Kommunikationswissenschaft

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•Sie können (eher) situationsbezogen sein, d. h., dass der Inhalt der kommunikativen Handlung nicht unmittelbar von dem zu realisierenden Interesse bestimmt wird bzw. nur sehr mittelbar von diesem tangiert wird.

In diesem Fall hat die kommunikativ handelnde Person in der augenblicklichen Situation bloß ein Interesse, über irgendwelche Inhalte mit ihrem Gegenüber (kommunikativ) in Beziehung zu treten. Das konkrete Ziel ihres kommunikativen Handelns ist dann erreicht, wenn Kommunikation über irgendetwas zustande kommt. Darum geht es häufig beim sogenannten „small talk“ auf Partys und bei ähnlichen Anlässen, wo kommunikative Handlungen häufig ohne (auf bestimmte inhaltsbezogene) Mitteilungsabsichten gesetzt werden.8

Die hier vorgenommene analytische Trennung9 der beiden Ebenen kommunikativer Intentionalität sollte v. a. verdeutlichen, dass jedes kommunikative Handeln – über die allgemeine Intention des „Mitteilen-Wollens“ hinaus – auch von jeweils ganz konkreten Interessen geleitet ist. Damit wird nunmehr der zentrale Aspekt allgemein-menschlichen Handelns – nämlich: dessen (potentiell auch bewusst verfolgte) Zweck- und Zielgerichtetheit – auf kommunikatives Handeln übertragen: So wie wir nicht „um des Handelns willen“ handeln, so kommunizieren wir auch nicht „um des Kommunizierens willen“, sondern verfolgen neben dem konstanten Ziel der Verständigung mit unserem/unserer Kommunikationspartner·in stets auch die Realisierung von (inhalts- und/oder situationsbezogenen) Interessen, die den eigentlichen Anlass unserer kommunikativen Aktivitäten darstellen und diese überhaupt erst hervorbringen.

Diese Unterscheidung ist für die (alltägliche) Kommunikationsrealität von nicht zu unterschätzender Bedeutung: Aus der vorgenommenen Differenzierung der kommunikativen Intentionalität geht nämlich hervor, dass konkrete Ziele (= jeweils spezielle Interessen), die über kommunikatives Handeln realisiert werden wollen, erst dann eine Chance auf Verwirklichung besitzen, wenn der kommunikativ Handelnde auch das konstante Ziel jedes kommunikativen Handelns verfolgt, nämlich Verständigung zwischen sich und seinem Kommunikationspartner anstrebt.

Die bisher eingeführten Merkmalsbestimmungen kommunikativen Handelns stellen nun einen bereits konkret fassbaren Bereich menschlichen Verhaltens in den Mittelpunkt. Allein: kommunikatives Handeln ist noch nicht Kommunikation (!). Kommunikatives Handeln ist zwar eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für das Zustandekommen bzw. Ablaufen eines Kommunikationsprozesses. M.a.W. eine kommunikative Handlung ist lediglich ein (notwendiger) Anstoß, der Kommunikation entstehen lassen kann – aber nicht unbedingt entstehen lassen muss. Oder in den Worten von Niklas Luhmann (1996: 14): „Kommunikation kommt nur zustande, wenn jemand sieht, hört, liest – und so weit versteht, dass eine weitere Kommunikation anschließen könnte. Das Mitteilungshandeln allein ist also noch keine Kommunikation.“

2.3 Kommunikation als soziale Interaktion

Kommunikation wurde eingangs als Prozess der Bedeutungsvermittlung zwischen Lebewesen beschrieben. Damit ist implizit bereits darauf hingewiesen, dass es sich dabei um ein Geschehen, um einen Ablauf handelt. Kommunikation ist kein statischer Zustand, sondern ein dynamischer Vorgang, der zwischen (mindestens zwei) Lebewesen abläuft, der sich also ereignen muss. Ein kommunikatives Handeln (oder Verhalten) nur eines einzigen Menschen (oder Tieres) kann einen derartigen Prozess bestenfalls initiieren, stellt ihn jedoch selbst noch nicht dar.

Damit Kommunikation überhaupt stattfinden kann, ist es notwendig, dass (mindestens zwei) Lebewesen zueinander in Beziehung treten – sozialwissenschaftlich formuliert: dass sie interagieren. Kommunikation als ein Ereignis, das zwischen Lebewesen abläuft, kann als eine spezifische Form der sozialen Interaktion begriffen werden.10

In seiner formalen Bedeutung weist der Terminus Interaktion auf Prozesse der Wechselbeziehung bzw. Wechselwirkung zwischen zwei oder mehreren Größen hin (vgl. Graumann 1972: 1111). Demgemäß lässt sich soziale Interaktion als wechselseitiges Geschehen zwischen zwei oder mehreren Lebewesen begreifen, sie liegt dann vor, „wenn die Aktivität einer Person die Aktivität einer anderen Person auslöst“ (Klima 2011: 315). Man kann sie als „ein gegenseitiges Aufeinanderabstimmen von Handlungen“ (Vester 2009: 48) begreifen. Dieses doppelseitige Geschehen ist das zentral Bedeutsame an jedem Interaktionsprozess: „Jedes (Individuum) erfährt Einwirkungen vom anderen oder von den anderen, und zugleich gehen von ihm selbst Wirkungen auf den anderen oder die anderen aus. Mit dem Begriff der Interaktion bezeichnen wir also das Insgesamt dessen, was zwischen zwei oder mehr Menschen [bzw. Lebewesen, R.B.] in Aktion und Reaktion geschieht“ (Lersch 1965: 53). Im Gegensatz zum sozialen Handeln, bei dem man sich zwar am Verhalten anderer orientiert, aber dennoch stark auf die jeweils eigenen Vorstellungen (Motive, Absichten etc.) fokussiert, „legt der Begriff soziale Interaktion den Akzent von vornherein auf das ‚Dazwischen‘ der Akteure“ (Vester 2009: 48).

Damit ist die Skala möglicher Interaktionsarten breit gefächert. Speziell was den hier v. a. interessierenden Bereich menschlicher Interaktion betrifft, reicht sie vom mehr oder weniger zufälligen Berührungskontakt in einer dichtgedrängten Menschenmenge bis zur Übermittlung einer Geheimbotschaft via Internet. In jeder dieser beiden willkürlich herausgegriffenen Extremsituationen treten Menschen zueinander in Beziehung, es liegt also soziale Interaktion vor.

–Die eine Situation (dichtgedrängte Menschenmenge) ist v. a. durch direkten Berührungskontakt gekennzeichnet. Unterstellt sei hier ein tatsächlich zufälliges und daher absichtsloses „Anstoßen“ einer Person in nächster Nähe (etwa beim Einsteigen in eines der häufig überfüllten öffentlichen Verkehrsmittel …). In diesem Fall wird man dieser Person (in der Regel wenigstens) nichts „bedeuten“ wollen, man verfolgt also mit dem Anstoßen keinen bestimmten Zweck. Trotzdem liegt „soziale Interaktion“ vor, denn üblicherweise sind solche Situationen mit wechselseitiger Wahrnehmung verbunden und die Folge(-Aktion) ist meist der beiderseitige Versuch, diesem engen Berührungskontakt zu entkommen.

–Die andere Situation (Übermittlung einer Geheimbotschaft via Internet) ist v. a. dadurch gekennzeichnet, dass die Interaktionspartner·innen von einem direkten Berührungskontakt weit entfernt sind: Sie befinden sich vielleicht sogar in verschiedenen Kontinenten, treten aber dennoch über eine (technische) Vermittlungsinstanz (= Internet) zueinander in Beziehung. Darüber hinaus tun sie dies auch nicht zufällig, sondern beabsichtigen, einander etwas Bestimmtes mitzuteilen. Es sei zusätzlich angenommen, dass dabei auch bestimmte Interessen im Spiel sind – sie wollen beispielsweise die Eskalation eines Konflikts verhindern.

Die genauere Betrachtung dieser beiden Extremsituationen führt zu dem Schluss, dass es sich im ersten Fall (dichtgedrängte Menschenmenge) um „bloße“ (soziale) Interaktion handelt, während im zweiten Fall (Übermittlung einer Geheimbotschaft via Internet) Kommunikation vorliegt.

–In der Tat handelt es sich im ersten Fall lediglich um ein doppelseitiges Geschehen, mit dem – so wurde unterstellt – keiner der Interaktionspartner das Ziel verfolgt, auch nur irgendwelche Bedeutungsinhalte zu vermitteln.

–Im zweiten Fall sind dagegen jene Merkmale auffindbar, die bisher für kommunikative Interaktion eingeführt wurden: Eine Person handelt sozial bzw. kommunikativ, denn sie will einer anderen etwas Bestimmtes (hier: eine Geheimbotschaft) mitteilen. Anlass dafür ist das Interesse an der Deeskalation eines Konflikts. Kommunikative Interaktion liegt vor, weil auch diejenige Person, an welche die Botschaft gerichtet ist, kommunikativ in Richtung auf den Sender der Botschaft handelt: Sie will die Mitteilung empfangen – also die Bedeutungsinhalte „mit dem Sender teilen“ – und sie tut dies (so wurde oben unterstellt) aus demselben Interesse heraus. Aber auch für den Fall unterschiedlicher (womöglich sogar divergenter) Interessen liegt wohl eine kommunikative Interaktion vor.

Daraus lässt sich schlussfolgern: Gelingende menschliche Kommunikation setzt voraus, dass (mindestens zwei) Personen ihre kommunikativen Handlungen wechselseitig aufeinander richten und damit das Zustandekommen von Kommunikation aktiv versuchen. Der interaktive Charakter von Kommunikation impliziert also: Einer Mitteilungshandlung auf der Senderseite (A) muss eine Verstehens-Handlung auf der Empfängerseite (B) entsprechen.11


Abb. 2: Kommunikation als Verständigungsprozess (eigene Darstellung)

Allerdings ist auch vorstellbar, dass diese Kommunikationsversuche trotz gegenseitiger Bemühungen nicht gelingen und damit erfolglos bleiben.

Etwa dann, wenn der·die Übermittler·in der Geheimbotschaft eine Sprache bzw. einen Code verwendet, die bzw. den der·die Empfänger·in nicht verstehen bzw. entschlüsseln kann. Aber selbst wenn der·die Empfänger·in die Botschaft versteht, kann es sein, dass dies nicht zur Deeskalation des führt.

Wechselseitig aufeinander gerichtete Kommunikationsversuche sollten also „erfolgreich“ sein, damit man von „Kommunikation“ sprechen kann. Doch ab wann sollen Kommunikationsversuche als „erfolgreich“ begriffen werden? Die oben eingeführte analytische Trennung von zwei Ebenen kommunikativen Handelns hat Kommunikationserfolg in zweierlei Hinsicht identifizierbar gemacht: Verständigung wurde als allgemeiner und Interessenrealisierung als spezieller Kommunikationserfolg begriffen.

 

Im Alltagsverständnis vermischen sich diese beiden Ebenen häufig12, im vorliegenden Kontext ist es jedoch (abermals) angemessen, sie auseinanderzuhalten: Sinnvoll erscheint, bereits die erfolgreiche Realisierung der allgemeinen Intention kommunikativen Handelns (jemandem etwas mitteilen zu wollen), also das Erreichen von Verständigung zwischen den jeweiligen Kommunikationspartner·innen, als „Kommunikation“ gelten zu lassen. Zum einen deshalb, weil es dabei um das (oben eingeführte) konstante Ziel kommunikativen Handelns geht, und zum anderen, weil das (pro Kommunikationsakt) variable Ziel der Interessensrealisierung genau genommen bereits die Konsequenzen kommunikativen Handelns fokussiert und damit über den unmittelbaren Kommunikationsakt hinausreicht.

Was das Beispiel mit der Geheimbotschaft betrifft: Sobald das Verstehen bzw. die Entschlüsselung der Botschaft auf Empfangsseite geklappt hat, scheint es sinnvoll, von „Kommunikation“ zu sprechen. Und zwar unabhängig davon, ob sich im Anschluss daran als Konsequenz dieser Botschaft die Deeskalation eines Konflikts verhindern lässt oder nicht.

Begreift man Kommunikation in diesem Sinn als Verständigungsprozess, dann meint man damit also den wechselseitig vollzogenen Vorgang der Bedeutungsvermittlung. Eine versuchte Bedeutungsvermittlung ohne ein derartiges Ergebnis gilt als misslungener Akt des Kommunizierens (Reimann 1968: 75), aber eben nicht als Kommunikation. Kommunikation ist somit als ein Begriff anzusehen, „den man genaugenommen nur ex post, nach Vollzug des Kommunikationsaktes verwenden kann. Ex ante lässt sich allenfalls ein Kommunikationsvorsatz oder -versuch feststellen, denn die Verständigung kann ja ausbleiben“ (Schulz 1971: 90).

Kritische Einwände?

Dies ist nach all dem bisher Gesagten ein konsequentes, aber auch ein radikales Verständnis von Kommunikation. Schulz selbst wendet später sogar ein, ob mit der Festlegung von Verständigung als gemeinsames Ziel beider Kommunikationspartner nicht „eine Antwort vorweggenommen (wird), wo eigentlich eine Frage angebracht wäre“ (2002: 172), die für die Erforschung von Kommunikation essentiell sei. Nämlich die Frage, inwieweit die jeweiligen Intentionen der Kommunikationspartner übereinstimmen und wie sie verwirklicht werden?

Mit der (analytischen) Trennung der beiden Ebenen kommunikativer Intentionalität scheint dieser Einwand allerdings obsolet: Wechselseitige Verständigung (als Erfolgskriterium geglückter Kommunikation) ist ja ausschließlich auf der übergeordneten, „allgemeinen“ Ebene von Intentionalität (als konstantes Ziel kommunikativen Handelns) angesiedelt. Auf der untergeordneten, „speziellen“ Ebene von Intentionalität (wo es um das variable Ziel der Realisierung jeweils individueller, situationsspezifischer Interessen geht), bleibt ausreichend Raum für Fragen dieser Art.

Dennoch könnte die Entscheidung, Verständigung als übergeordnetes, allgemeines Ziel kommunikativen Handelns zu begreifen, Zweifel wecken und Widerspruch provozieren.13 Steht denn „wirklich“ – so wäre einzuwenden – Verständigung auf dem Plan, wenn z. B. in verkaufsfördernden Produktwerbungen oder im Rahmen politischer Wahlkämpfe gezielt auf Beeinflussungsmechanismen gesetzt wird? Wollen die Kommunikationsstrateg·innen in solchen Fällen Verständigung nicht sogar verhindern, also das genaue Gegenteil erreichen? Kalkulieren sie nicht damit, dass ihre Manipulationsversuche bzw. die eingesetzten Taktiken der Überredungskommunikation gerade nicht entlarvt und daher ausdrücklich nicht „verstanden“ werden?

Die Antwort lautet: Auch in solchen, mit Intransparenz kalkulierenden Kommunikationssituationen ist ein auf Verständigung hin orientiertes Handeln seitens der Kommunikator·innen eine conditio sine qua non. So müssen die Empfänger·innen von Produktwerbung zunächst wenigstens ansatzweise begreifen, welche Produktvorzüge im Detail beworben werden14, sie müssen im Fall von politischer Werbung erst einmal gedanklich erfassen, welchen Standpunkt ein·e Politiker·in im Wahlkampf propagiert etc. Die Produktwerber·innen und die politischen Werbestrateg·innen sind also unumgänglich darauf angewiesen, wenigstens ein Mindestmaß an Verständigung realisieren zu können – und dies zu bewerkstelligen, muss daher zuallererst auf ihrer Agenda stehen.

In den Fokus gerät damit freilich der Begriff von Verständigung selbst, der über eine semantische Bandbreite verfügt, die fraglos einer tiefergehenden Diskussion bedarf (vgl. neuerlich Burkart 2013a). Dies wird im vorliegenden Buch auch noch ausführlich geschehen. Nebenbei: Der Soziologe Niklas Luhmann hat im Zusammenhang mit der Verstehensproblematik seinerzeit sogar die „Unwahrscheinlichkeit von Kommunikation“ (1993: 25) in den Raum gestellt. Zugleich hielt er aber auch fest, dass „wir sie jeden Tag erleben, praktizieren und ohne sie nicht leben würden“ und dass es deshalb gelte, diese „unsichtbar gewordene Unwahrscheinlichkeit“ (ebd.: 26) zu begreifen. – Die vorliegende Auseinandersetzung mit dem Kommunikationsbegriff versteht sich (auch) als ein Beitrag dazu.

In der bisherigen Reflexion zum Begriff Kommunikation wurde allerdings eine Besonderheit des Kommunikationsprozesses unausgesprochen vorausgesetzt, die nunmehr explizit zum Thema gemacht werden soll.

2.4 Kommunikation als vermittelter Prozess

Schon in der eingangs zitierten Definition von Kommunikation als Prozess der Bedeutungsvermittlung zwischen Lebewesen ist implizit darauf hingewiesen, dass Kommunikation bzw. kommunikatives Handeln stets einer Instanz bedarf, über die das zwischen den Kommunikationspartner·innen Geschehende abläuft. Als eigentlicher Träger der jeweiligen Mitteilung ist eine derartige Vermittlungsinstanz – fachspezifisch formuliert: ein Medium – unbedingter Bestandteil eines jeden Kommunikationsprozesses.

Das Wort Medium lässt sich im Deutschen bis ins 17. Jhdt. zurückverfolgen (Hoffmann 2002: 24). In Meyers Konversationslexikon von 1888 wird es mit einer in unserem Kontext durchaus passenden Übersetzung (aus dem Lateinischen) eingeführt: „Mitte, Mittel, etwas Vermittelndes“ (Faulstich 1991: 8).15 Im Kommunikationsprozess dient ein Medium zur Vermittlung von Bedeutungen, es fungiert als Ausdrucksmittel einer kommunikativen Aktivität. Es stellt gleichsam die materielle Hülle für die zunächst immateriellen Bedeutungsinhalte bereit und schafft dadurch erst die Voraussetzungen, dass Bedeutungen „mit(einander)geteilt“ werden können.

Damit Menschen (bzw. Lebewesen) miteinander kommunizieren können, müssen sie also über irgendwelche Ausdrucksmittel verfügen sowie (damit einhergehend) über die entsprechenden Kommunikationskanäle, d. h. „Sinnesmodalitäten, mithilfe derer und über die wir unsere Kommunikationspartner·innen wahrnehmen“16 (Pürer 2014: 69). Die Verfügbarkeit von Kommunikationskanälen ist also Voraussetzung dafür, dass Bedeutungsinhalte überhaupt (sinnlich wahrnehmbare) Gestalt annehmen können.

So sind in der oben zitierten Kommunikationssituation („Monika, schließ bitte das Fenster“) der auditive (bzw. vokale) – im Fall von begleitenden Gesten auch der visuelle – Kanal sowie das Medium Sprache die Mittel, kraft derer das Kommunikationsgeschehen abläuft. Erst das Herstellen (und Aussprechen) einer bestimmten Lautabfolge bzw. Buchstabenkombination (wie z. B. F-e-n-s-t-e-r) schafft die Möglichkeit, die gemeinten Bedeutungsinhalte begreifbar, d. h. sinnlich wahrnehmbar zu machen.

Wenn man die Geschichte der Medien als eine „fortwährende Vervollkommnung medialer Techniken“ (Schulz 1986: 113) begreift,17 dann gerät abseits der Sprache zunächst die Erfindung der Schrift in den Blick (näher dazu: Steinmaurer 2016: 179 ff.). Die Schrift hat sowohl die Flüchtigkeit und Vergänglichkeit als auch die Zeitgebundenheit aller mündlichen Verständigungsversuche überwunden. Parallel mit dieser raum-zeitlich übergreifenden Verfügbarkeit (Speicher- und Tradierbarkeit) menschlicher Kommunikation erweiterten sich zudem die verschiedenen Ausdruckstechniken. Das betrifft sowohl die sprachliche Vielfalt, als auch die Entwicklung der Bildmedien (Malerei, Grafik, Fotografie, Film, Fernsehen), ebenso den Buchdruck bis hin zu den bislang ausgereiftesten Speichermöglichkeiten sowohl schriftlicher als auch audiovisueller Kommunikationsangebote in Form diverser digitaler Datenträger bzw. -speicher.

Aus einer technikorientierten Perspektive lassen sich Medien als „materiell-mechanische oder energetische (elektrische, elektromagnetische, elektronische, optoelektronische) Träger und Übermittler von Daten bzw. Informationseinheiten und mechanische sowie elektronische Mittel der Datenverarbeitung“ (Hiebel/Hiebler/Kogler/Walitsch 1998: 12) definieren. Auf den ersten Blick kann man Medien somit als Transportmittel begreifen. Es scheint, als würden sie die zu vermittelnden Bedeutungsinhalte in Form ihrer jeweiligen materiellen Manifestationen (als Äußerungen) der jeweiligen Kommunikationspartner zwischen diesen hin und her befördern.

Diese technikzentrierte Vorstellung vom Medium als bloßes Transport- oder Transfermittel („Container-Metapher“) gilt jedoch aus sozialwissenschaftlicher Sicht längst als zu eindimensional18. Man geht auch nicht mehr davon aus, dass Informationen oder Bedeutungen im Kommunikationsprozess einfach „ausgetauscht“ werden.

Ein Tausch besteht ja darin, dass Objekte ihre Besitzer wechseln. Jemand besitzt etwas nicht mehr, was er/sie vor dem Tausch noch besessen hatte (und umgekehrt). Daher gilt, dass die „gesamte Metaphorik des Besitzens, Habens, Gebens und Erhaltens […] ungeeignet für ein Verständnis von Kommunikation“ (Luhmann 1984: 193) ist, denn im Kommunikationsprozess wird nichts weggegeben: „Derjenige, der etwas mitteilt, verliert sein Wissen nicht aus dem Kopf.“ (Luhmann 2002: 289) Im Gegenteil: Er besitzt es auch hinterher noch. Bei Kommunikation hat man es „mit einem Vorgang zu tun, der offenbar multiplikativ wirkt. Erst hat es nur einer, dann wissen es zwei oder mehr oder hundert, Millionen, je nachdem, an welches Netzwerk wir denken“ (ebd.).

Obwohl die alltagssprachliche Vorstellung vom Austausch wissenschaftlich unsinnig ist, taucht sie sogar in der jüngeren kommunikationswissenschaftlichen Literatur immer noch auf (vgl. etwa Godulla 2017: 249, Quiring/Schweiger 2006, Schulz 2009: 176, Stöber 2011: 321).

Menschliche Kommunikation wird eher als „Aktualisierung von Sinn“ (Luhmann 1971: 32) begriffen, d. h., dass im Bewusstsein der jeweiligen Kommunikationspartner·innen (im Idealfall) dieselben (realiter wohl: ähnliche) Bedeutungsinhalte wachgerufen werden.

Zwischenbilanz

Es gibt keine unvermittelte(!) Kommunikation: „Alle Kommunikation bedarf eines Mittels oder Mediums, durch das hindurch eine Nachricht […] aufgenommen wird“ (Graumann 1972: 1182). Eine Kommunikation ohne Medium ist völlig unmöglich.19 In diesem allgemeinen Sinn steht Medium daher – speziell was die menschliche Kommunikation betrifft – sowohl für personale (der Person gleichsam „anhaftende“) Vermittlungsinstanzen als auch für jene technischen Verbreitungs- und Empfangsmittel, die im Laufe der Menschheitsgeschichte entstanden sind.

2.4.1 Medium als Kommunikationstechnik

Ein längst klassischer Versuch, diese mediale Vielfalt systematisch zu differenzieren, geht auf den Journalisten und (später an der FU-Berlin lehrenden) Publizistikwissenschaftler Harry Pross (1972) zurück. Er unterscheidet primäre, sekundäre und tertiäre Medien. Inzwischen ist diese Differenzierung durch quartäre und soziale Medien angereichert worden.

Primäre Medien: Darunter versteht Pross die Medien des „menschlichen Elementarkontaktes“ (Pross 1972: 10). Neben der Sprache in ihren vielgestaltigen Ausprägungen zählen dazu auch alle nonverbalen Vermittlungsinstanzen, die dem Bereich der Mimik und/oder Gestik angehören: So existieren etwa Ausdrucksmöglichkeiten von Auge, Stirn, Mund, Nase; ebenso kann über Bewegungen der Extremitäten oder eine bestimmte Haltung der Arme und Beine, also: der Körperhaltung insgesamt, etwas mitgeteilt werden. All diese leibgebundenen Expressionsmöglichkeiten können als „Medien“ zur Bedeutungsvermittlung fungieren. Gemeinsam ist ihnen, „dass kein Gerät zwischen Sender und Empfänger geschaltet ist und die Sinne der Menschen zur Produktion, zum Transport und zum Konsum der Botschaft ausreichen“ (Pross ebd.: 145). Oder andersherum: „Die Abwesenheit von Medientechnik definiert Primärmedien“ (Hörisch 2004: 76).

 

Sekundäre Medien: Dazu zählt Pross alle jene Medien, die auf der Produktionsseite ein Gerät erfordern, nicht aber auf der Empfangsseite zur Aufnahme der Mitteilung. Vom Rauchzeichen über Feuer- und Flaggensignale bis zum Brief können außerdem hier alle – kraft der Erfindung des Druckverfahrens entstandenen – Manifestationen menschlicher Mitteilungen eingeordnet werden: So z. B. das Flugblatt (Flyer), das Plakat, das Buch und die Zeitung.

Tertiäre Medien: Mit dieser Kategorie werden schließlich jene Kommunikationsmittel erfasst, zu denen technische Sender und technische Empfangsgeräte gehören. Telefon, Fernschreiber, diverse Funkanlagen, Sende- und Empfangseinrichtungen, Schallplatte (CD/DVD), Film, aber v. a. die sogenannten elektronischen Massenmedien wie Hörfunk und Fernsehen, sowie Computer und diverse digitale Datenträger sind hier zu nennen. All diesen Medien ist gemeinsam, dass sie „ohne Geräte auf der Empfänger- wie auf der Senderseite nicht funktionieren können“ (Pross ebd.: 224).

Die technische Entwicklung gegen Ende des 20. Jhdts. hat zu Konvergenzen im Medienbereich geführt: Mit dem Zusammenwachsen von Telekommunikation, Computer und Rundfunk (vgl. Latzer 1997, 2015)20 wurde zu Beginn des dritten Jahrtausends ein fundamentaler und nachhaltiger Medienwandel eingeleitet (Kinnebrock/Schwarzenegger/Birkner 2015). Konnten Medien früher in der Regel über die Eigenschaften bestimmter Geräte (Radio-, Fernsehapparat, CD-Player/Plattenspieler, Fotoapparat, Telefon etc.) definiert werden, so hat sich mittlerweile der Computer als eine Art kommunikative Universalmaschine (mit dem Bildschirm als universale Oberfläche) profiliert, über die man die verschiedensten medialen Dienste in Anspruch nehmen kann. Die Größe bzw. Kleinheit der Laptops, Notebooks, Tablets und Smartphones hat auch den Wandel unserer Kommunikationsgewohnheiten beschleunigt – die stetig wachsende tägliche Zeitspanne für die Nutzung diverser Online-Angebote scheint ein valider Indikator dafür zu sein (Eimeren 2013, Eimeren/Frees 2013, Koch/Frees 2017, Beisch/Schäfer 2020). Die technische Inkarnation dieses Wandels kam im Jahr 2007 in Gestalt des Apple iPhones21 auf den Markt. Seither ermöglichen solche Geräte bekanntlich nicht bloß mobilen Kontakt zum Internet, man kann außerdem Musik hören, fotografieren, filmen, Notizen speichern, Emails versenden, eine Unzahl entsprechender Apps installieren – und eben auch telefonieren (siehe dazu auch Kap. 7.8). Als Bezeichnung für diese neuen Medien hat sich der Name

Quartäre Medien (auch: „Digitale Medien“ oder „Online-Medien“) eingebürgert (Faulstich 1998: 31, Winter 1998: 274 ff.). Quartäre Medien sind eigentlich internetbasierte Tertiärmedien. Sie beruhen auf der Technik der Digitalisierung und setzen die Existenz (bzw. die Nutzung) eines Computers mit Online-Verbindung voraus. Neu ist bei diesen Medien außerdem, dass die bislang eher starre Rollenzuschreibung in Sender und Empfänger durch interaktive Momente eine gewisse Flexibilität erfährt. Vielfach kann ein Aufweichen dieser traditionellen Sender-Empfänger-Beziehung beobachtet werden.22 Als quartäre Medien sind im publizistischen Bereich die Online-Auftritte von Offline-Medien (Printmedien sowie Rundfunkanstalten) zu klassifizieren, sowie Websites (Homepages) diverser Unternehmen und Organisationen. Zu quartären Medien zählen aber auch Emails, Chats, Weblogs (Blogs) sowie diverse (internetbasierte) Plattformen, die sich im Kontext der fortschreitenden Digitalisierung und der damit einhergehenden massiven Ausbreitung des Internets zu Beginn des 21. Jahrhunderts herausgebildet haben. Unter der Etikettierung „soziale Medien“ sind sie mittlerweile Teil der Alltagssprache geworden.

Soziale Medien (die Wortkombination ist eine schlichte Übersetzung des englischen Social Media) zählen zu den quartären Medien. Man spricht auch von Social Network Sites (SNS) bzw. Social Network (SN), Social Web, oder (älter) Social Software. Diese eher technik- und netzwerkorientierten Bezeichnungen konnten sich aber nicht durchsetzen (Stegbauer/Jäckel 2008, Welker/Kloß 2014) – alltagsprachlich etabliert hat sich der Terminus Social Media, der die mediale Affinität dieser Software betont.23 Technisch handelt es sich dabei um allgemein (oder mit Passwort) zugängliche digitale Plattformen im Internet. Man hat es also stets mit onlinebasierter (digitaler) Vernetzung zu tun hat, bei der es um das Veröffentlichen und Bearbeiten von Inhalten aller Art geht (Schmidt 2018: 17 ff.). Die Rede ist von Facebook, Twitter, YouTube, Instagram, Snapchat, diversen Weblogs (Blogs) etc. Man kann behaupten, dass die Nutzung sozialer Medien – wenigstens in Europa und in den USA – „für den Großteil der Bevölkerung zum regelmäßigen Bestandteil ihrer Kommunikation und Interaktion“ (Taddicken/Schmidt 2017: 19) geworden ist.

Soziale Medien sind ohne die Existenz des sogenannten Web 2.0 nicht denkbar. Unter Web 2.0 – auch: Mitmach-Web (Kantel 2009) oder Participatory Web (Beer 2009, Blank/Reisdorf 2012) – versteht man Internetauftritte, deren Erscheinung „durch die Partizipation ihrer Nutzer (mit-)bestimmt wird“ (Münker 2015: 59). Allerdings variieren diese Partizipationsmöglichkeiten erheblich. Vielfach werden bloß Kommentare oder Bewertungen zugelassen (wie z. B. auf der Website des amerikanischen Online-Händlers Amazon), während im User-Generated Content (Schweiger/Quiring 2007) die radikalste Ausprägung des Web 2.0 zum Ausdruck kommt (wie z. B. bei der Online-Enzyklopädie Wikipedia, deren Texte ausschließlich user·innengeneriert sind).

Wir sehen also: Der Begriff Medium ist vielfältig. Abgesehen von den (primären) körpergebundenen Ausdrucksmöglichkeiten, die ganz ohne Technik auskommen, kann man an materiell-technische Trägersubstanzen (wie Luft, Papier oder Strom) denken, aber auch an CDs, an Bücher, Zeitungen, an Radio, Fernsehen, Film und schließlich an das Internet sowie das dort zugängliche Social-Media-Universum. Ein regelrechtes Begriffs-Wirrwarr hat sich hier angesammelt24 – es ist nicht zuletzt dem technischen Fortschritt v. a. im 20. Jahrhundert geschuldet.

Aus einer sozialwissenschaftlichen Perspektive, wie sie im vorliegenden Buch vertreten wird, reichen diese bislang materiell-technischen Definitionen von „Medium“ allerdings nicht aus, selbst wenn sie sich mit Hilfe der von Harry Pross initiierten – und weiter gedachten – Differenzierung durchaus kategorisieren lassen. Immer wenn von Medien in der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft die Rede ist, hat nämlich mehr im Spiel zu sein, als bloß die Technik, darüber gibt es in der Fachdiskussion hinlänglich Übereinstimmung (z. B. Beck 2006, 2015, Bentele/Beck 1994, Burkart 2002, Krotz 2015, Neverla 1998, Pürer 2014, Pürer/Springer/Eichhorn 2015, Rössler 2003, Rühl 1998, Saxer 1999, 2012a, Schmidt 2015a, Schweiger/Weihermüller 2008, Weischenberg 1998).

2.4.2 Medium: ein kommunikationswissenschaftlicher Begriff

Auch wenn man – so überlegt Weischenberg (1998) – auf den ersten Blick gerade das Internet als das „Massenmedium“25 schlechthin begreifen könnte, weil es sich doch scheinbar mit allen möglichen Angeboten an alle möglichen Menschen richtet, so wäre ein derartiger Medienbegriff dennoch „kommunikationswissenschaftlich untauglich“ (ebd.: 52). Kommunikationstechniken werden nämlich erst dann zu Medien im kommunikationswissenschaftlichen Sinn, „wenn sie über die Funktion eines technischen Vermittlungssystems hinaus in einen spezifischen institutionalisierten Handlungskontext eingebunden sind“ (Neverla 1998: 29 f.). Sie sind „ohne den Menschen nicht vorstellbar: Sie wurden von Menschen in einem sozialen Prozess erfunden und entwickelt, über das ob und wie ihrer Anwendung wird beraten und gestritten. Technische Medien sind ohne eine soziale Form des Gebrauchs wirkungs- und bedeutungslos“ (Bentele/Beck 1994: 40). Wenn wir Medien bloß als Apparate, Kanäle, Leitungen etc., also als ausschließlich technische Infrastruktur begreifen, können wir nämlich nicht erfassen, „was da vorgeht, wenn sich Publizistik oder Massenkommunikation, unter Mitwirkung von Internet, in und mit einer sozialen Umwelt ereignen“ (Rühl 1998: 101). Kurzum: Aus kommunikationswissenschaftlicher Perspektive greift man zu kurz, wenn man in Medien bloß technische Apparate sieht, sie müssen darüberhinaus als „gesellschaftliche Instrumente“ (Pürer 2014: 206) betrachtet werden.