Atempause

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Diagnose COPD

Sobald ich über den Berg war, teilte mir der behandelnde Professor mit: „Sie haben eine COPD.“ Nun waren das für einen Laien wie mich zunächst nicht mehr als, tja, vier Buchstaben, die mir nicht allzu viel bis gar nichts sagten. Ich folgte den Worten des Arztes und versuchte zu verstehen: Ein Lungenemphysem, davon hatte ich schon einmal gehört. Überblähung der Lunge – was bitteschön sollte das sein? Und in letzter Konsequenz stehe dann, so sagte er, die COPD – die chronisch obstruktive Bronchitis. Das klang auch nicht wirklich bedrohlich. COPD habe zur Folge, fuhr er fort, dass man in dem Augenblick, in dem man die Atemnot zum ersten Mal bewusst verspüre, das Gefühl habe, nicht mehr durchatmen zu können. Genau wie bei mir! Man bekomme nicht mehr genügend Luft und alles, was man tue, selbst die geringste Anstrengung, führe sofort zur Atemlosigkeit.

Diese Diagnose, diese Erkenntnis bereitet einem alles andere als Freude. Ich suchte direkt den Ausweg und fragte den Professor: „Ja, verstanden. Das ist jetzt einfach so. Aber wie steht es mit der Behandlung der Krankheit? Und was kann man tun, damit sich dieser Zustand wieder verbessert, die Atemnot weggeht?“ Der darauf folgende Satz war ein Wendepunkt meines Lebens. Der ­Professor sah mir in die Augen und sagte: „COPD ist nicht heilbar.“ Dieser eine Satz „Das ist nicht heilbar“ ließ mich mehr als nur schlucken. „Das ist nicht heilbar“ klang in mir nach wie: Es kann nicht wahr sein, dass du jetzt etwas hast, was nicht mehr weggeht. Doch erst tags darauf traf mich diese Einsicht ziemlich massiv. So lange brauchte ich, um die Tragweite der Diagnose zu verstehen. Mit dieser Erkenntnis war ich in meinem Krankenhauszimmer erst einmal alleine. Ich musste mich an den Gedanken gewöhnen, eine trotz des fortgeschrittenen Stands der heutigen Wissenschaft nicht heilbare Krankheit zu haben.

Nach der Diagnose war da zunächst natürlich viel Verzweiflung. Für Silvia und mich brach eine Welt zusammen. In den ersten Tagen war ich bemüht, mich irgendwie mit dieser Krankheit zu arrangieren. In langen Gesprächen mit Silvia versuchte ich, die Diagnose COPD zu verarbeiten und für mich persönlich und in unser Leben einzuordnen. Wir führten noch im Krankenhaus lange Gespräche mit dem Arzt, wollten in erster Linie verstehen, was COPD eigentlich genau bedeutet. Doch wir konnten keine für uns erschöpfenden Antworten finden. COPD blieb abstrakt, eine wissenschaftliche Bezeichnung. Außer der soeben überstandenen Bedrohung hatte COPD noch keinen Bezug zu unserem Leben. Und mit dem Jenseits wollte ich mich, gerade erst aus der Intensivstation entlassen, in letzter Konsequenz schon gar nicht ernsthaft beschäftigen. Ich stellte mir diese Frage schlicht und einfach nicht. Ich versuchte, meine innere Ruhe zu finden, mich mit der Todesperspektive zwar abzufinden, aber sie nicht als greifbare Option anzunehmen.

Kurz nachdem ich die erschütternde Diagnose erhalten hatte, besuchte mich der Krankenhausgeistliche. Er wollte mich trösten und mir erklären, dass das Leben trotz und mit der Krankheit weitergehe. Ich erkannte in ihm einen alten Bekannten aus dem Rekreationsraum des Kapuzinerklosters, in dem ich mich schon viele Male aufgehalten hatte. Hier hatte ich mit den Mönchen lange und interessante Diskussionen zu Religion und Philosophie geführt. Ich verband angenehme Erinnerungen mit den Kapuzinermönchen, obwohl meine erste Begegnung mit ihnen nicht unter guten Vorzeichen gestanden hatte. Sie lag zwar schon weit zurück, weit vor meiner Krankheit, aber das Wiedersehen erfreute mich dennoch. Ich hatte die Kapuziner vor Jahren kennengelernt, als meine Tochter und mein Sohn noch klein waren und wegen einer heftigen Magen-Darm-Infektion im dortigen Krankenhaus lagen. Die Mönche hatten schon damals einfühlsam versucht, meiner Frau und mir Trost zu spenden. Denn vor allem Annalena ging es damals nicht so gut. Und schon damals konnte ich meine Gefühle besser mit mir selbst ausmachen. Auch diesmal versuchte ich wieder, alles mit mir selbst zu regeln. Der Krankenhausgeistliche hörte mir freundlich und geduldig zu, als ich ihm meine Einstellung, meine Sichtweise darlegte: Man müsse das einfach nur relativieren. Es gebe von jeder Krankheit, auch von COPD, eine Steigerung. Ich hätte doch genauso gut ein Lungenkarzinom haben können. Das hätte für mich das unmittelbare Todesurteil bedeutet. Ich sei nur chronisch krank. In mein Leben sei also durch COPD lediglich eine Krankheit getreten, die zwar im Moment, nach dem heutigen Stand der Medizin, nicht heilbar sei, die mich aber, wenn ich mein Leben umstellen und darauf ausrichten würde, nicht umbrächte. So jedenfalls hatte mir das der Professor erklärt. Und das hatte ich dankbar als positive Perspektive für mich angenommen.

Aus diesem Denkansatz heraus versuchte ich nun, mein ganzes Leben neu auszurichten und auf die Reihe zu bringen. Ich bemühte mich, alle Einschränkungen, alle Dinge, die mir im Zusammenhang mit meiner COPD unterkamen und bewusst wurden, positiv zu sehen und einzuordnen. Ich führte mir immer wieder vor Augen, dass es noch schlimmere Dinge gibt, die Menschen widerfahren können, als eine chronische Erkrankung, wie ich sie hatte. Mit dieser Bewertung gelingt es einem, mit einer Situation wie der meinen klarzukommen. Und so sagte ich das auch meiner Frau: „Silvia, wir dürfen das jetzt nicht so dramatisch sehen. Wir müssen vielmehr versuchen, mit der Situation zurechtzukommen, und uns bemühen, auch positive Aspekte zu sehen.“ Ich versuchte, das Ganze sogar mit Humor zu nehmen. „Wir werden in Zukunft viel Geld sparen, denn Rauchen werde ich sicher nicht mehr.“ Nach knapp einer Woche wurde ich mit relativ normalen Blutsauerstoffwerten aus dem Krankenhaus entlassen.

Wie bereits länger für die Sommerferien geplant, fuhren wir daraufhin erst einmal mit den Kindern nach Österreich in Urlaub. Mit den Bergen verbinden Silvia und mich durch zahlreiche gemeinsame Urlaubsaufenthalte bereits sehr viele angenehme Erinnerungen und wir freuten uns sehr darauf, Zeit für uns und die Kinder zu haben und Abstand zu gewinnen. Nach zwei Wochen kamen wir zurück.

Meinen ersten Auftritt nach diesem Vorfall hatte ich noch während unseres Urlaubs in Wiesbaden. Ich flog dafür extra von Innsbruck nach Frankfurt und retour. Das war spannend für mich. Wegen meines Krankenhausaufenthaltes mussten in dieser Woche nur eine Radiogala und ein Auftritt beim Fernsehgarten abgesagt werden. Mein Management begründete diese Absage mit einer heftigen Bronchitis und einer akuten Lungenentzündung.

Die Kunst des Versteckspiels

Während des Entlassungsgespräches gab mir der Professor noch Folgendes mit auf den Weg: „Sie müssen sich über eines im Klaren sein: Der gesundheitliche Zustand, in dem Sie eingeliefert wurden, kann jederzeit wieder eintreten. Sie sollten künftig unbedingt stark verrauchte Räume meiden, Sie dürfen selbstverständlich nie wieder in Ihrem Leben auch nur eine Zigarette rauchen und Sie müssen vor allem darauf achten, sich keine Infektionen einzufangen, die Ihre Lunge unnötig belasten.“

Mit diesen so einfach klingenden Hinweisen meines Professors verließ ich das Krankenhaus, richtete mein Leben möglichst unauffällig darauf aus und war fortan peinlich bemüht, meine Krankheit für mich zu behalten. Dass ich als verantwortungsbewusster Familienvater vom passionierten Raucher zum Nichtraucher wurde, war nachvollziehbar und verwunderte niemanden nachhaltig. Darüber hinaus verdonnerte ich jedes Familienmitglied in eindringlichen Gesprächen dazu, meine Erkrankung für sich zu behalten. Es sollte ja nicht herauskommen, dass ich COPD habe. Und niemand sollte denken, ich sei auch nur ansatzweise gesundheitlich angeschlagen und nicht mehr ganz der Alte.

Rückblickend war es jedoch alles andere als fair und dazu noch kurzsichtig von mir, meiner Frau und meinen Kindern diese Last des Stillschweigens aufzubürden. Sie sollten gemeinsam nach außen hin für mich lügen und weiterhin so tun, als sei alles unverändert und wie immer. Was die Krankheit wirklich bedeutet und wie einschneidend sie unser alltägliches Leben verändern würde, sollten uns allen erst die kommenden Tage, Wochen und Monate zeigen.

Mir war klar, dass die neue Zeitrechnung, die für mich, meine Frau und meine Familie mit der Diagnose angebrochen war, wie für jeden Menschen nicht auf die Ewigkeit ausgerichtet sein würde. Aber ich war fest entschlossen, jeden einzelnen Tag so lebenswert und bewusst wie möglich mit Leben zu erfüllen. Etwas bricht weg – und etwas Neues entsteht aus dem Nichts. Ich erkannte, dass es die einfachen Dinge des Lebens sind, die anderen, gesunden Menschen vielleicht komplett banal erscheinen mögen, die wirklich zählen. Für mich war es die Familie, meine Frau, die Kinder. Sie waren es, ihre Liebe, die mir das Leben retteten. Und natürlich die Musik. Wenn es nach einigen Publikationen der sogenannten Regenbogen- oder auch Boulevard­presse ginge, hätte ich zwar mein Verfallsdatum bereits mehrfach überschritten, aber ich werde meine geschenkte Zeit nutzen!

Doch bevor ich so weit war, hatte ich noch einen schweren Kampf auszufechten – den Kampf mit meiner inneren Stimme. „Warum tust du nicht, was du wirklich willst?“, fragte mein Gefühl. Und ich folgte der Verlockung, die Situation einfach zu negieren, sie aus meinem Leben zu verbannen, die Augen davor zu verschließen, um so weiter­zumachen, wie wir am Vorabend des 12. Juli 2000 eingeschlafen waren: gesund, erfolgreich, von einem lustigen Abend mit Freunden angenehm angeregt und berauscht und auch nach annähernd 30 Jahren auf der Bühne mehr denn je als Live-Künstler gefeiert.

Da ich wusste, dass ich sowieso niemals mehr vollständig gesund sein würde, zweifelte ich schon bald daran, ob es sinnvoll sei, mein Leben nach der neuen Situation auszurichten. Mein Stolz sagte mir, ich müsse weiterhin erfolgreich sein. Noch dazu stand mir meine eigene Bequemlichkeit im Weg. Ich wollte mich keinen Diskussionen stellen, wollte mich nicht wieder mit der Presse konfrontiert sehen, nachdem ich in dritter Ehe mit meiner Traumfrau Silvia und mit unseren zwei gemeinsamen, zauberhaften Kindern endlich angekommen war.

 

Aber schon bald machten erste Spekulationen über mich in den Medien die Runde. So sehr ich mich auch bemühte, ich konnte meine Atembeschwerden nicht vollständig überspielen. Mein Gesundheitszustand war von meiner Tagesform und zudem stark von den Bedingungen meines Umfelds abhängig. In Veranstaltungshallen und TV-Studios herrschen selten optimale Luftverhältnisse. Das provozierte bei mir Husten und erschwerte mir das Luftholen. Die Medien spekulierten wider besseren Wissens über Alkohol, Medikamente, Drogen, Zerwürfnisse in der Familie, Stress mit den Kindern, Ärger mit meiner Ex-Frau Anja und unserem Sohn Hendrik, der mit seiner Mutter auf Sylt lebt. Sie fanden auch ohne – oder gerade ohne – mein Zutun schlagzeilenträchtige Gründe für die kleinste Ausfallerscheinung, die vielleicht bei einem anderen Künstler, der ein weniger bewegtes Leben als ich gelebt hatte, überhaupt keine Aufmerksamkeit erregt hätte. Immer wieder reflektierten die Medien ungefragt über mein Leben und das meiner Familie – mit Vorliebe leider mit einem deutlichen Hang zur negativen Sensation. Das machte es nicht gerade einfacher, mich der neuen Herausforderung in meinem Leben zu stellen.

Die Diagnose COPD ging ans Eingemachte, an die Substanz. Für mich als Sänger ging es – so sah ich es damals – um alles oder nichts. Ich dachte wirklich, alles werde wieder gut, wenn ich nur entschlossen genug die Nase in den Wind hielte und Haltung bewahrte. Dann sähe man schon früh genug, wohin die Reise ginge. Ich belog mich jeden Tag selbst.

In einem Magazin hatte ich einen Artikel über Möwen, sogenannte Sturmtaucher, gelesen. Diese Möwenart hat die Lufthoheit auf Neuseeland. Menschen und Möwen seien sich in einer Hinsicht sehr ähnlich, hieß es in diesem Beitrag: Mutig machten sie das Beste selbst aus den widrigsten Lebensbedingungen. Ich fasste denselben Entschluss: Ich würde mich nicht unterkriegen lassen! Wenn ich die Krankheit nicht beachtete, dann wäre sie auch nicht existent, redete ich mir ein.

Was immer ich tat, ich begann, mir selbst einzureden und vorzulügen, dass alles in bester Ordnung sei. Auch bei mir zu Hause im alltäglichen Leben. Wenn ich zum Beispiel eines unserer Kinder in die obere Etage trug, gab ich die dabei aufkommende Atemnot anderen gegenüber nicht zu. Wenn ich schwere Sachen trug, Koffer, Getränke­kisten et cetera, gestand ich meine Atemnot nicht ein. Und so gab ich alle Dinge, die mir natürlich im täglichen Leben schwerer fielen, nach außen hin einfach nicht zu und glaubte, die anderen merkten das nicht. Ich war doch schließlich ein ganzer Kerl!

Dieses im Rückblick unvernünftige Verhalten und die Weigerung, mein Leben und Verhalten auf mein unerwünschtes Handicap COPD auszurichten, hatte natürlich zur Folge, dass sich meine Konstitution im Laufe der kommenden Monate und Jahre schleichend eher verschlechterte als stabilisierte. Durch meine Unvernunft, Schwächen nicht zuzugeben, übertrieb ich es wissentlich an allen Ecken und Enden. Ich war zwischenzeitlich tatsächlich der festen Überzeugung, dass die Krankheit in meinem Leben auch nicht stattfände, wenn ich nur fest genug daran glaubte.

Beruflich hatte ich für mich dieselbe Konsequenz gezogen wie im Privatleben. Ich nahm meine Auftritte wahr und versuchte dabei, so normal wie möglich zu wirken – auch für meinen Manager und die Mitglieder meiner Band. Ich dachte ernsthaft, keiner bemerke meine gesundheitliche Beeinträchtigung. Das war natürlich ein ganz fataler Irrtum. Selbstverständlich konnte ich den Anschein nicht über die Jahre aufrechterhalten, vor allem nicht den Menschen und Freunden gegenüber, die mich schon seit so vielen Jahren begleiten und mir nahe stehen. Doch ich beharrte stur darauf, alles sei in bester Ordnung, und wurde zuweilen auch recht harsch und ungehalten, wenn man das Gespräch suchte und Hilfe anbot. Denn Freunde, Band und Management ließen nicht locker, fragten immer wieder besorgt und freundschaftlich nach. Ich empfand das damals als unerwünschte Einmischung in mein Privatleben. Dabei wollten sie mir lediglich Brücken bauen und die Hand reichen. Alle und alles schoss ich in den Wind. Ich wurde ungerecht, um mich nicht der Wahrheit und den für mich unüberschaubaren Konsequenzen stellen zu müssen, die sich ja zwangsläufig daraus ergeben würden. Ich konnte und wollte mir das Szenario nicht vorstellen, das sich ergeben würde, falls meine Erkrankung öffentlich würde. Meine Erfahrungen mit den Medien waren ja auch aus vielen Jahren in der Öffentlichkeit – durch meine Scheidungen und mein Leben, das man durchaus in vielerlei Hinsicht als in vollen Zügen gelebt bezeichnen kann – nicht gerade von Vertrauen und gegenseitiger Freundschaft geprägt .

Und die Medien trugen auch bis auf wenige Ausnahmen ihr Übriges dazu bei, dass sich die Situation verschärfte und nicht entspannte. Die Tagespresse in und um Dresden beteiligte sich dankenswerterweise nicht an den Spekulationen und feierte mich von Jahr zu Jahr mehr. Bis auch dort im Jahr 2006 mein jährliches Kaiser-Mania-Konzert für mich zur Bedrohung wurde, weil ich im Publikum Journalisten vermutete, die nur darauf aus waren, Schwächen aufzudecken und anzuprangern.

Beruflicher Erfolg war für mich ja auch gleichbedeutend mit Dominanz. Ein Mann hatte stark zu sein. Ich will mal pauschal annehmen, dass das eine typische Eigenschaft von Männern ist, ein Selbstbild, ein Zerrbild. Ich nehme mich da keinesfalls aus, sondern möchte mich vielmehr als ein Musterexemplar dieser Gattung bezeichnen. Männer scheinen nicht zugeben zu können, dass sie eine Verletzlichkeit und Schwäche einholen kann, dass sich etwas in ihrem Leben zeigt, was sie ihre Vitalität kosten kann. Ganz besonders schlimm war dabei, dass ich immer wieder von meiner Frau verlangte, bloß nicht, bloß nicht darüber zu reden, dass ich ein nachhaltiges Handicap habe. Ich brachte sie damit in eine furchtbare Lage. Alle versuchten ja, mit ihr Kontakt zu bekommen und von ihr zu erfahren, was denn los sei. Mich sprach keiner an, man fragte sie und nicht mich. Und irgendwann konnte sie dem Druck nicht mehr standhalten, ewig so zu tun, als gäbe es nichts Erzählenswertes. So konstruierte ich eine Geschichte, ließ nach außen verlauten, meine Krankheit, die ich da erst seit Kurzem hatte, sei eine verschleppte Lungenentzündung, die nun auskuriert sei. Das war mein Lügenkonstrukt. Mit der Zeit veränderte ich mich bei meinen Bühnenauftritten und meinen Auftritten in Fernsehsendungen oder bei Autogrammstunden insofern, dass ich immer Sorge hatte, jemand könne meine Kurzatmigkeit bemerken. Und dieser psychische Druck verstärkte meine Kurzatmigkeit noch um einiges. Um nicht beobachtet zu werden, mied ich sogar die Nähe meiner Kollegen, zog mich in meine Garderobe und in Hotels zurück und ging so etwaigen Gesprächen und lästigen Fragen aus dem Weg. „Hallo Roland, wie geht’s?“, war für mich keine freundliche Begrüßungsfloskel mehr, sondern eine latente Bedrohung. Roland Kaiser sei aber ganz schön arrogant, hieß es, eigenartig, ein komischer Kauz. Dabei versuchte ich lediglich, unter allen Umständen meine Atemnot zu überspielen und den zunehmenden Hustenreiz zu unterdrücken.

Jeder, der schon einmal mit einer Erkältung in einem Konzert saß und sich dachte, jetzt darfst du aber auf keinen Fall husten, saß – von einem Hustenreiz nach dem anderen gequält – mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zwischen Menschen, die sich durch das Husten gestört fühlten. Mir ging es ähnlich.

Und das führte zu Irritationen in der Öffentlichkeit, dazu, dass meine Frau angesprochen wurde: „Was hat er denn? Was ist denn los? Trinkt er vielleicht oder hat er sonst irgendwas? Nimmt er was?“ Die Menschen spekulierten immer wilder, die Gerüchte kochten hoch und trieben die kuriosesten Blüten. Sie wurden zu einer ernsthaften Bedrohung für meine berufliche Karriere und belasteten mein Familien­leben auf eine nicht mehr zumutbare und intolerable Weise. Das durfte ich in dieser Form weder privat noch als Sänger weiterhin ignorieren.

Auswirkungen auf Familie und Partnerschaft

Vor allem meine Frau belasteten die nach Sensationen heischenden Titelzeilen so, dass sie sich allein mit dem Verstand nicht mehr dagegen wehren konnte. Sie war emotional so betroffen, dass sie immer weniger Freude daran hatte, vor die Tür zu gehen. Sie hatte gemütliche Stadtbummel und Besuche im Freundeskreis schon nahezu vollständig eingestellt. Und ich hatte das alles lange Zeit nicht bemerkt, so sehr war ich mit mir selbst beschäftigt gewesen! Alles hatte sich auf mich konzentriert. Zum Glück wurde mir das rechtzeitig bewusst. Sonst hätte diese Spirale unsere Beziehung vielleicht zu einem späteren Zeitpunkt unwiederbringlich aus dem Gleichgewicht geworfen. Indem ich den Blick nicht mehr nach innen richtete, auf mich und meine Atmung, die mein Leben dominierte, öffnete sich mein Blick für mein Umfeld. Das hatte sich komplett nach mir ausgerichtet. Ich war der Pol, um den sich das Familienleben drehte. Silvia klagte nicht, motivierte mich, gewann jeder Situation etwas Positives ab. Doch ich kenne sie gut genug, um zwischen den Zeilen zu lesen und ihre Blicke zu deuten, wenn sie sich unbeobachtet wähnte. Müdigkeit und Resignation lagen in ihren Zügen, wenn sie mit ihrer Schwester oder Freundinnen am Telefon plauderte, wenn draußen die Sonne schien und der Frühling zum Ausflug lockte. Doch wir blieben zu Hause, machten es uns im Garten gemütlich. Es fehlte uns an nichts – nur an der Freiheit zu gehen, wann und wohin wir beziehungsweise vor allem Silvia wollten. Aus Liebe und Sorge wich sie nicht von meiner Seite. Sie teilte alles mit mir – auch die zunehmende, selbst gewählte Isolation, in der ich mich vor neugierigen Blicken sicher fühlte.

Ich konnte und durfte durch meinen Beruf und die damit verbundenen Reisen ausbrechen. Meine Konzerte waren Fluch und Segen zugleich. Ich ging ja unter Menschen, wenn auch jedes Mal zunächst mit einem gewissen Widerwillen. Mein innerer Schweinehund war zuweilen schon recht hartnäckig. Und war der erste Schritt getan, hatte ich unglaublich viel Freude mit der Musik und tankte Energie durch den Enthusiasmus, mit dem das Publikum mich bei meinen Auftritten feierte. Das war Leben pur! Für Augenblicke gab ich mich im warmen Rauschen des tosenden Beifalls der Illusion hin, meine Krankheit abschütteln zu können. Tatsächlich atmete ich befreiter. Die Entspannung, die allgemeine Zustimmung streichelten mein Selbstbewusstsein und taten mir zudem spürbar rein körperlich gut. Doch während ich meine beruflich bedingten Auszeiten nahm, blieb Silvia zu Hause bei den Kindern, führte das Büro und hielt an der administrativen Front die Stellung.

Mir wurde klar, wie egoistisch ich ihre Liebe und Fürsorge angenommen, ja aufgesogen hatte. Ich hatte es für selbstverständlich genommen, dass Silvia aus falsch verstandener und von mir eingeforderter Liebe zu mir meine Lügen deckte. Zudem musste sie mit der Belastung alleine zurechtkommen, die diese Krankheit natürlich auch für sie bedeutete. Auch wenn bei uns zu Hause der Fernseher für ein gutes Gespräch oder Buch aus bleibt, hatten wir ein Thema zunehmend gemieden: die COPD. Silvia hatte über lange Zeit weder in mir, geschweige denn in einem Dritten einen Gesprächspartner. Denn ich wollte von der COPD überhaupt gar nichts mehr hören. Mit meiner Verweigerungshaltung der Wahrheit gegenüber überforderte ich sie schlicht.

Die unbestritten objektiven Messwerte meines mich seit meinem ersten Krankenhausaufenthalt behandelnden Professors hatte ich in dieser ersten Zeit des Versteckspiels und der Geheimniskrämerei ebenfalls ins Negative verkehrt. Dies, die Tatsache, dass sich meine Werte durch meine Ignoranz und den damit verbundenen körperlichen Raubbau schleichend verschlechterten, und meine Weigerung, meine Krankheit unter keinen Umständen zuzugeben, bildeten gemeinsam einen alles andere als fruchtbaren Nährboden dafür, optimal mit der Krankheit umzugehen. Was sollten denn andere Menschen für eine Chance haben, wenn ich mir selbst jede Grundlage entzog, das Beste aus den nun einmal unwiderruflichen Umständen zu machen? Ich hatte mich selbst in eine Situation manövriert, in der ich auf immer mehr Unverständnis und Ablehnung stieß.

Vor allem Fernsehaufzeichnungen waren mir ein Gräuel. Das unerbittliche Auge der Kamera, die gleißenden Scheinwerfer, die trockene, heiße Luft in den Studios stellten mich jedes Mal vor eine Herausforderung.

 

Sollte ich lange Wege gehen, schob ich meinen Manager und technischen Leiter Roger vor, ging mit Vorgaben an den Start, die bei den TV-Redaktionen auf Unverständnis stoßen mussten, weil sie ja über meinen Gesundheitszustand nicht Bescheid wussten. Roger setzte mich im wahrsten Wortsinn ins richtige Licht. Fotografen kamen erst gar nicht an mich heran, wenn er es irgendwie vermeiden konnte. Ich wusste damals noch nicht, dass er längst ahnte, was mit mir los war.

Während andere noch im Dunkeln tappten – waren das jetzt Starallüren, hob der Kaiser ab? – hatte er schon das Auffangnetz unter meinem Trapez gespannt. Mein Team tastete sich in vertrauensvollen Gesprächen an die Wahrheit heran, wartete auf ein offenes Wort von mir. Niemand drängte mich. Sie gaben mir Zeit. Danke für den ­Respekt und die Toleranz, mit der ihr mir begegnet seid und die mich über Jahre begleitete!

Wer nicht so vertraut mit mir war, sah hinter der Bühne, auf dem Weg zwischen Garderobe und Auftritt nur mein offensichtliches Verhalten: schroff, kurz angebunden, unnahbar, arrogant, selten ein Lächeln. Zum Glück hatte ich Erfolg und durfte mir bis zu einem gewissen Grad Extravaganzen erlauben. Zumal ich mit meinem Freund Roger und dem Promotionteam der Plattenfirma eine Crew an meiner Seite hatte, die für mich ein Umfeld schuf, in dem ich mich unbehelligt von Nachreden bewegen konnte.

Dabei machte ich mir das Leben doch nur selbst unnötig schwer. Wenn ich zum Beispiel bei einer Fernsehsendung zusagte, aber ­keinem offenbarte, dass mich lange Wege anstrengen und aus Angst vor Atemlosigkeit automatisch in Stress versetzen, dann konnte ich es dem Regisseur auch nicht verdenken, wenn er vorschlug: „Pass mal auf, folgende Idee: Du machst das und das, dann gehst du da hinüber und die Treppen hoch ins Publikum, kommst wieder runter und gehst anschließend durch die Halle zurück – und dann proben wir gleich den nächsten Titel.“ Was sollte er denn machen? Er wusste doch gar nicht, dass mich das überanstrengte. Hätte ich mich ihm offen anvertraut, dann hätte er es auch nicht von mir verlangt. Niemand würde einem blinden Sänger wie beispielsweise Andrea Bocelli ins Drehbuch schreiben, dass er in einer TV-Show durch die Halle wandeln oder die Treppe hochgehen muss (mit der vagen Anweisung: „Da hinten …“). Wenn ich den Regisseuren, TV-Redakteuren und Kameraleuten nicht sagte, dass mich das unverhältnismäßig mehr anstrengte als Kollegen, die besser bei Puste sind, dann konnte ich auch nicht erwarten, dass man Rücksicht nimmt. Das war mein größter Fehler: Es dauerte zu lange, bis ich erkannte, dass eine Schwäche nur dann eine Schwäche ist, wenn man sie nicht zugibt. Man kann aus vermeintlichen Schwächen Stärken machen, wenn man sich zu ihnen bekennt und die Energie ins Positive verkehrt. Und der absolut größte Fehler war, die Mitarbeiter des eigenen Teams darüber nicht zu informieren. In meinem Fall hieß das konkret, Roger nichts zu sagen, obwohl er nun wirklich der zuverlässigste und umsichtigste Begleiter ist, den ich mir nur an meiner Seite wünschen kann. Ich hätte ihm bloß einen Fingerzeig geben müssen, und er hätte die Situation maßgeblich entschärft, indem er etwa den Parkplatz so gewählt hätte, dass sich die Wege verkürzen, und alles von mir ferngehalten hätte, was mich gestresst hätte. Zeitnot wäre erst gar nicht aufgekommen, weil ich vermeintlich „trödelte“, lässig schlenderte, auf den letzten Drücker ankam. – Aber ich verbat mir jedes klärende Gespräch, und das ging auf Kosten meiner Gesundheit. Dabei tappte ich sehenden Auges und hoch erhobenen Hauptes in meine eigene Falle. Rückblickend bedauere ich, dass ich nicht die Größe und vor allem nicht den Mut besaß, diese – objektiv betrachtet – absoluten Kleinigkeiten anzusprechen. Stattdessen ging ich weite Wege. Der damit verbundene Stress und das fiktive Szenario, das sich in ­meiner Phantasie abspielte – nämlich plötzlich vor laufenden Kameras wirklich in größte Not zu geraten –, das war einer meiner größten Fehler überhaupt.