Seewölfe - Piraten der Weltmeere 217

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 217
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Impressum

© 1976/2016 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

ISBN: 978-3-95439-553-8

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

1.

Unheimlich ragte der hohe, kahle Granitfelsen aus den aufgewühlten Fluten des Atlantiks auf. Er schien etwas ausdrücken zu wollen – eine drohende Botschaft für die Menschen, die es wagen sollten, ihn zu besuchen.

Er war der weithin sichtbare Mittelpunkt einer Insel, die von einer urwüchsigen Kraft aus den Tiefen der See emporgehoben worden war, ein Sinnbild finsterer Mächte – so wirkte sie auf den Betrachter.

Andrew MacLeod spähte aus schmalen Augenschlitzen zu dem Ungetüm hinüber. Er tat das nun schon seit gut einer halben Stunde, schweigend und mit verschlossener Miene, fast so, als halte er im stillen Zwiesprache mit dem Schöpfer, der sich hinter dem wuchtigen Gebilde verborgen hielt.

MacLeod stand breitbeinig auf dem Achterdeck der heftig rollenden Zweimastkaravelle „Confidence“ und hielt sich mit den Händen an der Balustrade fest, die den Querabschluß zur Kuhl bildete. Er war ein großer Mann mit kantigem Gesicht und harten Zügen, breiten Schultern und groben Fäusten. Er zeichnete sich durch unerschütterlichen Mut und Energie aus, konnte aber auch sehr feinsinnig sein.

Vor etwas mehr als einer halben Stunde hatte Selkirk, der Ausguck im Großmars, die Entdeckung der Insel durch einen lauten Ruf gemeldet, und die komplette Besatzung war auf dem Oberdeck erschienen, um durch die wenigen Fernrohre, die es auf der „Confidence“ gab, das steinige Eiland zu beobachten. Die Rohre waren von Hand zu Hand weitergereicht worden, aber inzwischen wurden sie nicht mehr gebraucht, denn die Insel war jetzt auch in der einsetzenden Abenddämmerung mit dem bloßen Auge gut zu erkennen.

„Die Insel ist ein Geschenk des Himmels“, sagte Hamilton Forbes, der von der Backbordseite der Kuhl auf das Achterdeck geentert war und in diesem Augenblick neben MacLeod trat. „Wir haben seit fast fünf Wochen kein Land mehr gesehen, und unsere Trinkwasservorräte neigen sich ihrem Ende entgegen. Es ist bitter kalt geworden, und der Seegang nimmt zu.“

Andrew MacLeod wandte jetzt endlich den Kopf und sah seinen besten Freund an. „Natürlich müssen wir mit einer Wetterverschlechterung rechnen. Wir nähern uns schließlich den ‚Brüllenden Vierzigern‘, wie diese Breitenkreise genannt werden. Aber das war dir doch bereits bekannt, nicht wahr?“

„Ja. Ich meine nur, die Insel lädt zum Verweilen ein.“

„Aber Hamilton!“ rief MacLeod aus. „Hast du sie dir wirklich gut genug angesehen?“

Forbes lachte. „Eine Schönheit ist sie nicht, aber wir müssen sie anlaufen. Vielleicht bietet sie uns die letzte Möglichkeit, eine Ruhepause einzulegen, ehe wir unser Ziel erreichen.“

„Auf der Insel gibt es keine Süßwasserquelle“, sagte MacLeod.

„Woher willst du das wissen?“

„Ich spüre es.“

„Himmel, Andrew, so gut ausgeprägt können auch deine Sinne nicht sein“, sagte Forbes.

„Du hast mich falsch verstanden. Ich fühle, daß uns auf dieser Insel nur Unheil erwartet und wir besser daran tun, einen großen Bogen um sie zu schlagen.“

„Du willst allen Ernstes die ‚Brüllenden Vierziger‘ bei Nacht in Angriff nehmen?“ stieß Forbes verblüfft aus. „Das kann doch nicht dein Ernst sein, Andrew!“

MacLeod hob den rechten Arm und wies auf den nackten Felsen, der wie ein Gigant näher rückte. „Oben auf dem Gipfel sehe ich ein Grabkreuz, Hamilton.“

„Ein was?“ Forbes nahm nun doch wieder den Kieker zur Hand, zog ihn auseinander und spähte angestrengt hindurch. „Unsinn“, sagte er nach kurzer Betrachtung des steinernen Riesen. „Diesmal irrst du dich, mein Freund. Ich kann kein Kreuz erkennen.“

MacLeod legte ihm die große Hand auf die Schulter. „Wenn wir dort landen, wird der Tod seine Klauen nach einem von uns ausstrecken, und wir werden gezwungen sein, ihn zu Grabe zu tragen. Die Insel ist verdammt, sage ich dir. Sie ist des Teufels Zufluchtsort.“

Forbes steckte das Rohr wieder weg und musterte MacLeod aus zusammengekniffenen Augen. „Du willst allen Ernstes von uns verlangen, daß wir dort nicht an Land gehen? Du willst, daß wir weitersegeln, obwohl wir einen Sturm auf die Jakke kriegen könnten, der unser Schiff mit Mann und Maus absaufen läßt?“

„Ich will, daß wir diese Insel um jeden Preis meiden“, sagte MacLeod mit fester Stimme.

„Weißt du denn überhaupt, wie sie heißt?“

„Nein. Sie ist auf meinen Karten nicht eingezeichnet.“

„Mit anderen Worten, sie ist noch nicht entdeckt worden?“

„Vielleicht hat es sie gestern noch nicht gegeben“, sagte MacLeod, und wieder richtete er seinen Blick voraus, um das Eiland voll Argwohn zu beobachten.

„Hör mir mal gut zu“, sagte Hamilton Forbes. Er war ein schlanker und zäher Mann mit wettergegerbtem Gesicht und grauen Augen, die so durchdringend und unnachgiebig blicken konnten wie kein anderes Augenpaar. „Das redest du dir doch alles nur ein. Du kannst es unseren Leuten nicht verwehren, an Land zu gehen. Sie freuen sich darauf und fiebern der Erkundung der Insel schon entgegen.“

„Satan hat ihren Geist verblendet.“

„Vielleicht gehört die Insel schon zu einem größeren Archipel, der den Küsten des südlichen Kontinents vorgelagert ist“, sagte Forbes hoffnungsvoll.

MacLeod schüttelte energisch den Kopf. „Unmöglich. Wir sind nach meinen Berechnungen nicht allzuweit vom Kap der Stürme entfernt, also vom südlichsten Zipfel der Neuen Welt. Wir sind dem Land Amerika näher als Afrika, will ich damit sagen, aber es wird noch einen weiteren Monat dauern, bis wir, ständig auf südlichem Kurs segelnd, das von uns gesuchte und ersehnte Südland erreichen. Außerdem ist es dort warm, mein lieber Hamilton, nie und nimmer so eisig kalt wie hier.“

„Bist du denn ganz sicher, daß deine Berechnungen stimmen?“

„Zweifelst du plötzlich daran?“

„Bezüglich der geographischen Breite mögen sie präzise sein, daran läßt sich bestimmt nicht rütteln“, erwiderte Forbes. „Aber beim Festlegen der Längenmaße kann man sich gehörig verschätzen. Vielleicht befinden wir uns auf der Mitte zwischen dem Kap der Stürme und dem Kap der Guten Hoffnung. Was meinst du, würde es sich nicht lohnen, unsere Position noch einmal zu überprüfen?“

„Zu welchem Zweck denn wohl? Der Teufel hat auch deinen Geist verwirrt.“

Forbes trat noch einen Schritt dichter an ihn heran. „Eins ist sicher, Andrew. Wir gehen heute nacht eher vor die Hunde, wenn wir weitersegeln, als wenn wir auf der Insel landen.“

„Der Herr hat uns bisher auf unserem Weg ins Glück und in die Freiheit begleitet“, sagte MacLeod. „Er wird auch weiterhin bei uns sein und uns beschützen.“ Wieder hob er die Hand, diesmal wie in einer mahnenden Gebärde. „Wir haben dieses Schiff, das der Heiland uns schenkte, ‚Confidence‘ getauft, ‚Zuversicht‘. Wenn wir den Glauben und die Hoffnung aufgeben, können wir auch uns selbst den Mächten der Finsternis überantworten, dann hat alles keinen Sinn mehr.“

„Du bist ein kluger Mann und ein guter Seefahrer“, sagte sein Freund. „Aber du bist auch ein schottischer Dickschädel, Andrew MacLeod.“ Er wies zur Kuhl hinunter. „Diesmal werden unsere Kameraden sich gegen deinen Ratschlag auflehnen – und vergiß nicht, daß wir dich zwar als unseren Anführer angenommen haben, daß wir aber von Anfang an beschlossen haben, Toleranz und demokratisches Recht an Bord dieses Schiffes walten zu lassen.“

„Habe ich mich daran etwa nicht gehalten?“ fragte MacLeod mit erhobener Stimme.

„Das habe ich nicht gesagt“, entgegnete Forbes ebenso laut. „Aber es gibt auf der ‚Confidence‘ keinen Kapitän, keinen Bootsmann, keinen Profos, keine Offiziere und kein gemeines Schiffsvolk – nur Gleichgestellte, denke daran! Die Mehrheit wird also entscheiden, was jetzt zu tun ist!“

Auf der Kuhl hatten sich die Männer erstaunt umgedreht. Mit teils gespannten, teils ärgerlichen Mienen verfolgten sie das Wortgefecht zwischen MacLeod und Forbes, das sich jetzt entwickelte. Zum erstenmal gab es Unstimmigkeiten an Bord, und fast hatte es den Anschein, als sei tatsächlich die Insel, die nun wie zum Greifen nah vor der Karavelle lag, schuld daran.

MacLeod wollte Forbes gerade eine geharnischte Antwort geben, da öffnete sich das Schott, das ins Achterkastell führte, und zwei schlanke Gestalten erschienen. Die steife Brise, die aus Nordnordwest wehte, griff sofort nach ihren langen Haaren und zerzauste sie. Sie stießen kleine, entsetzte Rufe aus und griffen mit ihren Händen in den Stoff ihrer Röcke, die vom Wind aufgebauscht wurden.

„Vorsicht, Miß Phyllis!“ rief einer der Männer auf der Kuhl.

Phyllis, das Mädchen mit den blonden Haaren, war auf dem schwankenden Deck ins Stolpern geraten. Sie versuchte zwar noch, ihr Gleichgewicht durch heftiges Rudern mit den Armen zu halten, aber dann stürzte sie doch – ehe ihre Schwester Rebecca oder einer der Männer ihr zu Hilfe eilen konnte.

 

Sie plumpste auf ihr Hinterteil und gab einen Wehlaut von sich. Rebecca, die Brünette, die anderthalb Jahre älter war als sie, war mit einem Satz neben ihr und griff nach ihren Armen, um sie wieder von den Planken hochzuziehen. Daß bei diesem Manöver Phyllis’ Rocksaum doch bis zu den Oberschenkeln hochrutschte, ließ sich nicht verhindern.

„Mein Gott“, sagte Rebecca. „Was du auch immer anstellst! Kannst du denn nicht aufpassen?“

„Rebecca“, sagte Phyllis weinerlich. „Mir ist schon wieder ganz flau im Magen. Was ist denn nur los?“

Rebecca half ihr auf und drehte sich im nächsten Moment zu den Männern um. „Mister Berwyn, Mister Gallagher, Mister Colmody“, sagte sie. „Phyllis wird mit ihrer Seekrankheit einfach nicht fertig, und deshalb wollten wir fragen, was jetzt geschieht. Gehen wir an Land oder nicht? Phyllis würde es sicherlich guttun.“

„Nein!“ schrie plötzlich MacLeod, der die Szene mit wachsendem Zorn verfolgt hatte. Er verkrampfte seine Finger um die Handleiste der Balustrade und beugte sich weit vor. „Nein und abermals nein! Wir ankern nicht vor diesem Eiland des Teufels! Und ihr beiden verschwindet sofort wieder in eurer Kammer! Ich habe euch befohlen, euch nicht an Oberdeck sehen zu lassen, sofern ich es nicht ausdrücklich genehmige, und ich verlange, daß ihr euch daran haltet!“

„Aber Vater“, sagte Phyllis. „Mir ist so furchtbar schlecht, und dort unten hat man das Gefühl, ersticken zu müssen.“

„Widersprich mir nicht!“ herrschte er sie an.

Kenneth Berwyn, ein untersetzter Mann gutmütigen Aussehens, trat zwei Schritte vor und stemmte die Fäuste in die Seiten. „MacLeod!“ rief er. „Du kannst deine Töchter herumkommandieren, uns aber nicht. Wir wollen uns auf der Insel die Beine vertreten und nach einer Quelle suchen. Ist das vielleicht eine Sünde?“

„Nein“, sagte Stede Gallagher, der jüngste Mann an Bord. „Und die Mehrheit soll entscheiden, was geschieht.“

„Hand hoch, wer auf die Insel will!“ schrie Tom Colmody, der Schiffszimmermann und Segelmacher der kleinen Crew.

Alle Arme hoben sich jetzt, auch der von Hamilton Forbes. Nur Andrew MacLeod und seine Töchter, die mit recht eingeschüchterten Mienen dastanden und sich an der Nagelbank beim Großmast festhielten, gaben kein Handzeichen, daß sie einverstanden waren.

„Du bist überstimmt, MacLeod!“ rief Berwyn. „Wir suchen jetzt eine Bucht, in der wir ankern können!“

„Ihr Narren“, sagte MacLeod. „Ihr werdet noch sehen, was ihr davon habt. Ihr werdet diesen Beschluß noch schwer bereuen, aber wenn ihr dann jammert und stöhnt, erhöre ich euch nicht.“

Er hob seinen Blick und sah den mächtigen Inselfelsen wie einen Todfeind an.

Die „Isabella VIII.“ hatte es schwer, sich gegen den Wind aus Nordnordwesten zu behaupten. Der Seewolf hatte nach der Umrundung des Kaps der Guten Hoffnung Kurs auf Sankt Helena nehmen wollen, doch beim beständigen Kreuzen gegen die steife Brise wurde die Galeone immer weiter von ihrer ursprünglichen Richtung abgebracht. Da Hasard nicht zu nah an die afrikanische Westküste geraten wollte, hatte er am Morgen dieses Tages beschlossen, zunächst einmal nach Westen abzulaufen und später, wenn der Wind günstiger wurde, auf Nordkurs zu gehen.

Bill, der Moses, hatte für die Zeit der Abendwache von vier bis acht Uhr wieder seinen gewohnten Platz im Großmars eingenommen, und im Einsetzen der Abenddämmerung meldete er sich jetzt mit einem Ruf: „Deck! Inseln Steuerbord voraus!“

Der Seewolf, der sich in diesem Moment gerade auf der Kuhl befand, hob den Kopf und blickte zu den Männern der Wache, die sich untereinander ziemlich verwundert ansahen.

„Das gibt es doch gar nicht, Himmel, Arm und Wolkenbruch!“ sagte Matt Davies verdutzt. „Inseln in dieser gottverlassenen Ecke Welt? Ich hab gar nicht gewußt, daß hier welche sind.“

„Wie viele sind es denn?“ schrie, Carberry, der Profos, zu Bill hinauf. „Willst du Hosentrompeter endlich mal eine vollständige Meldung erstatten, oder muß ich dir deine Hammelbeine wieder langziehen?“

„Ich kann jetzt drei erkennen, Sir!“ rief Bill laut und deutlich zurück. „Zwei kleine im Vordergrund und dahinter eine etwas größere mit einem kahlen Felsen darauf!“

Jeff Bowie, der nicht weit von Matt Davies und Blacky entfernt stand, grinste und sagte: „Hosentrompeter ist gut. Er nennt ihn immer noch so, dabei ist aus dem Burschen nun bei kleinem auch schon ein richtiger Mann geworden.“

Carberry wandte sich zu ihm um. „Mister Bowie, was hast du da zu mekkern?“

„Nichts, Mister Carberry, ich sagte nur, ich habe verstanden, daß es drei Inseln sind.“

„Richtig“, brummte der Narbenmann. „Das haben ja wohl alle gehört. Oder hat hier vielleicht jemand Schlick in den Ohren?“

„Nein, keiner“, antwortete Blacky. „Aber meine Frage lautet: Sind wir die ersten Menschen, die auf diese Inselgruppe stoßen, oder könnten sie schon von jemandem entdeckt worden sein?“

„Keine Ahnung“, sagte Carberry und kratzte sich nachdenklich an seinem Rammkinn. „Ich bin doch nicht allwissend.“

Alle schauten jetzt den Seewolf an, und dieser begann zu lächeln.

„Wenn mich nicht alles täuscht, dann müßten das die Tristan-da Cunha-Inseln sein“, sagte er.

„Da Cunha“, wiederholte Blacky. „Das hört sich portugiesisch an.“

„Ist es auch“, sagte Hasard.

„Was, hier sind die Dons auch schon gewesen?“ rief der Profos. „Teufel, ist man denn vor denen nirgends sicher? Jetzt sag bloß, sie hausen auf den gottverfluchten kalten Inseln da vorn!“

„Meines Wissens tun sie das nicht.“

„Aber vor Überraschungen ist man ja nicht sicher“, sagte nun Old Donegal Daniel O’Flynn, der sich zu ihnen gesellt hatte. „Selbst mitten in den ‚Brüllenden Vierzigern‘ nicht.“

Damit spielte er auf das Abenteuer an, das sie auf den Prinz-Eduard-Inseln erlebt hatten. Argwöhnisch spähte er über das Steuerbordschanzkleid der Kuhl voraus, aber ohne Kieker waren die soeben entdeckten Inseln noch nicht zu erkennen.

„Donegal“, sagte der Profos drohend. „Fang du jetzt nicht wieder mit deinen verdammten Unkereien an.“

Hasard ging zur Back, enterte auf, trat ganz vorn an die Balustrade und holte das Spektiv aus seiner Weste. Er zog es auseinander, richtete es nach vorn und blickte über das Galion und am Bugspriet vorbei zu den Inseln, die sich in der Optik wie neblige, unwirkliche Gebilde abzeichneten.

Philip junior und Hasard junior, seine Söhne, waren ihm gefolgt und blieben jetzt neben ihm auf dem schwankenden Deck stehen.

„Dad, wer war denn dieser da Cunha?“ fragte Philip.

„Ein portugiesischer Seefahrer und Entdecker“, erwiderte sein Vater, während er weiter aufmerksam durchs Spektiv sah. „Er wurde 1472 in Lissabon geboren und starb um das Jahr 1550 herum, wann genau, ist mir nicht bekannt.“

„Also ist er schon seit vierzig Jahren oder noch länger tot“, sagte Hasard junior. „Und wann hat er diese Inseln besucht?“

„Das war 1506. Er war damals gerade zum Vizekönig von Indien ernannt worden. Während der Überfahrt von Portugal nach Indien landete er durch puren Zufall hier. Natürlich gab er den drei kargen, einsamen Inseln seinen Namen.“

„Muß schon ein toller Kerl gewesen sein“, meinte Philip. „Damals war die Seefahrt doch noch viel riskanter als heute, und wer von Europa nach Asien segelte, der wußte nie, ob er auch wirklich ankam.“

„Du meine Güte“, sagte sein Bruder. „Das ist doch heute noch so. Wenn wir in einen Orkan geraten, können wir auch untergehen. Oder die ‚Isabella‘ wird in einer Seeschlacht gegen Spanier, Portugiesen oder Piraten vernichtet. Oder es schleicht sich irgendeine heimtückische Krankheit an Bord, die uns alle umbringt. Oder wir verirren uns im Eismeer oder …“

„Ins Eismeer segeln wir doch gar nicht!“ unterbrach Philip ihn empört.

„Nicht?“ Hasard junior lachte. „Sieh doch mal die vielen Eisschollen an, die auf den Wellen treiben. Ist das nichts?“

Der Seewolf hatte das Fernrohr sinken lassen.

„Ihr tragt ganz schön dick auf“, sagte er. „Der alte Donegal ist im Vergleich zu euch ja fast schon harmlos. Aber was die Sache mit der Seefahrt von heute und damals betrifft, so hat Philip natürlich recht. Nur haben wir inzwischen bessere, größere und stabilere Schiffe – und bessere Karten und Geräte, die uns eine genauere Navigation ermöglichen.“

„Ja, richtig“, sagte Philip junior. „Dad, willst du auf den Inseln landen?“

Sein Vater blickte ihn an. „Groß ist mein Verlangen danach nicht, aber ich glaube, wir müssen es tun.“

„Wegen der Trinkwasservorräte?“ fragte Hasard junior.

„Genau“, erwiderte der Seewolf. Dann wandte er sich ab und stieg wieder auf die Kuhl hinunter. Er öffnete das Kombüsenschott und betrat das Allerheiligste des Kutschers, der gerade unter einigen Schwierigkeiten damit beschäftigt war, die Abendmahlzeit zuzubereiten. Bei dem Seegang war es nicht leicht, das Holzkohlenfeuer unter dem Kessel zu unterhalten, mehr noch, es wurde zu einem Risiko. Der Kutscher jonglierte mit Pfannen, Töpfen und Besteck und fluchte dabei leise vor sich hin.

„Kutscher“, sagte der Seewolf, und fast tat es ihm leid, den hageren Mann gestört zu haben, der so tief in seine Gedanken verstrickt gewesen war.

Der Koch und Feldscher der „Isabella“ zuckte leicht zusammen und blickte zu seinem Kapitän auf. „Sir? Ich habe gehört, daß Bill eben etwas von Inseln gerufen hat.“

„Ja. Wie steht es mit unserem Trinkwasser?“

„Wir könnten Nachschub gebrauchen.“

„Wie viele volle Fässer haben wir noch?“

„Nur drei“, sagte der Kutscher.

Hasard nickte. „Dann wird es höchste Zeit, daß wir uns nach einer Quelle umsehen. Wer weiß, wann wir in den nächsten Tagen wieder auf Land stoßen.“ Er verließ die Kombüse und schloß das Schott hinter sich.

Dann trat er vor den Großmast und rief seinen Männern zu: „Wir nehmen Kurs auf die größte der drei Inseln! Mit vier oder fünf Kreuzschlägen müßten wir es schaffen, sie anzulaufen und dort vor Anker zu gehen!“

„Aye, Sir!“ schrie Carberry – und fuhr zu den Männern herum.

„Habt ihr’s gehört, ihr Helden? Anbrassen und hoch in den Wind, und dann alles klar zum Überstaggehen!“

„Aye, aye, Sir!“ erklärte auch Ben Brightons Stimme vom Achterdeck. Hasards Erster Offizier und Bootsmann suchte das Ruderhaus auf, um dem Rudergänger Pete Ballie seine Anweisungen für die nun folgenden Manöver zu geben.

Die „Isabella“ stemmte sich gegen den Wind, und bald richtete sich ihr Bugspriet beim Wenden vom einen auf den anderen Bug auf die große Insel mit dem hohen, kahlen Felsen.

Old O’Flynn hatte die Back geentert und blickte zu den Inseln, die jetzt ohne Spektiv zu erkennen waren.

„Ein öder Flecken Erde“, sagte er mißmutig. „Häßlich und ungastlich. Gefällt mir ganz und gar nicht.“

Er wußte nicht, daß er nicht der einzige war, der in diesem Moment so dachte.

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