Die Chroniken der drei Kriege

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»Der Rückzugsbefehl an diese Truppen ist bereits vor Wochen ergangen«, erklärte er mit einiger Mühe. »Nur scheint es, dass unter den Windreitern dort Unruhen ausgebrochen sind und sie sich von der Hauptstadt losgesagt haben. Es heißt, sie haben sich einen neuen General gewählt. Im Moment, so fürchte ich, wird keiner von ihnen darauf hören, was ich ihnen befehle, ob ich nun Großfürst bin oder nicht.«

Lady Tereza blieb für einen Augenblick der Mund offen, dann jedoch legte sie erneut los: »Dann unternehmt etwas gegen diesen Zustand! Es sind Eure Soldaten und Eure Verantwortung! Ihr habt dafür zu sorgen, dass diese Bestien sich nicht weiter an unseren Grafschaften vergreifen! Schickt andere Truppen gegen sie, die sie bekämpfen und sie wieder zur Ordnung zwingen!«

»Das, Lady Tereza, ist leider ein aussichtsloses Unterfangen«, warf Aderuz ein, der nicht weniger bekümmert wirkte als sie. »Ein Bruderkrieg unter Windreitern ist das Letzte, was Ihr Eurem geplagten Volk zumuten wollt! Dazu besteht Gefahr, dass, wenn Ihr noch mehr Truppen in Euer Land einmarschieren lasst, weitere Überläufe folgen.«

»Abgesehen davon«, ertönte eine tiefe, beruhigende Stimme zu Kirins Rechten, »ist es sehr wahrscheinlich, dass die Krieger, die die Provinz verwüsten, von arachinischen Adeligen aufgestachelt werden, die mit der Friedenspolitik Seiner Exzellenz nicht einverstanden sind. Solange solche Kontakte bestehen, werden wir Schwierigkeiten haben, wie auch immer gegen die Eidbrüchigen vorzugehen.«

Tereza warf Zanid Monzù, der gesprochen hatte, einen Blick zu, der Stein hätte verglühen lassen, dann entgegnete sie bitter: »Dann zieht die Verantwortlichen zur Rechenschaft! Ihr seid der Großfürst, bei den Dreien, Ihr wollt mir doch nicht weismachen, dass Ihr gegen ungehorsame Wegelagerer wie diese nichts unternehmen könnt?«

»Das habe ich nicht gesagt, Lady Tereza«, hielt Kirin dagegen; seine Hände schwitzten, und er klammerte sie hastig um die Stuhllehnen. »Es wird ein Konzil einberufen werden, in dem wir uns die Forderungen dieser Adeligen anhören. Auch ihnen muss klar sein, dass ein erneuter Krieg nichts ist, was man anstreben sollte.«

Bei diesen Worten legte Lady Tereza den Kopf in den Nacken und lachte, laut und freudlos. Als sie fertig war, fixierte sie Kirin mit ihren Augen, die denen von Megan so ähnlich waren, und sagte mit unverhohlenem Spott: »Und was genau versprecht Ihr Euch davon, Exzellenz? Wie lange, glaubt Ihr, werdet Ihr brauchen, um Euren sogenannten Adeligen auf die Finger zu klopfen? Wochen und Monde wahrscheinlich, in denen die Windreiter ungehindert durch die Provinz ziehen und alles zerstören, was ihnen in die Hände fällt?«

»Lady Tereza, ich verspreche, dass ich diese Angelegenheit mit oberster Dringlichkeit behandeln werde. Ich habe im vergangenen Jahr sehr viel Tod und Zerstörung gesehen und demzufolge mehr Grund, diesen Untaten ein Ende zu bereiten als jeder andere. Seid versichert, ich werde Euch nicht im Stich lassen.«

Für einen Moment sah es so aus, als wäre Lady Tereza besänftigt, und bereits trippelte Sarkissian an ihre Seite, als ob er sicher wäre, dass alles gesagt worden war, doch da breitete sie erneut ihre Arme aus und gebot ihm zu halten. Wie ein getretener Hund wich Sarkissian vor ihr zurück.

»Lasst mich die Hoffnung ausdrücken, dass Ihr Euch an Euer Versprechen erinnert, Exzellenz. Es ist Eure Pflicht, einzugreifen, ganz gleich, wie Eure persönlichen Gefühle auch aussehen mögen.«

Ein Stich schoss durch Kirins Magengegend. »Was soll das heißen, Lady Tereza?«

Die dunkelhaarige Frau hielt seinem Blick furchtlos stand. »Ich habe von der … Freundschaft Eurer Exzellenz zu meiner widernatürlichen Nichte gehört. Mir ist klar, dass Eure Exzellenz auf dieser Grundlage keine allzu freundschaftlichen Gefühle für meine Heimat hegen dürften …«

»Lady Tereza, wenn Ihr andeuten wollt, ich würde absichtlich die Hände in den Schoss legen und Eure Not ignorieren …«

»Ich deute gar nichts an, Exzellenz«, unterbrach Tereza ihn barsch. »In meiner Familie hält man nicht viel von versteckten Andeutungen. Ich sage Euch ganz offen, dass ich um das Geschick dieser Kreatur weiß, Wahrheiten zu verdrehen und aufrechte Leute als Ungeheuer darzustellen, wo sie doch selbst eines ist. Wenn sie den Hass, den sie selbst auf mein geliebtes Land in sich trägt, auch in Eurem Herzen gesät hat, dann verwundert mich die Haltung Eurer Exzellenz keineswegs.«

Kirin erhob sich, ganz bewusst dieses Mal. Er kam die Stufen hinunter und stellte sich vor Lady Tereza hin; sie war genauso groß wie er. »Wagt es nicht, mir derart niedrige Beweggründe zu unterstellen, meine Dame. Megan hasst Euer Land genauso wenig wie ich es tue, und nur weil Ihr hartnäckig davon überzeugt seid, dass sie böse ist, ändert das nichts an der Tatsache, dass sie mitgeholfen hat, Euer Land und jedes andere auf diesem Kontinent vor Unterdrückung und Knechtschaft zu bewahren. Und selbst wenn dem nicht so wäre, würde ich nicht unschuldige Menschen irgendeinem kleinlichen Racheakt opfern. Also besinnt Euch und haltet Euch vor Augen, Tereza«, fügte er leiser hinzu, während seine Augen sich in ihre bohrten, »Ihr seid zwar Vorsteherin der Westfurt in der Provinz, ich aber bin Großfürst von Aracanon. Und wenn Ihr Euch Eurer Pflicht bewusst zu sein meint, dann seid versichert, ich bin es noch um ein Vielfaches mehr!«

Und damit kehrte er auf seinen Thron zurück und winkte die Anwesenden fort.

»Ist das nicht wunderbar? Mit jedem Tag, der kommt, mache ich mir neue Freunde!«

Larniax lächelte, doch Aderuz teilte Kirins finsteren Gesichtsausdruck und starrte wortlos aus dem Fenster.

»Zumindest hatte die Dame Recht, dass wir etwas unternehmen müssen«, warf Monzù ein, der mit den Händen auf dem Rücken mitten im Saal stand und Kirin aufmerksam ansah. »Wenn ich mir die Freiheit nehmen und mich zu Eurem Kreis dazuzählen darf, Exzellenz.«

»Das dürft Ihr«, murmelte Kirin und rieb sich abwesend die Schläfen, »auch wenn Ihr einer der wenigen auf diesem Kontinent seid, die das noch wollen.«

Lady Terezas Gesicht wollte ihm nicht mehr aus dem Gedächtnis, die anklagenden Augen, die Worte, die so tief in ihn schnitten, und über allem die schmerzhafte Ähnlichkeit mit ihrer Nichte, die sie zwar hasste, deren Gesicht sie jedoch mit jeder Veränderung ihrer Miene so vollkommen widerspiegelte. Nie hatte Kirin Megan so sehr vermisst wie in dem Moment, als ihre Tante wutschnaubend aus dem Audienzsaal gerauscht war und den völlig zerknautschten Sarkissian und Konsorten zurückgelassen hatte.

»Was können wir tun? Sie hatte Recht, ich sollte Truppen schicken, die ihren Kameraden Einhalt gebieten, aber wenn ich das tue, sind sie imstande und laufen über! Bis auf die Windreiter hier in der Stadt hat sich noch keine Einheit auf mich eingeschworen, die Bataillone, die in den umliegenden Ländern stationiert waren, brauchen teilweise noch Wochen, bis sie hier sind!«

»In dieser Zeit werden die Abtrünnigen die Provinz weiter verwüsten«, nickte Monzù.

»Und wer weiß, wie viele Bestechungsgelder in der Zwischenzeit an die Windreiter in den hiesigen Kasernen und im Ausland fließen«, merkte Aderuz an, die Finger nach Gewohnheit unter seinen Ärmeln verborgen.

Kirin blickte auf. »Wie stehen die Chancen, dass wir Tumàsz in dieser Hinsicht entgegenwirken können? Wie viel Geld haben wir zur Verfügung?«

Der Heiler kniff einen Moment die Augen zusammen. »Nun, die Aufrüstung der Armee hat sicherlich viel Geld verschlungen, ganz zu schweigen von Nachschub und Versorgung, aber da von Seiten Fallonias, Agoraekhs, Uvonaghs und Lòethins während der vergangenen Jahre zuverlässig Geld- und andere Fördermittel in unsere Kassen geflossen sind, dürften wir zumindest in dieser Hinsicht relativ stabil dastehen.«

Kirin nickte grimmig. »Dann sorgt dafür, dass das Geld an die richtigen Stellen fließt, von mir aus auch zu den Abtrünnigen in der Provinz von Sri Iliant. Findet heraus, ob sie sich kaufen lassen, und wenn nicht, so kauft zumindest die Truppen, die dem Anschein nach noch zu meinem Heer gehören. Alle, nach denen Tumàsz und seine Freunde die Finger ausstrecken. Wir müssen ihnen entgegenwirken, bevor sie die Windreiter dazu bringen, sich auf Tumàsz einzuschwören!«

»Exzellenz, wir werden unser Möglichstes tun. Darf ich Euch jedoch darauf hinweisen, dass Tumàsz und seine Freunde unter Eures Vaters Herrschaft ebenfalls sehr stattliche Vermögen angesammelt haben und sie ihr Geld im Gegensatz zu ihm nicht für Waffen und Kriegsgerät ausgeben mussten.«

»Das ist mir bewusst. Lasst einfach durchklingen, dass es da, wo unser Gold herkommt, noch mehr gibt. Wir sind das Herrscherhaus, die Krone, verflucht nochmal, das muss doch auf irgendwen in diesem Land Eindruck machen!«

Aderuz deutete ein winziges Lächeln an und verbeugte sich.

Larniax seinerseits räusperte sich. »Exzellenz, die Vorbereitungen für das Gastmahl zu Ehren der Ratsmitglieder sind abgeschlossen. Wir erwarten das Eintreffen sämtlicher Gäste bei Sonnenuntergang.«

Kirin verdrehte die Augen. »Hervorragend. Wie ich mich freue.«

Keiner von ihnen brauchte zu erwähnen, dass das ›Gastmahl‹ den Ratsabgesandten vor allem dazu dienen würde, sich an Kirin heranzumachen. Obwohl Limrian An’Bry tot war, schien der Hohe Rat an dessen Vorhaben, durch Kirin Einfluss auf die Regierung Aracanons zu nehmen, nicht aufgegeben zu haben. Vermutlich würden die Politiker die Gelegenheit nutzen, Kirin einen der Ihren als ›ständigen Abgesandten‹ des Hohen Rates zu empfehlen, mit anderen Worten, ihn dauerhaft im Palast einquartieren, damit er sich in Kirins Regierungsgeschäfte einmischte und den Rat ständig darüber auf dem Laufenden hielt.

»Nàszuk Tumàsz und die meisten anderen Vertreter der großen Häuser haben sich entschuldigt«, fuhr Larniax mit einem schiefen Lächeln fort. »Zwecks schnellstmöglicher Planung und Einberufung des Konzils, auf das Exzellenz in der Audienz selbst bestanden haben.«

 

»Offener Aufruhr«, schnaufte Zanid Monzù empört.

»Gegen den wir im Moment leider nichts tun können«, entgegnete Aderuz.

»Lady Tereza wird ebenfalls nicht teilnehmen können, so wurde mir mitgeteilt – sie leidet an einem plötzlichen Anfall von Unwohlsein.«

»Das kann ich mir vorstellen«, bemerkte Kirin trocken. »Aber immerhin, ein paar hasserfüllte Gesichter weniger, die ich mir anschauen muss. Dann bleiben noch die anderen Abgesandten des Rates, die im Lauf des Abends sicher noch ein paar weitere Forderungen aus dem Ärmel zaubern – und natürlich kein Ohr haben für unsere eigenen Nöte.«

»Durch dieses Willkommensfest ehrt Ihr sie«, belehrte ihn Aderuz wie schon einmal an diesem Tag, »und das ist es, was der Hohe Rat von Euch erwartet. In den nächsten Tagen werden wir mit ihnen ihre Forderungen im Einzelnen durchgehen und guten Willen zeigen. Ich habe ungefähr überschlagen, wieviel an Hilfsgeldern wir den Ostländern zukommen lassen können, ohne uns selbst zu schaden. Es wird weniger sein als sie von uns fordern, außerdem habe ich – Euer Einverständnis vorausgesetzt – angeordnet, dass die Hilfsmittel direkt den betroffenen Regionen zugutekommen sollen, nicht dem Rat als Vermittler.«

Kirin nickte dankbar. »Ich bin ja mal gespannt, wie sie darauf reagieren. Vor allem, wenn sie begreifen, dass ich keinen von ihnen als Ratgeber hierbehalten werde.«

Aderuz zuckte die Schultern. »Das bleibt abzuwarten, Exzellenz. Dennoch bin ich sicher, dass wir die Herren des Hohen Rates mit diesen Maßnahmen ruhig halten können.«

»Vor allem, weil sie noch nicht sicher sind, ob ich wirklich so ein harter, wutschnaubender Barbar bin, wie ihre Militärs es ihnen erzählt haben. Sie wollen mich nicht provozieren, bis sie gesehen haben, wie ein paar andere mir ungestraft ans Bein treten.«

Aderuz legte ihm die Hand auf die Schulter. »Nur Mut, Exzellenz. Ihr steht ihnen nicht allein gegenüber, vergesst das nicht.«

Kirin sah hoch und versuchte den Blick in den Augen des Heilers zu deuten. ›Wirklich nicht?‹, war er versucht zu fragen, nickte aber bloß.

»Nun denn«, befand Larniax und klatschte in die Hände. »Auf, meine Herren, zu Jubel, Trubel und Heiterkeit!«

Er öffnete Kirin die Tür, und dieser ging voran, wobei er einen Blick auf Zanid Monzùs Gesicht erhaschte; der alte Adelige sah genauso aus, wie Kirin sich fühlte, nämlich als ginge er einsam und in einem tosenden Sturm dem Weltuntergang entgegen.

Sie brachten die feierliche Vorstellung der einzelnen Gäste hinter sich und nahmen ihre Plätze ein, doch noch ehe der erste Gang gereicht wurde, wusste Kirin, dass sich seine Ahnung bestätigen und das Ganze ein Desaster werden würde. Die Gespräche, die an den im ganzen Festsaal verteilten kleinen Tischen geführt wurden, hatten allesamt ihn zum Thema, und den gelegentlich in seine Richtung flackernden Augenpaaren zu entnehmen, enthielten sie nichts Gutes.

Kirins Tisch war etwas erhöht auf einer niedrigen Empore aufgestellt worden, während diejenigen der Gäste Rang und Ansehen entsprechend im Raum verteilt waren. Kirin rutschte auf seiner mit violettem Samt bespannten Liege herum und bemühte sich, die Blicke gleichgültig zu erwidern. Das war jedoch schwierig, weil diejenigen, die in seiner unmittelbaren Nähe lagen und speisten, sich oft nicht einmal Mühe gaben, ihre Stimmen zu senken, wenn sie über ihn herzogen.

»Exzellenz, ich überlege mir gerade, ob Exzellenz die Tradition seines Vaters wiederaufleben lassen und Hälse strecken sollte, wenn sich gewisse Gäste unziemlich benehmen«, ließ Larniax verlauten, der sich auf seinem Beobachterposten hinter Kirin hinunterbeugte.

»Das überlege ich mir auch«, knurrte Kirin und legte sein Besteck weg; seine Hände zitterten vor Wut, und er brachte es ohnehin nicht über sich, einen Bissen zu sich zu nehmen.

»Exzellenz, vielleicht solltet Ihr jetzt die Ansprache halten«, riet Aderuz leise; der Heiler saß neben Kirin und wirkte über dessen Gesichtsausdruck ausgesprochen besorgt. Kirin seinerseits brachte ein verzerrtes Grinsen zustande. »Gute Idee, lasst sie mich alle sehen, damit sie mir ins Gesicht spucken können!«

Dennoch stand er auf und hob seinen Kelch. Die Gespräche im Raum verstummten.

»Verehrte Anwesende, hochgeschätzte Gäste«, begann er und ließ seine Augen über den Raum gleiten; er war kleiner als der Thronsaal, aber auch weniger düster, mit hellerem Marmor ausgekleidet und leichten, fröhlichen Darstellungen an den Wänden. »Lasst mich erneut meine Freude darüber ausdrücken, dass der Hohe Rat uns heute Abend mit seiner Gegenwart beehrt, und dies in Form von so ehrenwerten Männern, wie wir sie vor uns haben.« Er neigte leicht den Kopf und prostete Sarkissian und seinen Kameraden zu, die ausgesprochen steif auf den Liegen direkt unterhalb der Empore saßen und seine Geste zaghaft erwiderten. Die übrigen drei Tische, die auf derselben Höhe mit denen der Ratsabgesandten standen, waren leer; wie Larniax vorausgesagt hatte, waren Tumàsz und seine Gefolgsmänner der Gesellschaft ferngeblieben.

»Mögen die Bande zwischen allen Ländern Paradons durch ihren Besuch erneut gestärkt und fester geknüpft werden als zuvor. Auf die Einigkeit!«

Folgsam wurde der Trinkspruch aufgenommen, und Kirin sah, dass sämtliche Gäste ihre Gläser erhoben, allerdings war die mangelnde Begeisterung darin überdeutlich.

Sarkissian für seinen Teil räusperte sich und stand auf. »Vielen Dank für die erneute freundliche Begrüßung, Exzellenz!« Kirins Stimme war noch nicht die eines geübten Redners, aber Sarkissian schaffte angesichts all dieser Leute bestenfalls ein Krächzen. »Lasst mich Euch sagen, wie sehr …«

Klopf.

Alle Anwesenden fuhren zusammen. Der Audienzstab in der Hand des Hofbeamten an der Tür, der die Gäste vor ihrem Eintreten ansagte, traf dumpf auf dem Marmor auf. Während alles sich hastig umdrehte, um zu sehen, woher die Störung kam, holte der Ansager tief Luft und rief klar vernehmlich in den Raum hinaus:

»Ihre Hoheit, Prinzessin Aszka!«

Ein leises Raunen ging durch die Menge, hie und da sprangen einige Gäste auf, während andere sich eifrig zu ihren Nachbarn umwandten und zu tuscheln anfingen. Aderuz‹ Miene verfinsterte sich, während Sarkissian mitten in der Bewegung erstarrte; er sah aus, als hätte ihm jemand eine Ohrfeige verpasst.

Die Menge aus aufgeregten Flüsterern teilte sich, und wie eine Meerjungfrau durch die Fluten des Ozeans glitt eine Frau auf Kirin zu, die schönste Frau, die er jemals gesehen hatte; sie war in ein fließendes, hauchdünnes weißes Kleid gehüllt, das ihre Arme freiließ und in der Taille geschnürt war. Das schwarze Haar fiel ihr bis auf die Hüften und war von weißen Blüten durchsetzt, die in reizvollem Kontrast zu ihrer hellbraunen Haut schimmerten. Sie kam immer näher, wobei sie die Augen – große, tiefschwarze Augen mit dicht geschwungenen Wimpern – kein einziges Mal von Kirins Gesicht nahm, die Stirn leicht gesenkt, ein leises Lächeln auf den vollkommenen Lippen. Fünf Armlängen von der Empore entfernt blieb sie stehen und ließ sich auf die Knie nieder. »Der Großfürst ist tot, lang lebe der Großfürst«, sagte sie getragen und mit sanfter, kehliger Stimme.

Kirin schluckte; seine Handflächen waren mit einem Mal schweißnass und sein Kopf völlig leer. Er suchte nach Worten, doch konnte er seinen Blick nicht von dem Perlenmuster lösen, das sich von den Trägern des Kleides bis über das Dekolletee zog und verheißungsvoll in dessen Tiefe verschwand. Irgendwo räusperte sich jemand, und endlich riss er sich zusammen: »Ich, äh … ich heiße Euch willkommen«, sagte er laut, aber nicht so deutlich wie er es sich gewünscht hätte. Hastig stellte er seinen Kelch hin. »Es … es freut mich außerordentlich, Euch persönlich kennenzulernen, auch wenn Euer … Euer Besuch unerwartet kommt.«

Aszka stand auf, wobei sie mit einer anmutigen Bewegung eine Flut schwarzer Haare über ihre Schultern zurückwarf. »Exzellenz müssen mir verzeihen«, sagte sie, »dass ich meine Aufwartung erst so spät mache. Ich fürchtete Vergeltung für meine Feigheit in der Vergangenheit – dass ich nicht die Größe hatte, den Gräueltaten meines Cousins die Stirn zu bieten, wie Ihr das getan habt. Meine Augen hatten wie die unseres Landes zu viele und zu furchtbare Gräuel mitangesehen, um noch an das Gute zu glauben. Doch die Taten Eurer Exzellenz, die bis in die entlegenen Winkel der Südgebiete drangen, erlaubten mir wieder zu hoffen. Darauf, dass Gerechtigkeit und Besonnenheit nach Aracanon zurückgekehrt sind.« Sie blickte auf, und ihre Augen bohrten sich mitten in Kirins Herz. Er sollte irgendetwas Passendes erwidern, aber er wusste beim besten Willen nicht, was. Es war, als würde Aszka ein gleißendes Licht ausstrahlen, das alle anderen klein und unbedeutend wirken ließ, und auf einmal kam ihm seine eigene Erscheinung unsagbar klobig und abstoßend vor.

Larniax stieß ihm den Ellbogen in den Rücken, sodass er unwillkürlich einen Satz nach vorne machte, und Aszka nahm die Geste dankbar auf; anmutig streckte sie die Hand aus und ergriff mit schmetterlingsgleichen Fingern seinen Arm, und mit einem Mal fühlte er sich, als berührten seine Füße den Boden nicht mehr. Alles Blut war aus seinem Kopf geflossen, in niedrigere, unpraktischere Regionen seines Körpers. Die Wärme von Aszkas Körper ging auf den seinen über und lähmte sein Denken.

»Vielen Dank für Eure Freundlichkeit, Exzellenz, die ich angesichts meiner Untätigkeit nicht verdient habe. Aber ich sehe, Exzellenz geben eine Gesellschaft. Erlaubt mir, Euch erneut um Vergebung zu bitten, dafür, dass ich uneingeladen kam und Exzellenz das Wort abgeschnitten habe. Wenn Ihr es erlaubt, werde ich ein andermal vorsprechen.«

»Nein!«, sagte Kirin, und nach seinem langen Schweigen kam die Erwiderung so heftig, dass Aszka zusammenzuckte. »Verzeihung, ich meinte … nein, bitte … seid mein Gast.« Er spürte, wie er knallrot anlief, und fluchte innerlich. Er benahm sich wie ein absoluter Vollidiot, kein Wunder, dass sie nicht bleiben wollte. Was sollte man auch davon halten, wenn man als Heimkehrender bei seinem Großfürsten vorsprach, um herauszufinden, ob man leben oder sterben würde, und einfach nur blöde angeglotzt wurde? Hastig drehte er sich um, um einen Diener herbeizurufen, und verrenkte sich dabei den Hals. Sein Gesicht wurde noch eine Spur heißer. »Ein zusätzliches Gedeck für Prinzessin Aszka«, befahl er, während sich die anderen Gäste allmählich wieder setzten; dass Sarkissian zu einer Rede angesetzt hatte, hatte Kirin ganz vergessen.

Zwei Sklaven eilten herbei und brachten eine weitere Liege für Aszka, die sie direkt neben Kirins an den Fürstentisch stellten. Während er ihr ungeschickt dabei half, sich hinzulegen, erhaschte er aus dem Augenwinkel einen Blick auf Aderuz‹ finsteres Gesicht. Dem Heiler gefiel gar nicht, was er sah, aber das war Kirin im Moment herzlich gleichgültig. Er ließ sich und den Gästen die Kelche auffüllen (dass er seinen eigenen Wein wie üblich hatte verdünnen wollen, war ihm momentan ebenfalls entfallen) und ließ sie alle auf die wohlbehaltene Rückkehr der Prinzessin trinken, die mit züchtig gesenktem Blick den Trinkspruch erwiderte und in dem Moment, als ihre herrlichen Lippen den Becher berührten, zu Kirin hochsah. Dankbarkeit lag in ihren Augen und Bewunderung und … Kirin wagte nicht, genauer hinzusehen, sondern stürzte sein eigenes Getränk in einem Zug hinunter.

Das Strahlen in ihren Augen hatte mit dem ersten Blickkontakt einen Anker nach seinem Herzen ausgeworfen und, so wie es sich anfühlte, mitten ins Ziel getroffen.

Für kurze Zeit lagen sie beide schweigend nebeneinander, Aszka aß ein wenig Gemüse und Huhn und ließ dabei die Blicke schweifen. Kirin seinerseits fühlte sich, als stünde er in Flammen; fieberhaft zermarterte er sich den Kopf, wie er eine Unterhaltung mit ihr beginnen könnte, doch außer dem immer stärker werdenden Wunsch, ihre Lippen zu berühren, kam ihm nichts in den Sinn.

Glücklicherweise nahm sie ihm diese Mühe erneut ab: »Ich hatte fast vergessen, wie schön dieser Raum ist«, plauderte sie strahlend und warf ihre schwarze Lockenpracht zurück. »Und wie prachtvoll sich die Menschen hier kleiden.« Sie musterte ohne Scheu die anwesenden Gäste, die alle noch eifriger miteinander tuschelten als zuvor und sich zweifellos das Maul über sie zerrissen. Aszka wirkte davon herzlich unberührt; lächelnd erwiderte sie jeden Blick, winkte dem einen oder der anderen sogar zu und leuchtete dabei unentwegt von innen heraus wie eine nie auslöschende Fackel. »Doch vergebt mir, Exzellenz, ich bin töricht«, sagte sie plötzlich, wie einer inneren Eingebung folgend, und ihr Lächeln erstarb; Kirin war zumute, als hätten sich Gewitterwolken vor die Sonne geschoben. »Wie unüberlegt von mir, von Schönheit und Pracht zu sprechen, wo Ihr doch erst kürzlich so viel Grauen und Gefahr durchlitten habt. Sagt mir, wie war es für Euch, gegen den Usurpator zu kämpfen? Es hieß immer, er wäre der größte Schwertkämpfer unserer Zeit, doch Ihr habt ihn besiegt. Eine Heldentat, die mir unbegreiflich ist, wiewohl ich Euch jetzt vor mir sehe und mich davon überzeugen kann, wie stattlich und mutig Ihr seid! Bitte, Exzellenz, erzählt mir davon! Wie ist es Euch gelungen, das Ungeheuer zu töten?«

 

Kirin hatte das Gefühl, seine Eingeweide würden sich aufblähen, so sehr, dass er über seiner Liege schwebte. Er glühte unter ihrem neugierig-bewundernden Blick und hatte alle Mühe, die Ereignisse mit der geziemenden Bescheidenheit darzustellen. Als er zu dem Moment kam, wo er Galihl seinen eigenen Dolch aus dem Bein gezogen und sich somit seinem tödlichen Griff entwunden hatte, schnappte Aszka entsetzt nach Luft und schlug beide Hände vor den Mund. »Wie geistesgegenwärtig von Euch«, flüsterte sie zwischen ihren Fingern hindurch. »Ich glaube, ich hätte in so einem Moment nicht mehr denken können. Ich bin meinem Cousin nur ein paar Mal begegnet, aber jedes Mal war es … seine Gegenwart war so … ich hatte schon Angst, wenn er mich ansah, und seine Hände um den Hals gelegt zu bekommen und zu spüren, wie er das Leben aus einem herauspresst … Ich glaube, ich hätte den Tod willkommen geheißen, schon nur, um seiner Berührung zu entkommen.« Sie legte eine Hand an ihre Brust und schauderte.

Kirins Herz schlug hart in seiner Kehle, als er der Bewegung mit den Augen folgte, und als sie ihn mit gedämpfter Stimme bat, fortzufahren, hatte er alle Mühe, sich auf seine Erzählung zu konzentrieren. Nachdem er ihr schließlich von Galihls Ende berichtet hatte, sank Aszka sichtbar erleichtert in sich zusammen, als sei sie trotz allem nicht sicher gewesen, ob die Geschichte gut ausgehen würde.

»Wie heldenhaft von Euch, Exzellenz – sich einem Tier wie Galihl so furchtlos entgegenzuwerfen, obwohl Ihr wusstet, dass Ihr jederzeit hättet sterben können!«

»Viele andere sind gestorben«, sagte Kirin, obwohl ihm im Moment gar nicht danach war, davon zu sprechen. »Ich hatte viel Hilfe und Unterstützung. Ohne meine Freunde hätte ich sicher nicht überlebt.« Angesichts ihrer bewundernden Miene fiel es ihm schwer, das zu sagen, aber immerhin war ein kleiner Rest von seinem üblichen Selbst noch übrig, der die Aufsicht übernommen hatte.

Aber auch der schwankte gefährlich, als Aszka ihm einen weiteren ihrer Augenaufschläge schenkte. »Und ich bin mir sicher, sie alle sind gerne für Euch in den Tod gegangen. Nun, da ich Euch kenne, kann ich mir vorstellen, dass es so war.« Als wäre ihr erst im Nachhinein bewusst geworden, was sie sagte, wandte sie beschämt den Blick ab. »Vergebt mir, Exzellenz, das war unpassend. In Euren Augen muss ich lächerlich erscheinen.«

»Keineswegs«, widersprach Kirin rasch und war versucht, ihre Hand zu ergreifen. »Ihr seid … die freundlichste und … aufrichtigste … Ich meine … ich könnte mir keine bessere Gesellschaft für diesen Abend vorstellen.«

Ein leises, hämisches Schnauben in seinem Rücken ließ ihn für einen kurzen Augenblick in die Wirklichkeit zurückkehren; er blickte auf und erkannte Asusza, die direkt hinter seiner Liege stand und dem Anschein nach den Saal im Überblick behielt. Ihren missbilligend verzogenen Mundwinkeln zufolge jedoch hatte sie jedes Wort genau verfolgt und sich ihre eigenen Gedanken dazu gemacht.

Aszkas Lächeln jedoch kehrte bei ihrem Anblick in seiner alten Herrlichkeit zurück. »Cousine! Welch eine reizende Überraschung! Ich hatte dich gar nicht gesehen in all dieser Aufregung! Und deine Frisur, verzeih mir, ich muss im ersten Augenblick gedacht haben, du wärst ein Mann!« Sie legte die Hand an die Kehle und lachte so herzlich und mitreißend, dass Kirin unwillkürlich einstimmte.

Mit halbem Ohr nahm er wahr, dass die meisten Gespräche im Saal verstummt waren, um den Grund für die Heiterkeit zu erfahren. Aszka glitt, immer noch lachend, von ihrer Liege und schwebte auf ihre Cousine zu, neben der sie wie eine zerbrechliche Porzellanpuppe wirkte. Sie stellte sich auf die Zehen und küsste Asusza auf beide Wangen, die die Behandlung so stoisch über sich ergehen ließ wie eine Statue aus Ton. »Wie schön, dich zu sehen! Und wie schön, dass unser beider Cousin dich in seinem Wahn nicht getötet hat! Oder Seine Exzellenz, weil du dem Schlächter so willig gefolgt bist!« Ihre Stimme war voller Herzlichkeit, und erst einen Moment später begriff Kirin, was sie gerade gesagt hatte. Asusza ihrerseits hatte das Interesse an der jüngeren Frau bereits verloren; sie blickte wieder starr geradeaus, die Hände an ihren Gürtel gelegt.

»Soweit ich mich erinnere, habt auch Ihr den Befehlen des früheren Großfürsten gehorcht, Hoheit«, warf Aderuz unerwartet ein. Sein Lächeln war beinahe so freundlich wie das von Aszka, doch seine Augen blieben dabei hart. »Wart Ihr es nicht, die dem Hohen Rat Galihls Ablehnung sämtlicher Friedensvorschläge überbracht hat? Und das in einer Weise, die Eurer heutigen Eloquenz in nichts nachstand.«

Grübchen drückten sich in Aszkas Wangen, die Kirins Herz noch ein wenig höher schlagen ließen. »Gewiss, Heiler Aderuz. Ebenso wie Ihr habe ich mein Leben während der Tyrannenherrschaft zu bewahren gewusst. Zum Glück für uns fehlbare Sterbliche ist Seine Exzellenz hier nicht nur mutig, sondern auch gnadenreich und versteht es, denjenigen zu verzeihen, die nur aus Furcht gehandelt haben. Er kann sich einfühlen in Kreaturen, die feiger waren als er und deren Sorge nur sich selbst galt und nicht anderen, wie das bei ihm der Fall ist. Er kann vergeben.« Sie setzte sich, ohne Aderuz aus den Augen zu lassen.

Kirin räusperte sich. »Ich weiß, wie leicht es Galihl gefallen ist, anderen Menschen Angst einzujagen«, sagte er, ob an Aderuz oder Aszka gewandt, wusste er nicht recht. »Ich kann verstehen, dass viele keine andere Wahl mehr gesehen haben, als ihm zu gehorchen. Besonders, nachdem jenen, die sich gegen ihn gestellt haben, so schreckliche Dinge angetan worden sind.« Flüchtig suchten seine Augen nach Monzù und fanden ihn, wie er an einem Tisch in der Nähe der Empore saß und ihn mit diesem besorgten Ausdruck im Gesicht beobachtete, der offenbar mit ihm verwachsen war. »Hätte ich alle verstoßen, die unter Galihls Herrschaft für ihn gekämpft haben, stünde ich für mich allein.«

›Wobei es auch jetzt nicht viel besser aussieht‹, fügte die übliche Stimme in seinem Hinterkopf hinzu, doch da streckte Aszka ihre Hand aus und berührte die Spitzen seiner Finger, und alle Gedanken erstarben.

»Zum Glück für uns alle vermögt Ihr, wahre Freunde von falschen zu unterscheiden. Eine Kunst, die ich nicht beherrsche. Denn eben solche Ratschläge falscher Freunde hielten mich davon ab, mich sofort zu Euch zu bekennen und in die Hauptstadt zurückzukehren, nachdem Ihr die Welt von Galihl befreit habt. Doch nun bin ich hier, wo ich mich Eurer Gnade ausliefere. Wenn Exzellenz die Verbrechen, die ich unzweifelhaft begangen habe, zu schlimm erscheinen, um sie zu verzeihen, so verfügt nach freiem Willen über mich. Mein Leben liegt in Eurer Hand. Entscheidet nun, Exzellenz, ich bin Euer.«

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