Seewölfe - Piraten der Weltmeere 89

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 89
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Impressum

© 1976/2015 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

ISBN: 978-3-95439-413-5

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

1.

Außer den Tagen, an denen buchstäblich alles schiefgeht – schwarze Tage –, gibt es auch Tage, an denen der Morgen von Mißerfolgen gezeichnet ist, während sich zum Abend hin dann alles zum Guten wendet – oder umgekehrt.

Genau diese letzte Entwicklung bahnte sich an einem sonnigen, nahezu wolkenlosen Sommertag des Jahres 1583 auf der „Isabella VIII.“ und dem schwarzen Segler an. Das heißt: Anfangs herrschte an Bord beider Schiffe hervorragende Stimmung, doch später, am frühen Nachmittag, stellte sich der Verdruß in massiver Form ein.

Grund zu Unbeschwertheit und Ausgelassenheit bestand zur Genüge. Das Abenteuer auf der Insel vor Bahia hätte Hasard und seine Männer den Kopf kosten können, aber dann hatten sie das Unheil abwenden und die spanischen Meuterer unter Pedro Salvez besiegen können. Gleichzeitig hatte der Seewolf den portugiesischen Siedlern zur Freiheit verholfen – sie hatten auf der Insel ein neues Leben begonnen.

Bill sehnte sich immer noch ein bißchen nach dem Mädchen Magdalena, aber „das wird sich schon legen“, versicherte Ed Carberry ihm immer wieder mit väterlichem Schulterklopfen.

Sogar nach dem Verlassen der Inselbucht hatte der Seewolf den Portugiesen noch einmal seinen Beistand geleistet. Er hatte eins der Kriegsschiffe, die nach den Siedlern forschten, von der Insel fortgelockt – und dann war er endlich wieder mit Siri-Tong und ihrem „Eiliger Drache über den Wassern“ zusammengetroffen. Der Sturm, von dem Hasard mit der „Isabella“ in die Bucht der Insel vor Bahia getrieben worden war, hatte vorher beide Schiffe getrennt.

Angesichts einer solchen Übermacht hatte der spanische Verfolger schleunigst das Weite gesucht. Obwohl er Hasard als den gefürchteten „El Lobo del Mar“ identifiziert haben mußte, hatte er sofort eingesehen, daß er in einem Gefecht gegen zwei außergewöhnliche, gut armierte Schiffe wie diese auf jeden Fall den kürzeren gezogen hätte.

Der Vorfall lag bereits vier Tage zurück, aber immer noch lachten die Männer der „Isabella“ und der Roten Korsarin über die dummen Gesichter, die die Spanier auf dem Kriegsschiff gehabt haben mußten, als sie den schwarzen Segler plötzlich wie einen finsteren Boten der Hölle auftauchen sahen.

Und gelegentlich wurde auch noch über Carberry geunkt, der sich nur schwer an Neuerungen im Küchenzettel der „Isabella“ gewöhnen konnte. Der Kutscher hatte den Tapir, den sie auf der Insel erlegt hatten, zubereitet. Der Profos hatte mit argwöhnischer Miene davon gekostet und dann befunden: „Schmeckt wie Schweinefleisch.“

„Ist aber nicht Schwein“, wandte Batuti ein.

„Weiß ich doch“, brauste Carberry auf. „Wer hat dir denn als erster gesagt, daß der Tapir kein Schwein ist, was, wie?“

Wortwechsel dieser Art gaben immer wieder Anlaß zu Heiterkeitsausbrüchen auf der „Isabella“. Und die gute Laune hatte auf Siri-Tongs Mannschaft übergegriffen. An Bord des Viermasters sorgten Männer wie Cookie, Missjöh Buveur und Muddi dafür, daß der Stoff für immer neue Witze und Streiche nicht ausging.

An diesem Mittag segelten die „Isabella“ und das schwarze Schiff bei Wind aus Nord-Nord-West mit südlichem Kurs – also mit Steuerbordhalsen auf Backbordbug liegend – im Abstand von etwa dreißig Meilen an der Küste der Neuen Welt entlang. Bahia lag über vierhundert Meilen hinter ihnen, und wenn der Wind weiter so anhielt, würden sie bald den südlichen Wendekreis erreicht haben.

Aber dann änderte sich das Bild des Friedens und der Eintracht.

Der Wind sprang im Osten um, plötzlich und ganz unerwartet. Kurz darauf drohte er völlig einzuschlafen, und eine brütende Hitze senkte sich auf die Schiffe.

Genau dies war der Augenblick, in dem Cookie, der Koch des schwarzen Seglers, mit einem bis zum Rand gefüllten Abfallkübel an das Schanzkleid der Kuhl trat. Er setzte den Kübel ab und schaute sich um. Er stand an der Backbordseite, blickte nach achtern zur Roten Korsarin und zu Thorfin Njal, dem Boston-Mann, Arne, Eike und den anderen auf dem Achterdeck. In ihren Mienen las er Besorgnis.

Cookie, der eigentlich Rod Bennet hieß, verzog bekümmert das Gesicht. Mit der guten Laune schien es aus zu sein. Er wandte den Kopf schob die Unterlippe ein wenig vor und spähte zur „Isabella“ hinüber, die in schräg versetzter Kiellinie vor dem schwarzen Schiff lief.

Nein, sie segelte nicht mehr richtig, sie dümpelte nur noch mit hängendem Rigg in der lauen Trostlosigkeit. Es war ein trauriger Anblick. Cookie legte den Kopf in den Nacken, sah die schlaffen schwarzen Segel des eigenen Schiffs und schaute noch betrübter drein.

Kein Windhauch, der die Schwüle aufwühlte und vertrieb, und im Osten färbte sich der Himmel indigoblau.

Der dicke Koch fuhr sich mit der Hand über die öligen Haare. Links hatte er keine mehr auf dem Schädel, darum borgte er sie sich immer von rechts und pappte sie ordentlich mit Fett fest.

Es war eine Geste des Unbehagens, denn Cookie witterte Unrat – nicht den, der da im Holzkübel vor sich hin müffelte, sondern den, der von der offenen See her aufzog. Man entwikkelte einen Instinkt für so was. Außerdem hatten beide Schiffsbesatzungen in letzter Zeit zu viele Stürme erlebt und durchgestanden. Cookie traute dem Braten nicht, was ja auch gewissermaßen zu seinem Metier gehörte und wozu er allen Grund hatte, da er nach übereinstimmender Aussage der Kameraden einen wahrhaft „abscheulichen Fraß“ bereitete.

Cookie hob den Kübel wieder an, peilte noch mal mißtrauisch nach Osten und schickte sich dann an, den Abfall übers Schanzkleid weg in die See zu entleeren.

„He“, sagte jemand hinter ihm. „Willst du das Zeug wohl nach Lee kippen!“

Cookie drehte sich langsam um und musterte den Sprecher. Es war Bill the Deadhead.

„Kannst du bei der Flaute noch Luv und Lee unterscheiden?“ fragte Cookie lauernd. „Ist doch egal, wohin ich den Kram schütte. Kümmre dich um deinen eigenen Dreck, ja?“

Sprach’s und kippte den Kübel nach außenbords.

Flanagan, einer der von Siri-Tong auf Tobago neu angeheuerten Männer, hatte das Pech, nicht weit entfernt am Backbordschanzkleid zu lehnen, und zwar schätzungsweise vier, fünf Schritte vor Cookie in der Nähe des Niedergangs zum Vorderkastell. Auch seine Miene war alles andere als begeistert wegen der plötzlichen Flaute. Aber innerhalb der nächsten Sekunden verzerrte sie sich zu einer haßerfüllten Fratze.

Flanagan war ein leicht reizbarer Typ, der überall Feindseligkeiten witterte.

Als Cookie den Kübel auskippte, erwachte jählings eine heftige Böe zum Leben und fegte von Nordosten auf die Schiffe zu. Eine böswillige Macht im Dunkeln schien ausgerechnet auf diesen Moment gewartet zu haben – die Bö griff nach den in die Tiefe plumpsenden Küchenabfällen, wirbelte sie hoch und an der Bordwand des schwarzen Seglers entlang.

Flanagan kriegte eine Ladung davon ins Gesicht, bevor der Unrat endgültig als Fischfutter in den Fluten verschwand.

Flanagan wischte sich mit der Hand übers Gesicht und stieß einen schauderhaften Fluch aus. Ganz langsam wandte er sich zu Cookie um. Der hielt noch den leeren Kübel und blickte ratlos und verdattert drein.

„Du Sau!“ zischte Flanagan. „Das hast du absichtlich getan.“

Cookies Zunge fuhr hastig über die Lippen und verschwand wieder. Er suchte nach Worten. Das belastete ihn noch mehr.

„Du gibst es also zu“, sagte Flanagan. Er löste sich vom Schanzkleid, trat hinter einer der Kanonen hervor und schob sich auf den Koch zu. „Du vergiftest uns mit deinem Fraß, du Kombüsenratte, und in der Suppe, die aus Spülwasser besteht, schwimmen Kakerlaken. Aber damit nicht genug. Jetzt schmeißt du uns auch noch Dreck ins Gesicht.“

Cookie gewann die Fassung wieder. „Aber nein – Augenblick, das ist ein Mißverständnis, ich …“

Flanagan ließ sich auf keine Diskussionen ein. Er zückte sein Messer. Es war eine lange Waffe, deren doppelschneidige, scharfgewetzte Klinge allein mehr als zehn Zoll maß, und jeder Mann an Bord wußte inzwischen, daß Flanagan ausgezeichnet damit umzugehen verstand.

„Du Bastard“, sagte er. „Ich schlitz dich auf, wie du’s mit den Ratten tust, die du uns. als Schweinefleisch in den Eintopf schmuggelst.“

Cookie wich zurück. „Ich bin unschuldig, ich schwöre es. Flanagan, ich konnte doch nicht ahnen, daß ausgerechnet jetzt eine Bö einsetzt.“

Bill the Deadhead grinste. „Aber vorher hast du eine Zeitlang mit dem Entleeren deines blöden Kübels gewartet, oder nicht? Du hast auf eine Bö gewartet, um Flanagan diesen üblen Streich zu spielen.“

„Ich bring dich um“, stieß Flanagan aus.

 

„Nein!“ kreischte Cookie.

Bill the Deadhead trat neben den weiter vorrückenden Flanagan und krempelte sich gemächlich die Ärmel auf. „Weißt du was, Flanagan? Ich hab diesen Fettsack auch schon seit einiger Zeit auf dem Kieker. Und richtig leiden kann ihn sowieso keiner hier an Bord. Ich schlag dir was vor. Setzen wir den Hund erst mal mit dem Hintern in sein Kombüsenfeuer, bis er rot wie ein Pavian ist. Anschließend murksen wir ihn ab. Dem weint doch keiner eine Träne nach.“

Cookie stieg es heiß und brennend in die Augen. Keiner eilte ihm zu Hilfe – hatte er denn wirklich keine Freunde an Bord? Er war felsenfest davon überzeugt, daß Flanagan und Bill the Deadhead es mit ihren Drohungen ernst meinten. Ihm war zum Heulen zumute.

Flanagan, der immer noch Spuren des Abfall-Mißgeschicks im Gesicht trug, war tatsächlich auf eine Messerstecherei aus, während Bill dem dicken Koch nur mal wieder ordentlich zusetzen wollte, um sich an seinen Ängsten zu weiden.

Aber Rod Bennet war auch kein Hasenfuß. Und wenn er sich in die Enge getrieben sah, verlor er die Selbstbeherrschung. Mit einem Wutschrei ließ er den leeren Kübel fallen, griff sich an den Gurt und riß eins seiner schmuddeligen Küchenmesser heraus.

„Also gut, Flanagan!“ schrie er. „Komm her, wir tragen es aus!“

„Siehst du“, preßte Flanagan zornig zwischen den Zähnen hervor. „Er wollte mich reizen, Bill. Er sucht Streit und will Blut sehen.“

Der Wind blies in kurzen, heftigen Böen aus Nordosten, dann aus Osten. Er hieb in die Segel der beiden Schiffe, trieb die indigoblaue Wand näher heran und weckte eine Dünung, die die „Isabella“ und den schwarzen Segler ins Schlingern versetzte.

Der Abfallkübel kollerte zwischen zwei schwere Geschütze auf der Backbordseite des schwarzen Schiffes und berührte einen etwas dicklichen, dunkelblonden Mann, der sich dort im Schatten des Schanzkleides zusammengekauert hatte.

„Parbleu“, sagte er ärgerlich. „Könnt ihr nicht aufpassen, ihr Zankhähne?“

„Misch dich da nicht ein, Missjöh Buveur“, fauchte Bill the Deadhead.

„Wenn du nicht das Maul hältst, schneide ich dir auch die Gurgel durch“, sagte Flanagan wild.

„Du hast wieder gesoffen, du Hund“, sagte Cookie keuchend. „Verzieh dich bloß in deine Ecke und gerate mir nicht in die Quere.“

Missjöh Buveur zerdrückte einen Fluch in seiner Muttersprache, den außer ihm keiner verstand.

„Haderlumpen“, murmelte er. „Galgenstricke. Man tickt euch mit dem kleinen Finger an, und ihr explodiert wie Pulverfässer. Die Welt ist ein Jammertal, jawohl.“ Zum Trost setzte er die Flasche Rum an die Lippen, die er ergattert hatte, und ließ den letzten Schluck die Kehle hinabrinnen.

Flanagan sprang auf Cookie zu und stand plötzlich geduckt und angriffsbereit dicht vor ihm. Bill the Deadhead begriff, daß der Mann mehr als einen rohen Schabernack plante, und ließ die Arme sinken. Er war verdutzt. Flanagan meinte es ernst, todernst!

„Halt!“ ertönte in diesem Augenblick ein Ruf vom Achterdeck. „Aufhören, oder ich lasse euch auspeitschen – alle drei!“

Siri-Tong stand am vorderen Querabschluß des Achterdecks und hielt die Hände aufgestützt. Ihre schwarzen Haare flatterten in dem zunehmenden Wind, ihre Augen blitzten zornig. Während sie die Streitenden anschrie, hatte Thorfin Njal bereits den Niedergang zur Kuhl benutzt und schritt erbost auf die drei zu.

Flanagan war von seinem Haß auf Cookie geradezu besessen, er sah nichts mehr, hörte nichts, nahm nichts wahr außer dem dicken Gegner. Er tänzelte auf Cookie zu und ließ sein langes Messer vorzucken.

Etwas bremste ihn. Es schlug von unten her gegen seinen Waffenarm und lähmte ihn für Sekunden. Flanagan sah zu seinem größten Erstaunen das Messer außenbords wirbeln.

Thorfin Njal, der Wikinger, hatte seine Faust unter Flanagans Arm krachen lassen. Während der Mann noch völlig verdattert dastand und vor Schmerz die Zähne zusammenbiß, sah Njal zu Bill the Deadhead und Cookie.

„Will sich noch jemand dem Befehl der Roten Korsarin widersetzen?“ Seine Stimme dröhnte über Deck.

Cookie steckte schleunigst sein Küchenmesser weg.

Bill the Deadhead, ein grobschlächtiger Kerl, der sich sonst gern herumprügelte, beeilte sich zu versichern: „Nein, natürlich nicht.“ Er zog sich langsam zurück.

Thorfin Njal, der nicht nur Steuermann, sondern auch Miteigner des schwarzen Seglers war, packte Flanagan und zog ihn zu sich heran. Flanagan hatte das Gefühl, in eine eiserne Klammer geraten zu sein.

„Laß mich los“, sagte er immer wieder. „Zum Teufel, laß mich los, ich will diese fette Sau abmurksen.“

„Flanagan!“ Siri-Tongs Stimme wehte schneidend vom Achterdeck herüber. Sie stand in unveränderter Pose da, und ihr Gesicht wirkte jetzt nicht mehr weich, fraulich – es war zu einer Maske geworden. „Ich werde dir zeigen, was es heißt, meine Befehle zu mißachten. Offenbar hast du noch nicht begriffen, wie ich es auf meinem Schiff mit der Disziplin halte. Sperrt ihn in die Vorpiek! Für vierundzwanzig Stunden!“

„Nein!“ Flanagan begann zu toben. „Nein, das könnt ihr mit mir nicht tun! Ich bin im Recht!“

„Vorwärts“, sagte Thorfin Njal. „Erzähl keinen Quatsch. Nie und nimmer hätte Cookie es gewagt, dir den Dreck ins Gesicht zu schleudern. Sei vernünftig und laß dich abführen. An einem Tag Vorpiek ist noch keiner gestorben …“

Flanagan wollte nicht vernünftig sein, er hieb dem Wikinger die freie Faust unters Kinn.

Thorfin Njal schüttelte sein helmbewehrtes Haupt wie ein Büffel – dann holte er aus und fällte den Widerspenstigen mit einem mächtigen Hieb in den Nacken. Flanagan ging zu Boden und streckte auf den Planken alle viere von sich. Er rührte sich nicht mehr.

„Oleg, Stör“, befahl Njal. „Aufheben und wegtragen, diesen Lümmel. Ab in die Vorpiek!“

Siri-Tong beobachtete die Szene aus schmalen Augenschlitzen.

„Legt ihn in Ketten!“ ordnete sie an. „Er bleibt drei Tage in dem Loch und kriegt nur Wasser und etwas Schiffszwieback. Wenn er dann immer noch nicht weich geklopft ist, kenne ich andere Mittel, um ihn zur Räson zu bringen.“

Bill the Deadhead und Cookie hatten sich schleunigst verdrückt, denn sie kannten die Härte der Roten Korsarin. Wer sich aufmüpfig benahm, wurde rigoros von ihr in die Knie gezwungen, das war auch früher schon so gewesen, als sie noch die Karavelle mit den roten Segeln geführt hatte.

Und wer ausdauernd rebellierte oder sonst irgendwie aus dem Rahmen fiel, für den gab es unter Siri-Tong nur eine bittere Konsequenz: den Sprung über die düstere Schwelle ins Jenseits.

Vorläufig war es jedoch lediglich Flanagans Los, den Vorhof zur Hölle zu erleben. Die Vorpiek war ein finsteres, stickiges Loch, und in den folgenden Stunden sollte er wegen des stinkenden Bilgewassers, das aufgrund der heftigen Schiffsbewegungen immer wieder dort eintrat und wieder ablief, fast ersaufen.

2.

Im zunehmenden Schlingern und Rollen der „Isabella“ war es kein leichtes Stück Arbeit, in den Hauptmars aufzuentern. Hasard kletterte trotzdem wie eine große Katze in den Webeleinen der Luvwanten nach oben und scherte sich den Teufel um das Tanzen und Taumeln und das unablässige Auf und Ab.

Er zwängte sich neben Dan O’Flynn in den Hauptmars und blickte nach Osten. Schwarzblau war der Himmel jetzt gefärbt. Eine immense Wolkenburg türmte sich auf und schien die Welt in zwei Hälften zu teilen: das Inferno und das sanfte, sonnendurchwebte Blau des Friedens, das mehr und mehr schrumpfte. Bald würde es ganz verschwinden, nach Westen, zum Festland hin.

„Hast du mitgekriegt, was sich eben auf dem schwarzen Segler abgespielt hat?“ fragte Dan.

„Ja, es hat mal wieder Aufruhr bei der Mannschaft gegeben.“

„Dieser Flanagan ist ein Idiot“, sagte Dan. „Was der sich einbildet! Na, Siri-Tong hat ja mal wieder hart durchgegriffen. Das muß sie auch, wenn sie ihre Kerle an der Kandare halten will.“

Der Seewolf wies nach Osten. „Dan, wir haben jetzt andere Sorgen als die Borddisziplin auf dem schwarzen Schiff.“

„Mann, das wird doch nicht der erste Sturm, den wir abreiten!“

„Das wird ein Orkan, der es in sich hat, mein Lieber.“

„Vielleicht geraten wir nur in seine Randzone.“

Hasard schaute ihn an. Während der Wind in den Luvwanten und Pardunen heulte und stärker an der „Isabella“ rüttelte, erwiderte er: „Wir sollten uns keinen falschen Hoffnungen hingeben. Ich sehe die Dinge im Augenblick ziemlich schwarz. Und ich habe keine Lust, Kopf und Kragen zu riskieren – für nichts und wieder nichts.“

„Was hast du vor?“

„Das kannst du dir doch denken, oder?“

„Die Küste anlaufen? Ein weiterer Zeitverlust. Wir wollen doch so schnell wie möglich den Südzipfel der Neuen Welt erreichen und runden“, entgegnete der junge Mann. Mehr fügte er aber nicht hinzu, denn er sah es der Miene des Seewolfes an, daß der nicht zu langen Erörterungen aufgelegt war.

Hasard traf Anstalten, den Mars wieder zu verlassen.

„Du kannst noch abentern, wenn du willst!“ rief er gegen das Jaulen und Pfeifen des Windes. „Ich zwinge dich nicht, hier oben zu bleiben.“

„Ich bleibe“, antwortete Dan. „Man kann nie wissen, wozu das gut ist. Ich binde mich auf jeden Fall fest, damit du dir keinen neuen Ausguck zu suchen brauchst.“

Rasch kehrte der Seewolf auf die Kuhl zurück. Carberry hatte auf seine Anweisung hin bereits die Manntaue spannen lassen, jetzt kontrollierte er die Laschings und Zurrings der Beiboote und überzeugte sich, daß auch die Brooktaue der Geschütze ordnungsgemäß durchgeholt und belegt waren, kurz, er tat alles, was zur Sicherung von Schiff und Mannschaft gehörte.

Hasard dachte an den materiellen Schaden, den er beim letzten Sturm zu verzeichnen gehabt hatte. Er wollte nicht schon wieder Lecks abdichten und andere Reparaturen durchführen – er hatte die Nase voll.

„Al Conroy!“ rief er zum Vorschiff.

„Sir?“

„Versuche, Siri-Tong ein Signal zu geben. Wir laufen die Küste an!“

„Aye, aye, Sir!“

Die beiden Schiffe segelten nur knapp eine Kabellänge voneinander entfernt. Es wäre keine Schwierigkeit für Hasard gewesen, auf Rufweite an den schwarzen Segler heranzumanövrieren, aber sosehr er auch gegen das zunehmende Tosen angebrüllt hätte, die Rote Korsarin hätte ihn nicht verstanden.

Al Conroys Bemühungen zeitigten bald den gewünschten Erfolg. Siri-Tong ließ zurücksignalisieren. Sie hatte keine Einwände gegen den Plan des Seewolfes.

Hasard turnte in den Manntauen bis zum Backbordniedergang, der auf das Quarterdeck hinaufführte. Er arbeitete sich bis zu Pete Ballie im Ruderhaus vor und rief: „Steuerbord, Pete, wir fallen ab und gehen platt vor den Wind!“

„Aye, aye!“ schrie Pete Ballie zurück.

Hasard kletterte aufs Achterdeck und setzte Ben Brighton, Ferris Tukker, Big Old Shane und Old O’Flynn auseinander, was er vorhatte. „Wir nutzen den Ostwind aus, suchen das Festland auf und laufen eine Bucht oder eine Insel an, die uns vor dem Orkan schützt. Es ist unsere einzige Chance. Verdammt, ich fühle, daß wir den Orkan in seiner ganzen Härte zu spüren kriegen.“

Der alte Donegal spuckte aus und wetterte: „Himmel, was soll ich denn sagen? Mein Beinstumpf schmerzt höllisch, das ist das sichere Zeichen für den Weltuntergang!“

Die „Isabella“ übernahm die Führung und steuerte nun vor „Eiliger Drache über den Wassern“ die Küste an. Es wurde ein Wettlauf mit der Zeit. Hinter ihnen war die Schwärze der Verdammnis, heulte der Wind, gischtete das Wasser zu immer höheren Wogen hoch.

Hasard kehrte auf das Quarterdeck zurück, um Pete Ballie jederzeit direkte Kommandos geben zu können. Gleichzeitig hielt er den Kontakt zu Ed Carberry, der die Crew mit seinem Gebrüll an den Brassen und Schoten dirigierte.

Der Waghalsigkeit seines Unternehmens war sich der Seewolf voll bewußt. Selbst wenn er rechtzeitig vor dem endgültigen Ausbruch des Orkans das Festland erreichte, war die Gefahr noch nicht vorüber. Sie lauerte in mannigfacher Form auf sie, war steigerungs- und wandlungsfähig. Beispielsweise konnten sie auf Legerwall gedrückt werden, wenn sie nicht geschickt manövrierten.

Unter diesem Gesichtspunkt war Hasards Entschluß nicht der glücklichste, zumal bei auflandigem Wind in Küstennähe der stärkste Seegang herrschte.

Aber er war unbeirrbar. Er wußte, daß er recht behalten würde: Das Schicksal jagte das Zentrum des Orkans direkt auf sie zu.

Thorfin Njal hatte Oleg und den Stör bis tief ins Vorschiff begleitet und sich überzeugt, daß Flanagan auch weisungsgemäß festgekettet wurde – und daß er ja keine weiteren Dummheiten beging.

 

Jetzt kehrte der wuchtige Steuermann mit seinen beiden Gefolgsleuten auf Oberdeck zurück. Die See war im Begriff, sich gegen sich selbst zu wenden und alle Fremdkörper auszuspeien. Sie rüttelte mit aller Macht am schwarzen Schiff. Es dröhnte und knackte bis in die letzten Verbände. Die drei Wikinger wurden in den Gängen hin- und hergeworfen.

„Bei Odin und allen Göttern!“ brüllte Thorfin Njal. „Geht der Tanz schon wieder los? Stürme, Pampero, Orkan und Tornado – ich hab das Gefühl, in einem Tollhaus zu sein!“

„In einem Tollhaus zu sein!“ rief der Stör.

Thorfin Njal wandte sich erbost zu ihm um. „Du sollst nicht immer meinen letzten Satz nachsprechen, du Barsch!“

„Meinen letzten Satz …“

„Untersteh dich!“

„Jawohl“, stammelte der Stör.

Sie gelangten an Oberdeck und sahen, wie die Manschaft an den Schoten und Brassen arbeitete, wie die letzten Vorbereitungen getroffen wurden, um dem großen Wüten zu trotzen. Thorfin Njal hatte – bevor er sich in die Vorpiek begeben hatte – noch gesehen, wie der Seewolf signalisiert hatte. Inzwischen hatte die „Isabella“ in direkter Kiellinie vor dem schwarzen Schiff die Führung übernommen, und sie hielten auf die Küste zu.

Thorfin Njal wandte sich dem Achterdeck zu. Er hangelte an den Manntauen voran. Er wollte so schnell wie möglich auf seinen vorherigen Posten zurückkehren, um den Rudergänger zu kontrollieren sowie Position und Kurs zu überprüfen. Schließlich war er der Steuermann, und er versah seine Aufgabe mit Ehrgeiz und Akribie.

Plötzlich stockte er.

Er fuhr herum und glaubte seinen Augen nicht zu trauen. Der große Viermaster hatte sich nach Steuerbord gelehnt, krängte unter einem anrollenden Brecher – und etwas sauste quer über die Kuhl.

Etwas? Jemand war so leichtsinnig, sich nicht an den Manntauen festzuklammern. Das konnte nur einer sein, der nicht mehr Herr seiner Sinne oder zumindest stark in seinen Reflexen beeinträchtigt war.

„Missjöh Buveur“, stieß Thorfin Njal entgeistert hervor. „Geri und Freki, Odins Wölfe, sollen dich beißen, Hugin und Munin, die Raben, dir die Augen auspicken – ja, bist du denn von allen guten Geistern verlassen, du Satansbraten?“

Er stürmte dem kollernden Franzosen nach, ehe Oleg und der Stör richtig begriffen, was eigentlich los war.

Missjöh Buveur, total benebelt und kaum noch aufnahmefähig, rollte unaufhaltsam der Steuerbordseite zu, und mit ihm rollte die leere Rumflasche als Beweis dafür, daß er mal wieder seinem liebsten Laster gefrönt hatte.

Er sauste an einem der schweren Geschütze vorbei und dann – der Teufel wollte es so – genau auf die Stückpforte zu. Sie war keine verschließbare Luke, sie stand offen, und das war Missjöh Buveurs ausgesprochenes Pech. Mit dem Kopf zuerst glitt er durch die Öffnung.

„Mann über Bord!“ schrie Thorfin Njal gegen das Sturmheulen an.

Aber es war noch nicht soweit. Ein guter Geist schien den Franzosen doch noch nicht verlassen zu haben, es war der Schutzengel, der alle Betrunkenen begleitete. Missjöh Buveurs Höllenfahrt erfuhr jedenfalls eine Unterbrechung. Plötzlich stoppte er ab, steckte fest.

Seine Füße waren so merkwürdig verkantet, daß sie einen Widerstand hinter dem Süll der Luke bildeten. Ja, es war absurd, verrückt, aber wahr: Das schwarze Schiff torkelte in den Wogen, und Missjöh Buveur hing wie eine Galionsfigur über den schwärzlichen Fluten.

Die meisten Männer der Besatzung standen wie erstarrt. Der Boston-Mann war neben Siri-Tong und rief: „Verdammt, der Kerl ist wieder bis oben hin voll!“

Thorfin Njal hatte das Geschütz erreicht, glitt aus und schlitterte plötzlich ebenfalls über Deck. Er fing sich am Schanzkleid ab, erhob sich fluchend und arbeitete sich unter Herbeizitieren sämtlicher ihm geläufigen Gottheiten auf den Verunglückten zu.

„Ersäufen sollte man dich!“ brüllte er.

Missjöh Buveur blickte verblüfft in das tosende Wasser. Er hatte die leere Rumflasche an sich vorbei in die Fluten stürzen sehen, und jetzt wurde er allmählich nüchtern, denn er malte sich aus, wie es war, wenn er der Flasche folgte.

Das schwarze Schiff krängte nach Backbord und dann wieder nach Steuerbord. Missjöh Buveur kriegte Salzwasser zu schlucken, spuckte es aus und wurde noch nüchterner.

Thorfin Njal zerrte an den Füßen und Knöcheln des Franzosen, als wolle er sie abreißen. Inzwischen waren auch Oleg und der Stör sowie Pedro Ortiz und Diego Valeras, die beiden Portugiesen, als Verstärkung eingetroffen. Mit vereinten Kräften befreiten sie den Franzosen aus seiner unglücklichen Lage und zerrten ihn auf die Kuhl zurück.

Missjöh Buveur sah seine Retter an, dann verdrehte er gekonnt die Augen. „Mon Dieu, der Teufel hat die Krallen nach mir ausgestreckt und – und der andere, der mit der Sense – ich hab schon die Klinge an meiner Gurgel gespürt!“

Unwillkürlich griff er sich mit beiden Händen an den Hals.

„Hör auf mit dem Theater“, fuhr Thorfin Njal ihn an. „Du solltest nicht soviel saufen, du Schwamm, sonst gehst du eines Tages wirklich vor die Hunde.“

Die anderen wußten nicht, ob sie lachen oder fluchen sollten.

„Missjöh Buveur!“ rief Siri-Tong plötzlich mit der gleichen schneidenden Stimme, mit der sie sich auch an Flanagan gewandt hatte. „Komm her! Ja, zur mir aufs Achterdeck!“

Der Mann aus dem fernen Frankreich hangelte an den Manntauen nach achtern und schob sich schließlich sehr kleinlaut auf die Rote Korsarin zu. In diesem Moment wußte er nicht, was besser war: zu leben oder doch lieber in die sprudelnden Fluten zu stürzen.

Siri-Tong sprach gerade laut genug, daß Missjöh Buveur es noch verstehen konnte. „Hör gut zu. Wenn so etwas noch mal passiert, lasse ich dir zwanzig Hiebe mit der Neunschwänzigen überziehen. Zwanzig! Und danach wirst du an der Rahnock aufgehängt, da kannst du dann zappeln, soviel du willst, verstanden?“

„Ja, Madame“, antwortete Missjöh Buveur. Er wünschte sich, eine Maus zu sein und irgendwo in einem Spundloch verschwinden zu können.

So hart die Kerle auf diesem Viermaster auch waren – vor der Roten Korsarin schrumpften sie alle gleichsam in sich zusammen. Noch nie hatte es eine Frau gegeben, die einen so elementaren Einfluß auf sie ausgeübt hatte.

Es stellte sich als unschätzbarer Vorteil heraus, daß Dan O’Flynn seinen Posten im Hauptmars beibehalten hatte. Natürlich war er es, der als erster jenen düsteren Streifen entdeckte, der sich am Horizont entlangzog.

„Land!“

Dan brüllte es, aber in dem Wüten des Wetters konnte ihn unten auf Deck niemand verstehen. Er mußte seine Pistole abfeuern, um sich verständlich zu machen. Fortan teilte er seinem Kapitän alles, was er sah, durch Gestikulieren mit.

Land – Hasard wußte, daß sie sich ungefähr auf der Höhe des 22. Grades südlicher Breite befanden. Er hatte die Zeichnungen dieser Küstenregion fast bis zum Detail im Gedächtnis. Schon am Vortag hatte er sich ausgiebig mit seinem umfangreichen Kartenwerk befaßt.

Eins war besonders haftengeblieben: Gerade an diesem Punkt gab es gefährliche Korallenriffe.

Hasard gab Dan ein entsprechendes Zeichen. Der junge Mann war von jetzt an praktisch doppelt und dreifach auf der Hut. Das war kein einfaches Unternehmen in dem wild schwankenden Großmars, oder, treffender ausgedrückt: Nur ein Ausguck wie Dan konnte in diesen Augenblicken noch an etwas anderes denken als ans Festklammern und Beten.

Der Schimpanse Arwenack hatte sich längst in einen sicheren Schlupfwinkel unter Deck begeben. Er haßte Stürme, und dieses Zürnen der entfesselten Naturgewalten flößte ihm Panik ein. Weglaufen konnte er nicht, also verkroch er sich. In Stunden wie diesen war er sogar zum Burgfrieden mit Sir John, dem Papagei, bereit, auf den er sonst glühend eifersüchtig war.

Dan vollbrachte das gleichermaßen Unmögliche. Er sichtete rechtzeitig tückische Untiefen, konnte im Branden der Wogen bruchstückweise die lebensgefährlichen Gebilde erkennen – Korallenbänke!

Rasch bedeutete er Hasard, wo sich die Barrieren befanden.

„Zwei Strich Backbord, Pete!“ rief der Seewolf seinem Rudergänger zu. „Wir luven an, um nicht aufzulaufen!“

„Aye, aye, Sir!“ schrie Pete Ballie zurück, und gleichzeitig schickte er wie die übrigen Männer der Crew ein Stoßgebet zum Himmel, er möge sie vor dem furchtbaren Schicksal bewahren.

Die Erinnerung an das Ende der spanischen Galeonen „Santa Barbara“ und „San Domingo“ war noch frisch im Gedächtnis der Seewölfe. Die Segler hatten die portugiesischen Siedler nach Bahia bringen sollen und waren im Sturm auf einem Riff zerschellt.

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