Seewölfe - Piraten der Weltmeere 482

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 482
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Impressum

© 1976/2018 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

eISBN: 978-3-95439-890-4

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Roy Palmer

Küste des Todes

Nur ein paar überlebten – und auf sie wartete der Henker

Diego Machado, Kapitän der „Trinidad“, von der er selbst desertiert war, gab noch lange nicht auf. Sechzehn Kerle hatte er noch von seiner ehemaligen Crew – die anderen saßen in den Schatzhöhlen unter dem Wasserfall fest wie Ratten in der Falle. Ihn schmerzte das nicht sonderlich, und er unternahm auch nichts, um seine Männer aus den Höhlen zu befreien. Viel mehr interessierten ihn jetzt jene Schätze, die bereits auf der „Trinidad“ verladen worden waren. Mit seinen sechzehn Kerlen hatte er in Batabanó vier Jollen besorgt, die er brauchte, wenn er die „Trinidad“ entern wollte. Mit dem zehnköpfigen Kommando an Seesoldaten und ihrem Teniente auf der „Trinidad“ glaubte er fertig zu werden – nur wußte er nichts von der Existenz der Seewölfe …

Die Hauptpersonen des Romans:

Don Gaspar de Mello – der Kommandant der „San Sebastian“ lernt einen fairen Gegner kennen.

Philip Hasard Killigrew – der Seewolf ergreift im richtigen Moment die Initiative.

Manzo – der Kreole aus dem höllischen Quartett geht über Leichen.

Edwin Carberry – findet Gelegenheit, gleich viermal seinen Profos-Hammer anzubringen.

Alonzo de Escobedo – der Gouverneur von Kuba erlebt die dunkelste Stunde seines Daseins.

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

1.

Das Flammenrad der Sonne hatte noch lange nicht den höchsten Punkt seiner Bahn erreicht, und dennoch war es in der Bucht westlich von Batabanó bereits drückend heiß.

Es war der Morgen des 26. Mai 1595. Die ersten Sonnenstrahlen erreichten jenen Punkt, wo der Wasserfall in allen Farben schillerte, sobald ihn das Licht traf.

Allerdings sah dieser prachtvolle Wasserfall etwas anders aus als noch vor einem Tag. Die Culverinen der Kriegsgaleone „San Sebastian“ hatten auf seinen vorkragenden Teil eingehämmert und ihn um einige Yards zurückverlegt. Ein schwerer Brocken hatte sich gelöst und den Eingang zu den hinter dem Wasserfall liegenden Höhlen total verbarrikadiert.

Die Strolche, die sich die Schatzbeute des Ex-Gouverneurs von Kuba, Don Antonio de Quintanilla, holen wollten, saßen wie die Ratten in der Falle. Hinzu kam, daß sich das Wasser jetzt direkt in die Höhlen ergoß.

Was sich draußen tat, wußten die Kerle nicht. Sie befanden sich mit ein paar trübe blakenden Fackeln im Dämmerlicht.

Eine Panik war unter ihnen ausgebrochen, seit das Wasser in den Höhlen gestiegen war und sie Zuflucht auf den Schatzkisten gesucht hatten, wo sie jetzt immer noch voller Angst hockten.

Sie hatten hündische Angst, elend in dem ständig nachströmenden Wasser zu ersaufen. Es war unter ihnen auch schon zu Mord und Totschlag gekommen.

Ein zweiter Ausgang hatte sich nicht gefunden, obwohl das Höhlensystem weitverzweigt war. Aber sie hatten in ihrer Angst auch noch nicht alles abgesucht.

Zwölf Kerle befanden sich jetzt noch in der Höhle. Sie hockten auf Kisten voller Gold, Silber, Edelsteine, indianischem Schmuck und kostbarem chinesischen Porzellan, von dessen Wert sie allerdings nichts wußten.

Für sie zählten nur Klunkerchen, Gold und Silber.

Jetzt konnten sie damit nichts mehr anfangen und sich nicht mal einen Weg aus dem höllischen Verlies freikaufen. An Wasser hatten sie keinen Mangel, es stand ihnen buchstäblich bis zum Hals. Aber Proviant hatten sie nicht, bis auf ein paar Kokosnüsse.

Das höllische Quartett, das aus dem Kreolen Manzo, Domingo, Casco und Toluca bestand, hatte sich in eine Ecke verzogen, die sie mit roher Gewalt von anderen Kerlen geräumt hatten.

Toluca war ein bißchen durchgedreht vor Angst, als das Wasser immer höher zu steigen begann. Er hatte sich in einer Goldkiste gewälzt und sich laut brüllend mit Münzen beworfen, die keinen Nutzen mehr für ihn hatten. Danach war er zusammengeklappt.

Jetzt hockte er stumpfsinnig und apathisch auf einem großen Faß und lauschte den Geräuschen, die sich nicht definieren ließen. Seine Augen waren trübe, seine Hände zitterten, und immer wieder rollten ihm Tränen aus den Augen.

Vorbei war es mit dem herrlichen Reichtum. Aus und vorbei. Er würde zwar mit Gold und Silber begraben werden, inmitten eines unvorstellbaren Reichtums, aber das konnte ihn erst recht nicht erheitern.

Ein Mann trieb im Licht der trüben Funzel vorbei. Er lag auf dem Bauch im Wasser und hatte die Arme ausgebreitet, als wollte er all die Schätze noch einmal liebevoll umarmen. Der Kopf lag so tief im Wasser, daß es aussah, als suche er den Grund unter sich nach weiteren Schätzen ab.

Der Mann war der Zweite Offizier der Handelsgaleone „Trinidad“, die draußen zerschossen in der Bucht lag. Er hieß Gutierrez, und aus seinem Rücken ragte der Griff eines schweren Messers.

Aber das interessierte niemanden. Jeder war sich selbst der Nächste.

Sie hatten nur mit einem Seitenblick zur Kenntnis genommen, daß ihn der Kreole umgebracht hatte – aus Rache für den Tod seines Kumpans Cabral, den der Zweite erschossen hatte.

Cabral war durch den Wasserfall geflogen und trieb jetzt irgendwo im Meer, wo ihn der Fluß hingetragen hatte. Zu dem Zeitpunkt war der Eingang der Höhle auch noch nicht von dem mächtigen Felsbrocken versperrt worden.

Gutierrez schwamm in der ganz leichten Strömung weiter zu einem anderen Kerl, der mit weitgeöffneten Augen und irren Blicken auf einer Kiste hockte. Es hatte den Anschein, als statte er jedem der Strolche noch einen letzten Besuch ab.

„Hau ab!“ schrie der Kerl und wedelte mit den Händen wie einer, der Hühner verscheucht. „Verschwinde, ich will dich nicht mehr sehen. Geh endlich unter, sauf ab!“

Als hätte er die Worte vernommen, trieb er weiter zu zwei anderen verstörten Kerlen. Sie hockten dicht beieinander auf einer großen Kiste und hatten die Beine bis ans Kinn hochgezogen. Das Wasser umspülte gerade noch ihre Füße.

Sie sahen auf das Messer, von dem nur der Griff noch ein Stück herausragte. Die beiden hießen Carlo und Morena.

„Der hat’s hinter sich“, sagte Carlo, „wir noch nicht. Wir werden ganz langsam ersaufen – wie Katzen.“

Sein Kumpan schluckte hart. Keinem war aufgefallen, daß das Wasser nicht mehr stieg. In ihrer stumpfen Apathie hatten sie nichts davon bemerkt.

„Lange halte ich das nicht mehr aus“, sagte Morena mit einer heiser klingenden Stimme. Er starrte auf die eine Fackel, die in einem Riß in der felsigen Wand steckte und immer stärker flackerte.

„Wenn die verlöscht ist, haben wir nicht mal mehr Licht. Dann wird alles nur noch schlimmer.“

„Eine Fackel ist noch da.“

„Die wird das Wasser auslöschen, das immer höher steigt“, murmelte Morena dumpf.

Die Leiche des Zweiten trieb weiter. Es sah wirklich so aus, als lebe der Kerl noch. Er schwebte fast durch das Wasser und wedelte immer wieder mit den Armen.

Manzo selbst warf etwas später nur einen flüchtigen Blick auf den treibenden Leichnam und grinste abfällig. Er hatte diesen Kerl schon immer gehaßt, aber seit er seinen Kumpan Cabral erschossen hatte, war dieser Haß noch größer geworden. Jetzt war die Angelegenheit für ihn bereinigt. Gleichgültig wandte er den Blick ab.

Sie alle hockten da wie im Wartesaal zum großen Glück und hofften auf das Glück von morgen, aber wie es aussah, würde es dieses Glück nicht mehr geben.

Anfangs hatten sie groß herumgetönt, waren desertiert, hatten geklaut und gemordet. Jetzt waren es nur noch erbärmliche Jammergestalten, abgerissen, mit den Nerven fertig und erledigt, umgeben von einem Reichtum, den sie nie im Leben hätten verbrauchen können, so viel war es.

Morenas Mundwinkel zuckten nervös. Da war dieses ständige unheimliche Geräusch des Gurgelns, das an seinen Nerven zehrte. Er hatte auch jegliches Zeitgefühl verloren und wußte nicht einmal, ob es draußen hell oder dunkel war.

Nach einer Weile stieß er seinen Kumpan ängstlich an.

„Ich will hier raus“, sagte er heiser. „Es knackt so eigenartig in den Felsen. Vielleicht schießen sie jetzt den Berg auseinander.“

„Ich will hier auch ’raus“, knurrte Carlo, „aber ich habe schon lange keinen Schuß mehr gehört. Die haben aufgehört zu schießen und warten, bis wir ersoffen sind. Dann sprengen sie die Höhle und holen sich die Schätze selber.“

„Es muß doch noch einen Weg geben“, jammerte Morena. „Wenn wir in die anderen Höhlen gehen …“

 

„Die sind alle unter Wasser, und wer gerade da drin war, der ist längst ersoffen.“

„Dann gibst du einfach auf?“ fragte Morena verbiestert.

„Wir kommen ja doch nicht raus.“ Carlo zuckte ratlos mit den Schultern und stierte vor sich hin.

Morena war zwar ein Feigling, aber aufgeben wollte er noch nicht. Wenn sie schon ersaufen mußten, so überlegte er, dann konnten sie auch in einer der zahlreichen Nebenhöhlen ersaufen. Es war dasselbe – ob man hier starb oder ein paar Höhlen weiter.

Aber er hatte Angst vor dem Wasser, das seiner Meinung nach unaufhaltsam weiterstieg. Wenn er dann gerade in einer der Röhren steckte, die zu anderen Höhlen führte, schnitt ihm das Wasser den Rückzug ab. Außerdem war es in den Nebenhöhlen finster, daß man nicht mal die Hand vor Augen sah.

Verzweifelt sann er über seine Lage nach und blickte immer wieder zu Carlo, der vor sich hinstierte.

„Sieh doch ein, daß wir hier ersaufen“, begann er nach einer Weile. „Da ist es doch besser, wenn wir mal zur anderen Höhle waten. Da stehen die Kisten mit den Nachttöpfen oder was das für Dinger sind.“

Mit den „Nachttöpfen“ meinte er das kostbare chinesische Porzellan aus den Anfängen der Ming-Zeit.

„Da steht auch alles unter Wasser“, erwiderte Carlo.

„Ich weiß, aber da gibt es einen Gang, der ein bißchen höher liegt. Da ist bestimmt noch kein Wasser drin. Da hocken wir auf dem Trockenen und können ein bißchen nachsehen, wohin der Gang führt. Möglich, daß der irgendwo einen Ausgang hat. Ein paar Kerle haben sich schon mal da reingewagt.“

„Und wo sind sie jetzt?“

„Wieder zurück. Sie hatten auch zwei kleine Fässer mitgenommen.“

„Wenn sie wieder zurück sind, zeigt das doch nur, daß es in dem Gang nicht weitergeht, sonst wären sie doch längst draußen und würden Halleluja brüllen.“

Morena brauchte sehr lange, um seinen verängstigten Kumpan davon zu überzeugen, daß es besser sei, wenn sie den jetzigen Platz verließen. So hatten sie vielleicht noch eine kleine Chance.

„Na gut“, sagte er widerwillig, „aber wir nehmen von den Holzkisten ein paar Späne mit, damit wir was sehen. In der Finsternis will ich da nicht rumkriechen.“

„Ja, auf alle Fälle.“

Sie warfen einen scheuen Blick zu dem Kreolen, der nach dem Tod des Zweiten den Ton angab. Aber der kümmerte sich um nichts. Offenbar war dem alles gleichgültig. Er hatte die Arme über der Brust verschränkt, döste vor sich hin und stierte ins Wasser.

Sie nahmen ihre Messer und begannen, aus dem Kistendeckel lange Späne zu schneiden. Einen Span nach dem anderen säbelten sie herunter und legten ihn so hin, daß er nicht naß wurde.

Als sie genug beisammen hatten, nickten sie sich zu.

„Verschwinden wir“, sagte Morena, der es furchtbar eilig hatte, um nach einem Ausweg zu suchen.

Niemand kümmerte sich um sie. Es geschah immer wieder, daß ein paar Kerle in der Hoffnung, einen Ausgang zu finden, einfach mal verschwanden. Meist waren sie jedoch sehr schnell wieder zurückgekehrt und hatten die Suche aufgegeben, denn das Höhlensystem war unübersehbar und bestand aus zahlreichen kleinen Gängen, Nischen, Grotten, Höhlen und Kammern. Manchmal auch mußten winzige Gänge kriechend durchquert werden, um zu anderen Höhlen zu gelangen.

Morena ließ sich ganz langsam ins Wasser gleiten. Einen Teil der Holzspäne trug er in der rechten hocherhobenen Hand. Den Rest trug Carlo auf die gleiche Weise.

Das Wasser stand ihnen bis zum Hals. Es war kalt, wie sie schnatternd feststellten.

Ganz langsam wateten sie weiter, zwei Kerle, die die Hoffnung hegten, doch noch einen Ausweg zu finden.

Vor der in eine Felsspalte geklemmten Fackel blieben sie stehen.

Carlo nahm mit zitternder Hand einen Span und entzündete ihn an der Fackel.

Drei andere Kerle, die auf übereinandergestapelten Kisten und Fässern hockten, sahen gleichgültig zu. Es waren Pepito, Romero und Felipe. Felipe war etwas verblödet. Er hatte ständig das Maul offen, grinste bei jeder unpassenden Gelegenheit und sabberte manchmal beim Sprechen. Auch seine Ausdrucksweise war nicht die feinste.

„Woll’n die denn, hä?“ fragte er.

„Die gehen baden“, sagte Pepito. „Weil sie schon lange kein Wasser mehr gesehen haben.“

„Ist doch genug hier“, meinte der Dummbart grinsend. Er war der einzige, der immer noch nicht so richtig kapiert hatte, was hier eigentlich los war. Daß sie hier inmitten eines unermeßlichen Reichtums hockten, das wußte er. Die Gier nach Gold hatte ihn genauso gepackt wie die anderen auch.

Er wußte aber nicht, warum die Kerle von der „San Sebastian“ den Eingang „zugeschossen“ hatten und was sie damit bezweckten.

Angst hatte er natürlich auch gehabt, aber jetzt war sie einer dumpfen Apathie gewichen, und weil ihm keiner eine richtige Antwort gab, hockte er hier und wartete, was die anderen tun würden.

Er wurde erst dann aktiv, wenn Pepito oder Romero etwas befahlen. Dann trottete er blindlings hinterher. Aber die hatten offenbar kein Programm auf Lager, und so saß er die Sache einfach ab, bis denen was einfiel.

Auch Manzo warf nur einen Blick auf die beiden. Sie werden bald wieder zurück sein, dachte er. Die anderen hatten auch nichts Weltenbewegendes entdeckt.

Vorsichtig wateten sie weiter. Carlo hielt den Span hoch und leuchtete. Morena folgte ihm beklommen.

Schon nach ein paar Augenblicken hatten sie die große Höhle durchwatet und hielten sich weiter nach links, wo andere Grotten unter Wasser standen.

„Noch weiter nach links“, sagte Morena.

Als Carlo die Richtung änderte, gab es plötzlich ein laut knirschendes Geräusch in den Felsen. Ein Schmatzen war zu hören, dann ein lautes Knacken. Es ging ihnen durch und durch, und sie blieben verstört stehen, um in das dämmerige Zwielicht zu lauschen.

„Was war das?“ fragte Carlo.

„In den Felsen war das“, murmelte sein Kumpan. „Da tun sich noch mehr Risse auf. Oder die verdammten Marineknechte haben wieder das Feuer auf uns eröffnet.“

„Hörte sich aber nicht nach einem Schuß an. Da hört man es sonst immer donnern.“

Jetzt bewegten sie sich etwas langsamer weiter. Irgendwo war leises Gurgeln zu hören, Knistern in den Wänden, dann wieder ein saugendes oder schmatzendes Geräusch.

Sie erreichten die andere Höhle, wo das Wasser etwa brusthoch stand.

Das war der Augenblick, da sie auch ihre Kumpane aus den Augen verloren. Nur die Geräusche, die sich nicht erklären ließen, waren noch da, verstärkten sich mal oder wurden leiser.

Unheimliches Licht herrschte hier. Der Holzspan flackerte, das Feuer wurde kleiner und drohte zu verlöschen.

Morena nahm den zweiten Span und entzündete ihn in aller Eile, damit es wieder heller wurde. In der Finsternis war es einfach entsetzlich und nicht auszuhalten. Da geisterten Schatten über die Wände, da glitzerte das Wasser pechschwarz, da zeigten sich kleine Strudel in der tintigen Brühe.

Sie wateten weiter, bis das Wasser nur noch hüfthoch war.

„Na, was habe ich gesagt“, meinte Morena. „Es scheint hier ganz leicht bergan zu gehen. Das merkt man doch, weil das Wasser nicht mehr so hoch ist.“

„Deswegen ist noch lange kein Ausgang in Sicht“, maulte Carlo.

Sein Span brannte jetzt etwas heller. An den Wänden glitzerte es, Reflexe zuckten über das unheimliche Wasser. Dann stieß er mit dem Knie an etwas Weiches.

Er zuckte zurück und stieß einen brüllenden Schrei aus. Gleichzeitig verlor er den Span, der im Wasser erlosch.

Morenas Hände zitterten ebenfalls, aber er konnte das Flämmchen noch vor dem Erlöschen retten.

Vor ihnen im Wasser trieb die Leiche des Zweiten Offiziers. Seine ausgestreckten Hände schienen nach Carlos Beinen zu grapschen. Es dauerte eine ganze Weile, bis Carlo sich wieder gefangen hatte.

„Dieser Mistkerl, verdammter“, hauchte er verstört. „Der folgt uns überall hin. Vielleicht sucht er seinen Mörder.“

Schaudernd sahen sie auf den langsam weitertreibenden Körper, der jetzt in eine Nische glitt und darin hängenblieb.

„Meinst du wirklich?“ fragte Morena.

„Klar, das gibt’s, daß Ermordete ihren Mörder so erschrecken, bis er auch stirbt.“

„Aber er kennt ihn doch.“

„Trotzdem sucht er ihn“, behauptete Carlo.

Er fummelte einen neuen Span hervor und entzündete ihn an dem anderen, bis endlich eine kleine Flamme aufzuckte.

Diesmal verfolgte sie der Leichnam nicht weiter. Er hing immer noch wie festgeklemmt in der Nische.

Nach einer Weile ging ihnen das Wasser nur noch bis an die Knie, und beide schöpften wieder Hoffnung.

Dann standen sie vor einer sternförmigen Verzweigung. Das Wasser war hier zwar nicht hoch, aber die Abzweige waren kleiner, schmaler und niedriger. Zwei führten noch weiter nach links, zwei liefen geradeaus, und zwei weitere beschrieben eine Rechtskrümmung. Alle Gänge führten in absolute Finsternis.

„Was jetzt?“ fragte Carlo ratlos. „Am besten, wir nehmen einen von den Wegen, die geradeaus führen. Die sind auch etwas höher, und wir müssen nicht so gebückt laufen.“

Morena schüttelte nachdenklich den Kopf. Er spähte mit zusammengekniffenen Augen weiter nach links, hielt dann den Span hoch und versuchte, die beiden Gänge auszuleuchten.

„Nein“, sagte er, „das ist wie auf dem Weg ins Jenseits. Der schlechte Weg führt in den Himmel und der ganz bequeme und breite in die Hölle.“

„Ich will aber weder in den Himmel noch in die Hölle“, knurrte Carlo mißmutig. „Ich will aus diesem Scheißfelsen raus.“

„Den breiten Weg sind die anderen bestimmt auch aus lauter Faulheit gegangen“, sagte Morena. „Ich bin dafür, daß wir nach links gehen, ganz nach links, wo es immer enger wird und man nach einer Weile kriechen muß.“

Ein Weilchen stritten sie herum. Schließlich beugte sich Carlo den Argumenten seines Kumpans. Der hatte auch ein bißchen mehr Grips im Schädel, was er widerstrebend anerkannte.

Also nahmen sie den schlechtesten Weg und schon nach ganz kurzer Zeit würde die tunnelartige Röhre immer enger und niedriger.

Nach ein paar weiteren Minuten mußten sie auf den Knien kriechen.

Diesmal führte Morena, gefolgt von Carlo, dessen Angstzustände in der Röhre immer größer wurden. Er sah sich schon irgendwo festgeklemmt hilflos ersticken.

Wasser gab es auch noch, aber es war nicht mehr als ein kleines Rinnsal.

Die Luft wurde enger und stickiger. Carlo geriet fast in Panik, als die Wände von beiden Seiten näher rückten und die Decke ihn mit schroffem Gestein streifte.

„Halt, halt!“ rief er nach einer Weile. „Da geht es nicht mehr weiter, Morena. Wir ersticken in dem Ding. Laß uns schnell zurückkriechen, ich krieg’ keine Luft mehr!“

Die Stimme seines Kumpans klang dumpf, murmelnd, wie halb erstickt und aus weiter Ferne, obwohl er dicht vor ihm war.

„Ich geh jedenfalls weiter. Ich glaube, der Gang wird wieder etwas größer und macht da vorn einen Knick. Hau doch ab, wenn du willst, ich versuche es.“

Da blieb Carlo nichts anderes übrig, als ihm zu folgen, denn allein zurück wollte er auch nicht. Vielleicht steckte der Leichnam des Zweiten mittlerweile auch schon in der Röhre und verkeilte sie. Bei diesem Gedanken wurde ihm hundeelend.

Die Luft wurde noch schlechter. Carlo hustete wie ein Gorilla, der allmählich erwürgt wird. Er kriegte kaum noch Luft und ärgerte sich über Morena, der zielstrebig weiterkroch. Daß der Kerl keine Angst hatte, jämmerlich zu ersticken, kapierte er nicht.

Dann hörte er vor sich einen dumpfen Schrei, und wieder erfaßte ihn heillose Panik. Er wollte zurückkriechen, stieß an die Felsen und begann selbst zu brüllen.

„Eine Höhle!“ brüllte Morena. „Wir sind gleich da!“

Unvermittelt wurde der Gang höher und breiter. Unendlich erleichtert stellte Carlo das fest. Offenbar hatten sie es geschafft.

Dann standen sie in einer kleinen Höhle und sahen sich neugierig im Schein der provisorischen Fackel um.

Zwei Fässer standen in der Höhle. Man konnte aufrecht darin stehen, der hintere Teil der Höhle war so hoch, daß man die Decke nur erreichen konnte, wenn man mindestens vier Yards groß war.

Von der Höhle zweigte nochmals ein kleiner Gang ab, der offenbar weiter in den Berg führte.

„Juan und Roberto waren sicher schon hier, weil da die kleinen Fässer stehen“, sagte Morena, „aber die hatten die Hosen voll und sind wieder abgehauen. Hier sind wir sicherer als vorn. Sieh dir mal das Wasser an. Es geht nur bis an die Knöchel.“

 

„Sehr gut“, sagte Carlo erleichtert. „Dann bleiben wir und warten. Wenn die Marineknechte die große Höhle stürmen sollten, finden sie uns garantiert nicht.“

„Klar, hier bleiben wir.“

Carlo hatte einen Degen mitgeschleppt, Morena zwei Pistolen und einen Säbel sowie ein Entermesser. Er deponierte das alles auf einem Faß und griff dann nach dem Messer.

„Wir brauchen Holz“, sagte er, „sonst hocken wir nach einer Weile in der Finsternis. Wir hauen eins der Fässer kaputt und schnitzen uns aus den Dauben wieder grobe Splitter.“

„Hoffentlich ersticken wir bei dem Qualm nicht.“

„Ganz bestimmt nicht. Sieh dich doch mal genauer um. Da geht es irgendwo weiter, und da strömt auch ganz schwach Luft durch die Gänge. Später können wir uns ja mal genauer umsehen.“

„Ich bleibe hier“, sagte Carlo entschlossen. „Nachher verirren wir uns in diesem Labyrinth und finden nie wieder hinaus. Mich kriegen hier vorerst keine zehn Pferde mehr weg.“

Von dem einen Faß wurde der Deckel abgeschlagen. Im Schein der qualmenden Späne starrten sie auf Perlen, die matt schimmerten.

Juan und Robert mußten sich ganz schön abgeplagt haben, das Zeug in Fässern vor sich herzuschieben. Aber dann hatten sie es wohl doch mit der Angst gekriegt und waren verschwunden, weil sie sich im Beisein der anderen Kumpane sicherer fühlten.

„Und mit all dem Zeug können wir überhaupt nichts anfangen“, sagte Carlo, der bedauernd auf die schimmernden Perlen blickte.

Morena aber rechnete sich noch eine Chance aus.

„Wenn wirklich alles in die Hosen geht“, sagte er grinsend, „dann bleiben wir ein paar Tage hier und warten ab. Die beiden Fässer voller Perlen reichen bis an unser Lebensende.“

„Und was fressen wir in der Zwischenzeit?“

Darauf wußte Morena allerdings auch keine Antwort.

„Wir werden schon ein paar Tage überleben“, murmelte er unsicher. „Wasser haben wir ja genügend, und hungern kann man notfalls vierzehn Tage und länger, habe ich mal gehört.“

„Von dem Leichenwasser sauf ich nichts“, sagte Carlo unbehaglich. „Das ist alles vergiftet von dem Kerl.“

„Quatsch! Fang bloß nicht an zu spinnen. Hier ist so viel Wasser eingedrungen, daß man das gar nicht mehr merkt. Wenn du richtigen Durst hast, wirst du schon saufen.“

Für die beiden Kerle war die Situation paradox. Diesmal hockten sie auf zwei Fässern voll Perlen, aber die konnten sie weder essen noch etwas dafür kaufen.

Sie setzten sich auf das Faß, ließen die Beine ins Wasser baumeln und warteten ab, was sich so tat.

Als ihr Gesprächsstoff nichts mehr hergab, lauschten sie unbehaglich dem Knacken, Knistern und weit entfernten Gurgeln.

Das ganze Höhlensystem arbeitete wie Holz. Immer wieder waren diese unheimlichen gruseligen Geräusche zu hören.

„Das ist die Totenuhr“, ächzte Carlo, „das bedeutet die Ankündigung vom nahen Tod.“

„Quatsch. Die Totenuhr ist ein Holzkäfer, und die sitzen ganz bestimmt nicht im Berg herum, weil sie im Holz stecken.“

„Na, wir werden ja sehen, wer recht hat“, murmelte Carlo. „In welcher Richtung mag die Höhle wohl liegen? Wir sind doch jetzt verdammt weit vom Wasserfall weg.“

„Das habe ich auch schon überlegt. Der Gang hatte drei Biegungen, also müssen wir jetzt irgendwo in Nordwest-Richtung liegen.“

„Immer noch am Wasserfall oder in der Nähe?“

„Eher jenseits von dem Flüßchen, das den Wasserfall speist, schätze ich. So ungefähr etwa. Aber diese Höhle liegt mit Sicherheit ein Stück höher als alle anderen. Hier wird das Wasser uns nicht erreichen und auch nicht steigen.“

„Ich hab’ Hunger“, maulte Carlo.

„Halt die Klappe, ich hab’ auch Hunger. Friß ein paar Perlen, dann hast du wenigstens einen vollen Magen.“

„Ein Stück Fleisch wäre mir lieber.“

„Dann kauf dir welches, wir sind ja reich.“

Eine ganze Weile war inzwischen vergangen, aber die beiden Kerle kehrten nicht mehr zurück.

Die anderen hockten da und warteten auf ein Wunder. Immer noch merkte niemand, daß das Wasser seinen höchsten Stand erreicht hatte und nicht mehr weiterstieg.

„Vielleicht haben die einen Ausgang gefunden“, sagte Pepito. „Jetzt sind sie draußen und lachen sich eins.“

Felipe und Romero hockten verbiestert und entnervt um ihn herum. Felipe war ohnehin total entschlußlos und wartete ab, was die anderen taten. Eigeninitiative zu ergreifen, war nicht seine Sache. Dabei mußte man denken, und dann ging meistens etwas schief, weil das mit dem Denken eine ganz verzwickte Sache war.

Ein lautes Krachen ließ sie schreckhaft zusammenfahren. Ein zischendes Geräusch folgte, als würde Dampf aus einem Kessel entweichen. Dann war nur noch das Gluckern zu hören.

„Scheißfelsen“, sagte Romero, ein Kerl mit schwarzen Haaren und tagealten Bartstoppeln in einem länglichen Gesicht. „Bald fliegt hier alles auseinander. Wollen wir nicht auch mal versuchen, einen Weg nach draußen zu finden?“

„Ich weiß nicht“, meinte Pepito, „vielleicht ist es besser. Hier wird man ja verrückt. Was meinst du denn, Felipe?“

„Weiß nicht“, sagte der Dummkopf. „Das müßt ihr wissen. Ich geh mit. Oder auch nicht. Ihr wißt das besser.“

„Sicher – wir wissen das besser. Wir nehmen dich mit, aber nur, wenn du in den engen Röhren als erster vorgehst. Wir folgen dir dann.“

„Warum als erster?“

„Das ist so üblich“, sagte Pepito, weil er Angst hatte, in den schlauchartigen Gängen könnte ihm etwas Unangenehmes begegnen. Da war es schon besser, wenn Felipe seinen dösigen Schädel vorstreckte. Wenn der eins draufkriegte, dann fiel das nicht weiter auf.

„Na ja, dann geh ich eben vor.“

„Wir sagen dir dann schon, wo es langgeht“, meinte Romero grinsend.

Kurz darauf stand ihr Plan fest. Auch sie würden weiter in das Innere des weitverzweigten Höhlensystems vorstoßen, um nach einem Ausweg aus der tödlichen Falle zu suchen.

Aus einer Kiste wurden Späne geschnitzt, wie sie es bei den anderen gesehen hatten. Dann griffen sie nach ihren Waffen, den Pulverhörnern und den Lederbeuteln mit den Bleikugeln.

Die restlichen sieben Kerle nahmen wiederum keine Notiz von ihnen. Nur einer grinste abfällig, und das war der Kreole Manzo, dem langsam ein Licht in der Finsternis aufging. Aus schmalen Augen hatte er bemerkt, daß sich das Wasser auf einer gewissen Höhe hielt.

Sollten die drei Affen nur verschwinden. Er wartete lieber hier vorn mit seinen Kumpanen ab. Allerdings unterließ er es, seine Kumpane darauf hinzuweisen. Die lebten weiterhin in der Angst, daß sie bald ersaufen würden.

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