Kommunikationswissenschaft

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11Auf die damit angesprochene „Reziprozität“ (Wechselseitigkeit, Wechselbezüglichkeit) von Kommunikation wird weiter unten (

Kap. 2.6

) ausführlich eingegangen.



12Wenn jemand sagt „Ich hatte mit meinen Drohungen Erfolg“, dann unterstellt er·sie nicht nur, dass er·sie verstanden wurde, sondern bewertet damit auch gleich das Eintreten der beabsichtigten Wirkung (= die Realisierung seiner·ihrer Interessen) – etwa dass sich eine andere Person aufgrund von Drohungen entsprechend verhalten hat.



13Ich beziehe mich in der Folge auf meine Argumentation in Burkart 2013a: 136 f.



14Kein Widerspruch zu dieser Behauptung ist der Umstand, dass Werbung (insb. Imagewerbung) bisweilen auch spielerisch mit diesem Verständigungsanspruch umgeht, indem sie ihn bewusst missachtet – also mit Unverständnis kalkuliert und genau dadurch die erwünschte Aufmerksamkeit provoziert, die ein Verständigungsprozess erfordert. Als „klassisch“ kann in diesem Zusammenhang die Image-Werbelinie des österreichischen Schuhhandelsunternehmens Humanic („franz“) in den 1970er Jahren gelten (zu dieser speziellen Werbung von Humanic vgl. Doczy 2009). Ein halbes Jahrhundert nach ihrer Kreation und Erstausstrahlung erlebte diese Werbelinie der Grazer Leder&Schuh AG (im Mai 2021) übrigens ein Remake.



15Es gibt aber auch eine spiritistische Bedeutungsvariante: Jemand, der mit der Geisterwelt (Verstorbener) in Verbindung steht, der also zwischen Lebenden und Toten vermittelt. Der Große Brockhaus von 1932 differenziert diese übersinnliche Bedeutung im physikalischen (Klopflaute, Telekinese, Tischrücken) und im psychologischen Sinn (als willenloses Sprechen und Schreiben). Im Brockhaus von 1955 findet man dann auch eine grammatikalische, physikalische, spiritistische und parapsychologische Begriffsinterpretation (Faulstich 1991: 8 f.; weiterführend: Hoffmann 2002).



16Ganz grundsätzlich kann ein auditiver (oder vokaler), visueller, taktiler, olfaktorischer, thermaler und gustatorischer Kanal unterschieden werden (vgl. Pürer/Springer/Eichhorn 2015: 21 ff., Kunczik/Zipfel 2005: 37 f.).



17Abseits dieser technischen Perspektive muss Mediengeschichte aus sozialwissenschaftlicher Perspektive freilich auch als Teil einer allgemeinen Kommunikationsgeschichte begriffen (und betrieben) werden. Vgl. näher dazu: Duchkowitsch 2014a, Schmolke 2015 oder das umfassende Werk von Wilke 2008.



18Sie ist zwar nicht grundsätzlich „falsch“, denn ohne (physikalische) Transfermittel (wie Luft, Licht, Wasser, Papier, Strom bzw. elektrische Impulse) wäre Kommunikation praktisch verunmöglicht (vgl. Bentele/Beck 1994: 30 f.), die „Transport-“ oder „Container-Metapher“ suggeriert aber, auch Zeichen (Wörter, Sätze) würden wie Behälter fungieren, aus denen man objektiv bestimmbare Bedeutungen nur zu entnehmen bräuchte. Diese simple Vorstellung wird der Komplexität der menschlichen Kommunikation jedoch keinesfalls gerecht (vgl. dazu auch: Beck 2006: 12 ff., Krippendorff 1994: 85 ff., Merten 1999: 54 ff.).



19Wir nehmen niemals ein Objekt „an sich“ wahr, unsere Wahrnehmung erfolgt stets durch ein Medium vermittelt: „Wäre kein Medium vorhanden (kein Schall, kein Licht), gäbe es keine Wahrnehmung bzw. es herrschte absolute Stille bzw. Dunkelheit“ (Merten 1999: 139).



20Latzer unterscheidet zwei historisch gewachsene Konvergenzstufen (1997: 60 ff.) oder ko-evolutionäre Entwicklungen (2013: 241 ff.): Zunächst das Zusammenwachsen von Telekommunikationstechniken mit dem Computer zur

Telematik

 (= Telekommunikation + Informatik) und dann die Verflechtung dieser Techniken mit dem Rundfunk zur

Mediamatik

 (= Telematik + elektronische Medien). Analytisch unterscheidet er drei Ebenen der Konvergenz (1997: 75 ff.): die technische (Netzebene), die funktionale (Dienste-Ebene) und die unternehmensbezogene (Firmenebene).



21Vorläufer waren übrigens der aus dem Jahr 1996 stammende „Nokia Communicator 9000“ sowie der „Simon Personal Communicator“ von IBM aus dem Jahr 1994, der allerdings noch über keine Internet-Verbindung verfügte (Janssen 2014, ORF 2016).



22Zur wachsenden Interaktivität vgl. Bieber/Leggewie 2004, Goertz 1995, Höflich 1996 (S. 61 ff.), Neuberger 2007a, Quiring/Schweiger 2006 – auf Unternehmenskommunikation bezogen: Krzeminski/Zerfaß 1998.



23Die Frage, ob man – etwa mit Blick auf Hasspostings und Shitstorms (Haarkötter 2014) – besser von „unsozialen“ Medien (Harramach/Prazak 2014, Kettl-Römer 2012) sprechen sollte, wird hier nicht thematisiert, weil „sozial“ hier nicht alltagssprachlich (etwa im Sinne von karitativ) gemeint ist, sondern im (oben eingeführten) soziologischen Sinn wertneutral verwendet wird.



24Einen systematischen Überblick kommunikations- und medienwissenschaftlicher Grundverständnisse des Medienbegriffes bietet Mock (2006).



25Die Begriffe „Massenmedium“ und „Massenkommunikation“ werden weiter unten (

Kap. 5.1

) ausführlich diskutiert.



26Auf den Zeichenbegriff wird im darauffolgenden

Kap. 2.5

 ausführlich eingegangen.



27Am Beispiel der Online-Auftritte von Printmedien wird dies (mit Blick auf die oben erwähnte Konvergenz) sehr schön deutlich: Längst stellen Printmedien im Rahmen ihres Webauftritts ebenso Bewegtbilder (ähnlich dem Fernsehen) bereit und nicht selten gibt es auch Live-Berichte (etwa in Form von Blog-Einträgen aus Gerichtsverhandlungen, Parlamentsdebatten u. Ä.).



28Die verschiedenen Funktionen der Massenmedien werden weiter unten (Kap. 5.6) diskutiert, dort wird auch auf die Unterscheidung zwischen Eu- und Dysfunktionalität (vgl. auch Saxer 2012a) eingegangen.



29Saxer publizierte diese Definition erstmals bereits 1980 (Saxer 1980b: 532).



30Zum Zeichen-Begriff vgl. z. B. Boeckmann 1994, Eco 1995, Glück/Rödel 2016: 782 ff., Nöth 2000: 131 ff., Pelz 2013: 39 ff., Schaff 1968: 27 und 1973: 145 f.



31Zu den Hinweisen auf den Soziologen Alfred Schütz (1971: 359) als auch vorhin auf den Philosophen Edmund Husserl (1890/1970: 345 ff.) siehe Bentele (1984: 99) sowie Nöth (2000: 37 ff.).



32Die vielerorts übliche (vgl. etwa Steinmüller 1977) Trennung in natürliche und konventionelle Zeichen wird derartigen Ausnahmen nicht gerecht und wurde daher hier nicht übernommen (vgl. dazu auch: Schaff 1973: 156, Fn. 3). Hier spielt auch die Unterscheidung zwischen analogen (nonverbalen) und digitalen (verbalen) Zeichen hinein (Vgl. dazu näher im

Kap. 8.4.3

 die Erläuterungen zum 4. Watzlawick’sche Axiom).



33Aliquid stat pro aliquo (etwas steht

stellvertretend

 für etwas anderes), so lautet auch die ursprüngliche Definition von

Zeichen,

 die man bis in die mittelalterliche Scholastik zurückverfolgen kann (vgl. Pelz 2013: 39).



34Eine Ausnahme bilden hier allerdings die soeben erwähnten ikonischen Zeichen.



35Angesichts der „Plurifunktionalität des Zeichens“ hat der US-amerikanische Semiotiker Charles Sanders Peirce bereits Ende des 19. Jhdts. festgestellt, dass eigentlich nur im Einzelfall entschieden werden kann, welcher Klasse ein Zeichen angehört (Nöth 2000: 143).



36Es lassen sich hier zwei Auffassungen vertreten: Einerseits kann man das

animalische Signal

 der Klasse der

natürlichen

 Zeichen zuordnen. In diesem Fall sieht man es als

Anzeichen

 oder

Symptom

 dessen, worauf es verweist: So könnte man das Ausstoßen von Angstlauten durch Tiere, die sich in Gefahr befinden, von ebendieser Gefahr kausal verursacht sehen. Obwohl diese Angstlaute für andere Tiere als Signal (z. B. zur Flucht) fungieren, sind sie aber eigentlich nicht zum Zweck der Kommunikation entstanden, sondern sind Teil eines instinktiv ablaufenden (= natürlichen) Prozesses (vgl. dazu z. B. Schaff 1973: 159). Andererseits kann man argumentieren, dass animalische Signale der Klasse der

künstlichen

 Zeichen zuzuordnen sind, weil sie im Laufe der Evolution gerade zum Zweck der (überlebensnotwendigen) Kommunikation entstanden sind: Erst die Möglichkeit, Signale produzieren zu können, eröffnet ja z. B. den Bienen die Chance, ihre Futtersuche zu koordinieren und dadurch ihren Fortbestand sichern zu können.



37„Dies gilt für die einfachen Lock-, Warn- und Paarungsrufe der Vögel ebenso wie für die relativ differenzierte Tanzsprache der Bienen (…). Dies gilt für den Fall, dass Signale, wie etwa die Tanzbewegungen der Bienen, angeboren sind, aber auch für den Fall, dass sie, wie der Artgesang der Amseln, durch Nachahmung erworben werden. Dies gilt auch, wenn das Tier im Zusammenleben mit dem Menschen lernt, menschliche Worte als Signale seiner eigenen Bedürfnisse zu gebrauchen oder auf menschliche Worte als Signale mit bestimmten Verhaltensweisen zu reagieren“ (Zdarzil 1978: 47).



38Strenggenommen kann man ja bereits im Hinblick auf den

signalhaften

 Zeichengebrauch Unterschiede im Kommunikationsgeschehen zwischen Mensch und Tier anführen. Wenn ein Verkehrspolizist einen Fußgänger mit einer Handbewegung zum Überqueren einer Kreuzung veranlasst, dann scheint er ähnlich zu agieren wie z. B. ein Hirsch, der durch Röhren seine Herde zur Flucht antreibt. Aber dennoch ist die Qualität des Kommunikationsprozesses eine andere: Hinter der signalhaften Handbewegung des Polizisten verbirgt sich ein bestimmter (absichtsvoll vermittelter) Inhalt (wie etwa: Gehen Sie weiter, es besteht keine Gefahr u. Ä.), den beide Menschen

verstehen

 und sich dessen auch bewusst sind, während den Tieren diese Möglichkeit fehlt (vgl. dazu z. B. Bouissac 1993, Schaff 1973: 159).



39Die Fähigkeit des Menschen,

Symbole

 generieren zu können, ist eng mit seiner Sprachfähigkeit verbunden (Griese 1976: 28 f., Lindesmith/Strauss 1974: 59 f.) und diese Sprachfähigkeit wiederum setzt die mit dem

begrifflichen Denken

 verbundene Fähigkeit zur Abstraktion voraus. Die Gattung „Homo sapiens“ gilt als die einzige Spezies, die diese Fähigkeit im Laufe einer Millionen Jahre dauernden Evolution entwickeln konnte. – Im

Kap. 4

 wird auf den Stellenwert dieser Fähigkeit im Verlauf der Anthropogenese näher eingegangen.

 



40Treinen hat das Symbolphänomen am Beispiel der Bedeutung von Ortsnamen untersucht und dabei nachgewiesen, dass sie „für verschiedene Kategorien und Gruppen von Menschen verschiedene Bedeutung haben“ (Treinen 1965: 81).



41Auch ein Vorname symbolisiert Verschiedenes: Profile auf Online-Dating-Plattformen von Personen mit als unvorteilhaft eingestuften Vornamen werden z. B. deutlich seltener besucht (Gebauer et al. 2011). Außerdem wurde (anhand historischer bzw. kultursoziologischer Analysen) gezeigt, dass Vornamen politische Entwicklungen sowie die Bedeutung von Religion und Kirche in sich tragen (Gerhards 2003).



42Da die posthum veröffentlichten Vorlesungen von G.H. Mead (1968) einer gewissen Unsystematik nicht entbehren, sei als Ergänzung auf die übersichtliche Darstellung des Ansatzes bei Blumer 2015 verwiesen. Siehe auch: Bude/Dellwing 2013, Helle 1977, Richter 2016: 169 ff., Rose 1967. Auf den Symbolischen Interaktionismus wird im vorl. Buch auch noch weiter unten (insb.

Kap. 4.2.3

 und

8.3.2.1

) eingegangen.



43Erwähnenswert scheint in diesem Zusammenhang die Unterscheidung von „Ding“ und „Gegenstand“: Nach Plessner (zit. n. Zdarzil 1978: 43) nimmt das Tier nur „Dinge“ wahr, der Mensch dagegen erkennt „Gegenstände“, d. h. er ist in der Lage, die Brauchbarkeit, den Stellenwert u. ä. – eben: die Bedeutung der „Dinge“ gedanklich zu fassen.



44An dieser Stelle ahnen wir erstmals, wie komplex Verständigungsprozesse ablaufen und dass man den (vermeintlichen)

Idealzustand

 der völligen Deckungsgleichheit von Bedeutungsvorräten wohl nur annäherungsweise erreichen und daher niemals voraussetzen kann (vgl. auch Burkart 2013a).



45Eine tiefgehende Auseinandersetzung mit Reziprozität aus soziologischer Perspektive hat Stegbauer (2011) vorgelegt.



46Man kann ja zum Kommunikations

erfolg

 – wie bereits weiter oben (

Kap. 2.3

) erwähnt – auch das Eintreten der beabsichtigten Wirkung zählen, die aus einer angemessen verstandenen Mitteilung resultiert.



47Zum systemtheoretischen Denken in der Kommunikationswissenschaft vgl. stellvertretend und einführend Saxer (2015).



48Als Beispiel für einen typischen Regelkreis (mit Feedbackschleife) wird gern auf den Thermostaten als Wärmeregler in einem Heizungssystem verwiesen (vgl. z. B. Merten 1999: 87).



49Neben dieser

gegenseitigen

 und

einseitigen

 Kommunikation unterscheidet Maletzke (1963: ebd.) auch noch zwischen

direkter

 (= die Partner·innen begegnen einander leibhaftig von Angesicht zu Angesicht),

indirekter

 (= die Partner·innen sind räumlich oder zeitlich oder raum-zeitlich voneinander getrennt),

privater

 (= der·die Aussagende richtet sich an eine begrenzte Anzahl von eindeutig definierten Personen) und

öffentlicher

 Kommunikation (= der Empfänger·innenkreis ist weder eng begrenzt noch klar definiert). – Auf diese Differenzierung sowie auf Kombinationsmöglichkeiten zwischen diesen Merkmalen wird noch weiter unten (

Kap. 5

) im Rahmen der Auseinandersetzung mit Massenkommunikation näher eingegangen.



50Luhmann (1970: 121 ff.) unterscheidet außerdem Reflexivität in sachlicher (Kommunikation über Kommunikation) und in zeitlicher (Feedback – die Folgen von Kommunikation wirken auf ebendiese zurück) Hinsicht (vgl. auch Merten 1977: 86 ff. sowie 1999: 107 ff.).









3Das Kommunikationsmedium Sprache







Zwischenmenschliche Kommunikation ist in der Regel sprachliche Kommunikation. Üblicherweise sind es Wörter, die wir zur Bedeutungsvermittlung heranziehen, obwohl Kommunikation freilich keineswegs nur verbaler Natur ist. Allein der weite Bereich an Ausdrucksmöglichkeiten (wie Mimik, Gestik, Körperhaltung, Kleidung u. Ä.) verweist bereits auf die Existenz einer nonverbalen oder „extralinguistischen“ Dimension

1

 menschlicher Kommunikation. Es überrascht daher nicht, dass „alle sprachliche Kommunikation an nichtsprachliche Kommunikation gebunden ist“ (Merten 1977: 133).



Wenn in der Folge dennoch die verbale Kommunikation im Mittelpunkt steht, so deshalb, weil Sprache „als das für den Menschen allein typische und bei weitem am höchsten entwickelte Kommunikationsmittel“ (Griese 1976: 28) angesehen werden kann. Der Mensch gilt außerdem als die einzige Spezies, die im Laufe der Evolution die Fähigkeit zu verbaler Kommunikation entwickelt hat (vgl. Soritsch 1975, Bouissac 1993). Man sollte deshalb auch nicht oder nur metaphorisch von „Tiersprache“ reden (Kainz 1961: 20 f.), denn der animalischen Kommunikation fehlt die Bezeichnungsleistung: „Die Lautäußerungen der Tiere sind keine nennenden und darstellenden Zeichen, sondern Ausdruckslaute“ (Kainz 1943: 215). So können z. B. Bienen zuverlässig „informieren über das ‚dass’, das ‚wieviel’ und das ‚wo’ (in Bezug auf Entfernung und Richtung), nicht hingegen über das ‚was’. Hier versagt die motorische Symbolik und muss den Stoffproben Platz machen“ (Kainz 1961: 21). Wir Menschen können dagegen mit sprachlichen Symbolen nicht nur Bedeutungen, sondern auch Bezeichnungen vermitteln (vgl. Schaff 1968a: 26 ff., Tomasello 2011: 112 ff.). Ohne diese Bezeichnungsleistung könnten wir uns „nur auf Gegenstände beziehen, die im Augenblick der Mitteilung im Wahrnehmungsraum von Sprecher und Hörer konkret anwesend sind“, jede Mitteilung „wäre gebunden an das Hier und Jetzt; die Dimensionen der Vergangenheit und der Zukunft wären ausgeschlossen“ (Pelz 2013: 18).



Was schließlich den Entwicklungsstand der uns Menschen zur Verfügung stehenden Kommunikationsmittel betrifft, so ist Sprache nicht nur die phylogenetisch jüngere Stufe

2

, sie erweist sich außerdem „allen anderen Medien der Kommunikation gegenüber unendlich überlegen“ (Döhn 1979: 206). Diese Überlegenheit kommt u. a. darin zum Ausdruck, dass sie uns ermöglicht, „aus einer begrenzten Anzahl von Lauten eine praktisch unbegrenzte Anzahl von Sätzen hervorzubringen“ (ebd.). Erst dadurch können wir „verschiedenartige Informationen übermitteln und miteinander verknüpfen“ (ebd.).



Das Interesse an Sprache konzentriert sich im vorliegenden Kapitel auf ihre kommunikative Leistung. Es geht also weniger um Sprache „an sich“, sondern um die Sprachlichkeit menschlicher Kommunikation. In ihrer Eigenschaft als

Medium symbolisch vermittelter Interaktion

 kann Sprache als eine Instanz gesehen werden, mit deren Hilfe wir Inhalte (Gegenstände, Gedanken, Ideen, Gefühle etc.) anderen Menschen zugänglich machen können. Diese „dialogische Funktion“ (Kainz 1954: 172) gilt als die Hauptfunktion der Sprache.

3

 Damit steht Sprache als ein Instrument zur zwischenmenschlichen Verständigung im Mittelpunkt. Es gilt daher zunächst klarzustellen, wie sich Verständigung über den Weg sprachlicher Kommunikation überhaupt vollzieht.







3.1 Sprachliche Verständigung







Verständigung liegt (wie im

Kap. 2

 ausführlich diskutiert wurde) dann vor, wenn die Kommunikationspartner im Rahmen ihrer kommunikativen Interaktionen die zu vermittelnden Bedeutungen (wenigstens annäherungsweise) „miteinander teilen“. Mit Blick auf Sprache bzw. die sprachlichen Zeichen bedarf dieses Verständigungsereignis allerdings einer Präzisierung mit Hilfe der

Semiotik

4

, der Lehre von den sprachlichen Zeichen.



Im Anschluss an Charles S. Peirce

(1839–1914)

 kann man mit Morris (1938) bei sprachlichen Zeichen folgende drei Dimensionen unterscheiden:








Abb. 8:

 Dimensionen sprachlicher Zeichen (eigene Darstellung)



Die

semantische

 Dimension meint die Beziehung zwischen den sprachlichen Zeichen und den außersprachlichen „Gegenständen“ (Personen, Dingen, Zuständen, Ereignissen, Ideen etc.), auf die sie verweisen, die sie „bezeichnen“ sollen. Die

Semantik

 untersucht demgemäß die

Bedeutung

 sprachlicher Zeichen und Zeichenfolgen (vgl. Pelz 2013: 181 ff.). Die

syntaktische

 Dimension meint die Beziehung der Zeichen untereinander. Der Untersuchungsgegenstand der

Syntaktik

 sind die grammatikalischen Regeln, nach denen sprachliche Zeichen miteinander verknüpft werden können (vgl. Pelz 2013: 147 ff.). Die

pragmatische

 Dimension schließlich meint die Beziehung zwischen den Zeichen und ihren Benützern. Die

Pragmatik

 als „Lehre von der Zeichenverwendung“ (Schlieben-Lange 1975a: 10) fragt nach der Art und Weise des Gebrauchs sprachlicher Zeichen und Zeichenfolgen; sie untersucht, was mit sprachlichen Zeichen(-Kombinationen) „gemacht“ wird, wozu sie benützt werden.



Sprache ist ohne Sprachbenützer nicht denkbar. Sätze – also nach bestimmten syntaktischen Regeln kombinierte, bedeutungsvolle sprachliche Zeichen – gewinnen erst dann (sinnlich wahrnehmbare) Realität und können daher erst dann eine kommunikative (Mitteilungs-)Funktion erfüllen, wenn sie zu Äußerungen eines Sprechers werden. Diese Tatsache macht die Bedeutung der

pragmatischen

 Dimension sprachlicher Zeichen für sprachliche Kommunikationsprozesse erkennbar: Gesprochene (und natürlich auch geschriebene oder in irgendeine andere Form transponierte) Sprache ist stets eine zu irgendetwas „benützte“ Sprache. Diese Einsicht geht auf den englischen Sprachphilosophen John Langshaw Austin zurück, der als einer der ersten die Frage stellte, was wir mit Worten eigentlich

tun.

5

 Austin erkannte, dass die Bedeutung einer sprachlichen Äußerung nicht schon allein dadurch feststellbar ist, „dass man die ‚Bedeutung’ der einzelnen Wörter ermittelt und sie zu einer Gesamtbedeutung der Wörter addiert“ (Hennig/Huth 1975: 114).



Diese Tatsache kann man sich an einer ganz alltäglichen Äußerung vergegenwärtigen: „Betrachten wir also Franz, der zu Fritz sagt:

Morgen komme ich.

 Wie gebraucht er seine Äußerung? Was tut er damit, dass er den Satz äußert? Erstens, und das ist schon einmal wichtig, äußert er einen deutschen Satz, der sprachlich bedeutungsvoll ist und den jeder versteht, der nicht weiß, wann er geäußert wird, und nicht weiß, wer ihn äußert, und der vor allem nicht weiß, wozu der Sprecher ihn äußert, wie er ihn gebraucht. Ja mehr als das: Auch wer den Sachverhalt, um den es geht, genau kennt, wer z. B. weiß, dass Franz den Satz äußert, und zwar am Donnerstag, so dass es um den Sachverhalt geht, dass Franz am Freitag kommt, weiß noch nicht, was er mit der Äußerung tut. Franz kann mit der Äußerung ganz verschiedene Dinge tun: Er kann Fritz mitteilen, dass er morgen kommen werde. Er kann Fritz versprechen zu kommen. Er kann Fritz warnen oder drohen, indem er das sagt. Und so weiter. All das ist noch in keiner Weise bestimmt, wenn die sprachliche und inhaltliche Bedeutung der Äußerung schon längst festliegt“ (Savigny 1972: 8).



Die Bedeutung einer Äußerung wird also erst dann erkennbar, wenn man weiß,

was

 der Sprecher mit den sprachlichen Zeichen eigentlich

beabsichtigt,

 was er mit ihnen

tut,

 d. h.,

wozu

 er die geäußerten Worte benützen will. Die von Austin (1972) begründete

Sprechakttheorie

 basiert auf eben dieser Erkenntnis. Sie geht davon aus, dass das Sprechen einer Sprache eine Form des menschlichen Handelns darstellt.

6

 „Eine Sprache sprechen bedeutet, Sprechakte auszuführen – Akte, wie z. B. Behauptungen aufzustellen, Befehle zu erteilen, Fragen stellen, Versprechungen machen usw. Sprechakte sind die grundlegenden oder kleinsten Einheiten der sprachlichen Kommunikation“ (Searle 1971: 30).



Die Konsequenzen des bisher Gesagten für den hier zur Diskussion stehenden Verständigungsbegriff liegen auf der Hand: Das Verstehen einer sprachlich vermittelten Aussage, also das Erkennen dessen, was mit einer sprachlichen Äußerung tatsächlich gemeint ist, hängt sowohl vom Erkennen des Bedeutungsgehaltes der sprachlichen Zeichen(-folge) als auch von einer kommunikator·innengerechten Interpretation der gesetzten Sprechakte ab.

 



Verständigung

 zwischen zwei Gesprächspartner·innen setzt somit nicht nur eine Übereinstimmung von Sprecher·in und Hörer·in in Bezug auf den semantischen Gehalt sowie die syntaktischen Kombinationsmöglichkeiten sprachlicher Zeichen voraus; Verständigung erfordert auch eine Einigung über den pragmatischen Verwendungssinn der jeweils geäußerten Zeichenkombinationen. Eine Verständigung zwischen Sprecher·in und Hörer·in erfordert also eine Begegnung auf zwei „Ebenen“ der Kommunikation (Habermas 1971: 105):



•auf einer

Ebene der Gegenstände

7

,

über

 die man sich verständigt. Hier wird Verständigung über den mitzuteilenden Sachverhalt herbeigeführt,



•auf einer

Ebene der Intersubjektivität,

 auf der die Sprecher·innen/Hörer·innen

miteinander

 sprechen. Hier wird Verständigung über den Typus des gesetzten Sprechaktes hergestellt.



Nur wenn

beide

 Kommunikationspartner·innen im Moment der Kommunikation in

gleicher

 Weise

beide

 Ebenen betreten, kommt Verständigung zustande.



Zur Verdeutlichung diene die Äußerung: „Ich verspreche dir, dass ich morgen komme.“ Analysiert man diese Äußerung im Hinblick auf die beiden soeben eingeführten Ebenen der Kommunikation, so gelangt man zu folgendem Ergebnis: Mit dem Satzteil „Ich verspreche dir, dass …“ wird die

intersubjektive Ebene

 betreten. Sprecher und Hörer stellen wechselseitig Klarheit darüber her, wie sie miteinander sprechen; d. h., sie einigen sich über den Typus des gesetzten Sprechaktes (hier: ein Versprechen) und damit über den pragmatischen Verwendungssinn der Äußerung. Im Fall von Verständigung besteht also Klarheit darüber,

was

 der·die Sprecher·in mit den noch folgenden Worten tut,

wozu

 er·sie die Worte benützt. Mit dem Satzteil „… ich morgen komme“ wird die

gegenständliche Ebene

 betreten. Sprecher·in und Hörer·in stellen wechselseitig Klarheit über den mitzuteilenden Sachverhalt (hier: das Eintreffen des·der Sprecher·in am darauffolgenden Tag) her.



Die eben analysierte Äußerung war allerdings ein Beispiel für einen explizit verbalisierten Sprechakt. Das, was der·die Sprecher·in mit seiner·ihrer eigentlichen Aussage (= der Ankündigung seines morgigen Kommens) tut (nämlich: ein Versprechen geben), war ausdrücklich in Worte gekleidet („Ich verspreche dir, dass …“) und damit manifester Bestandteil der Äußerung. Tatsächlich sind solche Äußerungen aber eher die Ausnahme als die Regel. Es liegt nämlich in der eigentümlichen „Doppelstruktur umgangssprachlicher Kommunikation“ (Habermas ebd.), dass der eigentliche Sprechakt in der Regel nur impliziter Bestandteil der sprachlichen Äußerung ist, d. h. jener Satzteil, der den Hinweis auf den pragmatischen Verwendungssinn der sprachlich vermittelten Aussage enthält, wird gar nicht explizit formuliert. Völlig zu Recht weist Habermas darauf hin, dass diejenigen Bestandteile des Satzes, die den pragmatischen Verwendungssinn der Aussage deklarieren, selbst dann, wenn sie nicht ausdrücklich verbalisiert werden, im Sprechvorgang stets impliziert sind und daher in der Tiefenstruktur eines

jeden

 Satzes auftreten müssen (ebd.: 104).



Die weiter oben zitierte Äußerung, in der Franz zu Fritz sagt: „Morgen komme ich“, wird in der alltäglichen Kommunikationspraxis also häufiger anzutreffen sein als Äußerungen wie „Ich verspreche dir, dass ich morgen komme“ oder „Ich warne dich, morgen komme ich“ oder „Ich gestehe dir, morgen komme ich“ u. Ä. Mit dieser Doppelstruktur umgangssprachlicher Kommunikation ist jedoch die Tatsache angesprochen, dass freilich auch solche Äußerungen wie „Morgen komme ich“, in denen nur die gegenständliche Ebene der Kommunikation sprachlich manifest wird, einen pragmatischen Verwendungssinn implizieren, d. h. Aussagen sind, mit denen der·die Sprecher·in etwas tut (sei es ein Versprechen geben, eine Warnung aussprechen, ein Geständnis ablegen usw.).



Die Schwierigkeit im Hinblick auf die herzustellende Verständigung besteht nun darin, dass der von dem·der Sprecher·in intendierte pragmatische Verwendungssinn einer Botschaft von dem·der Hörer·in auch dann erkannt werden muss, wenn dieser Sinn nicht in expliziter Form Bestandteil der jeweiligen sprachlichen Äußerung ist.



In der alltäglichen Kommunikationspraxis erfolgt diese Interpretationsleistung zumeist über den Kontext, in den eine Äußerung eingebettet ist. Kommunikative Handlungen bzw. sprachliche Äußerungen dürfen ja nicht als isolierte Geschehnisse betrachtet werden, sondern sind in der Regel Bestandteile konkreter sozialer Prozesse, in denen Menschen zueinander in Beziehung treten. Hier setzt Watzlawick (et al. 1969) mit der von ihm eingeführten Unterscheidung eines „Inhalts-“ und „Beziehungsaspektes“ von Kommunikation (ebd.: 53 f.) an und stellt damit eine Lösungsmöglichkeit der vorliegenden Problematik bereit. Man kann in dieser Trennung eine Parallele zu den oben genannten kommunikativen Ebenen sehen. In analoger Weise unterscheidet Watzlawick das,

was

 eine Mitteilung enthält, von dem Hinweis darauf,

wie

 ihr·e Sender·in sie von den Empfänger·innen verstanden haben will: „Der Inhaltsaspekt vermittelt die ‚Daten’, der Beziehungsaspekt weist an, wie diese Daten aufzufassen sind“ (Watzlawick et al. ebd.: 55). Wie diese Daten nun tatsächlich aufgefasst werden, das hängt nach Watzlawick davon ab, „wie der Sender die Beziehung zwischen sich und dem Empfänger sieht“ (ebd.: 53).



Zur Erläuterung wieder das Beispiel, in dem Franz zu Fritz sagt: „Morgen komme ich.“ Im vorliegenden Zusammenhang soll daran einsehbar gemacht werden, dass der pragmatische Verwendungssinn dieser sprachlichen Äußerung von der Art der Beziehung zwischen Franz und Fritz abhängt:



–Angenommen, Franz und Fritz sind Freunde, die sich für den darauffolgenden Tag ein Rendezvous vereinbart haben, dann wird die Äußerung als ein Versprechen zu werten sein, den morgigen Termin auch einhalten zu wollen.



–Angenommen, Franz ist ein Steuerprüfer des Finanzamtes, der bei Fritz eine Betriebsprüfung durchführen soll. In diesem Fall kann die Äußerung eine Warnung sein, allfällige Dinge noch ins rechte Lot zu bringen.



–Angenommen, Franz ist Lehrer, der Fritz Nachhilfe gibt. Hier kann die Äußerung vielleicht als eine Aufforderung interpretiert werden, bis morgen noch die gestellten Übungsaufgaben zu erledigen.



Die Art der Beziehung stellt also in gewissem Sinn einen Rahmen für mögliche Sprechakte bereit. Von außen betrachtet, hat ja jede·r dieser Interaktionsteilnehmer·innen bereits eine bestimmte soziale Position, in der er·sie in Erscheinung tritt (Lehrer·in, Schüler·in, Steuerprüfer·in, Firmeninhaber·in, Freund·in usw.). Soziologisch gesprochen greifen in jeder Interaktion eigentlich soziale Positionen ineinander (vgl. Wunderlich 1976: 17): Es treten nicht „bloße“ Personen zueinander in Beziehung, sondern die Person (A) als Lehrer·in mit der Person (B) als Schüler·in, die Person (X) als Steuerprüfer·in mit der Person (Y) als Firmeninhaber·in usw. Von innen betrachtet bieten diese sozialen Positionen den Gesichtspunkt, von dem aus das Verhalten der jeweiligen Interaktionspartner·in gedeutet werden soll. Man kann sogar behaupten, dass dieser Gesichtspunkt, von dem aus man seine Interaktionspartner·in sieht, in gewisser Weise auch einen Rahmen für die

Inhalte

 potentieller Aussagen bereitstellt. Dieser Auffassung ist auch Watzlawick: „Jede Kommunikation hat einen Inhalts- und Beziehungsaspekt, derart,

dass letzterer den ersteren bestimmt …

“ (Watzlawick et al. 1969: 56, Hervorhebung im Original).



So wird man sich mit seinem·seiner Nachhilfelehrer·in eher über entsprechende Schulprobleme unterhalten als über das neueste Computerspiel; der·die Firmenchef·in wird mit dem·der Steuerprüfer·in eher Finanzfragen erörtern als familiäre Probleme … etc.







Zusammenfassung







Mit dem bisher Gesagten wurde einsehbar gemacht, dass zum Verstehen einer sprachlichen Äußerung nicht bloß das Entziffern bedeutungstragender sprachlicher Zeichen genügt, sondern dass sprachliche Kommunikation stets auf zwei Ebenen verläuft.



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