig als »Nationalökonomie« oder »Volkswirtschaftslehre«. Sogar der Begründer dieser Lehre, Adam Smith (1723-1790), obwohl er noch abstrakt auf der Ebene des »Kapitals im allgemeinen« argumentiert, nannte sein berühmtes Hauptwerk bekanntlich eine »Untersuchung über den Reichtum der Nationen«, nicht über den »Reichtum der Welt«. Gleichzeitig agiert das Kapital aber über diese nationalökonomischen Grenzen hinaus; jenseits davon stellt es sich als (weitgehend unregulierter) Weltmarkt und damit als (virtuell staatenloses) Weltkapital dar. Und auf dieser Ebene existiert überhaupt kein Puffer für die kapitalistische Destruktionslogik mehr.

Der strukturelle Selbstwiderspruch äußert sich also in doppelter Weise: Zum einen tritt die betriebswirtschaftliche Innenperspektive des einzelnen Unternehmens in Gegensatz zur »volkswirtschaftlichen« oder nationalökonomischen Außenperspektive, innerhalb der akademischen Ökonomie reflektiert als Gegensatz von Mikroökonomie (Gesichtspunkt des individuellen oder unternehmerischen »Wirtschaftssubjekts«) und Makroökonomie (Gesichtspunkt der gesamtgesellschaftlichen kapitalistischen Reproduktion unter Einschluß des Staates), wobei die »stumme«, in den nationalen Raum eingelagerte Voraussetzung der geschlechtlich bestimmten Abspaltungsstruktur begriffslos bleibt und systematisch unsichtbar gemacht wird.

Zum andern aber tritt der begrenzte nationalökonomische Funktionsraum mit seinen auf der Mikroebene eingelagerten geschlechtlichen Abspaltungsverhältnissen in Gegensatz zum unbegrenzten, von allen sozialen Voraussetzungen »befreiten«, nackten Funktionsraum des Weltmarkts. Grundsätzlich wird dabei eine wiederum paradoxe Verschränkung sichtbar: Der Staat bzw. die damit verbundene Nationalökonomie mit ihren staatlichen Regularien (einschließlich juristischer Kodifizierungen des Geschlechter- und damit zumindest indirekt des Abspaltungsverhältnisses, etwa im bürgerlichen Recht, Familienrecht etc.) vertritt dem partikularen betriebswirtschaftlichen Subjekt gegenüber die gesamtgesellschaftliche Universalität – aber nur innerhalb des jeweiligen abgesteckten Territoriums. Gleichzeitig repräsentiert aber eben deshalb das partikulare betriebswirtschaftliche Subjekt umgekehrt den begrenzten staatlich-nationalökonomischen Institutionen und der dazugehörigen, davon eingefärbten geschlechtlichen Abspaltungsstruktur gegenüber die grenzenlose, negativ-irrationale und ungesellschaftliche Universalität des Kapitals.

 

Wir haben es also mit zwei verschiedenen Ebenen oder Formen der kapitalistischen »Totalität« zu tun: einmal mit der »inneren« Totalität des nationalökonomischen Reproduktionssystems unter Einschluss seiner geschlechtlich bestimmten, informellen Reproduktionsmomente; und einmal mit der »äußeren« Totalität des sozial völlig leeren kapitalistischen Weltganzen oder Weltsystems.