Seewölfe - Piraten der Weltmeere 23

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 23
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Impressum

© 1976/2013 Pabel-Moewig Verlag GmbH,

Pabel ebook, Rastatt.

ISBN: 978-3-95439-249-0

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

1.

Eine steife Brise wehte an diesem Oktoberabend des Jahres 1578 von Südwesten her und strich durch die düsteren Gassen von Callao, griff nach dem eigentümlich geformten Schild über dem Eingang einer alten Kneipe und bewegte es. Quietschend schwang es hin und her. Das Licht, das von innen durch trübe Fensterscheiben auf die Katzenköpfe der Gasse fiel und nur noch ganz schwach die gegenüberliegenden, windschiefen Gebäude erreichte, genügt kaum, um seine Aufschrift entziffern zu können. Das Grölen und Fluchen von Männern und das Kreischen von Frauen drang, von den Klängen einer Gitarre untermalt, verschwommen ins Freie.

Eine kleine Gruppe von Männer blieb vor der Kneipe stehen. Esteban Pereda, ein hochaufgeschossener, schlaksiger Seemann – der größte der vier – stellte sich auf Zehenspitzen, um das Eisenschild lesen zu können.

„El Gabian Feroce – zur wilden Möwe. Und das Schild hat auch die Form eines Vogels. Originell, was? Was haltet ihr von einem Abstecher in diese üble Spelunke, Caballeros?“ fragte er.

Marcos Chocano, ein Mann mit glattrasiertem, kantigen Gesicht und tiefliegenden Augen, erwiderte: „Nichts, wenn der Wirt sich einfallen läßt, uns gepanschten Wein vorzusetzen.“

„Wenn er das tut, kriegt er eine Abreibung, die er nie wieder vergißt“, sagte Eloy Campoamor. Er besaß Schultern, breit wie ein Vorratsschapp, hatte eine Glatze, buschige Brauen, Wulstige Lippen, mächtige Muskeln, die sich unter seiner Jacke spannten.

Antonio Savedra, Steuermann und Lotse der spanischen Transportgaleone „San Pedrico,“ die im Hafenbecken von Callao festgemacht hatte, lächelte unter seinem dichten schwarzen Vollbart. „Esteban, ich schlage vor, du drehst dich um und schaust nach, ob unser gottverdammtes Schiff von hier aus noch zu erkennen ist.“

„Nein.“

„Dann sind wir goldrichtig. Weit genug weg, um nicht ewig den Anblick des verfluchten Kahns ertragen zu müssen, und doch immer noch nahe genug dran, um rechtzeitig zum Wachwechsel wieder an Bord zu gelangen.“

Er schritt an ihnen vorbei und stieg die ausgetretenen Stufen, die zum Eingang der Kneipe führten, hinunter. Seine Begleiter drängten nach. Savedra stieß die Tür auf, und die laute, riechende, schwüle Atmosphäre schlug ihnen wie eine Woge entgegen. Sie steuerten durch Lärm, Rauch, Schweißgeruch, Wein- und Schnapsdunst geradewegs auf den breiten Holztresen in der rechten hinteren Hälfte des Schankraumes zu.

Das Licht der Talglampen lag in einem aussichtslosen Kampf mit der nebligen Schicht, die sich von der durchhängenden Balkendecke bis auf die blankgewetzten Tischplatten hinabzog und wie zum Schneiden im Raume stand. Nur undeutlich war die massige Gestalt des Wirtes hinter dem Tresen zu erkennen. Er war ein grinsender Typ, der die stämmigen Arme aufgestützt hielt und sich mit ein paar Zechern unterhielt, während ein etwa zwölf Jahre alter Junge die Humpen der Gäste auffüllte.

Die vier Männer von der „San Pedrico“ traten an den Tresen, placierten sich zwischen den Zechern und schauten sich prüfend um. Mindestens zwei Dutzend Männer belagerten die Tische, und etwa zehn Frauenzimmer waren redlich darum bemüht, sie in Stimmung zu halten. In einer Nische hockte der Gitarrenspieler in Begleitung von gleich zwei Weiberröcken, die kicherten und immer wieder erfolglos danach trachteten, irgendein Lied anzustimmen.

An der Theke hielten sich weitere zehn Männer auf – vierzehn jetzt mit ihnen. Die Spelunke war brechend voll und drohte aus den Fugen zu platzen. Ein Volltrunkener taumelte gegen das Holzregal hinter dem Tresen, und die darauf befindlichen ausgestopften Möwen und anderen Seevögel begannen bedrohlich zu wakkeln. Der Wirt rief etwas. Zwei Männer halfen ihm, den Betrunkenen ins Freie zu befördern.

„Schlagseite“, sagte Chocano lakonisch.

„Wenn er jetzt noch eine volle Breitseite verpaßt kriegt, ist er vollends hinüber“, meinte Pereda.

„Verdammter Suff“, sagte Chocano und grinste.

„Mir ist nach Saufen zumute“, versetzte Eloy Campoamor.

„Mir ist nach Weibern zumute“, sagte Perede mit einem Blick auf die beiden Huren bei dem Gitarristen.

Antonio Savedra hob die Hand. „Eins nach dem anderen; immer hübsch der Reihe nach.“ Er winkte dem Zwölfjährigen zu und hatte Mühe, sich gegen den Stimmenlärm zu behaupten. „Wein!“ rief er. „Rotwein, und zwar den besten, den du hast, Junge!“

Der Junge bediente sie aus demselben Krug, aus dem er auch den anderen Zechern servierte. Savedra teilte die gefüllten Gläser aus, hob das seine und betrachtete es mit hochgezogenen Augenbrauen. Campoamors Stirn war bereits ebenfalls umwölkt. Alle vier nahmen einen Probeschluck. Der Glatzkopf prustete, spuckte den Wein auf den Boden und setzte seinen Humpen ab, daß es nur so knallte. Dann griff er mit seinen Pranken über den Tresen und angelte sich das Bürschchen.

Er schickte sich an, ihm ein paar gepfefferte Ohrfeigen zu verpassen, doch Antonio Savedra hielt ihn im letzten Augenblick zurück.

„Bist du verrückt, Mann?“

„Zur Hölle, der Wein ist gepanscht!“

„Laß mich los“, jammerte der Junge.

Eloy Campoamor dachte nicht daran, und es entstand Aufruhr um ihn, seine Begleiter und den Zwölfjährigen. Die Zecher murrten. Endlich erschien wieder die füllige Gestalt des Wirtes hinter dem Tresen. Er trat keuchend heran – ein schwitzender Mann mit glattem, rosigen Teint, kleinen Augen und fleischiger Nase. Savedra brachte Campoamor dazu, das Bürschchen loszulassen, dann beugte er sich vor und stoppte den Wirt, bevor dieser sich den Glatzkopf kaufen konnte.

„Mein Freund ist ein bißchen hitzig, Amigo, aber nicht ungerecht.“

„Hast du gesehen, was ich mit Störenfrieden tue?“ entgegnete der Wirt aufgebracht.

„Ja. Aber besser nicht mit meinem Freund Eloy.“

„Ich schmeiß ihn ’raus und dich gleich mit, Mann ...“

„Du verhinderst eine Katastrophe, wenn du dich besinnst.“

„Einen Dreck werde ich tun.“

„Du fällst aus der Rolle.“

„Ihr habt angefangen!“

Antonio Savedra zog den Beleibten über die Tresenplatte an den Aufschlägen bis zu sich heran und sagte so leise, daß sein Gegenüber es gerade noch verstehen konnte: „Der Wein ist gepanscht, mein Freund, und wenn du uns vieren nicht sofort einen besseren Tropfen zu schmecken gibst, veranstalten wir hier einen Höllenzirkus, so wahr ich Savedra heiße und Steuermann und Lotse auf der ‚San Pedrico‘ bin.“

„Hast du ‚San Predrico‘ gesagt?“

„Bist du taub?“

Der Wirt leckte sich mit flinker Zunge die Lippen. „Miguel Casias ist mein Name, Senor. Warum habt ihr euch nicht gleich zu erkennen gegeben? Ich habe einen heiligen Respekt und die größte Hochachtung vor allen Männern, die unter der Flagge seiner Majestät, des Königs von Spanien, über die Weltmeere segeln und sich ...“

„Du trägst zu dick auf, Miguel. Die ‚San Pedrico‘ ist eine müde Transport-Galeone.“

„Ich lasse einen Tisch für euch freimachen.“

„Das hört sich gut an, Miguel.“

„Ich sorge dafür, daß euch ein vorzüglicher Rotwein aus meiner privaten Reserve vorgesetzt wird.“

„Dein bester Tropfen, Miguel?“

„Ich schwöre es.“

„Das hört sich noch besser an.“

Wenig später könnten Savedra, Chocano, Pereda und Campoamor an dem Tisch in der Nische Platz nehmen, der kurz vorher noch unumstrittenes Reich des Gitarristen und der beiden beschwipsten Mädchen gewesen war. Die drei hatten das Feld räumen müssen. Der Musikant zog nun von Tisch zu Tisch. Miguel Casias scheuchte die Mädchen mit ein paar hastigen Handbewegungen zu einer Gruppe von johlenden Männern. Schwielige Hände griffen nach den verführerisch wippenden Hüften, eine Pranke landete klatschend auf einem Hinterteil, und das Mädchen kreischte auf.

Casias selbst brachte den irdenen Krug mit dem Rotwein an Savedras Tisch. Er schenkte ihn in saubere Humpen aus, füllte auch einen fünften und prostete ihnen zu. „Laßt uns die kleine Auseinandersetzung vergessen. Darf ich mich zu euch setzen?“

Savedra schaute den Glatzkopf an. Der nippte an seinem Wein, gab einen schmatzenden, genießerischen Laut von sich und nickte bedächtig.

Savedra grinste. „Eloy meint, der Tropfen sei wirklich gut. Er irrt sich nie.“ Er wartete, bis sich der beleibte Mann gesetzt hatte und fuhr dann fort: „Jetzt mal ’raus mit der Sprache, Miguel! Ich kann mir nicht vorstellen, daß wir so hoch in deiner Gunst stehen, nur, weil wir auf der ‚San Pedrico‘ fahren.“ Er beugte sich vor und senkte wieder die Stimme. Sie klang plötzlich kalt und gefährlich. „Und noch etwas. Dein Name kommt mir bekannt vor.“

„Wir kennen uns, Savedra. Indirekt.“

„Indirekt?“

„Durch Julio Herrera“ sagte der Wirt.

Der Steuermann richtete sich ein Stück auf, ließ sich dann zurücksinken und lehnte sich mit dem Rücken an die Wand, den Blick unverwandt auf Casias gerichtet. Seine Augen besaßen einen solch frostigen Ausdruck, daß man meinen konnte, er hätte den Wirt am liebsten auf der Stelle erdolcht. Casias schwitzte, doch er hielt dem Blick stand.

Schließlich entspannten sich Savedras Züge. „Also gut. Du scheinst mir ein ausgekochtes altes Schlitzohr zu sein, Miguel, aber wir können offen reden. Marcos, Esteban und Eloy sind meine – nun, meine Geschäftspartner.“

„Verstehe.“ Casias lächelte süßlich.

„Wo steckt Herrera?“

„Ich habe keine Ahnung.“

„Julio Herrera hat die Geschäfte vermittelt, die wir von Bord unseres Schiffes aus betrieben haben, und du warst sein Abnehmer. Ich habe nie herausgekriegt, wo du wohnst, Amigo, aber dein Name wurde mir von Herrera mehrmals genannt.“

 

Casias leckte sich wieder die Lippen und schaute sich hastig nach allen Seiten um, ob auch niemand lauschte. Erfuhr ein Außenstehender auch nur ansatzweise von dem dunklen Handel, den er betrieb, dann war er verraten und verkauft, denn man würde ihm die Guardia auf den Hals hetzen.

„Herrera ist untergetaucht“, sagte er. „Hat Schwierigkeiten gekriegt. Ich versuche seit Tagen, irgendwie Kontakt mit dir aufzunehmen, Savedra, aber es ist mir nicht gelungen. Welch ein glücklicher Zufall also, daß ihr hier bei mir gelandet seid. Eine Fügung des Himmels!“

„Er übertreibt wieder“, bemerkte Esteban Pereda spöttisch.

Savedra trank und setzte seinen Humpen auf dem Tisch ab. „Du bist der gerissenste Hehler in ganz Callao und Umgebung, Miguel. Hätte wirklich nicht gedacht, daß du dich als der Wirt dieser Spelunke entpuppst. Nun, da wir uns kennen, rück endlich mit der Sprache heraus. Was willst du? Mir ein Geschäft vorschlagen?“

„Ja. Ohne Herrera.“

„Das versteht sich. Aber es gibt da eine Widrigkeit.“

Casias schenkte Wein nach. „Ich weiß. Die ‚San Pedrico‘ läuft in den nächsten Tagen mit einer Silberladung nach Panama aus.“

„Du bist gut informiert“, stellte Savedra fest. „Wir warten noch auf eine bestimmte Ladung aus Callao, dann gehen wir ankerauf, und unsere einträglichen Wege trennen sich.“

Miguel Casias rutschte auf die Bank neben dem Steuermann und warf wieder einen huschenden Blick in den Schankraum, bevor er sprach. „Hör mir gut zu. Ich weiß, um was es sich bei der Ladung handelt, die ihr noch aufnehmen sollt. Ich habe einen Mittelsmann am Hof des Vizekönigs in Lima, und der hat mich informiert, daß in dieser Nacht ein Transport vom Hof des Vizekönigs nach Callao zu eurer Galeone auf den Weg geschickt wird. Deshalb habe ich ja so verzweifelt versucht, Verbindung mit dir aufzunehmen, aber alle Botschaften, die ich dir schicken wollte, konnten wegen der Bordwachen nicht zugestellt werden. Der Schatz im Frachtraum der ‚San Pedrico‘ wird schärfstens behütet. Und Herrera, der als einziger Mittel und Wege kannte, dich zu erreichen ...“ „Schön, das wissen wir jetzt“, unterbrach Savedra ungeduldig. „Zur Sache. Um was handelt es sich bei dem Transport aus Lima?“

Casias sagte es fast ehrfürchtig: „Um den Privatschatz des Vizekönigs, ein Vermögen von unschätzbarem Wert. Inkaschmuck! Das Zeug reicht aus, sich für alle Zeiten gesundzustoßen, sag ich dir.“

„Teufel auch“, versetzte Chocano.

„Das ist ein Fang für uns“, fügte Pereda hinzu.

Und der Glatzkopf Eloy Campoamor sagte: „Heute nacht? Wann?“

Antonio Savedra musterte den Wirt aus flinken, geröteten Augen. Casias sah, daß die Gier der vier Seeleute geweckt war. Absichtlich ließ er sie ein wenig zappeln, bevor er mit seinem Plan herausrückte.

„Man muß den Transport überfallen. Jetzt, da ich euch als Verbündete an meiner Seite weiß, kann ich es riskieren. An wen sonst hätte ich mich wohl wenden können?“

„Mach es nicht so spannend“, sagte Savedra.

„Der Transport besteht aus zwei Schatztruhen, die ein Maultiergespann bringen wird. Man könnte sie auf eine Pinasse verladen und mit der Pinasse zu den Chincha-Inseln segeln. Die befinden sich südlich von Callao, wie euch sicher bekannt ist.“

„Warum ausgerechnet zu den Chincha-Inseln?“ fragte der Steuermann mißtrauisch.

Casias grinste. „Sie gelten als verhext. Niemand außer uns wird es jemals wagen, seinen Fuß auf eine der Inseln zu setzen. Außerdem wird kein Mensch vermuten, daß jemand einen geraubten Schatz statt nach Norden nach Süden schafft. Im Norden liegt Panama, und über Panama gelangt man nach Spanien. Doch Süden, das ist, mit Verlaub gesagt, der Arsch der Welt, da hat man nichts von seinem Reichtum.“

„Richtig“, sagte Esteban Pereda. „Da bin ich ganz deiner Meinung, Amigo Miguel. Auf den Chinchas können wir uns höchstens von der Sonne schmoren lassen und ein paar nackten Indianermädchen nachjagen, aber – angenommen, wir schnappen uns den Schatz – richtig auskosten können wir das neue, sorglose Leben nicht.“

„Das hast du treffend ausgedrückt“, sagte Savedra.

„Moment.“ Casias hob beschwichtigend die Hände. „Es ist euch doch wohl klar, daß wir eine Menge Gras über die Geschichte wachsen lassen müssen, nicht wahr? Auf den Chincha-Inseln sind wir in Sicherheit. Hat sich die allgemeine Aufregung erst gelegt, holen wir den Schatz ab und transportieren ihn auf heimlichen Wegen nach Norden. Ich kenne das Land wie meine Taschen und weiß über jeden Schleichpfad Bescheid.“

Der Steuermann überlegte eine Weile, dann erklärte er: „Ich muß sagen, das klingt eigentlich ganz logisch.“

„Ihr seid also dabei?“ Casias Augen glänzten erwartungsvoll.

Savedra fixierte ihn. „Ja. Aber Vorsicht, mein Freund. Laß dir nicht einfallen, uns übers Ohr zu hauen. Kriege ich heraus, daß du ein doppeltes Spiel mit uns treiben willst, lasse ich dir den Kopf abschneiden, klar?“

„Klar. Ich bin ein ehrlicher Handelsmann, du wirst es sehen.“

Eloy Campoamor räusperte sich. „Augenblick mal. Ich will wissen, wieso diese idiotischen Chincha-Inseln als verhext gelten. Ich meine, bevor wir uns auf das Vorhaben einlassen, müssen wir erfahren, ob was Wahres an dem Gerede der Leute dran ist ...“

Casias vollführte eine wegwerfende Gebärde. „Unsinn, Caballero. Es handelt sich um eine alte Inka-Legende, nichts weiter. Du kannst beruhigt sein, die Inseln werden nur von Seevögeln bewohnt.“

„Also doch keine Indianerweiber“, sagte Esteban Pereda und warf den ausgelassenen Huren im Schankkraum einen sehnsüchtigen Blick zu.

Casias fuhr fort: „Die Inkas holten sich von den Inseln Dünger, Guano genannt, aber nur in den Zeiten, in denen die Vögel nicht brüteten. Während der Brutzeit wurde das Betreten der Inseln mit dem Tode bestraft, das war ein strenges Gesetz der Inkakönige. Wir Spanier meiden die Chinchas, weil es dort so stinkt, Guano hat einen einfach widerlichen Geruch.“

„Und ausgerechnet dorthin sollen wir segeln?“ sagte Marcos Chocano. „Das will mir einfach nicht in den Kopf.“

„Narr“, erwiderte Savedra scharf. „Leuchtet dir denn nicht ein, daß die Inseln gerade deswegen ein todsicherer Aufbewahrungsplatz für den Schatz des Vizekönigs sind?“

„Mir schon“, sagte Pereda.

„Mir auch“, versetzte Campoamor, dessen Geist sich aber immer noch mit dem Fluch beschäftigte, der auf dem kleinen Archipel lasten sollte. Chocano zuckte mit den Schultern und nickte dem Wortführer der Gruppe zu.

Savedra wandte sich wieder an den Wirt des „Gabian Feroce“.

„Wir sind bereit, den Transport zu überfallen, Amigo Miguel. Das Problem ist nur, eine geeignete Pinasse zu beschaffen.“

Casias goß die Becher wieder voll. „Für den Fall, daß aus meinem Plan doch noch etwas wurde, habe ich Vorsorge getroffen. Die Pinasse liegt bereits an einem geheimen Landeplatz. Und nun hört gut zu, ich erkläre euch die letzten wichtigen Einzelheiten, vor allen Dingen über den Weg, den der Transport nimmt.“

Wieder schaute Pereda zu den Frauen hinüber. Savedra bemerkte es und stieß ihn an. „Dazu ist jetzt keine Zeit mehr, Mann. Du mußt dich noch ein bißchen bezwingen – bis wir von den Chincha-Inseln zurück sind.“

2.

Callao, das ursprünglich den Namen Ciudad de los Reyes getragen hatte, lag rund zehn Meilen südwestlich der Hauptstadt und Residenz des spanischen Vizekönigs, Lima, an der Bai von Callao. Im Süden erstreckte sich eine lange Halbinsel, und durch die vorgelagerte Insel San Lorenzo wurde Callao hervorragend gegen Wind und Wasser abgeschirmt. Die Reede galt als einer der sichersten Ankerplätze.

Es war nach Mitternacht.

Fast drei Stunden waren vergangen, seit der Steuermann und Lotse Savedra und seine drei Begleiter die Spelunke des Miguel Casias betreten hatten. Sie hatten sich, geführt von dem beleibten Wirt, aus dem Haus gestohlen und sich in das flache Hügelland zwischen Callao und Lima begeben. Bewaldete Kuppen lagen zwischen ihnen und der Reede, auf der die „San Pedrico“ ankerte. Sie hatten sich in einem dichten Gebüsch unweit des Fahrweges versteckt. In ihrem Rücken befand sich ein Pinienhain, ein Streifen, nicht breiter als schätzungsweise eine Kabellänge. Durchquerte man ihn, so gelangte man über einen sanft abfallenden Hang und die Uferböschung an die winzige Bucht, in der Miguel Casias die Segelpinasse versteckt hatte.

„An Bord werden sie nach uns suchen“, sagte Marcos Chocano leise.

Pereda winkte ab. „Laß sie. Bis die auch nur eine Spur von uns haben, sind wir über alle Berge.“

„Hoffentlich“, meinte Eloy Campoamor. „Ihr wißt, wie fuchsteufelswild der Capitan werden kann.“

Savedra grinste. „Ja, und wenn er erst feststellt, daß auch der Schatzkisten-Transport auf sich warten läßt, und es herauskommt, daß er überfallen wurde, wird er vor Wut bis unter die Tottnanten fahren. Schade, daß wir das nicht miterleben können. Adios, ‚San Pedrico‘, verfluchter alter Kahn, uns siehst du nicht wieder!“

Campoamor bedachte ihn mit einem argwöhnischen Seitenblick. „Ich an deiner Stelle würde nicht so große Töne spucken. Noch wissen wir nicht, ob das verfluchte Maultiergespann überhaupt kommt.“

„Wie das?“ Casias reckte den dikken Kopf. „Soll das heißen, daß du mir nicht vertraust?“

„Vielleicht ist der Transport auf einen anderen Tag verlegt worden.“

„Nein.“ Der Wirt drehte sich zu ihm um, daß die Zweige knackten. „Den Einwand muß ich entschieden ablehnen. Meine Informationen sind immer zuverlässig, und was den Mittelsmann am Hof des Vizekönigs betrifft, so besteht auch für ihn kein Grund ...“

„Du sollst dich nicht so geschraubt ausdrücken“, sagte Chocano zischelnd. „Ruhe!“ Antonio Savedra lag reglos und spähte angestrengt in die Nacht hinaus. „Ich habe etwas gehört, kann aber noch nichts sehen. Haltet eure Mäuler und macht euch bereit!“

Sie waren mit Säbeln, Dolchen, Radschloßpistolen und Musketen bewaffnet. Savedra hatte die Anweisung gegeben, so geräuschlos wie möglich vorzugehen und nur im äußersten Bedarfsfall zu schießen. Das Krachen der Schüsse konnte gehört werden – möglicherweise sogar bis nach Callao hin, denn der Wind drehte. Fiel er von Norden ein, konnte der Kampfeslärm tatsächlich in der Hafenstadt zu vernehmen sein.

Noch herrschte Stille.

Savedra lauschte in die Nacht, und bald vernahmen es auch die Komplicen: das Knarren von Rädern, das Fluchen von Männern, das Knallen von Peitschen sowie jene eigentümlichen Laute, die nur eine Art von Zugtieren hervorbrachte – Maultiere.

„Sie kommen“, raunte Miguel Casias. „Na, was habe ich gesagt?“

„Ruhe!“ fuhr der Steuermann ihn an.

Von dem Transport war immer noch nichts zu erkennen, denn der Fahrweg war nach Nordosten hin abschüssig und entzog sich den Lauernden hinter einer Biegung. Die Maultiere hatten also eine Steigung zu bewältigen und gelangten mit ihrer Last nur langsam voran. Savedra und seine Begleiter nutzten die ihnen verbleibende Zeit. Sie krochen aus ihrer bisherigen Deckung und verteilten sich hinter Felsquadern, kleineren Buschgruppen und anderen Versteckmöglichkeiten, um der Straße näher zu sein. Schließlich hatten sie sich auf beide Ränder der Fahrbahn verteilt. Auf der zum Meer hin reichenden Seite kauerten Savedra, Chocano und Pereda, landeinwärts lagen Campoamor und der Wirt auf Lauer.

In der Kurve erschienen die Umrisse der zerrenden Maultiere, dann die Konturen des vierrädrigen Lastkarrens, vor den sie gespannt waren. Acht Tiere legten sich ins Zeug, um die Ladung voranzubringen, und der Kutscher hatte sich breitbeinig auf den Bock gestellt, schwang die Peitsche und trieb sie mit heiseren Rufen an.

„Ho, ihr schlappen Biester! Voran, ihr nichtsnutzigen Mähren, ich werde euch Beine machen!“

Je drei Wachsoldaten marschierten an jeder Flanke des Achtergespanns. Das fahle Mondlicht ließ ihre Helme matt glänzen. Sie trugen Musketen. Antonio Savedra sah ihre Gestalten auf sich zurücken und hörte das Knirschen ihrer schweren Schritte. Er preßte die Lippen zusammen. Sechs Transportbewacher! Bei aller Verwegenheit, das würde kein leichtes Stück sein!

Sabedra, der der Biegung am nächsten lag, ließ das Gespann an sich vorbei, ohne sich vom Fleck zu rühren. Er kauerte hinter einem Felsblock. Die drei Soldaten, die an seiner Seite vorüberzogen, bemerkten ihn nicht.

Mit gezücktem Messer glitt der schwarzbärtige Steuermann aus seinem Versteck hervor. Den Säbel trug er in der Scheide, die Radschloßpistole steckte in seinem Hosenbund. Einen Moment schlich er hinter dem Heck des Karrens her. Er gab Campoamor und dem feisten Wirt ein Handzeichen. Dann sprang er mit einem Satz vor, packte den letzten Bewacher von hinten und preßte ihm die linke Hand vor den Mund. Er stieß ihm den Dolch zwischen die Rippen, wartete sein Zucken ab, ließ ihn zu Boden gleiten und sprang den nächsten Soldaten an.

 

In diesem Augenblick erhoben sich auch Chocano und Pereda aus ihren Dekkungen. Während drüben der Glatzkopf und der Wirt am Werk waren, metzelten sie auf dieser Seite den vordersten Soldaten nieder. Savedra hatte inzwischen dem mittleren Mann das Messer zu schmecken gegeben. Der Überfall erfolgte so überraschend, daß auch dieser ohne Gegenwehr zu Boden ging und seinen Geist auf gab.

Der Kutscher schrie auf. Er hatte gesehen, was geschehen war. Wie wild drosch er auf die Rücken der Maultiere ein. Doch sie liefen nicht schneller. Er riß eine Pistole aus dem Gurt, aber Marcos Chocano erklomm den Kutschbock, entriß sie ihm und stach ihn mit einem kurzen Säbel nieder. Er zog die Klinge aus dem Leib des Mannes. Dieser stürzte auf den dunklen Untergrund, und mit dem Blut, das aus der großen Wunde floß, trat auch das Leben aus seinem Körper und versickerte neben den knarrenden Wagenrädern im Boden.

Eloy Campoamor und Miguel Casias hatten zwei Bewacher niedergemacht. Jetzt wollten sie sich den dritten an ihrer Seite vornehmen, doch der bot massive Gegenwehr. Mit einem Sprung brachte er sich hinter einem Quader in Sicherheit, riß die Muskete hoch und legte auf die beiden heranstürmenden Mörder an.

Donnernd brach der Schuß. Ein weißes Qualmwölkchen stob hoch. Campoamor und der Wirt ließen sich fallen, fluchten und fühlten die Ladung heiß über ihren Rücken wegstreichen. Marcos Chocano zückte seine Radschloßpistole und feuerte vom Kutschbock aus auf den Soldaten. Doch dieser duckte sich rechtzeitig. Die Kugel ging fehl.

Der Soldat hatte keine Zeit, seine Muskete nachzuladen. Chocano hatte das Gespann zum Stehen gebracht. Savedra, Pereda, Campoamor und Casias kreisten den einzigen Überlebenden des Gemetzels ein. Sie umzingelten ihn, gaben sich jedoch keine Blöße. Er hatte noch eine Pistole.

„Gib auf“, sagte Antonio Savedra in die plötzliche Stille. „Du hast nicht die geringste Chance. Was willst du mit der einen Kugel ausrichten?“

„Einen von euch nehme ich mit in die Hölle“, sagte der Soldat gepreßt.

Miguel Casias befleißigte sich eines freundlich-süffisanten Tonfalles. „Aber mein lieber Freund, welchen Wert hat ein solches Handeln? Überlege doch mal. Wir wollen die beiden Schatzkisten. Nicht dein Leben. Schön, die anderen sechs haben ins Gras beißen müssen. Aber du hast jetzt die Möglichkeit, dich zu entscheiden. Du hast wirklich die Wahl! Wenn du aufgibst und bei uns mitmachen willst – bitte. Wir sind bereit, mit dir zu teilen. Na, ist das nicht ein Angebot?“

Eloy Campoamors Augen funkelten empört, doch Savedra bedeutete ihm, den Mund zuhalten.

„Wer sagt mir, daß du nicht lügst?“ rief der Soldat verzweifelt.

„Du mußt mir schon vertrauen“, erwiderte Casias katzenfreundlich. „Ich bin ein Ehrenmann, kein Haderlump. Und wir sind Landsleute, Caballero. Steh auf und komm her, dann wirst du sehen, was, das Wort eines Mannes bedeutet.“ Der Soldat warf die Pistole fort, erhob sich hinter dem Quaderstein und trat mit resignierender Geste auf sie zu. Savedra schwang hoch, warf sich ihm entgegen und stieß mit dem Dolch zu. Ein gurgelnder Laut war das letzte, was der zusammensinkende Mann von sich gab. Doch im Moment des Todes waren seine Augen anklagend auf den feisten Wirt gerichtet.

„Elender Narr“, sagte Casias verächtlich.

„Los, los!“ rief Marcos Chocano ungeduldig vom Kutschbock her. „Ich kann die verflixten Biester nicht mehr lange halten. Die Schießerei hat sie vervös werden lassen. Beeilt euch!“

Savedra und die anderen drei schafften die Leichen fort. Sie versteckten sie in dem nahen Pinienhain, einem feuchten Wäldchen, dessen Bodenzone stellenweise von stacheligem Gesträuch überzogen war. Die sieben Männerleichen verschwanden in dem urwaldähnlichen Dickicht. Sodann beruhigten die Mörder das Gespann, griffen ins Zaumzeug der Tiere und führten sie samt dem Karren durch den Pinienhain.

Es kostete einige Mühe, das Gefährt sicher den Hang hinabzubringen. Obwohl er sanft abfiel, drohte sich das Gespann selbständig zu machen. Der schwerbeladene Wagen drückte nach. Savedra und seine Komplicen stemmten sich dagegen und lenkten das Gespann seitlich am Hang hinunter.

Sie brachten ihre Raubbeute zu dem verborgenen Landeplatz in der winzigen Bucht. Die Maultiere wurden ausgespannt. Sie schnaubten und stießen jene für sie so typischen, heiseren, trompetenden Laute aus. Die Männer jagten sie mit Peitschenhieben davon. Casias turnte erstaunlich behende in die hinter dichtem Ufergebüsch versteckt liegende Segelpinasse, überprüfte die Vertäuung und kehrte dann zu den Komplicen zurück. „Alles in bester Ordnung. Hieven wir die Kisten herunter?“

Marcos Chocano klettere auf die Ladefläche des Karrens. Savedra mußte ihm helfen, denn allein vermochte er die beiden Schatztruhen kaum bis nach hinten zu bewegen. Sie waren sehr schwer. Es kostete die Verbrecher ihre gesamte Kraft, sie zur Pinasse zu schaffen und zwischen die Duchten hinabzubugsieren. Der Einmaster senkte sich tiefer in die Fluten.

Das wäre geschafft“, sagte Antonio Savedra und richtete sich auf. „Als nächstes lassen wir den Karren verschwinden.“

Der Wirt blieb bei der Pinasse zurück. Savedra, Chocano, Pereda und Campoamor hasteten zu dem Wagen zurück, griffen in die Speichen und bewegten ihn auf die Bucht zu. Savedra sah die füllige Gestalt des Wirtes an Bord der Pinasse. Für einen Augenblick durchzuckte ihn die schreckliche Erkenntnis, daß er einen Fehler begangen hatte. Wollte Casias sie betrügen, dann hatte er jetzt die beste Gelegenheit dazu. Er brauchte nur die Leinen loszuwerfen und wegzusegeln. Weder Musketennoch Pistolenkugeln würden ihn treffen, wenn er sich unter die Duchten warf, und der Pinasse nachzuschwimmen, hätte für die vier Seeleute auch nicht zum Erfolg geführt.

Savedra beruhigte sich wieder. Miguel Casias rührte sich nicht vom Fleck, er schaute nur abwartend zu ihnen herüber. Für den Steuermann der „San Pedrico“ stand nach wie vor fest, daß Casias ein durchtriebenes Schlitzohr war. Doch er sagte sich auch, daß der Mann ungeheuren Respekt vor ihnen hatte. Dies allein war der Grund, warum er es nicht wagen würde, sie übers Ohr zu hauen.

Der Karren erreichte das Ufer der kleinen Bucht. Unter den Anstrengungen der vier Männer lehnte er sich schließlich über die Kante, neigte sich allmählich vornüber und kippte ins Wasser. Das Naß gurgelte und spritzte, dann kündeten nur noch ein paar Wellenringe von dem Platz, an dem der Karren untergegangen war.

„Die Bucht ist tief genug, ihn für alle Zeiten verschwinden zu lassen“, sagte Savedra grinsend. „Man wird die Maultiere einfangen und schließlich die Leichen finden, doch ich hoffe, daß wir dann schon auf den Chincha-Inseln sind.“ Sie stiegen zu Casias in die Pinasse. Chocano, der an Bord der „San Pedrico“ Rudergänger war, nahm auf der Heckbank Platz. Die übrigen vier lösten die Leinen, pullten ein paar kräftige Schläge, die sie aus der Bucht beförderten, und setzten dann das Segel. Die steife Brise fuhr hinein, ließ es aufbauschen und schob die Pinasse vor sich her in südliche Richtung.

Sie gewannen Abstand vom Ufer. Bald war es in der Dunkelheit verschwunden. Immer größer wurde die Distanz zwischen der Pinasse und dem Festland. Casias sah, wie nahe das Dollbord der Wasserlinie war, und sagte: „Verdammt, die Schatztruhen sind ziemlich schwer. Wenn die See kabbelig wird, nehmen wir garantiert Wasser über.“

„Für das, was in den Kisten steckt, nehme ich es gern in Kauf, nasse Füße zu kriegen“, erwiderte Antonio Savedra. Er lachte, und die anderen fielen ein.

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