Engel und Dämon

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Die Schritte kamen näher, wobei man deutlich hörte, dass der Zauberer sich Zeit ließ. Er war sich seiner Beute sicher, wodurch Cido das Zittern seines Körpers nicht mehr bändigen konnte. War er so einem Feind überhaupt gewachsen? Er hatte doch gar keine Kampferfahrung.



Sie verstummten. Direkt hinter ihm. Auf der anderen Seite der Tür. Die Gedanken von Cido überschlugen sich, als er versuchte zu begreifen,

was

das für ihn zu bedeuten hatte. Aber er wollte es nicht. Das durfte nicht sein. Sie mussten weitergehen.



So lange geschah nichts. Es blieb still und Cido dachte schon, dass er aufgegeben hatte, als plötzlich an dem Türknauf gewackelt wurde. Immer wieder und energischer, bevor dann wieder Stille einkehrte. Cido traute sich kaum zu atmen. Er wollte auf keinen Fall durch irgendein unbedachtes Geräusch entdeckt werden.



Zwei Schritte ertönten, die sich leicht entfernten und Cido wartete auf den Rest. Darauf dass sich die Gestalt gänzlich zurückzog, doch es geschah nicht. Denn nach ein paar Herzschlägen hörte er schon einen dumpfen Aufprall und das Holz hinter ihm vibrierte leicht unter dem Schlag.



Er war gefunden. Jetzt würde er sterben. Cido spürte die Tränen in seinen Augen, doch er zwang sie nieder und sah sich im Zimmer um. Es war nur sehr spärlich eingerichtet. Ein Schrank, ein Bett und eine Kommode. Nichts wo man sich wirklich gut verstecken konnte ohne dass es offensichtlich wurde. Dennoch stieß er sich von der Tür ab, um sich unter der Schlafstätte zu verkriechen. Ja, der Unterschlupf war abgedroschen, doch der Junge war froh, dass er überhaupt irgendeinen Gedanken fassen konnte und nicht gänzlich in bodenlose Panik verfiel. Außerdem hatte er dort bessere Chancen zu flüchten, als wenn er sich in dem Schrank einsperrte.



Ein paar Schläge gegen die Tür zwang er sein Herz dazu sich zu beruhigen und auch seinen Atem flacher und ruhiger zu gestalten. Er wollte nicht auffallen. Er

durfte

 nicht auffallen. Davon hing sein Leben ab.



Noch zwei Schläge und das Holz gab splitternd nach, wodurch der Zauberer in das Zimmer trat und sich kurz umsah, bevor er sich dann erst dem Schrank widmete und die Türen schwungvoll öffnete.



Er durchwühlte die Kleidung und verteile sie im ganzen Raum, bevor sich die Füße dann zu ihm wandten. Langsam näherten sie sich dem Bett und Cido spürte, wie sich die Panik in seinem Körper ausbreitete. Sein Herz schlug gegen seinen Hals und er musste sich zwingen nicht zu laut zu atmen.



Doch alles vergebens. Im nächsten Moment flog das Bett einfach gegen die Wand und Cido blickte in die Augen des Zauberers. Sie waren braun, wie der Stamm einer Fichte und voller Zuversicht, wodurch er erneut mit dem Knüppel in seiner Hand ausholte, um nach den Jungen zu schlagen.



Dieser wich aber mit einer Rolle aus und kam in der nächsten Sekunde wieder auf die Beine, um das Zimmer stürmisch zu verlassen und zurück ins Erdgeschoss zu laufen. Er musste aus dem Haus, denn egal wo er sich versteckte, der Kerl würde ihn finden.



Seine Beine trugen ihn in die Küche, wo er eine Hintertür entdeckte. Voller Zuversicht rannte er auf sie zu, griff nach der Türklinke und drückte sie herunter, um die Tür in die Freiheit zu öffnen.



Doch sie rührte sich auch nicht und ein dumpfer Knall erklang, als er einfach gegen das unnachgiebige Holz prahlte, wobei der Schmerz Sterne in sein Sichtfeld zauberte, bevor er sich dann benommen umdrehte. Gab es kein Entkommen?



„Sie nennen es ‚das Haus des Verderbens’. Wusstest du das nicht?“, erklang die ruhige Stimme des Zauberers, als er langsam in das Licht des Tages trat, wodurch man nun sein kurzes braunes Haar sah, welches leicht im Schein der Sonne schimmerte, während seine Kleidung komplett in die Farbe der Nacht getaucht war und dadurch jegliche Helligkeit verschlag. Der Mantel auf seinen Schultern verlieh ihn ein breiteres Kreuz und ließ ihn dadurch bedrohlicher wirkte.



„Was willst du von mir? Ich möchte doch nur meine Mutter holen.“ Cido versuchte sich aus dieser Lage zu befreien, doch der Hexer lachte nur höhnisch. „Hier wird nichts geholt. Solange sie hier ist, wird niemand anderes kommen und glauben, dass er hier wohnen könnte. Dieses Haus gehört mir, Zero, dem großen Magier. Außerdem hatten wir eine Abmachung. Du tötest den Jungen und ich gebe dir deine Mutter. Hast du diese eingehalten?“



Cido senkte den Blick, ließ alles an seinem Körper hängen und schüttelte den Kopf. „Nein, ich konnte nicht.“ „Tja, Pech für dich. Aber wenn dir dieser Wolf so viel bedeutet, dann erlaube ich dir hiermit ihm Gesellschaft zu leisten, als

Oger.

“ Zero sammelte seine Magie in der rechten Hand und wollte den Fluch gerade auf Cido schleudern, als das Fenster der Hintertür zerbrach und Kevin im Raum stand.



Sein Gesicht war verzerrt vor Schmerzen und seine Beine zitterten, als würden sie jeden Moment unter seinem gewaltigen Gewicht zusammenbrechen, dennoch erhob er seine Stimme. „Los, Cido! Lauf!“



Damit wandte sich die Bestie kurz um und zerschlug die Holztür als wäre sie aus Papier mit einem gewaltigen Hieb seiner Pranke, bevor er sich dann wieder zu dem Magier wandte: „Und jetzt zu dir, Hexer.“



„So sieht man sich also wieder, Kevin. Schön dass du hier bist, obwohl dir ein Besuch bei mir gar nicht bekommt. Willst du für diesen Jungen wirklich dein Leben aufs Spiel setzen?“ Zero lächelte siegessicher und ließ Cido ziehen, als dieser ins Freie flüchtete.



„Ich habe kein Leben mehr, denn ich habe es in jener Nacht, als ich dir das erste Mal begegnet bin, verloren. Ich bin nur noch eine Kreatur, die niemand respektiert. Nur fürchtet. Wenn ich nur töten kann, dann versuch ich meine Freunde wenigstens vor deiner schmutzigen Magie zu bewahren!“, schrie Kevin ihn an.



„Du nennst meine Magie schmutzig? Meine Magie soll schmutzig sein? Was fällt dir ein, du verdammte Mistgeburt von einer verstümmelten Schnecke!“, geriet Zero in Ekstase, wobei sich um ihn herum eine Magiefeld aufbaute, das seine Kleidung und Haare leicht tanzen ließ, bevor er mit einem Aufschrei eine gewaltige Energiewelle von seinem Körper löste, „meine Magie ist nicht

schmutzig

!“



Kevin wurde von der Welle erwischt und wie ein Blatt im Wind einfach aus dem Haus geschleudert. Draußen prallte er hart auf dem Boden auf und schlitterte noch ein Stück, ehe er wenige Schritte von Cido entfernt zum Liegen kam.



Sofort rannte der Junge zu dem Wolf, wobei er die Menschenmasse um sich herum ignorierte, die sich von Sekunde zu Sekunde vergrößerte. Angelockt von dem Tumult in dem verfluchten Gemäuer. Doch sie trauten sich alle nicht näher als nötig. Blieben den Grundstück fern und beobachteten nur von Weitem.



Er spürte die Energie des Hexers, als dieser aus dem Haus trat und seine ganze Kraft entfaltete. Die einst so braunen Augen waren nun schneeweiß und konzentrierten sich, wie ihr Besitzer Zero, vollständig auf Kevin, der schwer atmend am Boden lag.



Niemand

 bezeichnet meine Magie als schmutzig und wer das getan hat, lebt heute nicht mehr! Also mach dich bereit zu sterben, Kevin!“, wütete Zero weiter, wobei die Menge nun zu tuscheln begann:



„‚Wer ist dieser Junge?’



‚Wohnt er etwa in diesem Haus?’



‚Hat er zu dem Werwolf gerade Kevin gesagt?’



‚Der Kevin, der vor einige Zeit verschwunden ist?’



‚Wieso ist er der Wolf?’



‚Die Frau war damals doch alleine. Wie kann er also in diesem Haus wohnen?’



‚Kennt ihn jemand?’



‚Nein, ich nicht.’“



„Hört auf zu flüstern!“, schrie Zero die Menschenmasse an, wobei er seinen Zorn nun gänzlich auf sie lenkte, „niemand kennt mich! Ihr könnt mich gar nicht kennen! Denn ich war ein Diener von den Besitzern dieses Hauses! Niemals würdet ihr euch auch nur ansatzweise daran erinnern! Denn ihr habt mich nie gesehen! Ich habe diesen Leuten geholfen, doch sie haben meine Magie auch als schmutzig bezeichnet! Darum musste ich sie umbringen! Sie haben es nicht besser verdient! Schließlich nahmen und nahmen sie nur ohne mir je etwas zurückzugeben! Sie wollten immer mehr! Waren nie zufrieden! Derweil tat ich mein Bestes! Ich habe ihnen gute Ernte gebracht! Ich habe alles für sie getan! Und sie? Sie wollten mich einfach vertreiben! Das konnte ich nicht zulassen! Sie waren Vollidioten! Wie ihr alle welche seid! Die Ernte hatten sie nur wegen mir! Ich habe ihnen mit Magie nachgeholfen!“



Das Raunen der Menge verstummte durch die Ansage nur kurz, bevor es nach ein paar Denksekunden wieder von vorne begann:



„‚Wovon redet der da?’



‚Das Gemüse war nie gut.’



‚Es schmeckte doch immer leblos und fad.’



‚Sie konnten nichts mehr verkaufen.’



‚Aber wenn das an der Magie lag.’



‚Ja, dann hat er sie nicht gerettet sondern in den Ruin getrieben!’



‚Dieser Heuchler!’



‚Nieder mit ihm!’“



Zorn überrannte die Dorfbewohner und sie griffen zu ihren Heugabeln, bevor sie dann auf den Zauberer zustürmten, doch Zero löste nur erneut eine Energiewelle von seinem Körper und schleuderte somit alle Angreifer von sich, wodurch viele leblos liegen blieben und sich der Boden unter ihnen langsam dunkel färbte.



„Ich bin kein Heuchler! Nein, ich bin ein Hexer! Der Beste auf der Welt! Warum kann das niemand sehen?!“, tobte Zero weiter und ohne sein Zutun löste sich erneut eine Welle aus purer Energie. Doch statt weiterer Schimpftiraden stieß er plötzlich einen schmerzerfüllten Schrei aus und sank auf ein Knie.



Er hielt sich den blutenden rechten Arm und als er sich umdrehte, erblickte er Cido, der mit einem blutigen Messer hinter ihm stand. Der Körper des Jungen zitterte aus Angst, er könnte seine Affekthandlung nicht überleben. Aber er musste doch irgendwas tun, um diesen Wahnsinn zu stoppen. Irgendetwas und dieses Messer hatte sich so angeboten. Es war doch richtig, oder?

 



„Du kleine Mistkröte! Man greift keinen wütenden Hexer an! Willst du so dringend sterben?!“, brüllte Zero den Jungen an, der das Messer vor Schreck fallen ließ und ängstlich ein paar Schritte zurückwich.



Sein Leben lief vor seinen Augen ab, als er begriff, dass er hier und jetzt sterben würde. Plötzlich erklang jedoch ein dunkles Knurren und im nächsten Moment wurde Zero unter dem Monster begraben, das ihm mit einem gezielten Biss den Kopf von den Schultern trennte.



Das Haupt rollte ein Stück weit vom Körper weg. Die Augen waren schon erloschen und im nächsten Augenblick brach auch der Körper von Kevin zusammen. Immer wieder zitterte sein gewaltiger Leib unter den Schmerzen und sein Atem war nur noch ein Röcheln, denn das Blut des Magiers brannte in seinem Maul wie Säure und verätze dort alles. Machte ihm das Atmen schwer und begann ihn von innen heraus aufzulösen.



Cido handelte sofort und rannte zu der Bestie, um sie von der Leiche fort zu ziehen, wobei er ihr traurig ins Gesicht sah und kurz durch das raue Fell strich. „Warum hast du das getan? Du weißt doch, dass dieser Körper für dich den Tod bedeutet.“ Kevin durfte jetzt nicht sterben. Nicht jetzt, wo er endlich ein Held war. Bestimmt würde der Fluch jetzt auch vorbei sein. Er konnte endlich wieder ein normales Leben führen.



„Irgendwer musste es doch tun, oder? Und nachdem es Sebastian nicht tun konnte, musste ich es erledigen.“ Immer wieder brach Kevin ab, um Luft zu holen und neue Kraft für die nächsten Worte zu sammeln.



Er spürte wie sein Körper schwächer wurde, weil er innerlich verblutete, dennoch zwang er sich weiterzureden: „Bitte, Cido. Räche Sebastian und vergiss uns nicht. Trage uns in deinem Herzen und lasse uns dort weiterleben, sodass wir nicht umsonst gestorben sind. Sebastian war ein guter Mensch. Er glaubte an mich, obwohl ich ein Monster war und er opferte sein Leben für meins.“



Die Schmerzen forderten immer mal wieder ein Stöhnen von ihm, bevor er zittrig Luft holte und weiter sprach: „Finde den Mörder. Tu es für mich. Damit ich in Frieden ruhen kann, denn meine Zeit ist endlich zu Ende. Ich werde sterben und damit dieser ewigen Qual entkommen. Cido, danke, dass du mich damals nicht getötet hast und mir so die Möglichkeit gegeben hast, dass ich das Dorf befreien und somit meinen Fehler wieder gut machen konnte. Leb…“



Bevor sich Kevin verabschieden konnte, stoppte sein Atem und der Kopf sank nach unten. Der Brustkorb bewegte sich nicht und die Wärme verschwand aus dem Körper des Monsters.



Es war vorbei. Kevin war tot. Cido konnte es nicht glauben. Er spürte die Tränen in seinen Augen, die sich kurz darauf heiß über seine Wangen schlängelten, als er seine Finger zittrig immer wieder durch das Fell gleiten ließ. „Nein… Nein… Kevin… NICHT!“



Seine Stimme war leise, bevor er seinen Schmerz herausschrie und das Gesicht in dem struppigen Fell vergrub. „Mach die Augen auf! Bitte, bleib bei mir! Ich brauche dich! Ohne dich bin ich alleine und ich kann diesen Kerl doch niemals finden! Geschweige denn überhaupt besiegen! Wie hast du dir das vorgestellt?! Sag es mir! Atme! Atme und rede mit mir! Lass mich nicht alleine!“



Tränen liefen ungehemmt über seine Wangen und durchnässten das graue Fell seines Lebensretters, während die Verzweiflung seinen gesamten Körper durchflutete und sämtliches Denken unmöglich machte.



Cido nahm nur am Rande wahr, dass die überlebenden Bauern langsam das Feld räumten und ihn somit alleine ließen. Alleine mit dem Schmerz und der Trauer. Er war wieder alleine, wie all die Jahre zuvor.



Seine Finger vergruben sich tiefer in dem Fell, als würde er es so möglich machen, dass er das Leben in Kevin halten konnte. Doch es war vergebens. Der Junge war schon lange nicht mehr in dieser Existenz.



Im nächsten Moment spürte Cido wie sich das Fell aus seinen Fingern zurückzog und sich das Gewicht des Biestes verringerte, bevor sich sein Körper auch langsam wieder umformte. Nur wenige Herzschläge dauerte die Verwandlung und im nächsten Moment lag der Junge Kevin in den Armen des Braunhaarigen.



Er war nackt und sein Körper war gezeichnet von blauen Flecken und Wunden, die nicht richtig verheilt waren. All die Verletzungen, die das Monster damals eingesteckt hatte, waren zu sehen und zeichneten den erkaltenden Körper des Jungen.



Cido strich über die einzelnen Male. Wie sehr musste Kevin gelitten haben und wie oft musste man ihn angegriffen habe, nur weil man ihn töten wollte? Cido wollte darüber gar nicht nachdenken. Nicht die Wunden zählen und begreifen, was für ein Hass dem Monster immer entgegen gekommen war.



Ein schwerer Kloß bildete sich in seiner Kehle, als er daran dachte, dass auch er dieses Biest töten wollte. Wie so viele zuvor. Und er hätte es gekonnt. Das wusste er. Wenn er seinen Zorn nicht verloren hätte, dann hätte er ihn umgebracht ohne mit der Wimper zu zucken.



„Ich werde dich nicht vergessen.“ Sanft strich er eine Strähne hinter das Ohr des Jungen, wobei ein trauriges Lächeln auf seine Lippen trat. „Ich werde dich niemals vergessen. Und Sebastian auch nicht. Das verspreche ich dir.“



Plötzlich lief Blut aus dem Mund von Kevin und begann sich in viele weitere Bahnen aufzuteilen. Es lief in den Wald, in bestimmte Bereiche des Dorfes und auf den Friedhof. Cido verstand nicht, was hier gerade geschah, doch als er seinen Blick wandern ließ, konnte er gerade noch sehen, wie die Leiche von Zero zu Asche zerfiel und vom Wind davon geweht wurde.



Im nächsten Moment erhoben sich die getöteten Bauern und das Zwitschern der Vögel kehrte zurück, genauso wie Cido ein Reh in den Schatten der Wälder springen sah. Die Stimmen der Schafe kehrten zurück und auf dem Friedhof erhoben sich Schatten, die sich aus der Erde kämpften.



Cido verstand es nicht. Genauso wie die Bauern und Tiere, die sich über das neue Leben wunderten, aber es dennoch dankend annahmen. Langsam ließ er den Körper von Kevin zu Boden sinken, bevor er den Mantel von Zero aufhob, um die Blöße des Jungen zu bedecken.



Er erhob sich und ging an den Bauern vorbei, die nicht begriffen, was gerade passiert war. Er folgte den Blutspuren auf den Boden. Eine führte zur Lichtung auf der sie sich das erste Mal getroffen hatten und die Leiche von Sebastian lag.



Seine Schritte wurden von der Hoffnung beflügelt und er betete zu allen Göttern, dass der Junge auch leben würde. Er hatte es doch so sehr verdient. Viel mehr als alle anderen Gestalten zusammen. Doch die Spur endete kurz vor der Lichtung in einem Gebüsch, wodurch Cido auf die Leiche des Jungen blickte.



Sie lag da. Unbewegt und unverändert. Das Gras glänzte nicht mehr, weil das Blut mittlerweile getrocknet war und Cido begann zu verstehen. „Ach ja, er wurde ja nicht von Zero oder Kevin getötet. Seine Familie tut mir Leid. Alle werden leben. Nur er nicht. Sie werden die Einzigen sein, die nicht feiern können, sondern trauern werden.“



Er ging zu Sebastian und sah auf ihn herab, als er spürte, wie sich eine unendliche Trauer in ihm ausbreitete. Ruhig setzte er sich einfach an den nächstliegenden Baum in der Nähe hin und zog seine Knie näher an den Körper. „Wieso kannst du nicht auch leben? Wie soll ich deinen Mörder nur finden? Die Welt ist groß und er könnte überall sein.“



Seine Stimme zitterte im Wind und er seufzte, bevor er in die Richtung sah, in die damals der Kämpfer verschwunden war. Richtung Westen. Was war dort überhaupt? Cido wusste es nicht. Zwar kam auch er aus dieser Richtung, doch die Welt war sehr groß. Niemals würde er sein Versprechen einhalten können. Er würde den Kämpfer nie wiedersehen.



Die Verzweiflung überrannte den Jungen und er war den Tränen nah, als er plötzlich ein leichtes Stupsen in der Seite spürte und überrascht seinen Blick hob, um in die großen braunen Augen eines schwarzen Pferdes zu blicken.



„Nanu? Wo kommst du denn her?“ Langsam richtete er sich auf und strich über die Stirn des Tieres, wobei er sich dann suchend umsah. „Wo hast du denn deinen Besitzer gelassen?“ Der Friese schnaubte nur und schüttelte wild den Kopf, bevor er Cido erneut anstupste, als wollte er ihn auf seinen Rücken schieben.



Das Tier trug kein Zaumzeug und auch keinen Sattel, wodurch es wirklich so aussah, als würde es frei sein und niemanden gehören. Aber warum war es dann zu ihm gekommen? Wieso wollte es, dass der Junge aufsaß? Es ergab keinen Sinn und selbst als er sich noch einmal umsah, konnte er keinen anderen Menschen ausmachen. Der Friese schien wirklich wild zu sein.



Langsam trat Cido an die Seite des Tieres und legte seine Hände auf dessen Rücken, dennoch zögerte er und wurde somit prompt erneut angestupst. Dieses Mal wirkte es, als würde das Tier ihn am liebsten selber auf seinen Rücken heben, doch dies war ihm nicht möglich.



Ein Seufzer stahl sich über die Lippen des Jungen, bevor er sich mit ein wenig Kraftaufwand auf den Rücken des Tieres schwang. Er rückte sich zurecht und spürte die Atmung zwischen seinen Schenkeln. Ruhig strich er über das weiche Fell und versuchte ein Gefühl zu bekommen, bevor er sich in dem untersten Teil der Mähne festhielt.



„Aber sei vorsichtig. Ich bin kein guter Reiter“, warnte er das Tier, als dieses schon davon schritt und sofort in einen leichten Trab wechselte. Cido schrie erschrocken auf und klammerte sich panisch fester in die Mähne des Tieres, wobei er seine Beine so gut es ging an den Körper unter sich presste, damit er nicht fiel. Er brauchte all seine Konzentration, um nicht zu stürzen. Doch der Friese störte sich nicht daran, denn er trabte unbeirrt weiter. Denselben  Weg, den auch der Kämpfer nach seinem Mord an Sebastian gegangen war…





2



Der weiße Umhang flatterte leicht im Wind und presste sich an die muskulösen Beine, die sich schleppend vorwärts bewegten. Das schulterlange blonde Haar verdeckte hin und wieder die traurigen Augen, deren Blick auf den Boden gehaftet war.



„Was hab ich nur getan?“ Seine Hände zitterten, während das Schwert an seiner Hüfte immer mal wieder gegen seinen Unterschenkel schlug. Der Bogen lag um seine Schulter, genauso wie der Köcher voller Pfeile. Sie sollten ihm den Sieg gegen das Monster bringen.



Doch jetzt war es nicht das Blut des Wolfes, das seinen Anzug rot färbte, sondern das des Jungen. Wieso war er plötzlich in seinem Weg gewesen? Warum wollte er diese Bestie nur beschützen? Hätte er nicht einfach stumm zusehen können? Das hätte alles um so vieles einfacher gemacht. Aber einfach war sein Leben noch nie gewesen.



Im nächsten Moment hörte er, wie sich ein Pferd näherte, wodurch er sich irritiert nach hinten umwandte. Gegen die aufgehende Sonne erkannte er nichts außer den Schatten eines Reiters auf dem Rücken des Tieres. Wer kam ihm dort nach? In dieser Richtung lag doch nur das Dorf und daraus war schon lange kein Mensch mehr gekommen. Wo kam der Fremde nun also her? Vor allem, wenn er aus dem Dorf kam, woher hatte er dann das Pferd? Hatte die Bestie nicht alle Tiere verschlungen? Das ergab für ihn alles keinen Sinn.



Trotz der verwirrenden Umstände kam dem Jungen diese Ablenkung gerade recht. Dann musste er nicht mehr an die blutüberströmte Leiche denken, wodurch er schließlich darauf wartete, dass sich das Tier näherte und bald erkannte er ein schwarzes Pferd mit einem braunhaarigen Reiter, der nur wenige Schritte von ihm entfernt anhielt und von dem Tier sprang. Zornig und mit großen Schritten eilte er auf ihn zu, was den Blondschopf ein wenig irritierte.



„Hab ich dich endlich gefunden, du Schwein!“ Der Kämpfer wusste gar nicht, wie es um ihn geschah, als der Neuling auf ihn losging und ihn schubste. Immer wieder schlug er gegen seinen Brustkorb und trieb ihn so nach hinten.



„Wer bist du? Kennen wir uns irgendwoher?“ Der Blondschopf wusste nicht, wie es um ihn geschah, als ihn dieser Junge plötzlich so anfuhr, wobei dieser gar nicht aufhörte zu wüten: „Mein Name ist Cido Hiwatari und wir kennen uns nicht wirklich. Ich habe aber deinen Kampf gegen das Monster gesehen…“



„Ach, so ist das. Das ging ja schnell. Ich hab dich gar nicht gesehen. Dennoch tut es mir Leid. Ich wollte den Jungen nicht töten, sondern eigentlich retten“, huschte es leise über die Lippen des Kämpfers. Dass er damit Cido unterbrochen hatte, ließ diesen einen Moment lang empört die Luft anhalten, bevor er dann wieder aufbrauste: „Das ist mir egal! Tatsache ist, dass du Sebastian getötet hast und ich Kevin versprochen habe ihn zu rächen! Also, mach dich bereit zu sterben!“

 



„Nein… ich will nicht sterben und ich wollte auch nicht, dass der Junge von meiner Klinge getroffen wurde. Warum hat er sich dazwischen gestellt?! Er hätte mich doch einfach nur meinen Job machen lassen können. Aber nein! Er mischte sich ein und starb an einem Schwerthieb, der nicht für einen Menschen gedacht war“, versuchte er sich zu erklären, doch Cido winkte nur ab: „Ja, ja. Das sagen sie alle. Du hättest den Angriff bestimmt noch abbrechen können. Aber du wolltest einfach nicht, weil es dir egal ist, wen du tötest und wen nicht. Hauptsache deine Klinge wird von Blut benetzt. Ich kenne Menschen wie dich und ich muss sagen, diese Bekanntschaften sind nicht wirklich die Besten gewesen.“



„Ich wollte das nicht“, seufzte der Blonde, wobei er sich dann langsam abwandte und davon schritt. Mit diesem Menschen konnte man nicht diskutieren und kämpfen wollte er gerade nicht. Er wollte nicht noch mehr unschuldiges Blut auf seiner Klinge haben und daher beendete er dieses Aufeinandertreffen nun.



„Hey! Jetzt warte doch! Bleib stehen, wenn ich dir die Leviten lese und mich seelisch darauf vorbereite dich umzubringen!“, brüllte ihm Cido nach, wodurch der Kämpfer noch einmal stehen blieb und sich zu dem Jungen umdrehte.



Ein trauriges Lächeln umspielte die Lippen des weiß Gekleideten. „Meine Name ist Xenio Achmaras. Vielleicht sieht man sich eines Tages wieder, Cido Hiwatari.“



Cido begriff es nicht, als der Kämpfer schon davonging und ihn hier zurückließ. Bestürzt sah er diesem hinterher und verstand gar nicht, was das zu bedeuten hatte.



Plötzlich wurde er von etwas Warmen in die Seite gestupst und er sah in das Gesicht des Friesen, wobei er kurz lächelte und der Stute über die Nüstern strich. „Was soll ich tun? Kann ich ihn wirklich töten? Aber ich habe es Kevin doch versprochen. Ich kann mein Wort ja nicht einfach so brechen. Das bin ich ihm schuldig.“



Das Pferd schnaubte und scharrte dann mit den Hufen, wobei es erneut den Jungen anstupste und mit den Kopf auf seinen eigenen Rücken zeigte. Scheinbar sollte er wieder aufsteigen. Ob das Tier einen Plan hatte? Wie dieser dann wohl aussah? Waren Pferde wirklich so intelligent? Cido schüttelte die Gedanken ab und lächelte kurz, um sich selbst zu beruhigen.



„Ja, du hast Recht. Ich sollte es zumindest versuchen. Und wenn ich sterbe, dann hab ich es zumindest probiert“, seufzte Cido und trat dann an die Seite des Tieres, um sich auf dessen Rücken zu schwingen. Dieses Mal ging es schon um einiges leichter als davor. Er schien ein Naturtalent zu sein.



„Also, los Norija! Ihm hinterher! Wir haben noch ein Hühnchen mit ihm zu rupfen.“ Er trieb das Pferd an, das sogleich den von Xenio beschrittenen Weg einschlug, doch als er nach einer Weile dachte, dass er den Kämpfer eigentlich schon längst eingeholt haben müsste, stoppte er das Tier kurz. „Wo? Wo ist er? Das kann doch nicht sein. Er kann ja nicht schneller als wir sein. Haben wir irgendeine Abzweigung verpasst?“



Er sah sich um, doch es gab nur diesen einen Weg und jetzt in der Wildnis zu suchen, wäre mehr als nur fragwürdig, wodurch er Norija einfach weiter den Weg entlang reiten ließ. Vielleicht würde er ja in der nächsten Stadt fündig werden. Zumindest würde er dort mal auf den Kämpfer warten. Irgendwann musste dieser ja auch dort ankommen und dann wäre er fällig…




„Er sucht mich immer noch?“ Xenio konnte seinen Augen nicht trauen, als er den Jungen an sich vorbei reiten sah. Er hatte eine kurze Pause unter dem Schatten eines Baumes gemacht, wobei er gerade eine Scheibe Brot in der Hand hielt und ein Wasserschlauch auf seinem Bein lag.



Ein Seufzer stahl sich über seine Lippen, als er über Cido nur den Kopf schüttelte. „Er kann mich doch niemals besiegen. Warum will er unbedingt sterben? Ich versteh das nicht. Aber wie es aussieht reitet er geradewegs auf mein Dorf zu. Wenn er dort auch eine Rast macht, dann werden wir uns wohl oder übel noch einmal begegnen. Er kann mich nicht töten. Das habe ich in seinen Augen gesehen. Dennoch eilt er mir nach. Was er sich davon wohl verspricht?“



Er schob den letzten Bissen des Brotes in seinen Mund, als er dann schon aufstand und den Wasserschlauch wieder an seiner Hüfte befestigte, bevor er sich den Staub von der Kleidung klopfte.



„Na ja, ich muss nun auch weiter.“ Er streckte sich kurz, bevor er dann aus den Schatten trat und zurück auf den Weg ging, um seine Heimkehr fortzusetzen. Das Land um ihn herum war ausgetrocknet und unfruchtbar. Es war einmal and