Seewölfe - Piraten der Weltmeere 144

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 144
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Impressum

© 1976/2015 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

ISBN: 978-3-95439-468-5

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Inhalt

Kapitel 1.

Kapitel 2.

Kapitel 3.

Kapitel 4.

Kapitel 5.

Kapitel 6.

Kapitel 7.

Kapitel 8.

Kapitel 9.

Kapitel 10.

1.

Es waren erbarmungswürdige Gestalten, die der Ausguck im Großmars der Viermast-Galeone „Candia“ an diesem milden, sonnigen Junimorgen 1587 in einem Boot an der südlichen Kimm erblickte. Eben erst waren sie aufgetaucht, so unvermittelt, als hätte es sie vorher nie gegeben, aber schon vermochte der Ausguck auf seinem luftigen Posten die Einzelheiten ihrer Gesichter auseinanderzuhalten. Die Luft war klar, der Wind aus Nordwesten hatte die milchigen Schleier fortgekehrt, die im Morgengrauen über den Atlantik gezogen waren.

Deutlich hoben sich die Männer in der Jolle durch die kreisrunde Optik des Spektivs vom Hintergrund ab. Sie hockten zusammengesunken auf den Duchten und schienen von den Seglern, die sich auf sie zubewegten, überhaupt keine Notiz zu nehmen.

Und doch mußten sie sie bemerkt haben, denn wenn der Ausguck der „Candia“ das kleine Boot gesichtet hatte, dann mußten die Schiffbrüchigen die Galeone und die Karavelle des einst so stolzen Verbandes allemal entdeckt haben – auch ohne Fernrohr. Die Sonne stand noch als glutiger Feuerball im Osten über dem Festland und konnte keinen Mann, der nach Norden Ausschau hielt, blenden. Ja, auf diese Distanz mußten die Bänner im Boot ihre Retter mit bloßem Auge sehen können.

„Senor Comandante!“ schrie der Ausguck der „Candia“ aufs Deck hinab. „Treibendes Boot voraus! Wir segeln genau darauf zu!“

Im selben Augenblick ließ auch der Ausguck der spanischen Kriegskaravelle „Santa Angela“ einen Ruf vernehmen. Auf beiden Schiffen liefen Offiziere, Decksleute und Soldaten nach vorn und erklommen das Vorkastell, um die Entdeckung ebenfalls in Augenschein zu nehmen.

Erst jetzt hoben einige der entkräfteten, zerlumpten Gestalten in dem Boot die Hände und winkten den beiden Schiffen träge zu. Sie fanden augenscheinlich nur noch einen winzigen Rest Energie, um Zeichen zu geben und heisere Schreie auszustoßen – das Pullen hatten sie längst aufgegeben. Das Segel, das nur noch in Fetzen an dem niedrigen Mast des Bootes hing, konnte ihr Fahrzeug auch nicht mehr voranbewegen, so daß sie den Meeresströmungen ausgeliefert waren und mit unbestimmtem Kurs an der portugiesischen Küste entlangtrieben.

Die Erschöpfung und die Verzweiflung hatten diese Männer zu willenlosen Marionetten in der unendlich wirkenden Weite der Wasserwüste werden lassen.

Sie waren nervlich zerrüttet und körperlich nahezu zugrunde gerichtet. Die Geschehnisse der Sturmnacht hatten sie nachhaltig gezeichnet, Hunger und Durst hatten ein Weiteres bewirkt. Sie hatten sich hingesetzt, hatten vor sich hingestarrt, kein Wort mehr gesprochen und auf den Tod gewartet.

Lucio do Velho stand jetzt an der vorderen Schmuckbalustrade der Back der „Candia“ und spähte durch sein Spektiv zu den Schiffbrüchigen hinüber. Zu seinen Füßen erstreckte sich die Galionsplattform der großen Galeone, darunter rauschte die Bugsee. Der frische raume Wind blähte die Blinde unter dem Bugspriet, wie er die gesamte Besegelung der „Candia“ wölbte und dem Schiff beachtliche Fahrt verlieh. Sie war kein altes Schiff, diese Viermast-Galeone, sie war vielmehr erst knapp mehr als zwei Jahre alt und in ihrer Bauweise, Manövrierfähigkeit und Geschwindigkeit einer der modernsten Kriegssegler, den die Armada zu bieten hatte.

Respektvollen Abstand hielten die Offiziere der „Candia“ von ihrem Kommandanten – ganz zu schweigen von dem „gemeinen Schiffsvolk“, das auf diesem wie allen anderen Kriegsschiffen des Vereinten Königreiches Spanien-Portugal aus Seeleuten und Soldaten bestand. Keiner traute sich zu nah an diesen äußerlich nicht sonderlich auffälligen, seinen Charaktereigenschaften nach jedoch zu fürchtenden Mann heran.

Keiner, außer Ignazio. Der bullige Mann aus Porto war auch diesmal vom Achterdeck aus seinem Kapitän nachgeeilt und verharrte nun neben ihm, um ihm mit „Rat und Tat“ zur Seite zu sein. Keiner ertrug den beißenden Spott und die Ungerechtigkeiten des Lucio do Velho so geduldig wie dieser Ignazio, keiner verfügte über ein so dickes Fell wie er. Wie Ignazio es fertigbrachte, unter do Velhos Fuchtel zu existieren, da doch unzählige gestandene Kerle an der Unberechenbarkeit des Kommandanten zerbrochen waren – dies war sein Geheimnis.

Wahrscheinlich wußte er es selbst nicht genau, warum er do Velho in solcher Treue verbunden war, warum er noch nicht desertiert oder wegen Insubordination bestraft war. Mit Leichtigkeit hätte do Velho diesem recht einfältigen Bootsmann der „Candia“ etwas anhängen können, wie es seiner überheblichen, unduldsamen Wesensart entsprach. Do Velho drohte es auch immer wieder an, daß er Ignazio degradieren und von seinem Schiff weisen würde, aber letztlich setzte er es dann doch nicht in die Tat um. Im Gegensatz zu dem Bootsmann war er sich dabei über die Gründe seines Handelns voll bewußt.

Ignazio hatte ihm, do Velho, schon zweimal das Leben gerettet. Einmal bei Formosa und einmal in Südafrika, im Land der Buschmänner. So absurd es klang: Solange Ignazio an do Velhos Seite weilte, schien der Tod immer wieder an ihnen vorbeizuschlüpfen und der Höllenfürst sie zu verachten.

Dies war ausschlaggebend für Lucio do Velho, sonst hätte er sich des geistig ganz und gar nicht beschlagenen Mannes längst entledigt.

Do Velhos Gesicht war ausdruckslos und undurchdringlich. Ohne sichtliche Gemütsregung betrachtete er die Männer im Boot.

„Senor!“ rief der Ausguck. „Es sind die Männer der ‚Extremadura‘, ich habe sie erkannt!“

„Ja“, sagte do Velho. „Ungefähr ein Drittel der Besatzung, und der Kapitän ist nicht mit dabei.“

„Vielleicht stoßen wir noch auf das zweite Boot der Karavelle“, erwiderte Ignazio.

„Das glaubst du wirklich?“

„Ich hoffe es, Senor.“

Do Velho würdigte seinen Bootsmann nicht einmal eines Seitenblicks, er schaute weiter durch sein Spektiv voraus.

„Ich habe das untrügliche Gefühl, daß wir die einzigen Überlebenden des Untergangs der ‚Extremadura‘ vor uns haben“, sagte er. „Gäbe es auch das zweite Beiboot noch, dann hätten die Insassen versucht, den Kontakt mit den Kameraden nicht zu verlieren. Aber dir, Ignazio, fehlt natürlich der Scharfsinn, um eine solche Feststellung zu treffen.“

Der Mann aus Porto entgegnete diesmal nichts. Was hätte er auch sagen sollen? Daß er nur versuchte, die Situation zu beschönigen, da doch offensichtlich war, daß sie einen Fehler begangen hatten, als sie dem Sturm getrotzt hatten, statt sich unter Land oder in einer Bucht vor dem Toben des Wetters zu schützen? Ein paar ehrliche Worte hätten in diesem Fall garantiert bewirkt, daß do Velho die Beherrschung verloren hätte. Den Kommandanten durfte keiner kritisieren, auch wenn er seine Untergebenen mal nach ihrer Meinung fragte.

„Sieh sie dir an“, sagte do Velho. „Eigentlich sollten sie hocherfreut sein, daß wir umgekehrt sind und sie gefunden haben. Aber sie können nicht einmal richtig winken, und ihre Gesichter gleichen Totenmasken. Ein undankbares Volk ist das.“

„Ja“, antwortete Ignazio. „Eigentlich sind sie es gar nicht wert, daß man sie auffischt, Senor.“

„Ach? Sollen wir also an ihnen vorbeisegeln und sie ihrem Schicksal überlassen?“ fragte der Kommandant lauernd.

„Aber nein, Senor!“

„Siehst du“, sagte do Velho voll Verachtung. „Du solltest es dir wirklich abgewöhnen, mir nach dem Mund zu reden. Ich kriege es ja doch heraus, daß du gegen deine Überzeugung sprichst. Du bedauerst diese traurigen Figuren doch noch, gib es ruhig zu.“

„Sie haben viel durchstehen müssen.“

„Und wir? Haben wir nicht genauso die Zähne zusammenbeißen und gegen das Wüten der Natur kämpfen müssen?“

„Sicher, Senor Comandante.“

Lucio do Velho ließ das Spektiv sinken und sah seinem Bootsmann in die Augen. Sein Blick war bohrend, vernichtend, und insgeheim wünschte sich der Kommandant, Ignazio möge darunter zusammenzukken und vor Respekt zerfließen.

Aber das tat der Mann aus Porto nicht. Seine Verhaltensweisen waren phlegmatischer Natur, außerdem kannte er seinen Vorgesetzten ja nun lange genug, um sich nicht durch jede Geste, jeden Blick einschüchtern zu lassen. Er schob nur seine Unterlippe ein wenig vor und hielt dem tödlichen Ausdruck in do Velhos Augen stand.

„Aber wir haben das bessere Schiff, wolltest du doch sagen“, fuhr do Velho seinen Bootsmann an. „Gib es zu. Wir waren im Vorteil, weil die ‚Candia‘ jeden Sturm abreiten kann, nicht aber die vier Schiffe, die sich in unserer Begleitung befanden.“

„Wir haben den besseren Schiffsführer, Senor Comandante.“

„Du bist ein elender Stiefellecker, Ignazio.“

 

„Danke, Senor.“

Ohne eine Miene zu Verziehen, fuhr do Velho fort: „Aber es stimmt. Ob man den Tücken der See trotzt, hängt in erster Linie vom Kapitän, nicht von seinem Schiff ab. Auch der Kapitän der ‚Santa Angela‘ ist ein Könner, dieses Lob muß ich ihm erteilen, denn im Gegensatz zum Kapitän der ‚Extremadura‘ hat er es verstanden, seine Karavelle einigermaßen glimpflich durch den Sturm zu bringen.“

„Senor, si.“

„Wir drehen bei und nehmen die Schiffbrüchigen über. Ein Teil entert bei der ‚Santa Angela‘ auf, einen Teil nehmen wir an Bord. Ich habe unter den Männern im Boot den ersten Offizier der ‚Extremadura‘ erkannt. Mit diesem Mann will ich reden. Er wird also bei uns auf der ‚Candia‘ untergebracht.“

„Verstanden, Senor.“

Ignazio wandte sich um und gab den Befehl weiter. Rufe hallten über Deck. Auch drüben auf der „Santa Angela“ wurde auf ein Zeichen von Bord des Flaggschiffes hin die Order zum Beidrehen gegeben. Fast gleichzeitig richteten die Viermast-Galeone und die Zweimast-Karavelle ihr Vorschiff in den Wind, nahmen Zeug weg und glitten mit verringerter Fahrt auf das Boot zu.

Wirklich, die Schiffbrüchigen zeigten keine Begeisterungsstürme, sondern sahen dem Ende ihres unglücklichen Abenteuers eher apathisch entgegen. Sie hatten zuviel erlitten und waren zu abgekämpft, um lachen, weinen, gestikulieren oder lärmen zu können. Aber ihre Teilnahmslosigkeit lag zum Teil auch darin begründet, daß sie alles andere als ein Wiedersehen mit dem Kommandanten Lucio do Velho herbeigesehnt hatten.

Do Velho hatte in Lissabon durch seine Hartnäckigkeit einen neuen Verband zusammenstellen können, mit dem er den Seewolf jagte, aber niemand hatte sich darum gerissen, sich ihm anzuschließen, denn do Velho galt als einer der ungnädigsten, unmenschlichsten Geschwaderführer. Sein Ruf war ihm vorausgeeilt, er war als „El Milagrolado“, einer, der vom Wunder heimgesucht worden war, berühmt und berüchtigt geworden. In der Tat erschien es wie ein Wunder, daß Ignazio und er nach allem, was ihnen im Land der Buschmänner zugestoßen war, noch am Leben waren. Aber die meisten seiner Untergebenen wünschten sich inständig, jenes Wunder wäre nie geschehen.

Auch jetzt, als die „Candia“ zunächst alle Schiffbrüchigen in Lee übernahm, zeigte der Kommandant nicht den Anflug von Humanität. Der Anblick der Gestalten, die mehr tot als lebendig wirkten, rührte ihn nicht.

Im Gegenteil, er empfand es eher noch als richtig, mit dem ersten Offizier der „Extremadura“ im barschen Tonfall zu verfahren.

„Senor, wo steckt Ihr Kapitän?“

Der Erste der Karavelle nahm vor do Velho Haltung an. Er räusperte sich, um seiner Stimme etwas von ihrer Heiserkeit zu nehmen, aber er hatte Mühe, nicht auf die gleiche rüde Art zu antworten.

„Mit Sicherheit noch an Bord der ‚Extremadura‘, Senor Comandante“, erwiderte er.

„Das heißt, das Schiff ist nicht gesunken?“

„Das heißt, unser Capitán hat mit der ‚Extremadura‘ den ewigen Frieden gefunden, und zwar auf dem Grund der See, Senor.“

„Und da wagen Sie es noch, Witze zu reißen?“ Do Velho brüllte es fast.

„Ich antworte nur auf Ihre Fragen, Senor“, entgegnete der erste Offizier mit bewundernswerter Ruhe.

„Sie werden sich wegen Ihrer dreisten Art noch zu verantworten haben“, sagte do Velho eisig unterkühlt. „Und nicht nur deswegen. Sie werden noch sehen, was Sie sich eingehandelt haben, als Sie Ihr Schiff und Ihre Kameraden im Stich gelassen haben.“

„Mehr als die Hälfte der Besatzung war bereits vor die Hunde gegangen, als der Capitán uns den Befehl gab, von Bord zu springen“, verteidigte sich der Erste. „Die ‚Extremadura‘ sank wie ein Stein, es gab keine Hoffnung mehr. Wir nahmen an, der Capitán würde uns folgen, Senor Comandante, deswegen gingen wir außenbords und griffen uns das Boot, das irgend jemand noch abgefiert hatte.“

„Sie haben ja ein erstaunliches Geschick, Tatsachen zu verdrehen“, meinte do Velho in seiner unvergleichlich ätzenden Art. „Aber damit kommen Sie bei mir nicht durch. Bei mir nicht! Ich weiß, daß die ‚Extremadura‘ hätte gerettet werden können!“

„Ich schwöre, daß ich die Wahrheit gesprochen habe!“ rief der entsetzte erste Offizier. „Meine Leute können es bestätigen. Gott ist unser Zeuge, daß die Dinge sich so abgespielt haben, wie ich es gesagt habe!“

Lucio do Velho winkte ab. Ignazio ließ die übrigen Schiffbrüchigen, die jetzt aufbegehren wollten, zur Ordnung rufen. Stille trat ein, nur unterbrochen durch das Knarren der Rahen und Blöcke.

„Lassen wir das jetzt“, sagte der Kommandant schließlich. „Wir vergeuden nur unsere Zeit. Die ‚Santa Angela‘ haben wir wiedergefunden. Von der ‚Extremadura‘ wissen wir, daß sie nicht mehr existiert. Was aber ist aus den beiden portugiesischen Galeonen ‚Sao Sirio‘ und ‚Sao Joao‘ geworden?“

„Wir wissen es nicht, Senor“, erwiderte der Erste der gesunkenen Karavelle, als sich alle Blicke auf ihn richteten. „Im Sturm verloren wir jeden Kontakt zu den anderen Schiffen.“

„Welches Schiff haben sie als letztes gesehen?“ fragte der Kommandant ungehalten.

„Die ‚Sao Joao‘.“

„In was für einem Zustand befand sie sich?“

„In einem besseren als unsere Karavelle.“

„Und die ‚Sao Sirio‘?“

„Wir verloren sie sehr früh aus den Augen“, sagte der erschöpfte Mann. „Ich sah sie achteraus in Regen und Dunkelheit verschwinden. Sie schien ein Spielball der Wellen geworden zu sein.“

Do Velhos Miene war jetzt eher verkniffen als arrogant. Er hatte die Hände auf dem Rücken ineinandergelegt und grübelte nach, ob es sich überhaupt lohnte, nach dem Rest des Verbandes zu forschen. Rasch faßte er seinen Entschluß.

„Senores, wir segeln weiter. Die Hälfte der Männer von der ‚Extremadura‘ wechselt jetzt mit einem Boot an Bord der ‚Santa Angela‘ über, dann setzen wir wieder die Segel und fahren mit südlichem Kurs weiter an der Küste entlang.“

Eine halbe Stunde später trafen das Flaggschiff „Candia“ und die lateinergetakelte Karavelle „Santa Angela“ etwa fünfzehn Meilen von der Küste entfernt auf die arg lädierte Galeone „Sao Joao“, die vor dem Wind trieb. Der Sturm hatte ihr den Besanmast zerschlagen, wie ein Baum war er gefällt worden. Mit nur noch zwei Masten und unzureichender Takelung hatte der Kapitän getrachtet, das Land zu erreichen.

Jetzt gab es ein Wiedersehen, das in etwas angenehmerer Atmosphäre als das zwischen Schiffbrüchigen und Rettern verlief – Lucio do Velho fand in einem Gespräch von Bord zu Bord sogar ein paar lobende Worte für den Kapitän der „Sao Joao“, der sich so tapfer gehalten hatte.

Mit neuen Segeln wurde die „Sao Joao“ versorgt, dann konnte sie sich den beiden anderen Schiffen anschließen. Die Suche nach dem Rest des Verbandes ging weiter, immer an der Küste entlang in Richtung Süden.

Der Rest des Verbandes – das konnte jetzt nur noch die „Sao Sirio“ sein. Do Velho hatte seine Zweifel, daß das Schiff den heftigen Sturm überstanden hatte, aber er wollte endgültige Gewißheit haben und ließ nicht locker, bis er die ganze Wahrheit erfuhr.

Sie offenbarte sich ihm nicht sehr viel später, und seine düsteren Ahnungen wurden mit einem Schlag bestätigt.

Der Ausguck der „Candia“ sichtete zunächst die Steilküste, der sie sich jetzt genähert hatten, und dann die Schatten, die unweit dieses ungastlichen Ufers aus der See ragten. Sofort wies er seinen Kommandanten darauf hin.

Do Velho richtete wieder sein Spektiv auf die Entdeckung.

„Ein Riff“, sagte er zu den Männern des Achterdecks. „Ein sehr gefährliches Riff. Wir haben jetzt ablaufendes Wasser, und man kann die Felsen aus den Fluten hochwachsen sehen. Bei Flut sind sie aber völlig verdeckt. Einer, der die Gegend nicht genau kennt, muß unweigerlich mit seinem Schiff auflaufen, falls er in Ufernähe gerät. Der auflandige Wind konnte heute nacht ein Schiff leicht auf Legerwall drücken.“

Ignazio, der sich ebenfalls mit einem Fernrohr bewaffnet hatte, stieß plötzlich einen bestürzten Laut aus, eine Mischung aus Seufzen und Keuchen. „Senor, ich sehe Schiffstrümmer auf dem Riff.“

„Ich sehe sie auch, du Narr!“

„Sie meinen doch wohl nicht, daß es die Wrackteile der – mein Gott, laß es nicht wahr sein.“

„Warum so melodramatisch, Bootsmann?“ entgegnete do Velho. „Ich habe keinen Zweifel daran, daß wir die total zertrümmerte ‚Sao Sirio‘ vor uns haben. Warum soll man sich Illusionen hingeben, wenn die Tatsachen unverkennbar sind?“

Ignazio ließ das Spektiv sinken. „Ich frage mich, was aus dem Kapitän und seiner Mannschaft geworden ist. Monforte – so heißt der Capitán doch, nicht wahr, Senor? Ob er noch lebt? Ob sich die Besatzung an Land retten konnte?“

„Darauf, werter Ignazio, können uns die Wrackteile weiß Gott keine Antwort geben“, erwiderte do Velho bissig.

2.

Hasard blickte noch einmal in Joseas dunkle, traurige Augen, ehe er in das am Ufer der Bucht bereitliegende Beiboot der „Isabella VIII.“ stieg und an Bord seines Schiffes zurückkehrte.

„Du glaubst also nicht mehr, daß alle Engländer gottverfluchte Schufte sind?“ fragte er sie.

„Nein, ganz bestimmt nicht. Unter den Ingléses gibt es gute und schlechte Leute, genau wie bei uns.“

Hasard lächelte. „Hoffentlich ist das nicht nur ein Lippenbekenntnis. Nein, nein, du brauchst jetzt nicht zu beteuern, daß du aufrichtig bist. Ich will dir vertrauen, Josea. Laß dir zum Abschluß nur noch eins gesagt sein. Der Kampf, den wir gegen Spanien-Portugal führen, hat nichts mit unserer Einstellung zu der Bevölkerung dieser beiden Länder zu tun. Man findet überall Freunde, wenn man nur will, und wir haben sogar einmal einen Spanier an Bord unseres Schiffes gehabt.“

„Teilt deine Königin diese Ansichten?“

„Die ‚Isabella‘ gehört nicht der offiziellen englischen Flotte an, Josea.“

„Aber wer bist du dann eigentlich, Lobo del Mar?“

„Ein Korsar – und ein Rebell, wenn du so willst.“

Eines ist sicher“, sagte sie leise. „Ich werde dich nicht vergessen. Es tut mir leid, daß ihr schon wieder aufbrechen müßt. Könnt ihr nicht noch bleiben?“

Segura und Franca, ihre jüngeren Schwestern, standen dich hinter ihr, blickten den großen Mann mit dem schwarzen Haar und den eisblauen Augen an und drückten allein durch ihr Mienenspiel die gleiche Bitte aus: Ja, bleib doch noch, Seewolf!

Hasard schaute an den Klippfelsen hoch, die die geschützt liegende Bucht säumten. Ganz oben stand die Abuela, die Großmutter Brancate, eine urwüchsige, knorrige Gestalt, die mit dem schroffen Gestein verwachsen zu sein schien. Sie hatte die halbe Meile Weg vom Haus der Brancates zur Bucht nicht gescheut. Mitgelaufen war sie, um den Seewölfen. Adios zu sagen, und in diesem Augenblick hob sie ihren Stock und winkte Hasard damit zu.

Auch der Profos Carberry, der gerade in dem zweiten Beiboot zur „Isabella“ übersetzte, blickte zu der alten Frau hinauf. Er grinste, richtete sich dann kerzengerade auf und brüllte in seinem fürchterlichen spanischen Kauderwelsch: „Leb wohl, Rose von Portugal, und nochmals vielen Dank für den guten Landwein. Wir werden das Zeug schon alle kriegen. Und natürlich passen wir auf, daß wir die Flaschen nicht verwechseln, du kannst dich darauf verlassen!“

„Na“, sagte Big Old Shane, der auf der Ducht hinter Carberry saß. „Da würde ich mal nicht so sicher sein. Es gibt Leute, die vor lauter Zerstreutheit den falschen Wein saufen. Und dann buddeln sie ab und pennen ein, wie man so schön sagt.“

Der Profos drehte sich halb zu ihm um. „Sag mal, auf was willst du eigentlich anspielen, du alter Eisenbieger?“

„Ach, ich meine das nur so“, erwiderte Shane mit breitem Grinsen.

Ferris Tucker, Ben Brighton, Dan O’Flynn und die anderen im Boot begannen zu lachen.

„Ihr Heringe“, brummte Carberry. „Paßt bloß auf, daß ihr nicht baden geht. Das kann euch nämlich ganz schnell passieren, wenn ihr nicht eure dämlichen Schandmäuler haltet.“

Es wurmte ihn mächtig, daß sie ihn wegen seines Ungeschicks auf den Arm nahmen. Etwas zu voreilig hatte er nämlich Pinho Brancates Gastfreundschaft angenommen und einen Becher von dem „vorzüglichen portugiesischen Landwein“ in sich hineingekippt. Daß dem Rebensaft eine gehörige Dosis Schlafmittel beigepanscht war, hatte er etwas später dann am eigenen Leib erfahren.

Die Abuela hatte gegen ihren Willen den Schlaftrunk zubereitet, weil ihr Sohn Pinho ihr immer wieder angedroht hatte, er würde sie in einem kleinen Boot den Dämonen der See ausliefern, falls sie sich weigere. Carberry hatte dieses Boot im Keller des Hauses inzwischen zerstört – und die Abuela war zufrieden.

 

Fässer und Korbflaschen verschiedener Größen waren an Bord der „Isabella“ gemannt worden, nachdem die unerfreuliche Episode in der Herberge der Brancates überstanden gewesen war. Trinkwasser aus dem Brunnen befand sich in den Fässern, die Korbflaschen enthielten weißen und roten Wein, wobei der Großteil davon tatsächlich naturrein und unverfälscht war, wie die Abuela und die drei Mädchen glaubhaft versichert hatten. Vorsichtshalber und für alle Fälle hatte der Seewolf aber auch den Rest des Schlaftrunks mitgenommen – der schwappte in drei besonders gekennzeichneten Flaschen.

Hasard richtete seinen Blick wieder auf die Mädchen. „Und ihr werdet nun wirklich keine Seeleute mehr in euer Haus locken und überrumpeln?“

„Wir schwören es“, sagte Josea.

„Wer am Riff Schiffbruch erleidet, dem werden wir helfen“, versicherte Segura. „Nur das – ohne uns zu bereichern.“

„Und wovon wollt ihr leben?“

„Von ehrlicher Arbeit“, antwortete die dreizehnjährige Franca.

„Das ist seltsam“, entgegnete der Seewolf. „Ich glaube euch wirklich. Vielleicht muß ich es eines Tages bereuen. Aber auf eins könnt ihr euch verlassen: Sobald sich mir die Gelegenheit dazu bietet, komme ich wieder und prüfe nach, ob ihr Wort gehalten habt.“

Josea musterte ihn ernst. „Seit wir durch einen reinen Zufall vernommen haben, daß unser Vater und unsere Brüder uns hinters Licht geführt haben, ist alles anders. Für uns ist eine Welt zusammengebrochen. Unsere Eltern und unsere Brüder – sie haben uns angelogen und uns für ihre verbrecherischen Zwecke ausgenutzt. Niemals hätten wir mitgemacht, wenn wir gewußt hätten, daß sie ihre Opfer von den Klippen stürzten, statt sie irgendwo auszusetzen und unbehelligt zu lassen.“

„Der Padre sagte uns immer wieder, der Schlaftrunk raube einem Mann auch die Erinnerung“, fügte Segura bitter hinzu. „Deswegen glaubten wir ihm. Wir dachten, keiner der um sein Hab und Gut Erleichterten würde jemals in Erwägung ziehen, zu uns zurückzukehren, weil er eben nicht mehr wußte, wie ihm geschehen war.“

Franca sagte: „Du solltest auch von den Klippen stürzen, Lobo del Mar. Du und deine Männer. Und genauso sollte es dem Capitán Monforte und seinen Freunden ergehen.“

„Pinho, Emilia, Charutao und Iporá haben ihre gerechte Strafe verdient“, sagte Hasard. „Vergeßt aber nicht, daß sie eure Eltern und eure Brüder sind. Vielleicht bereut ihr noch, daß ihr ihnen trotz allem nicht mehr beigestanden habt.“

„Nein“, sagte Josea, und es klang fast erschreckend hart. „Wir können sie nicht bedauern. Jetzt nicht mehr. Mörder gehören hingerichtet, so bitter das auch für die Familie ist. Aber wir haben die Abuela, die uns als guter Geist des Hauses zur Seite steht.“

Hasard drehte sich zum Beiboot um. Matt Davies und die anderen Insassen blickten ihn fragend an. Ja, es wurde Zeit, daß auch sie sich an Bord der Galeone begaben. Je länger sie jetzt noch in der Bucht verweilten, desto gefährlicher wurde dieses Versteck für sie.

Die See hatte sich beruhigt, und ein frischer Wind aus Nordwesten konnte schon bald die Konfrontation mit einem gegnerischen Schiff oder gar mit einem ganzen Verband herbeiführen. Die Spanier und Portugiesen kontrollierten ihre Küsten scharf, denn nach dem Überfall auf Cádiz waren sie außer sich vor Wut. Es war gut, jetzt Abstand zu ihnen zu gewinnen.

Hasard wandte sich wieder zu den Mädchen um. „Der Richter, dem Capitán Monforte die vier übergibt, wird Pinho, Emilia, Charutao und Iporá schwerlich nachweisen können, was sie in den vergangenen Jahren getan haben. Nur Alvaro Monfortes Wort hat Gewicht, die Aussage eines Kapitäns der unüberwindlichen Armada. Wegen des Versuchs, die Männer der ‚Sao Sirio‘ nach allen Regeln der Kunst auszuplündern, wandern eure Angehörigen sicherlich für einige Jahre hinter Gitter. Wenn sie wieder freigelassen werden, wird ihnen die Lust vergangen sein, ihre Mitmenschen auszunehmen.“

Josea seufzte. „Hoffentlich.“

„Hin und wieder bringen wir ihnen etwas zu essen in den Kerker“, sagte Franca. „Nicht wahr, das tun wir doch, oder?“

„Ja, ja“, erwiderte Segura. „Aber darüber brauchen wir uns jetzt noch nicht den Kopf zu zerbrechen.“

Hasard griff in die Tasche. „Das finde ich allerdings auch. Sorgen müßt ihr euch vielmehr um euren Lebensunterhalt machen. Es ist furchtbar, hungern zu müssen, ihr habt es am eigenen Leib erfahren, und ich will nicht, daß ihr wieder in so große Not geratet.“ Er brachte einen kleinen ledernen Beutel zum Vorschein. „Ja, Josea, es stimmt, wir befördern natürlich kein Getreide für die irischen Speicher in den Frachträumen unseres Schiffes. Ihr könnt erraten, was ein Korsar als Ladung mit sich führt.“

„Schätze“, flüsterte Segura. „Haufenweise Kostbarkeiten – wie die in deiner Kammer, Lobo del Mar. Mein Gott.“

Hasard drückte Josea den Lederbeutel in die Hand. „Ich hoffe, ihr habt ein sicheres Versteck irgendwo in eurem Haus. Keiner außer euch darf von diesem Beutel wissen.“

„Sicher!“ rief Franca begeistert aus. „Der ausgehöhlte Ziegelstein in der Kammer unserer Madre und unsres Padre! Einen besseren Platz gibt es nicht!“

„Na also“, sagte der Seewolf lächelnd.

„Einen Augenblick“, stieß Josea jetzt hervor. „Das können wir aber nicht annehmen, Hasard. Erst werdet ihr in unserer Herberge angegriffen und riskiert euer Leben, und dann übergibst du uns auch noch ein Geschenk.“

„Mein Geschenk an drei blühende Schönheiten“, entgegnete der Seewolf. „Ihr dürft es nicht zurückweisen, denn vielleicht hängt eure Zukunft davon ab. Eure Zukunft ist mir nicht gleichgültig. Haben wir uns jetzt verstanden?“

Joseas Augen schimmerten feucht, als sie sich auf die Zehenspitzen stellte, dem Seewolf die Hände auf die Schultern legte und ihm einen Kuß gab. Sie verlor dabei den Lederbeutel aus den Händen. Er fiel auf die Kieselsteine des Ufers.

Franca bückte sich und hob den Beutel auf.

Hasard löste mit sanfter Gewalt Joseas Hände von seinen Schultern. Er verabschiedete sich auch von Segura und Franca, indem er sie väterlich auf die Wange küßte, kehrte dann auf dem Absatz um und ging zum Boot.

Josea und Segura hielten ihre Tränen nicht mehr zurück. Francas Abschiedsschmerz wurde indes durch den Inhalt des Beutels gelindert. Das Mädchen hatte sich auf die Steine gehockt und die kleine, weiche Ledertasche geöffnet. Perlen und Goldschmuck glitten in ihre Hand, als sie den Beutel umstülpte und schüttelte.

„Por Dios“, hauchte sie überwältigt. „Santissima Madre, das darf nicht wahr sein.“

Das Beiboot der „Isabella“ dümpelte im Flachwasser. Matt Davies, Batuti und die anderen Rudergasten saßen auf den Duchten und hielten die Riemen bereit, um loszupullen.

Hasard watete ein Stück durchs Wasser und kletterte auf die Heckducht. Er ergriff die Ruderpinne und gab seinen Männern das Zeichen zum Pullen.

Kaum hatte das Boot sich in Bewegung gesetzt, da erklang aus dem Großmars der „Isabella“ ein Ruf. Hasard hatte alle Posten an Land abgezogen. Die komplette Crew befand sich an Bord der „Isabella“, und als Ausguck war wieder Bill, der Moses, in den Großmars aufgeentert.

„Sir!“ rief der Junge. „Schiffe im Nordwesten! Ich habe ihre Mastspitzen soeben hinter den Felsen auftauchen sehen!“

„Besuch“, sagte der Seewolf gepreßt. „Verdammt und zugenäht, wir hätten doch eher in See gehen sollen. Wenn das Dons sind, sitzen wir in der Falle.“

Die Männer begannen wie besessen zu pullen.

Kaum an Bord der „Isabella“ angelangt, enterte Hasard mit Dan O’Flynn in den Vormars auf, um sich selbst ein Bild von der Lage zu verschaffen. Mit ihren Kiekern spähten sie über die Klippfelsen nach Nordwesten – dorthin, wo sich das Riff befand, von dem die Brancate-Mädchen ihnen mittlerweile erzählt hatten.

Nur die Masten waren von den fremden Schiffen zu erkennen, einen Ausblick auf ihre Aufbauten und Rümpfe ließen die sichtversperrenden Felsen nicht zu.

„Drei Schiffe“, sagte Dan O’Flynn.

„Eine lateinergetakelte Zweimast-Karavelle und zwei Galeonen, wie es den Anschein hat“, meinte der Seewolf. „Auf jeden Fall zwei Rahsegler, einer mit zwei, der andere mit vier Masten. Sie führen die spanische Flagge, wir brauchen uns also keinen Hoffnungen hinzugeben, es etwa mit Freibeutern zu tun zu haben.“

„Nein. Aber eine Galeone mit zwei Masten, hältst du das wirklich für möglich?“

Hasard grinste. „Ich halte es für möglich, daß die Galeone im Sturm schwer angeschlagen worden ist und einen Mast eingebüßt hat, so wie sein Rigg durchs Spektiv aussieht.“

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