Seewölfe - Piraten der Weltmeere 454

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 454
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Impressum

© 1976/2018 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

eISBN: 978-3-95439-862-1

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Roy Palmer

An der Küste der Karibik

Schnapphähne hatten die Bucht besetzt – und da flogen die Fetzen

Mit den Zopfmännern war das so eine Sache – zur Zeit schienen sie ihr Piratengewerbe an die Ostküsten des Pazifischen Ozeans verlegt zu haben. Allerdings hatten Hasard und seine Männer weder die Absicht, sie daran zu hindern, noch die Lust, mit ihnen wieder zusammenzustoßen. Letzterem entgingen die Arwenacks und Le Vengeurs, indem sie mit ihrem Zweimaster nachts einen Kurswechsel vornahmen und somit den fünf Kampfdschunken entwischten, die den ganzen Tag auf Parallelkurs mit ihnen gesegelt waren. Aber das Hauptziel der Zopfmänner war Panama, und das konnte den Seewölfen nur recht sein, denn der Piratenangriff lenkte die Spanier ab und gab Hasards Männern die Gelegenheit, ihr eigenes Süppchen zu kochen …

Die Hauptpersonen des Romans:

Isidro Flores – ein Piratenhäuptling, der sich bei seinen Kerlen mit der Peitsche Respekt verschafft.

Nogales – einer seiner Kerle, der Glück im Unglück hat.

Gitano – auch ein Kerl aus der Flores-Horde, aber seine Tage sind gezählt.

Philip Hasard Killigrew – seine Männer und er erleben eine Überraschung am Golf von San Blas.

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

1.

Nogales, ein zäher, sehniger Mann aus Alicante, der mit einem 17-Pfünder-Schiffsgeschütz so gut umgehen konnte wie mit einem Säbel, einer Pistole oder einem Messer – Nogales hatte die Nase voll. Seit er vor ein paar Monaten zu der Meute von Schnapphähnen gestoßen war, die unter dem Kommando des dicken Isidro Flores stand, hatte er sich halb zu Tode geschuftet.

Flores bildete sich vielleicht ein, er, Nogales, sei wegen seiner großen Geschicklichkeit und Fingerfertigkeit so etwas wie sein persönlicher Aufklarer oder Lakai.

Wenn es etwas zu tun gab, wurde Nogales gerufen. Ein Leck im Schiff – Nogales mußte her. Ein Tau war zu spleißen – wo steckte Nogales? Nogales hier, Nogales da, alles hackte auf Nogales herum. Er hielt das einfach nicht mehr aus.

Anfangs hatte er mitgespielt, weil er insgeheim gehofft hatte, der Dicke würde ihn auf seine Weise belohnen. Immerhin hätte er ihm ja wenigstens ein paar Golddublonen oder Perlen extra zustecken können. Oder er hätte ihn zum Steuermann der Karavelle ernennen können. Oder zum Bootsmann, wenn schon nicht gleich zu seiner rechten Hand.

Nichts von alledem. Flores kannte keinen Dank. Er wurde nur immer launischer und unzufriedener, was Nogales’ Tun und Können betraf. Ständig hatte er etwas zu beanstanden und nörgelte und meckerte herum. Nogales hätte ihm liebend gern ein Messer zwischen die Rippen gestoßen. Doch die anderen Kerle – eine Hundertschaft – hielten zu ihrem Anführer. Er hätte sie alle gegen sich gehabt und somit sein eigenes Todesurteil unterschrieben.

Aber wenn er sich schon nicht rächen konnte für die ständigen Schikanen, warum ging er dann nicht einfach von der Fahne? Hatte er es nötig, sich von diesem fetten Hundesohn kujonieren zu lassen?

Nun, so einfach war das mit dem Abhauen nicht. Flores hätte seine Augen und Ohren überall. Und er hatte seine Peitsche, zur Hölle, mit der er sofort dreinschlug, wenn es ein Problem zu lösen galt. Man konnte ihn nicht täuschen und nicht überrumpeln, und Verräter pflegte er zu verfolgen und hinzurichten, wie er es vor kurzem mit einem krausköpfigen Andalusier getan hatte, der wie Nogales die Schnauze voll gehabt hatte.

Der Andalusier hatte sich erlaubt, dem Dicken vor die Füße zu spucken. Er hatte ihm die Faust in den Leib gerammt, dann war er an der Bucht, an der sie gelagert hatten, zu den Booten gelaufen. Doch weit war er nicht gekommen. Drei Kerle hatten ihn gepackt und zurück zudem Dicken geschleppt.

Flores hatte den Mann ausgepeitscht und dann in ein Erdloch pferchen lassen, das als Verlies diente. Der „Delinquent“, wie er ihn genannt hatte, war völlig erledigt gewesen, hatte vor lauter Panik und Verzweiflung in der Nacht aber doch einen Ausbruchsversuch unternommen. Dieser war sogar geglückt, doch Flores hatte ihn durch Suchtrupps im Dschungel wieder erwischt. Dann hatte er ihn gefoltert und getötet.

An all das mußte Nogales denken, als er an diesem Tag, dem 24. März 1595, an dem neuen Steg arbeitete. Sie hatten sich einen neuen Schlupfwinkel gesucht, eine gute, ausreichend große Bucht, in der die Karavelle und die Schaluppen Platz fanden. Ein paar Hütten waren am Strand bereits errichtet worden, seit sie eingetroffen waren. Jetzt wurde an anderen gebaut. Das Hämmern und Sägen erfüllte die Morgenluft.

Aber an jeder Hütte arbeiteten jeweils fünf bis sechs Kerle – er, Nogales, hingegen war allein. So eine schwierige Aufgabe wie einen Steg zu bauen, konnte eben nur ein Nogales ausführen, hatte Flores hämisch erklärt, als er die Gruppen eingeteilt und seine Anweisungen gegeben hatte.

Er verspottete ihn also. Warum tat er das? Er war ein Sadist, ein erbärmlicher, perverser Hund, davon war Nogales inzwischen überzeugt. Doch nichts konnte den Dicken seiner Machtposition berauben. Wenn man versuchte, ihn von seinem Thron zu stoßen, mußte man mindestens die Hälfte der Kerle hinter sich haben, nur so konnte das Komplott gelingen.

Aber sieh sie dir doch an, dachte Nogales, als er aufschaute. Sein Mund verzog sich zu einem verächtlichen Ausdruck, sein Gesicht war eine Grimasse. Wer von ihnen hatte schon mehr Grips im Hirn als ein Fisch oder Huhn? Sie waren verrohte, wilde, völlig verwahrloste Schlagetots und Galgenstricke, die nur in einer Richtung denken konnten.

Gab es irgendwo etwas zu holen, dann mordeten, plünderten und brandschatzten sie und vergewaltigten die Frauen, wenn es welche gab. Liefen sie einen Hafen an, versuchten sie, das Geld, Gold und Silber, das sie gerafft hatten, mit vollen Händen so schnell wie möglich wieder auszugeben.

Fressen, saufen und herumhuren, dachte Nogales, das ist alles, was sie können. Er hatte es aufgegeben, sich Verbündete und Gleichgesinnte zu suchen. Man konnte mit keinem richtig vernünftig reden, nicht mal mit dem Vihuela-Spieler, der zu Beginn einen recht klugen Eindruck auf ihn gemacht hatte. Doch das hatte sich als Irrtum herausgestellt. Der Kerl war dem Wein und Rum erlegen, und der viele Alkohol mußte sein Innenleben bereits angegriffen haben. Manchmal wirkte er wie ein Geistesgestörter.

Viel Wein trank auch Isidro Flores, aber er behielt fast immer einen klaren Kopf dabei. Keiner konnte ihn überlisten. Vielleicht rechnete er damit, daß ein Kerl wie Nogales ihm früher oder später an die Gurgel sprang, aber er war ständig auf der Hut. Auch aus diesem Grund hielt er Nogales ständig in Trab und achtete darauf, daß dieser keine Langeweile hatte.

Es hatte den Anschein, als hätten sie sich gegenseitig durchschaut. Nogales hämmerte und hantierte an dem Steg herum, biß die Zähne zusammen und dachte: Na gut, schuften wir weiter. Mit den Wölfen heulen und gute Miene zum bösen Spiel machen.

Er warf einen Blick zu der Karavelle und entdeckte Flores, der mit gelangweiltem Gesicht das Achterdeck betrat. Fauler Hund, dachte Nogales, du tust wieder keinen Handschlag, was?

Flores blickte zu Nogales. Sohn einer verlausten Hure, dachte er, was heckst du wieder aus in deinem verfluchten Kopf? Wage nur nicht aufzumucken, sonst kriegst du meine Peitsche zu schmecken.

Er hob die Peitsche und ließ sie zweimal in der Luft knallen. Jetzt wußten alle, daß er auf den Beinen war. Flores grinste und lachte verhalten. Die übliche Inspektionsrunde begann – und wehe, es war etwas nicht in Ordnung!

Verrecke, dachte Nogales, kipp ins Wasser und laß dich von den Haien zerreißen, du Bastard! Warum krepierst du nicht? Aber warte nur, dir geht es noch an den Kragen. Deine Stunde schlägt eher, als du ahnst.

Weder Flores noch Nogales noch die anderen Piraten, die in dieser Bucht gelandet waren, wußten, daß sie zu diesem Zeitpunkt selbst beobachtet wurden. Hätten sie es geahnt, dann hätten sie sofort zu ihren Waffen gegriffen, um den Schlupfwinkel zu verteidigen. Doch sie fühlten sich sicher und vermuteten kein Unheil.

Am Vormittag dieses 24. März 1595 hatten Philip Hasard Killigrew, der Seewolf, und seine Männer mit ihren neunzehn Maultieren den Isthmus von Panama unbeschadet überquert und einen Standort erreicht, der sich oberhalb jener Seitenbucht im Golf von San Blas befand, von dem aus sie am 12. Oktober des Vorjahres Siri-Tong und den Männern auf der ankernden „Caribian Queen“ noch einmal zugewinkt hatten, bevor sie weiter in die Cordillera de Chepo aufgestiegen waren.

 

Hasard verharrte und blickte sich um. Hinter ihm trafen Ben Brighton, Ferris Tucker, Dan O’Flynn, Big Old Shane, Pater David, Jean Ribault, Karl von Hutten und all die anderen nach und nach ein. Er wartete kurz ab, dann wandte er sich zu ihnen um.

„Wir haben es wirklich geschafft“, sagte er, „und unseren Ausgangspunkt wieder erreicht.“

„Ein Segen“, sagte Carberry. „Das viele Marschieren geht mir langsam auf den Geist. Hölle, wenn jetzt noch die ‚Caribian Queen‘ zur Stelle wäre, wäre das Unternehmen perfekt.“

Dan zog seinen Kieker auseinander und begann, nach allen Seiten Ausschau zu halten.

Batuti war neben ihm und brummte: „Warum jubelt eigentlich keiner?“

„Dazu haben wir noch keinen Grund“, erwiderte Hasard. „Und erst mal müssen wir uns davon überzeugen, ob wir allein sind oder ob sich jemand in der Nähe aufhält.“

„Dann kannst du immer noch jubeln“, sagte Shane zu Batuti.

„Ich glaub’, ich hab’ keine Lust zum Brüllen“, sagte der schwarze Herkules, ohne eine Miene zu verziehen. „Die Luft ist so trocken hier oben.“

„Na, eine Ration Rum wird’s wohl gleich geben“, sagte Matt Davies erwartungsvoll.

„Geduld“, sagte Ribault. „Man soll nichts überstürzen. Dan, wie sieht es aus?“

„Beschissen“, erwiderte dieser. „Wir sind hier wirklich nicht allein.“

Auf den ersten Blick wirkte alles völlig friedlich. Über Westen, Norden und Osten breitete sich, von diesem Standort aus betrachtet, die Karibik aus – eine im Sonnenlicht glitzernde Wasserfläche. Der Himmel war azurblau, das Wetter hätte besser nicht sein können. Ein handiger Wind umfächelte die Männer. Eigentlich konnten sie aufatmen – aber Dans Bemerkung dämpfte ihre Freude und Zuversicht.

„Noch ist keine ‚Caribian Queen‘ zu sehen“, sagte Dan. „Wäre ja auch zu schön gewesen, um wahr zu sein. Dafür aber ankern in unserer Bucht andere Schiffe.“

Die Männer traten etwas weiter vor, duckten sich und suchten hinter Büschen und Steinen Deckung. Ja, jetzt konnten sie es mit dem bloßen Auge erkennen: Ein großes und sechs kleinere Schiffe ankerten in der Bucht.

„Pech“, sagte Carberry. „Aber richtig übelnehmen kann man es den Hundesöhnen ja nicht, wer immer sie auch sind. Wir haben die Bucht schließlich nicht gekauft.“

„Ein schlanker, dreimastiger Segler vom Karavellentyp“, stellte der Seewolf fest. „Und sechs einmastige Schaluppen. Dazu eine bunte Horde von Kerlen.“

„Dons sind das nicht“, sagte Jean Ribault.

„Langsam, langsam, das wissen wir noch nicht“, widersprach Hasard. „Sagen wir – es sind keine Kriegsschiffe und auch keine Handelsfahrer.“

„Sondern Schnapphähne“, sagte Old Shane grimmig.

„Und am Ufer unserer idyllischen Bucht stehen ein paar Hütten.“

„Die haben eben den richtigen Riecher gehabt“, sagte Karl von Hutten. „Von See her ist die Bucht nicht einzusehen. Einen besseren Schlupfwinkel gibt es für eine Bande dieser Größe gar nicht.“

„Der Teufel soll sie holen“, brummte Pater David. „Lange können sie noch nicht hier sein. An einigen Hütten wird noch gebaut. Und auch ein Steg wird gerade errichtet.“

„Stimmt“, sagte Dan. „Offenbar als Anleger für den Pendelverkehr zwischen den ankernden Schiffen und dem Ufer. Na ja, das wär’s dann wohl.“

„Was heißt, das wär’s dann wohl?“ begehrte der Profos auf. „Von denen lassen wir uns ja wohl nicht einschüchtern. Siri-Tong wird diese Bucht anlaufen, zur Hölle, und wir werden sie bis zu ihrer Ankunft geräumt haben.“

Dan ließ den Kieker sinken. „Da gib dich mal keinen falschen Hoffnungen hin, Ed. Das da unten sind Galgenstricke der übelsten Sorte, und zwar nicht wenige.“ Seine Miene war jetzt verkniffen.

Hasard nahm das Spektiv zur Hand und spähte selbst hindurch.

„Ja, du hast recht“, pflichtete er Dan bei. „Die Kerle sehen mächtig verludert aus und haben entsprechende Visagen.“

„Scheißdreck“, sagte Blacky. „Es ist doch wirklich zum Kotzen.“

„Ich weiß, was du sagen willst“, brummte Smoky. „Da haben wir drüben, auf der anderen Seite der Landenge, kaum die verdammten Zopfmänner hinter uns gebracht – und schon stoßen wir hier, auf dieser Seite, auf die gleiche, allerdings weiße Sorte.“

„Lieber diese Kerle als die Chinesen“, sagte Ben. „Vergeßt nicht die Brandsätze.“

In der Tat hatten ihnen die Brandsätze der chinesischen Piraten, mit denen sie völlig überraschend zusammengestoßen waren, schwer zugesetzt. Harte, gnadenlose Kämpfe – Hasard war verletzt worden, Araua hatte mit dem Leben bezahlt.

Sie würden nicht vergessen, was geschehen war. Sie hatten genug von Freibeutern, und Spaniern, sie wollten zurück zur Schlangen-Insel und dem Bund der Korsaren. Und doch hatte es den Anschein, als ließe sich eine neue Auseinandersetzung nicht vermeiden.

„Verrückt ist das schon“, sagte Ferris Tucker.

Old Shane grinste plötzlich. „Vor allem, wenn man bedenkt, daß die Karavelle da für uns wie geschaffen ist. Wir könnten mit ihr zur Schlangen-Insel zurückkehren.“

„Das ist richtig“, sagte der Seewolf. „So gesehen, hätten wir Siri-Tong eigentlich gar nicht zu bemühen brauchen. Aber wir konnten ja nicht ahnen, daß wir hier auf eine so feine Karavelle stoßen würden.“ Ja – plötzlich begannen auch in seinen eisblauen Augen die tausend Teufel zu tanzen, die seine Männer nur zu gut kannten. Der Gedanke, die Karavelle zu vereinnahmen, versetzte auch ihn in Erregung.

Carberry grinste ebenfalls. „Da stellt sich nur die Frage, wie man am besten die Galgenstricke ausschaltet oder übertölpelt. Ich meine, wir warten die Nacht ab.“

Hasard hob die Hand. „Nicht so hastig, Ed. Bleiben wir zunächst mal bei Siri-Tong. Die Tatsache, daß sich die Piraten hier niedergelassen haben, führt gleich zu der nächsten Überlegung. Wenn sie heransegelt, dann stößt sie unvermutet auf diese Strolche, und dann gibt es natürlich Verdruß.“

„Stunk paßt besser“, sagte Ferris Tucker. „Ganz dicken sogar. Das muß um jeden Preis verhindert werden. Wir können doch nicht hier rumhocken, Däumchen drehen und den Dingen ihren Lauf lassen.“

„Dan“, sagte Hasard. „Wie viele Kerle befinden sich an Bord der Karavelle?“

Dan beobachtete durch den Kieker, was sich auf den Decks des Dreimasters tat.

„Erst mal ist sie verdammt gut bestückt“, erwiderte er. „Ein gutes Schiffchen, alles, was recht ist. Weiter befinden sich an die vierzig Kerle an Bord.“ Er vollführte mit dem Rohr einen leichten Schwenk. „Auf den sechs Schaluppen sind es wiederum etwa je zehn bis fünfzehn.“

„Hundert und mehr Kerle“, sagte der Seewolf. „Teufel, Teufel, doppelt so viele wie wir. Ob wir mit denen wohl fertig werden, wenn es zum Kampf kommt?“

„Sir“, sagte Dan. „Sieh dir mal den Typen an, der eben an Oberdeck der Karavelle aufgetaucht ist. Der Henker soll mich holen, wenn das nicht der Oberhalunke ist.“

Hasard nahm wieder das Spektiv zur Hand und hob es ans Auge. Jetzt sah er den Dicken, der sich auf dem Achterdeck der Karavelle produzierte. Selbstgefällig schaute er sich um und stemmte die Fäuste in die Seiten. Ein Kerl mußte ihm eine Flasche reichen. Er entkorkte sie, hob sie an den Mund und trank, setzte sie wieder ab und fuhr sich mit dem Handrücken über die Lippen.

Rotwein, dachte Hasard, na dann, Prost!

Die Selbstdarstellung des Dicken ging weiter. Er wedelte wieder herrisch mit der Hand – seine Kerle kuschten wie Hunde vor ihm. Eine Bootscrew enterte in die bereitliegende Jolle ab. Schließlich bequemte sich auch der Dicke, nach unten zu klettern. Er nahm auf der achteren Ducht Platz, und erneut gebot er seinen Kerlen durch eine Gebärde, was sie zu tun hatten.

Sie legten ab, das Boot glitt durch die Bucht. Der Dicke ließ sich an den noch nicht fertigen Steg pullen.

Daß es sich bei dem Kerl um den Oberschnapphahn handelte, war somit sicher. Der Häuptling der Bande – ein kleiner, dicklicher Mensch mit langem Schnauzbart, wie Hasard mühelos erkannte.

Er trug einen Hut mit wallenden Federn auf dem Kopf und war in eine glitzernde Phantasieuniform gekleidet. Seine weißen Beinkleider steckten in hochschäftigen Stulpenstiefeln. An seinen Fingern blitzten Ringe.

In der Schärpe um seinen dicken Bauch steckten drei ziselierte Pistolen mit Doppelläufen. In der Rechten hatte er eine kurzgriffige Peitsche mit sehr langen Lederriemen, deren Enden verknotet waren. In einem Wehrgehänge baumelte ein Säbel.

„Ist das nicht ein Prachtknabe?“ fragte Jean Ribault, der nun auch einen Blick durchs Spektiv geworfen hatte. „Ein richtiger Gockel.“

„Ein aufgedunsener Gockel“, sagte Dan.

„Und er ist überhaupt nicht von sich eingenommen“, fügte Hasard hinzu. „Seht euch nur mal seinen Säbel an, was das für ein Ding ist.“

Die Männer tauschten untereinander die Kieker aus und verfolgten das weitere Geschehen. Die Jolle hatte jetzt das Ufer erreicht und schob sich dicht neben dem Steg mit dem Bug in den weichen, weißen Sand. Etwas umständlich stieg der Dicke aus. Sein Prunksäbel funkelte im Sonnenlicht. Das rührte von den unzähligen Diamanten her, mit denen der große Korbgriff bestückt war.

Überhaupt war der Säbel im Verhältnis zu dem Mann sehr groß. Es mochte auch daran liegen, daß der Dicke nur ungefähr an die fünf Fuß an Statur maß – jedenfalls schleifte der Säbel durch den Sand, was ausgesprochen lächerlich wirkte.

„Der ist wirklich ulkig“, sagte Carberry grimmig. „Aber man sollte ihn nicht unterschätzen. Solche Bastarde kenne ich. Man lacht über sie, aber nur einmal. Sie haben einen eisenharten Kern und können mächtig brutal und gemein werden.“

„Eben“, sagte Hasard. „Mir scheint, er hat es auf den Mann auf dem Steg abgesehen. Er hält auf ihn zu und löst die Peitsche vom Gurt.“

Der Mann auf dem Steg war damit beschäftigt, handgeschmiedete Nägel in die Planken zu treiben. Er hieb mit einem großen Hammer auf ihre Köpfe ein, die Schläge tönten zu den Männern herauf. Er wandte sich nicht zu dem Dicken um, doch er schien genau zu wissen, daß dieser sich ihm von hinten näherte. Plötzlich stieß er einen Fluch aus, denn er hatte sich auf den Daumen geschlagen.

Aus dem Handgelenk heraus schlug der Dicke dem Mann die Peitsche um die Beine, als dieser sich aufrichtete und sich den schmerzenden Daumen hielt. Ein kurzer Ruck, und der Mann fiel um.

„So behandelt der also seine Untertanen“, sagte Dan. „Die Arbeiten am Steg scheinen nicht ganz im Sinn des Dicken zu sein. Oder will er den Mann nur schikanieren?“

„Keine Ahnung“, erwiderte Hasard. „Ich weiß nur eins. Das ist eine wirklich feine Bruderschaft.“

Carberry nickte, es sah beinah andächtig aus. „Ja, ja. Sie sind liebe Kerlchen. Am liebsten würde ich zu ihnen runtergehen und ihnen ein bißchen die Hände schütteln.“ Wie er sich das vorstellte, war seiner Miene anzusehen. Es juckte ihm mal wieder in den Fingern – und nicht nur ihm.

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