Leitfaden der Rechtsgeschichte

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Privilegien

93. Gewährung von Sonderrechten

Ohne Mitwirkung der Fürsten konnte der Kaiser einzelnen Personen bzw. Personengruppen bestimmte Rechte übertragen oder bestätigen. Derartige Begünstigungen (Privilegien) wurden in großer Zahl erteilt. In dieser Form gewährte beispielsweise der Kaiser den Landesherrn einzelne Regalien, wie etwa das Recht, Zölle zu erheben oder Münzen zu prägen. Außerdem stellte der Kaiser mittels Privilegien bestimmte Personen unter seinen Schutz.

Privilegien wurden regelmäßig in Urkunden festgehalten (Beispiel s. Rn. 105). Die in dieser Form getroffenen Regelungen waren allgemein verbindlich. Üblicherweise ließen sich die Empfänger ihre Privilegien bei einem Thronwechsel vom neuen Herrscher bestätigen.

4.1.2.2.Reichsterritorien

94. Herrschaftsstruktur

Die Position derjenigen Personen, die über ein bestimmtes Territorium herrschten, war sehr unterschiedlich. Sie hing davon ab, welche Herrschaftsrechte den Personen jeweils zustanden. Zu den Herrschaftsrechten gehörten unter anderem Rechte, die zu Ansprüchen auf Abgaben, Unterstützung oder Beratung führten bzw. eine Gerichtsgewalt zur Folge hatten. Etliche dieser Rechte standen in Verbindung mit einem Besitz an Ländereien (z. B. in Gestalt einer Grundherrschaft [s. Rn. 96] oder eines Lehensverhältnisses [s. Rn. 104]). Letztlich bildeten jedoch nicht die Ländereien, sondern die Rechte den entscheidenden Bezugspunkt für eine Herrschaft. Ab dem 13. Jahrhundert begannen Herrschaftsträger damit, die Verwaltung ihrer zahlreichen Rechte durch Errichtung regionaler Amtsbezirke sowie von Zentralbehörden zu vereinheitlichen und damit eine Landesherrschaft (Territorialherrschaft) zu entwickeln.

Begriffliches: Aus diesem Grund werden bereits in diesem Kapitel die Ausdrücke Territorien, Landesherrn (Territorialherrn) und Landesherrschaft verwendet. Auf Differenzierungen zwischen verschiedenen Arten von Territorien (z. B. Grafschaft, Herzogtum) bzw. verschiedenen Herrscherpositionen (z. B. Graf, Herzog) wird – wie auch in den folgenden Kapiteln – verzichtet.

95. Rechtsetzungen

Die Landesherrn galten als befugt, Recht zu setzen. Allerdings mussten sie dabei die Zustimmung von angesehenen Personen einholen, denen das Recht zur Beratung des Herrschers zukam (sog. Landstände):

Entscheidung des kaiserlichen Gerichts (1231):

Heinricus, dei gratia Romanorum rex (…). Notum esse cupimus universis, quod nobis aput Wormaciam curiam solempnem celebrantibus in nostra presencia petitum fuit diffiniri: si aliquis dominorum terre aliquas constituciones vel nova iura facere possit, melioribus et maioribus terre minime requisitis. Super qua re requisito consensu principum, fuit taliter diffinitum: ut neque principes neque alii quilibet constituciones vel nova iura facere possint, nisi meliorum et maiorum terre consensus primitus habeatur.

Heinrich, von Gottes Gnade Römischer König (…). Wir wünschen allen Folgendes bekanntzugeben: Als Wir zu Worms einen feierlichen Hoftag hielten, wurde der Antrag gestellt, in Unserer Gegenwart gerichtlich diese Frage zu entscheiden: Ob einer der Landesherrn irgendwelche Satzungen oder neue Rechte machen könne, ohne die Vornehmen und Großen des Landes beizuziehen. Nachdem hierüber die übereinstimmende Ansicht der Fürsten erfragt worden war, wurde folgender Spruch gefällt [Weistum, s. Rn. 86]: Dass weder die Fürsten noch irgend jemand sonst Satzungen oder neue Rechte machen können, wenn nicht zuvor die Zustimmung der Vornehmen und Großen des Landes eingeholt worden ist.

Wie im Reich fanden auf der Ebene der Reichsterritorien nur wenige Rechtsetzungen statt. Diese waren vor allem der Friedensthematik gewidmet. Die Landesherrn trafen zusammen mit den Landständen Friedensvereinbarungen (sog. Landfrieden, s. Rn. 139), an denen sich teilweise auch die Kaiser beteiligten.

Außer den Landfrieden gab es kaum Regelungen, die das gesamte Territorium bzw. alle darin lebenden Menschen betrafen. Die einzelnen Personen hatten vielmehr sehr unterschiedliche Rechtspositionen. Diese wurden zum einen durch Privilegien bestimmt, mit denen die Landesherrn einzelnen Untertanen besondere Rechte oder Schutz zuerkannten. Zum anderen gab es zahlreiche Regelungen, die nur für bestimmte Personengruppen Bedeutung hatten, wie beispielsweise Hofrechte, Landrechte und Stadtrechte.

Hofrechte

96. Rechtskreis Grundherrschaft

Hofrechte regelten Rechtsbeziehungen zwischen Mitgliedern einer sog. Grundherrschaft. In räumlicher Hinsicht gehörten zu einem solchen Herrschafts- und damit Rechtsbereich alle Güter eines Grundherrn. Eine solche Position konnte ein adeliger oder geistlicher Herr innehaben sowie auch eine Kirche oder ein Kloster. Die Ländereien eines Grundherrn bildeten meist kein zusammenhängendes Gebiet, sondern lagen weit verstreut auseinander. In personeller Hinsicht unterfielen einer Grundherrschaft alle Personen, die auf diesen Gütern lebten und arbeiteten (z. B. freie oder unfreie Bauern, Handwerker, Händler). Ab dem 10. Jahrhundert erfolgten Aufzeichnungen einzelner Hofrechte. Diese beinhalteten einerseits eine Aufzählung der Rechte, die dem Grundherrn zukamen. Andererseits wurden die Verpflichtungen der Bauern fixiert. Diese bestanden regelmäßig in Abgaben oder Dienstleistungen.

Landrechte

97. Allgemeiner Rechtskreis

Einige mittelalterliche Quellen tragen die Bezeichnung „Landrecht“. Dieser Begriff ist nicht etwa in dem Sinn zu verstehen, dass es sich um Regeln für ein gesamtes Territorium und alle dort ansässigen Personen handelte. Vielmehr stellte das Landrecht einen allgemeinen Rechtskreis dar, der nur Bedeutung erlangte, sofern Rechtsverhältnisse nicht Sonderordnungen (z. B. Lehens-, Stadt- oder Hofrechten) unterstanden. Adressaten des Landrechts waren damit im Wesentlichen die im ländlichen Bereich eines Territoriums lebenden freien Personen – und dies auch nur insoweit, als es nicht um Rechtsverhältnisse einer Grundherrschaft ging. Im Unterschied zu den Stammesrechten wurde bei den Landrechten der Anwendungsbereich nicht in personaler, sondern in räumlicher Hinsicht abgegrenzt. Damit dokumentieren sie ein zunehmendes territoriales Verständnis von Recht:

Sachsenspiegel (um 1230), Landrecht I, 30:

Iewelk inkomen man untvet erve binnen deme lande to Sassen na des landes rechte unde nicht na des mannes, he si Beier oder Swaf oder Vranke.

Jeder eingewanderte Mann empfängt Erbe in dem Land Sachsen nach dem Recht des Landes und nicht nach dem Recht des Mannes, er sei Bayer oder Schwabe oder Franke.

98. Rechtsbücher (Sachsenspiegel)

Landrechte hatten nur selten die Gestalt einer landesherrlichen Rechtsetzung. Zentrale Quellen für die Kenntnis von Landrechten stellen vielmehr private Aufzeichnungen in Gestalt von Rechtsbüchern dar (s. Rn. 86). Das bekannteste Beispiel eines Rechtsbuchs ist der Sachsenspiegel, der zwischen 1220 und 1230 in niederdeutscher Sprache von einem Mann namens Eike von Repgow verfasst wurde. Das Werk schildert im Abschnitt „Landrecht“ vor allem Rechtsgewohnheiten des ländlichen Lebens im Elbe-Saale-Gebiet. Inhaltliche Schwerpunkte liegen im Straf-, Familien-, Erb- sowie Sachenrecht. Eine zentrale Stellung nimmt das gerichtliche Verfahren ein. Die Ausführungen sind von einem christlichen Weltbild geprägt.

Der Landrechtsteil des Sachsenspiegels umfasst auch einige Regelungen, die das Reich betreffen, z. B. Bestimmungen aus Reichslandfrieden, Regeln für die Königswahl oder Aussagen zum Verhältnis von Kaiser und Papst. Zudem enthält der Sachsenspielgel neben dem Landrecht auch einen Abschnitt zum Lehensrecht (s. dazu Rn. 106).

Der Sachsenspiegel hatte infolge seiner Schriftlichkeit eine große Wirkung. Er fand weit über Sachsen hinaus Beachtung. Das belegt nicht zuletzt die große Zahl von Handschriften, die von diesem Text erhalten sind. Teilweise wurde darin der Inhalt durch Zeichnungen illustriert. Außerdem bildete der Sachsenspiegel die Grundlage für weitere Rechtsbücher, wie z. B. den Schwabenspiegel, der um 1275 entstand.

Stadtrechte

99. Rechtsetzung in den Städten

Städte waren nicht nur in räumlicher Hinsicht durch Mauern von ihrer Umgebung abgegrenzt, sondern auch in rechtlicher Hinsicht. Sie hatten jeweils ein eigenes Recht. Dieses wurde zunächst vom Stadtherrn festgelegt. Stadtherr konnte ein weltlicher oder geistlicher Landesherr oder auch der Kaiser sein. Bei Neugründungen von Städten, die ab dem 12. Jahrhundert in großer Zahl erfolgten, hatte das erste Stadtrecht regelmäßig die Gestalt eines Privilegs. Darin sicherte der Stadtherr den Bürgern Rechte und Freiheiten zu:

Freiburg (1120, Gründungsprivileg des Stadtherrn Konrad von Zähringen), I. A.:

Notum sit omnibus tam futuris quam presentibus, qualiter ego Cunradus in loco mei proprii juris, scilicet Friburc, forum constitui anno ab incarnatione domini MCXX. (…)

Igitur notum sit omnibus, quod secundum petionem et desideria ista, que secuntur, privilegia: ac in integrum mihi consilium visum est, si forent sub cyrographo conscripta, quatenus longum tempus habeantur in memoria; ita ut mercatores mei et posteri eorum a me et posteris meis hoc privilegium in ewum obtineant.

 

Hiermit sei allen jetzt und in Zukunft kundgetan, dass ich, Konrad, im Jahr der Fleischwerdung des Herrn 1120 auf dem Gebiet meines eigenen Rechts, und zwar in Freiburg, einen Markt gegründet habe. (…)

Im Folgenden sei allen kundgetan, dass ich entsprechend ihrer Eingabe und ihren Wünschen die nun folgenden Privilegien erlassen habe. Hierbei schien es mir die beste Lösung, dieselben in Form einer handschriftlichen Urkunde aufsetzen zu lassen, damit sie für lange Zeit in Erinnerung bleiben und damit meine Kaufleute und deren Nachfahren wissen, dass ihnen dieses Privileg von mir und meinen Nachfahren auf ewig gewährt wurde.

Ein zentrales Element der Stadtrechte bildete die Erlaubnis, einen Markt abhalten zu dürfen, einschließlich der Befugnis zu Münzprägung und Zollerhebung. Die einzelnen Regelungen waren von den Bedürfnissen des Handels und Gewerbes geprägt. Dies trug zu grundlegenden inhaltlichen Unterschieden im Vergleich zum Landrecht bei, das auf agrarische Verhältnisse ausgerichtet war.

Nicht selten orientierten sich die Privilegien am Recht einer bereits bestehenden Stadt, das auf die neu gegründete Stadt übertragen wurde. Auf diese Weise entstanden sog. Mutter- und Tochterstädte (Stadtrechtsfamilien). Bekannte Beispiele für Mutterstädte sind Magdeburg und Lübeck.

Die Fortbildung des Stadtrechts erfolgte durch die Bürgerschaft. Diese musste sich die Befugnis zur Rechtsetzung teilweise vom Stadtherrn erkämpfen. Die Legitimationsgrundlage für neue Regelungen bildete zunächst ein Eid, mit dem alle Bürger in regelmäßigen Abständen den städtischen Frieden beschworen und sich dem städtischen Recht unterwarfen. Etwa seit dem 14. Jahrhundert wurde eine obrigkeitliche Rechtsetzungsbefugnis des städtischen Rates anerkannt.

100. Besondere Rechtskreise innerhalb der Städte

Einen besonderen Rechtskreis innerhalb der Stadt stellten Ordnungen von Gemeinschaften dar, denen das Recht zum Erlass von Satzungen zugebilligt wurde. Zu derartigen Gemeinschaften zählten beispielsweise Vereinigungen von Kaufleuten und Handwerkern (sog. Gilden oder Zünfte, teilweise auch als Zechen oder Innungen bezeichnet). Diese legten in ihren Satzungen Rechte und Pflichten der Gemeinschaftsmitglieder fest (z. B. die Zahl der Lehrlinge und Gesellen sowie deren Ausbildung) und regelten die Gewerbeausübung (z. B. welche Waren erzeugt werden durften).

4.1.2.3.Bündnisse und Lehensverhältnisse

101. Besondere Vereinbarungen

Bedeutsam für die Struktur des Heiligen Römischen Reichs im Mittelalter waren nicht zuletzt verschiedenartige Verbindungen von Personen und Institutionen, denen teilweise eine erhebliche politische Bedeutung zukam. Diese Verbindungen beruhten auf Vereinbarungen, deren Bestimmungen die Rechte des Reichs, der Territorien sowie anderer Rechtskreise überlagerten.

Bündnisse

102. Städtebünde

Immer wieder verbündeten sich verschiedene Städte und verabredeten eine gemeinsame Friedenswahrung sowie eine Sicherung ihrer Rechts- und Wirtschaftsbeziehungen. Zur Erreichung dieser Ziele wurden häufig eigene Organe des Städtebundes (z. B. Mitgliederversammlungen) sowie eine Schiedsgerichtsbarkeit geschaffen. Ein besonderes Gewicht erlangte die Hanse. Sie war ein Zusammenschluss von Kaufleuten und norddeutschen Handelsstädten. Eine Versammlung von Bürgermeistern und Räten der Hansestädte erließ für alle Mitglieder verpflichtende Regelungen.

103. Schweizerische Eidgenossenschaften

Ein weiteres Beispiel für Bündnisse bilden Verbindungen, die ländliche Gemeinschaften und Städte auf dem Gebiet der heutigen Schweiz eingingen. Diese legten eine Basis für das spätere Staatswesen. Bekannt wurde vor allem eine Vereinbarung, die Männer dreier ländlicher Gemeinschaften an der Passstraße des Gotthards (Uri, Schwyz und Unterwalden) im Jahr 1291 beschworen. Darin legten die Verbündeten gegenseitige militärische Unterstützungsverpflichtungen fest und sahen für einige Straftaten bestimmte Rechtsfolgen vor, um dadurch Fehden zu begrenzen (s. Rn. 139).

Begriffliches: Die Verabredung von 1291 wird seit dem 19. Jahrhundert als Gründungsdokument der Schweiz gefeiert. Zudem nimmt die heutige Bezeichnung der Schweiz als „Schweizerische Eidgenossenschaft“ (CH, Confoederatio Helvetica: Schweizerisches Bündnis) auf die – mit Eid bekräftigten – mittelalterlichen Vereinbarungen Bezug. Zur offiziellen Staatsbezeichnung wurde der Ausdruck „Eidgenossenschaft“ im Jahr 1848 (s. Rn. 274). Die Struktur, welche die Eidgenossenschaft 1848 erhielt, unterschied sich allerdings grundlegend von früheren Verbindungen. Um diesen Unterschied zu kennzeichnen, wird im Folgenden für die Zeit vor 1848 der Ausdruck alte (Schweizerische) Eidgenossenschaft verwendet.

Lehensverhältnisse

104. Dingliche und persönliche Aspekte

Zahlreiche Herrschaftsträger standen in Lehensbeziehungen. Dabei handelte es sich um Rechtsverhältnisse zwischen zwei Personen: dem Lehensherrn und dem Lehensmann (auch genannt: Vasall). Die Lehensverhältnisse hatten eine dingliche und eine persönliche Seite:

Sachsenspiegel (um 1230), Lehenrecht, 3:

De man scal sime herren bi plicht hulde dun unde sweren, dat he eme also truwe unde also holt si, alse dorch recht en man sime herren scole, de wile dat he sin man wesen wille unde sin gut hebben wel.

Der Mann soll seinem Herrn pflichtgemäß huldigen und schwören, dass er ihm treu und ergeben sei, wie es von Rechts wegen ein Lehensmann seinem Herrn sein soll, solange er sein Lehensmann sei und Lehensgut von ihm haben wolle.

Die dingliche Seite war dadurch gekennzeichnet, dass der Herr dem Vasall ein Lehensgut übertrug. Das Lehensgut bestand ursprünglich meist aus Ländereien. Es wurde jedoch üblich, auch Ämter (z. B. das Richteramt), Rechte (z. B. Zollrechte) oder Geldbeträge in Gestalt eines Lehens zu vergeben. Die persönliche Seite bildete eine Treuepflicht des Vasallen gegenüber dem Lehensherrn. Diese beinhaltete zunächst die Pflicht zur militärischen Unterstützung. Später trat die Pflicht zur Beratung in den Vordergrund. Außerdem kam dem Lehensherrn eine Schutzpflicht gegenüber dem Vasallen zu. Ein Lehensverhältnis veränderte nicht den Status des Vasallen; dieser blieb eine freie Person.

105. Politische Bedeutung

Die Treuepflicht des Vasallen führte dazu, dass das Lehenswesen eine wichtige politische Bedeutung erlangte. Unter anderem banden die Kaiser bestimmte Fürsten (sog. Reichsfürsten) unmittelbar an sich, indem sie ihnen Teile des Reichsguts als Lehen gaben. Ein Beispiel dafür ist die Erhebung der ehemaligen Markgrafschaft Österreich zum Reichsfürstentum, wobei den Vasallen nur sehr wenige Verpflichtungen auferlegt wurden:

Friedrich I., Privileg für das Herzogtum Österreich (sog. privilegium minus, 1156):

(4) (…) de consilio et iudicio principum (…) marchiam Austrie in ducatum commutavimus et eundem ducatum cum omni iure prefato patruo nostro Heinrico et prenobilissime uxori sue Theodore in beneficium concessimus perpetuali lege sanctientes, ut ipsi et liberi eorum post eos indifferenter filii sive filie eundem Austrie ducatum hereditario iure a regno teneant et possideant. (…)

(7) Dux vero Austrie de ducatu suo aliud servicium non debeat imperio, nisi quod ad curias, quas imperator prefixerit in Bawaria, evocatus veniat. Nullum quoque expedicionem debeat, nisi quam forte imperator in regna vel provincias Austrie vicinas ordinaverit.

(4) (…) haben Wir nach dem Ratschlag und Beschluss der Fürsten (…) die Markgrafschaft Österreich in ein Herzogtum umgewandelt und dieses Herzogtum mit allem Recht Unserem Onkel Heinrich und seiner hochedlen Gemahlin Theodora zu Lehen gegeben. Dabei haben Wir durch ein immerwährendes Gesetz verordnet, dass sie und ihre Kinder nach ihnen, Söhne und Töchter ohne Unterschied, das eben genannte Herzogtum zu erblichem Recht vom Reiche innehaben und besitzen sollen.

(7) Der Herzog von Österreich aber soll wegen seines Herzogtums dem Reich keinen anderen Dienst schulden als den Besuch der Hoftage, die der Kaiser in Bayern ansetzt, wenn er geladen ist. Auch schuldet er keine Heeresfolge außer derjenigen, die der Kaiser etwa gegen Königreiche oder Länder in der Nachbarschaft von Österreich anordnet.

Auch die Kirche wurde durch die Vergabe von Lehen, beispielsweise an Bischöfe, in das Reich einbezogen. Zudem festigten Landesherrn häufig ihre Herrschaft durch Lehensbeziehungen. Da Weiterverleihungen zugelassen waren und eine Person auch Vasall verschiedener Lehensherrn sein konnte, entstand ein vielfältiges Geflecht von Verbindungen. Das häufig verwendete Bild einer Lehenspyramide mit dem Kaiser an der Spitze beruht auf einer starken Vereinfachung und gibt die realen Verhältnisse nur unvollkommen wieder.

106. Quellen des Lehensrechts

Die Rechtsbeziehungen zwischen Lehensherrn und Vasallen – etwa der genaue Umfang der beiderseitigen Pflichten, die Verfügungsmöglichkeiten über das Lehen oder die Rechtsfolgen von Pflichtverletzungen – beruhten weitgehend auf Rechtsgewohnheiten. Nur für Italien veranlassten die Kaiser, die gleichzeitig auch Könige von Italien waren, im 11. und 12. Jahrhundert Rechtsetzungen, die einzelne Punkte ausdrücklich regelten (s. Rn. 127). Zur gleichen Zeit erfolgten auch erste private Aufzeichnungen des langobardischen Lehensrechts (Libri feudorum). Auch deutsche Rechtsbücher, wie etwa der Sachsenspiegel, enthielten einen lehensrechtlichen Teil (s. Rn. 98, 104).

Begriffliches: Lehen bedeutet wörtlich übersetzt „etwas Geliehenes“. Die lateinischen Quellenausdrücke lauteten „beneficium“ oder „feudum“. Die Bezeichnung „feudum“ diente später als Grundlage für den Begriff Feudalismus. Dieser Begriff wurde vor allem in der Französischen Revolution sowie von Vertretern der marxistischen Geschichtswissenschaft als Schlagwort gebraucht, um ein absolutistisches Regime bzw. eine Herrschaft von Großgrundbesitzern zu kennzeichnen. Da derartige Machtstrukturen abgelehnt wurden, war der Ausdruck „Feudalismus“ in diesen Kontexten mit einer negativen Bewertung verbunden.

4.1.3.Kirchliches Recht
Rechtsetzungen und -sammlungen

107. Rechtsetzungen durch Konzilien und Päpste

Im Bereich der Kirche hatten Rechtsetzungen einen anderen Charakter als im weltlichen Bereich. Sie ergingen nicht in Form von Vereinbarungen, sondern wurden von Institutionen erlassen, denen eine Gesetzgebungskompetenz zukam. Derartige Institutionen waren Versammlungen kirchlicher Würdenträger (Konzilien) sowie der Papst. Päpstliche Rechtsetzungen (Dekretalen) hatten die Gestalt von Einzelfallentscheidungen. Solche Entscheidungen erfolgten im Rahmen von brieflichen Antworten auf Rechtsfragen, die häufig im Zusammenhang mit konkreten Gerichtsverfahren an den Papst gerichtet wurden (Beispiel s. Rn. 128). Entscheidungen des Papstes kam über den Einzelfall hinaus eine allgemeine Bedeutung zu. Daher wurden sie auch zunehmend abstrakt formuliert. In inhaltlicher Hinsicht betrafen sie keineswegs nur kirchliche Angelegenheiten, sondern unter anderem auch das Zivil- und Strafrecht, für das die Kirche in weitem Umfang eine eigene Rechtsetzungs- und Rechtsprechungskompetenz in Anspruch nahm s. Rn. 137).

Begriffliches: Seit dem 4. Jahrhundert wurde der Ausdruck „canon“ zur Bezeichnung von kirchlichen Rechtsregeln gebräuchlich, die damit von den kaiserlichen Gesetzen (leges) abgegrenzt wurden. Im Anschluss daran bezeichnet man das katholische Kirchenrecht als kanonisches Recht. Der Ausdruck Dekretalen zur Kennzeichnung der päpstlichen Rechtsetzungen weist auf Parallelen zu den kaiserlichen Dekreten der römischen Antike hin, bei denen es sich ebenfalls um Entscheidungen im Zusammenhang mit Gerichtsverfahren handelte (s. Rn. 31). Daneben erteilten die Päpste, wie die Kaiser und die Landesherrn, zahlreiche Privilegien.

 

108. Corpus iuris canonici

Schon ab dem 4. Jahrhundert fanden Sammlungen kirchlicher Rechtssätze statt. Das Bedürfnis nach übersichtlichen Zusammenstellungen vergrößerte sich, als die Zahl der Dekretalen Mitte des 12. Jahrhunderts erheblich zunahm. Dies hing nicht zuletzt damit zusammen, dass etliche Päpste ein juristisches Studium absolviert und daher ein besonderes Interesse an Rechtsfragen hatten. Im 13. und 14. Jahrhundert veranlassten die Päpste drei Dekretalensammlungen: Liber Extra (1234), Liber Sextus (1298) und Clementinen (1317). Das Liber Extra sowie das Liber Sextus hatten abschließenden Charakter, d. h. Dekretalen, die nicht in die Sammlung aufgenommen worden waren, verloren ihre Geltungskraft. Demgegenüber ließen die Clementinen die Wirksamkeit nicht erwähnter päpstlicher Entscheidungen unberührt. Im 16. Jahrhundert wurden das Liber Extra, das Liber Sextus und die Clementinen mit anderen kirchenrechtlichen Sammlungen zu einer Gesamtausgabe zusammengefügt, welche die Bezeichnung „Corpus iuris canonici“ erhielt.

Das Corpus iuris canonici umfasste zudem als ersten Teil eine private Sammlung von kirchlichen Rechtstexten aus dem Jahr 1140, die ein Mönch namens Gratian durchgeführt hatte. Dieses „Decretum Gratiani“ wurde nie offiziell von einem Papst in Kraft gesetzt. Es genoss jedoch aufgrund seiner Qualität großes Ansehen und stellte die Grundlage für wissenschaftliche Erklärungen dar (s. Rn. 112). Gratian war bestrebt gewesen, ein widerspruchsfreies System des Kirchenrechts zu errichten, weswegen er seine Sammlung als „concordia discordantium canonum“ (Harmonisierung sich widersprechender Kirchenrechtssätze) bezeichnete.

In das Corpus iuris canonici wurden außer den bereits erwähnten Teilen noch zwei weitere private Zusammenstellungen von Dekretalen aufgenommen, und zwar die „Extravagantes Johannis XXII.“ von 1325 sowie die „Extravagantes communes“ aus dem 15. Jahrhundert. Danach gab es keine von päpstlicher Seite veranlasste Sammlung des Kirchenrechts mehr – bis zum Jahr 1917, als der „Codex iuris canonici“ erlassen wurde.

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