Seewölfe - Piraten der Weltmeere 283

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 283
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Impressum

© 1976/2017 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

ISBN: 978-3-95439-680-1

Internet:

www.vpm.de

 und E-Mail:

info@vpm.de




Inhalt





Kapitel 1







Kapitel 2







Kapitel 3







Kapitel 4







Kapitel 5







Kapitel 6







Kapitel 7







Kapitel 8







Kapitel 9







Kapitel 10







1.



Die Nacht hatte sich über Plymouth gesenkt. Neblige Spukgestalten geisterten durch die Gassen, nisteten sich in Ecken und Türen ein und krochen die feuchten Mauern der Häuser empor. Der Wind hatte leicht aufgebrist und pfiff über den Plymouth Sound und in den Hafen hinein, bis das Wasser sich kräuselte und kleine Schaumkronen darauf tanzten, doch er vermochte die weißlichen Schwaden nicht zu vertreiben.



Die Schritte von Männern klapperten durch das Hafenviertel. Einer von ihnen trug ein Holzbein, wie durch den trockenen, dumpfen Klang auf den Katzenköpfen, der in rhythmischen Abständen erfolgte, leicht herauszuhören war.



Dieser Mann war Old Donegal Daniel O’Flynn. Er bildete den Abschluß der kleinen Gruppe, die sich zielstrebig in Richtung auf die Kneipe „Bloody Mary“ zubewegte. Sein Sohn Dan schritt genau vor ihm, neben ihm befanden sich Ben und Roger Brighton, die ihrerseits hinter Edwin Carberry und Ferris Tukker hermarschierten, und ganz vorn gingen Big Old Shane und Philip Hasard Killigrew, der Seewolf.



Old O’Flynn blieb plötzlich stehen und wandte sich um. Seine listigen kleinen Augen spähten argwöhnisch in die Dunkelheit, sein verknittertes Gesicht hatte sich zu einer Grimasse verzogen.



Die anderen bemerkten es zunächst gar nicht, doch dann war es Ben, der sich zufällig umdrehte und den Alten wie einen Kobold auf drei, vier Yards Distanz in der Gasse dastehen sah, gebückt, lauernd und wegen der schlechten Sichtverhältnisse in den Umrissen leicht verschwommen.



Ben warf Dan einen raschen Blick zu, dann blieb mit ihnen auch Roger stehen, und zu dritt kehrten sie zu dem Alten zurück.



„Was ist denn los, Donegal?“ fragte Ben. „Hast du wieder mal einen Dämon gesehen?“



„Still“, zischte Old O’Flynn. „Mal bloß nicht den Teufel an die Wand.“



„Au weh.“ Dan hatte sein bestimmtes Grinsen aufgesetzt. „Es wird ernst, Freunde. Die Mächte der Finsternis sind im Begriff, Plymouth anzugreifen. Ich hab’s ja immer geahnt. Hier kann nichts Gutes gedeihen.“



„Laßt uns eben noch den Rum und den Whisky bei Plymson wegholen, dann hauen wir ab“, sagte Roger, der auch eine Ader für diese Art von Humor hatte.



Der Alte begann mit einer seiner Krücken herumzufuchteln, sie mußten ihm ausweichen, um nicht getroffen zu werden. Nur Ben blieb in Old O’Flynns unmittelbarer Nähe stehen und blickte ihn unter hochgezogenen Augenbrauen an. Meistens bahnte sich tatsächlich etwas an, wenn der Alte die Ohren spitzte und mißtrauisch herumzuspähen begann, das hatte sich auf ihren vielen Reisen immer wieder gezeigt.



„Es ist jemand hinter uns her“, brummte Old O’Flynn.



„Der verdammte Nebel gaukelt dir was vor“, sagte Roger.



Der Alte schüttelte den Kopf. „Nichts da. Ich bin mir da ganz sicher, und du, Roger Brighton, solltest lieber die Klappe halten.“



„Hast du jemand gesehen?“ erkundigte sich Ben leise.



„Nein, aber sie sind dicht hinter uns.“



„Mehrere?“



„Jawohl, so wahr ich hier auf meinen lahmen Krücken stehe. Ich spür’s mal wieder in meinem Beinstumpf: Es gibt Verdruß.“



„Das ist die Feuchtigkeit, Dad“, sagte Dan leise. „Vergiß nicht, daß du wetterfühlig bist.“



Sein Vater warf ihm einen giftigen Blick zu. „Wie lange ist es eigentlich her, daß ich mein Holzbein nicht mehr auf deinem Rücken ausprobiert habe, du Schnösel? Bilde dir bloß nicht ein, daß du alt genug bist, um mir gegenüber so eine dicke Lippe riskieren zu können.“



„Nein, Sir. Soll ich Hasard Meldung erstatten?“



„Nicht nötig“, brummte der Alte und wies zum Seewolf, der sich inzwischen ebenfalls umgedreht hatte und Shane, Carberry und Tucker durch eine Geste zum Stehen brachte. „Er ahnt wohl schon, daß was im Busch ist. Los, weitergehen. Wir müssen so tun, als hätten wir nichts bemerkt.“



Sie gesellten sich wieder zu den anderen, und Hasard erkundigte sich mit verhaltener Stimme, was vorgefallen sei.



Old O’Flynn sagte genauso leise: „Wir haben ein paar Kerle hinter uns, die uns ganz bestimmt nicht um ein Almosen anbetteln wollen.“



„Sondern?“ fragte Ferris Tucker, der rothaarige Schiffszimmermann. „Könnten es nicht ein paar fromme Klosterbrüder sein, die uns nach dem Weg zur Kirche fragen wollen?“



„Kann man mit euch Himmelhunden eigentlich kein vernünftiges Wort mehr reden?“ Old O’Flynn schoß einen Blick auf Ferris ab, der so freundlich war wie der eines hungrigen Hais. „Habt ihr euch vorsichtshalber schon einen angesoffen, weil ihr Angst habt, daß es beim alten Plymson nicht genug gibt?“



„Ach, Quatsch“, brummte Carberry. „Es ist wohl mehr die Vorfreude auf das neue Schiff, die die Kerle so ausgelassen stimmt. Was, Shane?“



Der graubärtige Riese begann zu grinsen. „Von welchem Schiff sprichst du eigentlich, Ed? Von der neuen ‚Isabella‘ oder von der ‚Hornet‘?“



„Von beiden“, antwortete der Narbenmann. „Und auch mich juckt’s überall, und zwar gewaltig, wenn du’s genau wissen willst. An Land halte ich es nicht mehr lange aus. Daher ist es auch mir ein innerer Vorbeimarsch, mal wieder so einen feinen Kahn wie diese ‚Hornet‘ unter die Füße zu kriegen. Sie ist doch wirklich für uns bestimmt, nicht wahr, Sir?“



„Nicht so laut“, sagte der Seewolf warnend. „Genaues weiß ich ja noch nicht. Aber um auf deine Beobachtungen zurückzukommen, Donegal – es könnte leicht angehen, daß wir das Interesse gewisser Schnapphähne und Beutelschneider auf uns gelenkt haben, seit mir der Abgesandte der Königin die Pergamentrolle übergeben hat. Wir könnten ja wirklich wichtige Persönlichkeiten sein. Möglicherweise befindet sich an Bord der ‚Hornet‘ ein Schatz, der unter unserem Geleitschutz von Plymouth nach London gebracht werden soll.“



„Wie?“ Carberry war hell erstaunt. „Das glaubst du wirklich? Ist das dein Ernst?“



Ein verschmitzter Ausdruck war in die Züge des Seewolfs getreten. „Ich könnte mir vorstellen, daß die Kerle, die hinter uns her sind, so oder ähnlich denken. Deshalb sollten wir auf alles vorbereitet sein.“



„Verstanden“, sagte Big Old Shane, setzte eine grimmige Miene auf und legte die Hand an das Heft seines Entermessers.



Hasard lauschte und vernahm von irgendwoher das Bellen eines Hundes, dann die Geräusche verhaltener Schritte im milchigen Dunkel hinter ihnen. Er gab seinen Männern erneut ein Zeichen, und wieder hielten sie an. Die Schritte in der Gasse verstummten.



Hasard grinste, in seinen eisblauen Augen tanzten jetzt die bekannten tausend Teufel, ein Zeichen von Verwegenheit und Entschlossenheit.



„Wir drehen den Spieß um“, raunte er seinen Männern zu. „Wer immer uns da auf den Fersen sitzt, wir kommen ihm zuvor und stellen ihm eine Falle.“



Sofort waren Ben, Shane, Ferris und die anderen Feuer und Flamme. Es bedurfte keiner weiteren Worte, mit denen sie sich untereinander abstimmten. Hasard bog in eine Seitengasse ab und führte seine kleine Gruppe auf dem Umweg durch Gänge und Höfe zurück zum Hafen. Hartnäckig blieben die Verfolger hinter ihnen, sie hörten es an ihren Schritten, konnten die Gestalten aber nirgends in Nacht und Nebel erkennen. Abhängen ließen diese Kerle sich nicht, soviel stand fest, und sie schienen ihr Metier zu verstehen.



Strauchdiebe und Gassenräuber, dachte Hasard, na wartet, wir werden es euch schon zeigen.



Durch ein paar Blicke in alle Richtungen vergewisserte er sich, daß der Ort für sein Vorhaben richtig gewählt war. Sie hatten einen winzigen Platz zwischen den spitzgiebligen, hier und da leicht altersschwachen und demzufolge gebeugten Häusern erreicht, auf den gleich vier Gassen mündeten.



Durch die eine hätte man, so wußte der Seewolf, in einer klaren Nacht die Piers erkennen können, die wie Skelettfinger ins Hafenbecken hinausragten. Im Nebel indes waren nur die verschwommenen Lichtflecken zweier Laternen am Kai zu sehen. Doch das beeinträchtigte Hasards Plan in keiner Weise. Von Bedeutung war in diesem Zusammenhang nur, daß das Wasser nicht fern war.



Wieder eine Gebärde des Seewolfs, und die Männer schwärmten nach allen Seiten aus und versteckten sich in den Mündungen der Gassen, in einer Toreinfahrt, einem Hauseingang und hinter einem Stapel alter Kisten. Dan war der einzige, der auf Hasards Anweisung hin weiterging. Gut hörbaren Schrittes entfernte er sich durch die Gasse, die direkt zum Hafen führte – um den Gegner zu täuschen, und damit dieser ja nicht wieder stehenblieb.



Tatsächlich näherten sich die knirschenden, scharrenden Laute dem kleinen Platz und hielten nicht mehr inne. Hasard und seine Männer kauerten mit verhaltenem Atem in ihren Deckungen. Dan kehrte auf leisen Sohlen zu seinem Ausgangspunkt zurück und ließ sich in geduckter Haltung neben Big Old Shane hinter den Kisten auf dem nassen Pflaster nieder.

 



Der Feind konnte aufkreuzen, alles war für einen gebührenden Empfang bereit.



Der Seewolf und seine Männer hatten allen erdenklichen Grund, mißtrauisch und vorsichtig zu sein. Nach den Irrfahrten, die auf die Abenteuer am Nil gefolgt waren, nach Trennung, Entbehrung und Verdruß hatten sich Plymouth und Cornwall keineswegs als die friedliche Heimat erwiesen, in deren Geborgenheit sie nach einer langen Odyssee zurückgekehrt waren. Es hatte sofort wieder Ärger gegeben.



Kaum hatte der alte Ramsgate die neue „Isabella IX.“ auf Kiel gelegt, waren auch schon die Störenfriede zur Stelle gewesen, die den Bau des Schiffes boykottieren und den Seewölfen eins auswischen wollten: Samuel Taylor Burton und Mark Bromley, zwei alte Feinde Hasards, die sich dann sogar mit Sir John Killigrew zusammengetan hatten, um ihr geplantes Ziel zu erreichen.



Aber am Ende hatte sich die ganze Bande doch ins eigene Fleisch geschnitten. Den Unfrieden, den sie gestiftet, und den Schaden, den sie angerichtet hatten, hatten die Männer der „Isabella“ ihnen mit gleicher Münze zurückgezahlt. Jetzt saßen die Kerle erst einmal hinter Gittern und warteten auf ihren Prozeß.



Wie die Dinge standen, würde Sir John mindestens den gesamten entstandenen Schaden ersetzen müssen. Außerdem würde er eine ganze Weile im Kerker zubringen, statt auf der Feste Arwenack in Falmouth. Seine Karavelle war von den Behörden an die Kette gelegt worden.



Ben Brightons Sambuke war vernichtet, doch die Männer trauerten ihr nicht groß nach. Sie mußten nur auf der „Pride of Galway“, der Galeone, die Hasard aus Irland als Prise mitgebracht hatte, etwas enger zusammenrücken. Die „Pride“ diente der gesamten Crew als Unterkunft, solange sie über die neue, bessere „Isabella“ noch nicht verfügten.



Nachdem Ramsgates Werft wieder aufgeräumt worden war und die Arbeiten vorangingen, hatte es jedoch die nächste Überraschung gegeben. Ganz unvermittelt war ein Uniformierter erschienen und hatte Hasard um eine Unterredung gebeten. Wie sich herausgestellt hatte, war dieser Mann ein Bote aus London gewesen.



Er hatte Hasard mit knappen Worten erklärt, daß man in der Zwischenzeit selbstverständlich auch in London von der Rückkehr des Seewolfes erfahren habe, und auch der Verlust seiner „Isabella VIII.“ sei dem Hofe bekannt.



Der Abgesandte, der nach seinen eigenen Worten im Namen der Königin nach Plymouth gereist war, hatte Hasard daraufhin mit einer Kutsche zu einem etwas abgelegenen Kai gebracht – und dort hatte der Seewolf zum erstenmal die Dreimast-Galeone „Hornet“ gesehen, die gerade im Begriff gewesen war, in See zu gehen.



Der Gesandte der Königin hatte Hasard eine Pergamentrolle übergeben und ihm auseinandergesetzt, daß Elizabeth I. ihm, Philip Hasard Killigrew, die „Hornet“ zur Verfügung gestellt habe. Er könne sie bald übernehmen, sie müsse nur noch ausgerüstet werden, was in den nächsten Tagen der Fall sein sollte. Er werde also im Namen und auf Order Ihrer Majestät, der Königin von England, segeln.



Einigermaßen ratlos war der Seewolf zu seinen Männern zurückgekehrt. Nähere Einzelheiten sollte er in den nächsten Tagen erfahren, die Botschaft des Abgesandten war nur eine Vorabinformation gewesen. Auch aus dem Text der Pergamentrolle ging nicht mehr hervor als das, was der Mann ihm bereits am Kai mitgeteilt hatte.



Die ganze Crew, von Ben Brighton bis hin zu den Zwillingen, war nun gespannt, was die nahe Zukunft bringen würde. Bislang hatte es keine weiteren Nachrichten aus London gegeben, aber vielleicht stand den Männern ja ein neuer harter Raid bevor, bei dem es wirklich um einen Schatz ging, wie Hasard eher ironisch hatte anklingen lassen.



Ihnen sollte dies nur recht sein, die Herumhockerei in Plymouth ging ihnen ohnehin auf die Nerven. Außerdem war diese „Hornet“ ein schmuckes Schiff. Wie Hasard geschätzt hatte, verfügte sie über etwa zwanzig Kanonen und zusätzlich sechs Drehbassen auf dem Vor- und Achterkastell. Damit war sie stärker armiert als die alte „Isabella VIII.“, die im Sand des Todeskanals ein unrühmliches Ende gefunden hatte.



Dies war der Stand der Dinge, und auch der Bau der „Isabella IX.“ ging wieder voran. Doch wo der Seewolf sich auch aufhielt, früher oder später erschienen seine Feinde auf der Bildfläche, scharten sich die Schakale und Schnapphähne zusammen, die all die Gerüchte um die sagenhaften Schätze gewittert hatten und jetzt auf schnelle Beute hofften.



Burton und Bromley mochten Freunde haben, die jetzt darauf aus waren, Rache an den Seewölfen zu üben, oder aber irgend jemand hatte etwas von dem Schatz der Spanier erfahren, den Hasard aus Irland mitgebracht hatte. Möglich war alles, und die Gründe für einen Angriff auf den Seewolf und seine Crew waren mannigfaltig. Schon aus dieser Erwägung heraus war es von vornherein ausgeschlossen, daß diejenigen, die der Gruppe in dieser Nacht auf den Fersen saßen, vielleicht doch friedliche Absichten hegten.



Hasard ließ sich all dies noch einmal durch den Kopf gehen, während er reglos in der Mündung der einen auf den Platz führenden Gasse hockte. Er war immer für Fairneß gewesen und hatte nie den ersten Stein in einer beginnenden Auseinandersetzung geworfen, sondern immer erst das Ansinnen des Gegners abgewartet. Doch in der letzten Zeit hatte er viel einstecken müssen. Nicht nur die Geschehnisse am Nil, sondern auch die Erfahrungen, die sie in Irland hatten sammeln müssen, hatten ihn wieder so manches gelehrt.



Oft war die ganze Fairneß für die Katz. Es war ein Ding der Unmöglichkeit, stets gerecht und dazu auch noch ritterlich zu handeln, denn in vielen, Fällen stand nicht nur sein Leben, sondern das der kompletten Mannschaft auf dem Spiel.



Und Burton und Bromley? Und Sir John? Hatten die ein anständiges, ehrenhaftes Verhalten verdient? Wenn man nicht höllisch aufpaßte, schossen sie einem das Schiff unter den Füßen weg und jagten alles in die Luft, ehe man sich auf ihre Offensive einstellen konnte. Wer konnte denn dafür garantieren, daß die Kerle, die sich da in der Dunkelheit näherten, nicht ihre Verbündeten waren?



Kein Mensch. Hasard preßte die Lippen fest zusammen und bereitete sich auf sein Handeln vor. Er war nicht gewillt, den Gegner diesmal erst auf die Probe zu stellen.



Gestalten tauchten aus dem dichter werdenden Nebel auf, die Umrisse nahmen klare Formen an, die Verfolger hatten den Platz jetzt erreicht. Hasard beobachtete sie aus schmalen Augen. Plötzlich, als sie gewahr wurden, daß sie in der Auswahl der Fortsetzung ihres Weges mehrere Möglichkeiten hatten, blieben sie abrupt stehen und murmelten untereinander etwas, das kaum zu verstehen war.



Sie sind nicht aus Plymouth, dachte der Seewolf, ich habe sie hier noch nie zuvor gesehen, und sie scheinen sich nicht sonderlich auszukennen.



Von dem, was sie sprachen, vernahm er nur ein paar Wortfetzen:



„… sind verschwunden, die Kerle – müssen sie aber erwischen – entgehen dürfen sie uns nicht …“



Er erhob sich und bewegte sich lautlos auf sie zu. Sie wandten ihm gerade ihre Rücken zu – sechs Männer unterschiedlich großer Statur, aber alle kräftig und muskelbepackt. Ihrem Akzent nach waren sie auf jeden Fall Engländer, aus unterschiedlichen Gegenden, aber wahrscheinlich alle von der Küste. Nach den Ausdrücken zu urteilen, die sie benutzten, mußten sie auch allesamt Männer mit Salzwassererfahrung sein.



Küstenwölfe, dachte Hasard, Cornwell-Haie. Aber diesmal ist euch ein Fehler unterlaufen.



Er war dicht an sie herangelangt und tippte nun dem, der ihm am nächsten stand, einfach auf die Schulter.



Die Wirkung war unmittelbar: Der Kerl fuhr zusammen, wirbelte zu ihm herum und riß seine Faust hoch. Hasard hatte für einen Moment sein verzerrtes, erschrockenes Gesicht vor sich, dann aber blieb keine Zeit mehr für eingehende Betrachtungen. Er mußte sich wehren. Blitzschnell blockte er die hochschießende Rechte des Mannes ab, drückte seinen Arm weg und hieb selbst mit der linken Faust zu.



Der Kerl gab nur noch einen halb verblüfften, halb entsetzten Laut von sich, als die harten Knöchel sein Kinn trafen, dann brach er zusammen und streckte sich der Länge nach auf dem Pflaster des Platzes aus.



Jetzt warfen sich auch die fünf anderen herum und stießen unterdrückte Flüche aus. Sie griffen an und wollten sich allesamt auf den hochgewachsenen schwarzhaarigen Teufel stürzen, der ihnen da so unversehens in die Quere geraten war, aber da waren noch die Brightons, die O’Flynns, Shane, Carberry und Ferris Tucker.



Die hatten mittlerweile nämlich ihre Deckungen verlassen und sprangen mit beängstigender Schnelligkeit auf die Gegner zu, warfen ihnen ein paar Flüche an die Köpfe, die alle vorher laut gewordenen Verwünschungen in den Schatten stellten, und begannen auf sie einzuschlagen.



Aber die fünf hatten sich von ihrem ersten Schreck erholt und konterten. So leicht ließen sie sich denn doch nicht überrumpeln, und sie dachten auch nicht daran, die Flucht zu ergreifen. Aus welchem Holz sie geschnitzt waren, stellten Hasard und seine Männer in den nächsten Momenten fest, in denen die Keilerei heftigere Ausmaße annahm, als er anfänglich geglaubt hatte.



Im Nu war der Teufel los, das Keuchen und Fluchen der Männer löste die Stille ab, die eben noch auf dem vom Nebel zugedeckten Plätzchen in der Nähe des Hafens geherrscht hatte.





2.



Roger Brighton hatte sich auf einen der Gegner geworfen und war mit ihm zu Boden gegangen. Sie wälzten und balgten sich, dann mußte Roger einen gewaltigen Hieb gegen sein Brustkreuz hinnehmen, der ihm vorerst die Luft und die Widerstandskraft raubte.



Sein Widersacher löste sich von ihm, sprang auf und trat Old O’Flynn, der gerade hilfreich eingreifen wollte, voll gegen die linke Krücke und dann gegen das Holzbein. Der Alte ächzte, geriet aus dem Gleichgewicht und ging neben Roger zu Boden.



Der Kerl tänzelte weiter zu Edwin Carberry und rammte ihm die Faust mit größter Wucht in den Magen, doch diesmal hatte er weniger Glück. Es war, als hätte er überhaupt nicht zugeschlagen.



„So“, sagte der Profos. Er sprach auffallend gedämpft, was bei ihm immer ein Anzeichen für schweren Sturm war. „Du findest dich wohl besonders witzig, du Läuseknacker, was, wie?“



Der Kerl sagte etwas Lästerliches, dann knallte er dem Narbenmann die Faust geradewegs unter das mächtige Rammkinn. Oder besser, er hatte es treffen wollen, hieb jedoch vorbei, weil der Profos seinen Kopf mit ungeahnter Gewandtheit zur Seite nahm. Verblüfft riß der Kerl den Mund auf, aber er klappte ihn gleich wieder zu, denn Carberry schlug mit beiden Fäusten zu. Die eine traf den Gegner in die Seite, die andere erwischte seine Kinnlade, dann flog er bis zur nächsten Hauswand, prallte mit dem Rücken dagegen und sank daran zu Boden.



Er hörte noch, wie Carberry verächtlich „Witzbold“ sagte, dann schwanden ihm die Sinne.



Der Mann, der von Hasard aufs Pflaster geschickt worden war, hatte sich inzwischen jedoch wieder aufgerappelt, und so waren es immer noch fünf, die den Seewölfen einen erbitterten Kampf lieferten.



Aber auch Roger Brighton und Old O’Flynn waren wieder auf den Beinen. Big Old Shane warf gerade einen der Angreifer, den er bei den Armen gepackt hatte, mit Schwung über seinen breiten Rücken hinweg ab, der Alte nahm ihn in Empfang und knallte ihm das Holzbein gegen den Schädel.



Das genügte jedoch immer noch nicht, der Kerl überrollte sich, sprang wieder auf und wollte sich erzürnt auf Old O’Flynn stürzen. Jetzt aber war Roger mit wutentbrannter Miene zur Stelle und landete mit beiden Fäusten einen Schlag im Nacken des Gegners, daß dieser nur noch einen keuchenden Laut von sich gab und dann endgültig zusammenbrach.



Ferris Tucker war in die Knie gegangen, einer der Wegelagerer war über ihm und traktierte ihn mit gezielten Hieben. Plötzlich aber schoß Ferris’ linkes Bein hoch, der Fuß traf die Schulter des Kerls und ließ ihn zurücktaumeln.



Er prallte mit dem Rücken gegen Ben Brighton, und der sagte: „Na, das ist ja wohl die Höhe.“



Während er noch sprach, griffen auch seine harten Hände in die Sache ein. Er gab dem Kerl zunächst eine schallende Ohrfeige und anschließend einen Kinnhaken, und auch dieser versank in tiefer Bewußtlosigkeit.



Jetzt waren nur noch drei der Angreifer aktiv. Sie hatten sich an Hasard herangepirscht und setzten ihm gefährlich zu. Der eine hatte bereits den linken Arm des Seewolfs gepackt, ein anderer versuchte, den rechten Arm zu fassen, und der dritte schickte sich an, den Rest zu besorgen und ihn niederzuschlagen.

 



Mit einemmal aber war Dan O’Flynn mitten zwischen ihnen und trieb sie auseinander. Seine Fäuste wirbelten, und Hasard kriegte wieder Luft. Er riß den Mann zu sich heran, der seinen einen Arm umzudrehen trachtete, verpaßte ihm einen trockenen Haken und jagte ihn dann auf Carberry zu, der mit Shane, Ferris, den beiden Brightons und Old O’Flynn zusammen anrückte.



Carberry sagte mit grunzender Stimme etwas, das wie „stinkende Kanalratte“ klang, dann schlug er kurz zu und beförderte den Kerl zu dem anderen, den er bereits erledigt hatte.



Dan O’Flynn hatte einen weiteren Angreifer durch vier, fünf prasselnde Fausthiebe außer Gefecht gesetzt, und so stand plötzlich der eine Kerl allein der Übermacht von acht Männern gegenüber.



Er erkannte seine hoffnungslose Lage und versuchte sein Heil in der Flucht, doch Ben stoppte ihn. Er hielt ihn fest und stellte ihn gegen eine Hausmauer.



„Wer bist du?“ fragte er mit drohender Stimme. „Wer hat dich geschickt? Burton? Bromley? John Killigrew?“



„Ich heiße Reeves“, antwortete der andere keuchend. „Zum Teufel, laß mich endlich los.“



Hasard und die anderen waren nähergetreten.



Der Seewolf sagte: „Das könnte dir so passen. Wer ist dein Auftraggeber, Reeves?“



„Bist du Hasard Killigrew?“



„Ja. Woher weißt du das?“



Reeves versuchte zu grinsen. „Eine Möwe hat’s mir gezwitschert. Beim Henker, warum seid ihr Narren über uns hergefallen?“



„Gib ihn mal her, Ben“, sagte Carberry, und seine Stimme hatte immer noch den gefährlichen, dumpfen Klang. „Ich will ihm ein bißchen was verbiegen, diesem total verlausten Satansbraten.“



„Augenblick, Ed“, sagte der Seewolf und trat dicht vor den Mann, der angeblich Reeves hieß. „Mein Bootsmann und ich haben dich was gefragt, Reeves.“ Er fixierte den Mann, aber dieser hielt seinem bohrenden Blick stand. „Willst du dich vielleicht bequemen, darauf zu antworten?“



„Ja. Seine Lordschaft Gerald Cliveden schickt uns, und ihr tut gut daran, euch nicht wie die Idioten zu benehmen.“



„Wer ist dieser Cliveden?“ erkundigte sich Hasard.



„Das kann ich dir hier nicht sagen.“



„Ach. Das wird ja immer spannender. Für wie dämlich hältst du uns eigentlich?“



„Folgt mir“, keuchte der Mann. „Dann werdet ihr sehen, daß wir euch nicht hereinlegen wollen. Wir haben daran nicht das geringste Interesse.“



„Das kann ich mir vorstellen“, höhnte Ferris Tucker. „Wo warten denn Seine Lordschaft mit dem Rest der Bande? Dort hinten, bei den Lagerhäusern? An einer stillen, abgelegenen Pier?“



„Sag die Wahrheit, Bursche, oder es geht dir schlecht!“ stieß Ben Brighton zornig hervor, und diese Worte gaben den eigentlichen Anlaß zu Reeves’ nächster Reaktion.



Völlig unerwartet schüttelte er Bens Hände ab, tauchte weg und nahm Reißaus, denn er rechnete fest damit, daß die Seewölfe jetzt auch ihn zusammenschlugen. Old O’Flynn stellte ihm gedankenschnell sein Holzbein, Reeves strauchelte und fiel hin. Er stöhnte, sprang wieder auf, wurde aber von Shane gestoppt, der ihn mit einem einzigen Hieb fällte.



„Lord Cliveden“, brummte der graubärtige Riese. „Das schlägt dem Faß den Boden aus. Genausogut hätte er sagen können, die königliche Lissy sei erschienen, um mit uns zu sprechen.“



„Wieso?“ fragte Carberry. „Kennst du diesen Cliveden?“



„Ich? Nein. Du vielleicht?“



Carberry kratzte sich verwirrt an seinem riesigen Kinn und brummelte schon wieder einen saftigen Fluch. Sir John, der karmesinrote Aracanga, der die ganze Zeit über durch die benachbarten Gassen geflattert war und jetzt wärmesuchend zu seinem Herrn zurückkehrte, wollte sich mit einem schmeichlerischen Gackern auf seiner Schulter niederlassen, doch der Profos scheuchte ihn weg wie eine lästige Fliege.



Erst mal mußte Carberry sich darüber klarwerden, was eigentlich gespielt wurde. Die Angelegenheit war total verfahren, ein Buch mit sieben Siegeln. Je mehr er herumgrübelte, desto undurchschaubarer wurde sie, und diese Tatsache versetzte ihn erst richtig in Wut.



„Sir“, sagte Dan. „Könnte nicht wirklich was Wahres an der Sache sein? Wegen der ‚Hornet“, meine ich?“



„Falls hier in Plymouth ein Lord aufgetaucht wäre, der uns eine Botschaft zu überbringen hat oder uns in irgend etwas einweihen will, würde er sich bestimmt nicht einer Handvoll Galgenstricke bedienen, um uns zu sich zu rufen“, erwiderte der Seewolf, und diese Feststellung genügte seinen Männern, um sie vollends davon zu überzeugen, was für eine haarsträubende Lügengeschichte dieser Reeves ihnen aufgetischt hatte.



„Was machen wir mit diesem Lumpengesindel?“ wollte Old O’Flynn mit einem Fingerzeig auf die immer noch bewußtlosen sechs Gegner wissen.



„Durchsuchen“, ordnete der Seewolf an, und sie beugten sich über die reglosen Gestalten.



Bei dieser Leibesvisitation förderten sie aber nur Waffen zutage, ein wenig Munition und eine Handvoll Münzen, sonst nichts. Hasard deutete zu den Piers und nickte seinen Männern zu. Sie packten die sechs Kerle, schleppten sie über den Kai zu den Piers und beförderten sie einen nach dem anderen ins Hafenwasser.



Mit einem lauten Klatscher verschwand der erste in den schwärzlichen Fluten, dann die nächsten beiden. Der vierte kam plötzlich zu sich, riß die Augen weit auf und blickte abwechselnd Shane und Carberry an, die gerade Anstalten trafen, auch ihn ins Wasser zu werfen.



„Aufhören!“ stieß er entsetzt aus. „Seid ihr wahnsinnig?“



„Paß auf, wie du sprichst, du Affe“, sagte der Profos grimmig. „Sonst hänge ich dir zusätzlich noch einen Stein ans Bein.“



„Ich – ich kann euch alles erklären!“



„Interessant“, brummte Shane. „Aber nimm jetzt erst mal ein Bad, es scheint ein Jahr her zu sein, daß du den letzten Dreck von dir abgekratzt hast. O Jesus, du stinkst ja, Junge.“



Old O’Flynn kicherte, Dan und Roger lachten. Ben und Ferris schwiegen.



Hasard trat auf den fremden Mann zu und sagte nur ein einziges Wort: „Name?“



„Hoback. Ray Hoback.“



„Kennst du Reeves?“



Hobacks Blick irrte zu Reeves’ regloser Gestalt auf der Pier, die noch darauf wartete, dem Wasser übergeben zu werden. Vorsichtshalber schüttelte er den Kopf, aber es war seinem Gesicht deutlich abzulesen, daß dies eine Lüge war.



„Wer schickt euch, Hoback?“ fragte der Seewolf ärgerlich.



„Lord Gerald Cliveden“, entgegnete der Mann leise. „Aber das ist ein Geheimnis, keiner außer euch darf es erfahren.“



„Ab in den Teich mit ihm“, sagte Hasard. Shane und Carberry hoben gleichzeitig die Füße und versetzten Hoback je einen Tritt, so daß dieser wie von einem Katapult geschnellt von der Pier flog und in den Fluten landete. Hier tauchte er zunächst unter und gleich darauf wieder auf. Dann gesellte er sich zu seinen Kumpanen, die jetzt ebenfalls die Köpfe aus dem Wasser erhoben hatten und heftig prusteten.



Auch mit dem fünften und dem sechsten Mann fackelten die Seewölfe nicht lange, dann wandten sie sich ab und setzten ihren Weg zur „Bloody Mary“ fort, wo der Rest der Crew auf sie wartete.



Keiner von ihnen ahnte, daß sie doch einem peinlichen Irrtum erlegen waren.



Zwei Gestalten standen wie Wachtposten vor der Kneipe des Nathaniel Plymson. Beim Nähertreten identifizierten Hasard und seine sieben Begleiter sie als Smoky und Jack Finnegan. Die beiden drehten immer wieder ihre Köpfe in alle Richtungen und hielten allem Anschein nach Ausschau nach ihren Kameraden.



Sie entdeckten sie wegen des Nebels erst, als diese auf wenige Schritte an sie heran waren. Smoky stieß einen Fluch aus.



„Herrgott, Sir“, sagte er. „Wo habt ihr denn bloß gesteckt? Wir haben uns schon um euch gesorgt. Ihr wolltet doch bloß kurz zum alten Ramsgate, um euch davon zu überzeugen, daß es mit den Arbeiten am Schiff vorangeht, und dann …“



„Dann wollten wir uns hier zu einem Umtrunk mit euch anderen treffen“, unterbrach Hasard ihn lächelnd. „Also gut, da sind wir. Wieso regst du

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