Atempause

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Ein Kaiser-Jahr

Ich arbeitete wie noch nie. Ich sprudelte über vor Ideen und Kreativität. Als Ausgleich für die zeitweilige körperliche Lethargie, in die meine angeschlagene Atmung mich privat zwang, stürzte ich mich beruflich von einer Aufgabe in die nächste. Wir nahmen ein Album auf. 2002 war ein Kaiser-Jahr. Ich feierte meinen 50. Geburtstag und zugleich annähernd 30 Jahre Bühnenjubiläum mit der Tournee „Alles auf Anfang“. Sie war nach der gleichnamigen Longplay-CD benannt. RPR zeichnete mich beim „Internationalen Schlagerpreis“ als „Sänger national“ aus, und ich bekam durch den damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder, den ich als überzeugter Sozialdemokrat im Wahlkampf unterstützt hatte, den „Beschäftigungs-Förderpreis des Solidarfonds Castrop-Rauxel“ verliehen.

„Alles auf Anfang“ hieß mein im Herbst 2001 veröffentlichtes Album – und treffender hätte für mich ein CD-Titel in diesem Jahr nicht sein können. Dieses Album stieg nur eine Woche nach Veröffentlichung in die Charts ein, und es schloss sich ein Fernsehmarathon an. Nicht weniger als zwei Dutzend TV-Gastspiele folgten in den ersten vier Wochen. Rund ein Jahr später, 2002 auf Tournee, suchte ich den Kontakt zu den Fans, meinem Publikum. Routine ist für mich ein Fremdwort. Der Album- und Tourneetitel war für mich auch eine Verpflichtung – und lenkte mich von meiner Krankheit ab. Ich wollte es wissen! Ich suchte und fand das Gänsehaut-Feeling auf den Konzertbühnen. Ich hatte mich mit dem täglichen Kampf arrangiert. Mein gesundheitlicher Zustand, die damit verbundenen Beschwerden wurden für mich zur Normalität. Und waren damit zu vernachlässigen. Eine Null unter dem Strich. Doch die Rechnung hatte ich ohne meine COPD gemacht. 2004 folgte die Tournee „Zeit für Gefühle“ mit Claudia Jung und Michelle. Sie führte uns in 29 Städte in Deutschland und Österreich.

In den Jahren 2002 bis 2004 mogelte ich mich, oder besser noch: kämpfte ich mich mit dem Handicap der COPD gesundheitlich durch und verhielt mich zunehmend fahr- und nachlässig. Mit den Monaten und Jahren gewöhnte ich mich bis zu einem gewissen Grad daran. Meine Frau und ich konnten und wollten uns wohl auch nicht (mehr) vorstellen, dass sich die Krankheit verschlechtern könnte.

Ich nahm zwar in regelmäßigen Abständen meine Termine für die Routineuntersuchung bei meinem mich behandelnden Professor wahr, aber eher aus Pflichtgefühl heraus als aus Überzeugung oder gar deshalb, weil ich die Notwendigkeit einsah. Ich hatte aufgehört zu rauchen, nahm meine Medikamente, hatte meine Atemtechnik trainiert und meine Atmung stabilisiert. Wir dachten, das bliebe jetzt so. Zwar nicht optimal, aber bis zu einem gewissen Grad optimiert und alltagstauglich nivelliert. Jeder hat kleine Schönheitsfehler, die er versteckt, – meiner war eben die COPD.

Nachdem wir im Herbst 2003 in das wunderschöne und idyllisch gelegene Fachwerkhaus eines denkmalgeschützten Bauernhausensembles in einem Stadtteil von Münster gezogen waren, fühlte ich mich immer matter. Meine zunehmende Erschöpfung schob ich jedoch weniger auf mein chronisches Lungenleiden als vielmehr auf den zurückliegenden Umzug und die Erkältungsinfekte, die die kalte Jahreszeit eben mit sich bringt. Für meinen Husten, der sich verschlimmert hatte, machte ich zudem das zwar liebevoll renovierte, aber dennoch unbestreitbar alte und – so vermutete ich – feuchte Haus verantwortlich, in dem wir neuerdings wohnten. Das würde sich mit dem Frühjahr und den steigenden Außentemperaturen schon wieder bessern. Um Ausreden und gute Gründe war ich noch immer nicht verlegen.

Ostern 2004 konfrontierte mich jedoch erneut so mit meiner COPD, dass ich notgedrungen eine Atempause einlegen musste.

Wir hatten auf dem Feld hinter dem Haus ein großes Osterfeuer aufgeschichtet und Freunde, Nachbarn und Verwandte dazu eingeladen. Doch anstatt mit Silvia von der Terrasse aus zum hoch aufgeschichteten und hell lodernden Feuer hinüberzugehen, hielt ich mich permanent in der Nähe des Hauses auf. Den ganzen Abend über rührte ich mich nicht vom Fleck, stützte mich auf einen Holzstapel auf und fand eine entspannte Körperhaltung, die mir das Atmen erleichterte. Wem auffiel, dass ich die Feier recht ruhig und zurückgezogen verfolgte, wurde von Silvia und mir mit der Erklärung zufriedengestellt, dass ich gesundheitlich angeschlagen sei: „Der Umzug, die viele Arbeit, der Winter, ihr wisst schon …“

Nach den Osterfeiertagen konnte ich mir nicht mehr selbst helfen. Also ging ich aus eigenem Antrieb erneut für eine knappe Woche ins Krankenhaus, um mich dort stationär besser einstellen zu lassen. Ich sagte zwei Termine ab sowie die Einladung zum 60. Geburtstag des damaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder.

Im Krankenhaus erhielt ich von meinem Professor nicht nur medikamentös, sondern auch psychologisch ein grundsätzliches „Update“, einen Crashkurs für ein zukünftig verantwortungsvolleres Verhalten und meinen alltäglichen Umgang mit meiner Krankheit.

Mein Leben sollte sich noch einmal drastisch verändern, nahm mir noch mehr Freiheit und Mobilität: Ich verabschiedete mich von unseren geliebten Familienurlauben in den Bergen und von bequemen Flugreisen. Höhe war nicht gut für mich, belastete unnötig meine Lunge und meine Atmung.

Sobald ich das Krankenhaus verlassen hatte, begann eine neue Zeitrechnung. Nach der Diagnose der COPD im Jahr 2000 hatte ich wie viele andere Patienten auch mit einer Hyperkompensation reagiert. Ich wollte auf Teufel komm raus meine Leistungsbereitschaft und -fähigkeit beweisen und bürdete mir Aufgaben auf, die ich als gesunder Mann niemals gemacht hätte. Statt beispielsweise einen Wasserkasten zu tragen, wie es normal wäre, schleppte ich zwei auf einmal.

Ich hatte zu viel Energie vergeudet, die ich weitaus sinnvoller hätte einsetzen können. Jetzt musste ich meine COPD möglichst schnell akzeptieren und mit der Krankheit und mir ins Reine kommen. Doch auch wenn ich mit meinen Kräften innerhalb der eigenen vier Wände fortan besser haushielt, war ich weiterhin bemüht, nach außen den Anschein der Normalität aufrechtzuerhalten. Ich begann, mich erstmals mit dem Gedanken anzufreunden, dass sich meine vermeintliche Schwäche in Stärke umkehren würde, sofern ich sie mir endlich eingestehen würde. Durch die Ruhe- und Atempausen, die ich mir nun selbst auferlegte, verlor meine Welt zwar an Dimensionen, gewann aber durchaus an Qualität. Meine Familie genoss die Zeit mit mir.

Ich versuchte also, meinem zweiten Lebensabschnitt gedanklich positive Aspekte abzugewinnen, doch ich musste auch der Realität ihren Tribut zollen: Aus Sicherheitsgründen musste ich dafür sorgen, dass mein Körper die ganze Nacht über und tagsüber zumindest für einige Stunden ausreichend Sauerstoff bekam, sodass meine Organe arbeiten und funktionieren konnten. Ohne diese Vorsorgemaßnahmen könnten durch eine mögliche Unterversorgung mit Sauerstoff unter Umständen später organische Folgeschäden auftreten. Vorsorge – das bedeutete für mich jedoch, auch auf Reisen ein Sauerstoffgerät mitzunehmen. Welche Herausforderung bei meiner berufsbedingten Reisetätigkeit und meiner Unfähigkeit, über meine Krankheit zu sprechen! Ich entwickelte eine wahre Meisterschaft darin, alles wunderbar zu kaschieren, zu verstecken und so zu gestalten, dass es keiner merkt.

Silvia und ich übten uns zunehmend „professionell“ in diesem Versteckspiel. Dennoch brodelte die Gerüchteküche immer stärker. Zugleich erhöhte sich der Druck auf meine Frau durch die Stimmungsmache und immer penetrantere Recherche einiger sogenannter Journalisten. Sie schreckten auch nicht davor zurück, im Sommer unangemeldet unser Wohnzimmer durch die Terrassentür zu betreten. Telefonklingeln kündigte keine Kontaktaufnahme von Freunden mehr an, sondern bedeutete in erster Linie Alarm. Wer war da wohl wieder in der Leitung? Silvia begann in immer kürzeren Abständen mit mir zu diskutieren: „Pass mal auf, diese ständigen Gerüchte und die Fragen der Leute, ich mach das nicht mehr mit. Du kannst es mir und auch den Kindern nicht mehr länger zumuten, ständig für dich zu lügen.“

Dicke Luft

Irgendwann schwand Rogers Bereitschaft, ständig stillzuhalten und alles hinzunehmen. Er wurde zunächst hellhörig, dann misstrauisch. Sollte ich wirklich so wenig Vertrauen in ihn haben? Als mein langjähriger Freund und eingeschworener Mitarbeiter suchte er interessiert und geduldig immer wieder das Gespräch. Doch ich blockte stets ab und wechselte das Thema.

Irgendwann gab es erneut lange Diskussionen zwischen meiner Frau und mir. Sie sagte: „Die Leute munkeln, du würdest zu viel Alkohol trinken oder Drogen nehmen. Es ist schlimm, was da alles kursiert. Du musst den Gerüchten ein Ende setzen, bevor sie dein Ansehen völlig zerstören. Lass uns überlegen, ob wir deine Krankheit nicht lieber doch öffentlich machen.“

So hatte beispielsweise eine bundesweit erscheinende Boulevardzeitung getitelt: „Suff?“ Ich soll auf der Bühne gelallt und gepöbelt haben. Mein Rechtsanwalt erklärte dazu:

„Herr Kaiser war nicht betrunken und hat auch nicht gepöbelt! Er hat vor dem Auftritt lediglich ein Glas Wein genossen – unter Zeugen. Richtig ist aber, dass Herr Kaiser an diesem Abend geschwächt war, weil er die Windpocken hatte. Einen Tag zuvor lag er sogar noch im Krankenhaus. Möglicherweise stand er beim Auftritt noch unter Einwirkung von Medikamenten.“ Den Auftritt habe er sich nur aus Pflichtbewusstsein angetan.

Ich wollte meinen Zustand nicht wahrhaben, wollte ihn kaschieren und ihn schon gar nicht nach außen hin zugeben. Das war ein Fehler.

Doch der mediale Druck wurde schließlich so groß, dass wir nach vielen Monaten der Diskussion doch den Entschluss fassten, die Krankheit nach außen zu tragen – allein um merkwürdigen Fehlinterpretationen vorzubeugen.

 

Ich wollte nicht, dass man sich erzählte, ich hätte zu viel getrunken oder so einen Quatsch, nur weil ich mich anders verhalte als früher. Und um den Leuten zu sagen: „Hört mal zu, da ist etwas, womit ich jetzt nicht mehr hinter dem Berg halte und zu dem ich mich bekenne.“ Ich gebe ehrlich zu, ich machte mir große Sorgen, dass jetzt vielleicht meine Konzerthallen leer blieben. Ich befürchtete insgeheim, die Leute könnten sagen: „Damit will ich nichts zu tun haben, das ist doch kein Spaß. Stress hab ich genug zu Hause, von Krankheit will ich nichts hören.“ Und da war auch die Angst, dass mein öffentliches Bild des Pop-Erotomanen und Frauentyps zusammenbrechen könnte.

Auf der anderen Seite argumentierte meine Frau mit sehr viel Nachdruck und zeigte eine positive Perspektive auf: „Deine Zukunfts- und Karrierechancen sind größer, wenn die Menschen verstehen, dass du krank bist. Und allemal besser, weil sie dann verstehen, dass du dich nicht willentlich und fahrlässig körperlich ruinierst. Denn davon müssen sie ausgehen, solange du ihnen nicht sagst, was dir wirklich fehlt.“ Ich möchte an dieser Stelle auch ausdrücklich Dagmar Ambach erwähnen, meine mich mittlerweile seit vielen Jahren begleitende Pressepartnerin, die hier letztendlich mit den gleichen Argumenten wie meine Frau nachdrücklich dazu riet, mit den Tatsachen an die Öffentlichkeit zu gehen. Doch ich war noch nicht bereit für diesen Schritt.

Soziale Kontakte zu pflegen fiel Silvia und mir trotz bester Vorsätze immer schwerer. Unsere Verabredungen und Wege konzentrierten sich auf Schule, Einkaufen, wenige Freunde und meine Auftritte. Für uns waren die Krankheit und die damit verbundene Aufmerksamkeit – sicher noch potenziert durch meine Prominenz – eine ganz besondere Situation.

Nicht nur ich mied das Thema COPD, auch Silvia wollte nicht mehr darauf angesprochen werden. Um jede Konfrontation mit dem Thema zu vermeiden, igelten wir uns zunehmend ein und zogen uns in unsere Privatsphäre zurück. Wir reduzierten auch unsere Freizeitgestaltung immer stärker, wurden in unseren Unternehmungen zunehmend inaktiver – und selektierten weiter unseren Freundeskreis.

Die Fragen, oder besser gesagt, die Nachfragen zu meinem Gesundheitszustand wurden im Laufe der Monate und Jahre immer fordernder und nachdrücklicher. Die Menschen wollten immer genauer wissen, was denn nun mit mir los sei.

Ich sah ja bei TV-Auftritten auch wirklich nicht gerade blendend aus. Also sagte ich auch Fernsehanfragen ab, soweit das gegenüber meiner Plattenfirma und dem Produzenten vertretbar war. Dabei musste ich mir nach wie vor an die eigene Nase fassen: Wie sollte ein Regisseur wissen, dass ich in einer Halle nicht einfach von A nach B rennen konnte, wenn ich danach beim Singen noch einen entspannten Eindruck machen sollte? Dass die Öffentlichkeit mich aufgrund meiner Verschlossenheit nicht immer in Bestform erlebte, war natürlich auch in großem Maße meine Schuld.

Nachdem meiner Familie und meinem Umfeld keine neuen Informationen mehr zu entlocken waren, begann man, bei meinen Partnern nachzufragen: bei meinem Konzertveranstalter und bei meinem Partner Roger Ulbrich. Doch der wusste auch nicht, was er sagen sollte, weil er ja selbst nichts wusste. Es war für sie alle eine äußerst undankbare und schwierige Situation, die eigentlich gar nicht zu meistern war.

Unter der psychischen Belastung fiel nicht nur mir das Atmen zunehmend schwerer, sondern auch meine Frau zu Hause wurde immer depressiver und fordernder, was meine Einstellung zu meiner Krankheit anging. Sie sagte mir mehr als einmal klar und deutlich: „Pass mal auf, das geht so nicht weiter. Du bringst mich in Situationen, die für mich nicht mehr zu ertragen sind. Ich kann nicht mehr unbeschwert nach draußen gehen. Ich kann nicht mehr am normalen sozialen Leben teilnehmen, wenn du nicht irgendwann mal klar und deutlich zu deiner Krankheit stehst und zugibst, wie es um dich steht. Erst dann können auch wir nach außen vernünftig reagieren. Erst dann haben wir alle eine Chance, richtig zu reagieren, was deine Krankheit angeht. Und das ist letztendlich auch deine Chance, vernünftig zu reagieren und dein Leben so einzurichten, dass es mit und trotz deiner Krankheit wunderbar funktioniert.“

Neben anderen Veranstaltern, die sich wegen der dramatisierenden Berichterstattung Sorgen um bestehende Buchungen und die Vertragserfüllung machten, begannen nun auch Kollegen, Nachbarn und Bekannte, Fragen zu stellen. Ich hatte gehofft, dass sie irgendwann die Lust an mir verlieren würden, das Thema satt hätten, doch es hörte nicht auf.

Wir leben in einer Zeit, in der von Medien ein extremer Druck ausgehen kann und ausgeht. Sie fingen immer massiver an zu spekulieren: „Was hat der Mann eigentlich? Wieso sieht er immer so komisch aus? Ist er jetzt völlig dem Alkohol verfallen? Was nimmt der Mann bloß, dass er so fertig aussieht, dass er so fahrig ist, so nervös, so gestresst, so unentspannt …?“ Die schreibenden Kollegen mutmaßten fröhlich in verschiedene Richtungen und machten mit jeder weiteren negativen Schlagzeile immer mehr Druck.

Dem konnten wir irgendwann kaum noch standhalten. Wieder suchte meine Frau in offenen und deutlichen Gesprächen mit mir einen Ausweg aus der verfahrenen Situation: „Das mache ich nicht länger mit.“ Ihrer Ansicht nach setzte ich mein gesamtes Lebenswerk aufs Spiel, alles, was mich über 30 Jahre zu dem erfolgreichen Sänger gemacht hatte, der ich heute bin, weil ich mich nicht öffentlich wehrte und aufklärte. Ich gefährdete ihrer Meinung nach alles, was ich für mich und meine Familie aufgebaut hatte. Mit meinem Auftreten in der Öffentlichkeit risse ich all das ein und zerstörte es, und daran wolle sie sich nicht mehr länger beteiligen. Jetzt müsse endlich die Wahrheit gesagt werden. Nur in der Ehrlichkeit, in dem Schritt nach vorne sei die Lösung zu finden. Doch ich beharrte auf meiner Meinung und schwieg weiter.

An dieser Stelle möchte ich ein Zwiegespräch einfügen. Ich hatte es so viele Male mit der COPD geführt. Wir sind mit meinen Ängsten und auch meiner Wut unzählige Stunden gedanklich auf weite Reisen gegangen. Und weil mir das Gespräch immer vertrauter und mit der Zeit einprägsamer wurde, schrieb ich es eines Abends auf und verwahrte es in meiner Schreibtischschublade:

„Du kamst in mein Leben wie ein ungebetener Gast und hast dich breit gemacht. Die Ärzte sagen, du hast dich schleichend angekündigt, aber für mich warst du plötzlich da, wie ein Donnerschlag. Ich habe versucht, dich zu ignorieren. Ich habe gegen dich gekämpft. Ich glaube, der beste Weg ist es, dich zu akzeptieren und mich mit dir zu arrangieren. Das kostet weniger Energie, die ich sinnvoller einsetzen möchte. Ab sofort sind wir zu zweit unterwegs!“

Ziemlich zeitnah nach diesem Gespräch gab ich nur wenige Tage nach meinem Geburtstag, am 13. Mai 2006, im Tempodrom in Berlin ein Konzert. Meine Frau begleitete mich zu dieser Veranstaltung. Der Laden war rammelvoll. Die Leute waren euphorisch und in bester Partystimmung, voller Begeisterung und Vorfreude auf das bevorstehende Kaiser-Mania-Konzert.

Doch es gelang mir nicht, mich von dieser Hochstimmung mitreißen zu lassen. Im Gegenteil: Ich spürte schon wieder diesen unangenehmen, nichts Gutes verheißenden Druck auf der Brust. Langsam, aber merklich zog sich alles zusammen. Ich verkrampfte innerlich. Meine Gedanken kreisten nur noch um die Sorge: Was passiert, wenn ich jetzt da rausgehe und mir die Luft wegbleibt?

Ich habe heute noch Lampenfieber vor Auftritten, schubse mich selbst immer auf die Bühne und versuchte daher, meine aufsteigende Panik auf dieses Lampenfieber zu schieben. Mit dem tröstlichen Gedanken, das sei ja immer so und gebe sich gleich wieder, ging ich raus auf die Bühne. Hätte ich nur auf die eindeutigen Signale meines Körpers gehört!

Gleich beim ersten Titel passierte es. Wo war meine Stimme? Mir fehlte die Luft, das Stimmvolumen. Mit der Erkenntnis kam die Not. Die Worte blieben mir im Halse stecken. Mir blieb nur ein Ausweg: Ich verließ die Bühne.

An diesem Abend musste ich zum ersten Mal wegen meiner COPD ein Konzert abbrechen. Ich bin mitten im Titel von der Bühne runter, um unbeobachtet hinter den Kulissen Luft holen zu können. Mein persönlicher Supergau. Meine Gedanken waren ein einziges schwarzes Loch. Ich wartete darauf, dass die Wellen über mir zusammenschlügen. Silvia war natürlich sofort zur Stelle. Langsam erholte ich mich wieder und kam zu Atem. Erst da registrierte ich die seltsame Ruhe und Entspannung um mich herum. Ich war irritiert … und begann langsam zu verstehen: Glücklicherweise, Glück im Unglück, hatte just in diesem Augenblick das Mischpult für den Zuschauerraum einen Stromausfall. Der „rettete“ mich. Das hatte ich in meiner Not gar nicht mitbekommen. Und eben dieser technische Defekt kaschierte das Malheur, das mir gerade widerfahren war. Die Leute im Publikum hatten lediglich den Tonausfall bemerkt. Das FOH-Pult war nach einer Viertelstunde wieder einsatzbereit. Und diese 15 bis 20 Minuten verschafften mir die Atempause, in der ich mich entspannen und berappeln konnte. Ich nahm all meinen Mut, meine letzten Reserven an Selbstvertrauen zusammen und kehrte auf die Bühne zurück.

Das Konzert verlief von da ab zwar ohne weitere Zwischenfälle, doch nach dem Schlussapplaus sah ich in ernste Mienen. Das Team hatte doch bemerkt, dass nicht nur ein technischer Defekt vorgelegen hatte, sondern auch ich ein Problem hatte. An diesem Abend redeten wir endlich Tacheles – wenn auch nur im engsten Kreis. Ich ahnte: Das war mein Zeichen. Ich durfte mein Glück nicht noch einmal herausfordern. Ich hatte mich so lange gesträubt, aus Angst, Freunde zu verlieren und auf Ablehnung zu stoßen. Doch ich gewann in diesem Gespräch Verbündete, Freunde, Vertraute. Danke!

Mein Veranstalter Dieter Semmelmann, mein Partner und Freund Roger Ulbrich und meine Frau Silvia saßen in dieser Nacht noch lange mit mir zusammen. Wir diskutierten die Situation mit allen „Wenn“ und „Aber“, beleuchteten sie von allen Seiten. Auch sie sahen in diesem Zwischenfall ein Zeichen, das man ernst nehmen müsse. Ich hatte bereits viele Konzerte mit diesem permanenten Druck auf der Brust und der Hoffnung „Hoffentlich geht das gut“ gespielt – und bisher war es ja auch immer gut gegangen. Stimmlich zwar nicht mehr ganz so leicht wie früher, wie ich mir selbst eingestehen musste. Die Konzerte forderten mich konditionell mehr. Unabhängig davon konnte ich meinem künstlerischen Qualitätsanspruch bisher noch immer gerecht werden. Das Publikum scheint das ähnlich zu empfinden. Meine Konzerte sind immer noch größten­teils ausverkauft.

Doch diesmal hatte ich die Situation nicht mehr aus eigener Kraft retten können. Nur dieses Glück im Unglück, dass die Anlage zeitgleich einen technischen Defekt hatte, hatte mich vor einem Konzertabbruch bewahrt. Und der hätte unkalkulierbare Medien-Reaktionen hervorgerufen. Tja, wir diskutierten also die halbe Nacht und kamen schließlich zu dem Ergebnis: „Jetzt gehen wir an die Öffentlichkeit und sagen, um was es geht. Wir müssen den Druck rausnehmen.“

Ich muss sagen, die Reaktionen von Dieter Semmelmann und Roger Ulbrich hauten mich um. Die beiden waren sehr verständnisvoll und auch sensibel und machten nicht einmal ansatzweise Anstalten, sich von mir abzuwenden, wie ich befürchtet hatte. Wer wollte schon auf ein lahmes Showpferd setzen? Dabei lag ich doch trotz meines Handicaps immer noch super im Rennen. Das Konzertprogramm wurde den neuen Voraussetzungen entsprechend angepasst. Es wurden zum Beispiel längere Instrumentalsequenzen eingeplant. Von diesem Abend an sollte keine Pyrotechnik mehr auf der Bühne zum Einsatz kommen. Mir fiel ein wahrer Felsblock von der Seele. Warum zum Teufel hatte ich das nicht schon längst getan? Ich atmete so befreit auf wie schon lange nicht mehr.

Das machte mich sehr, sehr glücklich. Silvia unterstützte mich darin, den, wenn auch durch einen heftigen Schubs des Schicksals eingeschlagenen Weg weiterzugehen.

Am Tag nach dem Konzert traf ich Peter Wagner in Berlin. Er begleitet mich schon seit 35 Jahren als Produzent. Peter ist für mich ein sehr enger, eigentlich mein bester und ältester Freund. Er war auch der Einzige, den ich unmittelbar nach der Diagnose COPD angerufen hatte und der von Anfang an unser Geheimnis teilte. Er ist ein enger Vertrauter und hat mich seit der Diagnose begleitet. Auch er billigte und unterstützte den Entschluss, meine Krankheit öffentlich zu machen.

Einen Tag, bevor die dpa-Meldung rausgehen sollte, informierte ich auch meinen Label-Chef Jack White. Wir waren mittlerweile auch freundschaftlich verbunden. Er reagierte ebenfalls ganz phantastisch. Jack sagte schlicht: „Das finde ich vernünftig. Mach das, dann ist der Druck raus aus der Nummer.“

 

Und weil ich nun schon mal dabei war, suchte ich auch noch Gespräche mit unseren anderen engsten Freunden. Auch sie waren sichtlich erleichtert, dass nun endlich die Katze aus dem Sack und die Luft wieder sauber war. Diese Gespräche, diese „Beichten“ waren wie reinigende Gewitter.

Wen auch immer ich um seine freundschaftliche Meinung bat, sagte: „Mach es öffentlich, nimm dir den Druck. Und wenn du dir den Druck nimmst, minimierst du auch die Fehlerquellen. Bau dir ein Arbeitsumfeld, in dem du dich wohl und sicher fühlst, das Bescheid weiß und notfalls reagieren kann, um dich aufzufangen. Das wird deine Leistungsfähigkeit steigern.“

Wenn wir die Meldung über die renommierte Deutsche Presseagentur herausgäben, gäben wir den Zeitpunkt und Inhalt vor und würden durch die Streuung ein Höchstmaß an Wahrheitsgehalt und Information in der Berichterstattung erreichen, riet Dagmar meiner Frau und mir. Nachdem wir zunächst durchaus kontrovers miteinander gesprochen hatten – denn mein Fünkchen Mut drohte mich nach der kurzzeitigen Hochstimmung, in der ich durch den Vorfall im Tempodrom sowie den starken freundschaftlichen Zuspruch und Rückhalt schwelgte, wieder zu verlassen –, trafen wir innerhalb von wenigen Stunden am Ende doch eine einvernehmliche Entscheidung. Gemeinsam verfassten wir nachfolgenden Text:

„Die Abkürzung COPD (chronic obstructive pulmonary disease) ist ein Sammelbegriff für die chronisch obstruktive Bronchitis und das Lungenemphysem, kurz: eine chronische Lungenerkrankung. Hauptursache für die Entstehung und den Verlauf der COPD ist Zigarettenrauchen. Auch Allergien und erblich bedingte Einflüsse spielen eine Rolle. Schätzungen gehen davon aus, dass in Deutschland bereits etwa fünf Millionen Menschen daran leiden. Roland Kaiser ist einer von ihnen. Seit 32 Jahren steht er erfolgreich als Sänger (‚Santa Maria‘, ‚Dich zu lieben‘) auf der Bühne, seit sechs Jahren trotz dieser chronischen Erkrankung. Roland Kaiser: ‚Stark verrauchte Räume oder Treppensteigen können mich außer Atem geraten lassen. In welchem Maße, ist abhängig von meiner Tagesform. Daher lebe ich diszipliniert und treibe regelmäßig Sport. Ich habe mich dazu entschlossen, mit meiner Krankheit an die Öffentlichkeit zu gehen, da ich der Meinung bin, dass mir dadurch meine Arbeit leichter fallen und ich, wie auch Millionen andere chronisch Erkrankte, wegen zum Teil auffälliger Atemnot weniger Spekulationen ausgesetzt sein werde.‘“

Nun war es raus. Unwiederbringlich. Die Presse reagierte zunächst überraschend positiv und sachlich auf meine Offenbarung. Damit hatte ich nicht gerechnet, und es erstaunte und wunderte mich sehr. Sollte ich mich derartig getäuscht haben?

Auch im weiteren Freundes- und Bekanntenkreis sowie bei zahlreichen Betroffenen, die sich daraufhin mit mir in Verbindung setzten, stieß die Veröffentlichung der Meldung auf breite Zustimmung.

Nur der erwünschte Effekt, dadurch auch für mich persönlich innerlich frei zu werden und auf der Bühne befreit und locker arbeiten zu können, trat zu meinem Bedauern nicht ein.

Außerdem verfiel die Presse, allen voran einige „bunte Blätter“, nur allzu bald wieder in ihre alte Gewohnheit und bewies mit neuen Titelgeschichten, wie unendlich groß ihre Phantasie ist und wie verschwindend unbedeutend die zugrunde liegende Wahrheit. Der einschlägigen Presse nach meinen diversen Konzerten war zu entnehmen, dass eine „Reisetätigkeit“ von Journalisten zu meinen Veranstaltungen eingesetzt hatte, damit sie live vor Ort und mit eigenen Augen feststellen konnten, wie sich der Kaiser da auf der Bühne schlägt.

Hatte ich mich naiv an den Strohhalm geklammert, mit einer einmaligen heftigen Pressewelle sei das Thema Roland Kaiser und COPD ein für alle Mal erledigt, irrte ich mich gewaltig. Jetzt begann eine Zeit der Angst und des Versteckspiels, wie ich es niemals für möglich gehalten hätte.

Und man schickte die schreibenden Kollegen auch gleich zur ersten Veranstaltung nach der Pressemeldung los. Sie waren unter den ­Gästen im Publikum. Angekündigt hatten sie ihre Besuche nicht, wohl wissend, dass wir sie nicht akkreditiert und willkommen geheißen hätten.

Meine Band und ich gaben ein Open-Air-Konzert in Schwerin – eine wunderbare Spielstätte mit einer unvergleichlichen Atmosphäre, mit der wir schon durch vorangegangene Engagements gut vertraut waren. Eigentlich ideale Voraussetzungen für einen entspannten Abend. Doch diese Sommernacht war sehr warm. Nach circa einer Stunde griff ich während des Konzertes zum Handtuch, um mir das Gesicht abzutrocknen. Die Schlagzeile folgte auf dem Fuße: „Völlig erschöpft drohte er auf der Bühne zusammenzubrechen.“ Das abgedruckte Foto zeigte, wie ich das Handtuch in der Hand hielt und mir damit gerade mein Gesicht abtrocknete. Ist es wirklich so ungewöhnlich und abwegig, während eines Live-Konzertes im Sommer draußen zu schwitzen?

Solche Anlässe für Veröffentlichungen ließen sich beliebig wieder­holen und finden. Dennoch gab es niemals ein Motiv, das über eine Interpretation hinaus einen tatsächlichen Zusammenbruch hätte beweisen können. Diesen Gefallen tat ich ihnen noch nicht. Zumindest diese Tatsache ließ mich innerlich triumphieren.

Bei einer ähnlichen Veranstaltung in der Nähe von Berlin hatte ich ein zweites Mal so ein beklemmendes Gefühl wie damals im Tempo­drom: Mein Brustkorb war wieder wie zugeschnürt. Und da hatte ich nicht das Glück wie damals. Diesmal ließ mich mein Glück im Stich. Die Technik funktionierte einwandfrei, kein defekter Lautsprecher rettete mich aus der Situation. Ich hörte dennoch auf die Signale meines Körpers und ging nach wenigen Titeln noch vor Ende meines Showblocks ab. Ich brach ab und meine Kollegin Nicole, die nach mir auftreten sollte, ging spontan auf die Bühne und spielte das Konzert einfach früher als geplant zu Ende. Mein ungeplanter Abgang gab erneut Anlass zu wüsten Spekulationen: Ich sei auf der Bühne zusammengebrochen, hätte einen Herzinfarkt erlitten, sei halbtot.

Das Konzert holten wir übrigens ein Jahr später bei freiem Eintritt nach. Eine tolle Party.

Bei einem Stadtfest wollten Journalisten sogar ein Sauerstoffzelt hinter der Bühne gesehen haben. Die bei größeren Veranstaltungen obligatorischen und vorgeschriebenen Sanitäter wurden nun ausschließlich mir und meiner medizinischen Notversorgung zugeordnet. Die Berichterstattung trieb kuriose Blüten.

Jedes von mir geschossene Foto wurde darauf abgeklopft, ob es Rückschlüsse auf meinen Gesundheitszustand geben könnte. Bei Auftritten galt die Aufmerksamkeit der anwesenden Presse eher der Anzahl und dem Rhythmus meiner Atemzüge als den Liedzeilen. Der Mensch Roland Kaiser war zweitrangig. Je schlechter ich auf den Fotos aussah, desto lukrativer waren die Abverkaufszahlen der Blätter. Für meine Familie und mich begann eine Zeit der langen Schatten. Wir lebten im Schatten der Krankheit.

Um den Medien den Nährboden zu entziehen, verweigerte ich jedes Statement zur COPD. Mein Managementbüro in Berlin verwehrte in Absprache mit den Veranstaltern Fotografen die Akkreditierung für Kaiser-Konzerte. Meine Mitarbeiter machten hinter mir geschlossen Front, um die öffentliche Berichterstattung zu entspannen, zumindest soweit es in unserem unmittelbaren Einflussbereich lag.

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