Die Chroniken der drei Kriege

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Loe katkendit
Märgi loetuks
Kuidas lugeda raamatut pärast ostmist
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

›Wären mir diese Bedingungen klar gewesen, als ich hierherkam‹, dachte er, ›hätte ich mir dann die Krone auf den Kopf setzen lassen?‹

Ja, das hätte er. Er hatte noch viel schlimmere Wahrheiten gekannt als diese und hatte zugelassen, dass man ihn krönte. Jetzt musste er zusehen, wie er damit fertigwurde – wenn möglich, ohne umgebracht zu werden.

Die Diener kamen, um ihn ins Badezimmer zu führen, wobei sich ihnen unterwegs zwei Palastkrieger anschlossen; die hochgewachsenen, in schwarzsilberne Uniformen gekleideten Soldaten bereiteten Kirin immer noch Unbehagen, doch da Kirin ihren letzten Herrn in einem ehrenvollen Kampf besiegt hatte, war er in ihren Augen ein größerer Kämpfer als Galihl es gewesen war, und nach arachinischer Sitte mussten sie ihm dafür Respekt zollen. Außerdem war er für sie Bluterbe des Hauses Phalaér, was sie zu unbedingter Treue verpflichtete.

Offiziell zumindest hieß es so; Kirin war sich bewusst, dass viele der ‹Windreiter’ genannten Soldaten Galihl verehrt hatten, und ihm war auch klar, dass in dieser Hinsicht früher oder später Schwierigkeiten auf ihn zukommen würden, welcher Art auch immer. Diese Krieger jedoch, die jetzt seine Leibwache bildeten, waren von seinem Mitstreiter und persönlichen Freund Rhùk ausgewählt worden, und daher war auch er entschlossen, ihnen zu vertrauen.

Der einstige Windreiter und Überläufer Rhùk vertraute praktisch niemandem außer seinen eigenen Schwertern, und dass er diese Männer und Frauen ausgewählt hatte, über Kirins Leben zu wachen, hieß eine ganze Menge.

Zu Kirins Erstaunen war auch Asusza unter ihnen, eine Verwandte des ehemaligen Großfürsten und einer seiner obersten Generäle. Er erinnerte sich daran, Rhùk nach den Gründen für diese Ernennung gefragt zu haben. Dieser hatte erwidert: »Die Herrin Asusza dient dem Land und ihren Waffengefährten – sie ist den Ehrenverpflichtungen eines Windreiters unterworfen und wird sie nicht brechen. Das ist auch der Grund, warum Galihl sie am Leben gelassen hat, als er daran gegangen ist, den ganzen Rest seiner Verwandtschaft auszulöschen.«

Mittlerweile hatte Kirin sich daran gewöhnt, Frauen in Rüstungen zu sehen, weil diese Eigenheit zur Kultur Aracanons gehörte – aber Asusza war noch immer etwas Besonderes: Einen Meter neunzig groß, überragte sie Kirin um fast einen Kopf. Dazu war sie wahrscheinlich doppelt so schwer wie er und hatte Muskelpakete, die viele ihrer Waffenbrüder schwächlich aussehen ließen. Als Kirin ihr – wie allen anderen Windreitern Nardéz‹, die sich nach der Niederlage im Thronsaal versammelt hatten – den Treueeid abgenommen hatte, hatte sie sich mit ihrer massigen Faust auf die Brust geschlagen und verkündet: »Ich schwöre, Eurem Befehl zu gehorchen und an Eurer Seite und um Euer Leben zu kämpfen bis ich sterbe.« Das todernste Gesicht, das sie dazu gemacht hatte, hatte nichts über ihre wahren Gefühle verraten, geschweige denn, wie sie darüber dachte, dass Kirin gerade ihren Cousin getötet hatte. Kirin hatte Galihl im Kampf besiegt und war jetzt Großfürst, das war alles, was Asusza wissen musste.

Kirin betrat das Badezimmer, gerade als einer der Diener die Schleuse öffnete und heißes Wasser in die im Boden eingelassene Steinwanne laufen ließ. Ganz Aracanon war durchzogen von Adern heißen Wassers, das von den Vulkanen im Süden des Reiches herrührte. Geschickte Architekten und Gelehrte hatten es in die Häuser geleitet, sodass die Anwesen der Reichen ständig mit warmem Wasser versorgt wurden. Im Winter, so hatte man Kirin versichert, seien kaum Feuer nötig, um die Zimmer zu wärmen, weil das heiße Wasser in den Wänden und Böden die Räume aufheizte. Seufzend ließ sich Kirin in die Wanne gleiten und schloss die Augen. Das Wasser war zu heiß und verbrühte ihm fast die Haut, aber es war ihm gleich; es brannte die Kälte aus ihm heraus, die sich wie eine Faust um sein Herz geschlossen hatte. Obwohl er wusste, dass er sich beeilen sollte, ließ er sich Zeit mit dem Bad und kam erst heraus, als seine Finger schrumpelig wurden.

Der Diener, der ihm das Wasser eingelassen hatte, kam ihm entgegengeeilt, um ihm einen Mantel umzulegen. Kirin musterte die silbernen Stickereien auf dem orangen Tuch, das der Junge trug, und wieder zog sich sein Magen zusammen; ›Sklaven‹, dachte er. ›Nicht Diener, Sklaven.‹

Die Arachinen hielten seit hunderten von Jahren Sklaven, ebenso wie ihre Nachbarländer und der frühere Sitz der Großkönige, Fallonia, doch er, der im freien Norden des Kontinents aufgewachsen war, konnte und wollte sich nicht an diesen Gedanken gewöhnen. Besonders nicht, wenn er an Szarell dachte und daran, was mit ihr geschehen war. Diese Menschen waren Spielzeuge für ihre Herren, nichts weiter. Und wie sehr sie ihrem Willen unterworfen waren, das hatte sich ihm nach der Einnahme von Nardéz erst richtig gezeigt: Hunderte Palastsklaven hatte man tot aufgefunden, mit aufgeschnittenen Kehlen, hingerichtet wie Schlachtvieh. Vielleicht hatte man sie daran hindern wollen zu fliehen oder wollte einfach dafür sorgen, dass kein anderer in ihren Besitz kam. Noch immer waren jedoch genug übrig, um den Palastbetrieb in Gang zu halten, und wenn Kirin es, was allerdings nur selten vorkam, über sich brachte, sich ihre Gesichter genauer anzusehen, bemerkte er dort nie Wut oder Traurigkeit. Kirin aber erinnerte sich zu gut daran, wie die Arachinen ihr eigenes Volk zur Perfektion und vollkommenen Beherrschung erzogen, um zu glauben, dass das, was er sah, der Wahrheit entsprach. Diese Leute hatten gelernt, widerspruchslos zu gehorchen und ihre Emotionen zu verbergen, das war alles.

»Danke, du brauchst das nicht zu machen«, wiegelte er den Versuch des Sklavenjungen ab, ihn mit einem Handtuch trocken zu reiben. »Ich kann mich schon selbst fertigmachen. Du kannst gehen, wenn du willst.«

Der Junge erwiderte seinen Blick, und in diesem einen Moment sah Kirin das erste echte Anzeichen von Gefühl: Blanke Verwunderung, vermischt mit Entsetzen.

›Er denkt, es ist ein Trick‹, vermutete Kirin und zwang sich zu einem Lächeln. ›Irgendeine gemeine Falle, um ihn dazu zu bringen, einen Fehler zu machen, für den er bestraft wird.‹

»Du hast das sehr gut gemacht, aber ich brauche deine Hilfe nicht mehr. Du kannst dich ausruhen gehen.«

Sofern das möglich war, wurde durch diese Worte die Angst in den Augen des Jungen nur noch grösser. Dennoch verbeugte er sich und ging rückwärts aus dem Raum, ohne Kirin aus den Augen zu lassen, als hätte er Angst, von hinten angesprungen zu werden.

Frustriert zog sich Kirin die schwarze Rüstung über, die Aderuz für ihn herausgesucht hatte. Als er seine Herrschaft als Großfürst angetreten hatte, hatte er den Befehl erlassen, sämtliche Sklaven Aracanons freizulassen, was nichts anderes hieß, als dass er nach nur zehn Tagen Herrschaft bereits deutlich die Grenzen seiner Verfügungsgewalt aufgezeigt bekommen hatte. Aderuz hatte ihn zur Seite genommen und ihm in einem sehr langen Gespräch erklärt, was für Folgen ein solcher Befehl haben würde: Eine Massenrevolte unter den Vermögenden, Hungersnöte, Aufstände, randalierende, zügellose Massen auf der Suche nach Rache für Jahre und Jahre der Unterdrückung. Er hatte ihm ans Herz gelegt, ›die Zügel langsam zu lockern‹, denn: »Auch das fügsamste Pferd wird durchbrennen, wenn es in einem unbekannten Wald steht und die Kontrolle seines Herrn nicht mehr spürt.«

Kirin war Herr über das größte und mächtigste Reich des Kontinents geworden, und nie hatte er sich machtloser gefühlt. Allerdings befürchtete er, dass sich das am heutigen Tag ändern würde; eine Audienz stand ihm bevor, bei der er Bittsteller und Gesandte anhören und Recht sprechen sollte, und davor graute ihm.

Ein leises Klopfen an der Tür riss ihn aus seinen Gedanken; auf seinen Ruf hin öffneten sich die Türflügel und ein Mann trat ein, dessen Anblick das erste echte Lächeln an diesem Tag auf Kirins Gesicht zauberte.

»Exzellenz, seid Ihr fertig?« Der Teint des Eintretenden war so dunkel wie der der Arachinen, doch seine Augen waren grösser und runder und außerdem von einer leuchtend türkisblauen Farbe, sodass sie wirkten wie Halbedelsteine. Sein lockiges schwarzes Haar trug er in einem dicken Zopf, der ihm über seine Rüstung mit dem grüngoldenen Waffenrock fiel, und auf der Schnalle seines prächtigen Schwertgurtes präsentierten sich drei dunkelrote Türme mit goldenen Dächern. Diese Schnalle verkündete, dass er seine Ausbildung an der Militärakademie in Semja absolviert hatte, das Grün und Gold seiner Rüstung jedoch wies ihn als Sohn der Òrrowe-Inseln aus. Sein Name war Larniax, und er war gemeinsam mit vielen seiner Waffengefährten direkt von der Akademie in dieses Land gekommen, als die Kämpfe gegen Galihl in vollem Gange waren. Sesko Nàym, der Kirin während der Unruhen jener Zeit ein guter Freund geworden war, hatte ihn persönlich als Kirins Leibwächter und strategischen Berater ausgewählt, und ihm unterstand auch eine gute Hundertschaft aus ostländischen Kriegern und Beamten, die ihren Sitz im Fürstenpalast genommen hatte, nachdem der Rest der siegreichen Armee nach und nach abgezogen war.

Larniax war von seiner Familie an die Akademie geschickt worden, als er noch ein Kind gewesen war, und hatte dann aus der Ferne zusehen müssen, wie sie alle einer nach dem anderen von einem schrecklichen Fieber dahingerafft worden waren. Kirin erinnerte sich deutlich an den Ausdruck in Seskos Augen, als dieser ihm davon erzählt hatte. »So schrecklich diese Geschichte für Larniax auch war, es macht ihn zu einem idealen Verbündeten; er kann sich selbst nur dienen, wenn er euch hilft, und hat keine Verwandten, die ihn von außen lenken oder versuchen könnten, Einfluss auf Euch zu nehmen. Er ist ein loyaler Gefährte und äußerst klug. Ihm könnt Ihr vertrauen.« Kirin hatte diesen Ratschlag bisher beherzigt und noch keinen Grund gehabt, ihn zu bereuen; Larniax war stets offen zu ihm gewesen, auch wenn seine eigene Meinung von der Kirins abwich, und hatte es sehr schnell geschafft, gemeinsam mit den verbliebenen Windreitergenerälen die Ordnung in der Stadt wiederherzustellen.

 

»Soweit man davon reden kann, bin ich es, ja.« Noch einmal strich sich Kirin übers Haar und schnallte sich dann seine Schwerter um; es waren elegante, leicht gebogene Einhänderklingen wie sie die Arachinen trugen, und wurden in Tragegurten am Rücken befestigt. Nachdem er die Riemen zugeschnallt hatte, nahm er sie einzeln heraus und betrachtete sie im aufgehenden Licht der Sonne: Herrliche Schwerter waren es, wenn auch ursprünglich nicht für ihn selbst hergestellt. Die Klinge, die er für gewöhnlich mit der linken Hand führte, hatte einst einem Windreiter gehört, den Rhùk auf Nardéz‹ Straßen getötet hatte, um Kirin das Leben zu retten. Er hatte die Gravur darauf entfernen lassen, die ihre Verbindung mit ihrem früheren Herrn betonte, sie jedoch bisher durch keine andere ersetzt. Das andere Schwert war einst unter dem Namen ›Nàrdarells Schatten‹ bekannt und gefürchtet gewesen und hatte Galihl Phalaér gehört. Kirin hatte den Auftrag gegeben, es umschmelzen und neu schmieden zu lassen, eine Anweisung, die dem verantwortlichen Schmied die Tränen in die Augen getrieben hatte. Doch das Schwert, das aus seiner Hand erstanden war, stand nach Kirins Meinung seinem Vorgänger in Punkto Schönheit, Schärfe und Balance um nichts nach, also hatte er keinen Anlass, den Verlust des berühmten Schwertes zu bedauern. Noch trug keines der Schwerter einen Namen, und Kirin hatte auch herzlich wenig Lust, sich einen auszudenken, wenn er sich doch so wenig tapfer und heldenhaft fühlte. Er seufzte, steckte die Schwerter weg und folgte Larniax zur Tür. Gemeinsam gingen sie einen langen, ganz mit schwarzem Marmor ausgekleideten Gang entlang, in dem überall Windreiter postiert waren. Larniax hatte zunächst überlegt, ob er die Präsenz der ostländischen Soldaten unter der Palastwache verstärken sollte, doch Aderuz hatte davon abgeraten, um die Arachinen nicht unnötig zu reizen. Kirin musste dem zustimmen; von seiner Bekanntschaft mit Rhùk wusste er nur zu gut, wie empfindlich Windreiter auf ausländische Soldaten reagierten.

»Ihr seht müde aus«, bemerkte Larniax und musterte ihn aus den Augenwinkeln.

Kirin ruckte mit dem Kopf. »Ich habe geträumt.«

»Albträume?« Larniax hob neugierig die Augenbrauen.

»Ich weiß es nicht genau. Ich kann mich nur noch an wenig erinnern … eine Krähe ist darin vorgekommen, und ein Baum … Aber mehr weiß ich nicht mehr.«

»Von Krähen zu träumen ist normal, wenn der Tod einem so nahe war«, sagte Larniax. »Soll ich den Heiler bitten, nach einem Traumdeuter zu schicken? Die Leute hier glauben an die Bedeutung von Träumen, so hörte ich. Fast so wie in meiner Heimat, wo es eigens Tempel gibt, wo man hingehen und sich Rat holen kann.«

Kirin musste unwillkürlich grinsen. »Traumdeutertempel? Und was erzählen die einem, wenn man von Brot geträumt hat?«

Larniax schmunzelte ebenfalls. »Dass einem in Kürze Flügel wachsen und man ein Huhn wird, wahrscheinlich. Ich muss gestehen, ich habe mich nie ernsthaft für solche Dinge interessieren können.«

»Ich auch nicht. Ich habe genug damit zu tun, was im wachen Zustand um mich herum passiert.«

Larniax lachte auf, und einen Moment später passierten sie die hohen schwarzen Flügeltüren zum Thronsaal. Es war einer der größten Räume im ganzen Palast, und auch er war fast vollständig aus schwarzem Marmorgestein erbaut. Er war hoch wie eine Kathedrale, und bunte Glasfenster brachen das Sonnenlicht, ehe es hereinflutete, und zauberten düstere Muster auf Boden und Wände. Kirins Eingeweide zogen sich unwillkürlich zusammen; an diesem Ort war viel Böses geschehen. Er war hier beinahe gestorben, hatte Rhùk scheinbar tödlich verwundet zu Boden sinken sehen und schließlich Galihl zu Füßen des Fürstenthrones getötet, und was heute auf ihn zukam, würde wahrscheinlich nicht dazu beitragen, dass er den Raum mit positiveren Gefühlen verband.

Eine Wache an der Tür stieß zweimal mit der Lanze auf den Boden.

»Kniet nieder für den Großfürsten!«, hallte der Befehl laut und klar durch den Raum. Alle Menschen, die sich dicht an dicht zwischen den Säulen drängten, sanken in die Knie, als Kirin vorbeiging, und wie immer musste er gegen den instinktiven Drang ankämpfen, es ihnen gleichzutun. Er schritt an Larniax‹ Seite durch den Raum auf den Thron zu, den er seit dem Tag seiner Krönung aufs heftigste gemieden hatte, und ließ sich auch jetzt nur widerstrebend darauf nieder. Ihm war, als drückten sich Rücken- und Armlehnen wie Schwerter in seine Haut.

Larniax stellte sich schweigend hinter dem Thron auf, Seite an Seite mit Asusza, die auch ihn um einen halben Kopf überragte.

Kirin holte tief Luft und hob die Hand zum Zeichen, dass sich alle wieder erheben durften. Die Menge gehorchte, und einen Augenblick musterte Kirin die vielen Gesichter, von denen manche aufgeregt, andere anklagend und wieder andere gleichgültig wirkten. Einige Leute trugen teure Kleider und Schmuck und sahen nach Hofschranzen aus, andere wiederum wirkten abgerissen und gezeichnet. Wer waren all diese Menschen, fragte er sich, und was führte sie hierher? Waren sie Freunde oder Feinde? Abwartend drehte er sich nach links, wo er, wie er wusste, Aderuz hinter dem Fürstensessel stehend finden würde. Der Heiler trat vor, eine Rolle Pergament in den Händen.

»Seine Exzellenz der Großfürst gewährt heute die Gunst einer Audienz«, verkündete der Heiler. »Als erster der Erwarteten möge vorsprechen Armész Ferumér, Waffenhändler und Gildenmeister der Schmiedekünstler.«

Ein ungemein fetter, schwarzbärtiger Mann trat vor, in kostbare Gewänder gekleidet und nach Tradition der wohlhabenden Bürger von Nardéz einen breiten, kunstvoll verzierten Gürtel um den gewaltigen Bauch tragend, der dermaßen mit Juwelen und anderem Zierrat überwuchert war, dass es unmöglich war, das Leder darunter zu erkennen. Sein Haar und sein Bart glänzten, als wären sie mit kostbaren Ölen behandelt worden, und an den Spitzen hatte er goldene Spangen eingeflochten. Mit großem Getue verbeugte er sich vor Kirin und spreizte dabei geziert seine Finger ab, sodass man jeden einzelnen seiner mit protzigen Steinen besetzten Ringe sehen konnte.

»Eure Exzellenz«, begann er mit einer nasalen Säuselstimme, die Kirin ein Schaudern verursachte, »welch unermessliche Ehre, dem Sprössling des großen Hauses Phalaér leibhaftig gegenüber zu stehen. Euer Vater gab dem einfachen Volk nur selten Gelegenheit, sich im Glanz seiner Anwesenheit zu sonnen, und am allerwenigsten einem verarmten kleinen Kaufmann wie mir. Doch Seine Exzellenz wusste um die Qualität guten Stahls und auch, wo es ihn zu kaufen gab, und seine Händler gingen oft bei mir ein und aus. Lasst mich in tiefster Demut die Hoffnung ausdrücken, dass auch Eure Exzellenz sich zu gegebener Zeit mit Wohlwollen mein Sortiment ansehen wird.«

Der Mann schielte unter seinen fein gestutzten Augenbrauen zu Kirin hoch, und dieser musste unwillkürlich an eine Kröte denken, kurz bevor sie mit ihrer schleimigen Zunge eine Fliege einfängt.

»Das werde ich sicher, Herr Ferumér, auch wenn ich hoffe, dass dieses Land nicht mehr allzu oft auf die Dienste Eurer Zunft angewiesen sein wird.«

»Gewiss, Exzellenz, das hoffen wir alle.« Erneut diese lächerliche Verbeugung. »Einen Mann des Friedens auf dem Thron zu wissen, ist für einen einfachen, friedliebenden Kaufmann wie mich eine beruhigende Gewissheit, denn sie lässt mich in der Nacht ruhig und mit unverschlossenen Türen schlafen.«

›Ganz bestimmt‹, dachte Kirin bei sich, ›denn wenn er keine Waffen mehr verkaufen kann, hat er auch kein Gold mehr zu Hause, das er mit seinen Schlössern schützen muss.‹

»War die Bestätigung dieser Hoffnung alles, was Ihr von Eurer Audienz erhofft habt, oder kann ich sonst noch etwas für Euch tun, Gildenmeister?«

Hätte Kirin die Wahl gehabt, hätte er diese Worte nicht gesprochen, vor allem nicht, als er das Lächeln sah, das sich als Antwort darauf auf Armész Ferumérs Gesicht ausbreitete.

»Nun, da wäre in der Tat noch eine Kleinigkeit, Exzellenz. Ein winziges Problem freilich, von dem ich gehofft hatte, dass Exzellenz mir bei der Beilegung helfen würden.«

»Ein Problem?« Kirins Augenbrauen zogen sich zusammen. »Was für ein Problem?«

Der fette Mann winkte nachlässig mit der Hand, woraufhin zwei in orange Togen gekleidete Sklaven nach vorne geeilt kamen, der eine davon mehrere Schriftrollen tragend, der andere eine kleine Truhe. Auf Ferumérs Zeichen hin öffnete der zweite Sklave die Truhe und kippte ihren Inhalt auf den Boden; klirrend fielen einige verdrehte, geschmolzene Metallstücke heraus und verstreuten sich auf dem dunklen Marmor.

»Was ist das?«, wollte Kirin wissen; aus den Augenwinkeln sah er, wie Aderuz‹ Gesicht sich verfinsterte.

»Das, Eure Exzellenz, ist ein symbolisches Bild dessen, was mit dem Großteil meines Waffenbestandes passiert ist, nachdem Eure Exzellenz mit der ostländischen Armee hier in der Stadt eingefallen ist. Die senoischen Abgesandten, die Euer Vater wohlweislich in meiner Obhut unterbrachte, entpuppten sich wie bereits bekannt als Eure Verbündeten und zögerten nicht, mein Lager in Brand zu stecken, ehe ich oder eine meiner Wachen reagieren konnte. Das strategische Genie Eurer Exzellenz in allen Ehren, stehe ich nun da ohne Stahl, ohne Waffen, ohne meinen Broterwerb. Gewiss ist Eure Exzellenz weit klüger als ich und kann mir daher vielleicht die Frage beantworten, wie ein armer alter Mann wie ich unter diesen Umständen für seinen Lebensunterhalt sorgen soll?«

›Indem Ihr als erstes Eure idiotischen Ringe und Glitzersteinchen verkauft‹, sah Kirin sich versucht zu sagen, hielt aber im letzten Augenblick seine Zunge im Zaum. Armész Ferumér machte auf ihn alles andere als den Eindruck eines Mannes, der in Kürze am Hungertuch nagen musste, aber wenn er bereits in seiner ersten öffentlichen Audienz den Fehler machte, einflussreiche Persönlichkeiten zu beleidigen, indem er ihre Anliegen lächerlich machte, würde er sich damit keinen Gefallen tun.

Er räusperte sich. »Euer Verlust ist sehr bedauerlich, aber sicher werdet Ihr begreifen, dass er ein notwendiges Opfer war, um den Frieden zu gewinnen, an dem Euch Euren eigenen Worten zufolge so viel gelegen ist.«

Der Waffenhändler legte die Finger aneinander, wobei die Steine an seinen Fingern erneut aufblitzten, »Gewiss, Exzellenz. Aber seht, in Zeiten des Friedens blüht für gewöhnlich der Handel. Doch womit soll ich handeln, wenn doch Eure Freunde alles, was ich zu diesem Zwecke besaß, zerstört haben? Soll mir denn abgesehen von der Freude, mich an der Herrlichkeit Eurer Gegenwart zu weiden, nicht auch das Glück vergönnt sein, an dem vielversprechenden Los teilzuhaben, das Ihr in Eurer Größe und Güte für uns als Euer ergebenes und liebendes Volk vorgesehen hattet?«

Kirin tauschte mit Aderuz einen Blick. Der Heiler trat einen Schritt vor und musterte Ferumér intensiv. »Auf wie viel belaufen sich Eure Forderungen, Gildenmeister?«

Als ob er nichts anderes erwartet hätte, zitierte Armész Ferumér mit einem Fingerschnippen den anderen Sklaven herbei, aus dessen Armvoll Pergament er scheinbar wahllos eine Rolle herauspickte. »Ich habe mir erlaubt, hier eine Auflistung all meiner Verluste zu erstellen. Der Heiler Seiner Exzellenz mag diese prüfen und mit meinen Ankauf- und Verkaufslisten abgleichen, um ihren Wahrheitsgehalt nachzuweisen.«

Aderuz nahm dem Waffenhändler die Liste ab und warf einen kurzen Blick darauf. Kirin konnte sehen, wie sich seine Augen weiteten.

»Einhunderttausend Goldstücke? Seid Ihr des Wahnsinns, Ferumér?«

Der Waffenmeister lächelte still sein selbstzufriedenes Lächeln. »Wie Ihr wisst, Meister Aderuz, bin und war ich stets der begehrteste und gefragteste Lieferant meines Berufsstandes. Bis weit über die Landesgrenzen hinaus geht die Kunde über die Qualität meiner Waffen – selbst die Klingen der hohen Generäle sind durch meine Schmieden gegangen. Hervorragende Ware verlangt eben einen hohen Preis.«

»Und diesen Preis«, sagte Kirin, der Aderuz die Rolle aus der Hand genommen und sie selbst überflogen hatte, »soll ich bezahlen, ist es das, was Ihr sagen wollt, Waffenhändler?«

Armész Ferumér faltete die Hände vor seinem dicken Bauch; mit einem Mal war sein schmieriges Gehabe wie weggewischt. »Exzellenz, Ihr wart es, der den Angriff auf diese schöne Stadt geführt hat. Auf Euer Geheiß hin sind die seeräuberischen Barbaren in mein Haus und meine Werkstätten eingedrungen und haben meine Lebensgrundlage zerstört. Es ist nur recht und billig, wenn ich von Euch Genugtuung fordere. Habe ich Euch nicht selbst am Tag Eurer Krönung sagen hören, dass Ihr Wohlstand und Friede in Aracanon mehren wolltet? Und jetzt sehe ich Euch vor mir, nicht willens, eine kleine Wiedergutmachung zu leisten, die für den reichsten Thron der Welt doch kaum mehr als ein Brotkrümelchen sein kann? Ich muss gestehen, Exzellenz, Exzellenz überraschen mich.« Und damit verbeugte er sich tief.

 

Kirin starrte mit brodelndem Herzen auf den öligen Hinterkopf. Zwei Herzschläge lang herrschte Totenstille, dann sagte er: »Wir werden Euren Antrag überdenken, Gildenmeister, und Euch in Kürze unsere Antwort wissen lassen.«

Der dicke Mann richtete sich auf, ein schiefes Lächeln unter dem Vollbart. »Exzellenz scheinen noch immer unentschlossen. Das bedrückt mein altes Herz, aber ich bin sicher, mit der Zeit wird Exzellenz in sein Amt hineinwachsen und sich seinen Pflichten mit der gebührenden Entschlossenheit widmen.«

»Ihr habt den Entschluss des Großfürsten gehört, Herr Ferumér«, erklärte Aderuz höflich, aber bestimmt. »Erwartet einen Boten, der Euch eine endgültige Antwort überbringen wird.«

Erneut verbeugte sich Armész Ferumér. Ohne aufzublicken, nahm er rückwärtsgehend seinen Platz in der Menge wieder ein, wobei er laut zum Boden hin sprach: »Ich schließe mich mit aller Inbrunst den Gebeten Seiner Exzellenz an, dass eine Zeit des Friedens vor uns liege. Sollte ein Krieg eintreten, so wage ich meine Zweifel auszudrücken, ob eine fremde Besatzungsmacht vor unseren Toren sich derart leicht vertrösten ließe.«

Hie und da brandete leises Gelächter auf, und Armész Ferumér verschwand mit wehendem Umhang in der Menge.

Kirins Wangen loderten heiß, doch er mühte sich, keine Miene zu verziehen. »Wer ist der nächste Audienzbesucher?«, fragte er.

Aderuz rollte die Liste mit Forderungen zusammen und reichte sie einem Palastsklaven, ohne ihr noch einen weiteren Blick zu gönnen. »Exzellenz, der hohe Herr Zanid aus dem Hause Monzù bittet, vorsprechen zu dürfen.«

Die Versammelten machten Platz, um einen einzelnen Mann durchzulassen, dessen Erscheinung sich von der Armész Ferumérs nicht krasser hätte unterscheiden können; er trug leichte, fließende Gewänder, wie sie im niedrigen Adel Aracanons verbreitet waren und die bis auf ihren tiefen Purpurton kein Anzeichen von Reichtum verrieten. Mit leicht hinkenden Bewegungen näherte er sich dem Thron und kniete nieder; er war groß und hager, dazu kahlköpfig und schon relativ alt, wahrscheinlich über sechzig, doch seine dunklen Augen blickten wach und scharf, als Kirin ihm zunickte, damit er sich erhob.

»Exzellenz.« Zanid Monzù ruckte mit dem Kopf. »Es ist mir eine Ehre, mein Haus und meine Familie vor Euch repräsentieren zu dürfen.«

»Die Ehre ist auf meiner Seite, Herr Monzù.« Kirin warf Aderuz einen flüchtigen Blick zu, den dieser mit einem unmerklichen Nicken erwiderte. »Ihr wart im Exil, ist es nicht so?«

Die Mundwinkel des älteren Mannes zogen sich nach unten. »In der Tat, Exzellenz. Als Euer Vorgänger an der Macht war, sprachen mein Bruder und mein Neffe auf einer Versammlung vor den anderen Adeligen gegen ihn. Man fand sie an ihren Eingeweiden am Dach ihres Hauses aufgehängt. Ich wollte Vergeltung für diese Tat, doch die Unterstützung, die Euer Vater genoss, war zu groß, um gegen ihn vorzugehen. Ich hätte ihn zu einem Duell herausgefordert, wenn nicht …« Mit einer verbitterten Bewegung tippte er sich gegen sein rechtes Bein, das, auf dem er hinkte. »Wäre ich gefallen, hätte ich meiner Familie keine Ehre erwiesen. Ich floh wie ein Dieb in der Nacht, um den Fängen des Großfürsten zu entgehen. Als ich von seinem Sturz hörte, kehrte ich in die Hauptstadt zurück, in der Hoffnung, die Gebeine dessen, was von meiner Familie übriggeblieben ist, in Ehren bestatten zu dürfen, was mir bisher verwehrt geblieben ist.«

»Wo sind Euer Bruder und Euer Neffe?«, fragte Kirin, ohne die Augen von dem stolzen, von Gram gezeichneten Gesicht zu nehmen.

»Soviel ich weiß, hat man sie in Schande in einem Acker neben dem Stadtgefängnis verscharrt. Sie waren gute Männer und haben so ein Ende nicht verdient.«

»Das bezweifle ich nicht. Geht und sucht nach Euren Angehörigen. Ich werde Euch Männer mitgeben, die nach ihnen graben. Ich hoffe sehr, dass Ihr fündig werdet.«

Der alte Mann sah Kirin einen Augenblick lang unbewegt an, dann ließ er sich erneut auf ein Knie nieder. »Ich danke Euch, Exzellenz. Mögen ein gutes Herz und ein edler Sinn Euch weiterhin in Eurem Amt begleiten – es sind treuere Verbündete als schwache und verräterische Menschen.«

Kirin lächelte matt. »Ich bitte darum, dass Euer Wunsch in Erfüllung geht, Herr Monzù. Seid herzlich willkommen zu Hause.«

Der alte Mann erhob sich. »Sollte Eure Exzellenz jemals meine Dienste benötigen, so könnt Ihr sicher sein, dass Ihr keinen verlässlicheren Diener finden werdet.« Damit verbeugte er sich noch einmal knapp und kehrte in die Menge zurück.

Kirin rutschte auf dem Thron hin und her, um es sich bequemer zu machen. Als er Aderuz ein Zeichen gab, fortzufahren, fühlte er sich ein wenig entspannter.

»Der nächste Audienzbesucher ist der hohe Herr Nàszuk aus dem Hause Tumàsz.«

Ein dürrer Mann mittleren Alters bahnte sich seinen Weg durch die Menschen, und noch ehe er Kirin erreicht hatte, gewann dieser den Eindruck, dass mit ihm nicht gut Kirschen essen war; wer ihm nicht schnell genug Platz machte, wurde schlichtweg mit dem Ellbogen beiseite geräumt, und seine weit ausholenden, unbeirrten Schritte machten deutlich, dass es nichts gab, was er zwischen sich und sein Ziel kommen lassen würde.

Aderuz beugte sich zu Kirin hinunter. »Tumàsz‹ Familie war sehr mächtig unter Eurem Vater«, wisperte er unhörbar. »Galihls Sturz hat einen Machtkampf unter den Adeligen ausgelöst, aus dem Tumàsz bisher als Sieger hervorging. Seid wachsam, Eure Exzellenz.«

Mittlerweile hatte sich Nàszuk Tumàsz vor dem Thron aufgebaut; er absolvierte vor Kirin die denkbar knappste Verbeugung, dann richtete er sich auf und sah ihm ungeniert mitten ins Gesicht. Seine Augen, so fiel Kirin auf, waren von einem helleren Braun als die der meisten Arachinen und wirkten dadurch unangenehm stechend. Sein spärliches Haar war nach hinten gekämmt, um eine sich ausdehnende Glatze zu verdecken, und sein vorspringendes Kinn von einem ungepflegten Dreitagebart überwuchert. »Ich stehe vor Euch, Exzellenz, als Vertreter meiner Familie, dem Hause Tumàsz, das über Großfürst Milàk, Eurem Urgroßvater, mit der Fürstenfamilie selbst verwandt ist. Ebenso vernehmt Ihr durch mich die Stimme der übrigen Adelshäuser Aracanons, die vielfach durch Schrecken, Trauer oder Wut vom Hof ferngehalten werden.«

»Schrecken, Trauer und Wut«, wiederholte Kirin langsam; die offenkundige Abneigung in Tumàsz‹ Gesicht ließ die Flammen in seinem Magen wieder auflodern. Von diesem Mann ging eine Gefahr aus, die er nicht unterschätzen durfte. Seine Finger umfassten die Stuhllehnen fester und er zwang sich, dem bohrenden Blick des Adeligen standzuhalten. »Wieso das?«

»Die Nachricht, dass die Hauptstadt in Flammen steht, hat vielen das Blut in den Adern gefrieren lassen«, erwiderte Tumàsz kalt, »und das nicht zu Unrecht. Als ich vor einigen Wochen zurückkehrte, fand ich meine Heimat, den Stolz unseres Landes, in Trümmern vor!«

»Das ist so üblich nach einer Eroberung«, erklärte Kirin und bemühte sich, unbewegt zu klingen. »Die Reparaturen sind in vollem Gange.«