Tasuta

Violet - Verletzt / Versprochen / Erinnert - Buch 1-3

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Märgi loetuks
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Ich machte mich auf den Rückweg zu Neo. Als ich die Kirche betrat, hörte ich es. Es waren Schreie. Es war Neo. Neos Schreie! Sie drangen durch die schmale Tür in der Kapelle und hallten im Kirchenschiff wider. Ich sprang über die Kirchenbänke, sprang zur Seitentür und riss sie auf, bereit alles zu geben. Wenn es sein musste, dann würde ich jetzt gleich mein Versprechen einlösen.







Für einen Jungen, den du vor sechs Tagen das erste Mal gesehen hattest?





Ja, ohne zu zögern. Es war mein Versprechen am Ufer des East-River.







Was hat dich vor der Kirche erwartet?





Neo klammerte sich mit Händen und Rücken an die Mauer, die den schmalen Grünstreifen um die Kirche vor den umstehenden Gebäuden schützte. Er war ein ängstliches Bündel Elend. Ich sah, dass seine Knie zitterten. Ein Hund, so groß wie ein Kalb, bedrohte ihn, war zwischen uns. »Hey, weg da, lass ihn in Ruhe! Verschwinde!«, brüllte ich das Vieh an und dann drehte es seinen Kopf und das Blut gefror in meinen Adern.



Ich hätte die Kälte gleich spüren müssen, als ich vor die Tür trat. Hätte sehen müssen, dass kein Hund so mächtige Klauen hat, keinen so langen schmalen Schwanz mit Dornen an seinem Ende. Keinen Kopf ohne Ohren. Ich hätte es gleich wissen müssen, aber ich dachte, es sei ein Hund und keine Bestie. Im ersten Moment glaubte ich, jetzt ist es zu Ende. Ich war keine Kriegerin, ich war ein Doc. Mein geschultes Auge erkannte, dass Neo unverletzt war. Aber woher kam dann das ganze Blut, das sich in den Ritzen der Pflastersteine sammelte? Und dann sah ich, dass

Sie

 es war. Die Bestie aus jener Nacht. Die Bestie, der ich über den Schädel gestrichen hatte. Ich machte einen Schritt auf sie zu und unsere Blicke trafen sich wie in jener Nacht. Ich spürte, da war eine Verbindung zwischen uns.







Was? Was für eine Verbindung?





Da war etwas Vertrautes. Oberster Gesandter, sind Sie schon einmal einem Fremden begegnet und hatten das eindringliche Gefühl, ihn schon lange zu kennen? Von so einer Verbindung spreche ich.



Sie war verletzt, hatte viel astrales Blut verloren. Ich führte sie in die Kirche. Neo folgte uns - zögernd. Ich hatte viele menschliche Wunden geheilt, aber noch nie die einer Bestie. In ihrer Flanke steckte ein silberner Bolzen. Jesse, dachte ich. Es war ein Bolzen aus seiner Armbrust. Eine spezielle Anfertigung, um astrales Fleisch zu verletzen. Ich hatte meine nützlichsten, biomedizinischen Instrumente dabei. Instrumente um Menschen zu heilen. Vergebens, versuchte ich ihre Blutung zu stoppen. Nutzloses Gerät bei Astralwesen! Sie lag vor dem altehrwürdigen Altar. Neo stand daneben, schaute fasziniert zu. »Ist das eins der Wesen aus deinen Alpträumen?«, fragte ich ihn und er nickte.



»Ich werde sie heilen. Ist das für dich in Ordnung?« Neo nickte. In den darauf folgenden Stunden begann ich zu verstehen, was sie waren. Astrale Wesen, die aus Energie bestanden. Oberster Gesandter, alles besteht aus Energie. Alles! Wussten Sie das?







Hast du wirklich einen Weg gefunden, ihr zu helfen?





Ja, aber ich bezweifle, dass Sie es verstehen werden, wenn ich es Ihnen erkläre.







Versuch es.





Meine Gefühle ihr gegenüber waren stark. Ich hatte gelernt, mich auf den Punkt zu konzentrieren. Gedanken und Gefühle sind feinste Schwingungen. Nichts anderes als sehr subtile Energie.







Was willst du mir damit sagen?





Ich hatte an diesem Tag gelernt, Instrumente zu benutzen, die kein Nunbone verstehen, sehen kann. Neo hat es gesehen. Das war das zweite Mal, dass ich spürte, mehr als nur eine Sehende zu sein. Heute weiß ich, dass ich ein Symbiont bin, damals hatte ich keinen Namen, nicht einmal eine Erklärung dafür. Wusste nur, dass die Bestie mich führte, damit ich ihr helfen konnte. Alles, was ich benötigte, war meine Konzentration und ein Gefühl, das selten geworden war in der Welt.







Ein Gefühl?





Liebe! Ich schenkte ihr meine uneingeschränkte Liebe, so wie sie mir Freija jeden Tag geschenkt hatte. Und mit jeder Berührung und jedem meiner Atemzüge schloss sich ihre Wunde einen Millimeter. Ihre Blutungen stoppten, so wie die Blutungen bei Freija einige Nächte zuvor.







Die Bestie war geheilt?





Das war sie fast. Sie ruhte sich zwei weitere Tage aus. Neo verlor die Angst vor ihr und sie wollte ihn nicht mehr jagen. Sie gehörte jetzt zu uns. In der folgenden Woche hatten wir sehr viel Spaß.







Hast du gerade Spaß gesagt?





Haben Sie je gesehen, wie eine Bestie lächelt? Sie sehen dann nicht mehr so blutrünstig aus.







Du machst Faxen!





Nein, gewiss nicht. Sie hatte gelacht, hatte Humor, konnte unsere Sprache verstehen, aber sich nicht mit Worten verständigen. Aber das war auch nicht nötig. Wir spürten das, was wir uns sagen wollten.



Man konnte es unmöglich Kommunikation nennen. Es war fortschrittlicher als Worte auszutauschen.







Ihr hattet Freundschaft geschlossen?





Uns verband etwas Uraltes. Ich dachte an die Gezeiten, an den Atlantik. Ich ahnte, dass die Bestien schon immer da waren.







Du hast gesagt, ihr hättet eine Woche Spaß gehabt.





Es war der achte Tag mit der Bestie. Morgens holte uns die Realität wieder ein. Wir waren alle auf der Flucht. Neo vor den rätselhaften Männern. Ich vor den Vollstreckern und die Bestie unser neuer Freund…



Ich hörte vertraute Stimmen: Jesse und Flavius. Sie hatten die Kirche gefunden.



Mit Worten ist das, was ich gefühlt habe, nicht zu beschreiben. Ich hätte auf Jesse und Flavius warten können. Warten, bis sie die Bestie töten würden. Sie hätten meine Freundschaft zu ihr nicht verstanden, nicht in den paar Sekunden, die ich Zeit gehabt hätte, um mich zu erklären.



Ich wollte nicht zurück ins Team. Meine Freiheit aufgeben. Nicht solange die Gesandten da waren, die Vollstrecker mich suchten. Ich hatte keine Zeit zu verlieren und stieg auf den Rücken der Bestie.



Ich reichte Neo meine Hand. Ich war mir nicht sicher, ob er sie nehmen würde, aber er tat es und setzte sich hinter mich.



Wir nahmen den Seitenausgang, ein Fehler, wie sich im nächsten Moment herausstellen sollte. Zwei Männer hatten den gleichen Gedanken. Sie waren dort und schossen auf uns, ohne uns vorher zu warnen und glücklicherweise auch ohne uns zu treffen. Sofort preschten wir los. Ich warf einen Blick über die Schulter und sah einen der Männer. Es war einer aus jener Nacht. Einer, der Neo suchte. Aber er war mit Jesse und Flavius unterwegs. Das hieß, er war ein Vollstrecker! Dann sprangen wir über die Mauer und ritten mit unglaublicher Geschwindigkeit durch die engen Häuserschluchten. Keine Bestie flüchtet im Kampf. Nie hatte ich davon gehört. Diese Bestie war anders. Sie flieht mit uns und ohne dass sie es ahnte, hatte sie nicht nur ihres sondern auch mein Leben gerettet.







Was war mit Neo?





Die Männer wollten auch ihn, soviel stand fest und er hatte zu mir uneingeschränktes Vertrauen.







Und die Bestie?





Sie hatte Angst, so wie wir.







Wie kommst du darauf?





Unsere Kommunikation hatte sich Tag für Tag verbessert. Nicht so wie Menschen das tun. Auf eine andere Weise. So wie nur Bestien miteinander kommunizieren können.







Und da hast du gewusst, dass du ein Symbiont bist!





Nein, ich hatte zu dem Zeitpunkt noch keine Ahnung, dass es Geschöpfe wie Symbionten überhaupt gibt. Nein, ich wusste, etwas war anders, und ich war mir sicher, dass es die richtige Entscheidung war zu flüchten. Nicht vor Jesse und Flavius, aber vor ihren Begleitern.







Erzähl weiter, konntet ihr fliehen?





Die Bestie sprintete mit uns die 34. Straße hoch, Richtung Nordwesten. Wir kamen schnell voran. Dann wandte sie sich nach Norden, in eine enge Schlucht, zwischen zwei gigantische Wohnblocks. Bog an einer T-Gabelung nach rechts ab. Ich konnte spüren, wo sie mit uns hin wollte. Der Central-Park war nicht mehr weit. Ich hatte größte Mühe mich festzuhalten und Neo ging es genauso.



Sie verminderte ihr Tempo kaum, nahm zwei weitere Gabelungen, schoss auf die 5th Avenue, als ich sie hörte. Zwei Helikopter über den Blocks. Es waren die Helis der Gesandten. Sie suchten nach uns und hatten uns gefunden. Es machte keinen Sinn, die Bestie anzutreiben, schneller, noch schneller zu rennen. Sie konnte nicht schneller, nein, sie wurde stattdessen langsamer. Sie verlor Blut! Sie hatten sie doch getroffen. Ich verstand es einfach nicht.



Wieso benutzten Vollstrecker Bestien als Bluthunde.



Mein Ex-Team und ich arbeiteten für die Gesandten, wie die Vollstrecker. Galten für sie denn nicht die gleichen Sieben Gebote wie für uns? Unser Job war es, die Bestien aufzuspüren und zu töten. War es bei den Vollstreckern umgekehrt? Sollten sie uns aufspüren, um was zu machen? Uns zu töten und die Bestien gleich dazu, damit es keine Beweise gab?



Bestien töten keine Nunbones, stand in den Texten der Gesandten. Nicht mehr seit der Sektionierung. Neo war kein Nunbone! Seine Freunde? Bestimmt auch nicht. Ich war mir sicher, die Vollstrecker hatten sie entführt, mit Hilfe der besten Bluthunde, die es gab, um uns aufzuspüren. Mit Bestien! Wozu? Was für ein doppeltes Spiel spielten die Gesandten?



Damals auf dem Rücken der verwundeten Bestie schwor ich mir, die Wahrheit herauszufinden. Dann hörte ich die Motoren aufheulen, wie Hyänen. Motorräder schossen hinter uns auf die Avenue. Zwei, dann kam noch eines dazu.

 



Ich schloss aus, dass sich unter den dunklen Visieren Jesses und Flavius Gesichter befanden. Es waren Vollstrecker.



Sie trugen Schnellfeuergewehre an Schnallen über ihren Schultern. Sie waren zu mehr bereit. Mehr, als uns nur zu kriegen. Wir verließen die Straße, rammten fast ein Auto. Die Bestie sprang über zwei weitere hinweg. Die Nunbones verstanden nicht, was sie sahen. Die Motorräder folgten uns zurück in die Schluchten, zwischen den Wohnblocks. Wir würden den Central-Park nicht erreichen. Sie waren uns auf den Fersen.



Die Häuserschluchten, durch die sie uns jagten, waren fast menschenleer. Die wenigen Seelen, die sich auf die Gasse verirrt hatten, sprangen entsetzt zur Seite. Sie verstanden so wenig wie alle anderen Nunbones.



Nunbones können keine Bestien sehen. Unsere Verfolger schon.



Sie holten schnell auf, aber die Bestie nahm jede Gabelung besser und schneller als die Zweiräder. So konnten wir sie auf Abstand halten. Aber wie lange noch? Wie viel Zeit blieb uns, bevor sie uns erwischen würden? Wen von uns wollten sie? Die Bestie? Neo? Mich? Jeden von uns?



Viele Fragen gingen mir durch den Kopf, als ich mich auf dem Rücken der Bestie festklammerte. Auf dem Rücken eines verletzten Freundes.



Sie würden sie ganz sicher töten. Ich habe gegen die Sieben Gebote verstoßen und bin geflüchtet. Vermutlich hatten sie den Auftrag, auch mich aus dieser Welt zu schaffen. Aber was war mit Neo? Was wollten sie von ihm, in jener Nacht, als er sich vor der Kellerluke versteckt hatte?



Die Bestie wurde langsamer, es war nur eine Frage der Zeit, bis sie uns alle drei erwischen würden. Darauf wollte ich nicht warten.



Ich traf eine Entscheidung. Eine entsetzliche Entscheidung würde jeder Beobachter sagen, aber damals dachte ich tatsächlich, es wäre ein Weg. Ich konnte nicht ahnen, dass die Entscheidung richtig war. Unglücklicherweise würde sie das Leben von einem von uns beenden. Aber wie ich schon sagte. Erinnerungen an längst vergangene Ketten von Ereignissen lassen sie logisch erscheinen und bringen den Glauben an die Existenz von Zufällen in ernsthafte Bedrängnis.







Was war das für eine Entscheidung? Wer musste sterben?





Ich stieß Neo vom Rücken der Bestie, direkt vor die Räder der Verfolger.







Was?





Es war logisch. Ohne Neo, waren wir schneller und ich dachte damals, dass Neo der einzige von uns dreien war, den sie nicht jagten, um ihn zu töten.



Ich werde nie seine Augen vergessen, wie er mich ansah, als er wie in Zeitlupe durch die Luft entschwand. Ich fühlte mich schrecklich, aber ich behielt in meiner Annahme recht.



Ohne Neo, konnte die Bestie, trotz Verletzung, noch einmal an Tempo zulegen.







Und was war mit der anderen Sache. Haben sie Neo getötet?





Ich versuchte, die Bestie mit Druck meiner Beine und Arme zu lenken und sie gehorchte. Wir bogen rechts ab, die Verfolger hatten den Blickkontakt verloren und da wünschte ich mir zum ersten Mal, dass Bestien fliegen könnten und im gleichen Augenblick hob sie ab, flog fast einhundert Meter weit, bevor ihr Verletzung sie wieder zur Landung zwang. Sie war mit ihren Kräften am Ende. Ich befahl ihr, rechts abzubiegen, eine Tür zu einem der Wohnblocks aufzustoßen und hineinzuspringen. Kurz darauf preschten die Motorräder vorbei.



Eins, Zwei, das Dritte fehlte.



Trotz der Anstrengung atmete die Bestie ruhig und gleichmäßig. Ich war mir sicher, sie atmete keine Luft. Ich wollte noch ein paar Sekunden abwarten, bevor ich sie zurück zu Neo befehlen wollte. Ich hoffte, es wäre nicht zu spät, um ihn zurückzuholen. Dann sah ich das verräterische Blut der Bestie im Hausgang und eine Spur zur Tür und mein Herz setzte für einen Moment aus, im nächsten Moment wurde die Tür aufgestoßen und ich sah, unter den hochgezogenen Visieren, in die Augen der Vollstrecker und in die Läufe ihrer Kanonen und dann ging alles sehr schnell und vieles passierte gleichzeitig. Ich kann mich nur noch bruchstückhaft an das erinnern, was in den darauf folgenden Sekunden geschah.







Lass mich einen Schluck Wasser trinken. Möchtest du auch ein Glas?





Nein danke, Oberster Gesandter. Ich bin nicht auf Nahrungsaufnahme angewiesen.







Erzähl weiter.





Die Vollstrecker schossen sofort, aber ich hörte ihre Schüsse kaum. Schalldämpfer sind eine geeignete Maßnahme, um in der Welt der Nunbones unbemerkt Drecksarbeit zu erledigen. Die Bestie bäumte sich auf und fing die Kugeln ein. Sie wurde durchlöchert wie ein Sieb.



Heute weiß ich, dass es Munition war, die dazu entwickelt wurde, Astralwesen zu töten. Damals spürte ich nur den höllischen Schmerz in meinem Bein, als mich eine Salve erwischte. Die Bestie würde sterben, da war ich mir ganz sicher, aber die Männer hatte sie bereits getötet, als ich von ihrem Rücken geschleudert wurde

.



Ich konnte den Angriff der Bestie nicht sehen. Die Bewegungen waren zu schnell für meine Augen. Aber ich sah, wie grausam langsam die schweren Helme der Vollstrecker im Hausgang davon kullerten und sich ihr menschliches Blut mit dem der Bestie vermengte.



Dann sackte die Bestie zusammen.



Ihren Schädel legte sie mit letzter Kraft in meinen Schoß, den Rest ihres Körpers rollte sie wie ein Schoßhund zusammen. Sie sah mich an. Und ich erkannte, was für eine Flüssigkeit es war, die aus ihren Augen rann.







Du hast gedacht, sie weint?





Ich strich über ihre Stirn und wartete darauf, dass sich ihre Augen für immer schließen würden. Bestien haben keinen physischen Körper. Sie schwingen auf einer anderen Ebene. Wenn sie sterben, werden die Bande ihrer Energie nicht länger zusammengehalten und lösen sich auf. Ihr Körper löst sich auf. Ich hätte das damals nie so beschreiben können, wusste nur, dass ich darauf wartete, dass ihr Körper und die Kälte, die sie umgab, verschwinden würden.



Sie schloss langsam ihre Augen, hörte auf zu atmen und ihr sichtbarer Körper entschwand aus meinen Armen, aber ihre Kälte war noch zu spüren, lag auf mir wie Packeis und dann kroch sie in mich hinein, an mir hinunter. Die Schmerzen an meinem Bein wurden unerträglich und ich schrie. Schrie. Schrie, so laut ich konnte und hoffte, niemand würde mich hören. Und dann, als ich keine Stimme mehr hatte, um weiter schreien zu können, waren sie fort, die Kälte, die Bestie und die Schmerzen.



Aber etwas von ihr ist bei mir geblieben. Das Tattoo, hier auf meinem Bein, dort, wo mich die Kugeln getroffen haben.



Aber meine Schreie blieben nicht ungehört.



Eine alte Frau stolperte und ein Mann, der aussah wie der Hausmeister, rannte die Treppe herunter. Ich unterdrückte den Brechreiz, als ich eilig die Waffen der Vollstrecker an mich nahm. Neben einer kopflosen Leiche lag ein Kommunikator, ein Handy das ich einsteckte, und dann rannte ich eilig aus dem Haus.



Ich schaffte es hundert Meter, dann musste ich mich heftig übergeben und ich kauerte mich an die Hauswand, legte das Kinn auf die Knie und schlang die Arme um die Beine und konnte nicht mehr würgen, sondern nur noch weinen.



Plötzlich hörte ich jemand leise Klavier spielen. Es war das Handy, der Klingelton eines geköpften Vollstreckers.







Klavier?





Er war einmal ein Mensch mit einer Persönlichkeit, vielleicht spielte er früher gerne Klavier, vielleicht hatte er eine Tochter, die Klavierunterricht nahm? Mir wurde es wieder schlecht. Mit zittrigen Fingern drückte ich die OK-Taste und hörte die Mailbox ab.



»Hey Warren, ich habe den Jungen. Er hat sich böse am Knie verletzt, als ihn die Kleine von der Bestie geschubst hat. Hatte leichtes Spiel mit ihm. Ich schaffe ihn jetzt erst mal zu diesem Skygate und dann aufs Dach in den zweiten Transporter. Wir treffen uns dort. Bringt die Kleine und die Bestie zur Strecke! Macht danach sauber, wie immer. Noch was: die Gesandten wollen, dass wir das ganze verdammte Team ausschalten. Die stellen zu viele Fragen. Außer die blonde Tussi. Ihr wisst schon, die Braut von dem Superhirn.

Er

 will sie haben, deshalb kommt sie mit. Verstanden? Meldet euch, sobald ihr die Leichen entsorgt habt. Grüß Dan von mir. See you, Fred.«



Warren und Dan? Ich würgte wieder, aber ich war mir sicher, ich werde ihre starren Augen in den kullernden Helmen nie vergessen können.







Das hört sich extrem an. Mein Gott, du warst doch erst 13!





Fast vierzehn, und Gott würfelt nicht. Es gibt keine Zufälle. Es war meine Bestimmung.







Hast du Neo je wieder gesehen?





Ja, ich versteckte mich als blinder Passagier im zweiten Transporter, der ihn mitnahm. Aber dazu war ein Plan nötig, der einen hohen Tribut forderte.







Welche Art von Tribut?





Wir haben das Skygate in die Luft gejagt.







Das ward ihr? Ich habe das damals mitbekommen. Es gab bei der Explosion angeblich nur eine Überlebende.





Ja, Trishtana.







Du hättest dein komplettes Team geopfert, nur für diesen Jungen?





Das ist, was die Gesandten glauben sollten. Shaco hatte ein paar Brandblasen an den Händen, das waren die einzigen Opfer. Alle anderen vom Team Sektion 13 blieben unversehrt. Offiziell hat nur Trish überlebt. Alle anderen des Teams - inoffiziell.







Warum nicht Trishtana?





Trish war zu eng, mit den Gesandten verbandet. Sie war unser Kommunikator. Das Risiko war zu groß, dass sie uns verrät, falls sie sie foltern würden. Sie wurde in den Plan nicht eingeweiht. Und außerdem wollte

Er

 sie haben. Auch wenn ich damals nicht wusste, dass

Er,

wie ihn der Vollstrecker nannte, der Oberste Gesandte war.







Mein Vorgänger? Und der Plan war, das Skygate in die Luft zu sprengen?





Genau!







Wieso?





Um Spuren zu verwischen und genügend Verwirrung zu verursachen, damit in den Transporter noch zwei weitere Passagiere unbemerkt schlüpfen konnten.







Zwei?





Jesse und ich. Die anderen blieben in Sektion 13 zurück.







Wann genau habt ihr das Skygate gesprengt?





Einen Tag nachdem die Vollstrecker von der Bestie geköpft wurden.







Unglaublich. Das Team hat dir geglaubt, ohne Fragen, ohne Zweifel?





Ich habe ihnen die Nachricht von Fred auf dem Kommunikator vorgespielt, danach musste ich nicht mehr viel Überzeugungsarbeit leisten. Die Vollstrecker benutzten die Bestien, das genügte.



Als alles in Flammen stand und das Gebäude in arge Bedrängnis geraten war, war es soweit, uns von den anderen zu trennen.



Jesse und ich versteckten uns im Transportheli, im Laderaum, hinter Metallboxen. Das Symbol der Gesandten prangte von der kalten Metalloberfläche. Ich hatte bis jetzt mein Versprechen gehalten. Mein Versprechen Freija gegenüber, standhaft zu sein, bis sie zurückkommt.







Du untertreibst.





Die Dinge passierten einfach, waren im Fluss und mir blieb keine andere Wahl, als zu schwimmen, um nicht zu ertrinken.







Du hast mehr getan als das. Du hast Entscheidungen getroffen.





Ich habe mich entschieden, Neo vom Rücken der Bestie zu stoßen und ich habe mich entschieden, ihn wieder zurückzuholen. Aber das Team hatte entschieden, das Skygate in die Luft zu sprengen und es war Jesses Idee, dass sich das Team trennen sollte. Er und ich folgten Neo. Die anderen sollten Freija finden.







Wohin flog der Heli?





Der Laderaum im Transportheli war nicht schallgeschützt und es gab nur zwei kleine Luken mit dicken Panzerglasscheiben, durch die das Licht hereinfiel. Ich saß neben Jesse auf dem kalten, metallenen Boden und er gab mir ein Gefühl der Sicherheit. In den Stunden im Bauch des Helikopters kam ich mir, mehr denn je, vor wie ein kleines Mädchen, das Angst hatte. Angst, entdeckt zu werden. Angst, zu sterben. Das siebte Gebot war mir egal. Ich hatte die Fesseln zu den Sieben Geboten schon vor Tagen abgeschnitten. Meine Gefühle waren nach außen gekehrt und Jesse bekam sie hautnah mit.



Er zog mich an sich und ich habe mich in seinem Schoß verkrümelt, um zu weinen. Jesse hat nichts gesagt, um mich zu trösten. Seine Hände strichen über meine violetten Haare. Das war es, was mich tröstete. Mehr brauchte ich nicht.

 



Wir verließen Zone eins Richtung Westen - landeinwärts. Jesse erklärte mir, das Freija nach Norden geflogen sei. Das beunruhigte mich sehr. »Mach dir keine Sorgen, das Team wird sie schon finden«, sagte er. Ich sah die Sehnsucht in seinen Augen. Er vermisste meine Zwillingsschwester. Und ich sah die Sorgenfalten auf seiner Stirn, die ich wegwischte. »Du hast recht. Und wenn nicht, dann findet Freija uns.« Daraufhin musste Jesse lächeln.



Wir verließen Zone 2, überquerten Zone 3.



Kampfgebiet!



Unsere Nasen klebten an den Scheiben. Unter uns sahen wir die Häuser immer lichter stehen. Breite Wege führten zu riesigen Industrieanlagen. Die Zufahrten waren gesäumt von sich im Wind wiegenden Laubbäumen. Wir sahen Menschen unbekümmert in den Himmel blicken. Wir sahen kein Kriegsgebiet. Keine Bestien.



Wir verließen Zone 3, kamen zur Grenze von Zone 4 – Bestiengebiet. Keine Häuser. Keine Menschen. Keine Bestien. Niemandsland.



Ich entdeckte eine Straße, einst ein ruheloser Highway. Jetzt mutterseelenallein. Verlassen. Aber plötzlich sah ich Fahrzeuge. Autos und zwei Lastwagen mit Anhängern weiter rechts, vor uns. Ich machte Jesse darauf aufmerksam, und er zuckte mit den Achseln. Plötzlich flog der Helikopter eine Kurve, fräste sich in den Himmel und dann gab es mehrere Miniexplosionen unter dem Helikopter und Feuerschweife zogen Rauschschwaden hinter sich her und rasten auf den Konvoi zu.







Sie haben Raketen auf die Fahrzeuge abgeschossen?





Sie trafen mit grausamer Präzision. Die Leute in den Autos waren sofort tot. Der vordere Lastwagen ging in Flammen auf und der dahinter wurde durch die Wucht der Explosion in den Graben neben der Straße geworfen.







Das ist? Das ist grausam!





Es wurde noch schlimmer. Aus dem Anhänger ergossen sich blutüberströmte Menschen. Männer, Frauen und Kinder. Die Opfer mit abgerissenen Beinen und Armen brachen nach wenigen Metern zusammen. Die anderen rannten als brennende Fackel vom Wrack weg, ehe sie von den Flammen verschlungen wurden. Die, welche die Explosion und das Feuer überlebt hatten, flüchteten im Chaos, in alle Himmelsrichtungen.



Und dann kamen sie. Metallische, flügellose Zylinder, die aussahen wie wunderschöne, fliegende Raupen. Es waren Drohnen, die elektrische Blitze auf die Flüchtenden abschossen, und alle die noch lebten verbrannten und in Stücke rissen.







Jeder dachte, Zone 4 gehört den Bestien. Sie waren es, die alle töteten, die sich über die Grenze wagten.





Das sollten wir alle glauben. Die Nunbones wussten nur, dass keiner aus dem Deadland zurückkommt. Für sie gab es dort den tödlichen Virus. Und wir, wir wussten von der Existenz der Bestien. Aber uns wurde eingetrichtert, dass außerhalb der Sektion ihr Gebiet war. Aber die Wahrheit erkennt man erst, wenn man sie mit eigenen Augen sieht.







Niemand hätte euch das je geglaubt.





Nein. Der Oberste Gesandte war gut darin, Beweise verschwinden zu lassen.







Das was ihr getan habt, unterscheidet sich nicht wesentlich davon. Ihr habt das Skygate in die Luft gejagt und euren Tod vorgetäuscht!





Ich würde sagen, wir waren lernfähig! Jesse und ich wussten in diesem Moment, wer der wahre Feind ist. Wir sahen, mit welch grausamer Präzision die Drohnen töteten.







Die Bestien haben die Menschheit fast ausgerottet. Willst du mir damit sagen, dass die Gesandten, den Tod von Milliarden Menschen geplant haben?





Nein das war ein Unfall. Eine Nebenwirkung ihrer Experimente.







Experimente?





Viele Flugstunden nach dem Massaker tauchten sie unter uns auf. Gewaltige Forschungsanlagen. Labore. Die Aufbauten, die an der Erdoberfläche zu sehen waren, waren nur die Spitze des Eisbergs. Der größte Teil des Komplexes war unterirdisch angelegt. Unsichtbar, abgeschottet gegenüber allen neugierigen Blicken.







Wer hat für so etwas das Geld aufgebracht? Die Bevölkerung hätte das doch mitbekommen.





Es gab vor der globalen Katastrophe mächtige Interessengruppen. An erster Stelle das Militär und die Pharmaindustrie. Diese machtbesessenen Menschen lernten sich bereits auf Eliteuniversitäten kennen und traten in die Fußstapfen ihrer Väter. Die größte Furcht dessen, der Macht besitzt, ist es, sie wieder zu verlieren. Im 21. Jahrhundert drohten die neuen Medien, das Netz und die Sucht nach Unterhaltung, die alten Mächte zu untergraben. Konzerne waren nicht länger nur Unternehmen. Sie wurden zu Zentren