Luzy Bloom - Komm mit mir

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Kapitel 2

Öffne dein Lustschloss und spüre den heißen Hauch des Südens

Mein erstes Date soll auf jeden Fall ein Erfolg werden. Also in erotischer Hinsicht kann ich das natürlich nicht vorher wissen, aber ich möchte zumindest sichergehen, dass es am Ende dorthin führt, wo ich hin will: ins Bett (im übertragenen Sinne, von mir aus könnte es auch auf dem Küchentisch passieren oder auf einer Parkbank). Deshalb gehe ich im Geiste meine naheliegenden Optionen durch. Da ist dieser niedliche Kellner in dem Coffeeshop, bei dem ich mir morgens nach dem Joggen immer meinen Hafer-Latte hole. Das habe ich mir nach der Trennung von David-Alexander angewöhnt – also beides: das Joggen und den Hafer-Latte. Der niedliche Kellner heißt Gary, kommt aus Australien, ist, würde ich sagen, Ende 20 und hat so einen süßen Akzent. Er ist mindestens 1,90 Meter groß, was schon mal gut ist, und trägt einen dunkelblonden Dutt. Ja, ich weiß, ist nicht jedermanns beziehungsweise -fraus Sache, aber ich stehe nun mal drauf. Allerdings ist er nicht meine erste Wahl für mein Auftakt-Date. Ich bin mir nicht sicher. Vielleicht ist er mir eine Spur zu schmächtig. Er trägt seine Jeans im Baggy-Style, und ich habe immer Angst, dass ihm die Hose gleich völlig abrutscht, weil da irgendwie kein richtiger Hintern drin ist. Meistens hat er dazu ein T-Shirt mit V-Ausschnitt an. Insgesamt hat er eine sexy Ausstrahlung und inmitten seines Hipster-Barts ein wirklich anziehendes Lächeln.

Trotzdem: Ich nehme mir vor, Gary erst einmal aufzuschieben. Wer weiß, vielleicht lecke ich mir nach ein paar Reinfällen noch alle zehn Finger nach ihm.

Also weiter: Neulich habe ich auf einer kleinen Party bei Dina ihren neuen Kollegen kennengelernt, Alex. Typ Werber, was kein Wunder ist, weil Dina in einer Werbeagentur arbeitet, also was machen wohl ihre Kollegen?! Haha, schlaue Luzy! Alex sieht echt gut aus: groß, schlank, trainiert, kurzes blondes Haar und hellblaue Augen. Sehr selbstbewusst – und seine Anekdote, wie er sich vor der ersten Präsentation vor einem neuen Kunden für Slipeinlagen noch eben die Hände waschen wollte, die Seife aus dem Spender dann auf seinem Hosenschlitz landete, er den peinlichen Fleck wegwischen wollte und das ganze Dilemma immer größer und größer wurde, bis es am Ende so aussah, als hätte er sich in die Hose gemacht, war wirklich zu komisch.

„Wie ist es ausgegangen?“, fragte ich.

„Ich habe dem Kunden vorgeschlagen, über ein entsprechendes Einlageprodukt für Männer nachzudenken, und wir haben alle herzlich gelacht.“

Typisch. Männer kommen aus ihren eigenen Geschichten immer als Gewinner raus – selbst aus den peinlichsten Situationen. Also Alex muss ich mir erst zutrauen, und dafür muss ich meinen Erfahrungsschatz vergrößern.

Ich durchforste meine Kontakte auf dem Handy.

1. Addy, ehemaliger Schulfreund, Computernerd mit leichtem Bauchansatz und komplett asexuell – kommt beim besten Willen nicht infrage.

2. Chris, kenne ich aus meiner Zeit im Gym – sexy, sehr trainiert, groß, blond, ein bisschen naiv, aber ganz süß. Mal sehen …

3. Daniel – mein allerbester Freund, Ende 30, Musiker, spielt Schlagzeug, superlustig, schlau, schlagfertig, gut aussehend mit dunkelroten Locken und einer Topfigur, sensationeller Tänzer. schräg und immer ‚up-to-date’. „In den USA verletzen sich jedes Jahr 11.000 Menschen bei erotischen Experimenten.“ So was muss man erst mal wissen! Also Daniel wäre mein Mr. Right – gäbe es da nicht eine Sache: Daniel ist … Nein, nicht schwul. Er ist nur 1,65 Meter groß, und das ist mir definitiv zu klein.

„Das sagt aber nichts über meine Penisgröße!“

Mag sein, geht aber trotzdem nicht!

4. Gil – ein ehemaliger Studienkollege von mir, groß, ein bisschen schlaksig, Typ Cordanzug, hip, mit einem ausgeprägten Sinn fürs Romantische, liebt und schreibt Gedichte – wäre einen Versuch wert. Ich habe allerdings lange nichts von ihm gehört, womöglich ist er längst in einer Beziehung und liest seinen Kindern Goethe vor

5. Herbert – hat um die Ecke von meiner Wohnung ein Architekturbüro. Anfang 40, sehr lässig, wuschelige Locken, ein Lächeln wie Ryan Gosling, Topbody – ist leider gerade frisch verliebt, sonst wäre er meine erste Wahl gewesen

6. Kasimir, Haus- und Hofhandwerker meiner Eltern. Er kommt aus Polen, dürfte so um die 40 sein, hat ebenfalls einen sehr süßen Akzent (ich merke gerade, dass ich auf Akzente stehe), trägt Glatze (steht ihm sehr gut), arbeitet gerne mit freiem Oberkörper, ist etwa so groß wie ich und hat diese erotische Ausstrahlung eines Stahlarbeiters. Ziemlich sexy.

7. Mike – guter Freund von Dina. Nicht hübsch, nicht hässlich, Typ Jeff Bezos in jung. Immer ungebunden, feiert gerne und lässt nichts anbrennen. Möglich, aber kein Muss.

8. Robin ist Ende 30. Ihn habe ich mal im Bus kennengelernt. Arbeitet in einer Szenebar. Ich war schon ein paarmal da, und er ist wirklich total niedlich: ein bisschen zerzaust, offenes Gesicht, dunkelblonde Mähne, strahlendes Lächeln, kleine Lachfältchen um Augen und Mund, nicht sehr groß, aber größer als ich, immer im sehr lässigen Outfit – Jeans und Hemden mit Blumenmuster. Ich bin mir aber nicht sicher, ob er schwul ist.

9. Und dann, ebenfalls unter „R“, stoße ich auf Ramon. Treffer! Ramon ist der Salsa-Lehrer, von dem Dina mir schon seit zwei Jahren vorschwärmt. „Der ist so wahnsinnig sexy – wenn ich nicht vergeben wäre, würde ich sofort mit ihm in die Kiste steigen!“

„Susan aus unserem Kurs hat mit Ramon eine Nacht verbracht – die ist völlig hin und weg.“

„Ramon hat mich heute so angetanzt, das hat mich total angemacht.“

Inzwischen ist Dina von Salsa mit Ramon zu Vinyasa Yoga mit Vidya gewechselt. „Es wurde mir einfach zu heiß mit Ramon – ich suche mir jetzt nur noch Kurse, in denen Frauen unterrichten.“

Ramon! Das bedeutet: Ich muss mich zum Salsa-Kurs anmelden. Dabei ist Tanzen nicht gerade meine Stärke. Meine Kondition lässt auch zu wünschen übrig. Und Sport im Allgemeinen gehört sowieso nicht zu meinen Lieblingsbeschäftigungen. Immerhin jogge ich jetzt seit zwei Monaten – das dürfte ein bisschen helfen. Auf keinen Fall kann ich da einfach so auftauchen und direkt mitmachen. Ich muss mich vorbereiten. Vor allem optisch. Deshalb kaufe ich mir erst mal ein neues Sportoutfit. In der Umkleidekabine überfallen mich übelste Selbstzweifel, weil das Licht von oben auf meinen Körper fällt. Sehe ich da erste Dellen auf meinen Oberschenkeln? Seit wann wölbt sich mein Bauch über dem Gummizug? Sind die verlorenen vier Liebeskummer-Kilos heimlich zurückgekehrt? Kann man mit Mitte 30 überhaupt noch bauchfrei zum Sport gehen? Und wie sieht das Ganze in Bewegung aus? Ich hüpfe in schwarzen Shorts und einem weißen Sport BH vor dem Spiegel auf und ab.

„Alles in Ordnung da drin?“, fragt eine männliche Stimme vor der Kabine, und in einem übermutigen Impuls öffne ich den Vorhang und frage:

„Ich weiß nicht. Was meinen Sie?“

Der junge Verkäufer, der aussieht wie der jüngere Bruder von Boris Johnson, wird rot und stammelt:

„Also, ich find’s cool.“

„Danke“, flöte ich und ziehe den Vorhang wieder zu. Ich kaufe die Shorts eine Nummer größer, dann quetscht nichts mehr, und nehme noch ein schwarzes weites Oberteil mit riesigen Armausschnitten, durch die ein bisschen Haut und weißer Sport-BH durchblitzen.

Zuhause vor dem Spiegel drehe ich mich zufrieden um mich selbst und wähle Ramons Nummer. „Oi! Ramon hier.“

„Oi! (Oh mein Gott, habe ich das gerade wirklich gesagt?) Äh, hier spricht Luzy. Ich bin eine Freundin von Dina. Sie war mal bei dir im Salsa-Kurs. Ich weiß nicht, ob du dich erinnerst …“

„Querida – wenn ich mich an alle Frauen erinnern würde, die bei mir im Kurs waren, dann hätte ich keine Zeit mehr zu tanzen.“

‚Na, hoffentlich erinnerst du dich wenigstens an die, die du gevögelt hast’, schießt es mir durch den Kopf.

„Ist ja auch nicht so wichtig“, sage ich. „Ich rufe an, weil ich gerne mal eine Probestunde bei dir machen würde.“

„Allein?“, fragt er.

Meine Stunde hat geschlagen!

„Ja, am liebsten allein.“

„Das ist nicht billig, eine Einzelstunde kostet 50 Euro. Zu zweit 30 Euro und in der Gruppe 15 Euro.“

„Einzelstunde“, beharre ich.

„Esta bem, Querida. Ich könnte übermorgen um 10 oder um 18 Uhr.“

„Um 18 Uhr.“

Auf jeden Fall abends!

„Super.“

Er gibt mir die Adresse des Studios, und wir legen auf. Ich weiß überhaupt nicht, wie Ramon aussieht, deshalb gehe ich ins Internet und tippe „berühmte Brasilianer“ ein. Neymar, Ronaldinho, Ronaldo – alles Fußballer. Ich kenne keinen und finde einen unattraktiver als den nächsten. Deshalb beschließe ich, nicht weiter zu forschen und mich überraschen zu lassen. Schließlich will ich ja auf Abenteuerreise gehen, und Abenteuer lassen sich nicht planen. Aber wenn Dina ihn so umwerfend findet, dann wird da ja was dran sein.

Meine Lässigkeit hält bis zu dem Moment, in dem ich in meinem Mini Cooper Richtung Salsa-Studio fahre.

‚Wenn er dir nicht gefällt, musst du ja nichts mit ihm anfangen’, beruhige ich mich.

‚Aber was, wenn ich ihm nicht gefalle?’, ätzt eine andere Stimme in mir. ‚Was, wenn er nicht die geringsten Anstalten in Richtung Flirt macht?‘ Der Blick in den Rückspiegel entstresst mich ein wenig. Ich sehe gut aus, nur wenig geschminkt, die Haare zu einem sportlichen Dutt hochgebunden, leicht rote Wangen, vielleicht vor Aufregung. Ich trage ein hellblaues sportliches Hemdblusenkleid, das vorne mit Druckknöpfen verschlossen ist, und dazu weiße Turnschuhe. Meine Sportsachen will ich vor Ort anziehen. Ramon soll mich schließlich erst einmal als Frau wahrnehmen.

 

Als ich am Studio ankomme, steht die Tür weit offen, aus dem Inneren dringt brasilianische Musik. Ich trete in den gut 100 Quadratmeter großen, komplett verspiegelten Raum, und mir strahlt ein ausgesprochen gut geschnittenes Gesicht mit blendend weißen Zähnen entgegen, das auf einem sehr trainierten, nicht allzu großen Körper sitzt.

‚Hoffentlich ist er nicht kleiner als ich’, schießt mir Regel Nummer 8 durch den Kopf. Ramon kommt mit ausgebreiteten Armen auf mich zu, umfasst meine Schultern und küsst mich zur Begrüßung mit drei Küsschen auf die Wange: links, rechts, links.

„Oi, meine Schöne.“

Ich verkneife mir ein weiteres ‚Oi‘ und belasse es bei einem halbwegs entspannten „Hi.“

„Komm rein.“

Wir plaudern ein wenig über das Wetter, das Studio und Brasilien. Dann sagt er:

„Willst du dich noch umziehen? Ich zeige dir die Kabinen.“

In der Umkleide schlägt mir das Herz doch tatsächlich bis zum Hals. Ramon ist total heiß. Er bewegt sich wie eine geschmeidige Katze, mit sehr lässigem Hüftschwung und aufrechtem Gang. Er ist charmant, flirty und sexy. Und: Er ist definitiv nicht kleiner als ich.

‚Gute Wahl, Luzy’, sage ich mir und wage mich in meinem Sportdress in die Höhle des Löwen.

„Schon mal Salsa getanzt?“, fragt er mich.

„Nicht wirklich – deshalb wollte ich ja auch eine Einzelstunde.“

„Ach ja?“

Er lächelt, und ich weiß nicht recht, was ich antworten soll.

„Dann stell dich mal hier vor den Spiegel.“

Er schaltet die Musikanlage an, platziert sich direkt hinter mir, umfasst meine Hüften und beginnt, mich langsam hin und her zu wiegen.

„Schön lockerlassen.“

Es dauert ein paar Sekunden, aber dann bewege ich mich im Rhythmus zu seinem Hüftschwung. Erst von rechts nach links, dann kreisend. Unsere Blicke begegnen sich im Spiegel. Ramon lächelt und setzt einen Fuß nach rechts. Ich folge ihm, Fuß zur Mitte, Fuß nach links. Ich fühle seinen Atem in meinem Nacken, und mir stellen sich die Härchen auf. „Nicht nachdenken, Querida!“, flüstert er. „Konzentrier dich nur auf meine Bewegungen.“

Sein Körper schwingt warm und geschmeidig hinter meinem. Seine Hände wandern von meinen Hüften zu meiner Taille. Er dirigiert mich sanft zu der Musik, lässt mich los, dreht mich zu sich, zieht mich an sich, schiebt mich wieder weg, wirbelt mich zurück. Das Ganze mit einer Anmut und Eleganz, die mir die Sinne rauben. Seine Handgriffe sind bestimmt, aber nicht fordernd. Wir kommen uns ganz nah und entfernen uns wieder voneinander. Mein Atem geht schneller, aber mein Herz klopft im ruhigen Rhythmus der Vertrautheit. Wir tanzen wie Liebende, die sich verlieren, suchen und wiederfinden.

In einer weiteren Drehung zieht Ramon mich ganz nah an sich heran und streift mit seinen Lippen leicht meine Wange, beim nächsten Mal berührt seine Hand wie zufällig meinen Busen. Als ich mit dem Rücken zu ihm stehe, zieht er mich an sich, und ich spüre, während unsere Hüften im Gleichklang kreisen, seine Erregung. Wieder stößt er mich von sich weg, hält dabei meine Hand, wirbelt mich herum, und während mir vor Aufregung schwindelig wird, tanzt Ramon mich Richtung Sofa. Wir gleiten hinein, und er flüstert ganz leise:

„Nicht bewegen.“

Was dann passiert, habe ich eingangs beschrieben: Ich erlebe den besten Orgasmus meines bisherigen Lebens, und während ich noch bebe, fährt Ramon mit seinem harten Penis in unseren verschränkten Händen auf und ab, bis er sich leise stöhnend auf meinem Bauch entlädt. Er lächelt mich strahlend an.

„Zufrieden?“

„Mehr als das. Du bist ein Magier“, sage ich. „Woher weißt du, was Frauen lieben?“

„Ich weiß es, weil ich die Frauen liebe!“

Und ich liebe Ramon. Zumindest in diesem Augenblick.

Auf dem Heimweg überdenke ich meine Regeln. Maximal drei Treffen. Das ist hart. Am liebsten würde ich Ramon von nun an jeden Tag sehen. Aber ich reiße mich zusammen.

‚Wenn du etwas erleben willst, Luzy, dann bleib’ nicht gleich an der ersten guten Geschichte hängen.’

Ich nehme mir vor, Ramon im Laufe meiner Abenteuerreise noch zwei weitere Male zu treffen – irgendwann zwischendurch, wenn mir der Sinn nach gutem Sex steht.

Kapitel 3

Offenbare dir selbst deine geheimsten Fantasien

Heute treffen wir uns zum Mädelsabend. Bei mir. Das heißt: Ich bin für das Essen zuständig. Und das ist in unserer Konstellation jedes Mal eine neue Herausforderung, weil jede von uns ernährungstechnisch auf einem anderen Trip ist. Fragt sich nur, auf welchem! Dina verzichtet zur Zeit mal wieder komplett auf Weißmehl, Elisa ist ketogen unterwegs und nimmt keinerlei Kohlenhydrate zu sich.

„Was denn, auch keinen Alkohol?“, frage ich entsetzt.

„Doch, Gin pur darf man. Sonst würde ich das nicht durchhalten.“

„Ich dachte schon.“

Die Vierte im Bunde, Carmen, kann heute leider nicht dabei sein. Das Musicaltheater, an dem sie als Kostümbildnerin arbeitet, bringt gerade ein neues Stück an den Start, und das bedeutet am Anfang jede Menge Stress. Wenn eine von uns vieren fehlt, fühlen wir uns immer ein bisschen unvollständig. Das liegt wahrscheinlich daran, dass wir uns gut ergänzen, weil wir so unterschiedlich sind.

Dina ist die ‚Entspannte‘. Sie nimmt die Dinge, wie sie kommen, stellt nicht alles infrage, folgt ihrem Herzen und ihrem Instinkt, weiß, was sie will und handelt danach. Elisa ist die ‚Rationale‘. Sie folgt immer ihrem Verstand, bleibt sachlich, nüchtern und ist sehr direkt. Sie macht keine Kompromisse und hasst Überraschungen. Carmen ist die ‚Experimentierfreudige‘. Als Interfrau, dazu später mehr, hat sie immer schon für ihre Freiheit gekämpft. Sie liebt das Abenteuer, steht allem Neuen offen gegenüber und ist total angstfrei. Ich bin die ‚Sicherheitsbestrebte‘. Oder sagen wir, das war ich bis vor wenigen Tagen. Ich weiß gerne, was mich erwartet, kann mich nur schwer von Menschen oder Dingen trennen und hadere mit meinen Entscheidungen. Als neue Version meiner selbst träume ich davon, die ‚Abenteuerlustige‘ zu werden, die sich was traut, spontan ist und offen für neue Erfahrungen. Und ich verbiete mir, mit diesem Ziel zu hadern.

Heute Abend will ich Lachs im Ofen zubereiten, deshalb öffne ich noch morgens im Bett mein Laptop, um nach einem Rezept zu suchen, als mehrere E-Mails eingehen. Na, das wird doch nicht etwa eine Reue-Litanei von David-Alexander sein? (Ach Luzy, du bist so naiv …) Oder vielleicht Liebesschwüre von Ramon (… und so verpeilt, der hat ja noch nicht mal deine E-Mail-Adresse). Doch statt Sätzen wie: „Ich vermisse dich“ oder „Wann sehen wir uns wieder?“ stehen folgende Zeilen im Betreff:

Luzy! Penis zu klein?

Luzy! Erektion garantiert – auch bei 85-Jährigen

Luzy! Ständer auf Kommando

Moment mal – wie kommt denn solche Werbung in mein Postfach? Meine Enttäuschung weicht Empörung, aber nach kurzer Überlegung wandelt sich meine Empörung in leichte Beschämung. Ich bin gestern Abend im Bett hemmungslos durch sämtliche freie Pornoseiten gesurft! Nein, nicht was Ihr denkt. Ich finde, jetzt, wo ich frei und ungebunden bin und meine Zukunft unter dem Zeichen der sexuellen Selbstverwirklichung steht, muss man sich ja mal informieren. Also darüber, was so angesagt ist und darüber, was überhaupt alles geht. Und ich sage Euch: Es geht ALLES. Aber dazu gleich mehr. Was mich zuerst stutzig macht, ist, dass Google doch angeblich alles weiß. Und dann checken sie nicht, dass ich eine Frau bin? Oder geht der Algorithmus automatisch davon aus, dass nur Männer auf Pornoseiten surfen? Und zwar solche mit Potenzproblemen oder zu kleinem Penis? Im Grunde ist es mir ganz recht, dass ich anscheinend unter dem Radar unterwegs war, aber lustig ist das schon: Luzy – Penis zu klein? Wobei, jetzt bin ich doch neugierig. Was schlagen die denn in diesem Fall vor? Auf die Gefahr hin, in den nächsten zwei Wochen mit Penis-Verlängerungs-Angeboten erschlagen zu werden, öffne ich die Seite. Dahinter verbirgt sich der sogenannte Penis-Expander – eine Art Foltergerät für das beste Stück des Mannes. Zu kurz Gekommene spannen ihren Unglücksraben am Schaft und an der Eichel in eine Art Streckbank, drehen dann auf jeder Seite am Gewinde und ziehen ihr Teil in die Länge. Aua! Laut Anbieter springen bei regelmäßiger Anwendung 5–25 Zentimeter Längengewinn dabei raus. Echt jetzt? Die Anwender sind jedenfalls begeistert.

„Mein Penis ist so groß wie nie zuvor“ (Das wäre ja dann auch Sinn der Sache)

„Mein großer Penis ist jetzt noch größer“ (Klar, kann ja nicht groß genug sein)

Ich liebe meinen neuen großen Penis“ (Jetzt noch mehr als vorher)

Die Vorstellung, wie Tausende Männer weltweit unter Schmerzen ihr angeblich bestes Stück in dieses Folterbett spannen, um dann wöchentlich zu überprüfen, ob er schon gewachsen ist, ist wirklich zu komisch.

Abgesehen davon fand ich meinen kleinen Ausflug in die Welt der Pornographie eher ernüchternd. Nicht, dass ich nicht schon vorher so etwas gesehen hätte – aber ich habe diese Seiten noch nie so lange durchforstet wie gestern. Ich dachte, es würde mich vielleicht inspirieren. Deshalb habe ich nicht einfach nur das Erstbeste, das mir angeboten wurde, angeschaut, sondern mich durch die Kategorien geklickt, von denen ich die wenigste Ahnung habe. Ich erspare Euch langweilige beziehungsweise bekannte Fetische. Nur so viel: Ich wusste bisher nicht, dass sich manche Männer Brennnesseln auf ihre Eichel legen und dabei masturbieren, oder dass Partner sich freiwillig vor dem Verkehr gegenseitig Gipsverbände anlegen.

Beim Sex gibt’s offenbar keine Grenzen. Aber bei mir. Mich machen diese extrem realistischen Darbietungen echt nicht an. Das ist alles so direkt, so wenig geheimnisvoll oder romantisch. Ich lese lieber etwas Anregendes, etwas, das meine Fantasie weckt, oder ich fantasiere mir selbst etwas zusammen. Und nennt mich ruhig spießig, aber ich habe auf den ganzen Seiten keine Praktiken oder Konstellationen entdeckt, die mich irgendwie angetörnt oder meine sexuelle Neugier geweckt hätten. Da bleibe ich doch lieber bei meinen eigenen Fantasien. Hier meine Top Drei:

Fantasie Nummer 1:

Heimlicher Sex in der Öffentlichkeit. In meiner Lieblingsfantasie bin ich irgendwo ganz edel zum Essen eingeladen, wahlweise sitze ich auch in einer Konferenz oder in einer Bibliothek am Schreibtisch. Ein gutaussehender Mann hat mich von Anfang an im Visier. Er lächelt mir zu, aber plötzlich ist er verschwunden. Kurz darauf fühle ich, wie jemand unter dem Tisch meinen Rock hochschiebt und mit seiner Zunge zwischen meinen Beinen spielt.

Fantasie Nummer 2:

Wir befinden uns in einem anderen Jahrhundert. Ich stehe am Wegesrand in den schottischen Highlands, und der Outlander rettet mich mit seinem Pferd, auf dem wir dann wilden Sex haben.

Fantasie Nummer 3:

Es ist total peinlich, aber ich will ehrlich sein. In meiner dritten Fantasie liege ich zu Hause auf meinem Bett. Ich bin gerade erfrischt aus der Badewanne gestiegen, räkele mich in einem roten Seidenkimono auf meinem Bett und beginne, mich selbst zu streicheln. Ich habe meine Airpods in den Ohren und höre „Let’s get it on“ von Marvin Gaye. Ich bin völlig versunken, als ein Rascheln an der Tür mich aufhorchen lässt. Ich öffne die Augen, und da steht David-Alexander mit heruntergelassenen Hosen – was undenkbar ist – und masturbiert wie besessen – was noch viel unwahrscheinlicher ist!

Fragt mich nicht, warum mich das anmacht – vor allem, nachdem er mich für angeblich ach so großartigen Sex verlassen hat, aber es ist wirklich immer noch eine meiner Lieblingsfantasien. Die Vorstellung, dass David-Alexander beim Anblick meines halbnackten Körpers vollkommen die Selbstbeherrschung verliert, macht mich total scharf. Oh mein Gott, ich bin so simpel gestrickt. Vielleicht wird diese Vorstellung ja mit der Zeit von Erinnerungen an neue Erlebnisse überlagert. Ich sollte mal ausprobieren, was in meinem Kopf mit Ramon so alles geht.

Auf dem Rückweg vom Supermarkt treffe ich Harry, den Architekten. Den hatte ich überhaupt nicht mehr auf dem Schirm. Er war in den letzten Wochen anscheinend viel unterwegs, entweder auf einer Baustelle oder bei seiner Neuen. Jedenfalls hab ich ihn länger nicht gesehen. Und plötzlich sitzt er da, mit seiner Flamme vor seinem Büro in der Sonne. Er ist wie ausgewechselt. Normalerweise haben wir immer ein bisschen geflirtet, zumindest habe ich mir das eingebildet. Vielleicht habe ich in meinem David-Alexander-Frust auch zu viel in „Hey Luzy, wie geht’s dir? Lust auf einen Kaffee?“ hineininterpretiert? Meistens hat er mir dann einen Espresso gezaubert und mir auf seinem Computer gezeigt, woran er gerade arbeitet. Und heute?

 

„Na, Luzy, wie geht’s?“

Nix Kaffee oder Computer. Dafür folgt:

„Darf ich dir Cloe vorstellen? Cloe, das ist Luzy, eine Nachbarin.“

Cloe – klar, wahrscheinlich direkt vom Laufsteg aus Paris eingeflogen. Sieht aus wie ein Supermodel: ellenlange Beine, eine Taille, die ich nie haben werde, selbst wenn ich einmal um die Welt jogge und Haare, die der Wahnsinn sind: eine dicke, lange blonde Mähne – wie aus dem Katalog. Dazu das Gesicht! So perfekt, als hätte man alle Foto-Bearbeitungsprogramme auf einmal angewandt. ‚Vielleicht ist sie Model für Trockenshampoo‘, hoffe ich, aber nein, sie ist natürlich auch noch superschlau und Zahnärztin. Und ich? Bad Hair Day – Very Bad Hair Day – Very Very Bad Hair Day. Angeklatscht wäre noch gnädig umschrieben. Und dazu mein Outfit: meine Putzklamotten, bestehend aus einer hellgrauen, zu großen Jogginghose von David-Alexander, die ich wirklich nur zum Putzen trage und einem albernen Sweatshirt mit der Aufschrift: ‚Not perfect – just awesome‘. Oh mein Gott, ich möchte mich in Luft auflösen. Aber zu meinem Glück haben die beiden nur Augen füreinander. Wir plaudern kurz über dies und das, dann sehe ich zu, dass ich wegkomme.

„Macht’s gut, ihr zwei“, sage ich zum Abschied.

„Ciao“, flötet Cloe, und Harry ruft:

„See you!“

Und dann, an seine Flamme gewandt:

„Wir müssen auch los, Engelchen.“

Und sie: „Du hast recht, Teufelchen.“

Whaaaat? Engelchen und Teufelchen? Der coole Harry und seine Superfrau? Verliebte sind wirklich zu komisch. Auf dem Heimweg erstelle ich ein Top Five-Ranking der schlimmsten Kosenamen.

Platz 1: Pupsi (ungeschlagen!)

Platz 2: Hasimausi, Mausebärchen (geht für mich gar nicht)

Platz 3: Schatz, Schatzi (so was von abgestanden)

Platz 4: Mama und Papa (es gibt wirklich Partner, die sich so nennen)

Platz 5: Engel, Engelchen und Teufelchen (so kitschig!)

Zum Glück lässt der Name Luzy wenige Variationen zu und klingt schon von sich aus ein bisschen wie ein Kosename. Das hält die meisten Leute davon ab, sich Alternativen auszudenken. In seltenen Momenten hat mich David-Alexander, der, wie man sich denken kann, in Sachen Kosenamen nicht gerade ein Quell der Kreativität war, „Süße“ genannt. Damit konnte ich leben. Ich habs mal mit D. A. – also englisch ausgesprochen, DiiÄii – versucht. Das fand ich cooler als das lange David-Alexander, doch irgendwie bin ich auf taube Ohren gestoßen. Tja, wäre mir doch „Stallion“ oder wenigstens „Hengst“ eingefallen – dann hätte sich mein Liebster wahrscheinlich in Höchstform galoppiert, aber wie schon erwähnt: Dieser Begriff ist mir in Zusammenhang mit David-Alexander nie in den Sinn gekommen.

Mein Ofenlachs ist eindeutig zu trocken geraten, aber meine Freundinnen nehmen es mit Humor.

„Auf jeden Fall besser als dein Huhn letztes Mal“, beruhigt mich Dina.

„Ich hätte ihn nicht besser machen können“, räumt Elisa ein, die noch weniger kochen kann als ich.

„Vielleicht solltet ihr mal zusammen einen Kochkurs besuchen“, schlägt Dina uns vor. „Da lernt ihr was und trefft bestimmt coole Typen.“

„Bist du irre?“, erwidert Elisa entsetzt. „Ich will doch keinen Typ kennenlernen, der Kochkurse belegt.“

„Och“, wende ich ein. „Männer, die kochen, sind doch ganz sexy.“

„Finde ich nicht“, sagt Elisa, die überzeugter Single ist und Männer im Allgemeinen für „überbewertet“ hält. Dina und ich grinsen uns an. Wir glauben, dass Elisa einfach nur Angst hat, sich zu binden und viel cooler tut, als sie ist.

„Irgendwann“, sagt Dina immer, wenn wir allein sind, „kommt der Richtige. Einer, der Elisa knackt, und dann werden wir sie nicht mehr wiedererkennen.“

„Aber wer soll das sein?“

„Einer, der die wirkliche Elisa hinter der professionellen Ärztin erkennt. Einer, der sie mit ihrer Coolness nicht durchkommen lässt. Einer, der sie in Grund und Boden vögelt. Einer, der sie will, aber nicht braucht.“ Elisa ist Frauenärztin in einem Kinderwunschzentrum. Sie hilft Paaren, die auf natürliche Weise keinen Nachwuchs bekommen. Das geht von Hormontherapie über künstliche Befruchtung bis zur Samenspende. Ich bin sicher, dass Elisa eine sehr einfühlsame Ärztin ist, aber als Privatperson hat sie wenig übrig für Träumereien, Romantik oder Verliebtsein.

„Ihr benehmt euch wie Teenies“, schimpft sie, wenn Dina, Carmen und ich von irgendeinem Schauspieler oder Rockstar schwärmen.

„Wenn du jeden Mann der Welt haben könntest“, frage ich sie. „Also egal, wen, auch einen Prominenten. Mit wem würdest du ins Bett gehen?“

„Ich würde sofort mit Bradley Cooper vögeln!“, ruft Dina. „Aber nur in seiner Rolle als Jackson Maine in ‚A Star is born‘. Da ist er so megasexy – Wahnsinn. Das wäre der Einzige, mit dem ich Jessy betrügen würde. Ich meine, ich könnte ja nichts dafür, es wäre Liebe, es wäre Leidenschaft, es wäre hemmungslose Hingabe, und natürlich würde sich Jackson Maine niemals das Leben nehmen, weil er mich kennengelernt hat. Ich würde ihn retten.“

Dina ist genau das Gegenteil von Elisa: Sie ist rettungslos romantisch – zumindest in ihren Träumen. In Wirklichkeit gehen ihr die meisten Männer schnell auf die Nerven. Aber eines Tages trat Jessy in ihr Leben, und da war es um sie geschehen. Dazu später mehr. Ich gestehe, dass ich total auf den Outlander abfahre und manchmal davon träume, dass er mich rettet, nicht reitet – den Part mit dem wilden Sex auf dem Pferd verschweige ich erst mal.

Elisa schüttelt den Kopf. „Krass, ihr seid ja so kindisch!“

„Was heißt denn kindisch?“, gebe ich zurück. „Jeder träumt doch mal.“ „Ja, klar, aber ihr verknallt euch in Kunstfiguren. Die gibt’s doch gar nicht.“

„Na und?“, erwidert Dina. „Es geht doch nur um die Fantasie.“

„Also ich könnte mir höchstens vorstellen, mal mit Richard David Precht zu schlafen. Der sieht gut aus und hat was in der Birne“, räumt Elisa ein. Na also, geht doch.

Ich habe mir vorgenommen, meinen Freundinnen heute noch nichts von meinen neuen Abenteuerplänen zu erzählen. Nicht, weil ich ihnen nicht vertraue. Im Gegenteil, ich liebe und respektiere sie, aber ich möchte erst einmal Boden unter den Füßen gewinnen, bevor ich mich oute. Außerdem befürchte ich, dass sie mich mit guten Ratschlägen wie „Pass auf, da draußen treiben sich jede Menge Arschlöcher herum.“ (Dina) oder „Denk dran, zu verhüten, sonst bist du am Ende schwanger und weißt nicht, von wem.“ (Elisa) in Grund und Boden bombardieren werden. Genau das kann ich gerade überhaupt nicht gebrauchen. Aber über Sex im Allgemeinen sprechen wir alle gerne, und weil ich herausfinden will, wovon Dina und Elisa heimlich träumen, packe ich meine Outlander-Fantasie aus. Also nicht in allen Details, aber im Groben: Schottland, Rettung, Vögeln auf dem Pferd.

Dina gesteht, dass sie manchmal von Sex mit einer Frau träumt.

„Hatte ich noch nie, und werde ich wahrscheinlich auch nie ausprobieren. Aber ich stelle mir das irgendwie erotisch vor. Ich meine, ich kenne meinen Körper und die andere Frau kennt ihren, und wir würden uns so berühren, wie wir es auch selber mögen. Sie würde megascharf aussehen und gut riechen. Und hätte schon Erfahrung mit gleichgeschlechtlichem Sex. Sie würde mich gewissermaßen einführen.“

„Oder ihn.“ Elisa wieder.

„Wen?“

„Den Plastikpenis, den sie sich umgeschnallt hat.“

„Oh Mann, Elisa.“ Ich muss lachen. „Jetzt mach dich mal locker. In seiner eigenen Fantasie passiert nicht das Schlimmste, das man sich vorstellen kann, da passiert das Schönste. Man kann sich die Dinge doch genauso ausmalen, wie man sie gerne hätte. Und wenn ich mir zurechtträume, dass mich der schöne, gut bestückte und heldenhafte Outlander im wilden Galopp auf seinem Pferd nimmt, dass er die Zügel fallen lässt und der Hengst trotzdem weiterreitet, dass wir im 18. Jahrhundert nackt durch die schottischen Highlands preschen, dann weiß ich doch, dass das nichts mit der Wirklichkeit zu tun hat. Das ist ja das Tolle am Kopfkino: Man führt selber Regie.“