Die Hormonkur

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Die weibliche Stressreaktion: Männer kämpfen, Frauen reden

Wenn Männer sich gestresst fühlen, neigen sie zur klassischen Reaktion von Kampf oder Flucht.1 Männer schlagen mit größerer Wahrscheinlichkeit als Frauen um sich oder sie ziehen sich zurück; insbesondere suchen sie sich ein Ventil, um sich dem Problem nicht stellen zu müssen, zum Beispiel Substanzmissbrauch in Form von übermäßigem Alkohol- oder Tabakkonsum, manchmal sogar Drogen. Die Art, wie Männer mit Stress umgehen, wird als ursächlich für ihre im Vergleich zu Frauen schlechte Gesundheit und geringere Lebenserwartung angesehen.

Die ursprünglichen Daten zur Stressreaktion von Männern wurden von Walter Cannon erhoben, dem Arzt, der den Begriff „Kampf oder Flucht“ („fight or flight“) prägte. Man vertrat die These, dass sie auf Frauen gleichermaßen zuträfen. Neueres Datenmaterial zeigt jedoch, dass Stress bei Frauen eine andere Reaktion auslöst. Professor Shelley Taylor von der University of California in Los Angeles nennt sie „tend and befriend“ (zu Deutsch etwa: hegen und pflegen). Wenn Frauen unter Stress stehen, suchen sie die Gesellschaft anderer, was die meisten Männer nicht tun.2

Das ist auch Teil meines Stressabbau-Programms. Wenn ich mich mit anderen Müttern treffe, und wir uns über unser Leben austauschen oder darüber, wie man Verhaltensprobleme bei den Kindern und dem Ehemann abstellt, bilden wir ein Netzwerk von Stress abbauenden, fürsorglichen Frauen und machen uns das Oxytocin zunutze, das Hormon der Liebe, das auch ein Neurotransmitter (ein chemischer Botenstoff im Gehirn) ist. Das Ganze ist viel mehr als die Summe seiner einzelnen Teile, wie der berühmte Ausspruch von Aristoteles lautet; die Oxytocinwerte im Blut und im Gehirn steigen an und dadurch sinkt der Cortisolspiegel.

Die Wissenschaft ging lange Zeit davon aus, dass bei Männern und Frauen unterschiedliche Mengen von Cortisol als Reaktion auf Stress freigesetzt werden, was allerhand Spekulationen über Frauen, einen hohen Cortisolspiegel und die Emotionalität nach sich zog. Es scheint jedoch so zu sein, dass Frauen eben nicht einfach nur mehr Cortisol bilden als Männer, sondern auch weitaus mehr Oxytocin, um den Stress abzumildern. Der Spiegel dieses hochwirksamen Hormons steigt beim Küssen oder Umarmen, beim Sex, wenn wir ein Kind zur Welt bringen oder stillen. Die neuronalen Netze von Frauen sind viel stärker auf Oxytocin angewiesen als dies bei Männern der Fall ist. Da Frauen sehr viel mehr Östrogene bilden als Männer und dieses den Bindungseffekt von Oxytocin verstärkt, entscheiden sich Frauen mit größerer Wahrscheinlichkeit für die „tend-and-befriend“-Reaktion als Männer. Natürlich ergreifen auch Frauen die Flucht, wenn eine Bedrohung ernst ist, doch das entspricht nicht dem weiblichen Urinstinkt, sondern dem männlichen.

Ehe, Stress und Cortisol

In Bezug auf die Gesundheit werden Männer durch die Ehe stärker begünstigt als Frauen.3 Im Vergleich zu den Frauen haben verheiratete Männer zu Hause einen niedrigeren Blutdruck als bei der Arbeit.4 Bei heterosexuellen Eheleuten mit kleinen Kindern steigt der Cortisolspiegel bei Frauen dramatisch an, wenn Sie sich über die Arbeit (ihre eigene oder die ihres Mannes) Sorgen machen, wohingegen der Cortisolspiegel bei Männern nur mit ihren eigenen beruflichen Sorgen korreliert.5

Manchmal sind die Reaktionen von Männern und Frauen auf Stress bemerkenswert ähnlich. Bei Doppelverdienern mit mindestens einem Kind unter fünf Jahren steigt der Cortisolspiegel im Verlauf des Tages bei Männern und Frauen ähnlich an, wenn sie zum Beispiel länger arbeiten müssen.6 Frauen und Männer, die sich nach der Arbeit beide um die Hausarbeit kümmern, wiesen einen höheren abendlichen Cortisolspiegel auf. Es überrascht nicht, dass Männer, die sich nach der Arbeit auf Freizeitaktivitäten konzentrierten, einen niedrigeren abendlichen Cortisolspiegel hatten. Wenn Männer bei der Hausarbeit halfen, erholte sich der abendliche Cortisolspiegel ihrer Frau stärker. Mit anderen Worten: Arbeitsteilung bei Paaren verbessert die weibliche Gesundheit, also sorgen Sie unbedingt dafür, dass Ihr Partner im Haushalt mit anpackt.7

Teil A: Wissenswertes zu hohen Cortisolwerten

Stress und die Freisetzung von Glucocorticoiden sind untrennbar miteinander verbunden, und oft schadet Ihre Stressreaktion mehr, als dass sie nützt. Wenn wir erschrocken sind oder uns bedroht fühlen, springt ein urzeitliches Kommunikationssystem an, und die Hormone aus dem Gehirn veranlassen die Nebennieren, mehr Cortisol ins System zu pumpen. Fast das gesamte Cortisol wird von der Nebennierenrinde freigesetzt; die Nebennieren sind kleine endokrine Drüsen, die wie Kappen auf den Nieren sitzen. (Sehr geringe Mengen Cortisol werden auch im Gehirn und im Darm gebildet.) Der Mensch ist darauf eingerichtet, auf eine kritische Situation, zum Beispiel das plötzliche Auftauchen eines Tigers, mit einer „Cortisol-Salve“ zu reagieren. Dafür gibt es zwei Gründe: Erstens, um Ihre Muskeln mit Glucose zu versorgen, damit Sie kämpfen oder wegrennen können. Und zweitens, um den Blutdruck zu erhöhen, damit das Gehirn mit viel frischem Sauerstoff versorgt wird und Sie klar denken können. Das steckt hinter dem Kampf-oder-Flucht-Verhalten.

Der wissenschaftliche Ausdruck für stressgeplagt nennt sich Übererregung; das bedeutet, dass das Alarmsystem des Körpers im „Dauerbetrieb“ ist. Im Jahr 2011 ermittelte die Amerikanische Psychologische Gesellschaft, dass 3/4 der amerikanischen Bevölkerung nach eigenen Angaben unter einem ungesunden Stresslevel leidet. Auf die Frage, was sie tun, wenn sie sich gestresst fühlen (Mehrfachnennungen waren möglich), sagten 39 Prozent: zu viel essen, 29 Prozent: Mahlzeiten auslassen, 44 Prozent: Nachts wach liegen. Frauen berichteten von höheren Stresspegeln als Männer.

Dr. Mark Hyman, Hausarzt und fünfmaliger Bestseller-Autor der New York Times sagt dazu: „95 Prozent aller Krankheiten werden durch Stress entweder verursacht oder verschlimmert.“8 Das Amerikanische Institut für Stressforschung berichtet, dass in 75 bis 90 Prozent aller Fälle stressbedingte Krankheiten der Grund für einen Besuch beim Arzt, Heilpraktiker oder bei einem anderen Therapeuten sind. Es ist also ganz offensichtlich, dass die gängigen Methoden im Umgang mit Stress bei uns nicht funktionieren.

Der hohe Cortisolspiegel – wissenschaftlich betrachtet

Blättern Sie weiter auf Seite 130 zu „Teil A: Das Gottfried-Programm bei Cortisolüberschuss“, wenn Sie sich nicht für den wissenschaftlichen Hintergrund interessieren.

Stress bemächtigt sich Ihres Körpers mithilfe Ihres Gehirns, das heißt über Hypothalamus, Amygdala, Hippocampus und andere Strukturen, die Emotionen und Verhalten modulieren. Sie reagieren auf den Stress über ein hormonelles Kontrollsystem, die Hypothalamus-Hypophysen-Nebennieren-Achse (HPA), die eine Kettenreaktion aus Angst und Resonanz in Gang setzt. Diese HPA-Achse kann mit der Aushangstafel an einer Schule verglichen werden: Der Direktor (Hypothalamus) beauftragt seinen Stellvertreter (die Hypophyse, der die Nebennieren unterstehen) eine Ankündigung für alle Schüler (die Zellen, die mit dem Cortisol und anderen Stressmediatoren in Wechselwirkung stehen) an das „schwarze Brett“ (Ihre Nebennieren) zu heften. Dieses schwerfällige, antiquierte System bestimmt tatsächlich, wie Sie mit Stress umgehen. Es ist fast erschreckend, dass solch eine altmodisch anmutende Methode für die Steuerung äußerst wichtiger Aufgaben zuständig ist, beispielsweise Verdauung, Immunfunktion, Geschlechtstrieb, Energienutzung und -speicherung sowie für die Art des Umgangs mit Emotionen und Stimmungen – Ihren eigenen und denen anderer Menschen.

„A“ wie Allostase

Das beschriebene System ist dafür konzipiert, Ihrem Körper bei der Bewältigung des wichtigen Prozesses der Allostase zu helfen, was wörtlich Erhaltung der Stabilität (Homöostase) durch Veränderung bedeutet. Laufen die Ereignisse in normaler Reihenfolge ab, veranlasst die HPA die Nebennieren, die Cortisolbildung zu erhöhen; das vermehrte Cortisol wiederum hemmt über eine Feedback-Schleife die HPA, die bis zum nächsten Alarm ihre Aktivitäten herunterfährt. Die wesentliche Botschaft des Cortisols an die HPA ist: „Keine Sorge, wir haben alles im Griff“, sodass diese auf Normalbetrieb schaltet. Kommt es aber zu einer übermäßigen Stressbelastung, ist Cortisol so sehr damit beschäftigt, den Blutstroms zu fluten, dass die Feedbackschleife ausfällt; die HPA wird also nicht daran „erinnert“, dass sie sich auch wieder beruhigen kann. Infolgedessen signalisiert sie den Nebennieren weiterhin, sie mögen immer mehr Cortisol ausschütten. Dadurch steigen Blutdruck und Blutzuckerspiegel, und die Funktion des Immunsystems verschlechtert sich. Diese Veränderungen sind von kurzer Dauer, vorausgesetzt, die Stressfaktoren klingen ab, und Sie nehmen wahr, dass die unmittelbare Gefahr vorüber ist. Bleiben sie jedoch bestehen, kann das mit der Zeit zu Bluthochdruck, Diabetes, vielleicht sogar zu Krebs und Schlaganfällen führen.

Wenn die Glückshormone knapp werden

Es ist so wie in der Geschichte, wo der Hüte-Junge aus Langeweile zweimal „der Wolf!“ ruft. Als die Bauern kommen, um ihn zu vertreiben, bevor er die Schafe reißt, erkennen sie, dass sie genarrt wurden. Beim dritten Mal jedoch, als der Wolf tatsächlich kommt und der Junge wieder um Hilfe ruft, glauben sie ihm nicht, und sie bleiben zu Hause: Übertragen auf unseren Sachverhalt steht der Junge für die HPA und die Bauern versinnbildlichen die Nebennieren, die die Gefahr nicht mehr ernstnehmen. Wissenschaftler bezeichnen dieses Phänomen als abgestumpfte Reaktion: Sie können nicht mehr adäquat mit Stress umgehen, weil die „Glückshormone“ (Neurotransmitter wie Serotonin, Adrenalin und Dopamin) verbraucht sind. Darum müssen Sie sich kümmern, liebe Leserinnen, denn Sie stehen kurz vor der totalen Erschöpfung. Nichts scheint mehr Freude zu bereiten. Sie fühlen sich leicht apathisch.

 

Das Problem ist Folgendes: Die HPA steuert unsere Reaktion auf eine reale, erwartete und wahrgenommene Gefahr. Viele von uns sind so an den Dauerstress gewöhnt, sei es durch lange Arbeitszeiten, eine schwierige Ehe oder anstrengende Kinder, dass unser Gehirn auch dann noch eine Gefahr wahrnimmt, wenn sie gar keine Bedrohung mehr darstellt oder relativ gering ist. Erinnern Sie sich an das beschriebene Problem mit dem Mittagessen für meine Kinder? Es war nur ein lapidares Mittagessen, aber meine Hormone konnten das nicht erkennen. Der ungeschickte Umgang mit Stress hat einen hohen Preis, und dieses Problem haben mindestens 75 Prozent der Erwachsenen in den Vereinigten Staaten.

Die dauerhafte Aktivierung der HPA führt zu einer Überaktivität, die im Laufe der Zeit eine Unteraktivität nach sich zieht. Es ist logisch, dass Ihre vorher überaktive HPA träge wird, sobald Ihre adrenalen Reserven aufgebraucht sind – wie bei einer Athletin, die ihr Bestes gegeben hat und sich nun ausgelaugt fühlt. Sie sehen, wie das zu Erschöpfung, erhöhter Infektanfälligkeit und orthostatischer Hypotension führen kann (der Blutdruck fällt ab, wenn Sie aufstehen, und Sie möchten sich am liebsten gleich wieder hinlegen, buchstäblich und im übertragenen Sinn).

Cortisol und Altern

Frauen in den Zwanzigern repräsentieren den hormonellen Goldstandard und bilden unter normalen Bedingungen stolze 15 bis 25 mg Cortisol täglich. (Bei gleichaltrigen Männern sind es 25 bis 35 mg pro Tag.) Bis vor Kurzem war nicht eindeutig klar, wie die Cortisolbildung sich mit zunehmendem Alter verändert, doch es zeigt sich, dass der Cortisolspiegel tendenziell steigt, wenn wir älter werden.9 Tatsächlich steigt er bei Männern und Frauen zwischen 50 und 89 Jahren um 20 Prozent.10 Eine Theorie besagt, dass der höhere Cortisolspiegel im Zusammenhang mit dem Nachlassen der Schlafqualität steht, und bei den meisten Menschen beginnt das im mittleren Alter.11

Es ist auch möglich, dass der höhere Cortisolspiegel jenseits der 50 eher dem Alterungsprozess als dem Stress geschuldet ist – insbesondere, wenn wir die Studienergebnisse berücksichtigen, die besagen, dass Menschen ab 50 im Allgemeinen zufriedener mit ihrem Leben sind und sich weniger gestresst fühlen. Wenn Sie zwischen 18 und 50 Jahren sind, scheint das Gegenteil der Fall zu sein. Bei einer Befragung von mehr als 300 000 Amerikanerinnen und Amerikanern stellte sich heraus, dass diejenigen mit der schlechtesten psychischen Gesundheit zwischen 35 und 50 Jahre alt waren.12

Eine weitere, fast unmerkliche altersbedingte Veränderung besteht darin, dass unsere Zellen gegenüber Cortisol resistenter werden. Ein hoher Cortisolspiegel sorgt für die lange Liste von Krankheiten, die damit einhergehen. Mit zunehmendem Alter nehmen unsere Zellen Cortisol jedoch nicht mehr in dem Ausmaß auf, wie das mit 20 oder 30 Jahren der Fall war (ganz abgesehen davon, dass ein hoher Cortisolspiegel per se das Altern beschleunigt). Das heißt, wenn wir altern, haben wir mehr Cortisol im Blut und weniger in den Zellen. Diese beiden Ungleichgewichte – im Blut und in den Zellen – bedeuten, dass wir uns müde (niedriger Cortisolspiegel) und aufgedreht (hoher Cortisolspiegel) fühlen.

Erhöhte Cortisolwerte beschleunigen den Alterungsprozess

Sie erinnern sich, die Hauptaufgabe von Cortisol ist die Normalisierung des Blutzuckerspiegels. Bilden Sie zu viel Cortisol, steigt Ihr Blutzucker übermäßig an. Das kann zu Prädiabetes (Nüchternblutzucker 100 bis 125 mg/dl) oder Diabetes (Nüchternblutzucker > 125) führen. Beides sind häufige Ursachen für beschleunigtes Altern. (Um den Alterungsprozess zu verlangsamen, müssen wir eine übermäßige Belastung der Nebennieren und einen dauerhaft erhöhten Cortisolspiegel vermeiden.) Neuere Daten legen nahe, dass man seinen Nüchternblutzuckerspiegel unter 87 mg/dl halten sollte. Kurze Testfrage: Wer altert schneller, ein Marathonläufer oder ein tibetischer Mönch? Sie haben es erraten. Der Marathonläufer hat einen weitaus höheren Cortisolspiegel durch das Laufen, verletzt sich häufiger und altert schneller.

Ein über längere Zeit erhöhter Cortisolspiegel verursacht nicht nur einen Dominoeffekt: Bilden Ihre Nebennieren wie besessen Cortisol, wird die restliche Hormonkaskade vernachlässigt. Das ergibt kein hübsches Bild: Die Haut wird welk. Die Muskeln erschlaffen. Und was noch schlimmer ist, Ihr Selbstvertrauen und Ihre Belastbarkeit schwinden. Das Leben und der Körper sind nicht mehr das, was sie einmal waren.

Was mir aber die meisten Sorgen bereitet, ist folgende Tatsache: Wie ausgedehnte Forschungsarbeiten zeigen, behindert ein lang anhaltender hoher Cortisolspiegel die Blutzufuhr zum Gehirn. Das wirkt sich negativ auf die Gehirnfunktion aus, vermindert die emotionale Intelligenz und beschleunigt die altersbedingte Abnahme der geistigen Leistungsfähigkeit. Summa summarum: Ihr Gedächtnis beginnt nachzulassen, und schließlich werden Sie dement. Sie haben richtig gelesen, Alzheimer nistet sich schon 30 Jahre vor dem Auftreten der ersten Symptome ein. Stress, um den sich niemand kümmert, ist schlecht für das Gehirn und unkontrolliertes Cortisol ist ein deutliches Warnsignal.

Der zirkadiane Rhythmus: Damit Sie nicht um Ihren Schlaf gebracht werden

Unser Körper sollte je nach Tageszeit unterschiedliche Mengen von Cortisol bilden. Idealerweise viel am Morgen, tagsüber weniger, sehr wenig vor dem Schlafengehen und eine minimale Menge im Schlaf. Der Verlauf lässt sich anhand von vier Messpunkten zwischen etwa 6 und 22 Uhr in einem Cortisol-Tagesprofil darstellen, das die zirkadianen, das heißt, die im Lauf des Tages erfolgenden Veränderungen, veranschaulicht: kurz nach dem Aufwachen, vor dem Mittagessen, vor dem Abendessen und vor dem Zubettgehen. Es sollte die Form einer leicht absteigenden Kurve haben.

Der hohe Cortisolanstieg am Morgen, im Allgemeinen zwischen 6 und 8 Uhr, wird als Cortisol Awakening Response (CAR, zu Deutsch etwa: Weckreaktion des Cortisols) bezeichnet. Unter normalen Umständen ist er dafür verantwortlich, dass Sie erholt aufstehen. Der Tag-Nacht-Rhythmus stellt einen wesentlichen Aspekt der hormonellen Steuerung dar. Die 24 Stunden umfassenden zirkadianen Rhythmen legen die höchsten und niedrigsten biochemischen und physiologischen Werte fest und ähneln einer Art Tide im Körper. Wenn um Mitternacht der Cortisolspiegel am niedrigsten ist, findet die Hauptarbeit der zellulären Reparatur- und Heilarbeiten statt. Das ist nicht möglich, wenn das Cortisol dann immer noch erhöht ist.

Manchmal kommt es vor, dass Sie plötzlich neuen Elan verspüren, wenn Sie sich eigentlich entspannen sollten. Das ist nicht gut: Gerade dann, wenn Sie die Ruhe am dringendsten brauchen, vermittelt Ihnen der hohe Cortisolspiegel das trügerische Gefühl, dem sei gar nicht so – und das erschöpft die Nebennieren weiter, die sich normalerweise über Nacht erholen. Infolgedessen beginnen die Spiegel der „Glückshormone“ Serotonin, Dopamin, Noradrenalin und Adrenalin zu sinken.

Außerdem nutzen Hormone die Nachtruhe, um sich wieder harmonisieren und aufeinander abstimmen zu können. Melatonin und das Wachstumshormon zum Beispiel, die das Ein- und Durchschlafen fördern, werden hauptsächlich nachts ausgeschüttet. Ist eines oder sind beide niedrig, kann Cortisol nachts über Gebühr steigen, und mit der Zeit kann der Schlafmangel das Schlafen weiter erschweren. Schließlich mündet alles in einen endlosen Kreislauf.

In älteren, traditionellen Kulturen begann man sich mit dem Schwinden des Lichts nach Sonnenuntergang auf die Ruhephase einzustellen. Heute erlaubt uns das künstliche Licht, noch alles Mögliche zu erledigen: E-Mails, Webseminare, die Anmeldung des Kindes zum Schulausflug, die Bestellung eines Geburtstagsgeschenks – und all das sogar, während wir gemeinsam mit der Familie zu Abend essen. Bei einem hohen abendlichen Cortisolspiegel ist es kein Wunder, dass es zu Einschlaf- und Durchschlafproblemen kommt oder der Tiefschlaf zu wünschen übrig lässt. Hunderte von Frauen haben mir erzählt, dass sie es einfach nicht verstehen können, warum sie nach acht Stunden Schlaf am Morgen noch müde sind. Ich habe sie nur gefragt, was sie vor dem Schlafengehen machen. Meist prüfen sie ihre E-Mails, gehen die Aufgabenliste für den nächsten Tag durch oder schauen sich einen versäumten Krimi an. Man muss keine in Harvard ausgebildete Gynäkologin sein, um zu verstehen, warum diese Frauen schlecht schlafen.

Die meisten Menschen, die unter erdrückenden Stresssymptomen leiden, haben morgens einen niedrigen und nachts einen hohen Cortisolspiegel – dabei sollte es doch genau umgekehrt sein. So weit wollen Sie es mit Sicherheit nicht kommen lassen. Was Sie möchten, ist ein ausgewogener Tag-Nacht-Rhythmus mit hohen Cortisolwerten am Morgen und niedrigen Werten am Abend.

Ist Ihr Cortisolspiegel zu hoch?

In der Schulmedizin müssen Sie oft lange nach einem Arzt suchen, der sich für Ihren Cortisolspiegel interessiert, wenn Sie nicht ein Cushing-Syndrom wie aus dem Lehrbuch haben – ein seltener Fall von übermäßig hohem Cortisol, der nur bei einem von 500 000 Menschen vorkommt. Menschen, die an Morbus Cushing erkrankt sind, haben viele Symptome, von denen sich einige mit denen in meinem Fragebogen decken, die meisten jedoch viel extremer sind. Die meisten Ärzte ermitteln die Cortisolwerte aus dem Urin, doch selbst der beste Früherkennungstest ist umstritten.13 Da diese Krankheit sehr ernst ist, sollten Sie sich, wenn Sie davon betroffen sind, nach den Ratschlägen Ihres Arztes richten.

Ein weiterer Grund für die Untersuchung des Cortisolwertes ist eine relativ neue hormonell bedingte Störung, die in schulmedizinischen Kreisen zunehmend Aufmerksamkeit erregt: der subklinische Hypercortisolismus, für den es keine eindeutigen diagnostischen Kriterien gibt.14 Menschen mit diesem Krankheitsbild zeigen eine merkwürdige Symptomhäufung: Bluthochdruck, erhöhte Cortisolwerte, Stammfettsucht (mehr als nur ein Rettungsring), Knochenbrüche und erhöhtes Diabetesrisiko. Die Bluthochdruckquote liegt bei 48 bis 92 Prozent und ist eine Folge des übermäßig hohen Cortisols.15 Der Spiegel ist allerdings nicht hoch genug, um die Diagnose Cushing zu rechtfertigen. Doch beim Cortisol sind die diagnostischen Kriterien, wie hoch zu hoch ist, nicht eindeutig, was die Unterscheidung zwischen einem stressbedingten Cortisolüberschuss und dem Cushing-Syndrom erschwert.

Fazit: Lassen Sie den Cortisolspiegel überprüfen, bevor Sie mit der Einnahme von Nahrungsergänzungen beginnen. Haben Sie fünf oder mehr Übereinstimmungen in den Fragebögen von Teil A und/oder Teil B aus dem ersten Kapitel, empfehle ich Ihnen, mit dem Gottfried-Programm zu beginnen, und zwar dahingehend, dass Sie Ihren Lebensstil ändern. Bevor Sie jedoch eine Phytotherapie beginnen oder die Einnahme bioidentischer Hormone in Betracht ziehen, sollten Sie Ihre Werte untersuchen lassen. Sie können Ihren Cortisolspiegel einfach und kostengünstig selbst überprüfen (vgl. Anhang E). Cortisol lässt sich im Blut, im Speichel oder im Urin nachweisen; Sie können sogar einen Haartest machen. Wenn Sie noch menstruieren, müssen Sie bei der Untersuchung unbedingt beachten, an welchem Tag Ihres Zyklus Sie sich befinden, da die Cortisol Awaking Response (CAR) bei der Ovulation anzusteigen scheint.16 Bei Patientinnen, die noch menstruieren, teste ich um den 21. oder 22. Zyklustag, damit die Ergebnisse zuverlässig vergleichbar sind.

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