Zeichentheorie

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Man könnte also sagen: Die hinweisende Definition erklärt den Gebrauch – die Bedeutung – des Wortes, wenn es schon klar ist, welche RolleRolle das Wort in der Sprache überhaupt spielen soll. Wenn ich also weiß, daß Einer mir ein Farbwort erklären will, so wird mir die hinweisende Erklärung „Das heißt ‚Sepia‘“ zum Verständnis des Wortes helfen. (PU § 30)

Die hinweisende Definitionhinweisende Definition kann nicht am Anfang stehen, und sie ist nicht immer erfolgreich. Denn „die hinweisende Definition kann in jedem Fall so oder anders gedeutet werden“. (PU § 28)

Widmen wir uns nun den beiden Fallen. Missverständlich ist erstens die einschränkende Vorbemerkung im ersten Satz des Paragraphen 43 und zweitens das Schlüsselwort Gebrauch selbst. Beginnen wir mit der Einschränkung: Wittgensteins Explikation der Bedeutung von Bedeutung soll „für eine große Klasse von Fällen der Benützung des Wortes ‚Bedeutung‘ – wenn auch nicht für alle Fälle seiner Benützung“ gelten. Das naheliegende Missverständnis formuliert George PitcherPitcher in schöner Klarheit: „Genau das würde man von Wittgenstein erwarten: wie es viele verschiedene Sorten von SpielSpielen gibt, gibt es auch viele verschiedene Arten von Bedeutung, und nicht alle sind identisch mit dem Gebrauch des bedeutungstragenden Wortes. Es ist charakteristisch für Wittgenstein, dass er uns nicht sagt, was für Fälle er nicht unter seine allgemeine MaximeMaxime rechnen würde.“5 Das Missverständnis besagt, Wittgenstein wolle mit seiner Einschränkung zum Ausdruck bringen, dass es eine kleine Klasse von Wörtern gebe, deren Bedeutung nicht ihr Gebrauch in der Sprache sei. Wäre es dies gewesen, was er hätte sagen wollen, so hätten seine sprachlichen Fähigkeiten durchaus ausgereicht, es klar zu sagen. „Man kann für eine große Klasse von Wortbedeutungen – wenn auch nicht für alle Fälle der Bedeutungen der Wörter – das Wort Bedeutung so erklären …“ Dies hat Wittgenstein nicht gesagt. Er redet nicht von einer großen Klasse von Wortbedeutungen oder einer großen Klasse von Wörtern, sondern von einer großen Klasse von Benützungen des Wortes Bedeutung! Mit anderen Worten, er redet über die Bedeutungsvielfalt des Wortes Bedeutung. Er sagt uns, was das Wort Bedeutung bedeutet. Wir benutzen das Wort Bedeutung auf vielfaltige Weise: ‚die Bedeutung Konrad Adenauers für Deutschland‘, ‚die Bedeutung des Wortes rein für Goethes Alterswerk‘, ‚die Bedeutung des Wortes polliastre im Deutschen‘ usw. In solchen und ähnlichen Verwendungen des Wortes Bedeutung lässt es sich nicht mit „Gebrauch in der Sprache“ gleichsetzen. Die Gleichsetzung gilt nur in den bedeutungstheoretisch relevanten Fällen der Benutzung des Wortes Bedeutung: die Bedeutung des Wortes auf der Ebene der LangueLangue. Hier gilt uneingeschränkt: Die Bedeutung eines Wortes ist sein Gebrauch in der Sprache.

Damit haben wir eine Überleitung zu der zweiten Falle erreicht. Wo steht, dass sich Wittgenstein auf die Langue-Bedeutung bezieht? Will er nicht gerade den Bedeutungsbegriff flexibler machen und sagen „Je nachdem wie das Wort gebraucht wird, je nach Kontext, Situation oder Umständen kann ein Wort verschiedene Bedeutungen haben“? Gisela HarrasHarras propagiert diese These: „Dies heißt, [es] gibt […] nicht die Bedeutung eines Wortes, sondern je nach Situation und Zwecken von Sprechern jeweils verschiedene Bedeutungen. Dahinter steht zugleich die Auffassung, daß der Gebrauch von sprachlichen Ausdrücken – und damit ihre Bedeutungen – abhängig ist von den Intentionen, die Sprecher jeweils haben.“6 Befürworter wie Gegner der Wittgensteinschen Auffassung bedienen sich dieses Mißverständnisses. So warnt Derek BickertonBickerton: “But we must be careful here, or we shall fall into the trap of Wittgenstein’s […] theory of ‚meaning as use‘. This approach holds that things mean what we choose them to mean – and it is a useful gambit against naive realists who believe that language merely labels what is already there.“7 Vielfach wird diese „Bedeutungstheorie“ nachgerade als die große Errungenschaft der pragmatisch orientierten Linguistik gefeiert oder von ihren Gegnern als Argument ihrer Unangemessenheit benutzt.8Bierwisch Was spricht gegen die Interpretation, dass es nicht die Bedeutung gebe, sondern dass ein Wort je nach Kontext und Sprecherintention verschiedene Bedeutungen habe? Im Paragraphen 43 der „Philosophischen Untersuchungen“ spricht nichts gegen diese Interpretation, außer dass sie das „principle of charity“ verletzt, das Prinzip der wohlwollenden Interpretation, welches besagt: „Unterstelle deinem Gesprächspartner nicht, Unsinn sagen zu wollen.“ Wenn der Begriff der Bedeutung dazu dienen soll zu erklären, wie es dem Sprecher möglich ist, in und mit einer Sprache etwas zu meinen, so kann die Bedeutung nicht gleichgesetzt werden mit dem, was der Sprecher von Fall zu Fall meint. Wenn die Bedeutung dazu dienen soll zu verstehenverstehen, was einer in einer gegebenen Situation mit seiner ÄußerungÄußerung intendiert, so kann sie nicht situations- und intentionsabhängig konzeptualisiert werden. Wenn ich den Sprecher verstanden haben muss, um die Bedeutung seiner Wörter zu kennen, so kann die Bedeutung nichts sein, was mir beim Verstehen hilft. Was Wittgenstein unter Bedeutung versteht, soll die Basis des Verstehens sein und nicht dessen Ergebnis. Daraus folgt, dass mit dem Ausdruck Gebrauch nicht einzelne Gebrauchsinstanzen gemeint sein können, sondern nur die Gebrauchsweise in der Sprache, die Regel des Gebrauchs. Aber in der Tat hat Wittgenstein, wenn ich recht sehe, versäumt, eine terminologische Unterscheidung einzuführen, um das, was ein Wort bedeutet, klar von dem differenzieren zu können, was ein Sprecher mit einer speziellen Äußerung dieses Wortes meint. Ich werde in Kapitel 10 auf diese Unterscheidung zurückkommen und eine Terminologie vorschlagen.

Was Wittgenstein mit dem zitierten Paragraphen sagen will, ist dies: Die Bedeutung eines Wortes einer Sprache L besteht in seiner Gebrauchsweise innerhalb von L. Dies gilt für alle Wörter einer Sprache. Wenn du weißt, wie ein Wort verwendet wird, wenn du die RegelRegel seines Gebrauchs in der Sprache L kennst, weißt du alles, was es zu wissen gibt. Wenn du jemandem die Bedeutung eines Wortes beibringen willst, so bringe ihm bei, wie dieses Wort in der Sprache verwendet wird. (Du brauchst ihm dabei nichts über deine Vorstellungen oder sonst etwas über dein Innenleben zu sagen!) Manchmal, wenn schon viele Vorklärungen getroffen sind, kann auch eine hinweisende Definitionhinweisende Definition die Erklärung des Gebrauchs ersetzen.

Es ist nicht nur das Prinzip der wohlwollenden Interpretation, das zu dieser Interpretation Anlass gibt. Sie ergibt sich erstens aus dem Zusammenhang mit den übrigen Schlüsselbegriffen seiner späteren Philosophie – wie dem des Sprachspiels, der Lebensform, der Regel und der Privatsprache. Auf diese Zusammenhänge will ich hier nicht näher eingehen. Zweitens ergibt sie sich aus der Reihe zusätzlicher verstreuter Erläuterungen, Bilder und synonymer Ausdrücke:

Sagen wir: die Bedeutung eines Steines (einer Figur) ist ihre RolleRolle im SpielSpiel. (PU § 563)

Denk an die Werkzeuge in einem Werkzeugkasten: es ist da ein Hammer, eine Zange, eine Säge, ein Schraubenzieher, ein Maßstab, ein Leimtopf, Leim, Nägel und Schrauben. – So verschieden die FunktionFunktionen dieser Gegenstände, so verschieden sind die Funktionen der Wörter. (Und es gibt Ähnlichkeiten hier und dort.) (PU § 11)

Es kann nicht ein einziges Mal nur ein Mensch einer Regel gefolgt sein. Es kann nicht ein einziges Mal nur eine Mitteilung gemacht, ein Befehl gegeben, oder verstanden worden sein, etc. – Einer Regel folgen, eine Mitteilung machen, einen Befehl geben, eine Schachpartie spielen sind Gepflogenheiten (Gebräuche, Institutionen).

Einen Satz verstehenverstehen, heißt, eine Sprache verstehen. Eine Sprache verstehen, heißt, eine Technik beherrschen. (PU § 199)

Die Ausdrücke Rolle, Funktion, GepflogenheitGepflogenheit und TechnikTechnik machen hinreichend deutlich, dass Wittgenstein unter Bedeutung nicht das verstanden wissen will, was man bisweilen „Kontextbedeutung“ nennt. Im § 559 sagt er das explizit:

Man möchte etwa von der Funktion des Wortes in diesem Satz reden. Als sei der Satz ein Mechanismus, in welchem das Wort eine bestimmte Funktion habe. Aber worin besteht diese Funktion? Wie tritt sie zu Tage? Denn es ist ja nichts verborgen, wir sehen ja den ganzen Satz! Die Funktion muß sich im Laufe des Kalküls zeigen. (PU § 559)

Wenn Wittgenstein von Funktion, Rolle oder Gebrauch redet, so meint er dies bezogen auf den gesamten Kalkül, auf die gesamte Sprache. Die Bedeutung des Turms im SchachspielSchachspiel zu kennen, heißt, zu wissen, wie man mit ihm ziehen darf und wie nicht. Mehr gibt es bezüglich des Turms (oder einer beliebigen anderen Figur) nicht zu wissen. Die Bedeutung des Turms zu kennen, ist etwas anderes, als den SinnSinn eines bestimmten Zuges zu verstehen. Letzteres setzt ersteres voraus. Die Bedeutung ist nichts Geheimnisvolles, nichts Seelisches oder sonst etwas Inneres. Die Bedeutung ist eine TechnikTechnik, und genau deshalb können wir sie lehren und lernen und modifizieren. Die Theorie besagt nicht: Man muss die Bedeutung eines Wortes kennen, um es richtig gebrauchen zu können. (Man muss die Bedeutung des Turms kennen, um mit ihm richtig ziehen zu können.) Ein Wort richtig gebrauchen können, heißt, die Bedeutung kennen. Es gibt nichts „hinter“ der GebrauchsregelGebrauchsregel, das gleichsam die Korrektheit des Gebrauchs garantiert. Der Gebrauch „fließt“ nicht aus der Bedeutung, ist nicht eine Folge der Bedeutung, sondern er ist die Bedeutung.

 

Man muss aufpassen, dass man mit der Kategorie des Gebrauchs beziehungsweise der Regel des Gebrauchs nicht unter der Hand ein neues Repräsentationsverhältnis einführt: Das Wort repräsentiert nicht die Regel seines Gebrauchs; es „bedeutet“ nicht die Regel des Gebrauchs, sondern regelhafter Gebrauch macht es bedeutungsvoll.9Kutschera Das Wort verhält sich zu seiner Bedeutung nicht wie das Geld zur Kuh, die man dafür kaufen kann, sondern wie das Geld zu seinem Nutzen.10 Die Bedeutung des Wortes nein kennen, heißt zu wissen, was man mit ihm im Deutschen tun kann: etwa beipflichten auf negativ gestellte Fagen wie Gibt es in Andorra keine Universität? – Nein. Die Kenntnis der Gebrauchsregel schließt natürlich die Kenntnis der Wahrheitsbedingungen mit ein, aber sie schließt nicht-wahrheitswertrelevante Gebrauchsbedingungen nicht aus. Wahrheitsbedingungen sind Spezialfälle von Gebrauchsregeln. Pferd und Mähre mögen, um auf Freges im vorigen Kapitel zitiertes Beispiel zurückzukommen, die gleichen Wahrheitsbedingungen haben: Beide Ausdrücke können (beispielsweise) verwendet werden, um auf Huftiere einer bestimmten Gattung zu verweisen. Aber ihre sonstigen Gebrauchsbedingungen sind verschieden: Mähre wird (beispielsweise) verwendet, um eine gewisse Geringschätzung zum Ausdruck zu bringen, für Pferd gilt das nicht. Die Bedeutung eines Wortes kennen, heißt (gegebenenfalls) nicht nur wissen, welche Bedingungen ein Gegenstand erfüllen muss, damit das Wort geeignet ist, wahrheitsgemäß auf ihn applizierbar zu sein, es heißt auch zu wissen, welcher Art „Winke“, wie FregeFrege so schön sagte, man mit einem Wort geben kann. Wenn Frege schreibt: „Das Wort ‚aber‘ unterscheidet sich von ‚und‘ dadurch, daß man mit ihm andeutet, das Folgende stehe zu dem, was nach dem Vorhergehenden zu erwarten war, in einem Gegensatze“,11 so formulierte er (teilweise) die Bedeutung von aber. Denn er sagt damit: Das Wort aber wird im Deutschen dazu verwendet, das-und-das anzudeuten. Dies zu wissen heißt, die Bedeutung zu kennen.

Eine solche Bedeutungskonzeption hat allen anderen gegenüber entscheidende Vorteile:

1 Die Bedeutung ist nichts Geheimnisvolles. So wie ich den Gebrauch eines Rasierapparats oder des Turms im SchachspielSchachspiel lernen kann, und zwar ganz oder teilweise, so kann ich den Gebrauch eines Wortes lernen.

2 So wie man überprüfen kann, ob einer den Gebrauch des Turms beherrscht, kann man überprüfen, ob er die Bedeutung eines Wortes beherrscht, ohne ihm in den Kopf oder in die Seele schauen zu müssen.

3 Die Bedeutung ist kein „Teil“ des Wortes; so wenig die Gebrauchsweise ein „Teil“ meines Rasierapparats ist. Sie ist ein Aspekt des Wortes, oder allgemeiner des Zeichens.

4 Bedeutungen lassen sich formulieren, ohne seltsame Entitäten erfinden zu müssen, wie etwa semantischesemantische Merkmale, Seme und dergleichen.

5 Bedeutungen lassen sich vergleichen, untersuchen, überprüfen ohne Blick in den Kopf oder die Seele. Es genügt der Blick auf den Sprachgebrauch mit rein linguistischen Methoden: Frequenzuntersuchungen, Kommutationsproben, Implikations- und Präsuppositionstests und dergleichen.

Das Fazit ist: Bedeutungen sind nach diesem Konzept etwas sehr Handliches. Sie sind weder im Kopf noch in der Seele, und das erleichtert ihre Untersuchung enorm! “Cut the pie any way you like, ,meanings‘ just ain’t in the head!“12Putnam

Dennoch fällt es manchem schwer, zu akzeptieren, dass die Bedeutungshaftigkeit eines sprachlichen Zeichens in nichts anderem als dem regelhaften Gebrauch bestehen soll. Der Grund scheint mir der zu sein: Repräsentationistische Theorien leben stets in der tröstlichen Fiktion, einen Garanten außerhalb der Sprache selbst zu haben, der für die Richtigkeit der Verwendung eines Zeichens bürgt; sei es ein inneres Ereignis oder ein Ding der äußeren Wirklichkeit: „Wir verwenden das Wort Frustration gleich, weil wir alle die gleiche VorstellungVorstellung damit verbinden“, würde ein hartgesottener Vorstellungstheoretiker einwenden, ohne zu merken, dass sein einziges Kriterium für seine Hypothese der Gleichheit der Vorstellungen die Gleichartigkeit der Verwendungsweise ist. Wir können uns das Entstehen von Bedeutungshaftigkeit durch Entstehung von Regelhaftigkeit des Gebrauchs leicht klarmachen am Beispiel der Farbsymbolik. Betrachten wir als Beispiel zunächst schwarze Krawatten. Sie zu tragen, ist Zeichen der Trauer. Wenn wir ein Kind fragen: „Warum ist SchwarzSchwarz die Farbe der Trauer?“ so bekommen wir zur Antwort „Weil Schwarz eine traurige Farbe ist.“ Solange wir uns nicht klarmachen, dass anderswo Weiß die Farbe der Trauer ist und in der katholischen Kirche vor Ostern Violett die Farbe der Passion und Rot die Farbe der Märtyrer usw., hat diese Antwort etwas spontan Einleuchtendes. Aber sie ist von der gleichen Logik wie die These, die Schweine hießen Schweine, weil sie schmutzig seien. (AnttilaAnttila hat die Tatsache, dass wir dazu neigen, hinter den Symbolen MotiviertheitMotiviertheit zu suchen, treffend den Woodoo-Effekt der Sprache genannt.) Was Schwarz zum SymbolSymbol der Trauer macht, ist ausschließlich die Tatsache, dass das Tragen dieser Farbe hierzulande geregelt ist und darüber kollektives Wissen besteht.

Betrachten wir zur Verdeutlichung ein fiktives Beispiel der Genese der Bedeutungshaftigkeit einer Farbe in vier Phasen und nehmen wir an:

1. Ich habe eine Marotte. Immer wenn ich erkältet bin, trage ich eine gelbe Krawatte. (Dies ist noch kein Beispiel für eine RegelRegel, sondern eines für eine Regularität. Denn zum Begriff der Regel gehört es, Fehler machen zu können. Wenn ich einmal keine gelbe Krawatte trüge trotz Erkältung, könnte mir niemand den Vorwurf fehlerhaften Verhaltens machen, sondern höchsten den der Inkonsequenz. Regelhaftes Verhalten ist immer eine Sache von vielen, einer Population.)

2. Die Menschen meiner Umgebung durchschauen diese Marotte. (Damit ist meine gelbe Krawatte in gewisser Weise für die anderen ein Zeichen dafür geworden, dass ich erkältet bin. Aber es ist kein Zeichen, wie ein sprachliches Zeichen ein Zeichen ist. Auf den Unterschied werde ich in Kapitel 13 zu sprechen kommen. Die Basis der ZeichenhaftigkeitZeichenhaftigkeit ist in diesem Falle die Kenntnis einer Regelmäßgkeit; so wie mein voller Briefkasten für mich ein Zeichen dafür sein kann, dass es bereits zehn Uhr ist, nämlich dann, wenn ich weiß, dass der Postbote immer gegen zehn Uhr kommt.)

3. Die andern finden Gefallen an meiner Marotte und übernehmen sie. (Dies ist immer noch nicht der Zustand, in dem eine Regel des Gebrauchs der gelben Krawatte gilt. Es handelt sich lediglich um eine Vielzahl von Verhaltensregularitäten.)

4. Durch Beobachtungen, Gespräche, Sanktionsverhalten („Was, du trägst, obwohl du stark erkältet bist, eine grüne Krawatte?“) und dergleichen entsteht in dieser Population kollektives Wissen bezüglich dieser VerhaltensregularitätVerhaltensregularität: Jeder weiß von jedem, dass er bei Erkältung eine gelbe Krawatte trägt; und jeder weiß von jedem, dass er das von ihm selbst weiß. Damit ersteht auch eine gewisse Verhaltenserwartung auf den anderen bezogen und, resultierend daraus, eine gewisse Verhaltensverpflichtung auf sich selbst bezogen. Man trägt bei Erkältung eine gelbe Krawatte. (Damit ist aus einer individuellen Marotte eine RegelRegel entstanden. Die gelbe Krawatte ist zum Zeichen für Erkältung geworden. Nun kann nicht nur der andere erkennen, dass ich erkältet bin, sondern die Krawatte wird von nun an dazu verwendet, dem andern erkennen zu geben, dass der Krawattenträger erkältet ist. Von nun an lässt sich mit ihr auch lügen.)

Was zeigt uns dieses Beispiel? Es gehört nicht viel dazu, damit etwas bedeutungsvoll wird. Auf diese oder ähnliche Weise ist wohl die lila Latzhose zum Zeichen der Emanzipation und das lila Tuch zum Zeichen der Osterpassion geworden. Wenn ein solcher Prozess dann abgeschlossen ist und die Regelbefolgung Bestandteil der alltäglichen Lebensform geworden ist, dann geben die Kinder auf die Frage „Warum trägt man bei Erkältung eine gelbe Krawatte?“ die Antwort: „Weil Gelb so eine kranke Farbe ist.“ Und die Vorstellungstheoretiker können dann sagen: „Weil die Menschen mit Gelb die VorstellungVorstellung von Schnupfen und Erkältung verbinden, deshalb wird die gelbe Krawatte getragen, um dem andern mitzuteilen, dass man erkältet ist. Der Krawattenträger enkodiert seine Vorstellung von Erkältung in die gelbe Krawatte, und der Beobachter dekodiert sie und gelangt auf diese Weise in den Besitz der Kenntnis der Vorstellung des Krawattenträgers.“ Für Merkmalssemantiker hat Gelb von nun an die semantischen Merkmale [+ MENSCHLICH, + MÄNNLICH, + ERWACHSEN, + ERKÄLTET].

II SemantikSemantik und Kognition
7 Begriffsrealismus versus Begriffsrelativismus

Es ist nun an der Zeit, ein Zwischenresümee zu ziehen. Zwei grundlegende Zeichenauffassungen wurden einander gegenübergestellt: die repräsentationistische und die instrurnentalistische. Als Vertreter einer repräsentationistischen Zeichenauffassung wurden AristotelesAristoteles und FregeFrege vorgestellt, als Vertreter einer instrumentalistischen Auffassung PlatonPlaton und WittgensteinWittgenstein.

Die zentralen Fragen, die repräsentationistische Zeichenauffassungen zu beantworten versuchen, sind: Wofür steht ein Zeichen? Welches sind die außersprachlichen Entsprechungen der Zeichen? Dahinter steht natürlich eine ganz bestimmte Auffassung darüber, was Kommunizieren ist. Kommunizieren heißt dieser Konzeption gemäß, dem anderen Ideen, BegriffBegriffe, Konzepte u.ä. zu übermitteln, indem man ihm Stellvertreter dieser Ideen, Begriffe und/oder Konzepte anbietet: Zu meinen Ideen hast du keinen unmittelbaren Zugang, so verschaffe ich dir Zugang mittels Zeichen, die für meine Ideen stehen. In einem solchen Szenario können die an der KommunikationKommunikation beteiligten Menschen getrost aus der Betrachtung herausgehalten werden. Sie spielen für die Konzeption des Zeichenbegriffs keine wesentliche Rolle. Mit einem großen Geheimnis müssen repräsentationistische Theorien jedoch leben: Vermöge welcher Eigenschaften schaffen es die Zeichen, für die Ideen zu stehen? Die Antwort „dadurch, dass die Zeichen die Ideen symbolisieren“ ist eine Scheinantwort, denn sie lässt die analoge Frage ein zweites Mal zu.

Die Frage, die eine repräsentationistische Zeichenauffassung offenlässt, ist genau die Frage, die instrumentalistische Zeichentheorien zu beantworten bestrebt sind: Die Wörter müssen dir auf irgendeine Weise zeigen, was ich denke. Ich sage dir, was ich denke, indem ich Mittel verwende, die dir dies zeigen. Dies scheint Platons Grundidee gewesen zu sein. Die einzige Art und Weise jedoch, wie er sich vorstellen konnte, dass Wörter zeigen können, woran der Sprecher denkt, war die des AbbildAbbildens. Die Wörter, die ich verwende, sind Bilder der Dinge, an die ich denke. Auch damit ist offenbar eine ganz bestimmte Vorstellung verbunden, was es heißt, zu kommunizierenkommunizieren. Während das Grundproblem einer repräsentationistisch begründeten Kommunikationsauffassung ein Transportproblem ist – wie schaffen die Zeichen es, Ideen von A nach B zu transportieren? –, stellt sich für eine instrumentalistisch begründete Kommunikationstheorie das Grundproblem des Kommunizierens als Beeinflussungsproblem: Wie kriege ich dich dazu, zu erkennen, was ich denke, was ich von dir möchte, was du tun oder glauben sollst? Die Zeichen werden als Mittel der Beeinflussung konzipiert. Mittel der Beeinflussung sind Spezialfälle von Werkzeugen. Allerdings darf die Analogie mit den Werkzeugen, wie wir gesehen haben, nicht zu weit getrieben werden, sonst verliert die Arbitraritätsthese auf einmal ihren SinnSinn. Repräsentationistische Zeichenaufassungen sehen gemeinhin die BedeutungBedeutung eines Zeichens in dem, wofür das Zeichen steht. lnstrumentalistische Zeichentheorien sehen die Bedeutung des Zeichens in dem, was es zu Zeichen macht. Die beiden Fragen, wofür ein Zeichen steht und was ein Zeichen zu einem Zeichen macht, sind nicht äquivalent. Was ein sprachliches Zeichen zeichenhaft macht, ist die Tatsache, dass ein geregelter GebrauchGebrauch ihm kommunikative FunktionFunktion verleiht. Es spielt eine RolleRolle im SpielSpiel des Kommunizierens. Dies ist, auf einen kurzen Nenner gebracht, die Zeichenauffassung WittgensteinWittgensteins. „Wenn wir[…] irgendetwas, das das Leben eines Zeichens ausmacht, benennen sollten, so würden wir sagen müssen, daß es sein Gebrauch ist.“1 Stellen wir uns vor, wir wollten ein Brettspiel erfinden, das mit verschiedenfarbigen Knöpfen gespielt wird. Wenn wir versäumen, den roten Knöpfen Spielregeln zuzuweisen, bleiben sie Knöpfe. Erst und ausschließlich die Spielregeln machen sie zu Figuren mit Funktion im Spiel. Zeichen sind Figuren im Spiel der Kommunikation.

 

Erinnern wir uns an das zum Ende des Kapitels 5 Gesagte: Um den Fregeschen Sinn zu kennen, muss man das kennen, was Frege „InhaltInhalt“ nennt, und wissen, was daran wahrheitswertfunktional relevant ist. Was es heißt, den Inhalt eines sprachlichen Ausdrucks zu kennen, darüber hat sich Frege nicht ausgelassen. Vermutlich hätte er auf die Frage, was es heißt, den InhaltInhalt eines sprachlichen Ausdrucks zu kennen, nicht geantwortet: Das heißt zu wissen, wie er in der Sprache gebraucht wird. Aber unabhängig davon, ob Frege diese Antwort gegeben hätte oder nicht, ist dies die angemessene Antwort, und sie steht, wenn ich recht sehe, zu nichts, was Frege gesagt hat, im Widerspruch. Den Fregeschen SinnSinn eines Ausdrucks kennen, heißt, die RegelRegel des Gebrauchs des Ausdrucks kennen und wissen, welche Gebrauchsbedingungen davon die wahrheitsfunktional relevanten Gebrauchsbedingungen sind. Wenn wir Abhandlungen lesen, die einen Überblick über verschiedene Bedeutungstheorien2Alston geben, so müssen wir stets den Eindruck gewinnen, dass eine repräsentationistische Theorie und die GebrauchstheorieGebrauchstheorie alternative Theorien seien, die sich gegenseitig ausschlössen. Das ist jedoch nicht der Fall! Es handelt sich um unterschiedliche Antworten auf unterschiedliche Fragen, die unabhängig voneinander angemessen oder unangemessen sein können. Beide Fragestellungen haben ihre Berechtigung und sind miteinander kompatibel. Die Frage des Bezugs zur Welt, sei es zur Welt der Dinge oder zur Welt der kognitiven Einheiten, ist ebenso berechtigt wie die Frage, auf welche Weise eine solcher Bezug, wenn er denn vorhanden ist, zustande kommt.

Platon ließ seinen Sokrates sagen, die Sprache diene zum Belehren, zum Sondern und Benennen. Mit etwas gutem Willen lässt sich dies „übersetzen“ in Kommunikation, Klassifikation und RepräsentationRepräsentation. Den kommunikativen Aspekt der Sprache und den repräsentativen haben wir nun erörtert. Worin besteht der klassifikatorische? Man kann – grob gesprochen – zwei Thesen unterscheiden, die beide Kinder mit Bädern ausschütten. Die naiv realistische These besagt: Die Dinge sind so, wie sie sind, „bei allen Menschen dieselben“, wie Aristoteles sagte, und die Sprache dient lediglich der AbbildAbbildung. Dieser Theorie gemäß kommt der Sprache eigentlich keine klassifikatorische FunktionFunktion zu. Die Welt trägt ihre KlassifikationKlassifikation bereits in sich. PlatonPlaton scheint eine „Zwischenlösung“ zu präferieren: Die Dinge sind so, wie sie sind, aber wenn der kluge Wortbildner die Wörter nicht mit natürlicher Richtigkeit ausgestatten hätte, sodass sie die natürlichen KategorieKategorien auch korrekt wiedergeben, bekämen wir wohl einen falschen Eindruck von der Beschaffenheit der Dinge dieser Welt.

Die komplementäre Auffassung ist ebenso naiv. Man könnte sie den naiven Relativismus nennen. Sie lässt sich in etwa wie folgt formulieren: Wir sehen die Welt ausschließlich durch die Brille unserer Sprache. Die Realität ist „immer schon“ eine sprachlich vermittelte. Die Frage, ob es die Kategorien, die wir durch unsere Sprache wahrnehmen, wirklich gibt, ist unangemessen. Denn jede Antwort, die wir geben können, können wir nur wieder in einer Sprache geben, in der Kategorien vorgegeben sind.

Wer hat recht? Vertreter der zweiten Klasse von Theorien würden natürlich auch diese Frage als naiv ablehnen: Da unsere Welt „immer schon“ eine sprachlich vermittelte ist, trifft dies auch auf die Kategorien zu, mit denen wir diese Frage diskutieren. Wenn also der naive Relativismus wahr ist, ist er unbestreitbar. Das allerdings macht diese Theorie nicht stärker. Beide Ansichten sind, wenn sie fundamentalistisch vorgetragen werden, unangemessen, aber beide haben auch einen wahren Kern. Diesen herauszufinden ist eine empirische Aufgabe, der man sich durch Sprachvergleich, durch wahmehmungspsychologische Tests sowie durch sprachhistorische Überlegungen nähern kann.

Das wurde verschiedentlich getan.3 Am bekanntesten sind vielleicht die Untersuchungen von BerlinBerlin und KayKay4Berlin sowie Kay und McDaniel5 zu den Farbkategorien geworden. Diese Untersuchungen haben gezeigt, dass die Farbkategorien, die durch die Grundfarbwörter einer Sprache vorgegeben sind, in Art und Anzahl erheblich variieren können, dass es aber dennoch Gemeinsamkeiten gibt. Sprecher unterschiedlicher Muttersprachen geben ungeachtet der Farbkategorisierungen, die in ihrer Sprache vorgegeben sind, erstaunlich übereinstimmende Urteile darüber ab, was jeweils ein typischer Vertreter einer bestimmten Farbkategorie ist. Die Übereinstimmungen sind offenbar durch die Physiologie menschlicher Farbwahrnehmung bestimmt. Es gibt Farben, die „in die Augen springen“.

Auch die Untersuchungen zu den sogenannten basic-level categoriesbasic-level categories6BrownLakoff – auf deutsch könnte man sie Grundkategorien nennen – machen deutlich, dass es bei allen sprachspezifischen Unterschieden der Kategorienbildung universale Tendenzen gibt. Wenn wir uns Kategorienhierarchien ansehen, wie z.B. ‚Rauhaardackel‘, ‚Dackel‘, ‚Hund‘,‚Haustier‘, ‚Säugetier‘, ‚Lebewesen‘ oder ‚Ulme‘, ‚Baum‘, ‚Laubbaum‘, ‚Pflanze‘, ‚Lebewesen‘ oder ‚Zimmermannshammer‘, ‚Hammer‘, ‚Werkzeug‘, so zeigen sprach- und kulturvergleichende Untersuchungen, dass jeweils eine Kategorie der mittleren Ebene als die zentrale angesehen wird: in unserem Falle ‚Hund‘, ‚Baum‘ und ‚Hammer‘. Kinder lernen diese Wörter früher als die anderen, und wenn eine Sprache nicht über sprachliche Zeichen für alle die Kategorienstufen verfügt, so doch immer am ehesten für die GrundkategorieGrundkategorie.

Beide Beispiele, das der Farbkategorien wie das der basic-level Kategorienbasic-level categories, machen deutlich, dass die Kategorisierungen einerseits von Sprache zu Sprache in Art und Anzahl zwar erheblich variieren können, aber andererseits nicht ganz beliebig zu sein scheinen. Das kann verschiedene Gründe haben. Zum einen können Aspekte der Biologie des Menschen unmittelbar eine Rolle spielen, wie beispielsweise die Neurophysiologie der menschlichen Farbwahrnehmung, zum andern können Gemeinsamkeiten menschlichen Umgangs mit der Welt dafür verantwortlich sein. Menschen haben bei allen kulturellen Verschiedenheiten gemeinsame Wünsche, gemeinsame Bedürfnisse und gemeinsame Probleme zu lösen. Dies schlägt sich in der Sprache und ihren Kategorisierungen ebenso nieder wie ihre kulturspezifischen Besonderheiten. Die Kategorien ‚Baum‘, ‚Hund‘ und ‚Hammer‘ betreffen unser Leben unmittelbarer als etwa ‚Pflanze‘, ‚Säugetier‘ und ‚Werkzeug‘. Wenn wir in einem Spiel vor die Aufgabe gestellt würden, Kategorien pantomimisch darzustellen, fiele uns die Darstellung von ‚Hammer‘, ‚Hund‘ und ‚Baum‘ erheblich leichter als die Darstellung von ‚Zimmermannshammer‘, ‚Dackel‘ und ‚Eiche‘ oder von ‚Werkzeug‘ ‚Tier‘ und ‚Pflanze‘. Es ist gleichsam die mittlere Ebene der Relevanz zwischen begriffBegrifflicher Mikroskopie und Makroskopie. Unsere Kategorien sind interaktiver Natur. Sie sind Ergebnisse soziokultureller EvolutionEvolution. Die Entwicklung der Sprache ist ein Teil und ein Spezialfall derselben. „The categories into which we divide nature are not in nature, they emerge solely through the interaction between nature and ourselves“, schreibt Derek BickertonBickerton.7 Es ist ein konstitutives Merkmal (wenn auch kein notwendiges) evolutionärer Prozesse, adaptiv zu sein. Dies gilt auch für Prozesse sprachlicher Evolution. Sprachliche Ausdrücke – und mit ihnen die durch sie erzeugten begrifflichen Kategorien –, die sich im Zuge unserer praktischen, geistigen und kommunikativen Auseinandersetzung mit der Realität als im weitesten Sinne geeigneter erweisen als potentielle Alternativen, werden mit höherer Wahrscheinlichkeit beibehalten, d.h. weiterverwendet und somit gelehrt und gelernt, als die weniger tauglichen. Informationen über die Realität werden so von Generationen von Sprachbenutzern gleichsam in die Sprache eingebaut.