Gefangen

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Loe katkendit
Märgi loetuks
Kuidas lugeda raamatut pärast ostmist
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Es war nur wenig tröstlich, ihre Mimik durch den Schleier notdürftig versteckt zu wissen, sich hinter der trügerischen Anonymität eines Stückchens Stoff wie hinter einer dunklen Sonnenbrille sicherer und unbeobachteter zu fühlen. Insgesamt fiel es ihr schwer, unglaublich schwer, die Situation zu ertragen, und sie verfluchte mehr als einmal den Satan des Geldes, der sie dazu gebracht hatte, sich von Max dazu überreden zu lassen.

Die meisten Männer betrachteten sie mit frivolem Blick und sie hörte, wie einige zur Theke gingen, um sie zu buchen, und mit wenig Verständnis zur Kenntnis nahmen, dass dies nicht möglich sei. Genau dies forderte sie erst recht dazu heraus, sich Delia zu nähern und sie lüstern zu umarmen, ihr einen Kuss aufzuzwingen, ihr auf den Po zu klatschen oder ihre Brustwarzen zu befingern. Es störte sie nicht, dass Delia dies ohne Begeisterung hinnahm, ihnen auszuweichen versuchte und ihre Miene Abscheu ausdrückte. Es war ihnen egal, ob sie die zickige Prüde spielte oder ihre Abwehr echt war. Im Gegenteil, sie lachten laut über die Sklavin, die schon noch lernen würde, welche Bestimmung sie erwartete.

Iwan, der Türsteher, hatte die Anweisung, erst einzugreifen, wenn es zu sexuellen Handlungen käme. Amüsiert beobachtete er Delias Abwehr-reaktionen.

«Hey, gib sie mir mit, diese widerspenstige Sklavin, dann werde ich sie zureiten und ihr zeigen, was ihre Aufgabe ist!», rief einer der Männer ordinär zu Iwan hinüber, ehe er die rot beleuchtete Treppe nach unten verschwand. Iwan grinste breit.

Delia wurde beinahe übel, wenn sie daran dachte, dass sie sich in einem Bordell befand und sie die einzige Frau war, die hier nicht gevögelt wurde. Wäre es denkbar, dass man sie verschwinden ließ und dazu zwang? Niemand wusste, wo sie diese Nacht verbrachte. Offensichtlich wirkte sie sexy auf die Männer. Sie wusste, dass sie eine gute Figur hatte und schöne Brüste, aber so unverfroren wie hier war sie noch nie angestarrt worden. Natürlich lief sie sonst auch nicht halbnackt durch die Stadt, aber trotzdem –!

«Hallo! Schau nicht so ernst! Ich glaube, du brauchst eine Pause!» Max befreite sie von den Fesseln und nahm sie mit in sein Büro. Ein weiteres Glas Sekt und ein wenig Unterhaltung würden Delia entspannen.

Er betrachtete sie, wie sie mit damenhaft übereinander geschlagenen Beinen im Sessel saß, aufrecht, ohne sich anzulehnen. Der weich fließende Stoff, der in hauchzarter Transparenz ihre Figur umschmeichelte, machte aus ihr die personifizierte Verführung. Für einen Moment spielte er mit dem Gedanken, sie betrunken zu machen und Iwan zu überlassen. Er war darin geübt, unerfahrene, aber letztlich doch willige Frauen in beliebte Techniken einzuweisen, und hatte früher als Zuhälter gearbeitet. Dann verwarf Max die Idee wieder. Es wäre falsch. Er wollte nichts Illegales tun.

Allmählich wirkten Sekt und Müdigkeit. Delia blieb selten so lange auf. Inzwischen war es zwei Uhr nachts, wie ihr die gegenüber an der Wand aufgestellte antike Pendeluhr verriet. Sie gähnte verhalten.

Max brachte sie zurück und kettete sie wieder an. Er lobte sie noch einmal, dann ließ er sie alleine.

Im Moment war es ein wenig ruhiger geworden. Alle Männer waren untergekommen und die Bar leer. Delia war froh, dass ihr Körper mal eine Zeit lang keinen weiteren Angriffen ausgesetzt war. Gewiss, es war nichts Schlimmes passiert, darauf hatte ja auch Iwan zu achten, obwohl sie bezweifelte, dass er diese Aufgabe besonders ernst nahm. Einige Männer hatten sie betatscht, ihre Brustwarzen befummelt und ihr auf den Hintern geklatscht. Sie hatten versucht, sie mit ordinären Wortspielereien geil zu machen. Delia mochte diese Sorte von Wörtern nicht, aber sie konnte darüber hinweghören.

Ein paar der Männer waren jedoch abstoßend gewesen. Sie sahen reich aus, sehr reich. Delia konnte das Geld buchstäblich riechen, so sehr stanken sie nach Geld. Aber vor allem auch nach Geilheit, nach niedriger Geilheit, einer sogar nach Schweiß. Sie hatte den Ekel heruntergeschluckt und verkrampft gelächelt.

Mit müden Augen sah sie sich um. Die Einrichtung war geschmackvoller und luxuriöser, als sie erwartet hatte. Die aufgestellten Bronzefiguren, die Helden und Göttinnen der Antike darstellten, und die an den Wänden hängenden Gemälde mit Motiven des Impressionismus zeugten von Stil und guter Auswahl.

In der Sitzgruppe in Delias Nähe lümmelte jetzt ein Gast mit einer recht jungen Frau. Für ihn viel zu jung. Seine Kleidung, Uhr und zwei Ringe bezeugten einen gewissen Wohlstand. Ab und an lachte die Frau ein wenig zu schrill und künstlich zu dem auf, was er ihr angeregt erzählte. Seine Hand war unter ihren Rock geschoben, und sie bewegte sich rhythmisch vor und zurück, als ob sie auf seinen Fingern reiten würde. Delia nahm nur Fetzen davon wahr. Erneut gähnte sie, drehte ihren Kopf, um sich mehr umzusehen. Aber mehr war im Augenblick nicht los. Ihr Kopf zuckte hoch. So musste es sein, wenn man durch Übermüdung während einer Autofahrt in den Sekundenschlaf verfiel! Sie riss die Augen auf, aber kurz darauf verschleierte sich erneut ihr Blick und sie dämmerte weg. Ein Regal voller Spielsachen für Erwachsene erschien vor ihren Augen, ihre Hand griff danach, aber immer, wenn sie eine der bunten Packungen aus dem Fach nehmen und näher betrachten wollte, langte ihre Hand daneben …

«Ist alles in Ordnung mit dir?»

Der Traum riss ab und der Schall von Max’ Stimme dröhnte überlaut in ihrem Ohr.

«Ja, ich – ich denke schon», stammelte Delia mühsam. «Mein Kreislauf macht ein bisschen Probleme. Für einen Augenblick hatte ich das Gefühl, mir wird gleich schwarz vor den Augen.»

Max nickte. «Dachte ich mir schon. Du siehst kalkweiß aus. Komm mit und trink einen Kaffee.» Er machte sie los und fasste sie sicherheitshalber unter den Arm, bis sie in seinem Büro angelangt waren. Dann reichte er ihr eine Tasse heißen Kaffee aus seiner Thermoskanne.

«Danke, das tut gut.»

«Willst du aufhören?»

«Nein, nein, es geht schon. Die letzten zwei Stunden halte ich auch noch durch.»

«Okay.» Max setzte sich ihr gegenüber und zündete sich eine Zigarette an. Er blies den Rauch zur Decke, schaute Delia überlegend an.

«Ist was?»

«Wie man es nimmt. Ich weiß, du hast noch nie als Hure gearbeitet und willst es auch nicht versuchen. Verstehe ich. Wenn man einen ordentlichen bürgerlichen Beruf hat …» Er beugte sich vor und lehnte sich mit den Unterarmen auf dem Tisch auf.

«Aber?», fragte Delia. «Du willst doch auf irgendetwas hinaus. Spuck’s aus!»

Er grinste.

«Ich hätte nicht gedacht, dass du so direkt zur Sache kommst. Nun – heute Abend haben schon ein paar Stammkunden nach dir gefragt.»

«Nein!» Delias Widerspruch kam prompt und klang sehr entschieden. In ihren Augen spiegelte sich Entsetzen.

Max bohrte nicht weiter nach. «Schade. Nimm es mir nicht übel. Aber ich wollte dich wenigstens noch mal fragen.»

Es hatte keinen Sinn, wenn sie nicht wollte. Es war wohl besser, es nicht zu erzwingen.

Als Delia ihren Kaffee ausgetrunken hatte, brachte er sie ins Foyer zurück. Inzwischen war wieder mehr los. Einige Kunden suchten Unterhaltung. Ihre Stammhuren waren noch nicht frei. Sie lebten ihre Langeweile und ihren Übermut an Delia aus. Begrapschten ihre Titten, kitzelten sie, bis sie fast atemlos war, drangen ungeniert mit den Fingern in ihren Slip ein und rieben ihre Klitoris. Vergeblich war ihr abwehrendes «Nein, nein, bitte nicht!». Die Männer lachten nur und stachelten sich gegenseitig an. «Ja, zeig’s ihr!»

Delias Müdigkeit war völlig verflogen. Sie wand sich, zerrte hilflos an ihren Fesseln und hätte am liebsten geweint, wenn es nicht so überaus peinlich gewesen wäre. Verzweifelt biss sie sich auf die Unterlippe, um sich nicht weiterhin mit ihrem Gejammer zum Gespött zu machen. Die Minuten schienen nicht zu vergehen. Wo war nur Iwan? Warum half ihr denn keiner? Sie starrte an die Decke, an den Männern vorbei, die sich fürstlich zu amüsieren schienen, ihre nassen Küsse auf ihrem Hals und Dekolleté hinterließen. Die Berührungen ihrer Hände brannten wie Feuer auf Delias Haut. Sie verspürte ein dringendes Verlangen, sich zu waschen. Dann endlich, nach einer halben Ewigkeit, schritt endlich Iwan ein und bat die Männer von ihr abzulassen.

Sie war todmüde und erschöpft, als sie ihren Job erfüllt hatte und Max ihr das Geld aushändigte. Er gab ihr eine Visitenkarte und sagte, sie könne jederzeit wieder für ihn arbeiten, auch öfter, gerne auch an den Samstagen. Aber sie schüttelte den Kopf und meinte, eine Nacht würde ihr reichen. Sie könne sich eine Wiederholung im Augenblick nicht vorstellen.

Kapitel 3

Als Delia nach Hause kam, war sie einerseits müde, andererseits völlig überdreht. Das Bedürfnis nach einer erfrischenden Dusche war immer noch vorhanden, doch noch mehr verlangte ihr Körper, der von den häufigen sexuellen Angriffen überreizt war, nach Befriedigung. Sie packte ihre Einkäufe aus, öffnete die Verpackung des Vibrators und legte die beigelegten Batterien ein.

Dann zog sie sich aus und stellte sich vor ihren großen Schlafzimmerspiegel. Nicht übel, Mädel, dachte sie zufrieden. Das schummrige Licht der Nachttischlampe beleuchtete sie von hinten, gab ihrem Körper eine helle Silhouette.

Delia tupfte ein paar Tropfen des Gleitmittels, das sie mit dem Vibrator geschenkt bekommen hatte, auf ihre Finger. Sie schmierte den Vibrator sorgfältig ein und verteilte den Rest auf ihren Brustwarzen. Sie seufzte leise und beobachtete sich dabei, wie der blaue Delfinkopf langsam in ihrer Spalte verschwand. Dann stellte sie den Vibrator an und klemmte die Beine zusammen, um ihn am Herausrutschen zu hindern. Ihre Schenkel bebten und sie wand sich vor Lust. Sie rieb über ihre Nippel, die mit einer Mischung aus Schmerz und Lust reagierten.

 

Dann dachte sie ungewollt an die Männer, die sie lüstern betrachtet und angefasst hatten. Es erschien ihr unwirklich und doch wusste sie, dass es geschehen war. Sie hatte wissentlich zugelassen, von Fremden angefasst zu werden, gierig, unsittlich. Sie stöhnte. Wie konnte sie nur? Es war ihr, als ruhten tausend lüsterne Augen auf ihrem Körper, während sie sich im Spiegel betrachtete und zuschaute, wie sie mit einer Hand ihre Brust streichelte, mit der anderen den Vibrator zwischen ihren Schamlippen versenkte. Und dann geschah es, ihre Vagina zuckte unter den Schwingungen des Vibrators, sie packte ihn fester, zog ihn heraus und stieß ihn wieder hinein, fiel stöhnend auf die Knie, wälzte sich am Boden und blieb schließlich zuckend und quietschend auf der Seite liegen.

Benommen setzte sie sich auf und begann zu kichern. Sie zog den Delfin heraus und schaute ihn an. «Na, du bist mir ja einer!» Für einen Moment hatte sie fast vergessen, was sie in dieser Nacht noch erlebt hatte. Zufrieden kroch sie ins Bett und wickelte sich in ihre Decke.

Nachdem Sabrina wie üblich voller Elan von ihrem letzten Flug berichtet hatte, verstummte sie plötzlich und schaute ihrer Freundin prüfend ins Gesicht.

«Da rede ich und rede und rede, dabei gibt es irgendetwas, das du mir erzählen möchtest!»

Delia verschluckte sich beinahe vor Schreck. Sie hustete hinter vorgehaltener Hand, dann trank sie ein paar Schluck Kaffee, ehe sie antwortete. «Wie kommst du denn darauf? Sag mir lieber, was dein neuer Lover, der Co-Captain macht.»

Ein breites Grinsen war die Antwort. Sabrina und Delia kannten sich seit ihrem ersten Schultag. Der Zufall hatte es gewollt, dass sie nebeneinander saßen, von der ersten Stunde an Freundinnen waren und ihre gesamte Schulzeit bis zum Abitur miteinander verbrachten. Niemand kannte ihre Gedanken, ihre Wünsche, ihre intimsten Geheimnisse so wie die andere. Geheimnisse? Genau das war der springende Punkt. Es gab keine Geheimnisse! Die Gedanken der einen waren auch die Gedanken der anderen.

«Das mit Kevin ist schon wieder vorbei. Also erzähl, was geht ab?»

Noch einmal versuchte Delia abzulenken. «Nein, es ist nichts. Du weißt doch, im Gegensatz zu dir führe ich ein absolut unspektakuläres, biederes Dasein …»

Sabrinas schallendes Lachen unterbrach sie. «Ja, ja, das kannst du jemand anderem weismachen. Wieso scharrst du dann dauernd mit den Füßen auf dem Boden, knabberst auf deiner armen Unterlippe herum und spielst mit dem Kaffeelöffel?»

Delia seufzte vorwurfsvoll. «Dir kann man aber auch gar nichts vormachen!» Sie legte den Löffel auf den Unterteller und begann ersatzweise den silbernen Ring an ihrer linken Hand zu drehen.

Ihre Freundin ließ nicht locker. Sabrina schob ihren Teller auf die Seite, stützte sich mit den Ellenbogen auf dem Tisch ab, beugte sich ein wenig vor und forderte unnachgiebig: «Nun sag schon! Hast du einen neuen Freund oder was ist los?»

Schon nach der ersten Umarmung an der Wohnungstür hatten ihr ihre sensiblen Antennen verraten, dass etwas in der Luft lag. Es waren nur Kleinigkeiten. Aber das genügte als Hinweis. Die sonst so penibel aufgeräumte Wohnung zeigte ein wenig Unordentlichkeit und Delias Bewegungen waren – nun sie hätte es nicht in Worte fassen können, was an ihnen anders war. Aber da war etwas. Weniger Steifheit, ein wenig geschmeidiger, lockerer. Sie würde ihr die Chance geben, von alleine mit ihren Neuigkeiten herauszurücken. Delia brauchte immer ein wenig Aufschub. Sabrina war für Spontaneität zuständig, Delia für Beständigkeit.

Aber nun hatte sie ihr genügend Zeit gegeben und wollte endlich wissen, was während ihrer zehntägigen Abwesenheit geschehen war. «Also?», wiederholte sie beharrlich.

Delia ergab sich. Ein wenig stockend und mit hochroten Ohren begann sie von ihrem Erlebnis an jenem denkwürdigen Freitagabend zu erzählen. Wie sie bei Lovetoys for girls hineingegangen war, von Max Koos angesprochen wurde, bis hin zu ihrer besonderen nächtlichen Rolle.

«Du hast was gemacht?» Sabrinas Stimme kreischte laut auf, überschlug sich aus einer Mischung von Empörung und Belustigung. «Du? Ausgerechnet du?» Sie fing haltlos an zu lachen, ihr Körper bebte, Tränen der Belustigung liefen ihr aus den Augenwinkeln und es dauerte geraume Zeit, bis sie sich beruhigt hatte.

Delia saß ihr mit tomatenartigem Kopf gegenüber. Sie schämte sich für das, was sie getan hatte. Bereits als sie am nächsten Morgen aufgewacht war, hoffte sie inständig, es wäre nur ein eigenartiger Traum gewesen. Sie fühlte sich, als ob sie einen Kater vom Alkohol hätte. Wie unter Zwang hatte sie an diesem Tag fünfmal geduscht, um den schändlichen Schmutz der Nacht von ihrem Körper zu waschen.

Aber es nützte alles nichts. Der Blick in ihren Geldbeutel bestätigte ihre Befürchtung. Sie hatte es wirklich gemacht!

Jetzt, gut eine Woche nach ihrem nächtlichen Nebenjob, saß sie mit Sabrina in ihrer gemütlichen Wohnküche beim Brunch und beichtete ihr alles. Es war gut, mit jemandem darüber zu reden. Sonst würde sie noch platzen. Es kam aber ohnehin niemand sonst dafür in Frage – außer Sabrina, die weltoffen, unkompliziert und vor allem verschwiegen war.

«Und? Hat es dir gefallen? Gehst du nächsten Freitag wieder hin?» Sabrinas Augen funkelten animalisch.

«Nein!» Empört richtete Delia sich auf. «Auf gar keinen Fall!»

Sie hatte ihre Schulden bezahlt und sich vorgenommen, künftig besser mit ihrem Geld zu haushalten. Als sie noch zu zweit zusammenlebten, war ihr mehr übrig geblieben. Seit sie alleine für Miete und Auto aufkommen musste, war sie ständig pleite.

Sabrina ließ es bei dieser Antwort bewenden, obwohl sie Delia nicht glaubte. Es war für sie unfassbar, dass ausgerechnet ihre Freundin, dieses moralisierende, anständige Wesen, sich auf ein solches Abenteuer eingelassen hatte. Außerdem war da noch etwas, das sie ihr verschwieg. Vielleicht hatte sie das Erlebnis doch nicht nur abgestoßen. Aber das würde Sabrina schon noch herausfinden.

Kapitel 4

Im Laufe der kommenden Wochen legte sich Delias schlechtes Gewissen. Je mehr Zeit verfloss, desto unwirklicher erschien ihr das Erlebte. Es war eher wie die Erinnerung an einen Spielfilm, von dem man emotional sehr beeindruckt wurde. Dennoch, rückblickend erhielt das nächtliche Erlebnis eine ganz andere Bewertung als in den Stunden danach. Denn jeder Tag verlief gleich. Aufstehen, in die Bank fahren, Börsenmeldungen beurteilen und die Kunden entsprechend bei ihrer Geldanlage beraten. Einkaufen gehen, nach Hause kommen, kochen und ein bisschen Haushalt erledigen, fernsehen, schlafen. Tag für Tag das Gleiche. Selbst die Wochenenden waren ohne Abwechslung. Ausschlafen, lange frühstücken, gelegentlich Freunde treffen, die aber immer weniger wurden, seit sie sich von Martin getrennt hatte.

Endlich war in ihrem ansonsten gleichförmigen Leben einmal etwas Besonderes passiert. Etwas Aufregendes. Etwas – weniger Anständiges? Das war es! Delia war ihren Eltern stets eine Bilderbuchtochter gewesen, die selbst dann, als die anderen in der Pubertät durchdrehten, gelassen und artig blieb. Niemand, abgesehen von Sabrina, erfuhr oder spürte etwas von ihren seelischen und körperlichen Sehnsüchten.

Nach der Schule hatte Delia sofort eine Banklehre angefangen, mit Bravour bestanden, sich durch Fortbildungen hochgearbeitet. Sie war fleißig und ehrgeizig, aber ohne Ellenbogentaktik oder Intrigen, immer beliebt, umgänglich – eben anständig.

Eigentlich fehlte ihr nur noch der passende Ehemann, möglichst gut aussehend und ohne Bierbauch, etwas besser verdienend, dazu ein Haus mit Garten und mindestens zwei Kinder. Dazu vielleicht noch Hund und Katze. Dann wäre alles perfekt. Das perfekte kleinbürgerliche Familienbilderbuchleben?

Nein, perfekt, aber kotzlangweilig! Delia schüttelte unzufrieden den Kopf. Früher erschien ihr das alles völlig normal und erstrebenswert. Aber seit Martin ihre kleine heile Welt ins Wanken gebracht hatte, war sie sich gar nicht mehr so sicher, ob sie sich so eine Zukunft überhaupt wünschte.

Vielleicht sollte sie es sich doch noch einmal überlegen und sich erneut auf ein kleines Abenteuer einlassen? Schließlich war ja nichts passiert. Nicht wirklich. Max hatte gesagt, sie bräuchte auch künftig nicht mehr zu tun als bei ihrem Debüt. Nur als attraktiver Lückenbüßer den Platz auf dem Podest einnehmen, damit die anderen Damen nicht dafür herhalten mussten, sondern Zeit für ihre Freier hatten. Also – was war schon dabei, ob sie von Männern begrapscht wurde, die geil waren und bereit, für alles zu bezahlen. Andererseits – wenn sie daran dachte, wie einer ihr in den Slip gegriffen hatte, überfiel sie beinahe Übelkeit.

Grübelnd drehte Delia die Visitenkarte in der Hand. In ihrem Geldbeutel war fast Ebbe. Wieder. Sie fing an, sich selbst die Vorteile aufzuzählen. Einer war besonders ausschlaggebend: es würde schnell verdientes Geld sein. Sie atmete tief durch. Wenn sie mit dem Erlebten nach dem ersten Mal klargekommen war, wieso sollte es ihr dann beim zweiten Mal schwerer fallen?

Morgen Abend wäre günstig. Sabrina war wieder mal unterwegs nach Hongkong. Sie wäre ohnehin alleine, würde niemanden treffen. Noch immer unschlüssig nahm sie das Telefon in die Hand und wählte. Als sich am anderen Ende eine Frauenstimme meldete, legte sie erschrocken wieder auf. Fremde Männer. Entsetzlich. Will ich nun oder will ich nicht? Verdammt – ich habe mich doch schon entschieden! Warum bin ich nur so feige?

Sie drückte die Wahlwiederholung und diesmal verlangte sie mit sicherer Stimme, Max Koos zu sprechen.

Max hatte nicht mehr damit gerechnet, dass Delia sich jemals wieder melden würde. Ein Lächeln umspielte seine Lippen. Wenn es ihm gelang, sie für jeden Freitag und eventuell sogar Samstag zu engagieren, hätte er einen attraktiven Blickfang gewonnen. Mona würde ihr ein bisschen Stil beibringen müssen. Wie man sich weniger verkrampft bewegte und entgegenkommender auf die Männer einging. Er war überzeugt davon, dass Delia ein Naturtalent war und bald perfekt agieren würde. Und wer weiß, eines Tages würde sie vielleicht doch schwach werden. Sie war ein wenig einsam und es gab eine Menge interessanter Männer in seinem Etablissement, darunter sicherlich einige, die ihr gefallen könnten.

Der Abend verlief vergleichsweise gut. Max hatte auf Anraten seiner Frau Mona Delia einen Saft mit ein paar Beruhigungstropfen gegeben, den er ihr zur Begrüßung reichte. Eine Zeit lang wirkten die Tropfen und gaben ihr die nötige Gelassenheit, die Bemerkungen und das Anfassen der Männer leichter hinzunehmen.

Aber als die Wirkung nachließ, begann sie sich zu fragen, warum sie sich erneut darauf eingelassen hatte. Ansonsten geschah jedoch nichts Außergewöhnliches. Einige stiegen zu ihr aufs Podest, streichelten ihre Brüste, einer hob sogar ihren Schleier und rang ihren Lippen einen Kuss ab. Doch anders als beim ersten Mal fasste ihr keiner in den Schritt und plötzlich war die Zeit vorbei. Sie atmete erleichtert auf.

Diesmal gelang es Max nach kurzer Argumentation, Delia zu einer Zusage für den nächsten Freitag zu bewegen. So wie er sie einschätzte, würde sie es möglicherweise bereuen, sobald sie zu Hause war, aus Ehrgefühl aber nicht anrufen, um ihre Zusage zu widerrufen. Er lächelte wissend. Manchmal war es eben hinderlich, anständig zu sein und sich an Versprechen zu halten. In diesem Fall ein Nachteil für Delia, aber zum Vorteil für ihn.

Ehe Delia sich versah, verbrachte sie jede Freitagnacht in Max Koos’ Edelbordell. Zwar war sie die Stunden davor immer noch nervös, aber sie redete sich selbst ein, dass es ein harmloser und gut bezahlter Job war.

Von zehn Uhr abends bis vier Uhr früh war sie der Blickfang. Nur für Samstag war sie nicht zu erwärmen, weil es einige Fernsehshows gab, die sie ungern versäumte.

Manchmal kam Delia schon früher, und wenn die anderen Frauen nichts zu tun hatten, ergaben sich Gespräche, in denen Delia deren Lebensgeschichte erfuhr, wie sie zur Arbeit im Bordell gekommen waren, und sie wurde sich bewusst, wie gut es ihr in ihrem Bürojob und ihrem vermeintlich langweiligen Alltag ging.

Der Ablauf im Haus war vollkommen durchorganisiert. Jede hatte ihre speziellen Techniken und ihre Stammkunden, die schon Wochen im Voraus ihre Termine festlegten. Außer Getränken war es auch möglich, kleine Snacks und Leckereien zu bestellen, denn zum festen Personal gehörte unter anderem ein Koch, und weil das Gebäude ursprünglich ein Hotel war, existierte auch noch die gut ausgestattete Küche, als Koos es bei einer Zwangsversteigerung erwarb.

 

Jede Woche gab es einen neuen Speiseplan. Die Frauen legten fest, was sie essen wollten. Aber es wurde nicht nur gekocht, auf bestimmte Diäten oder Gewohnheiten Rücksicht genommen, sondern auch frische Salate und Obst eingekauft. Delia war überrascht, wie gut die Versorgung war. Für ihre Pausen wählte sie hauptsächlich leichte Speisen, um nicht zu ermüden oder den Bauch wie eine kleine Kugel vor sich herzuschieben. Außerdem war sie nach wie vor viel zu aufgeregt, um ein richtiges Essen hinunterzubringen.

Mittlerweile kannte sie auch die Räumlichkeiten besser. Eigentlich war sie gar nicht scharf darauf gewesen, die Zimmer zu sehen. Eine natürliche Scheu hatte anfangs über ihre Neugierde gesiegt. Aber es hatte sich ergeben, als sie auf dem Weg zur Toilette war und die Türen von zwei unbelegten Zimmern offen standen.

Bei dem Umbau vom Hotel zum Edelbordell hatte man die Zimmeraufteilung beibehalten, ebenso die eingebauten Badezimmer. Lediglich das Inventar war ausgetauscht und die Wände waren gestrichen worden. Delia musste zugeben, dass sie sich in einigen dieser Zimmer als Gast wohlgefühlt hätte.

Zur unteren Etage fand sie dagegen keinen Zugang. Weder interessierten sie die Räumlichkeiten, von deren spezieller Ausstattung sie dann und wann etwas aufschnappte, was ihr die Haare aufstellte, noch lernte sie die Frauen, die ihrer Aufgabe als Dominas nachgingen, näher kennen. Sie kamen nur selten nach oben und unterhielten sich kaum mit den anderen Frauen.

Allmählich gehörte dieser Freitagabendjob zu Delias Leben wie alles andere. Max hatte sich an ihre Abmachung gehalten und wimmelte die Anträge der Männer ab, die sie buchen wollten.

Seltsamerweise kommentierte Sabrina nicht die Veränderung, die mit ihrer Freundin vor sich ging. Zum einen lag es wohl daran, dass sie kaum Zeit hatte und viel zu sehr mit ihrem neuen Freund, einem Chefsteward, beschäftigt war und meistens diejenige war, die plapperte, wenn sich die Freundinnen doch einmal trafen. Zum anderen hätte sie Delia in Verlegenheit gebracht und vielleicht diese Entwicklung, die sie mit einer gewissen Distanz beobachtete, gestört. Diese ungewohnte Ungezwungenheit, Lockerheit, das Vermögen, auch über Dinge zu lachen, die Delia früher eher peinlich erschienen waren – all das gefiel Sabrina. Sie machte sich keine Gedanken darüber, wohin das noch führen sollte …

Es geschah bei Delias drittem Einsatz. Sie hatte gerade ihre erste Pause hinter sich gebracht und wieder ihre Position eingenommen, als das untrügliche Gefühl beobachtet zu werden sie veranlasste, sich umzuschauen. Natürlich wurde sie sowieso die ganze Zeit betrachtet, deswegen stand sie schließlich auf dem Podest. Sie war der Blickfang. Aber es war anders. Als würde jemand ihren Namen rufen, ohne dass dies wirklich passierte. Nur in ihrem Kopf existierte diese Verbindung zwischen ihr und dieser Person. Ein nervöses Kribbeln, wie von tausenden Ameisen verursacht, setzte auf ihrer Kopfhaut ein, lief ihren Nacken herunter, überflutete ihren ganzen Körper und entlockte ihr beinahe ein sehnsüchtiges Aufstöhnen, ein kribbelndes Gefühl der Lust. War sie denn völlig verrückt geworden, oder lag es nur daran, dass ihr einziger männlicher Freund ein Vibrator war und sie endlich einmal wieder einen richtigen Mann spüren wollte – aber keinen von diesen, auf die zu Hause wahrscheinlich eine ahnungslose Ehefrau wartete!

Dann entdeckte sie ihn. Er war gerade eingetreten und stand im Schatten einer der Säulen, die das Vordach der Bar trugen und diese optisch von der Halle trennten. Mit einem Schlag war sie hellwach. Sie richtete sich ein wenig mehr auf, streckte unbewusst ihre halbnackten Brüste heraus, umklammerte fester die Stangen, an die sie angekettet war.

Der Mann nahm seinen regennassen Hut herunter, strich mit einer lässigen Bewegung über die Krempe, schüttelte die Tropfen ab. Er fuhr sich mit den Fingern durch das kurz geschnittene Haar, das vom Hut ein wenig verdrückt war. Unter dem geöffneten Mantel wurde ein eleganter anthrazitgrauer Geschäftsanzug sichtbar, wie maßgeschneidert. Von der dezent gemusterten Krawatte über das seidig glänzende Hemd bis zu den Designerschuhen passte alles zusammen. Er war etwa eins fünfundachtzig groß, mit einem durchtrainierten, schlanken Körper, alles in allem gut aussehend, ein Bild von einem Traummann – wie aus einem Modemagazin. Nur ein wenig älter, reifer als die Models, die Delia von Abbildungen kannte, vielleicht Ende dreißig bis Anfang vierzig. Ein Mann im besten Alter, der die unbedarften Verrücktheiten der Jugend abgelegt und seinen beruflichen Weg gefunden hat.

Schlanke, lange Finger, gepflegte Hände. Am Ringfinger der linken Hand funkelte ein roter Stein auf einem schmalen Platinring. Taxierend schaute er in die Runde, verschaffte sich einen Gesamtüberblick.

Dann fixierte sein Blick Delia. Es war ihr, als würde sie durchbohrt werden. Selbstbewusstsein, Stolz und ein Hauch von Arroganz lagen in seiner Haltung. In einem anderen Leben wäre er ihr vermutlich als tapferer Ritter begegnet, der jedes Turnier gewann und dem die Edelfrauen seufzend zu Füßen sanken.

Delia wagte kaum zu atmen, als er langsam näher kam. Er umrundete ihr Podest und ihr Kopf drehte sich, folgte ihm automatisch. Dann blieb er genau vor ihr stehen. Delia starrte in ein Gesicht von atemberaubender Vollkommenheit. Die Gesichtszüge wie gemeißelt, scharf geschnitten, ein beinahe als klassisch zu bezeichnendes Profil. Sorgfältig rasierte, leicht gebräunte Haut.

Das alles nahm sie nur für Sekundenbruchteile wahr, denn als sie schließlich in seine Augen sah, die sie scheinbar ohne jeglichen Lidschlag unentwegt fixierten, war sie wie paralysiert und konnte den Blick nicht mehr abwenden. Stahlgrau und geheimnisvoll, in einem Kranz ungewöhnlich dichter, langer Wimpern hervorgehoben, lagen seine Augen unter schön geformten, schmalen, fast schwarzen Brauen.

Die folgenden Sekunden vergingen wie eine Filmsequenz in Zeitlupe. Der Mann musterte sie von oben bis unten, streckte die Hand nach ihr aus. Aber er sprach kein Wort, er lächelte nicht mit seinen wohl geformten Lippen, er berührte auch nicht ihren Körper. Seine Hand schien über ihre Brüste, ihre Rundungen, ihre Taille hinwegzuschweben. Als taste er sie mit einem Sensor ab. Dennoch meinte Delia, seine Fingerspitzen zu fühlen, als strahlten sie eine Art knisternder Elektrizität aus.

In Delias Ohren setzte ein Rauschen ein. Ihr Gegenüber sagte etwas zu ihr, sein Mund bewegte sich, aber sie verstand kein Wort. Bewegten sich seine Lippen lautlos oder sprach er wirklich? Sie hätte gerne gewusst, ob seine Stimme so klang, wie sie sich diese vorstellte. Fest, markant, sonor. Erneut sagte er etwas. Das Rauschen in Delia Ohren nahm zu. Sie schüttelte instinktiv den Kopf, schluckte voller Panik.

Er drehte sich ab. Sie nahm verschwommen wahr, wie er aufrecht, seinen Mantel über den Arm gelegt, auf Max zuging, der eben aus seinem Büro ins Foyer getreten war. Delia erschien der Gang des Fremden verzögert. Überdeutlich registrierte sie jedes Detail seiner Bewegung. Wie er sein Bein anhob, das Knie abwinkelte, den Fuß gerade aufsetzte, als erfolge jeder Schritt bewusst. Nichts blieb dem Zufall überlassen. Er war die verkörperte Kontrolle und sie meinte beinahe, sie müsse ihm folgen, jede Bewegung nachahmen.

Die beiden Männer sahen nun zu ihr herüber. Max antwortete irgendetwas auf eine Frage. Delia erkannte es an seinem Blick, seiner Gestik. Der Fremde zuckte in leichtem Bedauern mit den Schultern. Dann verschwand er in dem Gang, an dessen Ende eine Treppe nach unten führte.

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