Phönixliebe

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8


Im Morgengrauen hatte er es geschafft. Er war endlich zuhause angekommen! Thomas stellte seine Koffer im Flur ab und ging zuerst in die Küche, um sich einen Blutbeutel zu holen. Alles wirkte wie immer, was ihn beruhigte. Er hasste es, Alexandra und Samantha allein lassen zu müssen, doch war es die einzige Chance, eventuell eine Hilfe gegen die ständigen Visionsattacken seiner Frau zu finden. Alexa mitzunehmen wäre eine zu große Qual für sie gewesen, da jede Person, der sie begegnete ein Ende finden und sterben würde. Nichts war unumgänglicher als der Tod und Alexandra erlebte die letzten Augenblicke mit diesen Menschen mit.

Müde schlenderte Thomas nach oben ins Schlafzimmer, überlegte, ob er vor dem Schlafengehen noch schnell einen Blick in Sams Zimmer werfen sollte. Er verwarf den Gedanken jedoch. Seine Tochter war mittlerweile erwachsen und würde es sicherlich nicht zu schätzen wissen, wenn er einfach ihre Privatsphäre störte. Das Oberhaupt der Familie tat sich schwer damit, redete sich allerdings immer ein, es musste wohl jedem Vater so ergehen. Seine Kleine war flügge geworden und es würde wohl nicht lange dauern, bis sie das sichere Nest verlassen und auf eigenen Beinen stehen wollte.

Himmel, wie die Zeit verging! Es kam ihm vor, als hätten sie gerade ihr erstes Weihnachten hinter sich gebracht. Wo war das Püppchen mit den blonden Locken geblieben, das sich an ihn drückte, weil sie seinen Schutz gesucht hatte?

Im Schlafzimmer von Thomas und Alexandra brannte kein Licht, weshalb er es so beließ. Beinahe lautlos entkleidete er sich und stieg ins Bett. In der Finsternis des Zimmers konnte er trotzdem Alexandras Gesichtszüge erkennen. Sie war noch genauso schön wie an dem Tag, als er sie kennengelernt hatte, obgleich sie ein Schatten umgab. Ihre Unbekümmertheit von damals war mit jeder dieser Todesvisionen ein Stück mehr erloschen. Mittlerweile war da nur noch Angst. Angst vor der nächsten Vision, Angst, diese nicht verhindern zu können und einen geliebten Menschen zu verlieren. Thomas versuchte, ihr beizustehen, doch in der Nacht war Alexa meist allein mit ihren Träumen. Er musste einen Weg finden, diesen elenden Fluch zu lösen!

»Thomas«, hauchte Alexandra leise im Schlaf und kuschelte sich sofort an ihn.

Er strich ihr sanft über den Rücken und sie seufzte. Ihr Mann liebte es, dass sie selbst im Schlaf auf ihn reagierte. Alexandra war seine Auserwählte gewesen, seine Seelenverwandte, auf die er sein Leben lang gewartet hatte. Nur, wie lange würde sie noch durchhalten?

Vor ein paar Jahren hatte es eine Zeit gegeben, in der Thomas fest davon überzeugt gewesen war, dass Alexa sie verlassen würde. Es musste gut zehn Jahre her sein. Alexandras Visionen waren zwar heftig gewesen, aber noch lange nicht so häufig, sodass sie sich gefreut hatten, als sie erneut schwanger geworden war. Vier Monate war das Glück perfekt gewesen, bis das Schicksal knallhart zugeschlagen hatte. Während einer Vision war Alexa die Treppen des Hauses herunter gestürzt. Sie hatte sich die Wirbelsäule angebrochen, doch ihr Baby hatte es nicht geschafft. Thomas´ Schwester Melissa war natürlich sofort gekommen und hatte alles versucht, leider ohne Erfolg.

»Die Visionen sind schuld an diesem Unglück! Ich will einfach nur, dass die Gabe verschwindet, egal, woher sie stammt«, waren Alexas Worte gewesen.

Tagelang hatte sie kein Blut zu sich genommen, bis Thomas sie dazu zwang. Ihren Lebenswillen zurückzuholen war seine größte Herausforderung gewesen. Nur langsam wurde es besser, doch ein Rest der früheren Vorwürfe blieb wie eine Art Mahnmal. Sie hatten nicht einmal gewusst, ob das Baby ein Junge oder ein Mädchen geworden wäre, denn sie hatten sich überraschen lassen wollen und bei Melissa auch nicht nachgefragt. Allein bei dem Gedanken wurde er erneut traurig. Wie schön wäre es gewesen, ein weiteres Paar kleiner Füßchen auf dem Parkett trippeln zu hören.

›Schlaf Liebster‹, hauchte Alexa auf einmal in seinem Kopf und Thomas erkannte, dass sie wach war. ›Du denkst derart laut, dass ich unruhig werde. Du sendest Gefühle aus, mein Schatz.‹

›Entschuldige.‹ Thomas lächelte zu seiner Frau hinunter und das Gefühlsraster änderte sich schlagartig.

Er erschauderte. Sie hatte sich ohne ihn unendlich einsam gefühlt und wollte ihm nahe sein. Sehr nahe. Sie seufzte leise und die Müdigkeit, die Thomas gespürt hatte, war wie ausgelöscht. Was für ein Glück, dass ihre Gabe bei ihm wohl eine Ausnahme zu machen schien und er dadurch ihr Ruhepol bleiben durfte.

›Bist du dir sicher?‹, raunte er und das Funkeln in Alexas grau-grünen Augen war Antwort genug.

›Versprich mir nur, dass du nicht gleich wieder verschwindest. In letzter Zeit bist du zu viel unterwegs, mein Ehemann.‹

Er würde sie nicht mehr allein lassen, wenn es sich vermeiden ließ. Thomas küsste Alexandra sanft und bemühte sich, all seine Liebe in diese Zärtlichkeit zu legen.

›Entschuldigung angenommen.‹

Sie lächelte und einen Moment war Alexa die Frau, in die er sich vor all den Jahren verliebt hatte.

Sein Leben!

9


Samantha hatte einen wunderschönen Traum gehabt. Sie schwebte auf Wolken und war auf einem weichen, breiten Bett gelandet. Tobias war da gewesen, hatte ihr Verlangen nach Blut gestillt und sie danach stundenlang fest gehalten und gestreichelt. Seit Jahren hatte sie sich nicht mehr so geborgen gefühlt.

Sam öffnete die Augen. Sie lag noch in Tobias´ Armen und sämtliche Erinnerungen an den vergangenen Abend kamen ihr zurück ins Gedächtnis. Sie war tatsächlich beinahe ertrunken und hatte danach zusammen mit Tobi gegessen. Ab da war ihre Erinnerung irgendwie undeutlich. Samantha sah an sich hinab. Sie trug noch immer die Boxershorts und das T-Shirt, also hatten sie zumindest nicht miteinander geschlafen. Wäre es geschehen, hätte es andererseits extrem zu ihr und ihrem bisherigen Leben gepasst: Sie malte sich jahrelang aus, wie ihr erstes Mal sein würde, und dann bekam sie es nicht einmal mit.

Was sollte sie jetzt machen? Ihn wecken? Sich rausschleichen? Nein, das Letztere wollte sie auf gar keinen Fall! So, wie sie sich fühlte, an diesen warmen Männerkörper gekuschelt und geborgen, wollte sie sich ständig fühlen. Sie sollte allerdings mit ihm reden! Sie musste einfach mit ihm reden.

Sanft strich sie ihm mit den Fingerspitzen über den braun gebrannten Arm. Er murmelte im Schlaf leisen Protest und zuckte leicht. Gott, war er süß! Grinsend kitzelte Sam ihn noch ein bisschen weiter, aber er knurrte ihr ins Ohr.

Ob sie es wagen sollte?

Vorsichtig drehte sie sich in Tobis Armen zu ihm um und betrachtete ihren Mann. Samantha hatte schon von Anfang an ein Gefühl gehabt, dass er zu ihr gehörte. Es hatte ihr das Herz gebrochen, wenn er freitags ausgegangen war, um irgendwelche Frauen kennenzulernen oder gar eine bestimmte auszuführen. Für sie war er ihr Auserwählter, egal, was alle sagten!

Sanft berührten ihre Lippen die seinen. Ein Kribbeln durchfuhr Sams Körper. Er schmeckte nach mehr ...

Mit einem Mal war Tobias wach und der Kuss, der so unschuldig begonnen hatte, wurde geradezu brutal. Zu ihrer eigenen Verwunderung bestärkte es Sam jedoch darin, weiter zu machen. Tobi rollte sich während des Kusses auf sie, sodass sie ganz von diesem männlichen Körper bedeckt war, und er hielt sie fest umschlungen. Sie keuchte, als sich seine Lippen von den ihren löste und zum Hals wanderten.

»Oh Gott, ja«, stöhnte Samantha und spürte, wie Tobi an ihrem Hals erstarrte.

»Ich kann nicht«, brachte er erstickt heraus und Sam überlegte, was sie um Himmels willen nun schon wieder falsch gemacht hatte. »Es tut mir leid.«

Unvermittelt machte sie sich von ihm los. Sie hätte nie gedacht, dass sie sich einmal derart schlecht fühlen würde, doch das war vor Tobias´ Zurückweisung gewesen. Er verlagerte sein Gewicht, sodass sie aufstehen konnte. Samantha lief im Schlafzimmer auf und ab. Der Wunsch, sich zu bewegen, war plötzlich geradezu übermenschlich.

»Sag es mir bitte: Was mache ich falsch? Bin ich dir nicht hübsch genug? Muss ich mich mehr in Schale werfen? Was ist es? Oder bin ich schlichtweg nicht dein Fall?« Sie wollte sich nicht wie ein beleidigtes Kind anhören, doch war ihr die Kontrolle über ihre Gefühle komplett verloren gegangen.

Tobias sah aus, als hätte Sam ihm eine Ohrfeige gegeben. Er stotterte ein paar Worte, die sie vor Wut nicht verstand und sagte danach:

»Du bist perfekt!«

Den einzigen Gedanken, den Samantha hatte, war:

›Anscheinend nicht perfekt genug.‹

Sie marschierte los, wollte aus diesem Haus und zurück in ihre gewohnte Umgebung, in der sie stets die Beobachterin war. Zurück an den Ort, an dem sich Samantha mit niemandem stritt außer mit Beni, die ihr eh am Ende vergab. Die Haustür hielt sie jedoch gnadenlos auf. Es schien kein Entkommen zu geben, denn die Tür war fest verschlossen und weit und breit kein Schlüssel zu sehen.

»Samantha, warte!« Tobias war ihr gefolgt und sah sie flehend an. »Du verstehst es falsch.«

»Na klasse! Dumm bin ich also auch noch? Was soll daran nicht zu verstehen sein? Du hast mir einen Korb gegeben! Also lass mich jetzt wenigstens nachhause gehen, wo ich meine Wunden lecken kann«, fauchte Sam für ihre Verhältnisse ungewöhnlich laut und schlug gegen die Tür.

Wunderbar! Bis auf, dass sie jetzt zudem ein vor Schmerz pochendes Handgelenk hatte, war an der verschlossenen Tür nichts bewirkt worden. Das Material war erstaunlich stabil.

 

»Sam«, begann Tobi erneut, doch Samantha wollte es nicht hören.

Als letzten Ausweg nutzte sie ihre Gabe und ließ die Haustür krachend aus den Angeln springen. Die Tür knallte an die anliegende Wand und holte einige Bilder herunter. Beinahe hätte sich Sam dafür entschuldigt, als sie Tobis erschrockenes Gesicht sah, doch dann hörte sie die Stimme ihres Vaters.

»Samantha?! Was machst du da?«

Sie wandte sich um und keuchte.

»Vater, du bist wieder hier.«

Sie lief auf ihn zu und bemerkte sofort den Blick auf die ungewöhnlichen Kleidungsstücke, die sie trug. Sam ächzte leise und umarmte ihn ganz fest. Vermutlich fragte er sich bereits, was das Schauspiel hier sollte, das sich ihm bot.

»Bitte frag nicht. Hattest du Erfolg bei deiner Suche? Gab es interessante Antiquitäten?«

»Ich fürchte, ich bin nicht ganz am Ziel. Entschuldige mich bitte. Ich habe mit Tobias zu reden.«

Er umarmte Sam nochmals kurz und ließ sie daraufhin des Weges ziehen. Der führte sie direkt in ihr Zimmer, wo sie sich schluchzend aufs Bett warf.

Die Welt war so schrecklich ungerecht! Wieso konnte es nicht etwas mehr wie in ihren Träumen sein?

10


Es war ein Albtraum! Tobias starrte geschockt auf die aus den Angeln gerissene Tür und erinnerte sich an Samanthas verletzte Miene. Er hätte nie zu glauben gewagt, dass sie ihn wirklich wollte. Er hatte innegehalten, da ihn das Verlangen erfasst hatte, ihr nach dem Kuss auf den Hals auch noch kurz hinein zu beißen. Dieser Gedanke hatte ihn in die Realität zurückgebracht. Er war kein Auserwählter! Er wusste nicht, was ihr Blut aus ihm machen würde, doch ganz bestimmt keinen Vampir.

Sams Vater Thomas erschien im Türrahmen. Er wirkte merkwürdig ruhig, obwohl Tobias das wütende Glitzern in seinen Augen erkannte. Gleich ging sicherlich eine Rede los, wenn er Glück hatte. Die Letzte war gewesen, bevor Samantha in die Pubertät gekommen war. Damals hatte Thomas ihm befohlen, sich von seiner Tochter fernzuhalten. Würde er die Worte wiederholen oder ihm gleich den Kopf abreißen? Tobi wusste nicht, was besser für ihn wäre. Eine weitere Ansage, dass Sam außerhalb seiner Liga war, oder seinem Leiden direkt ein Ende zu setzen.

»Was hatte Sam in deinem Haus zu suchen? Ich dachte, du hättest damit endlich abgeschlossen«, knurrte Thomas und Tobias ächzte genervt. Allein dieser Tonfall war eine Herausforderung für seine Geduld. »Was?«

»Ich hatte es nicht geplant, falls du das meinst! Ich sah Samantha heute Nacht über das Grundstück wandern. Als sie in den Teich fiel, habe ich sie rausgezogen. Aus irgendeinem Grund wollte sie danach nicht ins Herrenhaus, also habe ich sie hier schlafen lassen«, erklärte Tobi und bemerkte, dass die Wut aus Thomas‘ Miene geradezu verpuffte.

»Der Teich.«

Es war unschwer zu sehen, dass sich Angst in Sams Vater festgesetzt hatte, wie ein unheilbarer Virus. Tobias sah seinen Arbeitgeber voller Mitleid an. Wenn er dachte, dass er Probleme hatte, weil er Samantha nur von weitem anhimmeln durfte, wie musste es als Vater sein, wenn man seine Tochter keinen Schutz bieten konnte?

»Alles okay?« Eine Gefühlswelle fuhr durch Tobi und er schnappte nach Luft. Er starrte Thomas an, keuchte: »Was war das?«

»Entschuldige. Ich habe diese Gabe in letzter Zeit nicht vollständig im Griff. Vielleicht liegt es am Stress.«

Sein Boss rieb sich die Stirn und überlegte. Eine weitere Gefühlswelle traf Tobi und diesmal fiel bei ihm endlich der Groschen.

»Alexa hat es gesehen! Sie hat es gesehen und deshalb wolltest du gestern, dass ich das Wasser aus dem Teich lasse. Verdammt nochmal, wieso hast du es mir nicht gesagt?«

Thomas nickte und wirkte auf einmal wie ein alter Mann. Äußerlich sah er noch aus wie ein Anfang Dreißigjähriger, doch seine Augen strahlten nicht mehr das aus, was sie früher taten. Die Last auf seinen Schultern schien mit der Zeit wohl doch zu schwer geworden zu sein, um sie beinahe allein zu tragen.

»Alexandra hat ständig diese Todesvisionen. Sie sieht sie nicht nur, was ja schon schlimm genug wäre, sondern kann es ebenfalls spüren. Sie kommt damit verständlicherweise nicht mehr klar. Das ist einer der Gründe, weshalb sie das Haus nicht mehr verlässt. Zudem handeln in der letzten Zeit die Visionen stets von Samantha. Das verängstigt sie.«

Tobias´ Atem stockte. Er hatte alles für einen dummen Zufall gehalten. Sam war also wirklich in Todesgefahr? Er durfte das auf keinen Fall zulassen und musste es unbedingt verhindern. Die Frage war allerdings, wie?

»Ich werde auf sie aufpassen«, beschloss er dennoch und beobachtete Thomas, dessen linke Augenbraue sich leicht hob.

»Junge, das ist vermutlich keine gute Idee. Ich spüre deine Gefühle, vergessen? Was, wenn Samantha genauso empfindet? Was soll das mit euch beiden am Ende werden? Es hat doch keine Zukunft, egal, wie sehr ich dich auch mag«, warf Thomas ein, doch Tobi schüttelte den Kopf.

»Hast du nicht mitbekommen, wie sie hier rausgestürmt ist?« Tobias hielt inne. »Moment. Kannst du Samanthas Gefühle nicht wahrnehmen?«

Nun war es Thomas, der den Kopf schüttelte. Er schien die Tatsache, dass seine Tochter immun gegen seine Gabe war, allerdings nicht beunruhigend zu finden, lächelte sogar ein wenig, als er sagte:

»Sam ist ungewöhnlich beherrscht. Wenn sie nicht möchte, dass ich ihre Gefühle mitbekomme, schaltet sie sie irgendwie ab. Ich muss sagen, dass ich teilweise froh darüber bin. Mich hat das damals bei meiner kleinen Schwester schon gestört, wenn sie geschwärmt hat. Wie wäre es also bei meiner eigenen Tochter gewesen? Ich will es echt nicht wissen!«

Wenn man es so sah, war es wohl tatsächlich besser, denn sonst hätte Thomas mit Tobi schon kurzen Prozess gemacht, weil er Samantha gekränkt hatte. Tobias musste dieses Missverständnis unbedingt mit ihr klären.

Er wusste, dass es unklug wäre, ihr von seinen Gefühlen zu erzählen, aber vielleicht schaffte er es ja, sie dazu zu bewegen, ihn schlichtweg für einen Trottel zu halten, statt die Schuld weiterhin bei sich zu suchen.

Wie war Sam überhaupt darauf gekommen, dass es an ihr lag? Sie war perfekt! Allein der Klang ihrer Stimme reichte aus, dass er niederknien und ihr Treue schwören wollte ...

Thomas neben ihm ächzte.

»Junge, du musst das wirklich in den Griff bekommen. Jetzt wird mir langsam schlecht, verdammt.«

11


Alexa hatte sich gerade angezogen und wollte vor dem Frühstück rasch einen Blutbeutel zu sich nehmen, als sie plötzlich eilige Schritte hörte und danach das Knallen einer Zimmertür. Es konnte nur Samantha gewesen sein, also marschierte Alexandra nach draußen, um nach ihrer Tochter zu sehen. Sie klopfte zaghaft, wusste, dass sie wieder Gefahr lief, eine ihrer Visionen zu bekommen. Ihre Tochter war ihr im Moment jedoch wesentlich wichtiger, denn Türenknallen sprach für sich.

Als keine Antwort kam, öffnete sie einen Spaltbreit die Tür und sah hinein. Sam lag auf ihrem Bett, den Kopf in ein Kissen gedrückt und schluchzte herzzerreißend. Alexandras Mutterinstinkt lief plötzlich auf Hochtouren.

»Schätzchen, was ist denn los?« Sie eilte zu ihr und ihre Tochter versuchte gar nicht erst, ihren Kummer vor ihr zu verbergen, sondern warf sich in Alexas Arme. Sie schluchzte noch immer.

Alexandra war fassungslos, denn nichts geschah. Keine Vision. Kein Sterben. Nichts! Sie konnte einfach nur für ihre Tochter da sein. War das eine gütige Fügung oder purer Zufall?

Alexa strich Samantha beruhigend über den Rücken und summte eines der Lieder, die sie ihr als Kind zum Einschlafen vorgesungen hatte oder wenn sie traurig gewesen war. Das Schluchzen wurde langsam leiser, jedoch war sich Alexa nicht sicher, ob es am Summen oder am Trösten gelegen hatte. Ihr war beides recht. Wie sehr hatte sie es vermisst, ihre Tochter einfach so in den Armen halten zu können, ganz ohne Angst.

»Ich werde als alte Jungfer sterben«, schniefte Sam und legte den Kopf auf Alexandras Schulter, um zu ihr hoch blinzeln zu können. »Er will mich einfach nicht. Und dabei liebe ich ihn so sehr.«

»Wer?«, wollte Alexa überrascht wissen.

»Tobias«, brachte ihre Tochter gerade noch heraus, ehe die nächste Welle an Schluchzern anstand.

Alexandra war erstaunt, dass das Herz ihrer Tochter weiterhin so unerschütterlich an Tobias hing. Sie hatte angenommen, die Emotionen wären irgendwann erledigt gewesen. Dem war anscheinend nicht so. Wie hatte sie diese Gefühle nur dermaßen lang in sich einschließen können, dass es nicht einmal ihr Vater bemerkt hatte? Ihr kleiner Spatz!

»Süße, was ist denn passiert? Erzähl es mir. Vielleicht finden wir ja eine Lösung«, flüsterte Alexa und war froh, Samantha in ihrem Kummer beistehen zu können. Wie oft hatten sie Sam wohl damit allein gelassen?

»Ich hatte einen Traum und bin erst wach geworden, als ich den Halt verlor und ins Wasser des Teichs fiel«, schniefte Sam und Alexandra versteifte sich bei dem Gedanken an ihre Vision. Es war also passiert? In dieser Nacht? »Tobi hat mich herausgezogen. Ich wollte nicht zurück in mein Bett, also hat er mir Sachen von sich gegeben und anschließend haben wir sogar zusammen gekocht, wie in früheren Zeiten. Spagetti. Es war toll ... Dann ist mir irgendwann schwarz vor Augen geworden und heute Morgen wache ich auf, liege in Tobis Bett, in seinen Armen und es fühlte sich zum ersten Mal seit sehr langer Zeit richtig an. Ich muss danach aber irgendetwas total falsch gemacht haben, zumindest hat er nach unserem Kuss plötzlich aufgehört und gesagt, er würde das nicht können.«

Alexandra hatte ihre Tochter erzählen lassen und versuchte, sich aus der Starre zu lösen, was nach und nach auch klappte. In ihrem Kopf explodierten weiterhin Fragen und Vermutungen, doch jetzt war es noch zu früh, Samantha darauf anzusprechen. Stattdessen erkundigte sie sich:

»Wieso konnte Tobias nicht? Hast du ihn gefragt?«

Sam, die sie nun wieder ansah, wurde rot. Ihre Miene zeigte die Verzweiflung.

»Er hat es nicht erklären können. Angeblich wäre ich perfekt, daraufhin war ich zu dumm, es zu verstehen. Und am Ende hab ich seine Haustür kaputt gemacht, um aus dem Haus zu kommen«, flüsterte Sam, als schämte sie sich zu sehr, es laut auszusprechen.

Alexandra lächelte unwillkürlich. Es gab noch so einiges, was Samantha lernen musste, vor allem was die Männer betraf. Sie schob ihre Tochter von sich weg, um ihr in die Augen sehen zu können.

»Ich gebe dir jetzt mal einen mütterlichen Rat. Du darfst nie vor einem Gespräch weglaufen. Viele Männer haben Probleme, über ihre Gefühle zu reden. Deshalb muss man ihnen Zeit lassen und sich selbst beherrschen. Ich weiß, es ist schwer, aber am Ende lohnt es sich. Sieh mal. Tobi war dir vom ersten Moment an verfallen. Als du ein Kind warst, hat er dich stundenlang herumgeschleift, weil du es so wolltest, und Tobias hat es gern getan, um dich bei sich behalten zu können. Wärst du kein Vampir, hätte ich dieses Verhalten sehr gruselig gefunden, aber es ist bekannt, dass sich Vampire und Auserwählte so verhalten. Es liegt in ihrer Natur. Sie werden stets voneinander angezogen. Ich habe es nicht geglaubt, als man mir erzählte, Tobias wäre kein Auserwählter. Ich schlage also vor, du lässt es darauf ankommen und versuchst, selbst herauszufinden, was die Wahrheit ist. Sei selbstbewusst und lass dich nicht gleich abweisen. Vielleicht ist es dein Weg ins Glück oder eine Erfahrung, die dich weiser werden lässt.«

Auf einmal bekam Alexandra keine Luft mehr, denn Sam umarmte sie so heftig, dass ihr fast schwarz vor Augen wurde.

»Danke, Mama. Ich hab dich so lieb!«

»Ich hab dich auch lieb, Spätzchen ...«