Violet - Die 7. Prophezeiung - Buch 1-7

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Kapitel 2.13

Das war ein Riesenfehler! Ich bin so dumm. Adam hechtet sich auf mich, drückt mich mit seinem Gewicht in den Boden. Ich versinke im Matsch und strample mit Armen und Beinen. Es ist nutzlos.

Er hält mich fest mit seinen Händen, die wie Schraubzwingen sind. Seine Knie bohren sich in mich hinein.

»Du tust mir weh, lass mich los!«, brülle ich. Meine Stimme hört sich verzweifelt an. Wo ist meine Drohung, ihn zu töten, geblieben? Ich bin verzweifelt. Ich hoffe inständig, dass ich hier irgendwie aus der Klemme komme.

»Freija, jetzt beruhige dich doch. Was ist denn nur los mit dir?«, fragt er.

»Kristen? Nein! Adam! Geh runter von mir!«, weine ich.

Er schlägt mir mit der flachen Hand ins Gesicht, dass mir der Atem wegbleibt. Meine linke Gesichtshälfte wird taub und ich spüre, wie mir sofort rote Suppe aus der Nase läuft. Blut!

Ich habe solche Angst, will hier weg, aber die Panik lähmt mich, saugt alle Energie aus mir heraus.

»Freija, hör zu. HÖR - MIR - ZU! Es ist wichtig, dass du mir zuhörst! Ist da eine Stimme in deinem Kopf? Ist da die Stimme von…«, er beendet den Satz nicht, oder ich höre es nicht. Er hat eine ekelhafte Stimme und seinen Duft, den ich immer so mochte, dringt jetzt wie fürchterlicher Gestank in meine blutende Nase. Ich schließe meine Augen, wünsche mir ohnmächtig zu werden. Kraftlos ergebe ich mich.

»Freija, schau mich bitte an! Ich will dir nicht wehtun. Es kann sein, dass sie etwas mit dir gemacht haben. Ich muss das jetzt wissen. Sag es mir! Ich will dir helfen«, befiehlt er mir. Ich schüttle den Kopf. Er schlägt mich wieder. Mit der Hand auf die Wange, aber ich spüre den Schmerz kaum noch. Bin wie betäubt.

»Schau mich bitte an!«, schreit er wie ein Verrückter und ich gehorche ihm, um am Leben zu bleiben.

Er ist nicht normal! Seine Augen sind nicht normal! Er beugt sich über mich, gierig wie ein wildes Tier. Ich will meine Augen wieder schließen, habe aufgegeben, fühle mich so leer, ohne jegliche Lebensenergie in mir. Ich zittere am ganzen Körper vor Angst? Schreckliche Erinnerungen steigen in mir auf. Adam macht mir Angst. Er will mir etwas antun.

Kristens Stimme warnt mich vor ihm. Meine Gedanken spielen verrückt. Was für ein Alptraum! Ich wünsche mir, dass er tot wäre. Ist das mein Wunsch oder ist das ihr Wunsch? Gibt es da einen Unterschied? Ich will ihn töten. Ich fröstle, friere nicht nur vor Angst, auch vor Kälte. Frostige Kälte breitet sich auf meiner Haut aus.

Plötzlich wird es so kalt, dass der Boden unter mir zu gefrieren scheint.

Was ist das?

Was?

Dann schaue ich zu, was passiert. Bin nur Beobachterin. Unbeteiligt.

Und es passiert so viel.

Adam ist ganz nah und dann ist da noch etwas, das zwischen uns ist und ihn nicht noch näher kommen lässt. Es ist die Kälte. Ich bin die Kälte, die ihn auf Abstand hält, aber es fühlt sich nicht so an wie mein eigener Körper.

Dann wird Adam von mir wie eine Puppe auf die Seite geschleudert. Ich lese in seinen Augen, wie er sich fragt, wie das möglich sein kann. Wie er nicht verstehen kann, was da passiert.

Er sieht mich an und wir beide sehen, wie meine Tattoos leuchten, wie sie auf meiner Haut herumwirbeln. Dann bin ich schon über ihm. Auf seiner nackten Haut. Ich drücke ihn mühelos in den Dreck, öffne meine Kiefer und blecke meine Zähne wie eine Bestie.

»Freija nicht! Du musst dagegen ankämpfen!«, kreischt Adam, der hilflos unter mir zappelt, dann beuge ich mich zu seiner Kehle hinab und rieche seinen Duft, höre sein warmes Blut unter der dünnen Haut pulsieren. Meine Zähne, weiß wie Schnee, färben sich blutrot, als ich sie in seinem Hals versenke. Adam schreit nicht mehr, wehrt sich nicht mehr. Er schaut mich nur an. Hilflos. Fragend. Schlammverschmiert. Blutverschmiert. Er sieht eklig aus.

Blut sickert brutal aus einer klaffenden Wunde in seiner Kehle. Und ich schaue ihn an und trinke wieder aus ihm, spüre, wie mich sein Blut stärkt.

Und dann schaue ich ihm beim Sterben zu und empfinde kein Mitleid.

Sein Körper gefriert, wird starr und seine Augen, sein Blick wird zäh wie Wasser kurz vor dem Gefrierpunkt, ist voller Furcht. Und das ist der Moment, in dem ich begreife, dass ich mich bewegen muss, dass ich etwas Furchtbares getan habe! Ich muss hier weg und zwar schnell. Ich muss mich losreisen von dem Anblick.

Meine Beine sind schwer, als hätte sie jemand in Beton gegossen. Ich komme kaum von der Stelle. Wo wäre ich überhaupt in Sicherheit? Zum Haus, denke ich. Ich muss zum Haus. Schritt für Schritt. Viel, viel zu langsam komme ich vorwärts. Ich bin noch immer wie gelähmt, mein ganzer Körper zittert. Ich erreiche den Steg, als mich die Neugier überwältigt. Ängstlich blicke ich über die Schulter zurück.

Adam liegt dort zwischen den Büschen. Ich denke, er ist tatsächlich tot.

Ich schaue an mir runter, sehe die Bestien auf meiner Haut. Ihre Augen sind schwarz wie die Nacht. Ich bleibe stehen und wir beobachten uns. Lange, sehr lange wage ich es nicht, mich zu rühren, zu atmen und die Tattoos verfolgen mit ihren Augen jede meiner Bewegungen. Nach einer endlosen Weile, wage ich es, einen Schritt nach hinten zu machen.

Fast schon fasziniert schaue ich zu, wie meine Tattoos auf meiner Haut herumwirbeln.

Ich spüre Kälte und etwas Vertrautes. Adams Blut!

Energie zuckt jetzt wie Blitze durch meinen Körper. Lädt jede Zelle in mir auf, bringt sie fast zum explodieren. Ich fühle mich schlagartig unglaublich stark.

Die Bestien und ich gehören zusammen, sagt mir meine Intuition. Ich fühle mich voller Energie, strotze vor Kraft, schaue an mir hinab und sehe mich und die leuchtenden Tattoos. Das ist die intelligente Energie, denke ich. Bin ich eine Verrückte? Bin ich eine Bestie?

Nie zuvor habe ich mich so gefühlt. Als wäre ich aufs Doppelte angewachsen. Mein Blick ruht jetzt auf Adam, dessen Körper dort hinten liegt und ich spüre einen Teil von ihm in mir. Verrückt.

Und dann denke ich, dass ich tatsächlich überschnappe. Ich bin eine Wahnsinnige, die ihn getötet hat. Eine Frau, die ins Irrenhaus gehört. Dort werde ich den anderen Insassen von den Bestien erzählen, die auf meiner Haut zu leuchten begonnen haben. Ich glaube es ja selbst nicht, was ich eben erlebt, was ich gespürt habe, getan habe. Ich sinke auf meine Knie und beginne zu weinen. Tränen ergießen sich in Strömen über meine Beine.

Ich weiß nicht, wie lange ich da schon sitze? Eine Ewigkeit? Es ist dunkel geworden und die ersten Sterne funkeln am Himmelszelt.

Mein Kopf brummt und mein Gehirn vibriert. Nein, es sind echte Geräusche aus der Außenwelt, nicht aus der kaputten Welt in mir drin.

Ich höre Helikopter. Wer hat die gerufen? Egal wer es war, ich weiß, dass sie das nicht verstehen werden, dass er tot ist und ich am Leben bin. Ich muss verschwinden, aber nicht so ohne alles. Ich renne los, schneller als ein Mensch rennen kann und bevor die Helikopter über den Hügel fliegen, bin ich schon im Haus, in meinem Zimmer. Ich stopfe alles in einen Rucksack, was ich finden kann. Das Wochenbuch kommt auch mit. Ihm will ich erzählen, was ich getan habe, sollte ich das hier überleben.

Drei Sprünge genügen und ich bin die Treppe unten. Anziehen kann ich mich später noch, wenn ich in Sicherheit bin.

Ich will das Haus über die Terrasse zum See verlassen, vorbei an Adams Arbeitszimmer. Doch genau dort bleibe ich stehen. Wie ein Magnet zieht mich die Tür zu seinem geheimen Raum an. Die Helikopter sind nah. Sie müssen schon über dem See sein, haben Adam bestimmt schon gesichtet, als ich die Klinke herunterdrücke.

Verschlossen!

Ich trete zu und die Tür fliegt mit solcher Wucht aus den Angeln, dass sie das Bett im Arbeitszimmer aus dem Weg katapultiert. Ein Bett?

Papier flattert wie Blätter im Herbstwind durch den Raum, Holz splittert und ich stürme hinein und frage mich, was das für ein Arbeitszimmer sein soll?

Ein Blick aus dem Fenster zum Hof verrät mir, dass sie jetzt landen. Sechs Scheinwerfer, heller als das Tageslicht. Drei Helikopter. Ich weiß nicht, warum so viele kommen, aber ich weiß, weshalb sie hier sind. Sie sind hier, um Adams Mörder zu jagen. Mich?!

Ich schnappe mir ein paar der Blätter, der Unterlagen, die auf dem Boden liegen. Zeichnungen von Menschen. Menschen, die Tattoos auf ihrer Haut tragen, so wie ich. Was? Was hat Adam gewusst? Wer hat hier geschlafen? War das wirklich das Fenster, aus dem uns jemand beim Küssen zugesehen hat? Habe ich mich nur geirrt?

Ich wende mich dem Nachttisch zu. Wie ein Käfer liegt er auf dem Rücken, unfähig, vor mir zu flüchten. Ich mache mich an die Schubladen heran. Eine ist verschlossen, hat aber meiner unbändigen Kraft nichts entgegenzusetzen. Ich reiße sie spielend leicht heraus. Ein kleines weißes Buch fällt heraus. Draußen springen Männer, breit wie Schränke, aus den Helikoptern. Sie tragen Helme und Gewehre und rote Mäntel. Vollstrecker, lache ich. Es ist das Lachen einer Verrückten.

Ich nehme das weiße Buch an mich, drehe es in meiner Hand, während die Zeit abläuft. Ein Stern auf der Vorderseite. Ich drehe es um und gefriere zu Eis. Ich fahre mit meinem Fingernagel die feinen Striche auf dem weißen Leder nach. Alle Striche zusammen ergeben eine Zeichnung, ein Bild. Es ist perfekt, fast wie echt. Eine Frau, eine junge Frau. Ihr ganzer Körper ist voller Tattoos. Sie ist eine Kämpferin und sie hat einen Teddybären mit einem blauen schimmernden Brustpanzer bei sich. Auf ihrer Stirn überstrahlt ein Tattoo alle anderen. Es ist der Stern vom Buchtitel. Und die Frau? Sie sieht aus wie ich!

Die Haustür wird aufgeschossen! Geschossen?!

 

Ich packe das Buch in meinen Rucksack und renne aus dem Arbeitszimmer, auf den Flur und die Vollstrecker schießen ohne Vorwarnung. Kugeln schlagen neben mir in der Wand ein, ohrenbetäubend laut. Ich presse meine Hände auf die Ohren und mache auf dem Absatz kehrt, zurück ins Arbeitszimmer. Der nächste Kugelhagel zerfetzt den Türrahmen, wo ich eben noch war. Sie wollen mich töten, ohne Verhandlung, ohne Fragen.

Wohin? Wohin?

Ich renne los, übermenschlich schnell. Will aus dem Fenster springen und dann sehe ich sie. Eine junge Frau, draußen neben dem Steg. Sie trägt Adam in den Wald.

»Halt!«, ruft es hinter mir, aber ich setze mich schon wieder in Bewegung. Überirdisch schnell springe ich auf die Seite und renne los. Die Wand hoch und während sie den Inhalt ihrer Magazine auf mich abfeuern, renne ich die Wand im Zimmer entlang, als würden für mich keine physischen Gesetze Gültigkeit haben, als gäbe es kein unten und oben. Und dann bin ich schon bei den Vollstreckern, treffe sie mit brutaler Präzision. Durch den Aufprall werden sie entwaffnet und aus dem Zimmer geworfen. Ich kenne mich nicht. Wie kann ich zu so etwas fähig sein?

Mehr Bewaffnete sind unterwegs, strömen wie Ameisen von der anderen Seite ins Haus. Ich renne los, beschleunige und springe aus der Haustür und lande auf dem Rasen. Vor mir stehen die Helikopter. Vollstrecker in roten Anzügen rennen rechts von mir zum Steg und als sie mich entdecken, rufen sie sich Befehle zu. Aber ich sprinte pfeilschnell über den Rasen, an den Helikoptern vorbei, zurück zum See, über die andere Seite. Zurück zu Adam und der ANDEREN?

Ich bin so schnell, zu schnell für sie. Erst jetzt höre ich wieder Schüsse, erst jetzt bin ich wieder in ihrer Schusslinie, aber die Bäume am Ufer und die Schatten der Nacht beschützen mich. Stellen sich tapfer meinen Verfolgern in den Weg.

Ich breche, rausche durchs Unterholz und komme am Steg heraus. An dem Steg, an dem Adam und ich vorhin noch saßen, als die Welt noch in Ordnung war. Einen Moment, den ich nie vergessen wollte. Den ich jetzt garantiert nie mehr vergessen werde. Ich frage mich, ob ich so etwas schon einmal erlebt habe. Schrecklicher Gedanke.

Mein Blick geht nach rechts zu der Schlammschicht. Dort wo ich SIE mit Adam gesehen habe. Ich sehe die ersten Spuren meiner Flucht, als ich versucht habe, vor Adam wegzukriechen. Dort wo Adam vielleicht getötet wurde. Von mir?

Ich höre Vollstrecker. Einer von ihnen springt durchs Gebüsch und andere hechten hinterher.

Ich spurte abartig schnell den Steg entlang, springe über meine und Adams Klamotten, die hier liegen, wo wir sie ausgezogen haben und dann stoße ich mich ab.

Ich segle über das Wasser, bevor ich kopfüber eintauche. Der Rucksack bremst mich ab und zerrt an meinen Schultern, aber ich tauche unbeirrt hinab. Die Atmosphäre unter Wasser ist mir so vertraut und es geht so leicht, in die Tiefen des Sees zu gleiten, mich vor den Kugeln, die oben in die Wasseroberfläche einschlagen, in Sicherheit zu bringen. Es sind nur wenige kräftige Schläge mit meinen Beinen notwendig, bis ich ganz unten bin. Der See ist höchstens zwanzig, dreißig Meter tief. Aber tief genug. Es ist so einfach, auf seinem Grund entlang zu schwimmen und mich in einer Senke zwischen Pflanzen, die wie Fahnen um mich wehen, auf den weichen Boden zu setzen und zu warten. Zu warten, bis meine Lungen nach Luft verlangen. Die Tattoos leuchten immer noch. Die Bestien sind bei mir und ich weiß, dass sie etwas mit mir anstellen. Dass ich so schnell bin, so stark, so lange ohne Atemluft auskomme.

Ich hoffe, die Männer in rot denken, dass sie mich erwischt haben, dass mich eine ihrer Kugeln tödlich getroffen hat und meine Leiche nach oben schwebt. Ich hoffe, sie geben die Suche auf, bevor ich Sauerstoff benötige und wirklich wieder hoch muss. Ich hoffe inständig, ich muss nie wieder hoch. Zeit vergeht.

Wer ist sie? Warum hat Adam sie vor mir im Arbeitszimmer versteckt? Wieso habe ich nicht bemerkt, dass Adam und ich nicht die einzigen in seinem Haus waren?

So lange wie ich hier schon sitze, kann kein normaler Mensch unter Wasser bleiben. Nicht ohne Sauerstoffflasche. Bin ich normal? Entschieden nein. Die Tattoos leuchten noch immer.

Was war mit mir los, als ich Adam in die Kehle gebissen habe? Das war nicht ich. Ich bin nicht durstig nach Blut. Bin ich nicht?

Wer war ich in seinem Arbeitszimmer, als ich wie ein Insekt an der Wand entlang gerannt bin. So schnell wie ich gerannt bin, so weit gesprungen, das kann kein normaler Mensch. Ich bin nicht normal! Ich muss noch immer nicht hoch. Der Atemreflex, das enge Gefühl in meinen Lungen, will einfach nicht einsetzen, trotzdem bewege ich mich jetzt. Tauche am Grund weiter entlang, weiter weg von dem Steg, bis auf die andere Seeseite. Erst als ich dort ankomme, ist es soweit. Meine Lunge zieht sich langsam zusammen und gibt mir eindeutig zu verstehen, was ich jetzt dringend benötige. Ich fühle mich geschwächt und weil ich keine andere Wahl habe, tauche ich mit letzten Reserven bis an den Rand, bis ich wieder Schlamm mit meinen Fingern greifen kann.

In Zeitlupe hebe ich meinen Kopf aus dem Wasser, geschützt von dem Grünzeug der Uferböschung um mich herum. Der Sauerstoff tut gut, aber ich fühle mich trotzdem schwächer. Brauche wieder Blut? Nein!

Fühle mich nicht so übermenschlich wie vorhin, sondern? Normaler. Ich bin schwach.

Ich kann sie hören. Die Verfolger sind noch da. Irgendwo im Wald höre ich sie in der Dunkelheit, aber nicht hier in meiner Nähe. Der See ist zu groß und sie können unmöglich alles umstellen.

Wie eine kleine Eidechse schleiche ich mich aus dem Wasser, durch das Gras, hinauf Richtung Wald. Das Grün um mich herum beschützt mich. Ich kauere mich zwischen Büschen nieder und ziehe meine Jeans und das Top an, das ich von Kristen habe. Die Klamotten sind klatschnass, aber besser so, als im Bikini durch den Wald zu flüchten. Das Adrenalin pulst noch immer durch meine Adern. Ich bin eine Mörderin, eine Bestie. Ich schleiche am Waldrand entlang, weiter weg von meinen Verfolgern.

Ich fühle mich sicherer, mache mich bereit, tiefer in den Wald einzudringen, mich aus dem Schutz der Büsche zu lösen, als ich einen Ast knacken höre. Sie sind ganz nah, höchstens zehn, zwanzig Meter entfernt. Wie konnte ich sie überhören?

Ich robbe leise ein paar Meter weiter, an den Rand der Sträucher und dann bleibe ich geschockt liegen. Vor mir auf dem Boden liegt Adam. Blutverschmiert. Aber sein Brustkorb hebt sich und senkt sich. Langsam, sehr langsam, aber er lebt! Ich schaue ihn wie hypnotisiert an. Wie kommt er hierher?

Wo ist SIE?

Was habe ich ihm nur angetan?

Wie konnte das mit mir – mit ihm passieren?

Ich robbe neben ihn, bleibe flach im Schutz des Baumstamms neben Adam liegen und suche SIE.

Höre wieder, wie es knackt im Wald. Höre Männerstimmen leise miteinander sprechen.

Hoffentlich gehen die Vollstrecker einfach vorbei. Die Männer flüstern, aber ich kann hören, wie sie meinen Namen sagen. Sehe das Licht ihrer Lampen zwischen den Bäumen. Sie glauben nicht, dass ich tot bin. Warum nicht?

Ich bleibe wie eine Tote liegen und höre ihnen zu, wie sie näher kommen, meinen Blick ständig auf der Suche nach IHR. Ich könnte wegrennen, tiefer in den Wald hinein, aber ich bezweifle, dass ich es schaffen könnte und ich will Adam nicht zurücklassen. Er lebt!

Ich bleibe liegen wie gelähmt. Mir ist kalt und ich habe alle Mühe, meinen Kiefer ruhig zu halten, damit meine klappernden Reißzähne mich nicht verraten.

Die Vollstrecker kommen näher. Werden sie mich ohne zu zögern erschießen, so wie die Typen, die das Haus gestürmt haben? Mir ist so kalt. Unnatürlich kalt. Kann ich Adam retten? Er braucht medizinische Hilfe, ganz sicher.

Mir ist so kalt. Ich kenne diese Kälte! Es ist die Kälte der Bestien! Bestien in Reagenzgläsern, Bestien auf meiner Haut. Ich schaue an mir hinab. Hebe mein Top, bin bauchfrei. Das Tattoo ist an seinem Platz, leuchtet kaum. Trotzdem, wird sie womöglich gleich wieder in mir erwachen, damit ich Adam den Rest gebe? Kann ich die Käfigtür in mir verschlossen halten?

Ich schaue an mir hinab. Nichts. Das Tattoo rührt sich nicht. Ich atme durch. Aber die Kälte bleibt und es ist nicht meine Haut, die kalt ist, es sind nicht meine Tattoos.

Schnell geht mein Blick zu allen Seiten. Ich könnte schwören, dass eine Bestie in der Nähe ist.

Die Vollstrecker kommen jetzt ganz nah heran. Jetzt ist es definitiv zu spät, um zu flüchten.

Ich halte den Atem an und plötzlich bemerke ich SIE. Sie schaut mich an und mit einem Finger vor dem Mund, gibt sie mir zu verstehen, dass ich ganz ruhig bleiben soll. Ich hatte sowieso nichts anders vor. Die Männer stehen jetzt direkt vor dem Gebüsch.

»Hier muss er sein. Das Signal ist sehr stark«, flüstert der eine, so leise, dass ich ihn kaum verstehe.

Er? Signal? Ich verstehe gar nichts?

»Vorsichtig, ich habe keine Lust, von der Verrückten in Stücke gerissen zu werden«, wispert der andere.

»Wenn sie bei ihm ist, schieße ich sie in tausend Stücke.«

Ich zittere am ganzen Körper, schaue zu der anderen hoch. Sie sitzt ganz ruhig auf einem dicken Ast auf dem Baum. Vielleicht drei Meter über mir. Ihre langen, schwarzen Haare hängen seitlich von ihrem einfachen aber hübschen Gesicht wie ein seidener Vorhang herunter. Ihre moosgrünen Augen leuchten, sie hat sich geschminkt. Schwarz und braun und sie lächelt, den Finger vor ihren dunkelbraun geschminkten Lippen.

Es ist Nacht, aber die junge Frau scheint von innen heraus zu leuchten, als hätte jemand in ihr eine Lampe angezündet. Und dann sehe ich es. Sie trägt Tattoos, so wie ich!

Sie gibt mir zu verstehen, dass ich aufstehen soll. Ich weiß nicht, warum ich es mache, es ist verrückt, töricht, die Vollstrecker können mich dann sehen, aber ich mache es trotzdem. Es wird extrem kalt. Ich habe das Gefühl, als gefrieren alle Kleider auf meiner Haut.

»Das Signal. Es ist weg!«, sagt einer von ihnen.

Die Vollstrecker sind bei unserem Baum angelangt, schieben Blätter zur Seite, einer kommt auf meine Seite und ich stehe direkt vor ihm. Hinter mir liegt Adam auf dem Boden. Der Vollstrecker schaut mich an, keinen Meter entfernt. Er schaut mir in die Augen, aber er sieht mich nicht. Ich bin unsichtbar für ihn.

Ich spüre die frostige Kälte und ich weiß, dass es die Kälte einer Bestie ist, die mich umgibt. Die andere mit den pechschwarzen Haaren, dem geschminkten Gesicht, ist wie ich. Wir sind beide nicht normal. Ist sie auch eine Verrückte?

»Das Signal kam von hier. Er muss hier sein«, sagt der Riese vor mir.

»Hier ist nichts. Es gibt kein Signal mehr. War bestimmt eine Störung«, sagt der andere. Er ist es. Der XXXL-Typ mit dem Riesenkinn, aus Kristens Haus. Ich spüre, dass er angespannt ist. Beide sind angespannt. Sie haben Angst. Vor mir? Vor uns? Ein neues Gefühl, das ich nicht einordnen kann, ob ich es gut finden soll oder nicht.

Der andere zieht an der roten Weste seines Kameraden.

»Komm, wir gehen zurück.«

»Warte, es ist hier, ich spüre es. Die Kälte ist nicht normal«, sagt er, schiebt den Busch ganz auseinander und macht einen Schritt auf mich zu. Wir stehen uns Auge in Auge gegenüber und als hätte ich es schon tausendmal zuvor getan, weiche ich seinem Körper, seinem nächsten Schritt aus, ohne dabei ein Geräusch zu verursachen, ohne die geringste Chance, dass er mich hätte berühren können. Ich fühle mich nicht mehr so stark, aber ich bin definitiv nicht mehr die gleiche Freija, die ich war, bevor ich Adam gebissen habe.

Ich lasse ihn nur wenige Zentimeter an mir vorüberziehen. Hinter mir steht die Schwarzhaarige. Wie hat sie es geschafft, lautlos von dem Baum herunterzukommen? Sie zeichnet seltsame Figuren mit ihren Armen in die Luft. Ihre Arme sind übersät mit leuchtenden Tattoos. Und als wären es Mauern, die sie aus dem Nichts erschafft, geht der Typ in rot auch um sie und Adam herum. Der andere folgt meinem Freund aus Kristens Haus und ich kann seinen Atem hören, sein Blut riechen, als auch er an mir vorbeizieht und ich mich wie eine Schattentänzerin lautlos um ihn herum biege, damit er mich nicht berührt. Die Schwarzhaarige lotst ihn vorbei und dann sind die beiden Vollstrecker in Richtung Ufer verschwunden. Dort werden sie meine Spuren finden.

»Zeit zu verschwinden«, nicke ich der Schwarzhaarigen zu.

»Du sagst es«, haucht sie.

Ich hebe Adam hoch und obwohl ich mich nicht mehr so stark fühle, merke ich sein Gewicht kaum. Dann verschwinden wir lautlos zwischen den Bäumen.