Seewölfe - Piraten der Weltmeere 117

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 117
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Impressum

© 1976/2015 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

ISBN: 978-3-95439-441-8

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

1.

Bill, sechzehn Jahre alt, schwarzhaarig, Schiffsjunge auf der „Isabella VIII.“ und im allgemeinen ziemlich reaktionsschnell, fiel aus allen Wolken. Im ersten Moment glaubte er tatsächlich, bei Sam Roskills Ausruf handele es sich um einen Witz. Es wäre ja auch nicht das erste Mal gewesen, daß die Seewölfe ihn kräftig auf den Arm nahmen.

Darum grinste Bill – und reagierte nicht, als Sam auf die beiden soeben hinter der Außenhaut der Galeone hochklimmenden Gestalten sah, eine Hand hochriß und schrie: „Bill, Batuti – in Deckung, das sind Piraten!“

Für Bill war es einfach zu unwahrscheinlich, daß die zwei Männer in den ehrwürdigen Gewändern von Lama-Mönchen Galgenstricke sein sollten. Hatten sie nicht Gebetsfahnen auf dem Sand des Flußufers ausgebreitet und vom Wind forttragen lassen, hatten sie nicht durch Gesten zu verstehen gegeben, daß sie die „Isabella“ segnen wollten? Und hatte nicht gerade er, Bill, darauf gedrängt, die Männer an Bord zu holen, weil sie sich sonst beleidigt fühlen konnten?

Reingefallen – Bill hatte eben doch noch zu wenig Erfahrung und war ein bißchen zu gutgläubig, um das raffinierte Täuschungsmanöver der zwei Kerle auf Anhieb zu durchschauen.

Aber was sollte da Batuti, der schwarze Herkules aus Gambia, sagen? Er war den beiden ja auch auf den Leim gegangen. Und das ließ ihn fuchsteufelswild werden.

Beinahe wäre es den beiden vermeintlichen buddhistischen Mönchen tatsächlich gelungen, die acht Männer der Galeone zu überrumpeln – wenn nicht Sam Roskill aus einem ganz triftigen Grund aufmerksam geworden wäre.

Sam hatte auf Hasards Anweisung hin mit Blacky zusammen die Galeone des Seeräubers Vinicio de Romaes geentert, als die „Isabella“ in der entscheidenden Schlacht gegen Khai Wang und seine „Fliegende Schwalbe“ gelegen hatte.

Sam und Blacky hatten Fong-Ch’ang, den Freund der Seewölfe, aus einer tödlichen Situation befreit, de Romaes besiegt und Nakamura in die Flucht geschlagen – und daher erkannte Sam jetzt natürlich sofort das Gesicht von Nakamura, dem Japaner, wieder. Da nutzte auch die Kopfbedeckung nichts, die sich Nakamura wie Tijang, der Uigure, zur zusätzlichen Vermummung übergestülpt hatte.

Plötzlich herrschte an Bord der „Isabella“, an der sich kurz zuvor noch ein so beschauliches Leben abgespielt hatte, heller Aufruhr.

Im Gegensatz zu Bill reagierte Batuti gedankenschnell.

Er wirbelte herum, packte Bill am Arm und riß ihn zu sich heran. Er beförderte den Jungen an sich vorbei, ließ ihn wieder los, und Bill raste wie vom Katapult geschnellt auf den fluchenden Ferris Tucker, auf Gary Andrews und Old Donegal Daniel O’Flynn zu.

Will Thorne und Stenmark standen etwas weiter rechts und griffen in diesem Augenblick wie die Kameraden zu den Waffen.

Bill sauste zwischen Ferris Tucker und dem alten O’Flynn hindurch, glitt aus und rutschte auf dem Hosenboden über die blitzblank gescheuerten Planken der Kuhl auf das Steuerbordschanzkleid zu. Er hatte die Planken an diesem Morgen selbst geschrubbt, während Ferris Tucker und die anderen sechs Männer mit dem Reparieren des Fockmastes, dem Takeln der neuen Blinde und anderen Ausbesserungsarbeiten beschäftigt gewesen waren. Es war eine Ironie des Schicksals, daß Bill den Erfolg seiner Plackerei im wahrsten Sinne des Wortes körperlich zu spüren kriegte.

Er überrollte sich, dann wurde sein Körper vom Schanzkleid gestoppt.

Batuti hatte seinen Morgenstern gezückt.

Sam Roskill hatte seine Pistole aus dem Gurt gerissen. Er spannte den Hahn, stieß die Miqueletschloß-Waffe vor und brachte sie in Anschlag auf Nakamura.

Nakamura und Tijang hatten unter ihre bodenlangen Ischangs gegriffen. Ihre Masken fielen, ihre Züge verzerrten sich, plötzlich hielten sie schwere Säbel in den Fäusten. Sie hatten diese Waffen auf dem Gut des Landwirts in den Lushan-Bergen erbeutet. Grausam hatten sie auf dem Anwesen gewütet, und genauso gnadenlos wollten sie nun gegen die Erzfeinde, die Seewölfe, vorgehen.

„Hunde!“ schrie Nakamura in seiner Muttersprache. Er war außer sich vor Zorn. „Jetzt lernt ihr, was es heißt, einen Nakamura zu erniedrigen!“

Natürlich verstand ihn keiner der Seewölfe. Selbst Tijang, der Uigure, hatte Schwierigkeiten, den Japaner in diesem Moment zu begreifen, denn er beherrschte die Sprache der Leute von Zipangu nicht – doch das spielte hier weiß Gott keine Rolle mehr.

Sam Roskill konnte sich aber auch so in die Gedankenwelt des Japaners versetzen. Sie hatten ihn von Bord seines Schiffes gejagt, und er hatte nicht geruht, bis er eine Gelegenheit gefunden hatte, Rache an den Gegnern zu üben.

Erstaunlich, wie Nakamura ein paar Überlebende der Schlacht um sich geschart, wie er sich quer über die Halbinsel Shantung durchgeschlagen hatte und dann wieder auf die Spur der Seewölfe gestoßen war. So gesehen, hatte er eine echte Leistung vollbracht – nur leider heiligte der Zweck keineswegs die Mittel.

Nakamura stürmte auf die Feinde los, Tijang war mit heiserem Gebrüll neben ihm.

Sam feuerte seine Pistole ab. Dumpf brach der Schuß, eine weiße Qualmwolke puffte hoch – und Nakamura war nicht getroffen, weil er sich durch einen Sprung zur Seite befördert hatte.

Sam fluchte und warf die Pistole mit dem Miquelet-Schloß weg. Sie polterte auf die Planken. Sam zog sein Entermesser und bremste den Angriff des Japaners.

Kein anderer Seewolf setzte eine Schußwaffe ein. Sam hatte im ersten Entsetzen die nächstbeste Waffe aus dem Gurt gerissen, die er zu fassen bekam, und die war nun mal seine Pistole gewesen.

Aber jetzt – verdammt noch mal, sie hatten doch auch ihren Stolz und wollten sich später nicht etwa damit brüsten, zwei zwar zu allem entschlossene, aber nur mit Säbeln und Dolchen bewaffnete Gegner mit gezielten Schüssen niedergestreckt zu haben.

Diese Auseinandersetzung verlangte nach Stich- und Hiebwaffen, und entsprechend verhielten sich Philip Hasard Killigrews Männer jetzt. Sie begegneten Nakamura und Tijang mit mehr Fairneß, als diese jemals verdient hätten, aber auch das zählte zu den Prinzipien, die der Seewolf seiner Crew mit Erfolg beigebracht hatte.

Tijang entging Batutis niederzukkendem Morgenstern um ein Haar. Er stürzte sich direkt auf Ferris und wurde von diesem mit einem Säbel in Empfang genommen, der dem des Uiguren in Länge, Stärke und Schärfe kaum nachstand.

Sam Roskills Schuß hatte den Affen Arwenack geweckt. Der Schimpanse hatte auf der Back ein Nickerchen gehalten, jetzt fuhr er hoch, schwang sich aufs Schanzkleid und hastete auf die Fockwanten der Backbordseite zu. Im Dahinturnen angelte er sich einen Belegnagel, dann hatte er die Webeleinen erreicht und klomm erstaunlich schnell darin empor, um aus der Höhe auf seine Art in den Kampf einzugreifen.

Nakamura duellierte sich inzwischen mit Sam Roskill.

Nakamura stieß Schreie aus, die jedem Samurai zur Ehre gereicht hätten. Roskill konnte das nicht beeindrucken. Er war ein kampferprobter Mann, ein mit allen Wassern gewaschener ehemaliger Karibikpirat, schlank, frech und draufgängerisch.

Glaubte er allerdings, mit dem Japaner leichtes Spiel zu haben, so hatte er sich getäuscht. Nakamura erwies sich als guter Fechter – und er würde sich nicht noch einmal die Waffe aus den Händen schlagen lassen wie auf der Galeone von de Romaes. Er setzte alles daran, Sam mit einem Streich zu fällen.

Bill war inzwischen wieder auf den Beinen und schaute zu Batuti, der mit rollenden Augen und erhobenem Morgenstern dem Uiguren nachrückte. Tijang, ein muskulöser, stumpfsinniger Mensch, dem das Ausdrücken irgendwelcher Gefühle völlig abging, drosch mit dem Säbel auf den rothaarigen Schiffszimmermann ein, als wäre die Waffe ein Knüppel. Ferris geriet ernsthaft in Bedrängnis. Er fluchte, wie Carberry es besser nicht gekonnt hätte, wich zurück und hatte Mühe, sich gegen den wuchtigen Kerl zu behaupten.

Tijang stieß einen gellenden Triumphschrei aus.

Nakamura fühlte sich angestachelt. Noch heftiger als zuvor hieb er auf Sam Roskill ein.

Gary Andrews wollte Nakamura in die Seite fallen, aber Sam rief ihm zu: „Laß, Gary, ich will allein mit diesem Bastard fertig werden!“

Batuti wollte Tijang den Morgenstern aufs Haupt schlagen, aber der alte O’Flynn hielt ihn energisch zurück. „Bau keinen Mist, Mann! Ferris würde das nie auf sich sitzenlassen.“

„Gelbmann bringt Ferris um“, grollte der schwarze Goliath.

Old O’Flynn spähte mit verkniffener Miene zu den Kämpfenden. „Wart’s doch ab.“ Jawohl, er hatte den Nagel auf den Kopf getroffen, Ferris würde es nie und nimmer billigen, daß die anderen in diesen Zweikampf eingriffen. Aber auch der alte Donegal hielt das Entermesser bereit, um es auf den Uiguren zu schleudern, falls dieser den Zimmermann zu töten drohte.

 

Genauso verhielten sich Will Thorne, Stenmark und Bill.

Nur auf einen traf diese Absprache, diese oft erprobte Methode, nicht zu: auf den Schimpansen. Der hockte bereits auf der Großsegelrah und zielte mit dem hölzernen Koffeynagel.

Nakamura kreuzte immer noch mit Sam Roskill die Klinge. Der Japaner hatte Oberwasser, er glaubte zu siegen, aber wäre alles nach seinem ursprünglichen Plan verlaufen, dann wäre die „Isabella“ weitaus undramatischer in seine Hände gefallen.

Auf der Kuhl angelangt, hatten Nakamura und Tijang Bill und Batuti Dolche in den Rücken drücken und sie als Geiseln nehmen wollen. Im stillen leuchtete es dem Japaner jetzt ein, daß er einen Fehler begangen hatte. Schon in dem von Batuti und Bill zur „Isabella“ gepullten Beiboot hätte er handeln sollen.

Aber er hatte befürchtet, daß einer der beiden Alarm schlug, selbst auf die Gefahr hin, erstochen zu werden. Er, Nakamura, kannte diese weißhäutigen Männer inzwischen zur Genüge: Bei ihnen ging die Tollkühnheit auch so weit, daß sie ihr Leben aufs Spiel setzten, um die Kameraden zu retten.

Nakamura hatte das in sein Kalkül einbezogen – und sich dann doch verrechnet.

Aber jetzt sah es so aus, als würden die acht Männer seinem brutalen Angriff unterliegen. Vielleicht waren sie zu überrascht, zu wenig auf eine Attacke vorbereitet, hier, in der Beschaulichkeit des Flusses Jinzhonghe und seiner Umgebung.

Arwenack warf den Belegnagel, aber genau in diesem Moment wich Sam Roskill vor einem wuchtigen Hieb des Japaners zurück. Es geschah selten, daß der Affe mit seinen Wurfgeschossen danebenzielte. Er hatte schon oft mitgemischt, wenn ein Handgemenge übers Oberdeck der „Isabella“ tobte, aber Fehler begingen nicht nur die Menschen, sondern auch Affen, und waren sie auch, noch so gewitzt.

Der Koffeynagel traf Sam.

Sam kriegte ihn genau auf den Hinterkopf, und er hatte den Eindruck, seine Schädeldecke platze. Stöhnend hielt er inne, geriet ins Wanken und drohte zu stürzen.

Nakamura holte zum Todesstoß aus.

War das wahr? Sollten die Seewölfe ausgerechnet jetzt, nachdem sie Khai Wang geschlagen und all ihre Ziele erreicht hatten, eine so schmähliche Niederlage erfahren?

Gary Andrews federte vor. Seine Degenhand zuckte hoch. Die Klinge blitzte im Sonnenlicht und fuhr unter den vorschießenden Säbel des Japaners. Bill, der Schiffsjunge, schrie entsetzt auf, weil Garys Einsatz zu spät zu erfolgen schien.

Sam wurde unter den dröhnenden Schmerzen seines Schädels ohnmächtig. Er versuchte sich zu bezwingen, schaffe es aber nicht. Er sank in den Knien ein, unfähig, noch etwas zu seiner Verteidigung zu tun.

Garys Degenklinge knallte unter den Säbel und brachte ihn aus seiner ursprünglichen Richtung. Nakamura schrie wie ein Besessener, aber das änderte auch nichts – der Säbel schrammte mit seiner Spitze über Sams rechte Schulter, riß aber keine tiefe Wunde.

Gary drückte, stemmte den Degen hoch, war dicht vor Nakamura und zwang ihn von Sam Roskill weg. Für einen Moment standen sie mit gegeneinandergepreßten Waffen, starrten sich in die Gesichter und lieferten sich eine höllische Kraftprobe. Dann riß Nakamura plötzlich den Säbel zur Seite. Die Klingen radierten, Metall fuhr mit schrillem Laut über Metall und war jäh wieder voneinander gelöst.

Gary deckte Nakamura mit einem wahren Feuer von Streichen ein, und diesmal rückten nun auch die anderen gegen den Japaner vor: Old O’Flynn, Will Thorne, der Segelmacher, und Stenmark, der große blonde Schwede.

Nakamura wich zurück.

Ferris Tucker schwitzte aus allen Poren, sein Gesicht glänzte, und er atmete heftig. Aber er hatte inzwischen eine Wende in das Duell gegen den Uiguren bringen können. Das hing damit zusammen, daß er Tijangs Schwäche erkannt hatte. Tijang hatte viel wilden Mut in seine Attacke gelegt und es beinah geschafft, Hasards rothaarigen Schiffszimmermann zu überwältigen. Aber es mangelte ihm an der nötigen Ausdauer. Er hatte weniger davon, als man ihm aufgrund seiner Statur und seines Auftretens zutraute.

Tijang ließ nach.

Ferris hatte eine gute Verteidigung aufgebaut. Jetzt lieferte der dem Gegner für eine Weile einen hinhaltenden Kampf – um frische Energien zu schöpfen und zum entscheidenden Schlag auszuholen.

Bill atmete auf. Batuti grinste und suchte mit dem Blick den alten O’Flynn, aber der humpelte inzwischen, einen Cutlass schwingend, mit den anderen auf Nakamura zu. Wie der alte Seebär es fertigbrachte, sich mit Holzbein und Krücken voranzubewegen und trotzdem eine Waffe zu führen, konnte man kaum erklären, man mußte es gesehen haben.

Nakamuras Miene hatte sich verändert. Der wilde Triumph war gewichen, ein Ausdruck der Erschütterung und Verzweiflung nahm auf seinen Zügen Gestalt an.

Er begriff seinen zweiten Fehler. Statt Sam Roskill töten zu wollen, hätte er ihn sich greifen, ihm den Säbel gegen die Gurgel halten und ihn als Geisel benutzen sollen. Aber Nakamura hatte sich von seiner fanatischen Vergeltungssucht verleiten lassen.

Jetzt war es zu spät, an den Gegebenheiten etwas zu ändern.

Sam Roskill lag in der Nähe der Kuhlgräting, Bill war bei ihm und hatte sich über ihn gebeugt. Zwischen den beiden und Nakamura befanden sich als wütende, wehrhafte Barriere Gary, Will, Stenmark und der alte Donegal Daniel O’Flynn. Niemals konnte Nakamura diese Mauer durchbrechen.

Ferris knallte seinen Säbel noch zweimal gegen Tijangs Waffe, dann startete er einen vehementen Ausfall. Die Anwehr des Uiguren zerbrach wie morsches Holz, Ferris hackte auf ihn ein, als habe er seinen Säbel mit der Zimmermannsaxt verwechselt. Dann, ganz unversehens, lösten sich Tijangs Finger vom Griff des Säbels. Er stieß einen Wehlaut aus und ließ ihn fallen. Er hatte keine Zeit, noch irgend etwas anderes zu unternehmen: Ferris’ freie Faust raste auf ihn zu und traf seine Wange etwas unterhalb des Jochbeins.

Der Uigure stolperte rückwärts, verhedderte sich mit dem Fuß in einer Taurolle und krachte nicht weit vom Backbordniedergang des Vorkastells auf die Planken. Er keuchte entsetzt, kroch auf dem Hosenboden in Richtung Back und wurde erst durch das Kombüsenschott aufgehalten.

Ferris blickte sich zu den anderen um.

Nakamura brüllte wüster als ein Dutzend Samurais und riß den Säbel mit beiden Händen hoch. Als er über ihm bebte, sah es so aus, als wolle sich der Kerl die Klinge selbst in den Leib rammen. Aber Nakamura liebte das Leben viel zu sehr, um einen so heldenhaften Abgang von der Weltbühne zu vollbringen. Nein – er schleuderte die Waffe den anrückenden Seewölfen entgegen. Danach wirbelte er herum, stürzte wie von Furien gehetzt zum Schanzkleid und flankte mit einem Scherenschlag darüber hinweg. Er hielt die Schöße seines Gewandes so gerafft, daß der Stoff ihn nicht behindern konnte.

Gary und die anderen hatten sich gedankenschnell geduckt. So entgingen sie dem tödlichen Säbel. Er huschte über sie weg und blieb vibrierend im Großmast stecken.

Gary war als erster am Schanzkleid. Er hörte das Klatschen des Wassers unter sich, sah den Japaner aber nicht mehr.

„Der Kerl taucht zum Ufer!“ stieß er aus.

Old O’Flynn stand schon an einer der schweren Culverinen der Backbordseite.

„Brennen wir dem Hurensohn eins auf den Pelz!“ schrie er. „Viel bleibt nicht von ihm übrig, das schwört der alte Donegal!“

„Nein!“ rief Ferris Tucker. „Kommt nicht in Frage! Gary, Stenmark, Will, ihr entert das Beiboot ab und verfolgt den Burschen. Ich will ihn lebend haben. Wir schaffen ihn nach Peking und …“

Weiter gelangte er nicht.

Batuti hatte einen dumpfen Laut ausgestoßen und den Morgenstern geschleudert. Die ganze Zeit über hatte der Mann aus Gambia den entwaffneten, ramponierten Uiguren nicht aus den Augen gelassen.

Jetzt, genau im richtigen Augenblick, raste die Waffe auf den Piraten zu. Tijang hatte nämlich unter dem Backbordniedergang etwas entdeckt, das seinen Kampfgeist jäh wieder aufflackern ließ – ein Tromblon.

Gary Andrews war mit dem Säubern und Laden dieser Waffe beschäftigt gewesen, als Nakamura und Tijang am Ufer der Bucht erschienen waren und mit ihrem irreführenden Mummenschanz begonnen hatten. Gary hatte das kurzläufige Gewehr mit der trichterförmig erweiterten Mündung kurzerhand unter die Stufen des Niederganges gestellt – und das hatte bedenkliche Folgen.

Das Tromblon, auch Blunderbuss oder Blunderbüchse genannt, war fix und fertig geladen. Pulver, Verdämmungspfropfen und Kugel saßen auf dem Grund des Laufes festgerammt, der Flint war zwischen die Lippen des Steinschlosses geschraubt. Tijang hatte die Büchse gehoben und den Hahn gespannt. Er brauchte nur noch abzudrücken.

Aber der Morgenstern ereilte ihn vorher.

Ferris hatte den Kopf zu ihm hin gewandt und sah, wie er von Batutis verheerender Waffe zurückgeschleudert wurde. Tijang hauchte sein Leben am Kombüsenschott aus, das Tromblon polterte auf die Kuhlplanken, und es war ein Wunder, daß es nicht doch noch losging.

Batuti stieß pfeifend die Atemluft aus, erst dann glitt ein Grinsen der Erleichterung über seine Züge. Ferris war bleich geworden und mußte sich gewaltig zusammenreißen, um nicht schon wieder wie ein Berserker loszufluchen.

Gary, Stenmark und Will waren von Deck verschwunden, sie hangelten außenbords an der Jakobsleiter in die Tiefe. Unter ihnen dümpelte das Beiboot an der Bordwand, in dem Batuti und Bill vorher Nakamura und den Uiguren zur „Isabella“ geholt hatten.

Ferris’ Wort und Befehl hatten Gewicht, denn er hatte während Hasards Abwesenheit das Kommando auf der Galeone übernommen. Seiner Order hatten sich alle zu fügen, auch der alte O’Flynn, der Nakamura am liebsten den Hintern versengt hätte, sobald er im Wasser der Bucht auftauchte, und das nicht knapp.

Bill kniete immer noch neben dem bewußtlosen Sam Roskill. Ferris Tucker, Batuti und Old Donegal liefen ans Schanzkleid der Backbordseite und wurden Zeugen, wie Nakamuras Kopf erst kurz vor dem Buchtufer wieder aus den Fluten hochschoß.

Gary, Stenmark und Will saßen inzwischen im Boot, stießen sich von der Bordwand ab und begannen zu pullen, als hätten sie den Teufel im Nacken.

„Beeilt euch!“ rief der alte O’Flynn ihnen nach. „Hölle, ihr wollt den Hund doch wohl nicht entwischen lassen!“

„Schneller“, stieß Batuti immer wieder hervor. „Verdammich, schneller, Jungs.“

Arwenack hatte sich unterdessen in den Großmars verzogen. Er wimmerte vor sich hin und traute sich nicht mehr an Deck zurück. Was er Sam Roskill eingebrockt hatte, hatte er schließlich deutlich genug gesehen. So ein schlechtes Gewissen hatte der Affe schon lange nicht mehr gehabt.

Bill ging es kaum anders, denn er fühlte sich verantwortlich für das, was passiert war. Er hätte sich selbstohrfeigen können. Warum hatte er nur die idiotische Bemerkung ausgesprochen, die „Mönche“ wollten wohl das Schiff segnen?

Oh, was bist du für ein Esel, dachte er wütend.

Sam war immer noch nicht zu sich gekommen. Bill schaute verzweifelt auf und suchte nach einem Ratschlag, wie er Sam am besten helfen konnte. Himmel, daß der Kutscher auch nicht an Bord geblieben war!

Bills Blick verharrte auf Tijangs zusammengesunkener Gestalt. Es war ein schauriges Bild. Schaudernd wollte der Schiffsjunge sich abwenden, aber da fiel sein Blick auf etwas Längliches, Glitzerndes, das Nakamuras Mitstreiter aus dem Ischang gerutscht war.

Ein Dolch.

Bill erhob sich, lief zum Kombüsenschott, zwang sich, dabei nicht auf den Toten zu schauen und hob den Dolch von den Planken auf. Dafür, daß Tijang nach Ferris’ Fausthieb nicht den Dolch zum Einsatz gebracht hatte, gab es nur eine Erklärung: logischerweise hatte der Uigure sich mehr davon versprochen, das Tromblon an sich zu reißen und auf die Seewölfe abzufeuern.

Bill lief mit dem Dolch zu Ferris Tucker, weil ihm ein Verdacht gekommen war.

„Mister Tucker!“ rief er. „Sehen Sie mal, was ich gefunden habe – vielleicht hat Nakamura auch so einen Dolch!“

Ferris wandte den Kopf, sah auf die spitze Waffe und drehte sein Gesicht dann wieder dem Ufer zu.

Nakamura hatte es irgendwie fertiggebracht, unter Wasser den lästigen Ischang abzustreifen. Er war an Land gelaufen, nur mit einer kurzen Hose bekleidet, und hetzte geduckt auf das nächste Gebüsch zu. Er schien etwas zwischen den Händen verborgen zu halten – jetzt wußte Ferris, was es war.

 

Gary, Stenmark und Will waren mit dem Boot gelandet; Sie waren ins Flachwasser der Bucht gesprungen und stürmten an Land.

„Aufpassen, der Kerl hat noch seinen Dolch!“ brüllte Ferris ihnen nach. Er wußte aber nicht, ob sie ihn verstanden hatten.

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