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Die Schatzinsel

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Die Schatzinsel
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Die Schatzinsel
Audioraamat
Loeb Thomas Dehler
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Lisateave
Die Schatzinsel
Audioraamat
Loeb Andreas Berg, Hans Meissner, Heinz Rabe, Karl Brugsch Heinrich, Klaus Jepsen, Paul Richter, Santiago Ziesmer
Lisateave
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Dreißigstes Kapitel

Auf Ehrenwort

Ich wurde geweckt – das heißt wir alle wurden geweckt, sogar die Schildwache, die gegen den Türpfosten gefallen war, wurde von einer klaren herzlichen Stimme geweckt, die uns vom Waldrand her anrief:

„Blockhaus hoi!“ rief es, „der Doktor ist da!“ Und er war es. Ich war froh, seine Stimme zu hören, doch meine Freude war nicht ganz ungemischt. Ich dachte bekümmert an mein ungehorsames und listiges Benehmen, und als ich mich umsah, mit was für Gefährten es mich zusammengebracht hatte und von welchen Gefahren ich umringt war, da schämte ich mich, ihm ins Gesicht zu schauen.

Er mußte noch im Finstern aufgestanden sein, denn die Sonne war noch kaum draußen, und als ich an eine Schießscharte lief, um hinzusehen, sah ich ihn, wie damals Silver, bis an die Knie im Nebel stehen.

„Der Herr Doktor! Schönsten guten Morgen, Herr!“ rief Silver, ganz wach und sofort von guter Laune strahlend. „Froh und früh, das muß man sagen. Das Sprichwort hat recht: Es ist der erste Vogel, der das Futter kriegt. Georg, nehmt Eure Beine in die Hand, mein Sohn, und helft Dr. Livesay ins Schiff hinein. Allen geht’s gut, Herr Doktor, alle Patienten sind frisch und munter.“

So schwatzte er drauflos, wie er da oben auf dem Abhang stand, die Krücke unterm Ellbogen, mit dem anderen Arm an das Blockhaus gelehnt – in Stimme, Art und Ausdruck ganz der alte John von früher.

„Und wir haben eine Überraschung für Euch, Herr“, fuhr er fort. „Wir haben einen kleinen Fremden hier, jawohl! Ein neuer Gast und Pensionär, Herr, und kreuzfidel! Hat wie ein Sack da grad’ neben mir geschlafen – nebeneinander sind wir gelegen, die ganze Nacht.“ Doktor Livesay war indessen über die Umzäunung und dem Koch ganz nahegekommen, und ich konnte die Erregung in seiner Stimme hören, als er fragte:

„Doch nicht Jim?“

„Jim selber, wie er leibt und lebt“, sagte Silver. Der Doktor stand starr, sprach kein Wort und es dauerte ein paar Sekunden, ehe er weitergehen konnte.

„Na, na,“ sagte er schließlich, „erst die Pflicht und dann das Vergnügen, wie Ihr zu sagen pflegt, Silver. Erst wollen wir einmal Eure Patienten untersuchen.“

Einen Augenblick später trat er in das Blockhaus ein und mit einem grimmigen Nicken zu mir herüber ging er an seine Arbeit. Er schien gar keine Furcht zu empfinden, obwohl er wissen mußte, daß sein Leben, mitten unter diesen verräterischen Teufeln da, an einem Haar hing. Er aber plauderte mit seinen Patienten, als ob er einen gewöhnlichen ärztlichen Besuch in einer ruhigen englischen Familie machte, und seine Ruhe schien wieder auf die Leute zurückzuwirken, denn sie benahmen sich, als ob nichts geschehen wäre – als sei er noch weiter der Schiffsarzt und sie die ordentlichen Matrosen.

„Es geht gut, mein Freund,“ sagte er zu dem Kerl mit dem verbundenen Kopf, „Ihr seid sehr knapp durchgerutscht und Euer Schädel muß hart wie Eisen sein. Nun, Georg, wie geht’s? Ihr habt eine nette Farbe, freilich. Ja, Eure Leber, mein Lieber, ist drunter und drüber. Habt Ihr die Medizin genommen? Hat er die Medizin genommen, Leute?“

„Freilich, freilich, Herr, ganz gewiß“, erwiderte Morgan.

„Denn wißt ihr, Leute, seid ich Meutererarzt geworden bin oder auch Gefängnisarzt, wie ich es lieber nenne,“ sagte Doktor Livesay in seiner liebenswürdigsten Art, „seitdem mach’ ich mir ein Gewissen draus, daß mir kein einziger Mann für König Georg (den Gott erhalte!) und den Galgen verloren geht.“ Die Schufte blickten einander an, schluckten aber die Pille schweigend.

„Dick fühlt sich krank, Herr“, sagte einer.

„So?“ antwortete der Doktor. „Kommt her, Dick, und laßt Eure Zunge anschauen. Nun ja, seine Zunge könnte den Franzosen Furcht einjagen! Wieder einer mit Fieber.“

„Das kommt davon,“ sagte Morgan, „das kommt vom Bibelzerreißen.“

„Das kommt davon, daß ihr dumme Esel seid“, erwiderte der Doktor, „und nicht Verstand genug habt, um gute Luft von vergifteter, und trockenen Boden von einem elenden, verpesteten Sumpf zu unterscheiden. Ich halte es für sehr wahrscheinlich – doch das ist natürlich nur meine Meinung – , daß ihr alle noch ordentlich draufzuzahlen haben werdet, ehe ihr die Malaria wieder los seid. Wie kann man nur in einem Sumpf sein Lager aufschlagen? Silver, über Euch wundere ich mich. Ihr seid weniger dumm als die meisten hier, und doch scheint Ihr nicht die geringste Idee von den Grundregeln der Gesundheitslehre zu haben.“

„So“, fügte er hinzu, nachdem er ihnen allen Arznei verabreicht, und sie seine Vorschriften mit geradezu lächerlicher Demut befolgt hatten, in der sie eher Armenschulkindern als blutschuldigen Meuterern und Piraten glichen – „so, für heute sind wir fertig und jetzt möchte ich, bitte, mit dem Jungen da sprechen.“ Und er nickte nachlässig in meine Richtung hin.

Georg Merry stand an der Tür und spuckte und schluckte gerade an einer übelschmeckenden Medizin, doch beim ersten Wort, das der Doktor in dieser Sache sprach, drehte er sich mit hochrotem Gesicht um und rief fluchend „Nein!“

Silver schlug mit der Faust auf das Faß.

„Ru – he!“ brüllte er und schaute wie ein Löwe um sich. „Herr Doktor,“ fuhr er in gewöhnlichem Tone fort, „ich habe daran gedacht, ich weiß, daß Ihr den Jungen gern habt. Wir alle sind Euch für Eure Güte untertänigst dankbar, und wie Ihr seht, haben wir Vertrauen zu Euch und nehmen die Medizin ein, als ob es Grog wäre. Ich denke, ich habe einen Weg gefunden, der uns allen zusagen wird: Hawkins, wollt Ihr mir Euer Ehrenwort als Gentleman geben – denn ein Gentleman seid Ihr trotz Eurer bescheidenen Abkunft – nicht auszureißen?“

Bereitwillig gab ich mein Wort.

„Also, Herr Doktor,“ sagte Silver, „Ihr geht, bitte, aus der Umzäunung heraus und wenn Ihr mal draußen seid, bring’ ich den Jungen von innen auch hin, und ich denke, Ihr werdet ganz gut mit ihm durch die Ritzen reden können. Guten Tag, Herr, und unsere besten Empfehlungen dem Squire und Kapitän Smollett.“

Die Mißbilligung der ganzen Mannschaft, welche nur durch Silvers wilde Blicke im Zaum gehalten worden war, brach sofort los, als der Doktor aus dem Haus getreten war. Sie beschuldigten Silver ganz rund heraus, doppeltes Spiel zu spielen, einen Separatfrieden für sich selbst herauszuschlagen, die Interessen seiner Mitschuldigen und Opfer zu verraten, mit einem Wort genau der Dinge, die er wirklich tat. Das schien mir in diesem Falle so augenscheinlich, daß ich mir nicht vorstellen konnte, wie er ihren Zorn abwenden würde. Aber er war zweimal soviel Mann als die anderen, und sein Sieg am vorigen Abend hatte ihm einen ungeheuren Einfluß verschafft. Er putzte sie nach allen Regeln der Kunst herunter, nannte sie Esel und Dummköpfe, sagte, es sei notwendig, daß ich mit dem Doktor rede, fuchtelte ihnen mit der Karte vor der Nase herum und fragte, ob sie den Vertrag gerade an diesem Tag brechen wollten, an dem sie doch den Schatz suchen wollten.

„Nein, zum Donnerwetter,“ rief er, „wir werden den Vertrag brechen bis die Zeit dazu da ist, und bis dahin will ich den Doktor foppen, und wenn ich seine Schuhe mit Branntwein salben sollte.“

Dann befahl er ihnen, das Feuer anzuzünden, und schritt stolz, die Hand auf meine Schulter gelehnt, auf seiner Krücke mit mir hinaus. Sie blieben ganz verwirrt zurück, von seiner Zungenfertigkeit zum Schweigen gebracht, doch kaum überzeugt.

„Langsam, Junge, langsam“, sagte er. „Auf eins, zwei kämen sie hinter uns her, wenn sie uns laufen sähen.“ Wir näherten uns also sehr bedächtig der Stelle, wo uns der Doktor jenseits der Umzäunung erwartete, und sobald wir in bequemer Hörweite waren, blieb Silver stehen.

„Nicht wahr, Sie werden sich das auch merken, Herr Doktor?“ sagte er. „Und der Junge wird Ihnen erzählen, wie ich ihm das Leben rettete und dafür abgesetzt wurde. Herr Doktor, wenn einer so nahe dem Wind steuert wie ich und um sein letztes bißchen Atem, Kopf und Adler spielen muß, möchten Sie ihm da nicht ein gutes Wort geben? Denken Sie doch daran, daß es nicht nur um mein Leben geht, sondern auch um das des Jungen da, und geben Sie mir ein wenig Hoffnung, um der Barmherzigkeit willen.“

Silver war ganz verändert, sobald er seinen Freunden und dem Blockhaus den Rücken gedreht hatte. Seine Wangen schienen eingefallen, seine Stimme zitterte, seine Seelenangst war echt.

„Aber John, Ihr fürchtet Euch doch nicht?“ fragte Doktor Livesay.

„Herr Doktor, ich bin kein Feigling, ich nicht, nicht so viel!“ Und schlug ein Schnippchen. „Aber ich will ehrlich gestehen, vor dem Galgen fürchte ich mich. Ihr seid ein guter und anständiger Mensch, ich habe nie einen besseren getroffen. Und Ihr werdet nicht vergessen, was ich Gutes getan habe, sowie Ihr auch bestimmt das Böse nicht vergessen werdet. Und jetzt will ich beiseite treten – seht, dorthin – und Euch mit Jim allein lassen, und Ihr werdet mir auch das zugute halten, nicht war? Denn es ist viel, was ich da wage!“ Dabei ging er zurück, bis er außer Hörweite war, setzte sich auf einen Baumstumpf und begann zu pfeifen, während er sich auf seinem Sitz gelegentlich herumdrehte, um abwechselnd mich und den Doktor und dann wieder seine unbotmäßigen Gesellen zu beobachten, die im Sand auf und ab gingen, zwischen dem Feuer – das sie fleißig schürten – und dem Hause, aus dem sie Schweinefleisch und Brot für das Frühstück heraustrugen.

„Nun, Jim,“ sagte der Doktor traurig, „da bist du ja. Was du dir eingebrockt hast, das wirst du aufessen, mein Junge. Es fällt mir schwer, dich auszuzanken, aber eins muß ich dir doch sagen, ob du es freundlich oder unfreundlich findest: Wenn Kapitän Smollett gesund gewesen wäre, hättest du es nicht gewagt, fortzulaufen. Aber als er krank war und es nicht verhindern konnte, da war es, zum Teufel, einfach eine Feigheit!“

Ich muß gestehen, daß ich jetzt zu weinen anfing. „Doktor,“ sagte ich, „schonet mich, ich habe mir genug schwere Vorwürfe gemacht. Mein Leben ist ja doch verwirkt, und ich wäre schon tot, wenn mich Silver nicht geschützt hätte. Doktor, glaubt mir, ich werde zu sterben wissen, und ich glaube auch, daß ich den Tod verdient habe, aber vor dem Martern fürchte ich mich. Wenn sie mich martern werden – “

 

„Jim,“ unterbrach mich der Doktor, mit ganz veränderter Stimme, „Jim, das kann ich nicht anhören. Spring herüber und wir laufen was wir können.“

„Herr Doktor,“ sagte ich, „ich hab’ mein Wort gegeben.“

„Ich weiß, ich weiß,“ rief er, „da kann man jetzt nichts machen, Jim. Ich nehm’ das Ganze auf mich, den Schimpf und die Schande, mein Junge, aber hier lassen kann ich dich nicht. Spring! Ein Sprung und du bist draußen, und dann wollen wir rennen wie die Gazellen.“

„Nein!“ erwiderte ich. „Ihr wißt ganz gut, daß Ihr so etwas auch nicht tätet, weder Ihr, noch der Squire, noch der Kapitän. Und ich tu’s auch nicht. Silver hat mir vertraut, ich habe mein Wort gegeben und gehe zurück. Aber ich bin noch nicht zu Ende. Wenn sie mich martern, könnte ich mir ein Wort entreißen lassen, wo das Schiff liegt. Ich hab’ nämlich das Schiff, teils, weil ich Glück hatte, und teils, weil ich’s eben gewagt habe, in Sicherheit bringen können und es liegt bei der Nordbucht am Ufer, etwas unter Wasser. Schon bei halber Flut muß es trocken und oben sein.“

„Das Schiff!“ rief der Doktor aus.

Rasch schilderte ich ihm meine Abenteuer, und er hörte mir schweigend zu.

„Das ist schon wie Schicksal,“ bemerkte er, als ich zu Ende war, „bei jedem Schritt bist du es, der uns das Leben rettet. Und glaubst du, daß wir jetzt zugeben werden, daß du deines lassen mußt? Das wäre eine traurige Vergeltung, mein Junge. Du hast die Verschwörung entdeckt, du hast Ben Gunn gefunden – das Beste, was dir je geglückt ist oder glücken wird, und wenn du neunzig wirst. Ja, beim Zeus, weil wir von Ben Gunn reden! Das ist der verkörperte Unfug dieser Mensch – Silver!“ rief er, „Silver!! Ich will Euch einen Rat geben“, fuhr er fort, als der Koch näher kam, „beeilt Euch nicht zu sehr, den Schatz zu suchen.“

„Warum, Herr? ich tue jetzt mein möglichstes,“ sagte Silver, „kann ich doch, Sie entschuldigen schon, mein Leben und das des Jungen nur retten, wenn wir dem Schatz nachjagen.“

„Nun Silver,“ erwiderte der Doktor, „wenn das so ist, will ich einen Schritt weitergehen. Ihr werdet Verdruß haben, wenn Ihr ihn findet!“

„Herr,“ sagte Silver, „das ist zu viel und zu wenig. Was habt Ihr im Sinn? Warum habt Ihr das Blockhaus verlassen, warum habt Ihr mir die Karte da gegeben? Ich weiß es nicht. Und doch habe ich mit geschlossenen Augen Eure Befehle befolgt, ohne irgendeine Hoffnung für mich zu sehen.. Aber das jetzt, das ist zu viel! Und wenn Ihr mir nicht geradeheraus sagt, was Ihr eigentlich meint, dann werde ich das Steuer loslassen.“

„Nein,“ sagte der Doktor nachdenklich, „ich habe kein Recht, mehr zu sagen, denn es ist nicht mein Geheimnis, Silver, sonst würde ich es sagen, mein Wort darauf. Aber ich will so weit gehen, als ich darf, und noch einen Schritt weiter, wenn auch der Kapitän mir tüchtig meine Perücke zerzausen wird, wenn ich nicht sehr irre. Aber zuerst will ich Euch ein wenig Hoffnung geben: Silver, wenn wir beide lebendig aus dieser Wolfsfalle herauskommen, werde ich tun, was ich kann, um Euch herauszureißen.“

Das Gesicht Silvers strahlte. „Mehr könntet Ihr nicht sagen, Herr, wenn Ihr meine Mutter wäret“, rief er aus.

„Nun, das ist mein erstes Zugeständnis“, fügte der Doktor hinzu. „Das zweite ist ein Rat: Haltet den Jungen fest bei Euch, und wenn Ihr Hilfe braucht, ruft. Ich gehe jetzt, diese Hilfe zu suchen, und das ist der beste Beweis, daß ich nicht in den Tag hineinschwätze. Leb’ wohl, Jim.“ Doktor Livesay schüttelte mir durch die Umzäunung die Hand, nickte Silver zu und ging mit raschen Schritten dem Walde zu.

Einunddreißigstes Kapitel

Die Jagd nach dem Schatze – Flints Wegweiser

„Jim,“ sagte Silver, als wir allein waren, „Ihr habt auch mir das Leben gerettet, und das werde ich nicht vergessen. Ich hab’ beobachtet, so aus meinem Augenwinkel heraus, daß Euch der Doktor riet, fortzulaufen, und Ihr habt nein gesagt. Das habe ich so deutlich gesehen, wie wenn ich zugehört hätte. Jim, Ihr habt eins gut bei mir. Das ist der erste Hoffnungsschimmer, seit der Angriff versagte, und den verdanke ich Euch. Jetzt, Jim, müssen wir mit versiegelter Marschorder diesem Schatz nachjagen, und die Sache gefällt mir gar nicht. Wir beide müssen fest zusammenbleiben, Schulter an Schulter, und wir werden uns schon irgendwie durchbeißen.“

Da rief uns ein Mann vom Feuer her zu, daß das Frühstück bereit sei, und wir setzten uns dazu und aßen Zwieback und Pökelfleisch. Sie hatten ein Feuer angezündet, an dem man einen Ochsen hätte braten können und dem man sich nur von der Windseite nähern konnte, und auch da nur mit Vorsicht. Ebenso verschwenderisch hatten sie etwa dreimal soviel gekocht, als wir essen konnten und einer von ihnen warf mit einem dummen Lachen das übriggebliebene Essen ins Feuer, das vom ungewöhnlichen Brennmaterial zischte und hoch aufloderte. Ich hatte noch nie eine solche törichte Verschwendung gesehen. Sie wirtschafteten in jeder Beziehung von der Hand in den Mund, das Essen verwüsteten sie, ihre Schildwachen schliefen ein, und obgleich sie verwegen genug für jedes Scharmützel waren, schien es mir sicher, daß sie zu einem längeren Kampf gänzlich ungeeignet geworden.

Selbst Silver, auf dessen Schulter Kapitän Flint saß und mitaß, hatte kein Wort des Tadels für ihre Verschwendung. Und das überraschte mich um so mehr, denn niemals hatte er sich so schlau gezeigt wie jetzt.

„Na, Kameraden,“ sagte er, „ihr könnt schon froh sein, den Bratrost zu haben, daß er für euch denkt. Ich hab’ jetzt, was ich wollte. Ganz sicher, sie haben das Schiff. Wo es ist, weiß ich noch nicht, doch wenn wir erst den Schatz haben, werden wir schon suchen und es finden. Und dann Kameraden, wer die Boote hat, denk’ ich, der hat ja doch die Oberhand.“

So sprach er weiter, dabei mit vollem Munde heißen Speck kauend, so richtete er ihre Hoffnung und ihr Vertrauen wieder auf und, wie ich glaube, gleichzeitig auch seinen eigenen Mut.

„Was die Geisel anlangt,“ fuhr er fort, „wird das wohl sein letztes Gespräch mit seinen vielgeliebten Leuten gewesen sein. Ich weiß jetzt, was ich wissen wollte, und schönen Dank dafür, aber das ist jetzt vorüber. Ich werde ihn zu mir nehmen, wenn wir jetzt auf die Schatzsuche gehen und auf ihn aufpassen, als wäre er von Gold, für den Fall, daß etwas geschieht, ihr versteht schon. Haben wir erst das Schiff und den Schatz und sind wieder fröhliche Gesellen auf See, na, dann wollen wir schon mit Herrn Hawkins noch ein Wörtchen reden und ihm sein Teil zukommen lassen für alle seine Freundlichkeit.“

Es war kein Wunder, daß die Leute jetzt gut gelaunt waren. Ich für mein Teil war furchtbar niedergeschlagen. Wenn sich der Plan, den er da eben entworfen hatte, als ausführbar erweisen sollte, so würde wohl Silver, der nun schon ein doppelter Verräter war, nicht zögern ihn auszuführen. Er hatte in beiden Lagern Fuß gefaßt, und es war kein Zweifel, daß er Reichtum und Freiheit mit den Piraten dem bloßen Entkommen vor dem Galgen vorziehen würde, was ja das Äußerste war, was wir ihm zu bieten hatten.

Ja selbst, wenn es sich so fügen sollte, daß er gezwungen wäre, Doktor Livesay die Treue zu bewahren, welche Gefahr lag selbst dann noch vor uns! Welch ein Augenblick, wenn der Verdacht seiner Gefährten sich in Gewißheit verwandelte und er und ich ums liebe Leben zu kämpfen haben würden – er der Krüppel, und ich ein Knabe, gegen fünf starke kampftüchtige Seeleute! Zu dieser doppelten Furcht kam noch das Geheimnis, das für mich noch immer über dem Verhalten meiner Freunde lag: ihrer unerklärten Flucht aus dem Blockhaus und ihrer unerklärlichen Übergabe der Karte. Noch weniger verständlich war die letzte Warnung des Doktors an Silver: „Wenn Ihr den Schatz findet, werdet Ihr Verdruß haben“, und man wird mir gerne glauben, daß mir mein Frühstück nicht besonders schmeckte und daß ich mit sehr gemischten Gefühlen hinter meinen Gefangenenwärtern auf die Schatzsuche ging.

Wir sahen sehr sonderbar aus, wenn jemand dabei gewesen wäre, um uns zu sehen, wie wir da alle in schmutzigen Matrosenanzügen und, bis auf mich, alle bis zu den Zähnen bewaffnet, ausrückten. Silver hatte zwei Gewehre umgehängt – eines vorne, eines hinten – , dazu noch den großen Hirschfänger in seinem Gürtel und eine Pistole in jeder Tasche seines langschößigen Rockes. Kapitän Flint, der auf seiner Schulter saß und Matrosenredensarten sinnlos vor sich hinplapperte, vervollständigte seine merkwürdige Ausrüstung. Ich hatte einen Strick um meinen Leib geschlungen und folgte gehorsam dem Schiffskoch, der das Ende des Seils manchmal in der einen freien Hand, manchmal zwischen dem mächtigen Gebiß hielt. Wahrhaftig, wie ein Tanzbär wurde ich dahingeführt.

Die anderen Matrosen waren verschiedenartig bepackt. Einige trugen Spaten und Schaufeln – das war das erste gewesen, was sie von der Hispaniola hinuntergetragen hatten – , andere waren mit Fleisch, Brot und Branntwein für die Mittagsmahlzeit beladen. Alle Vorräte kamen, wie ich bemerkte, aus unserer Speisekammer und ich sah, wie richtig Silvers Worte gewesen waren. Wenn er nicht mit dem Doktor den Vertrag geschlossen hätte, wäre er mit seinen Meuterern, nachdem das Schiff weg war, auf Trinkwasser und die etwaigen Ergebnisse der Jagd angewiesen gewesen. Wasser wäre nicht sehr ihr Geschmack gewesen und Matrosen sind selten gute Jäger. Außerdem schien es wahrscheinlich, daß sie auch nicht über sehr große Pulvervorräte verfügten, wenn sie so wenig Eßwaren hatten.

Nun, so ausgerüstet, machten wir uns auf den Weg – selbst der Kerl mit dem Loch im Kopf war mit, für den es sicherlich besser gewesen wäre, im Schatten zu Hause zu bleiben – und wanderten der Bucht zu, wo uns die beiden Boote erwarteten. Auch sie trugen Spuren der betrunkenen Wildheit der Seeräuber; in einem war die Ruderbank gebrochen, und beide waren verschmutzt und auf dem Boden standen Wasserlachen. Wir mußten aus Sicherheitsgründen beide mitschleppen und so setzten wir uns endlich in Bewegung.

Unterwegs gab es einigen Streit, der Karte wegen. Das rote Kreuz war natürlich viel zu groß, um als Führer zu dienen und die Ausdrücke der Erklärung auf der Rückseite schienen immerhin zweideutig. Diese Erklärung lautete, wie man sich erinnern wird, folgendermaßen:

„Hoher Baum, Fernrohrabhang, Wegweiser nach N. von NNO.

Skelettinsel OSO. und nach O.

Zehn Fuß.“

Ein hoher Baum war also die wichtigste Bezeichnung. Der Ankerplatz war gerade vor uns von einer Hochfläche begrenzt, die etwa zwei- bis dreihundert Fuß hoch lag und sich im Norden an den abfallenden südlichen Abhang des „Fernrohrs“, und gegen Süden an die steile zerklüftete Erhöhung, der Kreuzmastberg genannt, anschloß. Diese Hochfläche war dicht mit Nadelbäumen verschiedener Höhe bestanden. Da und dort erhob sich ein Baum vierzig oder fünfzig Fuß über seine Nachbarn, doch welcher davon der eigentliche „hohe Baum“ des Kapitän Flint war, konnte nur an Ort und Stelle mit Hilfe des Kompasses entschieden werden.

Trotzdem die Sache so lag, hieb jeder der Matrosen, bevor wir halb drüben waren, einen Baum, den er sich aussuchte, um, und nur der lange John zuckte die Achseln und riet ihnen, zu warten, bis wir an Ort und Stelle wären.

Auf Silvers Anordnung, der die Matrosen nicht vorzeitig ermüden wollte, gingen wir nur langsam vorwärts und landeten nach einer beträchtlichen Weile bei der Mündung des zweiten Flusses, desjenigen, der durch eine bewaldete Schlucht vom „Fernrohr“ herunterkommt. Von da aus hielten wir uns nach links und erstiegen den Abhang gegen die Hochfläche zu.

Beim Anstieg verlangsamte der Moorboden mit seiner Sumpfvegetation sehr unser Tempo, doch allmählich ging es steiler hinauf, der Boden wurde steiniger, der Wald veränderte seinen Charakter und die Bäume standen in größeren Abständen. Wir kamen nun in einen wunderschönen Teil der Insel. Wohlriechender Ginster und andere blühende Stauden hatten das Gras fast ganz verdrängt. Dichte Gruppen grüner Muskatnußbäume waren da und dort mit den roten Säulen der breitschattigen Nadelbäume untermischt und vermengten ihren Duft mit dem der Nadelbäume. Die Luft war frisch und anregend und wirkte trotz der herniederbrennenden Sonne wunderbar belebend auf unsere Sinne.

Die Leute gingen in fächerförmiger Anordnung und riefen und sprangen hin und her. Ziemlich weit hinter den anderen folgten Silver und ich – er keuchend von der Anstrengung des Steigens, und ich durch den Strick kurzgehalten. Von Zeit zu Zeit mußte ich ihm die Hand reichen, denn der Weg gab ihm viel zu schaffen und er war mehrmals im Begriffe, rückwärts den Abhang hinunter zu fallen.

 

Als wir ungefähr eine halbe Meile zurückgelegt hatten, und uns der Höhe näherten, ertönte plötzlich ein lauter Schreckensschrei eines der Männer, der am weitesten nach links gekommen war, ein zweites- und drittesmal schrie er, und die übrigen stürzten nach jener Richtung hin.

„Er kann nicht den Schatz gefunden haben, denn der ist doch ganz oben“, sagte der alte Morgan, der von rechts an uns vorübereilte.

Und es war wirklich etwas ganz anderes. Als wir oben ankamen, sahen wir am Fuße einer ziemlich hohen Tanne und in grüne Schlingpflanzen verschlungen, die sogar einige der kleineren Knochen gehoben hatten, ein menschliches Skelett liegen, das nur mit einigen Lumpen bedeckt war. Ein kalter Schauer durchfuhr in diesem Augenblick alle unsere Herzen.

„Er war ein Seemann“, sagte Georg Merry, der, kühner als die übrigen, nahe herangegangen war und die Kleiderfetzen prüfend betrachtete. „Zum mindesten ist das gutes Matrosentuch.“

„Freilich,“ sagte Silver, „höchstwahrscheinlich, oder hast du gedacht einen Bischof hier oben zu finden? Doch wie merkwürdig die Knochen liegen. Das geht nicht mit rechten Dingen zu.“ Es schien tatsächlich, wenn man genauer hinsah, ausgeschlossen, daß der Leichnam da in natürlicher Stellung lag. Durch irgendwelche zufällige äußere Einflüsse (vielleicht war es das Werk der Vögel oder der langsam wachsenden Schlingpflanze, die allmählich seine Überreste eingehüllt hatte) lag der Mann vollkommen gerade da, seine Füße zeigten nach einer Richtung und seine Hände, die wie die eines Tauchers über den Kopf erhoben waren, genau in die entgegengesetzte.

„Mir geht ein Gedanke durch meinen alten Schädel,“ bemerkte Silver. „Das ist der Kompaß: Dort ist der höchste Punkt der Skelettinsel, der wie ein Zahn heraussteht. Bestimmt jetzt die Richtung der Leiche da.“

Es geschah. Der Körper zeigte gerade in die Richtung der Insel, und auf dem Kompaß stand Ostsüdost und nach Ost zu lesen.

„Ich dachte mir’s,“ rief der Koch, „das ist ein Wegweiser. Gerade dahinauf geht es zum Polarstern und zu unseren lustigen Dollars. Unverkennbar, das war einer von Flints Scherzen! – Er war mit den sechsen allein hier oben und tötete sie alle, Mann für Mann. Und den einen da schleppte er her und richtete ihn als Wegweiser. Das sind lange Knochen und die Haare sind blond. Ja, das dürfte Allardyce sein! Erinnerst du dich noch an Allardyce, Tom Morgan?“

„Natürlich,“ erwiderte Morgan, „erinnere ich mich an ihn: Er schuldete mir Geld und nahm ein Messer mit ans Land.“

„Weil wir gerade von Messern reden“, sagte ein anderer, „warum liegt seines hier nirgend herum? Flint war nicht der Mann, einem Seemann die Taschen auszuleeren, und die Vögel, denke ich, hätten es auch sein lassen.“

„Beim Teufel, das ist wahr!“ rief Silver.

„Aber rein gar nichts ist da,“ sagte Merry suchend herumblickend, „keine Kupfermünze, keine Tabaksdose, das kommt mir nicht geheuer vor.“

„Ist es auch nicht,“ gab Silver zu, „nicht geheuer und nicht hübsch. Kreuzdonnerwetter, Kameraden, wenn Flint lebte, wär’ das ein heißer Punkt für uns. Sechs waren sie und sechs sind wir. Und von ihnen sind nur mehr Knochen übrig.“

„Mit diesen Augen hier habe ich ihn tot daliegen sehen“, sagte Morgan. „Billy nahm mich mit hinein zu ihm. Da lag er und seine Augen waren mit Kupfermünzen zugehalten.“

„Tot, ja, das schon, tot ist er und in der Hölle,“ sagte der Kerl mit dem verbundenen Kopf, „doch wenn jemals ein Geist umging, dem von Flint traue ich es schon zu. Dieser Flint hat einen bösen Tod gehabt!“ – „Ja,“ bemerkte ein anderer, „bald wütete er, dann wieder schrie er um Rum und dann sang er. ‚Fünfzehn Mann‘ war sein einziges Lied, Kameraden, und ich muß ehrlich sagen, seit der Zeit höre ich es nicht gerne singen. Es war sehr heiß, das Fenster stand offen und ich hörte das alte Lied noch ganz deutlich, als der Mann schon im Sterben lag.“

„Laßt,“ sagte Silver, „hört auf mit diesen Geschichten. Er ist tot und er geht nicht um, jedenfalls nicht bei Tag, das glaube ich einfach nicht. Wer sich Sorgen macht, kommt um! Jetzt auf zu den Dublonen!“ Wir machten uns auf den Weg; doch trotz der heißen Sonne und dem blendenden Tageslicht gingen die Piraten nicht mehr getrennt und liefen nicht mehr schreiend durch den Wald, sondern hielten sich aneinander und sprachen mit gehaltenem Atem. Die Furcht vor dem toten Freibeuter hatte ihren Mut gelähmt.