Zeichentheorie

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Frege schreibt in seinen nachgelassenen Schriften, ein Prädikat müsse „die Eigenschaft haben, durch jeden bedeutungsvollen Eigennamen gesättigt, einen eigentlichen Satz zu ergeben; das heißt, den Eigennamen eines Wahrheitswertes zu ergeben. Dies ist die Forderung der scharfen Begrenzung des Begriffs. Jeder Gegenstand muss unter einen gegebenen Begriff fallen oder nicht fallen,

tertium non datur.“

24 Das heißt, ein Begriff muss so klar sein, dass von jedem beliebigen Gegenstand eindeutig entscheidbar ist, ob er unter diesen Begriff fällt oder nicht. Damit erhebt Frege freilich eine Forderung, die von Begriffen der natürlichen Sprache nur selten erfüllt wird. Betrachten wir das Prädikat

ist Wasser.

 Wenn ‚Wasser‘ ein Begriff im Fregeschen Sinne sein soll, so sollte eindeutig festgelegt sein, was unter den Begriff fällt und was nicht. Mit anderen Worten, es müsste eine scharfe Grenze geben zwischen Wasser und Nicht-Wasser. Nehmen wir an, reines H

2

O sei Wasser, und alles, was nicht reines H

2

O ist, sei Nicht-Wasser. Dieser Festlegung gemäß habe ich noch nie in meinem Leben Wasser getrunken und bin auch noch nie in Wasser geschwommen. Nehmen wir an, wir definieren den Begriff ‚Wasser‘ so, dass gewisse Zusätze in einer gewissen Konzentration erlaubt sind. Welche Zusätze und wieviele davon dürfen es sein? H

2

O + 5 % Essigsäure ist Essig; H

2

O + 0,005 % Essigsäure würden wir

Wasser

 nennen. Irgendwo dazwischen liegt die Grenze. „Kannst du die Grenzen angeben?“ fragt WittgensteinWittgenstein, um darauf zu antworten: „Nein. Du kannst welche

ziehen:

 denn es sind noch keine gezogen.“25 Für unsere alltägliche Kommunikation wäre es sehr lästig und hinderlich, wenn alle Prädikate unserer Umgangssprache Begriffe im Fregeschen Sinne bezeichnenbezeichnen würden.26Pinkal Die Unschärfe unserer Alltagsbegriffe ist kein Manko natürlicher Sprachen, sondern, wie wir in Kapitel 8 noch sehen werden, ein Vorteil.



Kommen wir nun zu der Frage, was Frege als Sinn und was als Bedeutung von Sätzen ansieht. Die Antworten ergeben sich aus dem bisher Gesagten nahezu von selbst: Werden Prädikate durch Eigennamen gesättigt, entstehen Sätze. Daraus folgt: Wird die Bedeutung eines Prädikats durch die Bedeutung eines Eigennamens gesättigt, entsteht die Bedeutung des Satzes. Die Bedeutung des Prädikats ist der Begriff; die Bedeutung des Eigennamens ist der Gegenstand. Der Begriff ist eine FunktionFunktion, die Gegenstände in Wahrheitswerte abbildet. Wird also der Begriff durch einen Gegenstand gesättigt, entsteht ein Wahrheitswert. Es ist verblüffend, aber folgerichtig, wenn Frege sagt: „So werden wir dahin gedrängt, den Wahrheitswert eines Satzes als seine Bedeutung anzuerkennen.“27 Eine andere Überlegung führt uns zu demselben Ergebnis: Wenn wir in einem Satz den Eigennamen durch einen anderen ersetzen, der die gleiche Bedeutung hat, so darf sich auch die Bedeutung des Satzes nicht ändern. Was aber bleibt konstant, wenn wir einen Namen durch einen anderen, der auf denselben Gegenstand verweist, ersetzen? Konstant bleibt der Wahrheitswert.28 Es gibt für Sätze folglich genau zwei mögliche Bedeutungen. „Ich verstehe unter dem Wahrheitswerte eines Satzes den Umstand, daß er wahr oder falsch ist. Weitere Wahrheitswerte gibt es nicht. Ich nenne der Kürze halber den einen das Wahre, den anderen das Falsche.“29



Erinnern wir uns, ein NameName ist ein sprachlicher Ausdruck, der auf einen Gegenstand verweist; und ein „Gegenstand ist alles, was nicht FunktionFunktion ist, dessen Ausdruck also keine leere Stelle mit sich führt“.30 Ein Satz ist ein solcher Ausdruck, der keine leere Stelle mit sich führt, denn ein Satz entsteht, wenn ein Prädikat gesättigt wird. Ein Satz ist somit ein Name! Er ist „als Eigenname aufzufassen, und zwar ist seine Bedeutung, falls sie vorhanden ist, entweder das Wahre oder das Falsche“.31 Das Wahre und das Falsche sind somit keine Eigenschaften, sondern Gegenstände, die der Satz bezeichnet. Ein Behauptungssatz ist ein Name des Wahren oder Falschen. (Interessanterweise wird eine solche Auffassung auch durch unseren umgangssprachlichen Sprachgebrauch gestützt: Man sagt

Sie sagt die Wahrheit

, wenn sie etwas Wahres sagt, aber nicht

Sie sagt die Schönheit

, wenn sie etwas Schönes sagt.) Den Sinn eines Satzes, also die Art des GegebenseinsArt des Gegebenseins des Wahren oder Falschen, nennt Frege „GedankeGedanke“. Ein Satz drückt somit einen Gedanken aus und bezeichnet einen Wahrheitswert. Auch hier gilt: Ein Satz drückt, sofern er den Regeln der Sprache gemäß korrekt gebildet ist, einen Gedanken aus. Aber nicht jeder Satz bezeichnet notwendigerweise einen Wahrheitswert, das heißt, nicht jeder Satz hat eine Bedeutung im Fregeschen Sinne. Das gilt natürlich zunächst für alle nicht-assertiven Sätze, aber auch für einige assertive, nämlich für genau diejenigen Behauptungssätze, deren Prädikat keinen Begriff bezeichnet und/oder deren Prädikat mit einem Namen gesättigt ist, der keinen Gegenstand bezeichnet. Der Behauptungssatz

Schneewittchen wog 73 kg

 hat keine Bedeutung, weil der Name

Schneewittchen

 keine hat. Der von diesem Satz ausgedrückte Gedanke lässt sich so wenig auf seine Wahrheit hin beurteilen, wie sich Schneewittchen porträtieren lässt. Frege unterscheidet streng zwischen (i) dem Fassen eines Gedankens, (ii) dem Urteilen, d.h. dem Zuschreiben eines Wahrheitwertes, und (iii) dem Behaupten, d.h. der Kundgabe eines Urteils.32 „Wenn wir einen Gedanken innerlich als wahr annehmen, so urteilen wir; wenn wir solche Anerkennung kundgeben, so behaupten wir.“33 Daraus folgt: Der Satz

Schneewittchen wog 73 kg

 lässt sich nicht behaupten. Denn über den Gedanken, den der Satz ausdrückt, lässt sich kein Urteil fällen, da der NameName

Schneewittchen

 keinen Gegenstand bezeichnet und der Begriff, den das Prädikat

wog 73 kg

 ausdrückt, nicht gesättigt ist. Wo ein Urteil nicht möglich ist, kann auch keines kundgegeben werden. Wer auch immer behauptet, dass Schneewittchen 73 kg wog, vollzieht also eine Scheinbehauptung!



Wir haben uns bezüglich der Theorie des AristotelesAristoteles gefragt, ob wir annehmen müssen, dass es sich um eine psychologische Bedeutungstheoriepsychologische Bedeutungstheorie handelt. Die Antwort war: Wir wissen es nicht, aber vieles spricht dagegen. Denn seine „Vorstellungen der Seele“ sind offenbar nicht als individualpsychologische innere Ereignisse konzipiert. Wenn es sich schon um eine psychologische Bedeutungstheorie handelt, so um eine entindividualisierte. Die analoge Frage können wir bezüglich Freges Theorie stellen. Wenn wir davon ausgehen, dass der Fregesche Sinn dem nahekommt, was man gemeinhin Bedeutung nennt, so können wir fragen: Hat Frege mit seiner Konzeption des Sinns eine psychologische Bedeutungstheorie

(Bedeutung

 im nicht-Fregeschen Sinne) vorgelegt? Eine positive Antwort könnte etwa folgendermaßen begründet werden: Den Sinn eines Satzes nennt Frege „Gedanke“. Ein Gedanke ist das Produkt des Denkens. Denken ist ein individualpsychologischer Vorgang. Der Sinn eines Satzes ist somit das Produkt eines individualpsychologischen Vorgangs. Also ist die Theorie des Sinns eine psychologische Theorie. Eine solche Argumentation wäre ganz und gar nicht in Freges Sinne. Frege macht uns die Antwort leichter als Aristoteles, denn er äußert sich, vor allem in seinem Aufsatz „Der Gedanke. Eine Logische Untersuchung“, explizit dazu.



Der Gedanke ist für Frege eine Kategorie der Logik, nicht der Psychologie. Der Sinn des Satzes, also der durch ihn ausgedrückte Gedanke, ist auch, wie wir später sehen werden, keine Kategorie der SemantikSemantik einer Sprache. Er ist nicht gleichzusetzen mit dem, was man gemeinhin SatzbedeutungSatzbedeutung oder SatzinhaltSatzinhalt nennt. Schauen wir uns Freges Erläuterungen genauer an. „Der Logik kommt es zu, die Gesetze des Wahrseins zu erkennen.“34 Die Psychologie hingegen befasse sich mit psychologischen Gesetzen, etwa denen des Fürwahrhaltens. Man könne „zu der Meinung kommen“, schreibt Frege, „es handle sich in der Logik um den seelischen Vorgang des Denkens, und um die psychologischen Gesetze, nach denen es geschieht. Aber damit wäre die Aufgabe der Logik verkannt; denn hierbei erhält die Wahrheit nicht die gebührende Stellung.“35 Wir sehen also, dass Frege das Wort

Gedanke

 auf eine sehr spezielle Weise verwendet. Der Fregesche „Gedanke“ soll gerade nicht das Produkt des Denkens sein. Der Gedanke ist das, was wahr oder falsch sein kann, unabhängig davon, ob er je gedacht oder gar behauptet wurde. Denn „zum Wahrsein eines Gedankens gehört nicht, daß er gedacht werde“.36 Wie entstehen Gedanken, wenn nicht durch den Vorgang des Denkens, und wo befinden sie sich? Sie entstehen nicht, sondern sie sind da, von Ewigkeit zu Ewigkeit. Sie sind zeitlos. Ihr Aufenthaltort ist weder der Kopf noch die Welt. „Die Gedanken sind weder Dinge der Außenwelt noch Vorstellungen. Ein drittes Reich muß anerkannt werden.“37 Was der Gedanke ist, charakterisiert Frege im Wesentlichen negativ. Die einzig positive Charakterisierung, die man geben kann, ist die bereits gegebene: Der Gedanke ist das, was man als wahr oder falsch beurteilt, wenn man ein Urteil fällt. „Eine Tatsache ist ein Gedanke, der wahr ist.“38 Tatsachen kann man weder hören noch sehen! „Daß die Sonne aufgegangen ist, ist kein Gegenstand, der Strahlen aussendet, die in mein Auge gelangen, ist kein sichtbares Ding, wie die Sonne selbst. Daß die Sonne aufgegangen ist, wird auf Grund von Sinneseindrücken als wahr erkannt.“39 Zum Wahren und somit zu den Tatsachen gelangt man, indem man über Gedanken Urteile fällt. Worin besteht das Denken eines Gedankens, wenn unter „denken“ nicht der Akt der geistigen Hervorbringung verstanden werden soll? Darauf kann Frege eine nur metaphorische Antwort geben: „Wir sind nicht Träger der Gedanken, wie wir Träger unserer Vorstellungen sind. Wir haben einen Gedanken, nicht, wie wir etwa einen Sinneseindruck haben; wir sehen aber auch einen Gedanken nicht, wie wir etwa einen Stern sehen. Darum ist es anzuraten, hier einen besonderen Ausdruck zu wählen, und als solcher bietet sich uns das Wort ‚fassen‘ dar. Beim Denken erzeugen wir nicht die Gedanken, sondern wir fassen sie.“40 Gedanken sind also weder in der Welt noch in unseren Köpfen. Sie bilden eine Welt für sich, und wenn wir denken, so fassen wir sie. Wir erzeugen sie nicht mit den Sätzen unsrer Sprache, sondern die Sätze drücken sie aus. Ein gefasster Gedanke muss weder ausgedrückt noch muss er Gegenstand des Urteilens sein. In dem Behauptungssatz

Wenn ich Hunger habe, esse ich Leberwurst

 ist weder dem Vordersatz noch dem Nachsatz ein WahrheitswertWahrheitswert zugeordnet. Wer diesen Satz mit behauptender Kraft äußert, behauptet weder, dass er Hunger hat, noch, dass er Leberwurst isst! Beide Gedanken werden ausgedrückt ohne „Anerkennung“ eines Wahrheitwertes. Behauptet wird nur ihre Wenn-dann-BeziehungBeziehung.

 



Was spricht nun dagegen, den SinnSinn eines Behauptungssatzes als seinen InhaltInhalt zu betrachten? Dagegen spricht die enge Verbindung, die Frege zwischen dem Gedanken und den Wahrheitswerten schafft: Alles, was den Wahrheitswert nicht betrifft, ist nicht Teil des Gedankens. „Wörter wie ‚leider‘ oder ‚gottlob‘ gehören hierher.“41 Nur der wahrheitsfunktional relevante Teil des SatzinhaltSatzinhalts ist der Gedanke. So drückt etwa der SatzSatz

Alfred ist noch nicht gekommen

 den gleichen Gedanken aus wie der Satz

Alfred ist nicht gekommen.

 Mit dem

noch

 „deutet an, daß man sein Kommen erwartet“.42 Zum Wahrheitswert der Aussage trägt die angedeutete Erwartung des Sprechers hingegen nichts bei. Das Analoge gilt beispielsweise für das Won

aber.

 Es „unterscheidet sich von ‚und‘ dadurch, daß man mit ihm andeutet, das Folgende stehe zu dem, was nach dem Vorhergehenden zu erwarten war, in einem Gegensatze. Solche Winke in der Rede machen keinen Unterschied im Gedanken.“43 Solche Winke sind jedoch durchaus Teil dessen, was man in nicht-Fregescher Terminologie die SatzbedeutungSatzbedeutung nennt. Wenn Frege sagt: „Ob ich das Wort ‚Pferd‘ oder ‚Roß‘ oder ‚Gaul‘ oder ‚Mähre‘ gebrauche, macht keinen Unterschied im Gedanken“,44 so macht dies unmittelbar deutlich, dass Frege mit seiner Kategorie des Sinns nur den extensionalen Aspekt der Wortbedeutung und somit der Satzbedeutung im Auge hat.



Der SemantikSemantik einer natürlichen Sprache, dem, was Frege den Inhalt nennt, gerecht zu werden, war nicht Teil der Bestrebungen Freges. Über den Inhalt sagt er nicht viel mehr, als dass er nicht mit dem Sinn identisch ist. „So überragt der Inhalt eines Satzes nicht selten den in ihm ausgedrückten Gedanken.“45 Was Frege

Inhalt

 nennt, ist nicht Gegenstand seiner Untersuchungen. Aber aus seinen Ausführungen ergibt sich folgendes Bild: Wir fassen einen Gedanken mittels eines Satzes, der diesen Gedanken ausdrückt, und bezeichnen damit, wenn der Satz mit behauptender Kraft geäußert wird, das Wahre oder das Falsche. Dank welcher Eigenschaft ist der Satz in der Lage, den gefassten Gedanken auszudrücken? Oder anders gefragt: Welches ist das Kriterium des Sprechers für die Wahl eines Elements genau derjenigen Klasse von Sätzen, die den von ihm gefassten Gedanken ausdrücken? Frege stellt und beantwortet diese Frage nicht, aber es kommt nur eine Antwort in Frage: Das Kriterium der Wahl ist der Inhalt des Satzes. Er muss dergestalt sein, dass er den Gedanken auszudrücken im Stande ist. Der Inhalt „ist der Gedanke oder enthält wenigstens den Gedanken“.46 Der Sprecher muss die Wahl seines Satzes so treffen, dass der Inhalt des Satzes „wenigstens“ den Gedanken enthält. Der Gedanke ist außerindividuell und zeitlos, der Inhalt ist einzelsprachlich und somit zeitgebunden.





Ich will damit die Darstellung der Fregeschen Theorie über Sinn und BedeutungBedeutung abbrechen. Die Darstellung ist nicht vollständig; insbesondere fehlt der Teil, in dem sich Frege mit verschiedenen Typen von Nebensätzen befasst. Aber sie sollte ausreichen, um das Kategoriensystem Freges verständlich zu machen. Der Deutlichkeit halber will ich versuchen, einen schematischen Überblick zu geben, und zwar einmal aus der Perspektive der sprachlichen Zeichen und zum zweiten aus der des Sprechers.













          Linguistische Ebene





          Epistemische Ebene





          Ontologische Ebene














          Zeichen





          Sinn





          Bedeutung









          (1)





          Prädikat





          Art des GegebenseinsArt des Gegebenseins





          Begriff









          (2)





          Eigenname





          Art des Gegebenseins





          Gegenstand









          (3)





          Satz





          Gedanke





          Wahrheitswert








Ein Zeichen drückt seinen Sinn aus und bezeichnet seine Bedeutung. Wird ein Element der Reihe (1) durch ein Element der Reihe (2) der gleichen Spalte gesättigt, ergibt sich das Element der Reihe (3) der entsptrechenden Spalte. Das heißt:





 Die Sättigung eines PrädikatPrädikats durch einen EigennameEigennamen ergibt einen Satz.



 Die Sättigung des Sinns eines Prädikats durch den Sinn eines Eigennamens ergibt einen Gedanken.



 Die Sättigung eines BegriffBegriffs durch einen Gegenstand ergibt einen WahrheitswertWahrheitswert.





Aus der Perspektive des Sprechers, der etwas behauptet, ergibt sich folgendes Bild:





 Der Sprecher fasst einen Gedanken.



 Er erkennt (möglicherweise) die Wahrheit des Gedankens an, d.h. er urteilt.



 Er gibt (möglicherweise) das Urteil kund, d.h. er vollzieht eine Behauptung, indem er mit Wahrheitsanspruch einen Satz äußert, dessen Inhalt den Gedanken ausdrückt, d.h. diesen wenigstens enthält.





Frege hat damit ein konsistentes begriffliches Instrumentarium geschaffen, dessen zentrale Idee die der RepräsentationRepräsentation ist. Sprachliche Zeichen sind Mittel zur Repräsentation von Begriffen und Gegenständen, wobei man, wenn man Freges Theorie aus linguistischer Sicht adaptieren, ablehnen oder auch nur beurteilen will, sich stets vor Augen halten muss: Sie ist nicht geschaffen zum Zwecke der Beschreibung natürlicher Sprachen und schon gar nicht dazu, dem Vorgang des Kommunizierens gerecht zu werden. Sie beschränkt sich auf die wahrheitsfunktional relevanten Aspekte der Sprache. „Dem auf das Schöne in der Sprache gerichteten Sinne kann gerade das wichtig erscheinen, was dem Logiker gleichgültig ist.“47 Ich will die Beschränkung auf die repräsentationistische Sicht nicht kritisieren, sondern vielmehr ergänzen. Denn, um es noch einmal zu betonen, die Sprache dient uns zum Zwecke der Kategorisierung, der Repräsentation und der Kommunikation. Alle drei Aspekte gilt es im Auge zu behalten.



„Der Sinn eines Eigennamens wird von jedem erfaßt, der die Sprache hinreichend kennt, der er angehört“,48 schreibt Frege. Wir dürfen wohl annehmen, dass es in Freges Sinne ist, wenn wir diese Aussage verallgemeinern auf den Sinn sprachlicher Zeichen überhaupt, also auch auf den Sinn von Prädikaten und Sätzen. Um den Sinn eines Zeichens erfassen zu können, ist es notwendig, seinen Inhalt zu kennen und zu wissen, welcher Anteil daran wahrheitsfunktional relevant ist. Was kennt man, wenn man seine Sprache hinreichend kennt? Worin besteht das sprachliche Wissen, über das man verfügt, wenn man den Inhalt eines Zeichens kennt? Frege gibt darauf keine Antwort. Vom Inhalt interessiert ihn nur der Teil, der den Sinn ausmacht. Es gelingt ihm nicht einmal zu explizieren, was es heißt, einen Gedanken zu

fassen.

 „Vielleicht“, so gesteht er, „ist dieser Vorgang der Geheimnisvollste von allen.“49 Frege gibt nicht vor, beschreiben zu wollen, wie wir Sätze verstehen.50Tugendhat Rein repräsentationistische Theorien sollten dies auch nicht vorgeben. Denn um dies leisten zu können, müssten sie immer noch erläutern, wie die Repräsentation zustande kommt! Sie müssten Platons Rätsel lösen, das er sich im

Kratylos

 vorgenommen hatte. Eine Lösung dieses Rätsels scheint mir Wittgensteins heuristische Maxime zu ermöglichen: „‚Die Bedeutung eines Wortes ist das, was die Erklärung der Bedeutung erklärt.‘ D.h.: willst du den GebrauchGebrauch des Worts ‚Bedeutung‘ verstehen, so sieh nach, was man ‚Erklärung der Bedeutung‘ nennt.“51 WittgensteinWittgenstein hat die Lösung des Rätsels in die Maxime bereits eingeschmuggelt: Die Bedeutung ist der Gebrauch. Dieser These will ich mich im nächsten Kapitel zuwenden.





6  Wittgensteins instrumentalistische Zeichenauffassung



Von einem sprachlichen Zeichen zu sagen, es habe Bedeutung, heißt zu sagen, es sei mit einer Vorstellung verbunden. Die VorstellungVorstellung des Sprechers wird mit einem sprachlichen Zeichen gleichsam versandfertig verpackt (enkodiert), und vom Hörer nach dessen Empfang wieder ausgepackt (dekodiert). Der Hörer gelangt somit in den Besitz der mit dem empfangenen Zeichen verbundenen Vorstellung. Die Bedeutung eines Zeichens ist also die mit ihm verbundene Vorstellung. So oder so ähnlich lautet die

common-sense-

Theorie der Bedeutung. „Die charakteristische traditionelle Zeichentheorie war eine Stellvertretertheorie: das Zeichen vertritt etwas, was auch ohne die VerwendungVerwendung dieses oder eines anderen Zeichens gegeben sein könnte – eben in der Vorstellung.“1 Eine solche Auffassung kann man generalisierend „VorstellungstheorieVorstellungstheorie“ nennen. Mit Hilfe einiger suggestiver Fragen und Bemerkungen möchte ich auf die Probleme aufmerksam machen, die mit einer solchen Theorie verbunden sind. Eine ausführliche Darstellung und Kritik der verschiedenen Varianten der Vorstellungstheorie gibt TugendhatTugendhat.2





1. Auch wenn wir unterstellen, dass es plausibel ist, anzunehmen, dass wir mit den Wörtern

Kuh, Haus, trinken

 etc. Vorstellungen verbinden, so wäre immer noch zu zeigen, welche Vorstellung wir mit Ausdrücken wie

nichts, ob, Dienstag, gut, Vetter, ähnlich

 oder

unvorstellbar

 verbinden.





2. Unterstellen wir, dass die These „die Bedeutung eines Ausdrucks ist die mit ihm verbundene Vorstellung“ korrekt ist, welche Bedeutung hätte dieser Theorie gemäß der Ausdruck

Vorstellung

? Und welche Bedeutung hätte der Ausdruck

die mit dem Ausdruck ‚Vorstellung‘ verbundene Vorstellung

? Die Antwort lautet: „Die Vorstellung der mit dem Ausdruck

Vorstellung

 verbundenen Vorstellung.“ Was bedeutet der Theorie gemäß diese Antwort?





3. Wie lehrt man andere (z.B. Kinder), bestimmte Vorstellungen zu haben, und wie kontrolliert man, ob es die richtigen sind? Wie vergleiche ich meine Vorstellung mit der eines anderen?





4. Nehmen wir an, es behaupte jemand, die Wörter

fast

 und

beinahe

 hätten die gleiche Bedeutung. Wie überprüft man, ob dies stimmt? Der Vorstellungstheorie gemäß sollte folgende Methode erfolgversprechend sein: Man schließe die Augen, vergegenwärtige sich zunächst die zu

fast

 gehörige Vorstellung und dann die zu

beinahe.

 Sodann vergleiche man die beiden Vorstellungen und überprüfe, ob es sich zweimal um die gleiche Vorstellung handelte.





5. Unterstellen wir, mein Gesprächspartner stelle sich, wenn ich zu ihm sage „Ich habe mir eine Kuh gekauft“, eine Kuh vor. Die korrekte Vorstellung zu haben, setzt doch offenbar voraus, dass er (unter anderem) den Ausdruck

Kuh

 richtig verstanden hat. Folglich kann das Verständnis des Wortes

Kuh

 nicht im Haben der entsprechenden Vorstellung liegen. Wenn eine Vorstellung ins Spiel kommt, kann sie nur eine Folge des Verstanden-habens sein.





6. Unterstellen wir, mein Gesprächspartner stelle sich, nachdem ich ihm sagte „Ich fahre morgen in Urlaub“, Sonne, Strand und Meer vor. Ich aber erhole mich drei Wochen in Ludwigshafen. Würden wir unter diesen Bedingungen sagen, er habe mich missverstanden? Wohl kaum; er hatte nur eine falsche Hypothese über das Reiseziel.

 





7. Der Begriff der Vorstellung bedürfte, um theoriefähig zu werden, einer analytischen Klärung und Explikation. Eine solche ist mir nicht bekannt; aber unterstellen wir, Vorstellungen seien so etwas wie geistige Bilder. (Wenn ich mir Hawaii vorstelle, erzeuge ich in mir eine Art geistigen Bildes.) Wenn so etwas mit dem Begriff der Vorstellung gemeint ist, wer hilft mir dann, meine geistigen Bilder zu verstehenverstehen? Und wer garantiert, dass ich sie richtig interpretiere?





Was diese sieben Suggestivfragen bzw. Bemerkungen andeuten sollen, ist folgendes:





ad 1: Die Vorstellungstheorie wird vollständig unplausibel, wenn sie auf Konjunktionen wie

ob,

 relationale Ausdrücke wie

Vetter,

 rein evaluative Ausdrücke wie

gut

 oder nur strukturell definierbare Ausdrücke wie

Dienstag

 angewendet wird.





ad 2: Die Anwendung der Vorstellungstheorie führt bei dem Versuch, sie auf den Ausdruck

Vorstellung

 selbst anzuwenden, zu einem iterativen Regress.





ad 3: Wenn der kommunikative Gebrauch der Sprache im Austausch von Vorstellungen bestünde, müssten Vorstellungen nichtsprachlich kommunizierbar sein, um eine Sprache lehren zu können.





ad 4: Jeder, der mit einer Synonymiefrage konfrontiert wird, macht intuitiv Austauschtests, und keiner käme je auf die vorstellungstheoretische Idee, introspekive Vorstellungsvergleiche anstellen zu wollen.





ad 5: Vorstellungen sind allenfalls sekundäre Begleiterscheinungen des Kommunizierenkommunizierens, nicht aber substantieller Teil des Kommunizierens.





ad 6: Eine ÄußerungÄußerung richtig verstanden zu haben und die der Äußerungsintention des Sprechers adäquate Vorstellung zu haben, ist unabhängig voneinander. Die Aussage „Ich habe dich vollständig verstanden, kann mir aber nicht vorstellen, was du gesagt hast“ ist nicht selbstwidersprüchlich.





ad 7: Wenn Vorstellungen in irgendeiner Weise Bildcharakter haben, müssen sie selbst Gegenstand interpretativer Bemühungen sein, um verstanden zu werden. Diese Annahme führt ebenfalls in einen iterativen Regress.





Das Fazit ist: Selbst wenn wir zugestehen, dass wir beim Kommunizieren (bisweilen, stets oder bei einigen Sätzen oder Wörtern) Vorstellungen haben, so spielen sie für die Kommunikation nicht die Rolle, die ihnen die Vorstellungstheorie beimisst. Ob wir welche haben oder nicht, ist irrelevant für die Frage, was der Sprecher meint mit dem, was er sagt, und was der Hörer verstehtverstehen. Selbst wenn es systematische Vorstellungen gibt, die unser Kommunizieren begleiten, haben sie für das SpielSpiel des Kommunizierens nicht mehr Bedeutung als etwa die systematisch auftretende Freude oder Verärgerung, die einen Stich im Skatspiel begleiten mag. Sie sind nicht Bestandteil des Spiels.



Jede Theorie, die behauptet, dass Zeichen für etwas stehen, seien es Vorstellungen, Dinge oder sonst etwas, muss auf die Frage eine Antwort geben, wie dieses Repräsentationsverhältnis hergestellt und aufrechterhalten wird. Wie bringt man ein Zeichen dazu, für etwas zu stehen oder etwas zu symbolisieren oder eine Vorstellung zu repräsentieren? Soll das, wofür das Zeichen steht, Bedeutung genannt werden? Genau diese Position will ich nicht vertreten. Nicht, was kommuniziert ist, soll Bedeutung genannt werden, sondern was Kommunizieren ermöglicht. Erinnern wir uns: Wer über Zeichen, deren BeziehungBeziehung zur kognitiven Welt und zur Welt der Dinge reden will, der muss, wie dies spätestens seit AristotelesAristoteles üblich ist, drei Betrachtungsebenen vorsehen und unterscheiden: die linguistische Ebene der Zeichen, die epistemologische Ebene der Konzepte und die ontologische Ebene der Dinge und Sachverhalte. Man kann sich dann fragen, auf welcher Ebene man das ansiedeln möchte, was

Bedeutung

 heißen soll. Teilweise ist das eine terminologische Entscheidung. FregeFrege siedelte, was er

Bedeutung

 nannte, wie wir gesehen haben, auf der ontologischen Ebene an. Vorstellungstheoretiker siedeln sie offenbar auf der epistemischen Ebene an. Ich werde dafür plädieren, Bedeutung, dem späteren WittgensteinWittgenstein folgend, auf der linguistischen Ebene anzusiedeln. Wenn man diese Entscheidung nicht als rein terminologische Frage abtun will, muss man sich zunächst über eine andere Frage Klarheit verschaffen: Was soll der Bedeutungsbegriff leisten? Was soll mit ihm erklärt werden? Ohne eine solche Präzisierung lässt sich die Frage „Worin besteht die Bedeutung eines Zeichens?“ nicht sinnvoll beantworten. Meine Entscheidung ist die: Der Begriff der Bedeutung soll den Aspekt der InterpretierbarkeitInterpretierbarkeit des Zeichens erklären. Auch wenn man zugesteht, dass Zeichen für etwas stehen, etwas repräsentieren, etwas bezeichen und dergleichen, sei es einen Gegenstand, eine Vorstellung, ein Konzept, einen WahrheitswertWahrheitswert oder was auch immer, kommt man nicht umhin, sich die Frage zu stellen, welche Eigenschaft des Zeichens es ist, dank derer der Adressat herausfindet, wofür das Zeichen steht. Wenn wir mit Hilfe einer Sprache kommunizierenkommunizieren, vollziehen wir Äußerungen in der Absicht, den Adressaten zu einer bestimmten Interpretation zu bewegen. Eine ÄußerungÄußerung in einer solchen Absicht zu vollziehen heißt, mit dieser Äußerung etwas meinen. Wir können also auch sagen, der Bedeutungsbegriff soll der Erklärung dessen dienen, wie es dem Sprecher möglich ist, dem Adressaten erkennen zu geben, was er meint. Er soll dazu beitragen, PlatonPlatons Rätsel zu lösen: Wie gelingt es, „daß , wenn ich dieses Wort ausspreche jenes denke, du erkennst, daß ich jenes denke“?3 Um erläutern zu können, wie dies möglich ist, ist erheblicher begrifflicher Aufwand nötig. Ludwig Wittgenstein hat entscheidende Anstöße zur Lösung dieses Rätsels geliefert. Diese will ich nun in ihren Grundzügen erläuternd darstellen.



Wittgensteins Auffassung zur Bedeutung sprachlicher Zeichen wird gemeinhin „die GebrauchstheorieGebrauchstheorie der Bedeutung“ genannt. Eine solche Redeweise suggeriert dem mit Wittgensteins Schriften wenig vertrauten Leser, es gäbe eine theoretische Abhandlung, in der er eine Theorie der Bedeutung vorgelegt hat. Eine solche gibt es nicht. Wittgenstein hat vielmehr in einer Reihe verstreuter Bemerkungen, vor allem in dem Hauptwerk seiner späteren Philosophie, das den Titel „Philosophische Untersuchungen“ trägt, den Begriff der Bedeutung thematisiert, berührt oder auch bisweilen nur gestreift. So ist es nicht verwunderlich, dass unterschiedliche Interpretationen vorliegen. „Die philosophischen Bemerkungen dieses Buches“, schreibt er im Vorwort zu den „Philosophischen Untersuchungen“, „sind gleichsam eine Menge von Landschaftsskizzen, die auf diesen langen und verwickelten Fahrten entstanden sind.“4 Eine Gebrauchtstheorie kann nur das Ergebnis interpretativer und ergänzender Bemühungen sein. Solchen Bemühungen wollen wir uns nun unterziehen.



Als einschlägig wird im Allgemeinen der Paragraph 43 der „Philosophischen Untersuchungen“ angesehen, der in voller Länge wie folgt lautet:



Man kann für eine

große

 Klasse von Fällen der Benützung des Wortes ‚Bedeutung‘ – wenn auch nicht für

alle

 Fälle seiner Benützung – dieses Wort so erklären: Die Bedeutung eines Wortes ist sein GebrauchGebrauch in der Sprache.



Und die

Bedeutung

 eines Namens erklärt man manchmal dadurch, daß man auf seinen

Träger

 zeigt. (PU § 43)



Dieser Paragraph enthält zwei Fallen und einen Hinweis. Beginnen wir mit dem Hinweis. Die Bedeutung eines Namens könne man manchmal hinweisend durch Zeigen erklären, sagt Wittgenstein. Da das Problem der hinweisenden Erklärung für unsere Zwecke nur von marginalem Interesse ist, soll eine knappe Erläuterung genügen. Man könnte annehmen, und FregeFrege, dessen Schriften der frühe Wittgenstein bewundert hatte, tut dies ja auch, dass die Bedeutung eines Namens sein Träger sei. Wittgenstein distanziert sich in den „Philosophischen Untersuchungen“ von dieser Annahme. Allerdings, so konzediert er, lasse sich die Bedeutung eines Namens, oder allgemeiner eines Wortes, bisweilen erklären durch hinweisende Definition. Warum nur bisweilen? Die Antwort ist einleuchtend: Man stelle sich vor, ich wolle einem erklären, was das Wort

zwei

 bedeutet, indem ich auf zwei Nüsse zeige und sage „Das heißt ‚zwei‘“ (PU § 28). Woher soll der L