Seewölfe - Piraten der Weltmeere 133

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 133
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Impressum

© 1976/2015 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

ISBN: 978-3-95439-457-9

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

1.

Schwer rollte der Geschützdonner über die Reede des Hafens von Sao Tomé. Er übertönte das Schreien und Fluchen der Männer an Bord der Schiffe, und deckte auch die Rufe der Menschen zu, die auf dem Kai zusammengelaufen waren. Rauch wälzte sich in fetten Schwaden über das Wasser, er schien alles unter sich begraben zu wollen: die Stadt, die Festung, den Regenwald und die Höhenzüge im Zentrum der Insel, die von den Selvas eingehüllt wurden.

Die ganze stickige, tödliche Atmosphäre schien verdrängt zu werden, man konnte wieder atmen und hoffen auf Sao Tomé. Die große Wende war eingetreten. Ein Mann, der sich gewöhnlich weiß Gott nicht für die schlug, die von seiner Crew schlicht und einfach „die Dons“ genannt wurden, war den bedrängten Spaniern unverhofft zu Hilfe geeilt.

Er hieß Philip Hasard Killigrew.

Mit List und Verwegenheit waren Hasard und fünf seiner besten Männer in das Kastell eingedrungen, das von Manuelito und dessen Piratenbande vereinnahmt worden war. Die „Isabella VIII.“ hatte unterdessen die Insel an ihrer westlichen Seite gerundet, sich auf den Hafen zu gepirscht – und jetzt, auf Hasards Zeichen hin, kamen Ferris Tucker und die anderen fünfzehn Seewölfe auf der Galeone zum Zug.

Ehe die Männer Manuelitos an Bord der Viermast-Galeone „Santa Catalina“ Gegenmaßnahmen hatten ergreifen können, hatte Hasards rothaariger Schiffszimmermann die „Isabella“ in die Hafeneinfahrt manövriert.

Und es war nicht nur ein ausgesprochenes Pech, sondern auch ein klarer Fehler der Piraten, nicht die massive Eisenkette vor die Einfahrt gespannt zu haben, die diesem Zweck diente.

Manuelito hatte seinerseits nur in den Hafen gelangen können, weil er die „Santa Catalina“ gekapert und sich als Capitán Algaba ausgegeben hatte. Eben weil die so dringend erwartete Galeone von Land aus erkannt worden war, hatte man die Kette geöffnet – und sich damit einen Wolf im Schafspelz in die Stadt und ins Kastell geholt. Manuelito hatte es dann jedoch versäumt, die Kette wieder schließen zu lassen. So sicher hatte er sich gefühlt.

Für kurze Zeit waren die Freibeuter die Herren der Insel gewesen. Sie hatten den todkranken Stadtkommandanten Don Joaquin Barba Valiente, den Alkalden Juan Antonio Castano Collado, einen Feldscher namens Umberto und die übrigen Bewohner der Feste kurzerhand als Geiseln genommen und durch massiven Druck auch die Stadt unterworfen. Es war ein dreistes Banditenstück sondergleichen gewesen, und entsprechend groß war der Freudentaumel bei Manuelito, Caranza und den anderen Schnapphähnen gewesen.

Spontan hatte Manuelito eine Siegesfeier im großen Salon des Kastells organisiert.

Nicht ganz so spontan hatte er reagiert, als Hasard, Ben Brighton, Edwin Carberry, Smoky, der Kutscher und der junge Dan O’Flynn aufgetaucht waren, um ihm das soeben ergatterte Ruder wieder aus den Händen zu reißen.

Und ausgerechnet Dona Adriana Valiente, diesem geradezu unerhört schönen Rasseweib, war es gelungen, Manuelito so zu umgarnen, daß er in die Falle tappte!

Nicht minder überrascht und von panischem Entsetzen befallen waren die Kerle, die Manuelito an Bord der „Santa Catalina“ zur Bewachung des Hafens zurückgelassen hatte. Genau wie ihr Anführer hatten diese Männer sich schon darauf eingestellt gehabt, daß Sao Tomé die neue uneinnehmbare Bastion der Freibeuter geworden war – und nun dies!

Platt hatte sich die „Isabella“ vor den ablandigen Wind gelegt. Drohend blickten die Mündungen ihrer 17-Pfünder-Culverinen aus den geöffneten Stückpforten hervor.

Die Piraten hatten in aller Hast die Viermast-Galeone herummanövriert und das Feuer mit einer vollen Breitseite eröffnet. Sofort hatten die Seewölfe zurückgeschossen, aber nicht nur mit den Culverinen, die extrem lange Rohre hatten, sondern auch mit der übrigen „Bordartillerie“. Hasard hatte Gary Andrews und Al Conroy, die als Boten zur „Isabella“ gelaufen waren, eingeschärft, dies Ferris Tucker unbedingt mitzuteilen: Er sollte sofort sämtliche Register ziehen, die zur Verfügung standen – kompromißlos. Die Positionen in diesem Gefecht waren klar abgesteckt, man wußte, wen man vor den Rohren hatte und mußte diesen Kerlen mit gleicher Münze zurückzahlen, was sie der unschuldigen Inselbevölkerung angetan hatten.

Und, nicht zu vergessen, es war Dona Adriana gewesen, die den Seewolf um seine Hilfe gebeten hatte. Hasard war zwar nicht der Typ, der sich durch den gut einstudierten treuherzigen Aufschlag zweier dunkelbrauner Rehaugen weichkochen ließ und erlag auch nicht bedingungslos dem sanften Hüftschwung einer betörend schönen Senora. Aber das, was Dona Adriana ihm erzählt hatte, hatte ehrlich geklungen – und mittlerweile hatte sich ja auch herausgestellt, daß es stimmte.

Die Steuerbordgeschütze der „Isabella“ waren leergefeuert. Ferris Tucker ließ anluven, auf Backbordbug drehen und nahm Kurs auf die „Santa Catalina“.

Die Viermast-Galeone hatte ebenfalls die Segel gesetzt und bewegte sich auf der Reede voran. Sie legte sich jedoch viel zu schwerfällig auf den anderen Bug. Ein großer Kasten war sie, solide gebaut und mit, viel Zierrat versehen, aber weder die wuchtige Galionsfigur noch die vielen Schnörkel der Heckgalerie verhalfen ihr zu größerer Wendigkeit. Sie schwenkte viel zu langsam herum, und entsprechend wuchs die Panik der Piraten.

Sie brüllten durcheinander und liefen sich fast gegenseitig über den Haufen.

„Feuer!“ schrie Ferris Tucker vom Achterdeck der „Isabella“.

Al Conroy zündete daraufhin die beiden vorderen Drehbassen. Die Hinterlader ruckten in ihren auf dem Schanzkleid montierten Gabellafetten und spien ihre Kugeln aus. Schmale Feuerzungen stachen von den Mündungen der Bassen wie Schlitze in die Nacht.

Ins Heck der „Santa Catalina“ gruben sich die beiden Kugeln. Sie hieben einen Teil der üppig verzierten Galerie kaputt, rasten dann weiter und trafen die Bleiglasfenster der Kapitänskammer. Klirrend zersprangen die Scheiben in tausend Stücke, es regnete Scherben, und in der Kammer, die einst Don Enrique José Algabas Allerheiligstes gewesen war, polterte und rumpelte es. Fast schien es, als wollten die Bassenkugeln sich einen Weg durch das ganze Achterkastell der spanischen Galeone bahnen.

„Hurra!“ schrie Old Donegal Daniel O’Flynn. „Wir schießen diesen Lumpenhunden das Schiff unter dem Hintern weg! Weiter so! Arwenack!“

In seinen Kampfruf tönte die Explosion, die im Kastell erfolgte. Old O’Flynn, Al, Gary, Ferris Tucker – alle sechzehn Männer wandten sich für eine Sekunde überrascht der Festung zu. Sie wurden Zeugen, wie der Nordturm des Gemäuers zerfetzte und Feuer und Rauch himmelan stoben. Ein bestürzter Laut und die Frage, ob den Kameraden im Kastell wohl etwas zugestoßen war, lagen den Männern auf der Zunge. Aber Ferris Tucker, der zur Zeit das Kommando auf der „Isabella“ übernommen hatte, ließ ihnen dazu keine Zeit.

„Batuti, Shane!“ schrie er zum Groß- und Vormars hinauf. „Anfangen! Brand- und Pulverpfeile!“

„Aye, aye“, rief Big Old Shane zurück, und das gleiche murmelte auch Batuti, der schwarze Herkules aus Gambia, während er schon den ersten glimmenden Pfeil auflegte.

Die Bogensehnen spannten sich bis zum äußersten, und dann sirrten die Geschosse durch die Nacht. Kometenhaften Gebilden ähnlich, senkten sie sich auf das Oberdeck der „Santa Catalina“. Shane und der Gambia-Mann, die besten Bogenschützen der „Isabella“, arbeiteten mit der größtmöglichen Präzision und wetteiferten um die meisten Treffer. So gingen nur wenige Pfeile fehl. Die meisten lagen im Ziel und pflanzten einen Feuerteppich auf den Planken der Galeone. Richtig aus der Fassung gerieten die Piraten aber erst, als der erste Pfeil mit pulvergefülltem Schaft in der Nähe des Großmastes niederging und explodierte.

Wieder gellten Schreie, und Irrwische der Hölle schienen über die Decks der spanischen Galeone zu tanzen.

Nach der ersten Breitseite der Freibeuter hatten auch die Seewölfe Schäden im Schanzkleid ihres Schiffes zu verzeichnen. Eine Nagelbank hatte es auseinandergerissen, in den Luvhauptwanten klaffte ein Loch, und der Querbalustrade des Quarterdecks fehlten ein paar Traljen. Aber glücklicherweise gab es keine Verletzten, und die „Isabella“ war nach wie vor voll manövrierfähig. Alles übrige konnten Ferris und seine Männer mit einem Schulterzukken verkraften.

Kaltblütig ließ Ferris mit dem Vorschiff in den Wind drehen und das Zeug wegnehmen. Er wandte sich den Geschützführern der Backbordseite zu und rief: „Feuer, solange wir noch Fahrt laufen! Gebt es den Halunken!“

 

„Feuer!“ schrie auch Blacky, der die am weitesten achtern stehende Culverine bediente.

Die Luntenstöcke senkten sich auf die Bodenstücke der Kanonen, die Glut fraß sich durch die Zündkanäle auf das Zündkraut – es wummerte ohrenbetäubend. Rauch umfing die Gestalten der Männer. Er zerfloß und gab ihre hart grinsenden, verschmutzten Gesichter wieder frei.

Shane und Batuti hörten nicht auf, die „Santa Catalina“ mit Brand- und Pulverpfeilen einzudecken.

Krachende, berstende Geräusche klangen von dem Feindschiff herüber. Schreie ertönten. Die Seewölfe johlten und pfiffen. Matt Davies warf seine Mütze hoch, fing sie geschickt mit der Eisenhakenprothese auf und meinte: „Donnerwetter, das war mal ein Volltreffer, wie er im Buche steht. Seht doch, was für ein Loch der Kahn im Schanzkleid hat!“

„Seine Bordwand sieht aus wie ein Sieb!“ schrie Bill, der Moses, der aus dem Großmars abgeentert war und den Geschützführern assistierte. Natürlich übertrieb er in seinem Übereifer, aber das nahm ihm wahrhaftig keiner krumm.

„Einen Treffer unter der Wasserlinie hat er auch abgekriegt“, stellte Blacky voll Genugtuung fest. „Männer, die Piraten kriegen den Kübel nicht mehr herum, sie schaffen es nicht, ihre zweite Breitseite auf uns loszulassen.“

„Mann, bei denen herrscht die größte Wuhling“, erklärte Old O’Flynn, „totale Panik – wie sollen die da noch ans Manövrieren und ans Schießen denken können?“

„Wir haben sie“, sagte Jeff Bowie. „Und unsere kleinen ‚Wunderwaffen‘ geben ihnen den Rest. Hölle, wie der Kahn lodert! Die Segel der Galeone haben die Flammen ja schon fast aufgezehrt – jetzt kommen die Rahen und Masten dran.“

„He, Ferris!“ rief Pete Ballie aus dem Ruderhaus heraus. „Wann willst du endlich deine verteufelten Höllenflaschen einsetzen?“

Ferris Tucker hörte nicht darauf. Er kauerte schon hinter der von ihm gebastelten „Höllenflaschenabschußkanone“, zündete die Lunte der ersten Explosionsflasche an und legte das Ding auf die hölzerne Pfanne des Schleudermechanismus’. Er löste die Arretierung, und die Flasche mit der knisternden Zündschnur segelte in hohem Bogen auf die Viermast-Galeone zu.

Der Rothaarige hatte die Distanz etwas zu knapp bemessen. Deutlich konnte er sehen, wie die Flasche ein paar Yards vor der Bordwand des Gegners ins Wasser schlug.

„So ein Mist aber auch“, stieß Ferris aus. „Na, hoffen wir, daß die Lunte schon bis durch den Korken abgebrannt war und …“

Er unterbrach sich, denn die Fontäne, die jetzt vor dem spanischen Schiff aufstieg, enthob ihn jeden Zweifels. Die Explosionsflasche hatte unter Wasser gezündet, die Wirkung war verblüffend. Rauschend fiel die Fontäne wieder in sich zusammen. Schaden richtete diese erste Flasche nicht an, aber es lief doch ein Schütteln durch die „Santa Catalina“, das die Verzweiflung der Piraten noch steigerte.

Ferris legte die nächste Flasche auf die hölzerne Pfanne seiner grandiosen Erfindung. Wieder taumelte eins der absonderlichen Geschosse durch die Nacht. Dieses Mal hatte der Schiffszimmermann den Abstand richtig kalkuliert.

Die Flasche polterte auf die Kuhl der Viermast-Galeone, rollte ein Stück auf die Luke zu – dann zerbarst sie. Sie riß ein kratergroßes Loch in die Planken, wie Big Old Shane und Batuti von ihren luftigen Standorten aus gut erkennen konnten.

Die „Santa Catalina“ lief auf die Festung von Sao Tomé zu, ihr Kurs war unkontrolliert, sie verlor an Fahrt. Ihre Entfernung zur „Isabella“ vergrößerte sich jetzt jedoch ein wenig, aber es wäre ein Fehler gewesen, daraus eine Hoffnung abzuleiten.

Vielmehr war die Viermast-Galeone in die Reichweite der Festungskanonen geraten. Dan O’Flynn und Smoky, die die 24-Pfünder und 17-Pfünder auf dem südlichen Wehrgang des Gemäuers bewachten, zögerten nicht.

„Auf geht’s, Smoky“, sagte Dan O’Flynn erregt. „Wir dürfen nur nicht zu weit nach links zielen, sonst gefährden wir unsere ‚Isabella‘.“

Smoky hatte eine grimmige Miene aufgesetzt. „Keine Angst, Mann. Ich hab zwar kein Zielwasser getrunken, aber es geht auch ohne dem. Das schwöre ich dir.“

Sie stießen die Luntenenden in die Holzkohlenglut, die in kupfernen Becken zu ihren Füßen waberte.

Als die Festungsgeschütze losböllerten, schmolz auch der letzte Rest Disziplin und Widerstandsgeist der Piraten dahin. Wer von ihnen noch gehen oder kriechen konnte, bewegte sich auf das Schanzkleid zu, kletterte darüber und ließ sich außenbords fallen. Jetzt noch auf der lodernden, von zwei Seiten beschossenen spanischen Galeone zu verweilen, war mit Selbstmord gleichzusetzen.

Hasard erhob sich von dem Kopfsteinpflaster des kleinen Innenhofes der Festung. Steintrümmer des explodierten Nordturmes prasselten jetzt nicht mehr nieder, und auch die Rauch- und Staubwolken lichteten sich allmählich.

Den Turm, in dem sich das Munitionsdepot des Kastells befunden hatte, hatte es regelrecht zerfetzt. An seiner Stelle klaffte eine mächtige Bresche in der Mauer, aber die Explosion hatte keine anderen Bereiche des Baus gefährdet. So war der Gebäudekomplex im Inneren der Mauern völlig intakt – bis auf das Fenster im Hauptgebäude, durch das Manuelito entwischt war.

Der Teniente, der mit Eliseo, Javier, Rasome und einem ganzen Pulk von Soldaten ins Freie gestürmt war, richtete sich mit verdatterter Miene neben dem Seewolf auf.

„Wie war das?“ sagte er. „Sagen Sie das noch mal.“

„Sie haben wissen wollen, wer ich bin“, erwiderte Hasard so freundlich wie möglich. „Ich habe Ihnen meinen Namen genannt: Philip Hasard Killigrew. Meine Freunde nennen mich Hasard.“

„Aber Sie haben auch El Lobo del Mar erwähnt.“

„Irgendwer hat mir diesen Spitznamen verpaßt“, antwortete Hasard in seinem tadellosen Spanisch. „Ich weiß selbst nicht mehr, wer. Aber lassen wir das, Teniente. Suchen wir lieber nach den sterblichen Überresten unseres gemeinsamen Freundes Manuelito.“

Der Teniente hielt ihn am Arm fest. „El Lobo del Mar. Der Seewolf. Sie sind das also. Spaniens Todfeind Nummer eins. Por Dios, und ich glaube, der König hat eine Belohnung auf Ihre Ergreifung ausgesetzt.“

Hasard sah dem Mann fest in die Augen, während sich von den Seiten Javier, Eliseo, Rasome und ein paar andere heranschoben.

„Müssen wir das jetzt erörtern?“ sagte Hasard scharf. „Hombre, ich erwarte zwar keinen Dank für das, was ich für euch getan habe. Aber ich sehe andererseits auch nicht ein, warum wir uns jetzt herumschlagen sollten. Oder? Kann hier jemand seinen Patriotismus und seine Karrieresucht nicht wenigstens mal für ein paar Minuten hintenanstellen?“

Der Teniente blickte jetzt noch verstörter drein. Zweifellos war er in diesem Moment nicht das eherne, leuchtende Vorbild, das der Anführer einer Festungswache seinen Untertanen gegenüber zu sein hatte.

„Teniente“, sagte Eliseo eindringlich. „Dieser Mann hat uns allen das Leben gerettet. Oder zweifeln Sie daran, daß Manuelito und seine Spießgesellen uns alle über die Klinge hätten springen lassen?“

„Ich nicht“, sagte Javier.

Der Teniente räusperte sich. „Einverstanden. Inspizieren wir jetzt den Turm, äh, ich meine natürlich das, was davon übriggeblieben ist.“

Hasard drehte sich um und lief als erster auf die Trümmer zu. Er rechnete jetzt nicht mehr damit, von dem Teniente oder von einem übereifrigen und zu pflichtbewußten Soldaten eine Kugel in den Rücken zu erhalten – wenn er auch der Meinung war, daß der Yoruba Rasome etwas zu voreilig gehandelt hatte, als er die Festungswache befreit hatte.

Aber das ließ sich jetzt nicht mehr ändern.

Richtig, Hasard war Spaniens Feind Nummer eins. Aber eine Feuerpause, ein Waffenstillstand – ein Burgfrieden im wahrsten Sinne des Wortes war das mindeste, was er hier von den Dons verlangen konnte. In dieser Beziehung war Bescheidenheit wirklich fehl am Platze.

Sicher war, daß sich auch Dona Adriana dafür einsetzen würde, daß Hasard und seinen Männern hier kein Haar gekrümmt wurde. Daß beispielsweise der Teniente nicht glaubte, zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen zu können, indem er jetzt, nach dem Sieg über die Piraten, die Männer der „Isabella“ festnahm. Aber Hasard dachte nicht daran, sich auf die Anordnungen der schönen Frau zu stützen. Er hatte seine persönlichen Angelegenheiten bislang selbst bereinigt, und so sorgte er auch hier, auf Sao Tomé, dafür, daß man ihn respektierte und ihm nicht in die Seite fiel.

Hasard kletterte über die Brocken von zerrissenen Quadersteinen und suchte zwischen den Fundamenten des Nordturmes nach der Leiche des Piratenführers.

Eliseo und Javier hatten sich Pechfackeln besorgt. Sie zündeten sie an, traten zu dem Seewolf und leuchteten das Trümmerfeld aus.

Rasome sah sich besorgt um und sagte: „Senor Killigrew, Vorsicht! Von den Wehrgängen könnten noch Steine herunterstürzen. Einige hängen sehr locker.“

„Danke“, erwiderte Hasard. Er blickte zu den beiden Soldaten auf. „Paßt auf, daß ihr keine Beulen in eure Helme kriegt.“

„Nein, Senor“, sagte Eliseo, und dieses „Senor“ kam ihm ganz selbstverständlich über die Lippen. Er konnte schon wieder grinsen, obwohl er noch immer kalkweiß im Gesicht war – wegen des Schrecks, der ihm wie den anderen in dieser Nacht gleich mehrfach in die Knochen gefahren war, und obwohl er unter seinem Helm fürchterlich schwitzte – wegen der Hitze, die auch jetzt, gegen Morgengrauen, kaum abklang.

Aber es war besser, im Freien zu schwitzen und die neu gewonnene Freiheit zu genießen, als in einem schlecht gelüfteten Raum zu brüten und nicht zu wissen, was die nahe Zukunft brachte.

Hasard untersuchte die Reste des Turmes und schob sich immer weiter vor. Auf diese Weise geriet er an die äußere Kante der Fundamente. Von hier aus konnte er auf die nur wenige Yards tiefer glitzernde Oberfläche des Atlantiks blicken. Nachdenklich blieb er stehen.

„Das ist merkwürdig“, sagte er.

Der Teniente war neben ihm angelangt und gab ihm durch eine Geste zu verstehen, daß er die Worte nicht begriffen hatte. Hasard, der unwillkürlich wieder in seine Muttersprache verfallen war, wiederholte auf spanisch, was er laut gedacht hatte.

„Ich weiß immer noch nicht, was Sie meinen“, erklärte der Teniente begriffsstutzig.

Hasard blickte ihn wieder an. „Versuchen Sie mal, mir geistig zu folgen, ja? Wenn ich mich nicht irre, muß sich in unserer Nähe jenes Nebentor befinden, das auf den Kai der Festung hinausführt. Dona Adriana hat mir davon berichtet. Sie floh mit der Zofe Sandra und Rasome durch dieses Tor.“

„Eine Treppe führt vom überdachten Gang aus zu dem Tor hinunter“, sagte der Teniente. Seine Miene war ein einziges Fragezeichen.

Rasome, der sich zu ihnen gesellt hatte, hatte noch die Worte des Offiziers verstanden.

„Ja“, fügte er lächelnd hinzu. „Dort drüben, im Dunkel hinter den Arkaden, siehst du, Lobo del Mar?“ Er wies mit dem Finger auf den entsprechenden Punkt des Innenhofes.

Hasard nickte. „Gut. Und nun weiter, Teniente. Hätte Manuelito nicht dieses Tor benutzen können, um sich aus dem Kastell abzusetzen?“

„Vielleicht wußte er überhaupt nicht, daß es existiert …“

„So dämlich kann er nun auch wieder nicht sein“, entgegnete Hasard. „Nein, ich nehme vielmehr an, daß er diesen Weg für zu gefährlich hielt. Dan O’Flynn und Smoky, die auf dem südlichen Wehrgang Posten bezogen haben, hätten ihn nämlich auf der kurzen Strecke, die von der Treppe zum Tor führt, entdekken können. Habe ich recht, Teniente?“

„Sie scheinen sich ja bestens auszukennen …“

„Ich sagte Ihnen doch, man hat mir ausführlich über die Festung berichtet.“

„Was hat Dona Adriana Ihnen noch alles verraten?“ wollte der Teniente wissen.

Hasards Mundwinkel zuckten leicht, aber es war schwer herauszufinden, ob es sich um den Anflug eines spöttischen Lächelns oder um den Ausdruck von Verärgerung handelte. Er antwortete: „Soviel wie nötig war, um unseren Schlag gegen Manuelito glücken zu lassen. Aber Sie brauchen sich keine Sorgen zu bereiten, Teniente, falls das Kastell irgendein Geheimnis birgt, so kriege ich dies bestimmt heraus. Aber zurück jetzt zu unserem eigentlichen Gespräch. Manuelito hätte es riskieren können, das Nebentor zu erreichen. Trotzdem hat er den Nordturm als Versteck gewählt. Warum?“

„Er glaubte, sich bewaffnen und den Kampf noch für sich entscheiden zu können“, meinte der Teniente.

Rasome schüttelte hinter seinem Rücken den Kopf. Eliseo und Javier, die den Dickschädel und das etwas begrenzte Kombinationsvermögen ihres Vorgesetzten genau kannten, quittierten dies mit einem Grinsen.

 

Hasard schob die Unterlippe vor. „Nein“, erwiderte er. „Er wollte uns nur noch eins auswischen und dann verschwinden. Ich schätze, das ist ihm auch geglückt. Eine geringe Menge Pulver mehr, und ein Teil des Hauptgebäudes wäre mit in die Luft geflogen.“

„Aber Sie haben auf den Turm geschossen, Killigrew“, ereiferte sich der Teniente. „Und wahrscheinlich haben Sie diesen Hund von einem Piraten auch getroffen.“

„Das glaube ich nicht. Jetzt nicht mehr.“

„Schön, dann ist er eben nur verwundet worden. Auf jeden Fall aber hat die Explosion ihm den Rest besorgt.“

Hasard mußte lachen. Es war ein kurzes, trockenes Auflachen, und seine Augen blieben dabei ernst. „Wieder irren Sie sich. Sehen Sie hier irgendwo die Leiche von Manuelito?“

„Nein. Die Wucht der Explosion hat ihn zerrissen – in winzige Teile.“

„Praktisch ist das undenkbar. Wir müßten zumindest kleine Reste seines Körpers finden. Wenigstens Blut, das an den Trümmern haftet“, sagte Hasard. „Aber nichts dergleichen läßt sich hier feststellen. Manuelito scheint sich in Luft aufgelöst zu haben.“

„Unmöglich“, protestierte der Teniente. „Sowas gibt es nicht. Sie wollen doch wohl nicht behaupten, daß dieser Pirat über übernatürliche Kräfte verfügt!“

„Keineswegs.“

„Wenn das so ist, wie Sie sagen, kann er nur die Flucht angetreten haben, bevor der Turm in die Luft ging.“

„Wirklich, Teniente?“

„Man muß den Bastard suchen, damit er seine gerechte Strafe kriegt!“ schrie der Teniente.

Hasard blieb völlig gelassen. „Genau das wollte ich Ihnen auch empfehlen, Teniente. Bitte sorgen Sie doch dafür, daß Schaluppen und Boote aus dem Hafen mit der Fahndung beginnen. Vielleicht sollten sich auch die beiden zweimastigen Karavellen, die ich auf der Reede gesehen habe, an der Suche beteiligen. Veranlassen Sie, daß sie sofort auslaufen.“ Er entblößte seine Zähne, bevor er weitersprach. „Nein, keine Angst, Teniente. Meine Leute von der ‚Isabella‘ lassen die Boote und Schiffe vorbeiziehen, ohne sie zu behelligen. Ich signalisiere ihnen.“

Hasard wandte sich ab und schritt auf die Treppe zu, um sich zu Smoky und Dan O’Flynn auf den südlichen Wehrgang zu begeben.

Sowohl im Hafen als auch auf dem Söller der Festung war das Dröhnen der Kanonen verstummt. Die Schlacht war entschieden. Endgültig.

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